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Auf der Flucht vor den deutschen Behörden gerät Uli Zimmer ins Kreuzfeuer von Arne Kucholski, einem abtrünnigen Agenten des BND, der sich an ihm für die Affäre mit seiner Frau rächen will. Mossad und CIA verfolgen unter dessen sowohl mit Arne als auch mit Uli ihre eigene Agenda. Derweil versucht Wolf Kimmich das Büro der EAPA in Jakarta vor der Schließung zu bewahren. Da kommt die Story des flüchtigen Uli zum richtigen Zeitpunkt. Aber reicht die Story, um das Überleben der Nachrichtenagentur in Indonesien zu retten? Axel Weber setzt die Garuda-Serie unter der gnadenlosen Sonne des indonesischen Archipels mit mehr Twists und Wendungen fort, als es die Straßen auf Bali hergeben.
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Seitenzahl: 613
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Das dritte Buch der Garuda-Serie
Auf der Flucht vor den deutschen Behörden gerät Uli Zimmer ins Kreuzfeuer von Arne Kucholski, einem Agenten des BND, der sich an ihm für die Affäre mit seiner Frau rächen will.
Mossad und CIA verfolgen sowohl mit Arne als auch mit Uli ihre eigene Agenda. Und weil Wolf Kimmich das Büro der EAPA in Jakarta vor der Schließung bewahren will, kommt die Story des flüchtigen Uli zum richtigen Zeitpunkt. Aber reicht das, um das Überleben der Nachrichtenagentur in Indonesien zu retten?
“Die Bali Affäre” ist die Fortsetzung von “Die Jakarta Trilogie” und “Lügen”. Axel Weber setzt die Garuda-Serie unter der gnadenlosen Sonne des indonesischen Archipels mit mehr Twists und Wendungen fort, als es die Straßen auf Bali hergeben.
Bereits erschienen von Axel Weber:
ROMANE: Die Garuda-Serie
Die Jakarta Trilogie (Jakarta is for Lovers; Ondel-Ondel; The Big Durian)
Lügen
NON-FICTION
People Business. Headhunter - die Jagd nach dem Placement
Sukarno und die Idee Indonesiens. Die Geschichte des indonesischen Nationalismus (Deutsche Ausgabe)
Sukarno and the idea of Indonesia. A history of Indonesian nationalism (English version, abridged)
Anthony Bourdain: You still inspire me
“I’m not a wolf but I would like tobe a wolf, to return to nature, to go on the prowl. However, I can’t rid myself of this human mind. I am a monster with a human mind and can find no refuge.”
Gao Xingjian, Soul Mountain
“They laughed, with a mirth that was disproportionate: a signal of the shared sense of humor that can make affection outlast desire.”
Christopher Koch, The Year of Living Dangerously
“In the East women want to identify themselves with their biological function. And that makes them all woman.”
Anthony Burgess, The Enemy in the Blanket - The Malayan Trilogy
TEIL 1 BALI HIGH
Der beste Burger der Welt
Jakarta, Jakarta
Ramadan
Die grüne Uniform
More brown, more love
18.000 f***ing islands
Tod in Dubai
Dolphin’s Lodge
Pick your poison
Dolphin’s Bar
A sunset to remember
Abort Mission
I’ve got news for you
Die Henker von Senggigi
Der perfekte Mord
Seminyak
I.N.O.P.
Naga Bali
Sedap Malam
We’ve got you covered
Dewi Laut
88 - Like the sun rising in the morning
LH 779
Der beste Burger der Welt, revisited
Fotos mit geringer Schärfentiefe
Die Arme der Tentakel
In den Reisfeldern von Ubud
Chicken Game
Regen wie Techno
Und ewig lockt das Weib
26121
Blok M
Goodbye und nicht auf Wiedersehen
Die Bali Affäre
TEIL 2 DIE BALI AFFÄRE
Liebhaber
Zu viele Deutsche
Kreuzung der Wahrheit
Die Schatten der Zukunft
Indonesia in a bottle
Der Spion den alle liebten
Darren de Soto
The House of Gim
For your eyes only
Ein Engel für Uli
Abkommandiert
Darren’s Cottage
Das Gesicht eines Engels
Lügen und andere Wahrheiten
Gemeinsame Vergangenheit
Uncle Sam is here
Die Schöne und das Biest
Balqis und ich
Glossar der verwendeten indonesischen Begriffe
Weitere Informationen
DANKSAGUNG
Schreiben ist Freiheit
Der beste Burger der Welt
Die Stühle und Tische im McDonald’s in der Mataram Mall sind am Boden festgeschraubt. Wie in einem Gefängnis, denkt Uli. Die Vorstellung von Gefängnis bringt Panik in seine Magengrube und katapultiert seine Vergangenheit in die Gegenwart. Er schaut sich mit seinem Tablett in den Händen nach einem anderen Platz um. Und stellt fest, dass alle Sitzplätze am Boden verankert sind.
Er wundert sich, ob der Franchisepartner Angst hat, dass irgendeiner ihm die Ladeneinrichtung davon trägt. Oder die Ladeneinrichtung über den Tresen wirft, wenn die Burger oder die Fries nicht gut genug sein sollten. Oder warum sie auch immer auf Lombok mit Stühlen auf ein Restaurant werfen würden. Auf jeden Fall sind die Tische und Stühle unverrückbar mit dem Boden verbunden. Bei seiner Größe ist das mit dem bequemen Sitzen ein Problem.
