Die Akte Sommerfeld - Hartmut Birk - E-Book

Die Akte Sommerfeld E-Book

Hartmut Birk

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Beschreibung

Der Roman erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die als Kind, nach einem missglückten Fluchtversuch aus der DDR, zwangsweise von ihren Eltern getrennt wurde. Jahrzehnte später, nach der "Wende" , führt sie zwar nach außen hin ein normales Leben, innerlich kommt sie aber nie zur Ruhe. Psychisch angeschlagen bleibt sie beruflich und privat eine Außenseiterin. Bald ist es nur noch der Antrieb, die Verantwortlichen von damals zu suchen, der sie am Leben erhält. Die Zufällige berufliche Begegnung mit einem Mann bringt sie dann aber unerwartet weiter auf der Suche nach den Schuldigen. Aus anfänglicher Zuneigung wird Hass, weil ihre Liebe nicht erwidert wird und zudem tauchen Zusammenhänge auf, die zu einer dramatischen Entwicklung führen.

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EPUB
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Seitenzahl: 376

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Die Akte Sommerfeld

Teil 1

1982/1985

Rügen, Greifswald, Berlin

Es war Ende November, 6 Uhr früh, stockdunkel und eisig kalt. Frank Sommerfeld fegte eilig den Schnee von seinem Trabant P601. Der Dienst begann heute für beide, Frank und Johanna Sommerfeld, um 7 Uhr im Fährhafen Mukran. Frank arbeitete als Bauingenieur an der Planung für die Sektion C, dem dritten Gleisabschnitt für die Fährlinie. Johanna, seine Frau, war technische Zeichnerin und hatte auf ihrem Zeichenbrett bereits Entwürfe für die Sektion D in Arbeit.

Als Johanna mit ihrer Tochter Beate an der Hand gerade aus der Tür kam, blies ein eisiger Windstoß Frank den Schnee, den er gerade vom Dach des Trabants fegen wollte, direkt ins Gesicht. Er prustete und erntete lautes Gelächter von seiner Frau und der kleinen Bea. Auf dem Weg zum Kindergarten brabbelte Bea unaufhaltsam von ihren Abenteuern mit dem Schneemann, der das Sandmännchen gestern im Fernsehen besucht hatte und an dessen Spitzbart dann lauter Eiszapfen hingen.

Das wollte sie heute auch unbedingt Tante Evelin im Kindergarten erzählen.

Gut, dass sie gestern Abend längst geschlafen hatte und nicht mitbekam, dass ihre Eltern nach der „Aktuellen Kamera“ des DDR-Fernsehens, später die Nachrichten im Westfernsehen verfolgt hatten.

Vor einigen Tagen hatte Frank sich, nach reichlichem Biergenuss, bei einer privaten Feier unter Kollegen, dazu hinreißen lassen, einige abfällige Bemerkungen über das seiner Meinung nach zu einseitig und glorreich berichtende DDR-Fernsehen zu machen.

Heute, schon drei Tage später, wurde er zum Gespräch bei der Betriebsleitung einbestellt. Vor ihm saßen vier Personen, von denen er nur den technischen Leiter und den FDGB-Sekretär kannte. Die beiden ihm unbekannten Herren, deren Namen zwar genannt wurden, deren Funktion aber offenblieb, waren eindeutig von der Staatssicherheit. Die Stasi war auf der gesamten Baustelle massiv vertreten.

Das Gelände war Sperrgebiet. Es galt, trotz der mehr als 3.500 am Bau beteiligten Personen, eine größtmögliche Geheimhaltung sicherzustellen, denn das was hier entstand, hatte große strategische Bedeutung für den Warschauer Pakt. Alles was die 500.000 Mann starke russische Militärmaschinerie in der DDR benötigte, sollte der Planung nach später auf dem Seeweg von Klaipeda nach Mukran verschifft werden.

Der Grund war, dass man den Landweg über Polen mehr und mehr umgehen wollte, um Zeit und Transitgebühren zu sparen, aber auch wegen der durch die „Solidarnosc“ veränderte politische Lage in Polen.

Es war also selbstverständlich, dass das besondere Interesse der Stasi auf alle hier am Bau beteiligten Mitarbeiter gerichtet war.

Frank Sommerfeld galt bisher als linientreu. Er kam aus einer Arbeiterfamilie und hatte sich während seiner schulischen Entwicklung immer als klassenbewusst gezeigt.

Er bekam die Möglichkeit zum Studium und trat auch schon als Student der Partei bei.

Das Gespräch im Büro der Betriebsleitung verlief zunächst so, dass Sommerfeld locker zu bestimmten aktuellen, politischen und sozialen Aspekten befragt wurde. Nach etwa 15 Minuten veränderte sich dann abrupt die Gesprächs-Atmosphäre. Nach dem technischen Leiter und dem Gewerkschaftssekretär, ergriff nun einer der ihm unbekannten Männer das Wort und konfrontierte Sommerfeld sehr aggressiv mit dessen Äußerungen zum DDR-Fernsehen.

Alle Versuche Sommerfelds, das Gesagte zu relativieren und letztlich auch auf den Alkoholeinfluss zurückzuführen, machten den Unbekannten nur noch aufbrausender. Gestoppt wurde er dann durch seinen Nebenmann, der ihm nur die Hand auf den Unterarm legte, woraufhin dieser merklich zuckte und sofort verstummte. Es wurde deutlich, dass es sich hier um einen Ranghöheren handelte und, dass die Rollen sorgsam verteilt waren. Er sprach leise und doch messerscharf bei der Beschreibung der Konsequenzen, die das Gesagte für Sommerfeld schon jetzt hatte. Am Ende stand das Angebot der Wiedergutmachung durch eine informelle Mitarbeit bei der Staatssicherheit und die Drohung, andernfalls von der weiteren Mitarbeit am Fährhafen abgezogen und nach Greifswald versetzt zu werden. Dies würde sowohl für ihn, wie auch für seine Frau gelten. Weiterhin sei damit auch der Verlust der erst vor einigen Monaten bezogenen begehrten 3-Raum Wohnung in Bergen verbunden.

Frank Sommerfeld saß da wie versteinert. Nie hätte er sich vorstellen können, jemals in eine solche Situation zu geraten.

Das Gespräch ging damit zu Ende, dass ihm eine Frist gesetzt wurde, bis wann er die Verpflichtungserklärung zur inoffiziellen Mitarbeit zu unterschreiben hatte. Wie in Trance verließ er die Büros der Werksleitung und ging langsam wieder an seinen Arbeitsplatz.

Der Rest des Tages lief an ihm vorbei und erst am Abend, nachdem seine Frau die kleine Beate ins Bett gebracht hatte, konnte er bei der Schilderung der Ereignisse wieder einen klaren Gedanken fassen. Johanna stand, im Gegensatz zu ihm, dem System schon länger etwas kritischer gegenüber. Sie war es auch, die die Lobhudelei der Fernsehberichterstattung zum ständigen sozialistischen Fortschritt und den vorbildlichen Planerfüllungen der Werktätigen immer wieder mit dem verglich, was sie real in ihrer unmittelbaren Umgebung sah. Im Vergleich zu vielen Menschen auf Rügen, ging es den Sommerfelds recht gut. Sie waren durch ihre Arbeit am Fährhafen privilegiert. Ihre Einkommen und ihre Wohnverhältnisse lagen deutlich über denen der normalen Werktätigen auf Rügen.

