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Vor Jahrhunderten wüteten Kreaturen auf dem Kontinent, die so schrecklich waren, dass man sie nur als Dämonen bezeichnete. Elfen, Tiermenschen und die anderen Völker wurden überrannt. Nur ein geringer Teil der Menschen konnte sich auf eine abgeschiedene Insel namens Zufest retten. Doch in der 200 Jahre andauernden Abgeschiedenheit ihrer Zuflucht fingen die Menschen an, die Gefahr zu vergessen oder sie nicht mehr ernst zu nehmen. Dies sollte sich bald rächen. Markus und Misaki, zwei Kinder aus dem Waisenhaus mit wenig Perspektiven für ihre Zukunft, finden sich eines Tages mitten in dem wiederauferstandenen Albtraum wieder. Mit weniger Gnade denn je rollen die Horden der Dämonen über die Menschen her. Ein Kampf um das Überleben hat nun begonnen. Für Fans von Fantasy bis Dark-Fantasy
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Daniel, der immer einen Tipp hatte, Felix für seine Unterstützung, Erik für seine Konzeptzeichnungen und Domenic, der in einer schwierigen Zeit da war.
Prolog:
Mögen die Heiligen uns verzeihen
Kapitel 1:
Nachtgeschichte
Kapitel 2:
Ein Geschenk und das Grauen
Kapitel 3:
Ankunft am Kaiserwall
Sonderkapitel 1
Kapitel 4:
Eine neue Heimat und der Boden ist weg
Kapitel 5:
Das war es mit uns
Kapitel 6:
Ein neues Leben
Kapitel 7:
Das Fürstentum Steinmark und der Burgfürst
Sonderkapitel 2
Kapitel 8:
Der Fremde im Wald und die Stimme
Kapitel 9:
Die Nachricht und ein Angriff
Kapitel 10:
Eine Händlerin und willkommenen der Familie des Fürsten
Sonderkapitel 3
Kapitel 11:
Geruch nach Fleisch
Kapitel 12:
Die Stimme und der Bestienhalter
Sonderkapitel 4
Kapitel 13:
Der Meister und das Erwachen
Kapitel 14:
Macht euch bereit
Kapitel 15:
Eine Warnung und der Orden Nestic
Überall war Feuer. Wo man auch hinschaute, fraßen sich die hungrigen Flammen durch alles und jeden, der nicht mehr fliehen konnte. Der Himmel war mit einem so tiefen Rot gefärbt, dass er zu brennen schien. Hinter der Wand aus lodernder Zerstörung konnte man die Umrisse dieser abartigen Kreaturen erahnen.
Sie kamen immer näher und näher, und langsam konnte man durch die Feuerwand ihr wahnsinniges Grinsen sehen. Tausende Fliehende rannten über die alte Felsformation, die einen Weg übers Meer in Richtung der letzten verbliebenen Zuflucht bildete.
Hunderte von Schiffen segelten zeitgleich an der Formation entlang, mit demselben Reiseziel. Doch die See wurde immer rauer. Die von schieren Massen an Seelen, die ihre Rettung auf diesen Schiffen sahen, überladenen Schiffen kenterten oder wurden von den Wellen verschluckt.
„Männer, haltet stand!“
Ein weißes Pferd schoss aus der Menge und dessen Reiter wandte sich an die letzten verbliebenen Ritter und Soldaten, die zitternd am Anfang der Felsenbrücke standen und diese Position halten sollten, bis der Rest ihres Volkes es übers Meer geschafft hatte.
„Wir sind die letzte Verteidigungslinie zwischen der Auslöschung unseres Volkes oder dessen Fortbestand. Ich werde bis zum Ende an eurer Seite stehen, kämpfen und – wenn es sein muss – fallen!“
Das Angstzittern der Männer hörte auf, als sie den Worten ihres Heerführers lauschten:
„An diesen Tag wird sich die von uns gerettete Generation erinnern. Wie wir den Feind aufhielten und somit alle retteten. Ab heute seid ihr Helden, und nach dem Kampf werden wir an der Tafel der Heiligen speisen!“
Die Flammen spiegelten sich in seiner Klinge, die er gezogen hatte, und färbten diese tiefrot, als Vorzeichen dafür, wie es für ihn enden sollte.