Der Name “Mall” meint es wohlwollend mit dem Ort, schmeichelhaft. Nicht, dass der Besucher eine Wahl hätte. Es ist der einzige Ort auf der Insel, der Ähnlichkeit mit einem Einkaufszentrum hat. Diese Mall ist vernachlässigt und verlassen. Weiter hinten und in den oberen Stockwerken stehen Ladenflächen leer. Die Mall stimmt ihn traurig. McDonald’s hat - natürlich - den besten Platz, direkt am Eingang. Da, wo jeder durch muss, wenn er in die Mall will. Mit den großen Fensterscheiben, die er nicht mag, weil ihn jeder sehen kann. Er verzieht sich in eine Ecke weit weg vom Fenster, in die Nähe der Klimaanlage und der Wastafel. Die Wastafel ist eine der wirklich guten Dinge: Um sich die Hände zu waschen, muss Uli nicht erst auf das WC gehen. Sie haben es hier im Restaurantbereich hinten an die Wand gemacht. Er stellt das Tablett ab und wäscht sich die Hände. Es gibt Seife, aber keine Handtücher.
Das ist eines der Rätsel.
Wie machen sie das ohne Handtücher?
Uli’s kurze Hose wird zum Handtuch. Dann setzt er sich zu seinem Essen und beißt in den Big Mac. Die Sensation ist in Indonesien genauso wie überall auf der Welt:
Befriedigend.
Einmalig.
Der beste Burger der Welt.
Burger-Patties, Sauce, Salzgurkenscheiben, Semmel mit Sesam. Zwiebeln. Eisbergsalat. Und in der Mitte das von beiden Seiten getoastete Brötchen.
Aber vor allem:
Die Sauce.
Die Kür beim Big Mac ist die Sauce.
Die Sauce ist eine Verfeinerung der Thousand Island Dressing. Und welche Sauce passt besser zu Indonesien als eine Thousand Island Dressing?
Während er isst, beobachtet Uli loses Papier und Plastiktüten, die miteinander im Eingangsbereich zwischen den Türen spielen. Es ist nicht klar, ob sie aus der Mall hinaus wollen oder hinein. Es ist ein endloses Hin und Her.
Auch dieser Gedanke macht ihn traurig.
Das Putzpersonal trägt blaue Uniformen und eine rote Kappe mit dem Logo der Mall. Sie haben Besen und diese Kehrschaufeln, die automatisch hochklappen, wenn der Kehrende sie vom Boden nimmt. Dann bleibt der Schmutz in der Kehrschaufel und der Wind kann den Dreck nicht verwehen.
So einfach und doch so genial.
Bestimmt eine deutsche Erfindung.
Keine indonesische, denkt Uli.
So perfekt durchdacht.
Das Putzpersonal besteht aus einem schlanken Mann und einer kleinen Frau. Beide lachen und reden und der Mann raucht während er lacht und er hält seinen Besen so, als habe dieser nichts mit ihm zu tun, als würde er ein Eigenleben führen und selbständig nach toten Zigaretten auf dem Boden suchen.
Während er sie beobachtet, kehren sie überall da, wo keine toten Zigaretten, kein Papier und kein Plastik liegen. Und Plastik und tote Zigaretten liegen überall.
Sie kehren kein einziges Mal zwischen den Türen im Eingangsbereich. Dort gesellt sich Verpackungsmaterial von McDonald’s zu Plastiktüten und Papier.
Dann läuft die Sauce des Burgers wie eine Schlange an seiner Hand hinunter und führt ihn in Versuchung.
Die Sauce ist zu gut für eine Serviette.
Er wirft seine Scham über Bord und leckt seine Hand, ohne den Burger aus der Hand zu legen. Eine Geste, die er bei anderen Menschen verachtet. Jetzt ist er selbst so weit. Dann tunkt seine freie Hand einen Strauß French Fries in die ABC-Sauce. Auf der Flasche steht geschrieben Sambal Asli. Sein Mund verschlingt das Ganze als kann er ohne die Schärfe aus Chili und Knoblauch nicht leben.
Gierig.
Obwohl er sie lieber Freedom Fries nennt.
Das hat die junge Indonesierin hinter dem Schalter nicht verstanden. Also hat er French Fries bestellt.
Freedom Fries, weil: Solange er bei McDonald’s essen gehen kann, ist er frei.
In Freiheit.
Daher:
Freedom Fries.
Für ihn hat das weniger etwas mit den Franzosen zu tun. Und vielleicht gibt es im Gefängnis in Deutschland ja auch French Fries, obwohl die dort dann auf keinen Fall Freedom Fries heißen, sondern Pommes.
Und wenn er das Wort Pommes hört, hat er ein anderes Geschmackserlebnis im Kopf. Pommes Frites in Deutschland sind etwas Billiges, eine Alternative ohne Wahl, in billigem Fett an billigen Kiosks gemacht, in der Regel mit billigen Würstchen, während Freedom Fries die Vision einer freien Welt transportieren und nach dem endlosen Himmel und der Weite von Arizona schmecken und der Fahrt in den Sonnenuntergang.
Die Fries - egal ob Freedom oder French - im McDo in der Mataram Mall schmecken so gut wie die Freiheit, für die sie für ihn stehen.
Auf Lombok.
Seinem Gefängnis.
Wie lange ist er schon da?
Es sind Jahre, die sich wie ein ganzes Leben anfühlen. Es macht ihn fertig, dass sein Leben auf einer heißen Insel auf einen Schatten reduziert ist.
Die Insel zermürbt ihn und macht ihn müde.
Sie hat ihm nichts mehr zu bieten.