Bei Verwandtenbesuchen in Mecklenburg sahen sie immer wieder deutlich schlechtere Lebensverhältnisse, bezogen auf Wohnungen und Konsumgüter. So ging es Johanna mehr und mehr gegen den Strich, laufend nur von den Fortschritten in der DDR und den Brüdervölkern zu hören. Dagegen beschrieb das DDR-Fernsehen die Lage im Westen permanent mit hoher Kriminalität, Mietwucher und Ausbeutung der Werktätigen. Sie war es auch, die immer öfter nach den DDR-Nachrichten der „Aktuellen Kamera“ auch die „Tagesschau“ einschaltete. Sie sah sowohl den „Schwarzen Kanal“, wie auch das „ZDF-Magazin“ und ihr war klar, dass sowohl Löwenthal wie auch Schnitzler reine Propaganda-Sendungen machten.

Es gab regelmäßig sehr anregende Diskussionen zwischen Frank und Johanna. Frank war es, der die sozialistischen Ideale vertrat, die Johanna mehr und mehr hinterfragte.

An dem Abend, als Frank dann seiner Frau von dem Gespräch bei der Betriebsleitung erzählte, erschien er wie verwandelt. Er fragte sich, konnte er Freunden und Kollegen nicht mehr vertrauen? War so etwas leicht Dahingesagtes, für ihn eigentlich Belangloses, für andere Grund genug, seine Existenz und die seiner Familie zu bedrohen? Gehörte Erpressung zur Bespitzelung anderer zu der von ihm bisher immer verteidigten Gesellschaftsordnung? Johanna und er waren sich einig, dass hier etwas grundsätzlich falsch lief und dass er die geforderte Verpflichtungserklärung keinesfalls unterschreiben sollte.

***

Drei Monate später, im Mai 1983, erfolgten die Konsequenzen.

Erst wurde Frank nach Greifswald versetzt, um in einem Betrieb für Landwirtschaftstechnik zu arbeiten. Eine Stelle, die deutlich unter dem Niveau seiner bisherigen Tätigkeit lag.

Es überraschte nicht, dass kurz darauf auch für Johanna im selben Betrieb eine Stelle frei wurde.

Ihnen wurde eine Altbauwohnung in der Innenstadt von Greifswald zugewiesen, die zwar größer als die Plattenbauwohnung in Bergen war, aber mit Kohle beheizt wurde, undichte Fenster und einen maroden baufälligen Balkon hatte. Bad und Küche boten im Vergleich zum Plattenbau in Bergen keinerlei Komfort.

Das Klima im neuen Betrieb war oberflächlich gesehen sozialistisch kollegial, aber Frank spürte irgendwie insgesamt eine frostige Atmosphäre. Er war sich sicher, dass nicht nur die Leitung, sondern auch andere Kollegen über den Grund des Wechsels seines Arbeitsplatzes Bescheid wussten. Bei Gesprächen über private Themen grenzte man ihn geschickt aus.

Engere Kontakte gab es nur zwischen den langjährig dort Beschäftigten. Das wurde auch Johanna deutlich, die nur über ihre Rolle als Mutter mit einigen Frauen locker ins Gespräch kam.

Alles hatte sich verändert. Frank und Johanna merkten sehr schnell, dass sie sich so ihr weiteres Leben nicht vorgestellt hatten. Johanna war es dann auch, die sich als erste Gedanken über einen Neuanfang machte. Vorsichtig brachte sie gegenüber Frank das Thema „Ausreise“ an.

Sie sprachen zunächst über Möglichkeiten der Arbeit im sozialistischen Ausland. Eine Möglichkeit war die Mitarbeit am dritten Bauabschnitt der zweiten Erdgastrasse, von der UDSSR nach Deutschland. Dafür wurde in vielen DDR-Betrieben geworben. Man konnte sich für zunächst 2 Jahre für einen Einsatz im Ural bewerben. Die Bezahlung war im Vergleich zum Einsatz in der DDR äußerst attraktiv. Es gab besondere Privilegien. Die Arbeiter bekamen nach zwei- bis drei Jahren Auslandsaufenthalt eine sogenannte „Autokarte“, das heißt, die Wartezeit auf einen neuen Trabbi oder Wartburg wurde deutlich verkürzt.

Nach 5 Jahren Arbeit dort, erhielten „Trassenbauer“ sogar eine der begehrten Wohnungsbezugskarten für neue Plattenbauten und „Genex-Gutscheine“ mit denen auch westliche Konsumgüter aus einer Art „Quelle-Katalog“ ausgesucht und bezahlt werden konnten.

Je intensiver sich Frank und Johanna aber damit beschäftigten, desto mehr erkannten sie, dass dies keine wirkliche Alternative für sie war. Für eine Familie mit Kind waren die klimatischen Bedingungen in den Bauländern und die langen Arbeitstage von oft 10 Stunden, an 6 Tagen pro Woche, trotz aller Verlockungen nicht erstrebenswert.

Nach einem Reisebericht im Westfernsehen, kam dann von Johanna irgendwann eine Ausreise in den Westen ins Spiel.

Sie diskutierten Tage und Nächte lang darüber und je unerträglicher die private- und berufliche Situation wurde und das wurde sie, umso mehr nahm der ursprünglich lose Gedanke Form an.

Eine legaler Ausreiseantrag der Eltern mit ihrer Tochter, dessen waren sie sich bewusst, war aussichtlos.

Dann sahen sie im Westfernsehen Bilder von der Ständigen Vertretung der BRD in Ostberlin. Dort hatte seit einigen Tagen eine Gruppe von DDR-Bürgern Zuflucht gesucht, um so eine Ausreise zu erzwingen.

Das war es, dachten sie. Alle drei mit dem Auto nach Berlin, in die Ständige Vertretung gehen und sich denen anschließen, die dort die Ausreise in den Westen verlangten. Im Vergleich zu allen anderen Fluchtszenarien, die sie gedanklich schon durchgespielt hatten, war das am einfachsten und ohne Risiko für Leib und Leben. Der Entschluss stand. Sie wollten keine Zeit verlieren und deshalb bereits am Wochenende losfahren. Jeden Abend, wenn Beate im Bett war, packten sie die wichtigsten Dinge zusammen. Sie wussten nicht, ob sie überhaupt mit Gepäck in die Ständige Vertretung hineingehen konnten. Im Fernsehen war zu sehen, dass dort vor dem Eingang Volkspolizei stand. Also sollte Frank, wenn sie in Berlin waren, aus einiger Entfernung den Eingang der Vertretung im Auge behalten und beobachten, wie Menschen hineingingen und ob sie von den Volkspolizisten vor der Tür angehalten wurden. Johanna wollte derweil mit Beate an anderer Stelle warten und ihr den Alexanderplatz mit dem Fernsehturm zeigen, um sie damit abzulenken.

Genauso machten sie es, als sie Samstagmittag in Berlin ankamen. Ihren Trabbi hatten sie in einer der Nebenstraßen vom Alexanderplatz abgestellt und machten sich zu Fuß in unterschiedliche Richtungen auf den Weg.

