Junkers Spurwechsel - Hartmut Birk - E-Book

Junkers Spurwechsel E-Book

Hartmut Birk

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Lars Junker, 43 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder, ist Filialleiter bei einem Lebensmitteldiscounter. Das Leben von Lars und Nadine Junker verläuft normal im Standard der deutschen Mittelschicht. Das ändert sich, als sein Arbeitgeber in eine wirtschaftliche Schieflage gerät. Junker wird arbeitslos und dann kommt auch noch eine schwere Krankheit dazu. Die Familie muss sich finanziell neu einrichten. Vieles von dem, was bisher selbstverständlich war, wird jetzt unbezahlbar. Für Junkers Frau wird das immer mehr zu einem inakzeptablen Zustand, der sie ihrem Mann mehr und mehr entfremdet. Die neue Situation und die damit jetzt deutlicher werdende Eheroutine, die bisher von Konsum und Familie übertüncht wurde, führt zu einer unerwarteten Entwicklung, bei der nichts bleibt, wie es war.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 470

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Hartmut Birk

Junkers Spurwechsel

Nichts bleibt, wie es war

© 2019 Hartmut Birk

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7482-5542-0

Hardcover: 978-3-7482-5543-7

e-Book: 978-3-7482-5544-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

HARTMUT BIRK

Junkers Spurwechsel

Roman

tredition

Klar, rückblickend betrachtet, hätte es auch ganz anders kommen können.

Aber eigentlich war es irgendwie dieser Abend, der -wenn auch nur als kleines Teilchen- so doch, zum Ganzen dann beigetragen hat.

Es war einer dieser dunklen, nasskalten Novembertage, an denen es nie so richtig hell wurde. Der Regen, getrieben durch den starken Ostwind, peitschte an die Fensterfront und den Eingangsbereich des Ladens.

Draußen war es schon seit dem späten Nachmittag so richtig dunkel. Jetzt, um kurz vor 18 Uhr, war der LKW mit der Ware vom Zentrallager immer noch nicht da. Freitags um diese Zeit herrschte oft Hochbetrieb in seinem Discounter und Lars Junker musste immer wieder seine Arbeiten im Verkaufsraum unterbrechen und mit an die Kasse gehen, weil an der besetzten Kasse schon mehr als 8 Kunden in der Schlange standen. Die dort sitzende Frau Jäger hatte inzwischen schon mehrfach geklingelt. Das Zeichen für „zweite Kasse besetzen“ war dreimal klingeln und beim zweiten Mal hatte Frau Jäger bereits sehr fordernd, langanhaltend, den Klingelknopf betätigt. Es war ihr eine Genugtuung, ein Instrument in der Hand zu haben, mit dem sie ihren Chef auch mal gängeln konnte.

Die Möglichkeit, dies einzusetzen, hatte sie sehr häufig, da man in einer Schicht oft nur zu zweit arbeitete und die Anweisung bestand, den Filialleiter mit unterschiedlichen Klingelzeichen heranzuholen. Es konnten Kundenreklamationen, heruntergefallene Waren, Bonstornos, oder auch Wechselgeldbedarf sein.

Junker konnte inzwischen am Gesichtsausdruck von Frau Jäger die klammheimliche Freude erkennen, die ihn aus seinem Arbeitsrhythmus herausriss.

Er zeichnete noch drei Restposten mit Einzelpreisen aus und ging dann nach vorne, um die zweite Kasse zu öffnen. Neben Frau Jäger, die rund 90 Kilo auf die Waage brachte, sah Junker fast sportlich aus.

Er war mittelgroß und eher schmächtig. Das wenige Haar, das ihm noch verblieb, ließ ihn älter aussehen, als er war. Aber mit seinen 43 Jahren war er auch schon einer der älteren Filialleiter bei LELI.

Frau Jäger räusperte sich und als er sie ansah, nickte sie mit dem Kopf in Richtung Eingangstür.

Auch dies war ein eingeübtes Ritual der Mitarbeiter, um unauffällig auf Unangenehmes hinzuweisen.

Junker blickte kurz in Richtung Eingangsbereich und sah seinen Bezirksleiter hereinkommen. Auch das noch, dachte er, der hat mir heute noch gefehlt.

Frau Jäger grinste und zog jetzt mit ungewohntem Schwung die Artikel über ihre Scannerkasse.

Keine 5 Minuten später ertönte der Türalarm und zeigte an, dass der erwartete LKW draußen an der Laderampe angedockt und der Kraftfahrer die Lagertür aufgeschlossen hatte.

Super, dachte Junker, schönes Arbeiten, jetzt fehlt nur noch ein Ladendiebstahl und ich dreh durch.

Er bat dann einen Kunden, das Schild, mit der Aufschrift „Kasse geschlossen“, am Ende des Laufbandes zu platzieren und fertigte die letzten, davorstehenden Kunden noch ab. Darunter natürlich auch wieder eine Kundin, der anscheinend erst an der Kasse einfiel, dass man ja bekannterweise zum Bezahlen das Portemonnaie benötigt, welches dann mühsam, aus den Tiefen ihrer Tasche, zeitraubend herausgesucht werden musste. Sie war die Kundin, die kurz zuvor darum gebeten hatte, man möchte doch bitte eine zweite Kasse aufmachen.

Junker ging ins Lager, begrüßte den LKW-Fahrer, übernahm die Rechnungspapiere und begab sich damit in das Büro der Verkaufsstelle. Dort hatte sich bereits der Bezirksleiter, Herr Hilger, niedergelassen und statt, die Begrüßung zu erwidern geantwortet:

<Ihnen dürfte bekannt sein, dass das Büro zu verschließen ist>

Junker, nicht mehr ganz emotionslos entgegnete:

<Ich war nur kurz zur Kasse und hatte das Büro natürlich immer im Blick.>

Missbilligend drehte sich Hilger um, zog einige Papiere aus seinem Aktenkoffer und sagte:

<Ich klingele, wenn ich sie brauche>

Ich habe ja auch nichts anderes zu tun, dachte Junker. Im Kopf hatte er die 2 Stunden, die ihm noch bis zum Feierabend blieben. Bis dahin mussten noch die Waren der gelieferten 30 Euro-Paletten mit dem Lieferschein abgeglichen werden und die gesamten Abschlussarbeiten waren auch noch zu erledigen. Frau Jäger hatte bestimmt bei der Abrechnung schon wieder Differenzen in ihrer Kasse und wenn Hilger dann noch da wäre, würde er mit Sicherheit erst mit ihr und danach noch mit ihm das ganze auswerten, wie er das zu nennen pflegte.

Mist, ausgerechnet heute, an Nadines 38. Geburtstag würde er dann sicher nicht vor 21 Uhr zu Hause sein. Auch wenn er morgen nicht arbeiten musste, war das mal wieder beispielhaft für das, was ihn seit längerem nervte, nämlich die in seinem Job fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie das heute so genannt wurde. Bei seiner Frau war es hingegen noch krasser.

Nadine hatte als Hotelfachfrau wechselnde Schichten, die manchmal früh um 6 Uhr beginnen konnten, oder wenn sie spät anfing, erst um 23 Uhr endeten. Es gab sogar einige Tage im Monat mit dem sogenannten Teildienst. Dann fing sie früh an, hatte ab 10 Uhr frei und musste um 17 Uhr wieder zum Spätdienst.

Bei zwei Kindern, die zwar nicht mehr ganz klein, aber auch noch nicht so ganz selbstständig waren, kam es schon einem kleinen Kunststück gleich, Arbeit und Familie zu organisieren, auch wenn sie nur einen Teilzeitjob mit 4 Tagen in der Woche hatte.

Junker hatte Glück, sein Bezirksleiter hatte heute scheinbar selbst noch etwas Privates vor oder er wollte noch eine Spätkontrolle machen, was hieß, dass er vor einer Nachbarfiliale wartete bis die Mitarbeiter den Laden verließen, um dann bei ihnen Taschenkontrollen vorzunehmen.

Jedenfalls verließ Hilger schon kurz vor 20 Uhr den Laden. Nachdem Junker seine eigene Kasse abgerechnet hatte, weil sich nur noch ein Kunde im Laden befand, ging er vom Büro zur Eingangstür, um diese Punkt 20 Uhr zu schließen.

Der letzte Kunde, ein junger Mann, ging jetzt auch auf die Kasse von Frau Jäger zu. Junker hörte gerade noch wie Frau Jäger den Zahlbetrag nannte und dann laut aufschrie.

Der Mann, der sich eine Maske übergezogen hatte und etwas in der Hand hielt, was wie eine Pistole aussah, griff nach Frau Jägers Arm.

<Sei still, dann passiert dir nichts>, brüllte er und winkte mit der Hand, in der er die Waffe hielt, Junker herbei.

