Die Ameisen kommen - Joseph Melchior Graf - E-Book

Die Ameisen kommen E-Book

Joseph Melchior Graf

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Beschreibung

Yves, Sohn eines Akademiker-Paares, kommt von der Drogenreha nach Hause und weiß mit seinem Leben nichts anzufangen. Charles, ein Freund seines Vaters, ist Ameisenforscher und bietet Yves einen Job im Labor der Universität an. Yves soll die Ameisen und ihre Nester in Ordnung halten und alle Schritte protokollieren. Nach einigen Monaten entwickelt sich Yves zum Ameisenprofi, doch für den ehemaligen Drogenabhängigen ist es ein steiniger Weg, es drohen immer wieder Rückfälle. Dann lernt er Lydia kennen, sie ist ihm eine große Stütze. Plötzlich wird das spanisch-französische Grenzgebirge von Riesenkillerameisen bedroht. Charles will die Bedrohung für die Bewohner abwenden und die Ameisen vernichten.

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Seitenzahl: 294

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Tagebuch über die Zeit vom 25. Februar 2067 bis September 2067

1. Erklärendes Vorwort

2. Claire fährt heim: 25. 2. 2067

3. Treff bei Pia und Paul

4. Renate und Pia folgen beim Essen den Diskussionen um Religionsfragen

5. Gang zum Bischof

6. Yves zu Hause

7. Yves telefoniert mit Matthias und Jolande

8. Telefonat mit Lydia: Einladung zum Essen

9. Unfall

10. Vor dem Treffen mit Lydia

11. Lydia und Yves am Strand

12. Treffen bei Luc und Yvonne

13. Yves beginnt mit der Arbeit im Labor

14. Überfall

15. Sitzung und Nachtessen

16. Lydia und Yves sind fleißig

17. Besuch bei Renate und Pierre

18. Yves geht mit Kollegen zum Essen

19. Vortrag von Charles und Streit mit Badwülser

20. Yves und Lydia gehen zu Yvonne, das Auto holen/Nachtessen

21. Samstagmorgen: Gespräch mit dem Bischof

22. Roy im Haus von Luc/Beischlaf mit Yvonne

23. Lydia und Yves in der Mensa bei der Arbeit

24. Treff bei Claire und Charles

25. Kampf gegen die Ameisen

26. Roy und Yvonne

27. Luc sucht Yvonne/Niedergeschlagenheit bei Vater und Sohn/Lydia telefoniert mit George

28. Lydia und Yves spazieren oberhalb der Hang-Stadt/Yves bringt Lydia nach Hause

29. Abdankung und Nachtessen

30. Zeit vor der Abfahrt nach Amerika/Auf der Ameiseninsel bei Kuba/Heimkehr

31. Nach Kuba

32. Expedition von Lourdes in die Pyrenäen/Gespräche über Lydia/Religion (Gott) und Ende

33. Nachwort

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2015 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-047-2

ISBN e-book: 978-3-99048-048-9

Lektorat: Volker Wieckhorst

Umschlagfoto: Hannu Viitanen | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Joseph Melchior Graf (3)

www.novumverlag.com

Tagebuch über die Zeit vom 25. Februar 2067 bis September 2067

1. Erklärendes Vorwort

Dieser Roman spielt im Jahr 2067 und beginnt am Freitag, den 25. Februar, im Spital von Perpignan an der französisch-spanischen Grenze. Die Handlung ist utopisch und die Personen sind frei erfunden. Die Globalisierung ist weitgehend Tatsache. Einzig im zentralen Schwarz-Afrika gibt es noch ein knappes Dutzend Länder mit Armut, Bildungsnotstand und katastrophaler Gesundheitsversorgung. Ihre korrupten Regierungen und die diktatorischen Herrscher haben sämtlichen Fortschritt verhindert. Die beiden Amerika, Europa, Asien und Australien sind politisch in einer stabilen Lage. Die gesunden, fortschrittlichen Länder Afrikas sind in dieser weltweiten Gemeinschaft auch integriert. In Wirtschaft und Wissenschaft ist globales Denken eine Selbstverständlichkeit, wobei eine gesunde Konkurrenz Antrieb bedeutet. Seitdem Sonnenenergie und Kernfusion wirtschaftlich genutzt werden können, ist die Energiefrage gelöst, und Luft- und Wasserverschmutzung bereiten keine Sorge mehr. Sogar finanziell ist sich die Menschheit nahe gekommen: die amerikanische, europäische und chinesische Währung werden zum Kurs 1:1 gehandelt. In allen Volksschulen auf der ganzen Erde ist die englische Sprache mindestens fünf Jahre obligatorisch. Dies bedeutet, dass sozusagen alle Menschen auf der Erde miteinander kommunizieren können.

Die eigentliche Geschichte dreht sich aber um Yves, der vom total Süchtigen den Weg wieder in die gesunde Gesellschaft findet.

Die Protagonisten in diesem Roman sind:

Charles Lager, Dr./*2023/Professor Uni Perpignan, und Ehefrau Claire/* 2028/Dialysefachfrau

Luc Coglier, Dr./(und Marie † 2050)/*2022/Professor Uni Perpignan/Lebenspartnerin Yvonne 2030