Als Frank kurze Zeit später in die Hannoversche Straße, dem Sitz der Ständigen BRD-Vertretung kam, sah er zu seiner Überraschung, dass sich dort vor dem Gebäude eine größere Menschenmenge befand. Anders als in den Fernsehberichten, waren jetzt auch sehr viele Volkspolizisten zu sehen. Frank vermied es deshalb, näher an das Gebäude heranzugehen.

Als neben ihm ein Mann in Reichsbahnuniform stehenblieb, um sich eine Zigarette anzuzünden, sprach er ihn an.

»Wissen Sie was da vorne los ist? Was machen denn die Leute da alle?«

»Sie sind wohl nicht von hier?«, entgegnete der Eisenbahner mit einem leichten Thüringer Akzent.

»Nein, ich komme aus Greifswald und gucke mir mal unsere schöne Hauptstadt an. Aber irgendwie habe ich mich wohl doch etwas verlaufen.«

»Ja, das haben Sie wohl. Das da vorn ist die BRD-Vertretung. Die haben sie heute Morgen zugemacht.

Wegen Überfüllung geschlossen«, feixte er, tippte an seine Mütze und ging weiter.

Frank stand da wie angewurzelt. Er war völlig geschockt, vergaß alle Vorsicht und starrte nur noch auf das Gebäude, das für ihn und seine Familie alles hätte verändern könnten. Mussten sie jetzt abbrechen?

Er beschloss, zurück zu seinem Wagen zu gehen. Vielleicht konnte er ja den Nachrichten etwas entnehmen und dann mit Johanna beraten, wie es weitergehen sollte. Jetzt begann es zu regnen und er hatte weder einen Schirm, noch eine Jacke mit Kapuze dabei.

Den Entschluss, weiterzugehen brach er ab, nachdem sich der eben noch leichte Regen in einen wahren Wolkenbruch verwandelte hatte. Es bildeten sich bereits große Wasserblasen auf dem Kopfsteinpflaster. Er rannte zu einer Toreinfahrt, die in einen der zahlreichen Berliner Hinterhöfe führte. Dort zog zwar ein eisiger Wind durch, aber er war erstmal dem Regenguss entkommen und konnte sich dann in einen etwas geschützteren, seitlich liegenden Hauseingang stellen. Im gleichen Moment kam ein Mann angerannt, der sich mit einer Aktentasche über dem Kopf ebenfalls vor dem anhaltenden Starkregen in Sicherheit bringen wollte. Auch er stellte sich zunächst nur in der Toreinfahrt unter, schien aber auch die unangenehme Zugluft zu spüren und ging dann auf den einzigen seitlichen schmalen Hauseingang zu, in dem Frank Schutz gesucht hatte.

»Mann, das zieht ja hier wie Hechtsuppe. Haben sie noch etwas Platz für mich?«, fragte er.

«Ja klar, kommen Sie», sagte Frank und trat einen Schritt zur Seite. Irgendwie hatte er diesen Mann eben schon einmal gesehen. Ja, jetzt erinnerte er sich. Es war einer der Leute, die auch etwas abseits von der Schlange der Wartenden vor der Ständigen Vertretung der BRD standen. Frank überlegte, sollte er ihn darauf ansprechen?

Eigentlich ging er damit kein Risiko ein und vielleicht erfuhr er so, was da nun eigentlich wirklich los war.

»Kann es sein, dass ich Sie eben schon vor der BRD-Vertretung gesehen habe?«, fragte er den Fremden vorsichtig.

»Ja, ich war einfach neugierig, nachdem ich gehört hatte, dass von dort DDR-Bürger in den Westen kommen wollten und nun haben sie denen wohl die Tür vor der Nase zugemacht. Jedenfalls ist da heute keiner mehr reingekommen. Und Sie, auch nur gucken, oder wollten Sie zum Klassenfeind überlaufen?«

Die Art, wie er letzteres sagte und dabei grinste, führte dazu, dass Frank den Faden aufnahm und ohne auf die direkte Frage zu antworten, vorsichtig weiter fragte: »Haben die Leute da drin denn überhaupt eine Chance auf eine Ausreise?«

»Na ja, für die wird es jetzt schon irgendeine Lösung geben müssen. Da wird wohl schon verhandelt, munkelt man, denn so kann das nicht weitergehen. Ich denke, das wissen beide Seiten.« Frank sah ihn an und nickte nachdenklich.

»Wir kennen uns ja nicht und wie einer von „Horch und Guck“ sehen sie ja nun auch nicht aus, deshalb kann

ich es Ihnen ja sagen. Ich dachte, das geht nicht mehr lange gut so, deshalb wollte ich da unbedingt noch rein. Tja, Pech gehabt, ausgerechnet heute machen die den Laden dicht. Doktor Bräutigam, das ist der Leiter dort, sowas wie der Botschafter, will wohl kurzfristig noch eine Presseerklärung im Westfernsehen geben. Aber so wie ich das sehe, war es das wohl mit dieser Möglichkeit«, sagte er und sah jetzt auf Frank, der sichtbar mit sich rang, ob er seinem Gegenüber wohl trauen und ihm sagen konnte, dass auch er aus dem gleichen Grund hier war. Er entschloss sich zur Vorsicht und wollte erst etwas mehr über den Mann erfahren, bevor auch er sich outete. Ihr gemeinsamer Aufenthalt hier schien überdies auch noch anzudauern, denn man sah durch den Toreingang weiterhin den prasselnden Regen, der jetzt noch durch einen peitschenden Wind verstärkt wurde.

»Sie könnten doch ganz einfach einen Ausreiseantrag stellen«, sagte Frank, wohl wissend, dass der andere ihn für naiv halten würde.

»Das habe ich schon vor fast 2 Jahren gemacht und bis heute keine Antwort darauf erhalten, aber die Folgen, die habe ich zu spüren bekommen, das können Sie mir glauben.«

Frank sah dem Mann jetzt deutlich seine Verzweiflung an und entschloss sich deshalb, nicht weiter zu taktieren. Er erzählte, warum er hier war und, dass durch die scheinbare Schließung der Ständigen Vertretung, nun auch sein Plan gescheitert sei. Der Mann gab ihm die Hand und stellte sich als Peter Kuhlmann vor.

Der Regen ließ langsam nach und die beiden Männer blieben noch eine Weile zusammen und sprachen darüber, welche Möglichkeiten sich noch boten, um mit möglichst wenig Risiko in den Westen zu gelangen. Kuhlmann erzählte davon, dass er schon einmal einen Kontakt zu einem Fluchthelfer gehabt habe, der für einen Betrag von 5000 DM angeboten hätte, ihn in den Westen zu bringen. Er sollte dafür einen Schuldschein unterschreiben und dem Mann dann drüben das Geld in Raten abbezahlen. Er sei auf das Angebot nicht weiter eingegangen, als er dann von der Möglichkeit der Ausreise über die Ständige Vertretung erfahren habe. Aber jetzt sei es wohl doch Zeit, wieder mit dem Mann in Kontakt zu kommen. Die Frage von Frank, wie eine solche Flucht von statten gehen sollte, konnte Kuhlmann nicht beantworten. Der Fluchthelfer hätte ihm gesagt, dass das wie und wann aus Sicherheitsgründen immer erst einige Stunden vor dem geplanten Unternehmen bekannt gegeben würde.