Er lebt vom Ritual, einmal in der Woche nach Mataram zu fahren und einen Big Mac zu essen - er gönnt sich ja sonst nichts, es gibt sonst nichts, was er sich gönnen könnte. Und in der Mall tut er so, als wäre alles prima.
Copacetic.
In diesen Augenblicken denkt Uli an den Spruch hinter einer Bar in Jakarta:
Everything is going tobe alright in the end.
And if it’s not alright, it’s not the end.
Das ist zu Uli’s Motto geworden.
Dass dies nicht das Ende ist.
Denn nichts ist alright.
Außer dem Burger und der Sauce.
Er isst alles mit der ABC-Sauce, die er wie Luft zu sich nimmt und die jedem Essen die indonesische Einfärbung gibt, genauso wie es die Kretek-Zigaretten mit der Luft tun.
Die Freedom Fries lassen ihn an den amerikanischen Traum glauben. An Freiheit.
An den Neuanfang.
An die zweite Chance.
An das Glück.
Sein Glück, das er sicherlich irgendwann haben wird. Vielleicht mit den Frauen von diesem Hotel auf Bali, die ihn angesprochen haben, ob er nicht zu ihnen wechseln will.
Außer dem McDonald’s gibt es in der Mall einen Hero Supermarkt und einen kleinen Buchladen.
Die einzigen beiden Bücher, die sie auf Englisch da haben, sind “The Yes Man” von Danny Wallace und “The King of Torts” von John Grisham. Beide Bücher sind in Plastik eingeschweißt. Uli kann sie nicht aufmachen und hineinlesen. Warum die Buchhandlung gerade diese beiden Bücher führt und keine andere, ist für ihn schleierhaft. Wie vieles auf dieser Insel.
Er mag keine Jasager und Anwälte noch weniger. Wenn er an Anwälte denkt, dann muss er an einen seiner Professoren an der LMU in München denken. Er hat in jeder Vorlesung Ludwig Thoma zitiert: “Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande.”
Er kauft beide Bücher.
Aber nur, weil er keine Wahl hat. Und weil er lesen will. Bücher. Auf Englisch.
Keine Zeitungen.
Die Jakarta Post liest er jeden Tag.
Und auch Kompas und Rakyat Merdeka.
Sie haben nichts über ihn geschrieben.
Bislang.
Hoffentlich bleibt es so.
Der Hero Supermarkt ist ein Armutszeugnis in Sachen Alkohol. Sie haben Anker Beer, Bali Hai, Heineken und Asahi. Wie sich das Asahi auf die Insel verirrt hat, ist ihm ein Rätsel. Uli vermutet, dass immer mehr japanische Touristen nach Lombok kommen und ihr eigenes Bier trinken wollen. Auf jeden Fall kostet das Asahi mehr als das Heineken, das Heineken mehr als Anker und Bali Hai.
Die beiden letzten geben sich nicht viel.
Weder im Preis noch im Geschmack.
Und dann gibt es den Platzhirsch: Beer Bintang. Er kauft eine Tüte großer Flaschen.
An Wein und Sekt und anderen Spirituosen mangelt es in der Mall wie an Wasser in der Sahara. Er hat Lust auf Weißwein und Negroni.
Nein.
Er hat keine Lust.
Ihm verlangt es danach.
Und Rotwein.
Dunkler Rotwein.
Schwer wie ein LKW.
In großen, sauberen Gläsern.
Er sehnt sich nach diesen Kopfschmerzen, die nur ein schwerer Rotwein als Dankeschön für einen gemeinsamen Abend hinterlässt. Es sind andere Kopfschmerzen als die, die das Bintang ihm als fade Erinnerung an die letzte gemeinsame Nacht schenkt.
Die Sauce läuft wieder an seiner Hand hinunter. Er leckt sie ab und isst die Fries mit der freien Hand. Im Supermarkt hat er eine Packung Kretek-Zigaretten in die Tüte gelegt und zwei bunt bemalte Holzboxen mit Adipati-Zigarren. Rauchen ist billig in Indonesien.
Und das ist gut so. Uli hat ein begrenztes Budget. Er gönnt sich sonst wenig. Das muss sich ändern.
Raus aus dem Gefängnis, weg von der Insel.
Die Insel ist schön und er war überall, mehrfach. Er hat alles gesehen und das, was er sucht, gibt es auf der Insel nicht.
Die Menschen hier sind speziell, anders als in Jakarta. Der Muezzin brüllt den ganzen Tag über die Insel und übt Macht über die Menschen aus und Uli hat das Gefühl, dass der Muezzin den Menschen ihre Freiheit nimmt. Und Freiheit ist sehr wichtig für Uli. Auf jeden Fall geht Uli das Geschrei fünf Mal am Tag auf den Geist. Und auch sonst reicht es ihm auf der Insel, wenn auch keiner der Touristen, die ihn treffen, dies verstehen mag. Die meisten Frauen sind verschleiert. Wenn er nachts aus einem der Pubs kommt, die irgendwo im Jahr 1980 stehen geblieben sind und immer noch die Beatles spielen und glauben, dass alle Touristen Darts spielen wollen und die Scheiben so aufhängen, dass es nicht lange dauert, bis es den ersten Toten gibt, dann sind nur Männer auf der Straße. Sie sitzen auf ihren Mopeds und rauchen und sie schauen die westlichen Frauen in ihren kurzen Klamotten mit einer Mischung aus Verachtung und Lust an. Uli interpretiert die Blicke der jungen Männer als Doppelmoral, als Gefangenschaft in einem Wertesystem, das die Touristen weder verstehen noch verstehen wollen. Die Ausländer kommen nach Lombok, um Spaß zu haben, Bier zu trinken und um sich den Sonnenuntergang an einem der weißen Sandstrände anzusehen, für die Lombok bekannt ist.