<Los, schließ auch die Ausgangstür zu und dann ab ins Büro. Ihr geht voran!>

Junker erstarrte, schloss dann aber auch die zweite Tür ab und folgte sofort Frau Jäger, die schon von ihrem Kassenstuhl aufgestanden war und vor dem Mann in Richtung Büro ging.

<Schneller!>, herrschte der Mann Junker an und stieß ihn vor sich her.

<Mach den Tresor auf, ich will alles>, brüllte der Mann. <Setz dich unten neben den Tresor!>

Frau Jäger hockte sich wie befohlen in die Ecke neben dem Tresor und Junker gab mit zitternden Fingern die Codezahlen ein.

<Alles hier rein>, schrie der Mann, der wie Junker bemerkte jetzt ebenfalls zitterte. Er hielt Junker eine geöffnete große Reisetasche hin.

Junker nahm die wenigen Scheine die sich im Hauptfach des Tresors befanden und warf sie in die Tasche.

<Auch das Münzgeld und zwar schnell!>

Junker nahm die Münzgeldrollen und warf sie ebenfalls in die Reisetasche.

<Das kann doch nicht alles sein, willst du mich verarschen? Ich schieß dir ein Loch in deine Hand, wenn da nicht gleich noch mehr kommt>

<Wir haben hier nicht mehr, der Rest ist im Sicherheitstresor, an den ich aber nur mit dem Schlüssel des Geldtransportfahrers herankomme.>

<Das stimmt, wir haben keinen Schlüssel dafür. Nehmen sie das Geld aus der Kasse, mehr haben wir nicht.>, mischte sich jetzt weinend Frau Jäger ein.

<Gut, du bleibst hier oben>

Der Mann, der anscheinend gut vorbereitet war, nahm aus seiner Hosentasche Kabelbinder hervor und machte Frau Jäger damit an einem Heizungsrohr fest.

<Mach das Licht im Laden aus und dann runter zur Kasse>, schrie er Junker an und stieß ihn vor.

<Nur Scheine und Silbergeld, du hast 10 Sekunden Zeit> Mit zwei Händen griff Junker den Inhalt der Kasse und warf ihn in die Reisetasche.

<Schlüssel!>, schrie der Mann und Junker klemmte das Schlüsselbund von seiner Jeanshose ab.

<Welcher ist es?> Junker verstand nicht.

<Der, für die Ausgangstür, du Blödmann>

Junker zeigte ihm den Schlüssel und übergab das Schlüsselbund.

<Halt deinen Arm hier an das Regaleisen.>

Junker wurde ebenfalls mit Kabelbindern gefesselt und konnte nur noch sehen wie der maskierte die Tür aufschloss und im Dunkeln verschwand.

Er blieb eine gefühlte Ewigkeit an dem Regalträger starr stehen. Dann rief er:

<Frau Jäger, hören sie mich?>

Zurück kam ein für Frau Jäger völlig untypisches klagendes Winseln.

<Ich bin hier, ich komm da nicht runter>

<Der Mann ist weg. Er hat mich aber auch hier festgemacht. Wir müssen jetzt überlegen, wie wir uns befreien können>

In diesem Moment dröhnte es regelrecht einmal und dann nochmals, bis Junker realisierte, dass von draußen jemand gegen das Glas der Fensterfront des Ladens hämmerte.

Durch die Parkplatzbeleuchtung außen konnte Junker jetzt eine Person erkennen, die mit dem Gesicht an der Glasscheibe scheinbar versuchte, in das Innere des im Dunklen gelegenen Marktes zu schauen. Junker rief so laut er konnte, obwohl er sich sicher war, dass man ihn draußen nicht hören konnte. Er sah aber die Person vor dem Fenster deutlicher. Es war ein Mann im hellen

Trenchcoat der jetzt ein Handy an die Scheibe hielt und immer wieder auf sich zeigte. Junker rief Frau Jäger zu:

<Da draußen ist jemand, ich glaube, das ist ihr Mann und er hat anscheinend gesehen, dass hier was passiert ist. Er zeigt auf sein Handy. Hoffentlich hat er die Polizei gerufen. >

In diesem Moment tauchten draußen schon Blaulichter auf.

Nadine, die Kinder, sowie die Großeltern Ines und Michael und Fritz und Hanna saßen in Hamburg-Eppendorf bei „Angelo” dem Italiener bei dem man sich für das Abendessen zum Geburtstag verabredet hatte.

Die zweite Runde Getränke war schon fast ausgetrunken. Nadine wurde immer unruhiger, weil Lars seit mehr als 45 Minuten überfällig und über sein Handy nicht erreichbar war.

Ines, ihre Mutter, legte ihr die Hand auf den Arm und sagte:

<Versuch es noch mal zu Hause, vielleicht hat er dein Geschenk liegen gelassen und ist zurück nach Norderstedt gefahren.>

<Dann hätte er angerufen, Mutti, ich verstehe das nicht> Fritz, ihr Schwiegervater kam gerade von der Toilette als Piero, der Chef des Restaurants, mit für ihn ungewöhnlich ernster Miene ein Telefon an ihren Tisch brachte.

<Ich glaube Probleme>, sagte er und gab Nadine das Telefon.

Nadine nahm das Handy und war erleichtert als sie Lars Stimme hörte.

<Was, nein>, stieß sie hervor und alle am Tisch blickten sie verängstigt an.

<Geht es dir gut, ist jemand verletzt worden? Ja, in Ordnung. Wir brechen hier ab und kommen dann sofort nach Hause.>

Junkers Tochter Charlotte brach in Tränen aus und Ines nahm ihre elfjährige Enkelin in den Arm.

<Lars ist überfallen worden. Er ist jetzt noch im Laden wegen der Kripo. Es geht ihm aber soweit gut. Er konnte nicht anrufen, weil er dem Täter wohl sein Handy geben musste und er nach dem Eintreffen der Polizei sofort verhört wurde, um das Aussehen des Täters zu beschreiben.>

Marcel, Junkers 15-jähriger Sohn, sah in seinem pickeligen Gesicht zwar auch etwas blass um die Nase aus, sagte aber:

<Cool, voll cool> und dachte schon daran, wie er die Story morgen seinen Kumpels erzählen würde.

Oder besser heute noch über Whatsapp, das wäre geil.

Michael, Junkers Schwiegervater ging an den Tresen, bezahlte und informierte Piero kurz über die Gründe des Aufbruchs.

Kurz darauf fuhren 3 Autos über Fuhlsbüttel und Langenhorn nach Norderstedt.

Der stationäre Blitzer in der Langenhorner Landstraße, den man eigentlich kannte, machte Kasse indem er Nadine am Steuer ihres Polos ablichtete.

Das Reihenhaus in Norderstedt erreichte man dennoch erst um 21.30 Uhr. Kurz darauf traf auch Junker ein.

Er berichtete alles im Detail und es breitete sich bei allen Anwesenden allgemeine Erleichterung aus. Bevor Ines, Michael, Fritz und Hanna nach Hause fuhren, hatte Nadine noch einige Schnittchen gemacht, weil bis jetzt keiner etwas zum Abendessen bekommen hatte.

Den Abend hatte sie sich anders vorgestellt. Dennoch fühlte sie Erleichterung und auch ein wenig Stolz auf Lars.

Charlotte und Marcel gingen erst gegen 23 Uhr auf ihre Zimmer, hatten aber längst ihren Facebook-Freunden alle Neuigkeiten gepostet.

<Ich denke, wir sollten uns jetzt auch hinlegen>, sagte Nadine und sah ihn dabei so an, wie Junker das seit Jahren nicht mehr kannte.

<Komm!> Sie zog ihn aus dem Sessel in ihre Arme. Sie küssten sich zärtlich, dann wild und er dachte dabei: Da muss erst so was passieren, um bei Nadine wieder solche Gefühle hervorzurufen. Sie knöpfte langsam sein Hemd auf und er hätte sie am liebsten direkt hier im Wohnzimmer genommen. Doch das hatte man sich schon lange nicht mehr getraut. Als er sie sanft die Treppe nach oben schob, hatte sie die Hand schon an seiner Hose. Sie zogen sich aus und gingen gemeinsam im Bad unter die Dusche. Er massierte langsam ihre Brüste und schloss dann die Augen als sie vor ihm kniete und ihn so verwöhnte, dass er schon in der Dusche kam. Gegen Mitternacht, vor dem Einschlafen, war es dann wieder Nadine, die ihn leidenschaftlich an sich zog. Sie setzte sich auf ihn, drückte seine Hände nach hinten und bewegte sich so lange, bis beide nach dem Höhepunkt erschöpft aufeinander lagen.

Junker schlief noch fest, als Nadine aufstand, um die Kinder zu wecken. Als er wach wurde und auf die Uhr schaute, war es bereits nach 9 Uhr.