»Das hört sich ja sehr professionell an. Was meinen Sie, würde der auch mehrere Personen mitnehmen? Ich will mit meiner Frau und unserer kleinen Tochter rüber.«

»So wie er sagte, hat er schon ganze Familien problemlos nach drüben gebracht. Soll ich mich da für euch auch mal mit umhören?«

»Ja, aber wie kommen wir dann in Kontakt?«

»Der wird mit Sicherheit nicht nach Greifswald kommen können«, sagte Kuhlmann. »Ich muss erstmal selbst versuchen, wieder an den Mann heranzukommen. Das geht nur über Umwege. Ich würde sagen, ich melde mich bei Ihnen, wenn ich was erreicht habe. Kann ich Sie anrufen?«

»Nee, Telefon haben wir noch nicht und im Betrieb anzurufen, ist mir zu unsicher.«

»Gut, dann schreiben ich Ihnen eine Karte, so als würde ich Sie als alten Freund mal wieder nach Berlin einladen.

Wir treffen uns dann zu dem Termin auf dem Alex, da sind viele Leute und wahrscheinlich kommt dann auch der Kontaktmann dazu, wenn er die Lage gecheckt hat. Dann können Sie alles weitere mit ihm besprechen. Wäre das in Ordnung?«

Frank war nicht wohl dabei, denn er wusste, dass er jetzt dem Fremden seine Identität preisgeben musste, um den weiteren Kontakt zu ermöglichen. Aber es war klar, anders konnte das nicht funktionieren.

»Haben Sie was zum Schreiben dabei?«, fragte er Kuhlmann. Er griff nach seiner Aktentasche, die er sich zwischen die Füße geklemmt hatte, holte einen Block und einen Kugelschreiber heraus und gab beides Frank, der eilig Namen und Adresse notierte.

»So, ich muss jetzt auch dringend los. Meine Frau und die Kleine werden inzwischen unruhig werden. Wir wollten uns schon vor einer viertel Stunde am Fernsehturm treffen«, sagte Frank und gab Kuhlmann Block und Schreiber zurück. Er reichte ihm die Hand, sah ihm in die Augen und sagte:

»Erstmal vielen Dank für Ihre Offenheit. Bitte gehen Sie für uns kein Risiko ein. Wenn Sie merken, dass da was aus dem Ruder läuft, dann brechen Sie lieber ab und ich höre dann einfach nichts von Ihnen, versprochen?«

»Ich bin vorsichtig, da können sie sicher sein, aber ganz risikolos ist das alles natürlich nicht.«

Mit den Worten, «wird schon schiefgehen«, klopfte er Frank auf die Schulter, griff dann nach seiner Tasche und rannte durch den immer noch anhaltendenden Regen los.

Auch Frank setzte sich in Bewegung und war froh, als er kurze Zeit später Johanna und Beate am vereinbarten Treffpunkt wiedersah. Punktgenau jetzt hörte es auf zu regnen. Johanna sah ihm sofort an, dass etwas passiert sein musste.

»Ich habe Bea versprochen, wenn du wieder da bist, gehen wir mit ihr ein Eis essen.«

»Ja, Eis jetzt, jetzt!«, kreischte Beate. So war sie perfekt abgelenkt und kam gar nicht erst auf die Idee, irgendwelche anderen Fragen zu stellen.

An der Eisdiele waren sie schon vor einigen Minuten vorbeigekommen, sodass Beate jetzt über den Platz vorlaufen konnte.

»Nun erzähl mal!«, drängte Johanna ungeduldig, als Beate ein kleines Stück weit außer Hörweite war.

***

Die „Abteilung Information“ der Staatssicherheit war koordinierend mit allen Dingen, die mit Republikflucht zusammenhingen, beschäftigt. In der Normannenstraße saßen 5 Offiziere zusammen und sichteten die Unterlagen zur Überwachung der Ständigen Vertretung der BRD.

»Konnten die Personen auf den Fotos zugeordnet werden?«, fragte der am Kopfende des Tisches sitzende Major Wachau die Anwesenden.

»Leider nicht alle, Genosse Major«, entgegnete ein neben ihm sitzender Hauptmann. »Es ist uns aber gelungen, 80% der Personen zu ermitteln. Es sind 12 Personen dabei, von denen Ausreiseanträge vorliegen. Das sind die hier rot eingekreisten. Die grün eingekreisten

6 Personen gehören zu den sogenannten Bürgerbewegungen. 5 Personen, hier gelb gekennzeichnet, sind uns aus 2 Kirchengemeinden bekannt. Die 17 blau gekennzeichneten Personen, konnten namentlich nicht zugeordnet werden, sind uns aber bei anderen operativen Beobachtungen schon aufgefallen. Hier laufen inzwischen Ermittlungen und wir werden in Kürze auch deren Personalien kennen. Bisher nicht in Erscheinung getreten sind die nicht markierten 10 Personen.«

Es entstand eine Pause. Major Wachau saß mit über dem Bauch verschränkten Armen fast regungslos da und schaute von einem Bild auf das andere.

»Ist das Umfeld auch aufgenommen worden?«, fragte er dann nachdenklich.

»Ja Genosse Major«, entgegnete ihm ein Oberleutnant, der an der anderen Seite des Tisches saß und der, als er den Blick seines Vorgesetzten sah, augenblicklich merkte, dass er nicht gefragt war.

»Ja und, wo sind die Bilder?«, fragte der Major aggressiv, und wandte sich wieder dem Hauptmann zu.

»Warum werden mir die vorenthalten?«, schnauzte er ihn an.

Der Hauptmann entnahm seiner Mappe vier weitere Fotos und übergab sie seinem Vorgesetzten.

»Wir sahen keinen Zusammenhang mit den dort zufällig im Umfeld befindlichen Personen, Genosse Major.«

»So, meinen Sie? Das sehe ich aber ganz anders. Lassen Sie sofort überprüfen, ob wir von den Leuten hier schon irgendetwas vorliegen haben. Wie lange brauchen sie dafür?«

»Zwei bis drei Tage, Genosse Major.«

»Gut, dann sehen wir uns am Donnerstag um 16 Uhr wieder hier. In den anderen Fällen verfahren wir wie gewohnt. Die Kirchenleute lassen wir erstmal außen vor. Die kriegen wir dann später auch noch ran. Veranlassen Sie alles weitere«, sagte er an den Hauptmann gewandt.

Er stand auf, nickte den Anwesenden, die sich von ihren Plätzen erhoben, zu und verließ den Raum.

***

Als Frank und Johanna am Abend wieder in Greifswald eintrafen, hatten sie Probleme, die kleine Bea wach zu bekommen. Sie war nach der Abfahrt kurz hinter Berlin eingeschlafen und hatte bis zum Tankstopp in Neustrelitz durchgeschlafen. Hier musste sie ganz dringend pullern und auch Johanna nutzte den Stopp gleichermaßen. Obwohl Frank und Johanna versuchten, sie mit Ratespielchen wachzuhalten, war sie dann aber doch, etwa eine halbe Stunde vor Greifswald wieder tief eingeschlafen. Es war aber auch schon nach 22 Uhr und stockdunkel. Sie konnten an einer Straßenlaterne etwa 50 Meter vor ihrem Hauseingang parken. Johanna nahm das Gepäck. Frank klappte den Fahrersitz zurück und hob Bea vorsichtig aus dem Trabant. Etwas weiter entfernt, auf der anderen Straßenseite, stand ein Streifenwagen der Volkspolizei und da sonst keiner weiter auf der Straße zu sehen war, richteten die beiden Beamten ihre Blicke abwechselnd auf ihre Brotstullen, Kaffeebecher und auf die Sommerfelds.