Und Uli muss sich eines eingestehen: Die Bande der Ausländer, die sich auf der Insel herumtreibt, ist keine besondere.
Männer mit langen Haaren und Tattoos.
Frauen mit kurzen Haaren und Tattoos.
Ab und an kommt ein normales Pärchen von Bali hinüber geschwappt, auf der Suche nach etwas Neuem, Einmaligem, nach etwas, das Bali ihnen nicht mehr bieten kann. Dann sind auch ein paar schöne, blonde, westliche Frauen dabei, und einige flirten mit Uli, und Uli denkt an Tina, in München im Gefängnis, und die blonden Mädchen sind zu schüchtern, um auf seine Blicke zu reagieren.
Manchmal vermisst Uli westliche Frauen mit blonden Haaren. Meistens ziehen die Pärchen wieder von dannen. Lombok ist kein zweites Bali. Lombok ist ein Hinterwasser ohne trendige Nachtclubs und DJs aus Ibiza.
Lombok ist für Aussteiger und Träumer.
Und Flüchtige.
So wie ihn.
Niemand sucht auf Lombok nach Aufmerksamkeit. Lombok ist die Insel der Stille. Nach Einbruch der Dunkelheit wird es ruhig. Die Insel bietet den Reisenden nicht das, was Bali bietet: Die Dekadenz des Nachtlebens, zugeschnitten auf den Geschmack junger Menschen aus Europa und Australien. Uli vermisst das Nachtleben und gepflegte Menschen und Kultur, oder das, was die Ausländer auf Bali für Kultur halten. Die Dunkelheit der tropischen Nacht erinnert Uli an den Winter in Deutschland. Und in manchen Nächten ist er auf Lombok genauso deprimiert wie im Winter in München.
Der Supermarkt hat keinen Weißwein im Portfolio, und von Wodka ganz zu schweigen. Die Getränke, die sie im Hotel verkaufen, müssen sie bestellen und liefern lassen. Das ist teuer.
Trinken ist teuer in Lombok.
Alternative und Linke kommen nach Lombok und suchen Daffy Duck, Cannabis-Plantagen und die Karte zum Strand von Alex Garland. Sie halten die Gili Islands für das Paradies, das sie nicht sind.
Ja, die Gilis sind schön und sie sind endemisch.
Er weiß es besser.
Er ist zu lange da.
Das Paradies färbt ab und die Realität auf den Inseln sieht anders aus. Er muss hier weg. Zu lange auf dieser Insel und zu lange in intellektueller Isolation - es reicht.
Seine Schmerzgrenze ist überschritten.
Jakarta, Jakarta
“.... - …., Daher haben sich die Gesellschafter entschieden, die Geschäfte der EAPA in Jakarta einzustellen.”
Schweigen.
Seine Worte hallen in meinem Kopf und hinterlassen ein Echo wie in einer Höhle, in der ich festsitze und ohne fremde Hilfe nicht herauskomme. Der Widerhall macht es unmöglich zu verstehen, was Andries damit meint. Der Tiger in meinem Kopf beschwert sich über die Konkurrenz an seiner Seite.
Seine Augen sind leer und grau und weit wie das Meer. Er ist alt geworden, seitdem ich ihn das letzte Mal getroffen habe. Sein Bauch ist größer und runder als vorher, das Kinn hat einen Bruder, der unter ihm hängt wie ein Faultier. Andries van Geldern, der Chef der EAPA, der East Asia Press Agency in Amsterdam, ist der beste Chef, den ich je hatte, ein wahrer Freund, eine Koryphäe im Geschäft mit Nachrichten.
Seine Nachrichten heute machen mich fertig.
Er schaut aus dem Fenster meines Büros im Menara Cakrawala, dem Skyline Building.
8. Stock.
Der Blick schweift über die Kreuzung von Jalan Thamrin und Jalan Wahid Hasyim.
Central Jakarta.
Meine Heimat.
Sie soll Geschichte werden?
Ich ziehe an meiner Kretek-Zigarette. Der blaue Dunst zieht an die Decke. Darren de Soto, mein Vorgänger, hat vor Jahren den Feuermelder an der Decke überklebt. Zu viele Zigarren, zu viele Fehlalarme.
“Heißt?”
“Dass wir das Büro abwickeln.”
“Und die Mitarbeiter?”
Er nimmt seine Augen von der Kreuzung; seine Augen sagen mir, dass es für ihn nicht leicht ist, alle gehen zu lassen.
“Wolf, es ist nicht leicht für mich. Und Jakarta ist nicht das einzige Büro, das wir schließen. Du bist nicht das einzige Gespräch, das ich führe. Rund die Hälfte unserer Standorte ist defizitär. Die Technologie und das Internet verändern unseren Job. Und unsere Branche.”
Sein Handy vibriert. Andries checkt die Nachricht mit einem Auge und spricht weiter:
“Nicht nur uns geht es so. Was wir machen, geht mit immer weniger Menschen. Technologischer Wandel. Journalismus ist nicht mehr das, was er einmal war.”
Ich falle in meinen Ledersessel hinter dem Mahagoni-Schreibtisch und hole die Flasche mit dem hellbraunen Betäubungsmittel aus der Schublade. Zwei kleine Gläser dackeln der Flasche hinterher.
Das Betäubungsmittel vertreibt die schlechte Laune. Zumindest in den meisten Fällen. Ob sie bei diesen Nachrichten wirkt, werde ich herausfinden. Vielleicht ist ihre Stärke aber auch nicht stark genug. Das kommt vor. Beim Tod von Anastasia war das der Fall.