Von den Worten angespornt, fingen die Verteidiger an, auf ihre Schilde zu klopfen und zu brüllen.
Die erste Schar an Kreaturen kam nun aus ihrer Feuerwand hervor und lief auf die Verteidigungslinie zu.
„Speere vor – Bogenschützen, lasst es regnen!“
Doch der vom Meer kommende, immer stärker werdende Sturm wehte die Pfeile regelrecht weg.
„Selbst das Wetter hat sich gegen uns verschworen. ANGRIFF!!!“
„Mama, ich kann nicht mehr!“
„Keine Sorge, Schatz. Wir sind bald in Sicherheit.“
Die Wellen peitschten gegen die Felsbrücke und schleuderten die Ersten beinahe ins Meer. Aber das war nicht die einzige Gefahr. Alle hatten Angst, und die, die zu langsam oder am Ende ihrer Kräfte waren, wurden entweder niedergetrampelt oder von der schieren Masse ins Meer gestoßen.
„Siehst du, mein Schatz? Da ist das Tor. Wir sind gleich da.“
Mit letzter Kraft nahm sie ihre Tochter hoch und trug sie auf ihrer Hüfte.
Jeder ihrer Muskeln brannte vor Schmerz. Jede Faser schrie, dass es nicht mehr weitergeht und ihr Körper am Ende war. Seit zwei Stunden wurde sie mit ihrer Tochter von der Masse über die Brücke weiter nach vorne gespült.
Aber nun war das Ziel beinahe zum Greifen nah. Sie blickte noch mal zurück. Die Küste war kaum noch zu sehen, nur noch das Feuer, und der Geruch nach verbranntem Holz und Fleisch wehte weiterhin von der Küste in ihre Richtung.
Ein lauter Aufschrei war aus Richtung des Tors zu hören.
Als sie sich umdrehte, traute sie ihren Augen kaum.
Die Zugbrücke wurde nach oben gezogen und das Fallgitter fiel scheppernd nach unten.
„Hauptmann, da draußen sind noch Tausende Kinder, Frauen und Soldaten! Wir können sie nicht vor den Toren lassen!“
Ein groß gewachsener Mann mit langem weißem Bart und einer zerrissenen, verbeulten Rüstung drehte sich zu den Stimmen um. Es waren die letzten Flüchtlinge, die gerade das Tor passiert hatten und nun zuschauen mussten, wie es verschlossen wurde.
Auf seiner rechten Hand saß ein Rabe, und in der linken Hand hielt er eine blutverschmierte Nachricht. „Das ist eine Nachricht von Heerführer Robert. Seine Linie ist durchbrochen, sie können den Feind nicht weiter aufhalten. Seine Majestät hat befohlen, wir sollen das Tor verschließen, wenn dies passiert, sonst könnte es sein, dass der Feind auch hier durchbricht, während wir weiterhin versuchen, alle Flüchtlinge durchzulassen.“
Mit einem lauten Knall schloss sich das Tor wie zur Bestätigung seiner Worte.
„Macht die Katapulte bereit! Auf Befehl des Kaisers wird die Brücke zerstört.“
Geschockt blickten die Wachen hinterm Tor zu ihrem Hauptmann auf.
„Habt ihr was an den Ohren? Wenn dieses Tor fällt, wird das den Untergang unserer Art bedeuten, also macht schon!“
Stück für Stück lösten sich die Männer aus ihrer Starre und spannten die Katapulte.
„Auf meinen Befehl! Mögen die Heiligen uns verzeihen. Los!“
In dem Moment, als der Hauptmann seine Hand niedersausen ließ, schossen die gewaltigen Steinbrocken über die Mauer auf die Brücke zu.