Yves/*2048/Sohn von Luc und Marie

Lydia, Studentin/*2047

Paul Marnier, Lic. Theol./*2022 Bischofsvikar und Ehefrau Pia/* 2027 Katechetin

Pierre Meunier, Dr./*2023/Meeresbiologe und Ehefrau Renate/*2029/Biologin

Roland Pagnol/*2033 (Roy)/Chemie-Assistent

Pascal Nicolet, m.econ./Ökonom Stiftungspräsident und Charlotte/*2021/Gerantin

2. Claire fährt heim: 25. 2. 2067

Freitagnachts 23.25 Uhr im großen Spital zu Perpignan. Alles ist dunkel und still. Gedämpftes Licht in den Gängen. Einzig in der Dialyseabteilung ist noch ein Vierer-Saal hell beleuchtet. Hier arbeitet Claire Lager noch, räumt auf und macht die Maschinen bereit für den morgigen Tag. Vor einer Viertelstunde sind die zwei letzten Patienten abgeholt worden. Nun ist auch Claire fertig. Sie löscht die Lichter, begibt sich in die Garderobe und dann zur spitalinternen Tiefgarage. Als sie 10 Meter von ihrem elektrischen kleinen Vierplätzer entfernt ist, deblockiert sie die Ladeöffnung und öffnet die Türen. Durch einen einfachen Knopfdruck auf ihrem Zielgerät stellt sie die programmierte Fahrt nach Hause ein.

Schon fährt der Kleinwagen auf der Ausfallstraße Nordwest und Claire kann getrost ihren Gedanken nachhängen, denn das Auto ist sicher auf Fahrt eingestellt, und sie muss nur ein wenig auf den Verkehr achten sowie ein bisschen überwachen. Sie freut sich sehr auf ihre morgige Einladung. Denn beim letzten Freundestreff im Herbst hat Paul – der Freund ihres Mannes und ehemaliger Mitschüler – sie eingeladen. Sie, d. h. sie selber mit ihrem Mann Charles sowie ein anderes Freundespaar, Luc und seine Frau Yvonne, treffen sich alle am 26. Februar um 12.00 Uhr. Claire ist zudem auch auf einen weiteren Besucher gespannt, welcher von Paul angekündigt wurde. Paul hat nämlich auch seinen Jugendfreund, Pierre Meunier, eingeladen. Pierre war ebenfalls ein ehemaliger Schüler am Gymnasium in Genf, allerdings eine Klasse tiefer.

Nun erblickt Claire in der Ferne ein grünes Leuchten. Es kommt immer näher und sie kann die Schriftzüge an zwei Restaurants ablesen: „Palme“ und „Olive“. Sie muss noch bis zu jenem Kreisel fahren und dann nach links – zwischen der Palme und Olive – in die Hangstrasse einmünden. Die Aufforderung „links einspuren“ ist nun zu hören, und Claire besinnt sich ein bisschen mehr auf die Fahrweise. Schon fährt sie auf den Kreisel zu, umfährt ihn und biegt in die Hangstrasse ein. Die Hangstrasse ist etwa 1.8 km lang und führt direkt ohne Kurven zu ihrer Wohnstätte, der Hangstadt, die an einem Hang der Pyrenäen erbaut wurde. Es handelt sich um achthundert Terrassenhäuser, die in Vierzigerreihen von unten nach oben errichtet wurden. Einige Häuser sind beleuchtet. Auch stehen etwa drei beziehungsweise vier Funiculaires im vollen Licht, und hin und wieder – wenn jemand in ein Funiculaire steigt – geht ein Licht automatisch an. Dies kann Claire von ihrem Auto aus deutlich feststellen. Nun hat sie den oberen Kreisel erreicht, die Straße geht jetzt nach links und nach rechts ab und heißt hier oben Hanggrund. Claire biegt rechts ab und – nach etwa 100 Metern – biegt nochmals rechts ab und fährt schließlich über eine Brücke auf ihren Parkplatz hinunter. Der Parkplatz ist hell beleuchtet. Sie folgert, dass also gerade jemand hier sei oder gewesen sein müsse. Sie steuert auf eine nahegelegene Parklücke, steigt aus, blockiert ihr Ladegerät am Ladestreifen am Boden und schließt ihren Kleinwagen ab. Sie wendet sich wieder nach oben und geht unter der Straße Hanggrund auf die andere Seite zu den Terrassenhäusern, auf die Untergrundstraße. Sie geht links, und schon steht sie unter ihrer Hausreihe C. Nun muss sie die Straße überqueren, zwei Treppen hochsteigen, und dann steht schon eine Liftkabine für sie bereit. Sie öffnet die Tür, steigt ein und stellt auf dem Computer die Zahl 114 ein. Es wird ihr gemeldet zur Abfahrt bereit und der Funiculaire bewegt sich nach oben. Nach ein paar Minuten steigt sie aus, geht links zu ihrer Haustüre und öffnet diese leise. Sie will sich – weil alles ruhig und dunkel ist – nicht bemerkbar machen. Sie geht zuerst ins Badezimmer und macht sich bereit zum Schlafen. Als sie das Schlafzimmer betritt, sieht sie bereits den schlafenden Charles. Ruhige, tiefe Atemzüge verraten, dass er friedlich und tief schläft. Claire schlüpft in aller Ruhe unter die Decke, und schon bald ist sie eingeschlafen.