Im Bad zog er sich seinen Bademantel an und ging dann hinunter. Nadine grinste ihn an und küsste ihn, allerdings schon wieder in der gewohnten Weise und fragte:

<Na gut geschlafen?>

<Super, und du?>

<Ich auch, aber jetzt will ich endlich mein Geschenk>

<Oh, Mist, stimmt, woran haben wir gestern nur gedacht?>, sagte Junker grinsend.

<Na, wenn du das schon vergessen hast.>

<Moment!> Junker holte seine Aktenmappe aus dem Flur und gab Nadine einen Umschlag.

Sie lächelte, dachte aber, wieder ein Gutschein von Douglas, was für eine Überraschung.

Es war tatsächlich ein Gutschein, aber, und diesmal war die Freude echt. Es war ein Reisegutschein für eine Woche Gran Canaria, für 4 Personen, all inklusive.

Am 1. Februar beginnen die Winterferien und dann sollte es los gehen.

<Mensch toll, danke. Dass ist aber mal was. Ich bin sprachlos.>

<Schön, dass es dir gefällt. Ich dachte wir müssen mal wieder raus und wenn auch nur für eine Woche. Wo ist denn schon um diese Zeit das Wetter schön? Du hast mir doch erzählt, dass deine Kollegin so von Playa del Ingles und den herrlichen Dünen dort geschwärmt hat, und da dachte ich, das gönnen wir uns auch.>

<Danke, danke Schatz, ich freu mich so.

Wir müssen uns das Hotel gleich mal im Internet ansehen>

<Machen wir, aber jetzt sollten wir zwei erst mal in Ruhe frühstücken>

<Übrigens hat eine Frau Richter von LELI angerufen. Du sollst dringend Herrn Jungjohann zurückrufen. Ich hatte das Gefühl, dass ihr das wohl unangenehm war. Sie hat zwar nichts gesagt, aber sie wusste offenbar was gestern passiert ist und konnte wohl selbst nicht verstehen, warum der Jungjohann dich nach dieser Geschichte nicht mal in Ruhe ausschlafen lässt.>

<Und, was hast du gesagt?>

<Was sollte ich schon sagen. Du schläfst noch und wirst dich dann melden>

<Ja, ja, jetzt drehen die da am Rad.

Unser Verkaufsleiter ist nicht gerade bekannt für seine Rücksichtnahme. Aber egal, wir frühstücken jetzt erst gemütlich, der Jungjohann soll gefälligst warten.>

<Genau. Ist eigentlich die Zeitung schon da?>

<Schenk schon mal den Kaffee ein, ich sehe inzwischen nach>

Junker ging zum Briefkasten und zog die Zeitung heraus. Er hatte die erste Brötchenhälfte noch nicht einmal gegessen, als Nadine schon rief:

<Hier, da steht was!>

<Lies mal vor!>

Im Lokalteil der Morgenpost stand ein Artikel von 8 Zeilen über den gestrigen Überfall auf einen Lebensmittel Discounter. Angeblich konnte der Täter mit einem geringen Geldbetrag entkommen.

<Wir dürfen der Presse keine Summen nennen>, sagte Junker.

<Und wie viel war es?>

<Es fehlen etwas über 8000 Euro.>

<Na ja, daran wird LELI wohl nicht pleitegehen. Die sollten lieber mehr an ihre Mitarbeiter denken und vielleicht auch mal ihre Sicherheitsmaßnahmen verbessern>

<Lass mal, es ist ja alles noch gut gegangen, aber noch mal möchte ich das allerdings nicht erleben, das kannst du mir glauben>

Nadine strich über Junkers Hand und sagte:

<Meinst du nicht, dass du dir vielleicht mal was anderes suchen solltest? Guck dich doch mal um!

Noch bist du nicht zu alt und du sagst doch immer wieder, dass das ein Knochenjob ist>

<OK, aber er wird eben auch gut bezahlt und wir leisten uns ja auch einiges. Wenn ich weniger verdienen würde, müssten wir auf so manches verzichten. Denk mal an Charlottes Reitstunden und die Markenklamotten, die wir den beiden ständig kaufen müssen, damit sie in der Schule mithalten können. Marcel will jetzt auch noch Tennis spielen, weil zwei aus seiner Clique das auch machen. Deren Väter sind allerdings gut bestückt. Der eine hat eine eigene Firma und der andere ist, glaube ich, Makler.>

<Stimmt, er hat mal erzählt, dass Ingos Vater ganze Bürotürme vertickt.>

<Gut, mit denen können wir uns nicht messen, aber darunter sollen die Kinder nicht leiden und deshalb muss ich wohl weiter bei LELI ackern und darauf hoffen, dass sich vielleicht mal was anderes ergibt>

<War ja nur so eine Idee. Gut, dann ruf mal jetzt den Jungjohann an>

<Gleich, wann musst du eigentlich heute los?>

<Um zwei>

Nachdem Junker seinen Verkaufsleiter Jungjohann angerufen hatte, stand er der Idee von Nadine, sich einen anderen Job zu suchen, schon näher.

Jungjohann hatte ihm nach einem kurzen „wie geht es Ihnen“ schon indirekt vorgehalten, dass er sich erst jetzt gemeldet habe.

Er würde ihn bitten, um 14 Uhr in der Zentrale zu sein. Man hätte da so einige Fragen bezüglich des Überfalles. Ob er vielleicht an seinem freien Tag etwas anderes vorhat, stand nicht zur Debatte.

Als Junker auf das Gelände der Zentrale von LELI fuhr, sah er schon, dass auch der Wagen seines Bezirksleiters Hilger auf dem Hof stand.

Jungjohann hatte also auch Hilger bestellt.

Als er das Besprechungszimmer betrat, saßen dann auch Hilger und Jungjohann schon zusammen.

Kurz nach 15 Uhr verließ Junker das Gebäude der LELI wieder. Im Auto sitzend fragte er sich:

Habe ich das jetzt alles so richtig verstanden.? Nadine kann ich das gar nicht erzählen.

Die wollten doch tatsächlich abchecken, ob ich etwas mit dem Überfall zu tun habe und zwar nicht als Opfer, sondern womöglich als Komplize. Das kann doch wohl alles nicht wahr sein. So ein Scheißladen! Ich soll wohl froh sein, dass ich meinen Dienst morgen wieder antreten darf. Nadine hat eigentlich doch recht. Ich sollte mich umsehen. Er wollte eben losfahren, als er am Fenster im ersten Stock Hilger sah, wie der mit einer Kamera auf den Hof herunter in Richtung Junkers Auto hin fotografierte.

Nee, das glaube ich jetzt nicht, dachte Junker verblüfft. Als Hilger bemerkte, dass Junker ihn gesehen hatte, drehte der sich blitzschnell um und wandte Junker nun den Rücken zu, so als würde er sich nur gegen die Fensterbank lehnen.

<Jetzt reicht es aber. Ich glaub ich bin hier im falschen Film>, rief Junker lautstark aus. Er öffnete die Wagentür, stieg wütend aus und ging im Laufschritt wieder zurück in das Verwaltungsgebäude. Er nahm die Treppe so schnell, dass er fast über eine der Stufen gestolpert wäre und leicht ins Straucheln geriet. Oben angekommen, war er sich unsicher, von welchem der Zimmer Hilger fotografiert hatte. Egal, dachte er und öffnete, ohne zu klopfen, die zweite Tür, die sich auf dem Gang befand. Der Raum, der als kleiner Besprechungsraum ausgeschildert war, war leer. Dann muss es doch nebenan gewesen sein, dachte er, stürmte wieder hinaus und wollte gerade die Tür des Nebenzimmers aufmachen, als er hinter sich, aus einigen Metern Entfernung, die Stimme von Jungjohann hörte.

<Hallo Herr Junker, Augenblick mal, wo wollen sie denn hin?>

Junker drehte sich überrascht um, fing sich aber gleich wieder und sagte in einem ziemlich aggressiven Tonfall:

<Wo ist Herr Hilger und warum fotografiert der von hier oben mein Auto, das kann doch wohl alles nicht wahr sein.>

Jungjohann kam auf Junker zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.

<Jetzt beruhigen sie sich mal, Herr Junker. Ich glaube, sie haben da etwas verwechselt. Ich weiß nicht wo Herr Hilger jetzt ist, aber ich bin mir sicher, er hat sie oder ihr Auto nicht fotografiert. Wozu auch? Vielleicht hat er eine neue Kamera ausprobiert, aber ganz sicher nicht ihretwegen.>

<Und warum hat er sich dann sofort weggedreht als er bemerkt hat, dass ich ihn gesehen habe?>

<Fragen sie ihn das, wenn sie sich beim nächsten Mal sehen und jetzt entschuldigen sie mich bitte, wir haben hier viel zu tun und der Überfall bei ihnen beschäftigt uns auch noch zusätzlich, das können sie mir glauben. Auf Wiedersehen, Herr Junker>, sagte Jungjohann, sah ihn ernst an und zeigte auf die Tür zum Treppenhaus.