„Ihr verdammten Bestien!“
Robert sackte auf seinen Knien zu Boden. Sein linker Arm fühlte sich taub an, und es kostete ihn immense Kraft, im Unwetter klar zu sehen. Der Sturm hatte sich gedreht. Anstatt dass der Wind weiter vom Meer ausging, wehte er nun durch die brennende Stadt und schickte Hitze und Asche in die Lungen der Verteidiger und raubte ihnen die Luft zum Atmen.
Ein Großteil seiner Truppen, die ihm nach seiner Rede mit Mut in den Kampf gefolgt waren, lag tot am Boden und ihre Körper wurden zu einem üppigen Mahl für die Bestien.
Der bis vor Kurzem ohrenbetäubende Kampflärm ebbte ab und wurde durch das Knacken der leblosen Körper abgelöst, als sich die Angreifer über sie hermachten.
Nach einem Blick über seine Schulter sah er die noch immer volle Brücke und wie die ersten Kreaturen über die letzten Ritter rannten und über die wehrlosen Flüchtlinge herfallen wollten.
„Stör, komm her!“
Vom Kadaver seines toten Reittiers löste sich ein Rabe und landete vor ihm.
Mit zitternden Fingern schrieb Robert seine letzten Worte auf und schleuderte seinen fliegenden Freund in die Lüfte. „Flieg, mein Freund! Flieg, so schnell wie du kannst!“
Schwere Schritte ertönten hinter seinem Rücken und eine mächtige Pranke hob ihn in die Luft.
Robert drehte seinen vor Schmerzen und Blutverlust tauben Körper herum und blickte dieser Abscheulichkeit direkt in ihr abartiges, herablassendes, grinsendes Gesicht.
Ist das die Strafe für unsere Taten? Nein, so darf ich nicht denken. Nimm das, du Scheißvieh!
Mit einem letzten verzweifelten Schwung seines Arms holte er mit dem Schwert aus und hieb damit in Richtung seines Angreifers.
„Unterschätze uns nicht!“
Ein starker Schmerz zog durch seinen Körper und das Schwert fiel zu Boden.
„Ahhh!“
Die Kreatur hatte ihm einfach den Arm abgebissen und nuckelte an ihm, wie ein Kind an einem Schnuller.
Das war es also… Vor ihm konnte er noch die verschwommenen Konturen der brennenden Hauptstadt sehen.
Hinter sich hörte er Schreie und das Kollabieren der Brücke, auf dem die Reste seines Volks versuchten zu fliehen, bevor alles leise und endgültig dunkel vor ihm wurde.
Vom Ende der Flüchtlingsschlange drangen Rufe an die Ohren der Flüchtlinge, die weiter vorne waren. „Sie sind hier!“
Panik stieg in den Fliehenden auf, und manche sprangen in die tobenden Fluten. Dies schien ihnen ein angenehmeres Ende zu sein, als abgeschlachtet und gefressen zu werden. Doch das war ein Irrtum.
Die Fluten schlugen sie gegen die Wände der Brücke und spalteten ihre Köpfe wie die Waffen ihrer Angreifer, und diejenigen, die nicht gegen die Mauern gespült wurden, fanden ihren Tod in der Tiefe.
„Mama, was ist das?“
Große Schatten flogen über das Tor in Richtung der Flüchtenden.
„Bei den Heiligen, die Soldaten helfen uns!“
Zuerst kam die Hoffnung auf, dass die Gesteinsbrocken für die nahende Gefahr bestimmt waren, doch schnell wurde allen klar, dass die Brücke einstürzte.
Gesteinsbrocken schlugen mitten in den Flüchtlingsstrom, der die Brücke bereits seit Wochen flutete, ein.
„Sie wollen die Brücke zerstören!“
„Ich habe Angst.“ Weinend drückte das Kind sein Gesicht gegen die Schulter seiner Mutter.
„Alles wird gut. Wir sehen deinen Papa bald wieder.“
Mit einem Beben zerbrachen die ersten Teile der Brücke, und die Ersten stürzten bereits wie Lemminge in die tiefschwarzen Wellen.
„Ich bin bei dir, mein Kind!“, rief die Mutter, so laut sie konnte, hoffend, dass dieses es durch die Angstschreie der anderen hören konnte, bevor auch unter ihnen der Boden wegbrach und sie in den nassen Tod stürzten.