3. Treff bei Pia und Paul

Claire und Charles sitzen im Kleinwagen und fahren Richtung Perpignan. Schweigend und in Gedanken versunken sitzen beide da. Plötzlich wendet sich Claire an ihren Mann und sagt: „Du, Charles, kennst du diesen Pierre Meunier?“ Charles – etwas verwundert – sammelt seine Gedanken und sagt: „Nein, ich kenne ihn nicht. Ich weiß nur von Paul, dass er aus demselben Ort stammt wie er. Wir waren ja seinerzeit am Gymnasium, am kantonalen Gymnasium in Genf, und da kamen jeweils einzelne Schüler aus dem benachbarten Frankreich und besuchten unsere Schule. Die Mehrheit der Schüler waren zwar Schweizer. In jedem Jahrgang gab es also ein bis zwei – ausnahmsweise mal drei – Franzosen, die aus dem benachbarten Grenzgebiet nach Genf kamen. Mit dem Velo war das eine Viertelstunde bis eine halbe Stunde Fahrt, und so kam auch dieser Pierre Meunier – wie ich weiß mit Paul zusammen – an unsere Schule. Paul wuchs in einem grenznahen Dorf auf. Sein Vater waltete dort – wie ich mich erinnere – als Sigrist, Messdiener, Kirchenbetreuer beziehungsweise alsMann für alle Fällein der katholischen Kirchgemeinde. Wie ich weiß, war Pierre Pauls Nachbar, und beide fuhren tagtäglich mit dem Fahrrad in die Schweiz. Mittags verpflegten sie sich in der Mensa – wie alle Auswärtigen –, und am Abend fuhren sie dann wieder mit ihren Zweirädern nach Hause. Aber jetzt musst du aufpassen, Claire. Dort vorne kommt die Abzweigung. Wir sind nicht mehr in der Altstadt. Noch etwa 500 Meter und du musst nach rechts abbiegen.“

Claire achtet nun darauf, die richtige Abzweigung zu erwischen und sieht schon bald ein Schild, welches auf die Bischofsresidenz hinweist. Sie biegt rechts ab und fährt auf einer Straße mit einer leichten Steigung etwa 500 bis 600 Meter weiter aufwärts. Danach öffnet sich der Blick. Die Häuser weichen links und rechts zurück. Auf beiden Seiten der Anfahrtsstraße befinden sich nun mehrere Parkplätze. Oben, am Ende des Platzes, ist ein riesiges Tor ersichtlich. Links und rechts davon dehnt sich eine gewaltige Mauer aus. Diese ist etwa 5 bis 6 Meter hoch und begrenzt den unteren Teil der Bischofsresidenz. Die Straße führt direkt auf das große Tor zu und folgt danach rechts und links der Mauer und führt um die Residenz herum. Die Residenz befindet sich innerhalb dieser gewaltigen Mauern, welche im Wesentlichen ein Rechteck bilden. Dieses Rechteck ist in der Längenausdehnung von links nach rechts etwa 180 bis 200 Meter lang und von oben nach unten – in der kürzeren Ausdehnung – etwa 140 Meter lang. Links und rechts hinter den seitlichen Parkplätzen jenseits der Mauern ist je eine Reihe Häuser gleichartigen Baues ersichtlich – die sogenannten Chorherrenhäuser –, jeweils sechs an der Zahl. Sie sind in einem verlotterten Zustand, die Renovierung wäre dringend nötig.

Claire stellt unten vor dem Tor den Motor ab und Charles steigt aus, geht auf das Tor zu und bemerkt, dass hinter ihrem Fahrzeug die Limousine von Luc in Warteposition steht, mit Yvonne auf dem Beifahrersitz. Charles mustert nun die Türglocken, welche sich auf der rechten Seite des Tores in der Mauer befinden: ganz oben steht Domprobst, in der Mitte Bischofsvikar und unten Pförtner. Charles klingelt beim Bischofsvikar, und sofort kommt auf dem Lautsprecher der Hinweis, der Pförtner komme gleich vorbei und öffne das Tor. Nach kaum drei bis fünf Sekunden erscheint der Pförtner, der links hinter dem großen Tor in einem Pförtnerhaus wohnt. Er öffnet das Tor und die zwei Fahrzeuge fahren hindurch bis ans Ende des Pförtnerhauses. Dort befindet sich nochmals eine zweiflügelige Metalltür, welche sowohl von innen als auch von außen geöffnet werden kann. Der Pförtner öffnet mittels Fernbedienung das Tor. Das Tor verschwindet in der Mauer in einer etwa 15 cm breiten Höhlung. Am Boden sind Schienen und auf diesen laufen Räder. Sobald das Tor in der Mauer verschwunden ist, fahren die Autos durch die Toröffnung. Charles steigt aus und ruft seiner Frau zu: „Ich gehe schon hinauf, du musst den Anweisungen des Pförtners folgen. Wahrscheinlich musst du nach links abbiegen und dort hinten parkieren. Wir treffen uns oben vor dem Haus des Bischofsvikars.“