“Du glaubst nicht, wie schlecht es mir geht, Dir diese Nachricht zu überbringen. Daher wollte ich hier persönlich sein. Ich leide mit Dir.”
Ich nicke wie ein zum Tode Verurteilter, der dankbar sein soll, dass er seinen Henker vor der Vollstreckung persönlich trifft. Und ich glaube ihm. Es gibt keinen Grund, warum Andries dies gerne tun sollte. Jakarta ist auch seine Erfolgsgeschichte.
“Willst Du?”
Ich halte ihm ein kleines Glas hin. Ich habe es bis zum Rand gefüllt. Seine Kinns machen diese Auf- und Abbewegung, seine Hand nimmt das Glas aus meiner Hand. Seine Augen schauen in meine Augen.
“Auf die Zukunft.”
“Auf die Zukunft.”
“Prost.”
“Cheers.”
Er trinkt es auf einmal aus.
Ich auch.
Es tut gut und hilft nicht, die Nachrichten weg zu spülen.
Ich schenke nach.
Wir wiederholen.
Sein Blick lässt mich nicht los, als will er in meinen Kopf hineinsehen und verstehen, was in mir vorgeht.
“An manchen Standorten sind wir seit einiger Zeit nicht profitabel. An anderen kämpfen wir mit der Zensur durch die Regierung.”
“Jakarta?”
“Du machst einen sensationellen Job, darüber brauchen wir nicht zu sprechen. Wir haben hier keine Probleme mit der Zensur. Nicht mehr, seit Suharto weg ist. Aber die Nachrichten aus Indonesien interessieren nicht. Indonesien ist zu klein und bedeutungslos. Sonst hättest Du damals einen Pulitzer Preis für Deine Berichterstattung vom Dach des Parlaments bekommen. Unsere Berichterstattung von hier kann noch so gut sein. Wenn sie niemand kauft, verdienen wir kein Geld.”
“Zu klein? Zu bedeutungslos?”
“Du weißt, wie ich das meine. Und bestimmt nicht in meinen Augen.”
Er pausiert.
“In den Augen der Welt.”
Das sind keine Nachrichten für mich.
“Ist es nicht unser Auftrag, die Welt zu erziehen? Ihr Fakten und Wissen mitzuteilen? Die Wahrheit?”
Dass er unser Büro in Jakarta schließt, weil die Welt kein Interesse an Nachrichten aus Indonesien hat, trifft mich nicht nur hart. Es trifft mich ins Herz.
Mittenrein.
Bull’s Eye.
Jakarta ist mein Büro. Wir haben hier Geschichte geschrieben. Bevor ich die Leitung des Büros übernahm, war Darren de Soto der Boss.
Ja, richtig.
Darren
De
fu***ng
Soto.
Das war 1955.
Der gefangen genommene C.I.A.-Agent, der sich auf einer Insel in eine Frau verliebt hatte, ohne zu wissen, dass sie die Tochter des Mannes war, den er zu Fall bringen sollte. Die schöne Frau machte ihn über Nacht zum Schwiegersohn seines Feindes, des indonesischen Präsidenten.
Sukarno.
Und damit zu einem Helden.
In Indonesien.
From zero to hero.
Bei der C.I.A. weniger - die nahm es ihm übel. Es war Kalter Krieg, die Fronten gefroren wie eine Zunge an einer Gefriertruhe. Dann kam die EAPA, sah die Opportunität und nahm Darren unter Vertrag.
Viele Indonesier feierten Darren als Überläufer vom imperialistischen Westen, als Deserteur für den Frieden, als Mann, der die richtige Entscheidung traf und das Rückgrat hatte, diese auch durchzuziehen.
Jahrzehnte später wurde Darren krank - ein Mopedunfall auf Lombok - und Andries van Gelderen schickte mich nach Jakarta.
Per SMS.
Ich lag mit einem Hangover und Anastasia im Bett.
Diese SMS hat mein Leben verändert.
Und ich hatte die Ehre, den Fall des Diktators, Präsident Suharto, vom besetzten Dach des Parlamentes aus zu dokumentieren.
Live.
Und exklusiv.
Ich war der einzige Journalist auf dem Dach. Und der einzige Bule da oben. Neben Ayu, der Anführerin der Studenten, die letzten Endes dafür verantwortlich war, dass der Alte zurückgetreten ist.
Einmalige Momente in meinem Leben und für dieses Land. Momente, die mich berühmt gemacht haben.
Und glücklich.
Denn ich hatte Glück.
Viel Glück.
Dann Pech.
Die Sache mit den Terroristen und dem Attentat auf das Shangri-La Hotel hat meiner Frau Anastasia und meinem ungeborenen Kind ihre Leben gekostet.
Für mich war es nicht nur Berichterstattung, für mich war es persönlich. Ich habe mit den Terroristen abgerechnet und einen von ihnen getötet. Mit meinen eigenen Füßen.
Es war Notwehr.
Ansonsten wäre ich jetzt bei Anastasia und hätte unseren Nachwuchs in meinen Armen.
Viqaas, der tote Terrorist, der Mörder meiner Frau und meines Kindes, sucht mich immer wieder heim, in meinem Schlaf und in meinen Träumen.
Jakarta ist eine Mutter für mich, die sich um mich sorgt und kümmert und meinem Leben Stabilität verleiht, die ich woanders auf der Welt nicht habe. Sie macht es mir nicht immer einfach, und sie testet mich mit ihren Staus und Überflutungen.