„Zweihundert Jahre ist es her, dass unsere Vorfahren den Kontinent verlassen und hier auf der Insel Zufest eine neue Heimat erbaut haben.“
Im Hintergrund knisterte das Feuer im Kamin und warf seine Schatten über die aufmerksam lauschenden Gesichter der im Halbkreis sitzenden Kinder.
„Und seit wir hier leben, wurden wir auch nie von den Dämonen angegriffen.“
Die Erzählerin, eine ältere Frau mit weißem Haar und tiefen Falten im Gesicht, lehnte sich im Stuhl zurück und blickte verträumt ins Feuer. „Doch eines Tages werden wir wieder in unsere Heimat zurückkehren, davon bin ich überzeugt.“
„Mutter Madrilene, was ist eigentlich mit den anderen Völkern auf dem Festland passiert, die keine Insel wie wir hatten, auf die sie hätten fliehen können?“
„Mhm, wahrscheinlich wurden sie ausgelöscht und gefressen.“
„Woher kamen diese Dämonen? Und warum hat bisher keiner versucht, die alte Heimat zurückzuerobern?“
Die ältere Dame musterte den wissbegierigen Jungen. Er war etwa dreizehn Jahre alt, hatte braunes Haar und grüne Augen, die bei jeder Frage regelrecht aufleuchteten.
„Darauf kann ich dir keine Antwort geben“, antwortete Madrilene. „Eines Tages kamen diese Kreaturen und griffen die Menschen, Elfen, Zwerge und die anderen Völker an. Kurz nach dem Angriff haben wir Menschen den Kontakt zu den anderen Völkern verloren und wir mussten uns der feindlichen Übermacht ergeben und fliehen.“
„Ich wäre niemals geflohen, die waren früher einfach nur feige – aua!“
Madrilene tätschelte mit der Hand seinen Kopf.
„Markus, du weißt nicht, wie furchteinflößend und stark diese Monster sind.“
„Nein, woher denn auch? Wir verstecken uns ja seit über zweihundert Jahren auf dieser Insel. Keiner hat sie seitdem gesehen, aber jeder fürchtet sich.“
„Ach, mein kleiner mutiger Krieger. Wer weiß?
Wenn du erwachsen bist, dann entscheidet der Kaiser vielleicht, auf das Festland Arkum zu gehen und das, was einst uns gehört hat, zurückzuerobern.
Aber bis dahin hilfst du mir, die anderen ins Bett zu bringen.“
Neben Markus waren alle anderen Kinder schon eingeschlafen und hatten sich wie eine Gruppe von Welpen zusammengerollt, als wären sie so vor den Monstern in den Erzählungen geschützt.
Ein leises Knistern klang aus dem Kamin und eine verschwommene Silhouette im Feuer schien Markus nun beim Schlafen zu beobachten.
Die Sonne stand hoch am Himmel und die leichten Windbrisen brachten eine angenehme Abkühlung mit sich. Mit jedem Windstoß tanzten die kräftig grün stehenden Grashalme und kitzelten Markus an den Beinen und Armen, während er sich auf dem kleinen Hügel ausruhte.
Heute war sein Geburtstag, und weil der Unterricht bei Mutter Madrilene im Waisenheim sowieso ausfiel und keine Arbeit anstand, konnte Markus den Tag genießen und einmal entspannen.
Eine weitere kleine Bö tänzelte über die Wiese und brachte den Geruch des Grases und der Natur mit sich – und etwas anderes war dabei, etwas Süßliches.
Markus reckte seine Nase in den Himmel und drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der der Geruch kam. Direkt vor ihm, keine zwanzig Zentimeter entfernt, saß ein schwarzhaariges Mädchen mit tiefen dunkelbraunen Augen und heller Haut. In ihrem Schoß war ein Korb, aus dem der verführerische Duft wehte.
„Misaki? Woher kommst du denn auf einmal?“
„Ich bin schon eine Weile hier, ich wollte dich nicht wecken. Ich habe dir etwas zum Geburtstag mitgebracht.“
Aus dem Korb fischte Misaki ein kleines Gebäckstück heraus.