Frank und Johanna sahen den Wartburg, konnten jedoch die Personen darin nicht erkennen. Johanna stieß Frank an und an ihrem Blick merkte er, dass sie die Situation beunruhigte.

»Die sind nicht unseretwegen hier, da kannst du sicher sein«, versuchte er sie zu beruhigen. »Wenn die uns observieren wollten, dann bestimmt nicht mit dem Streifenwagen.«

»Stimmt, da kannst du mal sehen, wie verunsichert ich schon bin«, sagte sie. »Komm, lass uns schnell nach oben gehen.«

Dafür, dass sie ja eigentlich heute schon hier nicht mehr ankommen wollten, waren sie nun doch in gewisser Weise froh, wieder in ihrer Wohnung zu sein.

Als Beate schon in ihrem Bett weiter träumte, sah Johanna beim Blick aus dem Fenster, dass der Wartburg noch immer auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand.

Sie zog die Übergardinen zu und nahm sich vor, in einer halben Stunde wieder nachzusehen.

Frank machte den Fernseher an und sie sahen das Nachtmagazin im Westfernsehen. Ein Thema war natürlich auch die vorrübergehende Schließung der „Ständigen Vertretung“ für Besucher. Beiden war klar, der Zug war abgefahren. Auch wenn die Vertretung über kurz oder lang wieder geöffnet würde, hätten beide Seiten kein Interesse daran, dass sie erneut DDR-Bürger zur Zuflucht nutzen konnten. Hier gab es übergeordnete politische Interessen, bei denen der Einzelne keine Rolle spielte.

Sie blieben noch bis weit nach Mitternacht auf und diskutierten wieder und wieder noch verbleibende Alternativen. Als sie endlich ins Bett gingen, war auch der Wartburg inzwischen verschwunden.

***

Major Wachau vertagte die von ihm angesetzte Besprechung. Die Stasi war jetzt mit sich selbst beschäftigt. Es gab viel zu feiern. Der Staatsrats Vorsitzende, Erich Honecker, verlieh dem Stasi-Chef Mielke „für seine Verdienste im Kampf gegen die Feinde des Sozialismus“ den Karl-Marx-Orden.

Als man sich dann 2 Tage später wieder zusammenfand, war die Stimmung immer noch sehr gelöst, so dass Major Wachau gegenüber seinen Offizieren ungewohnt jovial auftrat. Hauptmann Berger hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt und konnte nun tatsächlich die Identität von 2 Personen, die sich am besagten Tage im Umfeld der „Ständigen Vertretung“ aufgehalten hatten, präsentieren. Es handelte sich um einen Peter Kuhlmann, der bereits zwei Ausreiseanträge gestellt hatte und um den Ingenieur Frank Sommerfeld, der wegen des Verdachtes politischer Unzuverlässigkeit seinen privilegierten Job am Fährbahnhof Mukran verloren und die angebotene Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit abgelehnt hatte. Die anderen Männer auf den Bildern waren eigene Leute, hauptamtliche Mitarbeiter der Staatsicherheit.

»Na bitte, dachte ich mir es doch, dass wir da noch einiges am Haken haben«, sagte Wachau.

»Sie hatten Recht, Genosse Major. Es gibt sogar noch weitere Erkenntnisse. Dieser Kuhlmann hatte mit einem BRD-Bürger Kontakt, der regelmäßig einreist und den wir seit kurzem überwachen. Es besteht ein Anfangsverdacht auf Beihilfe zur Republikflucht.«

Wachau kratzte sich am Kopf.

»Da gibt es doch ganz offensichtlich einen Zusammenhang. Lassen Sie mir diesen Kuhlmann und auch den Sommerfeld jetzt dauerhaft überwachen. Ich will wissen, was die im Schilde führen. Da läuft was, das rieche ich geradezu«, sagte Wachau, stand auf und ging ans Fenster des Besprechungsraumes. Offenbar in Gedanken sah er hinunter auf den Innenhof.

»Hardenberg, kommen Sie mal her«, sagte er ohne sich umzudrehen. Der Oberleutnant sprang auf und stellte sich hinter Wachau auf. »Jawohl, Genosse Major.« Ohne ihn anzusehen, sagte Wachau:

»Bis auf weiteres kümmern Sie sich nur um diese Leute und ihr Umfeld. Was ist mit den Familien, Freunden, Arbeitskollegen. Haben wir da Inoffizielle und wenn nicht, dann aktivieren Sie schnellstens welche. Bringen Sie mir Ergebnisse!« Oberleutnant Hardenberg nahm Haltung an.

»Jawohl, Genosse Major, Sie können sich auf mich verlassen.« »Gut meine Herren, das war`s. Wir sehen uns am Montag wieder«, brummte Wachau und verließ den Raum.

***

Es war der erste schöne, milde Maiabend. Windstill und noch fast 22 Grad warm. Peter Kuhlmann saß draußen vor einer Eckkneipe in Prenzlauer Berg, trank sein zweites Bärenquell-Pils und beobachtete die vorbeigehenden Menschen. Er wartete auf Joachim Benser, einen Kumpel aus seiner Schulzeit, der ihm schon einmal den Kontakt zu Werner hergestellt hatte. Er kannte ihn nur als Werner, ob der Mann wirklich so hieß, wusste Kuhlmann nicht. Kurz nach 18 Uhr kam Benser mit seiner alten Ledertasche unterm Arm den Kollwitzplatz hoch. Kuhlmann stand auf und winkte ihm zu.

»Komm Joachim, alter Junge, setzt dich.«

Er zog ihm mit der einen Hand den alten Holzstuhl vor und mit der anderen klopfte er ihm auf die Schulter.

»Hallo Peter! Mensch, du siehst blass aus. Was ist los, bist du krank?«

»Nee, aber Büroarbeit, ich komme ja kaum an die frische Luft und seit drei Wochenenden renovieren wir jetzt schon unsere Bude.« »Ach so, na dann lass uns jetzt mal die letzten Sonnenstrahlen für heute genießen. Ich geh mir erstmal ein Bier bestellen und für kleine Jungs. Für dich auch noch eins, oder?«

Ohne die Antwort abzuwarten, verschwand Benser in der Wirtschaft.

Die Nebentische waren aufgrund der Wetterlage alle gut besetzt und Kuhlmann überlegte, ob es wirklich eine gute Idee war, sich hier draußen hinzusetzen. Jedenfalls würden sie nicht so offen reden können und das passte in diesem Fall nun wirklich nicht.

Als Benser wieder herauskam, zogen die ersten Wolken heran und als dann die Sonne immer mal wieder dahinter verschwand, wurde es merklich kühler.

Die Tische draußen leerten sich nach und nach und so konnten die beiden, nach einer guten halben Stunde allgemeinem Geplauder, sich dann doch dem von Kuhlmann beabsichtigten Thema widmen.