Dann habe ich Balqis kennengelernt und zu meiner zweiten Frau gemacht. Nach so vielen Jahren unterwegs ist Jakarta meine Heimat geworden.
Ich will nicht weg.
Und jetzt will Andries dieses Büro, das für viel mehr steht als nur Journalismus, das die Welt im Kalten Krieg verbunden hat mit einer Liebesgeschichte zwischen Ost und West, und das den indonesischen Frühling in die Welt getragen hat, zu machen?
Ich will nicht wie ein Verurteilter klingen, der um Gnade bettelt. Dann tue ich genau das.
“Was ist mit 1998 und unserer Story vom Dach des Parlaments? Dem Porträt von Ayu? Der Enthüllung der Terroristen? Der Unabhängigkeit Ost Timors?”
Alles journalistische Meisterwerke der EAPA.
Und des Büros in Jakarta.
Ich will nicht sagen, dass ich es alleine war, aber natürlich war ich an der Front, zusammen mit Chander. Wie in den anderen Ländern, aus denen ich berichtet habe, habe ich auch in Indonesien für die beste Story alles riskiert.
Und würde es auch sofort wieder tun.
Ohne zu zögern.
No regrets.
“Bedeutet das nichts?”
Ich sehe Andries an und meine Augen durchbohren ihn wie Schrauben, die nach Halt suchen und keinen finden. Er ist stark, seine Augen weichen nicht aus. Sie kleben an mir und fordern heraus. Es geht um meine Zukunft.
“Journalisten leben nicht von den Nachrichten der Vergangenheit.”
Er schmunzelt mit der traurigen Wahrheit im Gesicht. Aber dann: Ist die Wahrheit nicht meistens traurig?
“Das tun Historiker. Die verdienen noch weniger Geld als wir.”
Chander, meine Nummer zwei und mehr als ein Sidekick, war bei allen Stories stolz und ehrenhaft an meiner Seite. Und nicht nur an meiner Seite.
Auch all die Jahre an der Seite von Darren.
Er ist ein Urgestein.
Treu.
Loyal.
Selbstlos.
Er stellt die Agency über sein eigenes Wohl.
Jeden Tag und bei jeder Story.
Ich kann ihn nicht entlassen.
Es würde mein Herz zerreißen.
Die Worte für seine Kündigung müssen erst noch erfunden werden.
“Ich weiß, dass Du viel hast, das für Dich spricht. Und dass Du ein exzellenter Journalist bist. Und ein noch besserer Photograph.”
Ich weiß nicht, ob meine Hoffnung steigt oder ob Andries einfach nur schlecht mit Situationen umgehen kann und fange an, mir Hoffnungen zu machen.
“Aber das reicht nicht.”
Ich will dazu nichts sagen und spiele mit der Flasche auf meinem Schreibtisch. Sie schaut mich an und lockt mich in ihren Bann.
“Revolution, Machtwechsel, Gewalt: In Indonesien ist das vorbei.”
Er breitet seine Arme aus, als segne er den Petersplatz.
“Gott sei Dank. Für das Land. Nicht für uns.”
Andries lächelt durch seine starke Brille. Sein Oberlippenbart ist grau und vibriert auf seinem Mund. Ein Stück Taschentuch klebt an seinem Hals, wo er sich beim Rasieren geschnitten hat.
“Ost-Timor ist unabhängig. Niemand interessiert sich für die Geschichten von hier.”
Seine Worte sind Dolche für mein Herz. Ich fühle mich wie die Indonesier, die von den weißen Kolonialisten aus Holland degradiert wurden und ihnen erklärten, dass ihr Land, damals das fünftgrößte der Erde, es nicht wert ist.
Ich schweige ihn an, weil ich nichts zu sagen habe.
Und weil er Recht hat.
Leider.
Indonesien ist das viertgrößte Land der Erde und das mit den meisten Muslimen. Die parlamentarischen Abgeordneten sitzen im Parlament der drittgrößten Demokratie der Welt. Unter Suharto wurde Jakarta zu einer Wayang, zu einer Marionette der C.I.A. im Kampf gegen den Kommunismus. Seitdem dieser Kampf gewonnen ist, interessiert sich kein Mensch für den größten Archipel der Welt.
18.000 Inseln.
Mehr oder weniger.
Wer weiß das schon so genau?
“Schau mal Wolf. Das ist nichts Persönliches. Bei mir war es damals genauso. Ich war Büroleiter in Vietnam. Wir hatten zwei Büros: eines in Saigon, eines in Hanoi. Der ganze Wahnsinn war vorbei und Vietnam war der siegreiche Feind und keine Berichterstattung wert. Die U.S.A. hatten einen Krieg verloren. Es war eine Schande, nach 1975 in Vietnam zu sein oder von dort zu berichten.”
“Du kommst aus Haarlem. Da will ich aber nicht hin. Ich will keinen Administratorenjob im Headoffice in Amsterdam machen und den ganzen Tag an einem Schreibtisch sitzen.”
“Die EAPA steht für die Berichterstattung aus den Krisenregionen dieser Welt. Die Orte, wo niemand hingeht und von denen alle weg möchten. Von wo aus wir exklusiven Content liefern. Jakarta ist keine Krise mehr. Jakarta geht es gut. Afrika, der Nahe und Mittlere Osten - das sind die Krisenherde.”
“Erzähl’ mir nicht, dass mehr Menschen daran interessiert sind als an den Nachrichten aus Jakarta.”
“Sie sind näher an Europa. Europa spürt die Flüchtlinge und den Klimawandel.”