Die beiden Autos biegen nach links ab und der Pförtner weist sie auf die Parkplätze ganz hinten beim anderen Haus. Charles schlendert in der Zwischenzeit eine schöne asphaltierte Straße entlang, direkt auf das Bischofspalais zu. Dies ist ein riesiger Bau: sicher in der Front etwa 30 Meter breit. Er ist in klassizistischem Stil erbaut, vierstöckig und oben mit einem Walmdach versehen. Im Ziegeldach hat es noch Dachluken, vermutlich befinden sich also dort noch weitere Räume. Unten, im Erdgeschoss, ist ein Saal mit einer recht großen Eingangstüre auszumachen. Links und rechts davon befinden sich ebenerdige Fenster, die auch als Türen benutzt werden können. Dahinter ist ein Gartensaal. Darüber, im ersten Stock, befinden sich ähnlich breite Fenster wie unten, nur sind sie weniger hoch. Eine Fensterbrüstung schließt darunter das Stockwerk ab. In der dritten Etage sind noch einmal solche Fenster angebracht, aber mit einem größeren Abstand und es scheint so, als ob sich hinter jedem Fenster ein Zimmer verbirgt. Charles lässt diesen großartigen Eindruck auf sich wirken. Nun steht er bereits vor dem Palais und wendet sich nach links, wo er auf die übrige Gesellschaft trifft, d. h. seine Frau, Luc und Yvonne. Sie werden von Paul – einem großen, sportlich wirkenden Mittvierziger – erwartet. Daneben steht ein Mann, braun gebrannt und mit einer kräftigen Postur ausgestattet. Aha, das muss wohl Pierre sein, denkt Charles und geht auf die Gruppe zu. Paul hat mit der Vorstellung begonnen und alle haben sich gegenseitig begrüßt. Jetzt begrüßt er Luc und stellt Pierre vor, den Direktor der meeresbiologischen Station. Nach diesen freundlichen Begrüßungen und belanglosen Satzfetzen gehen sie alle ins Haus hinein. Das Haus liegt in der oberen linken Ecke der Ummauerung. Es ist in die Ecke eingebaut, dreistöckig und ganz ähnlich ebenerdig scheint wiederum eine Art Gartensaal zu sein. In der Mitte befindet sich ein recht großes Zimmer oder sogar ein Saal. Zuoberst – in der dritten Etage – sind etwa zwei Zimmer mit Fenstern nach vorn. Nach hinten scheint es ebenfalls Zimmer zu haben. Darüber ist ein Walmdach mit roten Ziegeln ersichtlich, genau gleich wie beim Palais. Jetzt sind sie oben beim Haus angekommen. Da werden sie von Pia und von Renate, der Frau von Pierre, erwartet. Wiederum Begrüßungsworte. Dann kommt gleich die Aufforderung von Pia, man solle sich beim hinteren Tisch aufstellen und sich bedienen. Man könne auswählen. Der Aperitif sei bereit. Renate hätte ihr geholfen und den Aperitif dort aufgestellt. In ungezwungener Art steht man herum und betrachtet die Wände mit den Bildern. In der Ecke steht ein schöner alter Kachelofen. Man lässt sich von Paul die verschiedenen Sachen erklären. Fragen da, Fragen dort. Paul und Pia geben abwechselnd Antworten und Erklärungen ab. Eigentlich kennen die Gäste ja die Einrichtung schon. Sie waren ja schon einige Male eingeladen, aber es gibt immer wieder neue Sachen zu entdecken. Plötzlich fragt Luc seinen Freund Paul: „Du, Paul, ich habe das Gefühl, die ganze Geschichte mit dem Bischof sei ein Anachronismus.“ Paul schaut ihn verwundert an und sagt: „Inwiefern ein Anachronismus?“

„Ja“, meint Luc. „Es kommt mir so vor wie die alten Adeligen, die Fürstenhäuser, die Feudalherren, die haben doch das Volk regiert, manipuliert, und die mussten in den letzten 50 Jahren alle abdanken. Sie mussten sich zurückziehen, verloren ihre politische Macht und ihre sogenannten Untertanen, obwohl diese ja schon lange frei waren. Mir scheint, das geht in der Kirche genauso mit den Bischöfen. Auch sie werden in der nächsten Zeit zurücktreten müssen, beziehungsweise verlieren so oder so ihren Einfluss, und die Kirche selber ist doch ebenfalls in der Krise, wie ich gehört habe.“

Jetzt regt sich Widerstand. Pia und Charles wenden sich an Luc und machen einige kritische Bemerkungen und fragen, wie er darauf komme, dass die Kirche in der Krise sei. Im Gegenteil, es sei – und sie werden da auch von Claire unterstützt – eine neue Blüte festzustellen. Luc bemerkt, dass dies gar nichts so sei. Es gäbe keine Priester mehr. Er spreche nicht nur von der katholischen Kirche. Das Gleiche gelte für die evangelische und anglikanische Kirche. Auch in Amerika, bei den Baptisten, bei den Mormonen, überall sei ein Rückwärtstrend zu bemerken. Da erwidert Paul: „Da muss ich dich natürlich belehren. Es gab eine Zeit – diese liegt zwar bereits 50 bis 70 Jahre zurück –, da sah es aus Sicht der katholischen Kirche ziemlich arg aus. Damals gab es eine Überalterung des Klerus und ein Priestermangel war feststellbar. Da kam von der Basis die Forderung, man müsse etwas unternehmen, und zwar, man müsse das Priesteramt wieder attraktiver machen. Vor allem müsse man die Jungen nachziehen. Tatsächlich hat man begonnen, die Bischöfe jünger zu wählen. Wenn vorher das Durchschnittsalter meistens auf 65 bis 70 Jahre anzusetzen war, begann man Bischöfe mit Pfarrern unter 40 zu besetzen. In Einzelfällen wurden sogar unter 35-Jährige gewählt. Innerhalb von 10 Jahren konnte man so das Durchschnittsalter der Bischöfe auf unter 50-jährig herunterbringen. Diese jungen Bischöfe brachten neue Ideen ein und schlossen sich zusammen. Sie pflegten Aussprachen und diskutierten aktuelle Fragen miteinander. Sie begannen auch, sich überkonfessionell mit wichtigen Exponenten der evangelischen, anglikanischen Christen zu vernetzen, und so kamen Gruppierungen zusammen, die allgemeine religiöse Fragen diskutierten. Ebenfalls entstanden Gruppierungen, die vor allem junge und wissenschaftlich gut ausgebildete Persönlichkeiten umfassten. Dies wurde zu einem Erfolg. Innerhalb von 10 bis 15 Jahren hatte man die wichtigsten, brandneuen Fragen zur Diskussion gestellt. Als erste Priorität hatte man über die Homosexualität gesprochen, hatte das Verhältnis von Schwulen und Lesben zur Kirche hinterfragt. Mit Medizinern, Biologen und Psychologen wurde die Problematik dieser damaligen Randgruppen untersucht, und man hatte diese schließlich wieder in die Kirche aufgenommen. Man regelte dies individuell in den einzelnen Bistümern, und zwar im Sinne, dass man sie wieder zu Vollmitgliedern der Kirche machte (wenn sie das wollten). Als das bekannt wurde, sind sehr viele dieser Menschen in den Schoß der Kirche zurückgekommen. Gleichzeitig stellten diese fortschrittlich jungen Bischöfe die Forderung an den Papst, er solle das Durchschnittsalter der Kardinäle ebenfalls senken, d. h. in Zukunft nur noch Kardinäle unter sechzig Jahre beziehungsweise sogar unter fünfzig Jahre zu wählen. Ebenfalls solle eine Altersbeschränkung eingeführt werden, damit sie das Amt als Kardinal nach dem Alter 75 nicht mehr ausüben dürfen. Sie behielten zwar ihren Kardinalstatus, konnten aber zu den wichtigen Geschäften nichts mehr beifügen. Somit geschah es auch ganz natürlich, dass nach etwa vier Papstgenerationen ein neuer Papst gewählt wurde, der weniger als fünfzig Jahre alt war. Weil die Kardinäle auch jünger wurden, hatten sie ein ähnliches Gedankengut wie die jungen Bischöfe. So kam frischer Wind ins Papsttum, und viele alte Zöpfe wurden in den letzten zwanzig Jahren abgeschnitten. Der heutige Papst ist deshalb sehr fortschrittlich und ist mit dem Vorgehen der jungen Bischofsgruppierungen – insbesondere mit diesen überkonfessionellen Gruppierungen und Versammlungen – sehr einverstanden. So kamen noch weitere wichtige Dinge in Gang.“