Junker spürte, dass Jungjohann ihm den Wind aus den Segeln genommen hatte, nickte ihm zu und ging in die angezeigte Richtung. Unten an der Eingangstür angekommen, sah er Hilgers Audi immer noch vor dem Gebäude stehen. Einen Moment lang überlegte er, ob es Sinn machen würde, so lange im Auto zu warten bis Hilger herunterkam.

Da sich sein Adrenalinspiegel aber inzwischen wieder gesenkt hatte, beschloss er, hier keine weitere Zeit mehr zu verplempern und jetzt erstmal irgendwo einen Kaffee zu trinken, bevor es dunkel wurde.

Er fuhr auf die Autobahn in Richtung Hamburg und wollte sich in der Innenstadt irgendwo am Rathausmarkt in eine Bäckerei setzen und bei dieser Gelegenheit dann auch gleich mal den Apple-Shop suchen. Er hatte von seinem Nachbarn Dieter gehört, dass dort gute Fachleute wären, die ihm bei der Lösung, des schon lange bestehenden Problems mit einer Funktion seines Smartphons unkompliziert und kostenlos helfen würden. Er hätte natürlich auch seinen Sohn fragen können, aber diese Blöße wollte er sich vor Marcel nicht geben. Der erschien ihm bei derartigen Fragen grundsätzlich etwas zu überheblich, wenn er, Junker, etwas begriffsstutzig, wie er wohl in diesen Dingen war, nicht sofort alles verstand, was für die Jugendlichen heute selbstverständlich war.

Er hatte Glück und bekam in einer Nebenstraße des Rathausmarktes unerwartet schnell einen Parkplatz, weil dort gerade eine Frau mit einem roten Golf aus einer zugegeben sehr engen Parklücke, respektabel gut heraus manövrierte. Er selbst machte beim Einparken keine so gute Figur, aber es klappte dann doch nach dem dritten Anlauf.

Auf der Suche nach einem Kaffee landete er dann letztlich doch bei McDonald’s, weil ihm die zahlreich vorhandenen Coffeeshops für sein Anliegen nach einem normalen Becher Kaffee einfach zu teuer waren und er deren Kaffeespezialitäten nicht kannte und auch nicht kennen lernen wollte.

Normale Bäckereien, wie sie in anderen Hamburger Stadtteilen noch reichlich vorhanden waren, fand er auf Anhieb in der Innenstadt nicht mehr. Wahrscheinlich waren hier die Mieten inzwischen so extrem teuer, dass es für einfache Bäckereien mittlerweile unbezahlbar geworden ist, sich hier halten zu können. Zufrieden mit dem Kaffee, nur leicht genervt von den anderen Gästen und der Lautstärke, ging Junker in Richtung Alster und sah dann in der sich ausbreitenden Dunkelheit auch sofort die Lichter des Apple-Stores. Sichtlich beeindruckt von der Größe und der Einrichtung ließ er erstmal alles auf sich wirken, betrachtete die Auslagen und Produktinformationen und ging dann zu einem der Leute an einen Tresen, um sein Anliegen vorzubringen. Er war überrascht, wie schnell man sein Problem verstand und, obwohl er sich wahrscheinlich etwas ungeschickt ausdrückte, nach einer simplen, auch für ihn als Laien, gut nachvollziehbaren Erklärung im Handumdrehen löste.

Entsprechend gut gelaunt, trat er dann, nach etwa einer Stunde in der Hamburger City, den Heimweg nach Norderstedt an.

In den folgenden Wochen studierte Junker die Stellenanzeigen mehrerer Zeitungen.

Einige Offerten klangen sehr vielversprechend, aber die Vorrausetzungen die erwartet wurden, ließen ihn viele Angebote gleich wieder weglegen. Er schrieb dann aber doch 2 Bewerbungen. Ein Antwortschreiben kam nach 14 Tagen. Man danke für das Interesse an der ausgeschriebenen Stelle, habe sich aber inzwischen für einen anderen Bewerber entschieden und wünsche ihm viel Erfolg bei seiner beruflichen Neuorientierung. Von der zweiten Bewerbung hörte er mehr als drei Wochen nichts. Er hatte sich innerlich schon damit abgefunden, dass die Mühe wohl umsonst gewesen war.

Am Donnerstag rief Nadine ihn sehr aufgeregt in seiner Verkaufsstelle an und sagte:

<Du hast Post von der Firma Klawe. Das sind doch die, bei denen du dich beworben hast. Soll ich den Brief gleich mal aufmachen?

<Klar, da bin ich aber mal gespannt>

Nadine las ihm den kurzen Brief mit der Einladung zu einem Vorstellungstermin vor.

<Das klingt ja gut, aber der Termin ist schon nächsten Montag. Erst lassen die fast 4 Wochen nichts von sich hören und dann diese Hektik. Nur gut, dass ich den Dienstplan für die nächste Woche noch nicht ausgehängt habe, sonst hätten meine Damen wieder rumgezickt. So kurz vor Weihnachten haben die alle noch viel vor und meinen, dass ich das natürlich zu berücksichtigen habe. Was meinst du, soll ich bei Klawe anrufen und um einen anderen Termin bitten?>

<Nee, ich glaube, du solltest da Montag hinfahren. Das ist ohnehin nur noch eine Woche bis Weihnachten.>

<Okay, du hast recht, dann ändere ich den Plan. Ja dann, bis heute Abend, soll ich noch etwas mitbringen?>

<Nee, nur das, was ich aufgeschrieben habe. Bis nachher, Tschüss.>

Es war 19 Uhr und Nadine wartete noch mit dem Abendessen, weil Junker, obwohl er Frühdienst hatte, noch immer nicht von der Arbeit zurück war. Die Kinder drängelten und auch ihr hing der Magen langsam in der Kniekehle und so rief sie Junker noch mal auf seinem Handy an.

<Lars was ist denn nun, wo bleibst du? Wir wollen essen!>

<Ich bin schon unterwegs, aber das läuft hier etwas zähflüssig, obwohl der Berufsverkehr eigentlich schon durch sein müsste. Gib mir noch 10 Minuten! Ihr könnt ja schon anfangen.>

<Das werden wir wohl auch, ich kann die Kartoffeln nicht länger warm halten, das schmeckt sonst alles nicht.>

<Ja, fangt an! Okay, bis gleich dann. Was gibt’s den eigentlich?>

<Hackbraten, Gemüse und kalte Kartoffeln, wenn du nicht gleich da bist.>

<Ah, lecker, kalte Kartoffeln, dann trete ich mal aufs Gas, so gut es geht. Bis gleich.>

Es dauerte 15 Minuten, aber Nadine hatte es dennoch geschafft, die Sachen so warm zu halten, dass es allen wieder mal hervorragend schmeckte. Noch bevor alle fertig waren, ließ Marcel die Katze aus dem Sack.

<Ich habe Ingo heute gesagt, dass ich morgen mal mit zum Tennis komme. Die haben da so eine Schnupperstunde und die kostet nur 15 Euro oder so.>

<Oder so?>, fragte Nadine und man sah ihr an, dass sie nicht gerade begeistert war.

<Ja ich glaube, 15 Euro und wenn das ein Problem ist, bezahl ich das von meinem Taschengeld.>

Nadine sah ihrem Sohn an, dass das allerdings nicht so ganz seinen Vorstellungen entsprach und blickte mit fragendem Blick zu Junker, der im Moment gar nicht in der Stimmung war, über neue Haushaltsbelastungen zu befinden, sich aber nun doch genötigt fühlte, seine Meinung dazu beizutragen.

<Nun lass mal, ich gebe dir schon die 15 Euro.

Aber bevor das jetzt ein neues Hobby werden sollte, würden wir schon ganz gerne wissen was das Ganze so kosten wird.>

Marcel wandte sich etwas umständlich auf seinem Stuhl hin und her und ließ dann durchblicken:

<Ja, eine Aufnahmegebühr wollen die natürlich schon haben. Das ist ja nicht so ein 0815 Verein. Da spielen schon etwas bessere Leute und nicht so die Prolls.>

<Nun komm schon, du weißt doch mehr. Was kostet das denn nun an Monatsgebühr und was wollen die für die Aufnahme?>, fragte Nadine.

Marcel war deutlich anzumerken, dass er sich in der Situation nicht unbedingt wohl fühlte. Aber schließlich kam er dann doch damit heraus.

<Also Ingo meint, die Aufnahme kostet 150 Euro und der Beitrag, 80 Euro im Monat.>

Nadine entglitten die Gesichtszüge.

<Findest du nicht, dass das für ein paar Mal Tennis spielen im Monat nicht etwas reichlich teuer ist? Ich denke, da gibt es bei anderen Sportvereinen mit Sicherheit günstigere Konditionen.>

<Klar, beim TSV ist das billiger, aber mit den Leuten wollen wir ja auch nicht unbedingt spielen. Ingos Vater hat gesagt, es ist schon wichtig mit wem man so Kontakt hat. Das sei wie beim Golfen, die richtigen Leute, die richtigen Beziehungen, das zahlt sich aus.>

Nadine war anzusehen, dass ihr die Argumentation von Ingos Vater nicht unbedingt zuwiderlief, während das bei Junker überhaupt nicht ankam und ihn sogar etwas aufbrachte.