Mich schüttelt es und ich schalte die Klimaanlage mit der Fernbedienung aus. Ich schenke uns nach und warte mit dem Trinken nicht auf ihn. Die Medizin wärmt und ich habe das Gefühl, dass wir uns gegenseitig brauchen. Dann fange ich an zu schwitzen.
“Arbeiten wir in einer Vertriebsgesellschaft? Zählen nur die Zahlen?”
“Als Journalist muss ich Dir sagen: leider. Als Geschäftsführer muss ich sicherstellen, dass wir Geld verdienen. Und das wird immer schwieriger.”
“Gibt es keine Möglichkeit?”
Er schaut mich an und ich sehe, wie er kämpft. Der dicke Bart an seiner Oberlippe vibriert wie der Diesel in einem Audi. Seine Augen kippen um wie der kleine Mercedes beim Elchtest: Er schaut weg.
“Was muss ein durstiger Journalist hier tun, um noch einen Drink zu bekommen,” sagt Andries mit einem Lächeln, das beinahe an mir vorbeifliegt.
“Ich habe für uns reserviert. Im Hard Rock Café. Dann Retro. Darren und Kharolina kommen zum Abendessen dazu.”
“Balqis?”
“Kommt später ins Hard Rock Café.”
Er hält sein Glas hoch und ich schenke ihm ein und dann mir und wir stoßen die Gläser aneinander und versenken den Inhalt. Er nimmt die Flasche und schenkt mir ein, dann sich. Keiner kann mehr trinken als Andries. Alkohol verdunstet praktisch in seinen Händen.
Ich sehe, dass etwas in seinem Kopf vorgeht. Es gibt eine Tür zu einer Lösung und er hat den Schlüssel. Ich weiß nicht, ob er ihn nicht finden kann oder nicht finden will. Er spielt mit sich und seine Gedanken wägen ab, ob es gut ist, mir die Tür einen Spalt weit aufzumachen. Mit meinem Flipflop im Spalt kriegt er sie vielleicht nie mehr zu.
“Eventuell haben wir eine Chance.”
Er stellt das kleine Glas auf den Tisch und dreht es gegen den Uhrzeigersinn. Seine Finger sind breit und kräftig und das Glas verschwindet unter ihnen.
Er betrachtet das Glas und seine Hände, bevor er mich ansieht. Seine Brillengläser sind stark und verzerren den Blick in seine Augen.
“Bring mir eine gute Story. Eine sehr gute Story. Breaking News. Enthüllung. Politik. Etwas, das nur wir haben und das wir gut verkaufen können. Etwas, mit dem die EAPA am Leben bleibt.”
“Was meinst Du?”
“Etwas, womit ich zu den Gesellschaftern gehen kann. Was sie von den Socken haut. Etwas, das ihnen sagt, dass Jakarta es wert ist.”
Ich denke nach. Mein Kopf ist leer und die verlorenen Gedanken irren in der kleinen Fläche in meinem Kopf umher und haben Angst vor dem Echo der Worte, die Andries mir eingehaucht hat. Der Tiger in meinem Kopf faucht.
“Wenn wir eine solche Story haben, dann machst Du das Büro nicht zu?”
Er sagt nichts.
“Versprichst Du es mir?”
“Ich verspreche Dir, dass ich es versuchen werde. Mehr nicht.”
“Wie lange haben wir Zeit?”
“Ein paar Monate.”
Andries nimmt seine Brille ab und lässt sie an diesem Band um seinen Hals hängen.
“Maximal.”
Er schaut mich mit klaren Augen an. Der Alkohol hat keinen Einfluss auf ihn, und wenn, dann zeigt er es nicht. Ich sehe, dass er es ehrlich meint und er mir die nächsten Monate den Rücken freihalten wird.
“Danke.”
“Danke mir nicht zu früh. Wenn ich das nächste Mal komme, kann es auch das letzte Mal sein. Für uns alle.”
*
Ich sitze in einem Blue Bird Taxi. Viqaas parkt seinen roten Kastenwagen so nah an meinem Taxi, dass ich nicht aussteigen kann. Die Tür geht einen Zentimeter weit auf und stößt an den Kastenwagen. Er schaut mich durch die Scheibe an und streckt wie ein Kind die Zunge raus und lacht mich aus. Er nimmt seine Hände an die Schläfen und zeigt mir den Blödmann. Hinter ihm laufen leicht bekleidete Frauen in die Lobby des Shangri-La Hotels und ich sehe die endlosen Beine von Anastasia, die viel länger sind als all die anderen Beine, und Anastasia geht um das Taxi herum und dann zu Viqaas und Viqaas hat diese Maske auf mit den roten Hörnern und er hält nicht die Teufelsgabel in der Hand, sondern eine Bombe die rot blinkt und Anastasia ist begeistert von seinem Kostüm wie an Halloween und Viqaas wiegt die Bombe wie ein Baby vor seinem Körper und er legt den Arm um Anastasia und deutet mir an, mein Fenster herunter zu kurbeln und ich tue genau das und sie sagt mir, dass wir bald ein Baby haben werden und fragt mich “Ist das nicht wunderbar?” und ich schaue sie an und sie lacht und Viqaas hat dieses Grinsen auf seinen Lippen, das ihn im Licht der Nacht erscheinen lässt wie den Joker und in diesem Augenblick ist er der Joker und der Untergang und das Unglück meines Lebens. Ich kriege die Tür des Taxis nicht auf und werde panisch und Anastasia schüttelt ihren Kopf und nimmt Viqaas mit in die Hotellobby und er grinst und lächelt mir zu und ich weiß, dass die Bombe kein Kostüm ist sondern eine Mordwaffe und dass Anastasia und mein ungeborenes Kind die ersten Opfer sein werden und dass Viqaas davon kommen wird mit meinem Glück in seinen Händen.