„Das habe ich dir gebacken, neben der Arbeit … Ich hoffe, es schmeckt dir.“ Verlegen schaute sie nach unten und reichte Markus die kleine süße Verlockung.
Wie lange war es her, dass es so etwas gab? In letzter Zeit gab es nicht viel Süßes, was man sich als Kind in einem Waisenheim hätte leisten können. Obwohl fast jedes Kind neben dem Unterricht bei Mutter Madrilene auch noch arbeiten musste.
Misaki hatte es geschafft, in einer kleinen Backstube am Markt einen Platz zu bekommen.
Markus, der schon immer davon geträumt hatte, ein Ritter in der Garde des Kaisers zu werden, hatte einen kleinen Posten bei der Stadtwache ergattert. Das bedeutete hinter den Wächtern her zu putzen, weil die den ganzen Tag lang soffen.
Mit einem leichten Kopfschütteln vertrieb er diese Gedanken und biss von der Leckerei ab. In den süßlichen Geschmack mischte sich etwas Fruchtiges … Apfel. Alles war perfekt aufeinander abgestimmt.
„Misaki, das ist wundervoll!“
„Ehrlich? Das freut mich.“
Ihr sonst so helles, beinahe schneeweißes Gesicht bekam eine Rötung an den Wangen. Entweder war es die Freude über das Kompliment oder die Peinlichkeit darüber, dass ihr beim Anblick ihrer Arbeit nun selbst der Magen knurrte.
„Hier, die andere Hälfte ist für dich. Ich sehe doch, wie hungrig du bist.“
„Das ist doch dein Geburtstagsgeschenk! Aber wenn du mir etwas anbietest, wäre es nicht gut, dir als Geburtstagskind deinen Wunsch auszuschlagen.“
Die Sonne zog ein kleines Stückchen weiter und somit spendeten die Hecken und der kleine Baum in Markus’ Rücken ausreichend Schatten. Die beiden setzten sich im Schneidersitz nebeneinander, Schulter an Schulter, und knabberten wie ein Eichhörnchen an einer Nuss im süßen Gebäckstück.
„Du bist jetzt vierzehn Jahre alt geworden. Das bedeutet, dass du nächstes Jahr das Waisenhaus verlassen musst, weil du zu alt bist.“
„Nicht nur ich. Du hast doch morgen auch Geburtstag und wirst vierzehn.“
Dabei fiel Markus ein, dass er noch kein Geschenk für Misaki hatte.
„Willst du immer noch in die Armee eintreten?“
Misaki schaute betrübt auf den Boden. Jeder, der in die Armee eintrat, war mindestens ein Jahr zur Ausbildung fort.
„Es gibt ja keine Feinde auf der Insel, und um Diebe und Wegelagerer kümmert sich die Stadtwache.“
„Aber ich will die Insel verlassen“, sagte Markus entschlossen. „Der Kaiser will in den nächsten Jahren eine Expedition auf das Festland schicken und ich will – nein,
ich muss dabei sein. Mein ganzes Leben lang nur auf einer Insel zu leben, könnte ich nicht. In den Geschichten von Mutter Madrilene war die Rede von gewaltigen Wäldern, von Gebieten, die nur aus Sand bestehen oder aus Sümpfen, und vieles mehr.“
„Aber dort draußen ist es gefährlich!“
„Na und, sollen wir uns weiterhin wie Futtervieh auf der Insel einsperren lassen?“
„Du bist so ein Idiot! Was ist an der Insel denn so schlecht? Denk doch auch mal an die, denen du am Herzen liegst.“ Mit einem kräftigen Sprung erhob sich Misaki und lief den Hang hinunter Richtung Markt.
„Warte doch, was hast du denn auf einmal?“ Jetzt war nicht nur Misaki weg, auch das Sonnenlicht folgte ihr, und beide ließen Markus verwirrt zurück. Nach einer Weile rappelte auch er sich auf und ging Richtung Markt.