<Du solltest nicht auf so ein elitäres Gequatsche hören. Die meinen, sie seien etwas Besseres. Na gut, aber dann sollen sie auch unter sich bleiben und nicht auch noch versuchen, uns das Geld aus der Tasche zu ziehen, nur damit wir meinen, wir gehören dazu. Das tun wir nämlich nicht, mein Junge.>

Es war Marcel anzusehen, dass er von der doch heftigen Reaktion seines Vaters überrascht war. Auch Nadine war irritiert. Einerseits hätte sie schon gerne ihren Sohn in den Kreisen gesehen, zu denen sie selbst auch gerne gehören würde, andererseits konnte sie in dieser Situation jetzt nicht Partei gegen ihren Mann ergreifen. Es war vor einem guten Jahr schon schwer gewesen ihn zu überzeugen, den Reitstunden für Charlotte zuzustimmen, denn auch das war ja ein Kompromiss, weil Charlotte eigentlich wie selbstverständlich sogar auf ein eigenes Pferd bestanden hatte. Aber gut, die Wünsche der Töchter haben für die Väter eine andere Priorität, das wusste Nadine natürlich inzwischen auch schon zur Genüge.

Charlotte, die bisher schweigend die Diskussion verfolgt hatte und die sonst immer und zu allem ihren Senf dazu gab, verhielt sich trotz ihrer 11 Jahre sehr geschickt, indem sie nichts sagte. Ihr war instinktiv klar, wenn sie die Argumente ihres Vaters unterstützte, würde ihr Bruder umgehend auf das teure Hobby seiner Schwester zu sprechen kommen und Gleichbehandlung einfordern. Würde sie sich für ihren Bruder einsetzen, riskierte sie vielleicht eine Kürzung ihres Budgets, was eine Verringerung ihrer Reitstunden befürchten ließ.

Das Abendessen ging also zu Ende, ohne dass das Thema weiter behandelt wurde. Charlotte half ihrer Mutter in der Küche und Marcel ging sichtbar gefrustet auf sein Zimmer.

Junker überlegte, ob es Sinn machte mit seinem Sohn jetzt noch mal unter vier Augen zu sprechen. Die Entscheidung darüber wurde ihm aber durch den Anruf seiner Mutter abgenommen. Hanna erkundigte sich, ob er und Nadine schon ein Geburtstagsgeschenk für Marcel in petto hätten, beziehungsweise welche Wünsche der Junge sonst so habe. Das passte natürlich punktgenau und Junker sagte:

<Du kannst ihm ja ein Buch von Boris Becker schenken.>

Hanna verstand nicht und so erzählte er ihr aus seiner Sicht von der Diskussion beim Abendessen. Dass seine Mutter daraufhin eine ganz andere Position als seine vertrat, überraschte Junker nicht wirklich.

Hanna bot an, die Aufnahmegebühr für Marcel zu übernehmen, wollte sich dazu aber noch mit Fritz, der heute Stammtisch hatte, besprechen.

Junker kommentierte, wohl wissend, das Ansinnen seiner Mutter nicht weiter und versuchte dann auch das Gespräch in eine andere Richtung zu bringen, bis er etwas später das Telefon an Nadine weitergab.

Der Vorstellungstermin war für 10 Uhr terminiert. Junker traf um 9.45 Uhr bei der Klawe OHG ein. Das schon etwas in die Jahre gekommene zweistöckige Verwaltungsgebäude lag im Industriegebiet von Pinneberg. Unten gab es einen kleinen Empfangsbereich. Er wurde von einer jungen Dame, die mehr nach einer Schüler-Praktikantin aussah, in den ersten Stock gebracht. Dort befand sich ein kleiner Besprechungsraum in dem schon Kaffee eingedeckt war.

Junker ordnete seine Unterlagen. Als niemand kam, ging er ans Fenster und sah herunter auf den Hof der Firma. Es gab wenig Betriebsamkeit. Gerade als ein LKW anfuhr, öffnete sich die Tür des Raumes und ein älterer Herr, Mitte bis Ende Fünfzig, trat lächelnd auf ihn zu und reichte ihm die Hand.

<Guten Tag Herr Junker, mein Name ist Jodin. Nehmen sie doch bitte Platz.

Haben sie uns denn gleich gefunden?>

<Ja, das war kein Problem. Ich hatte mir die Fahrt sogar etwas länger vorgestellt. Ich habe mir abgewöhnt, mich auf mein Navi zu verlassen.>

<Ja, das kann ich verstehen. Es ist sicherlich auch von Vorteil, sich öfter mal wieder auf seine eigenen fünf Sinne zu verlassen und da sind wir schon beim Thema. Was hat sie bewogen, sich bei uns zu bewerben?>

<Ihre Stellenausschreibung erschien mir sofort sehr interessant und ich glaube, dass ich durchaus dem Anforderungsprofil entspreche>

<Schon, schon, aber man sucht ja nicht nach Stellenanzeigen und macht sich die Mühe, Bewerbungen zu schreiben, wenn man nicht muss. Wie ist das bei ihnen?>

<Nun ja, wie sie meinen Unterlagen entnehmen können, bin ich zurzeit noch in einem festen Arbeitsverhältnis. Es ist allerdings so, dass ich aus verschiedenen Gründen an eine Veränderung denke.>

<Und was sind das für Gründe, wenn ich fragen darf>

Jetzt aufpassen, dachte Junker, wenn du die Wahrheit sagst und dich negativ äußerst, hast du schon verloren.

<Also, ich bin jetzt seit mehr als 4 Jahren Filialleiter und es ist eine immer wiederkehrende Routine, die mich nicht mehr so befriedigt. Ich fühle mich teilweise unterfordert und möchte auch mal etwas anderes machen.>

<Und gibt es bei der LELI keine Alternativen, beziehungsweise Aufstiegschancen?>

<Nein, wir haben eine sehr flache Hierarchie, wie mein Vorgesetzter das immer ausdrückt und für einen Aufstieg fehlt mir die Eintrittskarte, das Studium>

Leistung allein reicht denen nicht, dachte Junker, sprach es aber nicht aus.

<Kann man sagen, dass sie in gewisser Weise frustriert sind?>

<Nein, nein so ist das nicht. Aber eine neue Aufgabe würde mich schon reizen und vielleicht könnte ich mich ja sogar finanziell verbessern.>

<Um das zu beantworten müsste ich wissen, was sie zurzeit brutto verdienen>

<Das sind zirka 3600 Euro. Mal etwas mehr, mal etwas weniger, weil unser Gehalt prämienabhängig ist.>

Im Gesichtsausdruck seines Gegenübers entdeckte Junker eine Regung, die er nicht positiv deutete.

<Gut Herr Junker, ich will ihnen gleich sagen, dass unser Gehalt tarifgebunden ist und dass sie sich deshalb nicht verbessern, nein, sogar verschlechtern würden.

Allerdings sprechen wir hier nur über die Einstiegsmodalitäten. Bei uns hätten sie bei guter Leistung, auch ohne Studium, gute Aufstiegschancen. Aber bevor ich auf die konkreten Zahlen komme, lassen sie mich etwas über unser Unternehmen und speziell die ausgeschriebene Stelle sagen. Wir sind ein sehr erfolgreiches Familienunternehmen, dass sich mit dem Vertrieb importierter Lebensmittel einen Namen gemacht hat. Wenn ich sage Vertrieb, dann sollten sie daran schon den Unterschied zu ihrer jetzigen Tätigkeit erkennen. Ihre Kunden kommen in ihre Filiale, weil der Preis und die Qualität stimmen. Etwas, dass sie nur indirekt, also im Rahmen Ihrer Stellenbeschreibung, beeinflussen können. Die ausgeschriebene Stelle erfordert es aber, dass sie ihr Gehalt damit verdienen, Kunden nicht nur zu halten, sondern immer auch wieder Neue zu akquirieren Dazu bieten wir ihnen alle Instrumente. Aber die helfen alle nicht, wenn sie nicht mit Leib und Seele Verkäufer sind. Wir brauchen keinen Verwalter, sondern einen Macher. Sind sie das, Herr Junker?>

Was willst du wohl hören, dachte Junker bevor er antwortete:

<Ich denke schon, dass ich in gewisser Weise ein Macher bin, aber ich würde gerne noch etwas Näheres zu der Stelle erfahren. Zum Beispiel, wie das Verhältnis zwischen Altkundenbetreuung und Neukundenwerbung bei dieser Stelle ist.>

<Die Frage ist leicht zu beantworten. Je mehr Neukunden sie uns bringen, desto erfolgreicher sind sie. Stillstand ist Rückschritt, das gilt bei uns. Was die Aufgaben im Einzelnen angeht, will ich ihnen gerne bei einem etwaigen nächsten Termin mehr sagen. Unser heutiges Gespräch sollte ja zunächst einmal nur dazu dienen, dass wir sie persönlich kennen lernen. Wir haben noch eine Reihe von Bewerbungsgesprächen laufen und würden sie innerhalb der nächsten 14 Tage über unsere Entscheidung informieren.>

Jodin klappte seine Mappe zu, was Junker deutlich machte, dass sich das Gespräch zum Ende neigte.