Benser wusste, dass Kuhlmann nach einem Weg suchte, aus der DDR herauszukommen. Er kannte die Geschichte seiner Ausreiseanträge und war deshalb nicht verwundert, als Kuhlmann ihn nach Werner fragte.

Benser hatte Werner schon vor fast einem Jahr bei einer Feier von Künstlerfreunden kennengelernt, die bis zu seiner Ausbürgerung, früher viel Kontakt mit Wolf Biermann hatten. Werner lebte in Hannover und kam angeblich öfter zu Tagesbesuchen mit seiner in Ostberlin lebenden Schwester zusammen. Er hatte von ihm zu einem äußerst attraktiven Umtauschkurs Westgeld bekommen. Ein heikles Geschäft, bei dem man dann schnell auch über andere Dinge ins Gespräch kam. Jedenfalls machte Werner bei seinem dritten Treffen mit Benser Andeutungen darüber, dass er von Möglichkeiten wisse, wie man mehr oder weniger risikolos aus der DDR in den Westen kommen könnte. Benser war seinerzeit nicht interessiert. Er war angepasst und lebte als Maler und Bildhauer recht gut im „Arbeiter- und Bauernstaat“, aber er kannte andere, die immer wieder nach Möglichkeiten suchten, in die BRD zu kommen. Einer von ihnen war sein alter Kumpel Kuhlmann und so vermittelte er vor einem halben Jahr einen entsprechenden Kontakt, der aber dann im Sande verlief, weil Kuhlmann das Risiko scheute und sich dazu entschloss, lieber den Weg über Ausreiseanträge zu gehen.

»Ich bin nächste Woche bei Karin und Günther, die kennst du ja. Bei denen ist Werner öfters. Soweit ich weiß, haben die diesen Monat noch eine Vernissage. Ich höre mal, ob er dort wieder aufkreuzt. Dann kannst du ja auch kommen und den Kontakt zu ihm wieder aufnehmen. Was meinst du?«

»Ja, das hört sich gut an, lass uns das so machen.«

»Aber bitte sei vorsichtig! Da sind immer viele Leute und man weiß nie, wer da so die Ohren spitzt. Du weißt, was ich meine.« »Klar, ich passe schon auf. So, ich glaube es wird mir jetzt doch etwas zu kalt hier draußen. Komm lass uns reingehen!«

***

Frank Sommerfeld räumte seinen Schreibtisch auf und ging dann nach hinten in den Männer-Waschraum des LPG-Gebäudes. Es gab dort keine einzelnen Waschbecken, sondern nur zwei lange geflieste Rinnen mit darüber angebrachten vielen Wasserhähnen. Im Nebenraum befanden sich die Toiletten und Umkleideräume. Zu den unterschiedlichen Feierabendzeiten war hier Hochbetrieb. Traktoristen, Mechaniker, Melker, Besamer aber auch die Leute aus der Verwaltung drängten sich hier vor dem Feierabend. Keiner wollte auch nur eine Minute länger bleiben.

Frank fuhr heute alleine nach Hause, weil Johanna ihren arbeitsfreien Haushaltstag hatte. Er war eben in der Tür, als sie ihn mit den Händen auf dem Rücken einen Begrüßungskuss gab. »Was hast du da?«, fragte er und sah über ihre Schulter.

»Überraschung«, sagte sie und zog eine Karte hinter ihrem Rücken hervor. Sie legte den Finger zum Mund, zeigte dabei auf das Badezimmer, wo man Beate aus der Badewanne laut planschen hörte und sagte leise:

»Das ist doch wohl von dem, mit dem du da in Berlin Kontakt hattest.«

Die Karte enthielt nur fünf Zeilen.

Hallo Frank!

Ich würde mich sehr freuen, wenn Du am 10. Juni, um 16 Uhr zu meinem Geburtstag kommen würdest. Wir feiern bei meiner Schwester in der Chausseestraße 24.

Dein alter Freund Peter Kuhlmann“

»Ja, das ist er. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet.

Lass uns warten bis Beate schläft. Wir müssen das in Ruhe besprechen.«

Das Kind war heute aufgedrehter als sonst und schlief erst gegen 20 Uhr endlich ein.

»Und, willst du hinfahren?«

»Ich weiß nicht. Mir sind da schon so meine Zweifel gekommen. Das Treffen mit Kuhlmann sollte eigentlich auf dem Alex stattfinden. Nun auf einmal in einer Wohnung. Was ist, wenn das eine Falle ist?«

»Du warst dir in Berlin doch ziemlich sicher, sonst hättest du ihm doch unsere Adresse nicht gegeben.«

»Du hast ja recht. Aber wir sollten nochmal in Ruhe darüber nachdenken. Er hat keine Antwort verlangt, also haben wir noch die ganze Woche Zeit, die Sache genau zu überlegen, einverstanden?«

Johanna zog die Stirn in Falten und nickte dann nachdenklich.

»Gut, ab jetzt sprechen wir jeden Abend darüber und wägen alles ab. Am Donnerstag entscheiden wir dann. Wenn wir uns weiter unsicher oder uneins sind, dann fährst du nicht.«

Sie sah Frank den Druck an, der auf ihm lastete, stupste ihn an und lächelte.

»Wir werden das schon richtig machen.«

Er rang sich auch ein Lächeln ab und wollte sie gerade in den Arm nehmen, als Beate sich aus dem Kinderzimmer meldete und weinte.

»Sie wird schlecht geträumt haben oder sie spürt unsere Verunsicherung«, sagte Johanna und ging zu Beate hinüber.

Die Entscheidung fiel schon am Mittwoch. Sowohl Frank, als auch Johanna hatten wieder zwei richtig schlechte Tage im Betrieb hinter sich. Sie waren sich jetzt einig, so könne es nicht weiter gehen. Man musste diesen Versuch einfach wagen.

»Wenn das wirklich schief geht«, sagte Frank eindringlich, »und die mich dort verhaften, dann hast du von der ganzen Sache nichts gewusst. Versprichst du mir das?«

Sie nahm seine Hand, holte tief Luft.

»Ich verspreche es dir. Aber das muss einfach gut gehen.«

***

Für Anfang Juni war es eindeutig zu kalt in Berlin. Der Wind hatte aufgedreht und in kurzen Abständen regnete es auch immer mal wieder.

Trotzdem wollte Frank nicht vor dem Haus in der Berliner Chausseestraße parken. Obwohl er wusste, dass es unsinnig war, ließ er den Trabant zwei Straßen weiter entfernt stehen und ging durch den Regen zu Fuß. Ihm war flau im Magen und er blickte sich immer wieder um. Am Eingang Nummer 24 angekommen, sah er sich die Namensschilder an. Den Namen Kuhlmann gab es dort nicht. Sollte er einfach irgendwo klingeln?

Er zögerte. Im gleichen Moment wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Ein junges Pärchen kam zum Eingang auf ihn zu. Sie sahen für DDR-Verhältnisse etwas ungewöhnlich aus. Irgendwie bunt und schrill.

»Hallo, willst du auch zur Vernissage?«, fragte die Frau und die beiden strahlten ihn geradezu an.