Inzwischen hatte sich die ganze Gesellschaft zu Tisch begeben, der fein und schön aufgedeckt war und wo die Vorspeise serviert wurde. Man hört Paul ruhig zu und hat sich der Vorspeise angenommen. Fast unmerklich wurde diese aufgegessen. Einzig Paul kam nicht dazu, weil er immer sprechen musste. Nun schaltet sich Luc ins Gespräch ein: „Ja, du hast vorhin gesagt, die Homosexuellen seien aufgenommen worden, aber ich weiß doch, dass mit der Pädophilie der Priester ein großes Problem besteht und bestanden hat.“

Da sagt Paul, weil alles ruhig geworden ist: „Auf dieses Problem komme ich gleich zu sprechen.“

4. Renate und Pia folgen beim Essen den Diskussionen um Religionsfragen

Aus der Küche kommen nun Renate und Pia. Renate schiebt vor sich einen kleinen Servierboy her, auf dem Salatschüsseln stehen. Beim Tisch angekommen, beginnt sie, auf jedem Platz einen Salatteller hinzustellen. Pia schiebt einen größeren, schrankartigen Serviceboy. Dieser ist mit Schubladen bestückt, welche einzeln beheizbar sind. In acht Schubladen hat sie einen Teller mit asiatischen Nudeln und einem Mischgemüse eingestellt. Sie beginnt nun, diese Schubladen zu öffnen, die Teller herauszunehmen und ebenfalls auf den Tisch zu stellen. Paul räuspert sich kurz und meldet, dass der Weißwein – den sie eben zur Vorspeise getrunken hätten – eigentlich der Messwein des Bistums sei.

„Das bischöfliche Weingut ist ja bekanntlich das größte Weingut in unserer ganzen Gegend, und es wird hier für die ganze Diözese ein Weißwein produziert, der als Messwein überall benutzt wird. Das ganze übrige Weingut dient dem Anbau von Rotwein, und mir als Bischofsvikar steht ein Quantum Wein zur Verfügung. Ich halte ja mit den Dekanen monatlich eine Sitzung ab und lade sie bei dieser Gelegenheit auch zum Essen ein. Der Wein kommt übrigens auch bei sonstigen Anlässen – die vom Bistum organisiert werden – auf den Tisch. Für heute habe ich den Spitzenjahrgang 51 ausgelesen. Ich habe ihn heute Morgen, also etwa vor drei Stunden, dekantiert und will ihn gleich holen.“

Am Tisch widmet man sich jetzt dem Gemüseteller und pflegt eine lockere Unterhaltung. Die Frauen reden vor allem über ihre Kinder und die Männer sprechen über Tagespolitik. Paul kommt jetzt mit einer großen Karaffe, gefüllt mit Rotwein, an den Tisch. Er gießt jedem den unteren Teil des Glases voll und kommt nun wieder auf den Einwand von Luc zu sprechen: „Du hast vorhin die Problematik der Pädophilie angesprochen. Da kann ich dir versichern, die Pädophilie im Klerus wird seit einigen Jahren sehr scharf geahndet. Man hat die Fehlbaren vor die weltlichen Gerichte gebracht und hat sie rigoros vom Kirchendienst weggenommen. Einige haben sich geläutert und gebessert und versprochen, die Arbeit weiterzuführen, aber man hat sie meistens in der Administration eingesetzt. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Ausmerzung der Pädophilie war die Frauenordination. Aber da kann euch Pia besser Auskunft geben.“

Luc hat nun einen fragenden Blick und meint: „Ja, aber das Zölibat ist doch auch noch ein Grund dafür, dass diese Pädophilie grassierte?“

„Ja“, erwidert Paul. „Das war mit ein Grund, aber das Zölibat wurde natürlich wesentlich gelockert und jetzt bitte, Pia, kannst du auf diese Punkte eingehen?“

Allgemein hat man sich wieder gesetzt und ist aufmerksam und hörwillig beim Essen.