<Was gibt es sonst noch für Fragen ihrerseits?>

Leicht irritiert sagte Junker:

<Ich hätte da noch eine ganze Reihe von Fragen, zum Beispiel auch zur Einarbeitung, aber das könnten wir dann ja beim nächsten Mal besprechen. Eins ist aber noch wichtig für meine Entscheidung. Handelt es sich um eine befristete oder eine unbefristete Stelle?>

<Wir stellen grundsätzlich zunächst nur befristet ein, das ist auch für beide Seiten vorteilhaft. Wir und sie haben damit mehr Zeit festzustellen, ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben.>

In der kleinen Pause die jetzt entstand, war es Junker wohl anzusehen, dass er sich eine andere Antwort gewünscht hätte. Jodin erhob sich und reichte Junker die Hand.

<Gut, dann denken sie auch noch mal über alles nach und wenn sie sich anders entscheiden, wäre es wünschenswert, uns schnellstens zu informieren. Herr Junker, ich bedanke mich für das Gespräch, kommen sie gut nach Hause.>

<Ja, ich danke ihnen auch>, sagte Junker und packte seine Unterlagen zusammen.

<Ich darf mich verabschieden, Frau Müller wird sie hinaus begleiten>

<Und wie war es?>, fragte Nadine als Junker sie noch aus dem Auto heraus anrief.

<Schwer zu sagen. Das war schon ein kurzes Gespräch. Angeblich wollte der Typ mich nur erstmal persönlich kennen lernen. Wenn ich so überlege, dann hat er kaum etwas Konkretes gesagt. Nur eben, dass es wahrscheinlich auch um Kundenwerbung geht. Ich glaube, das ist nichts für mich und bezahlen wollen sie auch nicht viel, zumindest weniger als ich jetzt habe.>

<Ach so? Und wie seid ihr dann verblieben?>

<Er will sich melden und mich wohl noch mal einladen.>

<Gut, dann lass uns heute Abend noch mal in Ruhe drüber reden, ich muss jetzt auch weitermachen>

<Alles klar, bis später, Tschüss>

Als die Kinder nach dem Abendessen auf ihre Zimmer gegangen waren, sagte Nadine:

<Nun erzähl doch noch mal. Was war denn das für ein Typ und wieso Kundenwerbung?>

Nachdem Junker seiner Frau geschildert hatte, wie das Gespräch abgelaufen ist, sagte Nadine:

<Nee, ich glaube auch, da solltest du die Finger von lassen. Ein befristeter Vertrag, das ist viel zu unsicher. Und dann vielleicht Klinkenputzen für weniger Geld als du jetzt bekommst, nein vergiss es. Da findet sich bestimmt noch was Besseres, oder?>

<Sehe ich auch so, also auf ein Neues. Aber jetzt ist erstmal Weihnachten angesagt und zwischen den Jahren ist bestimmt Flaute auf dem Stellenmarkt.>

<Ja, das denke ich auch. Aber ich freue mich schon richtig auf die Feiertage, zumal ich dieses Jahr zwischen den Feiertagen nicht arbeiten muss.

Da fällt mir ein, meine Eltern haben noch gar nichts zu Weihnachten gesagt. Hast du mit Hanna und Fritz schon was abgesprochen?>

<Nee, aber ich fahre übermorgen sowieso dort vorbei. Dann werden die das schon ansprechen. Du glaubst doch nicht, dass es anders als in den letzten Jahren läuft.>

<Was soll das denn jetzt wieder heißen? War das für dich nicht Ordnung? Du hast doch mit den ganzen Vorbereitungen ohnehin nichts zu tun. Dir wird doch alles vorgesetzt.>

<Das stimmt, aber ich habe ja auch fast immer am Heiligabend noch bis 13 Uhr gearbeitet.>

<Ich mache dir ja auch keinen Vorwurf.

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es, bezüglich des Essens, das eine oder andere zu besprechen gibt.>

Junker lenkte ein und sagte nur:

<Du hast ja Recht. Ich will mich da auch gar nicht einmischen. Ich werde Hanna sagen, sie soll dich anrufen, aber ich denke, das wird sie vorher sowieso tun.>

<Anderes Thema>, sagte Nadine, die sich mit dem Ende der Diskussion zufrieden zeigte.

<Was ist jetzt mit den Geschenken für die Kinder? Wann wollte Amazon noch mal liefern?>

<Ich glaube, Mittwoch oder Donnerstag war angekündigt>, sagte Junker etwas unsicher. <Ich sehe aber gleich noch mal nach.>

<Ja mach das! Das sollte doch DHL liefern, oder? Die kommen immer so um die Mittagszeit herum. Nicht, dass die Kinder das annehmen.>

<Schatz, dein Mann denkt mit. Ich habe als Lieferadresse Lüdemanns eingetragen und das auch schon mit Dieter besprochen.>

<Ich bin beeindruckt, hätte ich dir gar nicht zugetraut.>, sagte Nadine grinsend.

<Das neue iPad für Marcel liegt übrigens schon bei meiner Mutter.>

<Lass mich daran bitte nicht denken. Ich finde das reichlich übertrieben. Aber da kennst du ja meine Meinung.>

<Ja eben, also lassen wir das! Oder kommen wir zu einem etwas unverfänglicheren Thema. Charlotte hat sich ja ausschließlich Geschenke für Pferdeliebhaber gewünscht. Alles zusammengenommen kommen wir aber geldmäßig in der Summe noch nicht auf das, was wir für Marcel vorgesehen haben.

Meine Mutter meint, wir sollten darauf achten, dass beide etwa gleich viel bekommen und ich sehe das auch so.>

Junker verzog den Mund und sah zur Decke.

<Vielleicht denkt ihr mal daran, dass Charlotte gerade 11 Jahre alt ist und Marcel wird 16. Außerdem finde ich es schon etwas merkwürdig, dass ihr alles aufaddiert und dann vergleicht. Prüft Ines nach Weihnachten auch, ob sie für Michael mehr ausgegeben hat, als das was sie von ihm bekommen hat?>

Der Satz war nicht ganz ausgesprochen, da wusste Junker bereits, das hätte er nicht sagen sollen.

Nadine antwortete nicht sofort, sah ihn nur an und ihr Mund wurde spitz.

<Du brauchst mir nicht zu sagen, was du von meiner Mutter hältst. Ich habe gesagt, ich sehe das auch so, also bin ich in deinen Augen vielleicht auch etwas beschränkt.>

<Man, was soll das jetzt wieder? Ich wollte damit nur sagen, dass wir bei gegenseitigen Geschenken nicht auf ...>, er suchte nach den richtigen Worten, <ja, ich sag mal, vergleichbare Werte sehen sollten. Und wenn du das anders siehst, dann heißt das noch lange nicht, dass du beschränkt bist. Unterstell mir so etwas also bitte nicht!>

Gedanklich war ihm schon klar, dass er in eine deutlich materiell orientierte Familie eingeheiratet hatte. Nadines Eltern waren für Statussymbole äußerst empfänglich und da fiel der Apfel nicht weit vom Stamm, das war Junker nur zu bewusst.

<Ich habe keine Lust mehr, darüber zu reden. Vergiss meine Frage!>, sagte Nadine, stand auf, nahm ihr Glas und ging in die Küche.

Na bravo, dachte Junker, der Abend ist mal wieder gelaufen. Einen Moment lang war er geneigt, Nadine in die Küche zu folgen.

Der Ärger seinerseits war aber gerade größer als sein Harmoniebedürfnis und so blieb er sitzen, griff nach der Fernbedienung und schaltete einen Sportkanal ein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, es waren aber gerade mal etwa 15 Minuten vergangen, kam Nadine zurück ins Wohnzimmer. Sie wirkte wie ausgewechselt.

<Ich muss mit dir mal was besprechen.>

<Ja, was gibt`s?>, sagte Junker und sah vom Fernseher auf.