Frank wusste für einen Moment nicht so recht, wie er darauf reagieren sollte. Dieser Kuhlmann hatte etwas von einer Geburtstagsfeier geschrieben und erst jetzt fiel ihm ein, dass da von seiner Schwester die Rede war, und die musste natürlich nicht unbedingt noch unter ihrem Mädchennamen hier wohnen. »Ich habe eine Einladung. Aber eigentlich zur Geburtstagsfeier von Peter Kuhlmann, kennt ihr den?«

»Also Geburtstag ist hier auch, aber der von Günther und der hat das mit der Vorstellung der neuen Werke von Karin verbunden. Kuhlmann? Peter Kuhlmann? Warte mal. Mandy, ist das nicht ein Freund von Joachim?«

»Ja, kann sein. Aber ob der heute hier ist, keine Ahnung.« »Egal, komm einfach mit hoch. Das wird schon richtig sein.«

Schon im Hausflur hörten sie ein Stimmengewirr. Die Tür im zweiten Stock stand offen und in der ziemlich großen Wohnung befanden sich mindestens vierzig bis fünfzig Leute. Frank folgte den beiden jungen Leuten, die hier anscheinend sehr bekannt waren, denn sie wurden von allen Seiten begrüßt.

In einem Durchgangszimmer, vor einer großen Bücherwand, stand ein etwa Mitte sechzigjähriger Mann mit einem großen weißen Hut, schwarzem Hemd und weißer Hose. Das musste Günther sein, denn er war vollauf mit der Begrüßung und der Annahme von Geschenken beschäftigt. Frank kam sich etwas verloren vor, weil er hier niemanden kannte und für den Gastgeber auch kein Geschenk hatte. Er stellte sich Günther als Freund von Peter Kuhlmann vor, der ihm geschrieben habe, man könne sich hier treffen. Im Unterschied zu Frank, fand Günther das anscheinend völlig normal. Mit der Aufforderung, er solle sich nebenan was zu trinken holen und wie zu Hause fühlen, wandte Günther sich dann schon den nächsten Neuankömmlingen zu. Das Pärchen, mit dem er gekommen war, saß inzwischen mit einem Bildband, umringt von anderen Gästen, auf einem riesigen, dunkelroten Ecksofa. Frank nahm sich ein Glas Sekt von einem Tablett und tat so, als bewundere er die Bilder, die an der Wand in der langen Diele hingen. Es war alles abstrakt und so überhaupt nicht sein Geschmack. Dann hörte er wie jemand im Nebenraum „Hallo Werner!“ rief. Er ging zur Tür des Raumes, konnte aber nicht erkennen, wer da wen begrüßt hatte. Auch dieser Raum war voller Gäste. Er lauschte den Gesprächen und wartete darauf, dass dieser Name wieder genannt werden würde. Er hatte Pech. Im Stimmengewirr hörte er immer wieder Namen, aber der Name Werner fiel erstmal nicht mehr. Kurz darauf tippte ihm jemand auf die Schulter und als er sich umdrehte, erkannte er den Mann wieder, mit dem er vor Wochen beim Starkregen im Hauseingang eines Hinterhauses gestanden hatte. Peter Kuhlmann war zwar heute anders gekleidet, passte aber auch irgendwie nicht so ganz in die Gesellschaft, die sich hier versammelt hatte.

Er reichte Frank die Hand.

»Hallo, schön dass du gekommen bist, Frank. Ich darf doch Frank sagen, oder? Ich bin der Peter, aber das weißt du ja schon.«

»Ja, hallo Peter. Deine Karte kam sehr überraschend. Ich hatte eigentlich schon nicht mehr damit gerechnet. Und dann diese Privatwohnung hier, ich war sehr unsicher. Wir wollten uns doch auf dem Alex treffen. Hier kann man doch wohl kaum in Ruhe reden.«

»Stimmt, aber mein Freund hat den Kontakt zu Werner gemacht und der wollte diesen Treffpunkt. Guck mal unauffällig da drüben hin. Siehst du den Dicken da im gelben Pullover. Das ist er. Wir warten mal ab, bis er alleine ist und dann gehen wir zu ihm herüber, ok?«

»Ja, mach du mal. Ich schließ mich dir an.«

Als der Gastgeber an sein Glas klopfte, um die Vernissage offiziell mit einer Rede zu eröffnen, wandte sich der Gesprächspartner von Werner endlich ab.

Kuhlmann ging hinüber und stellte sich neben Werner, so als ob er der Rede von dieser Stelle besser lauschen konnte. Frank folgte ihm. Ob Werner Kuhlmann erkannte, war für Frank nicht klar. Jedenfalls nahm er ihn nicht sichtbar zur Kenntnis und tat so, als ob er sich nur auf den Redner konzentrierte.

Frank sah wie Kuhlmann sich zur Seite drehte und Werner etwas zuflüsterte. Der nickte nur, ohne ihn anzusehen. Einen kurzen Augenblick später drehte Werner sich zur Seite und flüsterte seinerseits Kuhlmann etwas zu. Es wurde geklatscht. Die Frau des Gastgebers trat mit einem Bild an seine Seite, verbeugte sich und wurde ebenfalls mit Applaus belohnt. Am Ende der Rede begaben sich die Gäste nach und nach in einen Raum, der bisher verschlossen war und durften dort die neuesten Werke der Künstlerin begutachten.

»Wir treffen ihn um 16 Uhr vor dem Eingang zum Fernsehturm«, flüsterte Kuhlmann Frank zu.

»Und was sollte das dann hier?«

Kuhlmann zuckte nur mit den Schultern und hielt dabei immer noch Ausschau nach seinem Freund Benser, den er auch hier erwartet, aber bis jetzt noch nicht gesehen hatte.

»Gut, dann gehe ich jetzt. Ich bin in genau einer Stunde am Fernsehturm. Ich glaube zwar nicht, dass jemand fragt, aber wenn doch, dann sagt du einfach mir war nicht gut, einverstanden?«, flüsterte Frank ihm zu.

»Alles klar. Bis gleich dann.«

Das Wetter hatte sich deutlich gebessert und der Alexanderplatz war wieder voller Menschen.

Volkspolizei war zu sehen und Stasi-Leute gab es hier sicher auch einige, davon war Frank überzeugt.

Er überlegte, wie man wohl am sichersten reden konnte. Die Gaststätten und Restaurants waren alle gut besucht. Freie Platzwahl hatten sie allenfalls in einer Kneipe, aber auch da war mit Sicherheit damit zu rechnen, dass sie Zuhörer an den Nebentischen hatten. Also war es wohl am sinnvollsten, über den Platz zu schlendern, zu versuchen sich etwas zu separieren und dabei dann vorsichtig die Dinge zu besprechen.

Frank zog seine dicke Regenjacke aus und nahm sie unter den Arm. Er ging auf den Fernsehturm zu und versuchte, sich dabei so unauffällig wie möglich zu verhalten. Das Gefühl beobachtet zu werden, schlich sich irgendwie ein, obwohl er wusste, dass es eigentlich keinen rationalen Grund dafür gab.

Vor dem Eingang des Turms stand schon eine Schlange von Menschen. Er hielt etwas Abstand und tat so, als überlege er noch sich dort anzustellen.