„Das Zölibat“, beginnt nun Pia, „ist aufgelockert worden. Es kann jeder geweihte Priester heiraten. Allerdings ist es begrenzt in der Hierarchie. Bis zum Pfarrer haben alle die Möglichkeit, sich zu verheiraten. Wer sich entschließt oder wünscht, weiter in der Hierarchie aufzusteigen, der muss auf eine Heirat verzichten. Wir halten es wie bei anderen christlichen Religionen heute so, dass die Prälaten – d. h. Propst, Bischof, Kardinäle – unverheiratet sein müssen. Das hat sich insofern bewährt, als man die Möglichkeit gewährte, dass auch Frauen zu Priesterinnen geweiht werden konnten. Heute sind – im Theologiestudium – beinahe 70 % aller Studenten Frauen. Die Männer machen also nur noch die Minderheit aus. Wie an allen Universitäten – wo Frauen und Männer studieren – hat sich dies auch in der theologischen Fakultät bewährt. Die Frauen haben eine besondere Note gebracht; man geht lockerer miteinander um. Früher waren die jungen Männer im Seminar beinahe klösterlich abgeschlossen und wurden eigentlich der Welt entfremdet. Gleichzeitig kam eine Art Scheu vor den Frauen auf, und das wurde noch von den Lehrern, von den Professoren gefördert. Man gab Verhaltensweisen, wie man sich gegenüber Frauen als Pfarrer verhalten müsse. Es gab früher eine Regel: Wenn du als Pfarrer mit einer Frau verhandelst, achte darauf, dass du nicht mit ihr allein in einem Zimmer bist. Falls unvermeidlich, sollte ein Möbelstück zwischen dir und der Frau stehen.“

Die ganze Gesellschaft lacht und Pia fährt fort: „Es war Tatsache, erscheint uns aber aus der heutigen Situation lächerlich. Nun hat man also die Frauenordination eingeführt: Frauen können heute geweihte Priesterinnen werden und sie können alle Funktionen der männlichen Geistlichen übernehmen. Es gibt heute im Bistum schon mehr Frauen als Pfarrerinnen und Pfarreileiterinnen als Männer. Die Frauen sind in der Regel mehrheitlich ledig. Es ist sicher auch so, dass eine recht große Zahl Lesbierinnen sich zum Theologiestudium hingezogen fühlt. Andere haben geheiratet, und zwar eigentlich häufig einen männlichen Kollegen. Vielleicht übt die Frau ihren Beruf nicht mehr aus, weil sie Kinder hat. Oder sie können sich als Paar zwei, drei, vier oder im Extremfall fünf Pfarreien teilen. So können sie sich organisieren und abwechslungsweise die verschiedenen Pfarreimitglieder betreuen und den kirchlichen Dienst aufrechterhalten. Meistens kommt es zu Fusionen zwischen einzelnen Pfarreien, was die Arbeit sehr erleichtert.“

Charles will jetzt wissen, ob unverheiratete Pfarrerinnen auch die Möglichkeit hätten, nach oben in der Hierarchie zu steigen, gar Bischof zu werden.

„Ja“, erwidert nun Paul. „Es sind Gespräche im Gange, und zwar eigentlich schon seit einigen Jahren. Man prüft, ob unverheiratete Pfarrerinnen auch wirklich in der Hierarchie aufsteigen können. Ich denke, das ist eine Frage der Zeit. Vermutlich wird das auch noch kommen.“

Inzwischen ist Pia in die Küche gegangen und kommt jetzt mit ihrem Schubladenservierboy in den Saal und bringt den zweiten Teil des Hauptganges, wieder auf die Teller verteilt, und sagt, es sei ein Schmorbraten mit Bratkartoffeln und einem anderen Mischgemüse. Sie wünsche guten Appetit und ihr Mann und sie hofften, dass es allen munden möge. Man hat sich wieder mit Small Talk beschäftigt, und jetzt beginnt Paul wieder – nachdem er dem einen oder anderen noch Wein nachgeschenkt hat –, das Thema Religion aufzunehmen: „Alle diese Neuerungen sind eigentlich in den letzten 20 Jahren sukzessive in die Kirche hineingewachsen. Auch andere Religionen, christliche und nicht christliche, hatten im Grunde genommen dieselben Probleme zu bewältigen. Es gab eine gewaltige Flucht aus der Kirche – vor etwa sechzig bis siebzig Jahren –, und die hat eigentlich jahrelang angehalten. Man hat diesen Exodus aus der Kirche interkonfessionell besprochen. Man hat Gründe gesucht, weshalb die Pfarreimitglieder sich von den Gemeinschaften abwandten und traf dann entsprechende Maßnahmen. So stellte man fest, sobald Frauen in den Kirchendienst aufgenommen wurden und insbesondere als sie geweiht werden konnten, sind die weggelaufenen Christen wiedergekommen. Vor allem junge Leute, junge Ehepaare, die irgendwie nach Antworten suchten und einen Halt haben wollten in der unsicheren Weltlage, kamen wieder in den Schoß der Kirche. So vergrößerte sich die Zahl der Gläubigen wieder stark. Man kann zwar nicht sagen, dass sie alle wieder katholisch, reformiert oder jüdisch wurden. Viele sind einfach aus Sympathie bei einer Gruppierung dabei, aber leben ein bisschen eine eigene Religion. Viele junge Leute brachten dann ihre Kinder wieder in die Kirche und ließen sie taufen und religiös aufziehen. Es gab wieder den Religionsunterricht, allerdings in der Schule war er im Geschichtsunterricht – als Religionswissenschaft – untergebracht. Den spezifischen Religionsunterricht für einzelne Religionsgemeinschaften führt heute selbstverständlich wieder ein Pfarrer oder eine Pfarrerin durch. Allerdings stehen dafür heute wieder meistens Katecheten oder Katechetinnen zur Verfügung, wie auch Pia als Katechetin unterrichtet. Durch diese Neuzuzügler oder Wiederzuzügler hat sich das Verhältnis unter den einzelnen Religionsgemeinschaften sehr gelockert. Heute verfügen wir über Verbindungen mit den anderen christlichen Gemeinschaften in sehr engen Rahmen, aber auch mit Juden, mit Mohammedanern und sogar mit fernöstlichen Gemeinschaften pflegen wir Kontakte. Dies wirkt sich auf das religiöse Leben der ganzen Menschheit sehr positiv aus.“