<Ich wollte eben nach Charlotte sehen und als ich ihre Tür aufgemacht habe, war sie völlig hektisch, hat irgendetwas schnell weggesteckt und mich dann ziemlich aggressiv angefahren, <Was willst du?>

Ich war erstmal überrascht und hab dann gefragt, was ist das denn für ein Ton? Dann ist sie aus ihrem Zimmer gestürmt und hat sich im Bad eingeschlossen. Ich habe ein paarmal geklopft, bis sie von drinnen gerufen hat, ich solle sie in Ruhe lassen. So und jetzt bin ich hier. Kannst du mir vielleicht erklären was da los ist?>

<Nee, keine Ahnung. Aber sie ist in letzter Zeit wirklich verändert. Gestern zum Beispiel, hat sie

Marcel fürchterlich angeblafft, nur weil er beim Duschen die Badezimmertür offengelassen hat.>

<Weißt du was, ich glaube, die ist in der Pubertät angekommen. >

Junker schaltete den Fernseher aus.

<Charlotte und Pubertät, nee das glaube ich nicht, aber wer weiß das schon?>

Nadine ging an die Terrassentür und sah zum Nachbarhaus.

<Ich habe vorgestern noch mit Gaby darüber gesprochen.

Simone ist gerade 13 geworden und Gaby sagt, sie sei da wohl schon voll drin. Dieter wollte es erst nicht glauben. Aber mittlerweile hat er das auch kapiert. Sie sagt, es ist zum Wahnsinnig werden, außer Fernsehen, chatten und rumzicken passiert nichts mehr. Schule ist doof und überhaupt alles und alle sind blöd oder peinlich. Da haben wir bisher doch bei Marcel weniger Probleme.>

Junker grinste.

<Ich war in der Pubertät auch ganz erträglich. Männer haben da mit der Hormonumstellung nicht so die Probleme. Bis auf Pickel im Gesicht und wachsendem Interesse für die Rundungen der etwas älteren Mädchen war das eigentlich ganz easy.>

<Ja wir Frauen sind wirklich schon arm dran.

Ich möchte euch mal sehen mit Regelschmerzen, Blasenentzündungen, Kopfschmerzen und dergleichen. Ihr würdet euch nur noch krankmelden.>

Junker hob die Hände.

<Ich sag da nichts zu. Aber dafür schau ich jetzt mal nach unserer Prinzessin.>

Nadine sprang auf. <Das lass mich mal machen. So kommt die mir nicht davon, dass kläre ich jetzt. Mach du man deine Glotze wieder an, sonst versäumst du noch das eine oder andere Traumtor und kannst bei deinen Kumpels nicht mitreden.>

<Wenn du meinst, dann will ich dir nicht widersprechen>, sagte Junker und griff zur Fernbedienung. Aber sei nicht zu hart mit unserer Tochter. Denk dran, wie es dir damit früher ergangen ist>

<Das lass mal meine Sorge sein. Sowas hätte ich mir damals jedenfalls nicht erlauben dürfen>, sagte Nadine ziemlich laut, als sie schon fast im Flur stand und sicher war, dass Charlotte es oben hören konnte.

Es war 9 Uhr und obwohl der Laden schon voll war und Junker reichlich Arbeit zu erledigen hatte, wollte er sich jetzt die Zeit für einen Kaffee und ein Brötchen nehmen

Er ging in den Pausenraum und musste wieder einmal feststellen, dass seine Damen nur so viel Kaffee gekocht hatten, dass es für ihr Frühstück gereicht hatte. Er griff zur Kaffeedose und sah, dass Frau Müller, die als letzte Frühstückspause hatte, das restliche Kaffeepulver verbraucht hatte. Das kann nicht wahr sein, dachte er, jetzt will ich mal eben so zwischendurch schnell einen Kaffee trinken und finde eine leere Kanne und eine leere Kaffeedose vor. Bin ich Seppel oder der Filialleiter hier? Er öffnete den Schrank, in dem die Kaffeekasse in Form einer Dessertschüssel stand, entnahm daraus vier Euro und ging zurück in den Verkaufsraum zum Kaffeeregal. Als er eben ein Kaffeepaket in der Hand hielt, kam ein Kunde auf ihn zu und fragte:

<Sind sie hier der Chef?>

Nee, dachte Junker, der Seppel.

<Ja, was kann ich für sie tun?>

<Ich habe da vor 2 Tagen bei ihnen so einen Werkzeugkoffer gekauft und ob sie es glauben oder nicht, nach einmaligem Gebrauch ist einer der kleinen Schraubendreher gebrochen. Wie kann man eine so schlechte Qualität verkaufen?>

Standardantwort, dachte Junker.

<Wir haben bei diesem Artikel bisher noch keine Reklamationen gehabt. Aber wenn das ein Materialfehler ist, nehmen wir die Ware natürlich anstandslos zurück. Haben sie den Kassenbon denn noch?>

<Weiß ich nicht, aber wenn sie mir so einen Schrott verkaufen, wird die Rückgabe ja wohl nicht an einem Kassenbon scheitern, oder?>

Der hat mir heute Morgen gerade noch gefehlt, dachte Junker.

<Nein, nein, wir erkennen den Artikel und das Verkaufsjahr an der aufgedruckten Nummer und wenn das passt, nehmen wir ihn selbstverständlich zurück.>

<Also mein Nachbar, der hat letztes Jahr hier auch schon Ärger gehabt. Ich wollte ihm das gar nicht glauben. Aber jetzt, verstehe ich, warum er mir vom Kauf abgeraten hat>

Wenn du jetzt noch weitererzählst, kann ich meine Kaffeepause vergessen, dachte Junker.

<Ich gebe das an unseren Einkauf weiter und die werden die Qualität dieses Lieferanten dann genau prüfen und den Artikel gegebenenfalls auslisten.>

<Wir werden ja sehen. Ich kann mich auch an die Verbraucherzentrale wenden.>

Nee, die EU-Kommission oder die Bildzeitung, dachte Junker. Nun ist aber gut, wie werde ich den jetzt bloß möglichst schnell los?

<Hermann, kommst du jetzt endlich!>, rief eine ältere, mollige Dame, die mit ihrem Einkaufswagen schon in der Kassenschlange stand. Das war die Erlösung. Ohne Junker eines weiteren Blickes zu würdigen, folgte Hermann dem Befehl seiner Frau und trottete zur Kasse.

Junker nahm sein Paket Kaffee und ging sehr bewusst nicht an die Kasse, an der Hermann nebst Gattin standen.

Als er zurück in den Pausenraum kam, saß dort doch tatsächlich seine Auszubildende mit einer Cola und ihrem Smartphone am Tisch.

<Wer hat sie denn zur Pause geschickt?>, fragte Junker überrascht.

<Frau Jäger meinte, ich sollte mal schnell Pause machen, bevor es gleich richtig voll wird.>

Junker musste seine aufkommende Wut unterdrücken.

<Wer teilt hier die Pausen ein?>

<Ja, sie eigentlich>, piepste sie, <Aber ich dachte, wenn Frau Jäger das sagt …>

<Sie machen nur Pause, wenn ich es sage, okay?>

Die Kleine nickte und stand auf.

<Jetzt bleiben sie schon sitzen, aber nächstes Mal wissen sie Bescheid.>

Junker sah auf die Uhr. Vom ersten Versuch, Kaffee zu trinken bis jetzt waren fast 15 Minuten vergangen. Eigentlich konnte er seine Pause knicken, setzte sich aber dann doch noch einen Kaffee auf.

Die Maschine war noch nicht durch, da klingelte Frau Jäger, weil ein Bonstorno gemacht werden musste, dazu brauchte man den Filialleiterschlüssel. Bei der Gelegenheit machte er sich Luft und erinnerte Frau Jäger gleich, in einem kurzen verbindlichen Satz, wer hier die Pausen einteilt.

Als sie ansetzte, etwas zu erwidern, war Junker schon wieder in Richtung Pausenraum unterwegs.

Der Kaffee war fertig, die Auszubildende immer noch mit ihrem Smartphone beschäftigt und so ging er mit seinem Kaffeebecher ins Büro. Ein Brötchen zu schmieren, hatte er inzwischen abgehakt. Ich bin ja Multitasking fähig, dachte er. Kaffeetrinken und gleichzeitig die Lieferscheine eintragen, Pause machen und dabei weiterarbeiten, so liebt LELI das.

Da war es wieder, dieses Stechen im Bauch. Nicht sehr schmerzhaft, aber spürbar. Stress oder schon Burnout, überlegte er.

Das Telefon klingelte.

<Hilger hier, ich grüße sie, Herr Junker. Wie läuft es so?>

<Der Laden ist gut voll, zwei Kassen sind fast durchgängig besetzt. Sonst keine besonderen Vorkommnisse. >

<Na, ist doch super. Also auch wenn sie viel zu tun haben, ich komme so zirka um zwölf bei ihnen vorbei. Wir müssen noch das Weihnachtsgeschäft besprechen.>

Ja, darauf habe ich gewartet, dachte Junker. Das kostet mich wieder eine Stunde Zeit und das, was du zu erzählen hast, ist doch sowieso immer das Gleiche. The same procedure as every year. Warum lernt dieser Mann, der mir immer was von rationeller Arbeit erzählen will, nicht von seinen Kollegen? Die rufen vor Weihnachten einmal alle ihre Filialleiter zusammen und erzählen das Ganze einmal. Mein Herr Bezirksleiter muss natürlich mit jedem einzeln sprechen und braucht dann sieben bis achtmal so viel Zeit.