Der Blick auf die Uhr zeigte, es war kurz vor vier. Als er sich gerade eine Zigarette anstecken wollte, sah er Kuhlmann kommen und erkannte jetzt auch Werner, der ein ganzes Stück weiter hinten auf einer Stufe saß, rauchte und nicht den Anschein erweckte, dass er herüberkommen wollte. Kuhlmann rang etwas nach Luft.

»Puh, ich musste rennen. Die haben mich da bei den Künstlertypen festgequatscht. Dann fing auch noch eine der Frauen an zu singen und ich stand direkt neben dem Klavier, so dass ich zumindest das erste Lied mit Applaus belegen musste, bevor ich mich diskret wegschieben konnte.«

»Sag mal, was macht denn der Werner da vorne? Sollten wir nicht zu ihm rübergehen?«

»Er hat klar gesagt, dass wir uns hier vor dem Eingang treffen. Ich vermute mal, der beobachtet das Umfeld. Lass ihn mal, der wird schon kommen.«

Es vergingen fast zehn Minuten und auf einmal war Werner verschwunden. Frank sah Kuhlmann fragend an.

»Ich sehe ihn nicht mehr. Heißt das jetzt, wir brechen die Sache ab, oder was?«

Kuhlmann schien auch etwas verunsichert.

»Vielleicht hat er irgendwas gesehen, was nicht ins Bild passt. Ich bin sicher, der weiß was er tut. Lass uns noch eine rauchen und etwas warten.«

Es verging fast eine viertel Stunde, ohne dass Werner wieder auftauchte.

»Gut«, sagte Kuhlmann, »dann ist wohl wirklich etwas schiefgelaufen. Ich fürchte, das war es erstmal. Tut mir leid, aber vielleicht ist es besser so. Irgendwas stimmt da nicht.« »Ja und jetzt?«

»Ich gehe erstmal nach Hause. Werner weiß wo ich wohne. Ich denke, er wird sich so schnell es geht melden. Komm einfach mit. Ich mache uns dann noch was zu essen und wenn wir bis heute Abend nichts gehört haben, fährst du wieder zurück.«

Frank war der Frust deutlich anzusehen. Sollte der ganze Aufwand umsonst gewesen sein? Aber Kuhlmann hatte recht. Jetzt abzufahren wäre die schlechtere Alternative.

»Gut, aber spätestens um acht muss ich losfahren, sonst bin ich nicht vor elf zu Hause und meine Frau gerät in Panik.«

»Habt ihr denn irgendwas abgesprochen?«

»Das nicht, aber vielleicht wäre das sogar besser gewesen.«

»Kannst du nicht irgendwo anrufen und darum bitten, dass man ihr Bescheid sagt?«

Frank überlegte. Im Haus hatten nur die Brenners Telefon und zu denen hatte und wollte Frank bewusst keinen Kontakt. Freunde und ehemalige Arbeitskollegen mit Telefon waren zu weit weg. »Nee, im Haus bei uns ist da nichts und in der näheren Umgebung haben wir keine Verwandten oder Bekannten. Unsere Leute wohnen alle weiter entfernt und ich müsste schon sagen, dass es ein Notfall ist, um jemanden von weiter weg loszuschicken. Egal, komm dann lass uns mal losgehen.«

Bis zur Wohnung von Kuhlmann waren es nur etwas mehr als zehn Minuten. Er lebte allein in einer kleinen Souterrain-Wohnung in der Friedrichstraße. Es roch nach kaltem Rauch und Wofasept-Reinigungsmittel.

Sie hatten gerade ihre Jacken an der Garderobe aufgehängt, da klingelte es und Werner stand vor der Tür. Er musste sich umgezogen haben. Jedenfalls sah man ihm nicht mehr den Wessi an.

»Da bin ich«, sagte er, als wäre man hier von Anfang an verabredet gewesen. Als Werner ihm die Hand gab, sah Frank ihn zum ersten Mal aus direkter Nähe. Es war kein angenehmer Eindruck. Seine Augen waren kalt wie seine Hände. Er vermied den Augenkontakt und strahlte eine Unruhe aus, die sich auf die anderen übertrug.

Sie setzten sich an den runden Tisch im Wohnzimmer und Werner kam ohne Umschweife zur Sache.

»Woher kennt ihr euch?«, fragte Werner, an Kuhlmann gerichtet. Kuhlmann erzählte ihm, dass man sich bei der „Ständigen Vertretung“ gesehen habe und von dem folgenden zufälligen Zusammentreffen. Während Werner zuhörte klopfte er unablässig mit dem Mittelfinger der linken Hand auf den Rand der Tischplatte.

Er fragte Frank über eine Reihe persönlicher Dinge und beruflicher Details aus.

»Ich muss mich da absichern, Herr Sommerfeld. Das wird alles abgecheckt. Ich kann nicht mehr zurückfragen, verstehen Sie.

Passt da irgendetwas nicht, oder ist auch nur unklar, dann sind Sie draußen. Wenn alles in Ordnung ist, erfahren Sie Ort und Termin nur einen Tag bevor es losgeht. Das geht aus Sicherheitsgründen nicht anders.«

»Ich muss wissen, wie Sie uns rüberbringen wollen. Meine Tochter ist erst vier und da scheiden bestimmte Dinge wie schwimmen, hoch klettern oder so, natürlich aus.«

»Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Wir haben schon einige Kinder rübergebracht. Da gibt es was zur Beruhigung, damit nicht geweint oder geschrien wird und dann schlafen die fast bei der ganzen Aktion. Wie wir Sie rüberbringen, erfahren Sie erst wenn wir starten, das geht nun mal nicht anders.« Kuhlmann hatte die ganze Zeit geschwiegen.

»Wie wollen Sie uns so kurzfristig verständigen. Bei mir, hier in Berlin, ist das kein Problem. Aber die Sommerfelds in Greifswald, ohne Telefon. Wie soll das gehen?«

»Das klappt schon, da macht euch mal keine Sorgen.

Wir wissen ja jetzt wo Sie wohnen und arbeiten.

So, ich muss los. Unterschreiben Sie mir die Schuldscheine hier noch. Persönliche Daten und Ausweisnummern nicht vergessen. Bezahlung nur bei Erfolg. Wenn Sie hierbleiben sind die Dinger für mich wertloses Papier. Im Westen bares Geld, aber Sie bezahlen natürlich in Raten und auch erst nach sechs Monaten.

Noch eins! Wichtig, kein Gepäck. Jeder darf nur eine kleine Tasche mit den persönlichen Sachen mitnehmen, verstanden?« Frank und Kuhlmann nickten und füllten die Schuldscheine aus.

Es war bereits kurz vor 23 Uhr, als Frank endlich wieder in Greifswald ankam. Er sah Johanna deutlich die Erleichterung an. Wie er vermutet hatte, war sie schon, seit Beate eingeschlafen war, von Stunde zu Stunde unruhiger geworden und immer wieder in der Wohnung auf und ab gelaufen.

Frank erzählte in allen Einzelheiten, was in Berlin passiert war. Was er wegließ war, was seinen Eindruck von Werner betraf, denn auch er versuchte das unangenehme Gefühl irgendwie zu verdrängen. So saßen sie noch bis weit nach Mitternacht zusammen. Das Einschlafen, darüber waren sie sich klar, würde ohnehin schwerfallen.

***