„Das ist schön und gut“, meint nun Luc. „Du hast mich in einigen Punkten sehr überzeugt. Aber das sind doch im Grunde genommen allgemein gesellschaftliche Fragen, die hier behandelt werden. Es würde mich reizen, einmal mit dir über tiefgründige Fragen, über wesentliche theologische Probleme zu reden. Wie du weißt, bin ich Agnostiker. Wenn wir einmal so streiten könnten, würde mich das freuen.“

Paul lacht und sagt, er sei einverstanden. Da seien aber einfach zwei Personen mit grundverschiedenen Meinungen. So käme man nicht weiter. Er fügt deshalb hinzu: „Ich würde dir vorschlagen, dass wir noch einen Philosophen einladen und vielleicht noch einen Naturwissenschaftler.“ Luc gibt sich damit einverstanden. Sofort meldet sich Charles: „Ja, ich wäre auch gern dabei, als Naturwissenschaftler.“ Paul findet dies eine gute Idee und verspricht, noch einen Philosophen zu finden. Luc hält dieses Vorgehen aber für parteiisch, und er schlägt vor, dass er den fehlenden Philosophen sucht. Die anderen beiden sind einverstanden, und sie versprechen sich, auf dieses Thema zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen.

Die Unterhaltung geht munter weiter. Man lobt das feine Essen, man rühmt den Wein und spart nicht mit Komplimenten an die Köchin. Diese bietet noch mehr Schmorbraten und Kartoffeln an. Einige sagen zustimmend Ja und melden noch ihre Wünsche an: von dem ein bisschen mehr, von dem ein bisschen weniger. Einer der Männer, Pierre, fragt, ob er anstelle der Bratkartoffeln Nudeln haben könnte. Dies wird bejaht, und nach ein, zwei Minuten kommt Pia mit den gewünschten Tellern herein. So geht das Mittagessen langsam dem Ende zu. Jetzt wird abgeräumt, und es kommt gleich das Dessert auf den Tisch. In lockerer Unterhaltung in verschiedenen Gruppierungen genießen sie das Dessert. Einzelne Fragen werden noch zum Haus und zu dessen Einteilung gestellt. Schließlich mahnt Paul, dass sie sich bereit machen sollen. Man sei beim Bischof drüben im Palais zum Kaffee eingeladen. Seine Aufforderung findet Zustimmung, und langsam wendet sich die ganze Gesellschaft – außer Pia und Yvonne – zum Saalausgang Richtung Bischofspalais.

5. Gang zum Bischof

Paul empfiehlt, einen Mantel mitzunehmen, man gehe später noch in den Keller. Nun gehen alle auf den Gang hinaus. Links draußen befindet sich gleich eine Tür mit der Anschrift „Sitzungszimmer“. Die zweite Tür heißt „Bibliothek“ und die dritte Tür ist mit „Bibliotheksarchiv“ angeschrieben. Paul erklärt kurz, dass das erste Zimmer sein Büro sei und im zweiten Zimmer sei ein Angestellter und im dritten Zimmer sei der Archivar tätig. Nun gehen sie weiter und gelangen zum Bischofspalais.

Vor dem Palais nimmt Paul sein Handy hervor, drückt zwei, drei Tasten und sagt dann: „Wir sind hier vor der Tür … ja gut … sofort … Dankeschön.“ Jetzt weist Paul noch mit dem Finger nach unten und sagt: „Hier unterhalb befindet sich noch einmal ein gleich großes Zimmer wie oben und das ist auch Archiv. In diesem Archiv, das eigentlich das Bistumsarchiv ist, arbeitet unser Bibliothekar. Das ist ein ausgewiesener Spezialist, und zeitweise arbeitet er auch auf der anderen Seite des Hauses. Dort befindet sich das Bischofsarchiv. Auf dieser Seite ist das Bistum zuständig, und diese Dokumente liegen in meinem Verantwortungsbereich.“ Jetzt hört man, wie sich ein Schlüssel dreht, und die Tür zum Saal öffnet sich. Dahinter steht der Bischof. Die Besucher sind erstaunt, denn sie erwarteten einen Mann im Bischofstalar. Dem ist aber nicht so. Der Bischof ist mit Jeans und einem Rollkragenpullover bekleidet. Er wünscht den Besucher einen guten Tag, bittet sie in den Saal und lässt sich die Gesellschaft von Paul vorstellen. Paul stellt zuerst Luc Coglier vor und erklärt dem Bischof, dass dieser Professor der Chemie an der Universität und Stiftungsrat der Stiftung Hangstadt sei. Der Bischof denkt kurz nach und sagt: „Ach so, Sie sind in der Chemie tätig. Wie viele Professoren gibt es jetzt an der Universität für Chemie?“

Luc erwidert, sechs oder sieben Ordinarii und vier oder fünf Gastprofessoren, die eine oder zwei Vorlesungen hielten. „So“, sagt der Bischof und lächelt, „ich komme später noch auf den Stiftungsrat zurück. Wir sind ja eigentlich Nachbarn.“

Luc fügt beiläufig an: „Ja, ich glaube, mit Bezug auf die Weingüter.“

„Ja“, sagt der Bischof und richtet seinen Blick auf Pierre. Paul stellt ihn vor: „Pierre Meunier und seine Frau, Renate Meunier.“

Der Bischof schaut sie an: „Sehr erfreut. Wie ich sehe, sind Sie Nordafrikanerin?“

„Ja“, sagt Renate. „Ich bin eine Targi. Ich wurde mit acht Jahren zu meiner Tante in die Hauptstadt gebracht, nach Algier. Sie zog mich auf, und zwar modern und katholisch. Ich habe in der Folge dann alle Schulen in Algier besucht.“