<Ja, okay, ich plan das mal ein.>, sagte Junker kurz angebunden.

<Gut, noch etwas. Ich bringe ihnen 3 Kartons von dem Parmaschinken mit. Der läuft sonst ab. Der Wenzel hat mal wieder völlig falsch bestellt, das verkauft der nie bei dem Umsatz, den der macht.>

Sehr schön, dachte Junker, und ich habe dann wieder die Verlustabschriften, die du mir bei nächster Gelegenheit wieder um die Ohren haust.

<Also dann bis später, Herr Junker, mir läuft die Zeit davon.>

Na so was, mir nicht, dachte er, da hatte Hilger schon aufgelegt.

Aus dem verspiegeltem Bürofenster sah Junker wie Frau Müller mit der Auszubildende im Süßwarengang eine Palette abpackte. Die Palette blieb dort stehen, wo man sie als erstes abgesetzt hatte und nun wurde jeder Karton einzeln über den langen Gang zu seinem Regalplatz getragen. Die könnte Hilger eingearbeitet haben, dachte Junker und machte sich auf, um sich das Ganze nicht weiter angucken zu müssen. Er nahm Frau Müller zur Seite und sagte:

<Wie oft haben wir eigentlich schon über rationelle Warenbewegung gesprochen?>

Frau Müller wusste was er meinte, zuckte aber scheinbar ahnungslos mit den Schultern.

<Sie müssten es eigentlich besser wissen, aber viel schlimmer ist es, dass sie dem Mädchen auch noch die falsche Arbeitsweise vermitteln. Also noch mal, fahren sie die Palette vor den Stellplatz der Kartons, die sie abpacken wollen und rennen sie nicht mit jedem Karton 10 Meter nach links und nach rechts. Sie haben eine Elektroameise, die wurde für viel Geld angeschafft, um Zeit und Kraft zu sparen, also nutzen sie das Gefährt, in Ordnung? Und noch etwas, wenn ich sehe, wie das Mädchen die Kartons aufschneidet, dann erkennt man schon am Kartonschnitt, dass sie mit stumpfen Klingen arbeitet. Das ist schwerer, dauert länger und das Ergebnis sieht schlecht aus. Also, zeigen sie ihr, wie man die Klingen wechselt.>

Scheinbar einsichtig, sagte Frau Müller:

<Sie haben ja recht, aber manchmal wird man einfach betriebsblind, das war keine Absicht.>

<Weiß ich doch>, sagte Junker, versuchte sich ein Lächeln abzuringen und ging zurück ins Büro.

Als Hilger kam, war Mittagsflaute und es befand sich nur noch eine überschaubare Menge an Kunden im Laden.

<Ist doch nichts los hier>, sagte er zu Junkers Begrüßung.

Junker reichte ihm trotzdem die Hand und ließ sich seine Verärgerung über so viel Motivation nicht anmerken. Es kam so wie Junker vermutet hatte. Hilger leierte im wahrsten Sinne des Wortes seine Besprechungspunkte zum Weihnachtsgeschäft herunter wie immer. Als Pflichtübung notierte Junker dabei einige Punkte mit. Der Zettel verschwand später im Papierkorb, ohne dass es für das Gelingen irgendeine Bedeutung gehabt hätte.

Als Junker am Abend nach Hause kam, war Nadine gerade im intensiven Gespräch mit Charlotte.

Es ging wohl um die Vorkommnisse des letzten Tages. Junker hörte nur noch, wie Charlotte sich irgendwie entschuldigte und wie Nadine ihr eine Absolution erteilte. Nachdem er seine Sachen aufgehängt hatte, begrüßten ihn seine beiden Damen sichtlich gelöst.

Es waren noch fünf Tage bis Weihnachten. Junker hatte frei und Nadine Frühdienst. Er wollte die Zeit nutzen, und heute Vormittag, bevor die Kinder aus der Schule kommen, noch mal zu seinen Eltern fahren.

Trotz des Vormittags, war es diesmal auch wieder schwer einen Parkplatz vor den Wohnhäusern in Eimsbüttel zu finden. Am Abend war ein solches Vorhaben in der Regel ziemlich aussichtslos.

Er kurvte mehrmals die Straße auf und ab, bevor er endlich Glück hatte und ein Handwerker mit seinem Transporter ausparkte.

Hanna hatte ihn schon vom Fenster aus beobachtet und winkte ihrem Sohn zu. Als oben die Tür geöffnet wurde, kam ihm bereits der angenehme Kaffeeduft entgegen, der bei Hanna und Fritz nach wie vor nicht aus der Kaffeemaschine kam. Hier wurde noch mit Filter, Kanne und Wasserkessel Kaffee aufgebrüht. Dazu hatte Hanna Kekse bereitgestellt, die Junker schon als Kind gegessen hatte und die, wie sie meinte, ihm immer noch am besten schmeckten. Auch der Becher war für Junker vertraut.

Es war immer noch der, aus dem er schon getrunken hatte, als er noch zu Hause wohnte.

<Komm setz dich, mein Junge>, sagte Hanna.

Man sah ihr an, wie froh sie darüber war, ihren Sohn mal wieder bei sich zu haben.

Junker zündete sich eine Zigarette an. Für ihn sehr angenehm, weil das Zuhause in Norderstedt allenfalls im Garten oder unterm Carport möglich war. Im Haus selbst hatte es Nadine für absolut tabu erklärt. Abgesehen von dem gesundheitlichen Aspekt, war rauchen für sie und ihre Eltern eine schlechte Angewohnheit, die, wie ihre Mutter schon mal unvorsichtig geäußert hatte, mehr zum Verhalten der Unterschicht gehörte.

<Und, was macht der Weihnachtsstress>, fragte Fritz, der schon am Küchentisch saß und dabei war seine Pfeife, deren Duft immer noch den Raum erfüllte, mit dem Pfeifenreiniger auszukratzen.

<Meinst du Zuhause, oder im Betrieb?>, fragte Junker und grinste seinen Vater dabei an, wohl wissend, dass der verstand was er meinte.

<Na, im Betrieb natürlich. Zu Hause legst du doch sowieso nur die Füße auf den Tisch.>, konterte Fritz lächelnd.

<Jetzt mach den Jungen nicht kirre>, sagte Hanna und schenkte den Kaffee ein.

<Der hat es schon schwer genug.>

Sie griff in ihre Kitteltasche und reichte Junker zwei Umschläge.

<Hier, das ist schon mal ein kleiner Urlaubsgruß von uns für die Kinder. Leg das mal weg! Es sind ja nur noch 6 Wochen bis dahin>, sagte sie und gab ihm zwei beschriftete Briefumschläge.

<Ihr sollt die Kinder doch nicht immer so verwöhnen>, sagte Junker, dem aber eine Aufstockung der Urlaubskasse natürlich gelegen kam.

<Das ist schon gut so, ihr habt doch genug Ausgaben und man weiß ja, dass die Ansprüche der jungen Leute heute immer mehr ansteigen>, brummte Fritz, der dabei war eine, neue Pfeife zu stopfen.

<Eben, das siehst du ja jetzt wieder an dieser Tennis Geschichte und ich weiß nicht, ob man das immer so unterstützen sollte.>, stöhnte Junker.

<Wir waren froh, wenn wir mal zusätzlich Geld fürs Schwimmbad oder so bekommen haben und heute muss es reiten und Tennis sein. Ich weiß nicht, was demnächst noch so alles kommt.>, sagte er. Man merkte ihm an, dass ihn dieses Thema wirklich ärgerte.

Hanna lächelte. <Die Zeiten ändern sich nun mal.>

Einen Moment lang tranken alle schweigend von ihrem Kaffee, bis Fritz aufstand, an seinen Schreibtisch ging und einige Unterlagen herausholte.

<Weißt du>, hob er an. <Hanna und ich haben uns entschlossen, eine Patientenverfügung aufzusetzen und da wollten wir mit dir mal drüber sprechen.>

Junker blickte seinen Vater etwas ratlos an und sagte nachdenklich:

<Aha, ja, aber warum? Gibt’s denn einen bestimmten Grund warum ihr das jetzt machen wollt?>

Hanna legte ihre Hand auf Junkers Arm und sagte:

<Nein, keine Sorge mein Junge, wir denken nur, dass es in unserem Alter ratsam ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Deshalb wollten wir mit dir darüber mal in Ruhe sprechen und das passt natürlich jetzt ganz gut, weil du gerade mal alleine, ohne Nadine und die Kinder, hier bist.>

<Ja dann legt mal los>, sagte Junker und nahm die Unterlagen zur Hand, die ihm Fritz hinhielt.