Neben einem kleinen Stand blieb er stehen. Eine ältere Dame saß hinter der Ware und zupfte sich verträumt am Kinn.
Etwas auf der Auslage fiel ihm ins Auge. Zwei kleine leuchtende Steine, die jeweils ein kleines Loch am Ende hatten. In dem einen schien ein kleines Muster zu sein, das wie eine Blume aussah.
Markus erinnerte sich, einmal gehört zu haben, dass Misakis Name übersetzt „Schöne Blüte“ hieß. Misaki und ihre Vorfahren stammten von einem der damals existierenden Menschenvölker ab, die auf einer Inselkette lebten, wo deren Namen eine Bedeutung hatten.
Aber das war weit vor dem großen Exodus, als die Menschen auf die Insel flohen.
Die ältere Dame bemerkte ihn. „Ah, junger Mann, du hast ein gutes Auge. Diese Steine sollen vom Festland stammen.“
„Vom Festland? Also dem Kontinent?“ Markus’ Augen wurden größer.
„Ja. Wem sie einst gehörten, ist unklar, aber irgendwann kamen sie in meinen Besitz und nun suche ich einen neuen Eigentümer. Und für dich mache ich sogar einen guten Preis. Zwei Silbermünzen.“
Markus schluckte hart. In den vergangenen zwei Monaten hatte er für seine Arbeit drei Silbermünzen verdient. Eine ging an das Waisenhaus und die anderen zwei wollte er eigentlich sparen. Aber diese Steine eigneten sich gut für zwei Ketten, und vielleicht freute sich Misaki morgen zum Geburtstag darüber und wäre nicht mehr sauer auf ihn.
Markus fühlte sich immer etwas verloren, wenn Misaki wütend war und wegging. „Aber nur, wenn ich zwei Lederbänder dazubekomme.“
„Oh, ich sehe, da hat jemand vor, jemand anderen zu imponieren. Ach, die Jugend.“ Ein sehnsüchtiger Seufzer entfuhr der Händlerin und sie reichte Markus die beiden Steine und die Bänder.
„Ich hoffe, die Beschenkte wird sich freuen.“
„Was, wieso sollte ich sie verschenken? Also nicht, dass es nicht jemanden geben würde, aber… Ich gehe jetzt besser.“ Markus nahm alles an sich und rannte mit hochrotem Gesicht davon.
Er überlegte sich, wie die Übergabe seines Geschenkes passieren sollte.
Beim Gedanken daran bekam er ein komisches Bauchgefühl.
Nur an was es lag – an der Aufregung oder an dem gewaltigen Preis, den er bezahlen musste –, wusste er nicht so ganz.
Markus saß draußen und polierte die Schwerter der Stadtwache.
Was für eine Arbeit. Banditen bekämpften wilde Tiere, die Menschen angriffen ‒ das hatte er sich vorgestellt und nicht die Drecksarbeit für die Wachen erledigen. Mit den Erfahrungen, die er hier sammeln wollte, hatte er vorgehabt, bei der Ausbildung bei der Armee zu punkten, aber das hatte sich erledigt.
Reinigung, Waffen schärfen und Kisten voller Wein vom Markt abholen, den die Wachen gleich am selben Tag runterspülten, als wäre er Wasser.
Gestern hatten sie ihm erlaubt, zum ersten Mal zu seinem Geburtstag einen Schluck zu probieren, bevor er vorzeitig gehen durfte. Das Getränk war süß, aber auch sehr säuerlich. Danach wurde ihm warm im Magen. Markus konnte nicht verstehen, wie man das nur trinken konnte. Dazu kam noch, dass es in seinen Augen ein großer Verstoß gegen die Pflichten darstellte, zu trinken, obwohl man Dienst hatte.
Das letzte Schwert und die letzte Speerspitze waren nun wieder sauber und von Dreck, Staub und Schmutz befreit.
Er trat aus der kleinen Lagerbucht heraus und streckte sich.
„Hey, Knirps! Ist alles sauber?“ Eine der Torwachen kam auf ihn zu und schaute in den Raum.
„Oh, die sehen ja wie neu aus. Sehr gut!“