Pierre wird nun ebenfalls dem Bischof vorgestellt: „Der Direktor des meeresbiologischen Instituts und Leiter der Abteilung Meeresbiologie an der Universität.“

Der Bischof kennt die Arbeit des Direktors und sagt: „Ich habe Ihren letzten Bericht über das Mittelmeer gelesen. Er hat mich sehr beeindruckt. Immerhin erfreulich, dass es sich wieder so gut entwickelt hat.“ Pierre erwidert: „Ja, wir sind zufrieden, einigermaßen. Es gibt noch viel zu tun.“ Und jetzt sieht Paul Charles und den Bischof an und sagt: „Das ist ebenfalls ein Professor an der Universität. Er ist Biologe, und seine Frau, Claire, arbeitet Teilzeit am Spital. Sie ist Dialysefachfrau.“

Der Bischof denkt ein bisschen nach und sagt dann: „Wenn ich mich recht besinne, sind Sie der Ameisenspezialist, Herr Professor?“

Charles bestätigt dies. Nun bittet der Bischof die Gesellschaft zu Tisch: „So, meine Herrschaften, wir gehen zu Tisch. Wir haben hier auf der Seite vier Tische aufgestellt, im Quadrat, und mittendrin sind die Kaffeemaschinen ausgestellt. Sie können sich selber bedienen. Die Tassen und Zutaten stehen auf dem Tisch. Bitte greifen Sie zu; probieren Sie insbesondere das Gebäck aus der Bischofsbäckerei.“

Alle begeben sich zu Tisch. In der Mitte stehen zwei Kaffeemaschinen mit zwei Ausgüssen hinten und vorn und relativ großen Wasserbehältern, sodass für jeden genügend Kaffee vorhanden ist. Luc sitzt oben beim Bischof und er fängt gleich an: „Sie haben vorhin gesagt, dass wir Nachbarn seien.“

„Richtig“, bestätigt der Bischof. „Wie Sie wissen, sind wir – d. h. das Bistum – der größte Weingutbesitzer in der ganzen Region.“

Das bestätigt Luc und er sagt: „Ich weiß, eines unserer Weingüter grenzt an Ihre Besitzungen. Unsere Stiftung Hangstadt gehört etwa zu den zweit- oder drittgrößten Weingutbesitzern. Allerdings haben wir erst vor 12 Jahren diese Weingüter in der ganzen Gegend aufgekauft. Immer wieder ergab sich eine Gelegenheit, etwas dazuzukaufen. Dies hat uns schließlich zu diesem großen Weinunternehmen gemacht.“

Der Bischof bestätigt, dass sie der größte Weingutbesitzer seien, allerdings hätten sie bereits vor Jahrhunderten mit dem Wein begonnen, und im Laufe der Zeit habe das Gut immer wieder wegen Stiftungen, wegen Testamentsüberweisungen, wegen Schenkungen und auch hin und wieder wegen Ankäufen an Größe gewonnen. Er erklärt: „Heute machen wir in einem kleinen Gut den Weißwein, und das ist zugleich der Messwein für das ganze Bistum. Die einzelnen Pfarreien haben die Möglichkeit, diesen Weißwein billig zu kaufen. Auch bei uns wird er als Messwein benutzt. Dieser Weißwein wird nicht verkauft. Hingegen beim Rotwein haben wir, nach Abzug des Eigengebrauchs, eine große Menge zur Verfügung. Deshalb werden etwa sechzig bis siebzig Prozent unserer Rotweinproduktion verkauft. Unsere Kunden sind in ganz Europa. Zum Teil liefern wir aber auch in die USA und sogar bis nach China. Vor allem die roten Spitzenweine sind im Ausland sehr beliebt.“

Plötzlich fragt nun Charles den Bischof, was mit der Bischofsbäckerei passieren würde? Ob diese Bäckerei dem Bischof gehöre, ob er noch andere Handwerker in seinem Dienst habe und wie es sich mit weiteren Wirtschaftsbetrieben in der Altstadt verhalte.

Der Bischof winkt ab und meint: „Die Bäckerei ist noch das einzige Haus, welches dem Bischof gehört. Der Bäcker arbeitet auf eigene Kosten. Er zahlt dem Bischof einen Zins. Aber verkauft seine Ware den Leuten in der Umgebung und einen sehr großen Teil auch hier dem Bischof und seinen Leuten. Insbesondere ist er vertraglich verpflichtet, die Hostien für das ganze Bistum herzustellen. Das ist schon ein Erwerbsteil, das dem Bäcker ein Drittel oder Viertel seines Einkommens gewährt. Die übrigen Handwerker waren früher ebenfalls dem Bischof untertan. Der Bischof hat die in seinem Dienst gehalten, wie Wagenschmiede, Drogisten, Sattler und noch andere Dienstzweige, wie etwa Bankgeschäfte oder angebliche Bankgeschäfte wie Bankmänner, die den Bischof beraten und das Geld verwalten mussten. Das hat sich aber alles geändert. Die Häuser wurden verkauft. Meistens haben sie die Betreiber selber gekauft oder es kamen Fremde aus der Umgebung aus der stets wachsenden Stadt Perpignan oder deren Umgebung. Diese Leute haben den Handel mit dem Bischof abgeschlossen. Heute steht, wie gesagt, nur noch der Bäcker in einem vertragsmäßigen Verhältnis zum Bischof.“

Renate möchte jetzt wissen, warum hier alles so sauber und neu erscheinen würde. Es sei ihr vorgekommen, als sie an das Gebäude herantraten, als würde man ein neues Schloss betreten. Alles sei so herausgeputzt.