Die Bombe im Hotel lässt die Menschen nach draußen rennen. Dann geht vor dem Hotel die zweite Bombe hoch und zerfetzt den kleinen roten Daihatsu. Der laute Tod von 161 Menschen weckt mich auf und Balqis liegt neben mir und sie hört mich und sieht den Horror in meinem Gesicht. Kalter Schweiß läuft wie Regen über mein Gesicht und ich stehe auf und nehme eine Flasche und mache sie auf und würge die Flüssigkeit herunter als hängt mein Leben davon ab. Das Zittern lässt nach und der Schweiß ergießt sich über mich und ich bin mir sicher, dass ich nicht gut rieche.
“Sayang?”
Sie schaut mich an und legt ihren Arm um mich.
“Viqaas.”
“Sayang, er ist tot. Du hast ihn selbst getötet.”
Sie schaut mich mit Augen an, die mir sagen, dass sie immer noch verliebt ist. Obwohl sie mich kennt.
Er hat mir Anastasia und mein Kind genommen. In vielen Nächten ist es genauso wie in dieser Nacht: Viqaas sucht mich heim. Sie schaut die Flaschen der letzten Nacht an. Es sind viele.
Zu viele.
Auch ich sehe es.
Sie bewegt ihr Gesicht von links nach rechts. Die Frau, die ich geheiratet habe, als ich alleine war. Sie hat mich gerettet, genauso wie ich sie gerettet habe. Ich liebe sie genauso wie ich Anastasia geliebt habe, nur dass ich Anastasia frei vom Gefühl des Verlustes lieben konnte. Wann immer ich in die Augen von Balqis schaue, sehe ich das Bombenattentat von Jakarta, als wäre dieses Opfer nötig gewesen, um sie zu treffen. Als hätte ich Anastasia und mein Ungeborenes für diese Liebe opfern müssen.
Dieser Schmerz tötet mich.
Jede Nacht.
Es gibt kein Entrinnen.
Seit langer Zeit retten mich die Flaschen vor mir selbst und meiner Vergangenheit. Auch vor den Erinnerungen an die toten Kinder und die Menschen in den Krisengebieten dieser Welt, die ich bis vor meinem Einsatz in Jakarta dokumentiert habe. Und zu denen sich meine Anastasia und unser ungeborenes Kind gesellt haben.
“Warum tust Du Dir das an?”
“Ich kann nicht anders.”
“Hast Du es schon einmal anders probiert?”
“Unzählige Male.”
Ihre Augen rügen mich.
“Du gibst zu schnell auf.”
Sie sagt mir nicht, dass sie mir nicht glaubt. Nur dass ich zu schwach bin.
“Ha. Das sagst Du so einfach.”
Ich nehme einen langen Zug und die Flasche entleert sich in meinen Mund. Um mit dem Trinken aufzuhören, muss ich es wirklich wollen. Ich weiß, dass ich es nicht will. Nicht wirklich. Das kann ich Balqis aber nicht sagen.
Wer auch immer behauptet hat, Alkohol sei keine Lösung, hat keine Ahnung. Alkohol ist das Öl, das meinen Tag schmiert und den Ablauf und das Funktionieren garantiert.
Ohne Alkohol würde ich ins Stocken geraten.
Der erste Schluck eines Negroni an einer Bar, der Duft der Orangenschale, der erste Schluck von einem kalten Bier an einem Strand in der Sonne, ein Glas Cremant wenn wir etwas feiern oder ich mich selbst feiere oder einfach nur das Leben feiere oder feiere, dass ich am Leben bin, oder einfach nur trinke weil die Flasche da ist und sie mir gefällt und ich weiß, dass sie gut für mich ist, weil ich für ein paar Takte in meinem Leben alles vergessen kann - nichts schlägt dieses Gefühl, nichts und niemand kann das ersetzen, was die Getränke in mir auslösen.
Der Tod von Anastasia hat gezeigt, dass jedes Leben sofort vorbei sein kann. Und lohnt es sich daher nicht, jede Minute zu genießen?
Und ist Verzicht nicht Verlust von Lebensqualität?
Alkohol ist eine Lösung.
Du darfst nur nicht mit dem Trinken aufhören.
“Ich verstehe nicht, wie Du so viel trinken kannst.”
Der schnelle tropische Morgen zwingt die ersten Sonnenstrahlen in unser Schlafzimmer. Balqis macht Kaffee. Der Kaffee riecht gut, schwer und schwarz und tropisch. Sie reicht mir eine Tasse. Ohne Milch. Ohne Zucker.
Schwarz.
Bitter.
Wie sie heute.
Zu Recht.
Sie nimmt den Mülleimer und entsorgt die Flaschen wie Beweismaterial. Die Flaschen wandern leblos in den Eimer. Ihr Klappern lamentiert ihren erfüllten Zweck. Sie sind leer und wertlos und Balqis schämt sich, wenn das Servicepersonal kommt, um unser Apartment sauber zu machen und jeden Tag so viele Flaschen wegräumen muss.
“Andries will das Büro in Jakarta dicht machen.”
Sie bleibt stehen und schaut mich an.
“Wie bitte?”
“Dicht. Zu. Tot. Mati.”
“Warum hast Du nichts gesagt?”
“Ich sage es doch jetzt.”
Sie kommt zu mir und setzt sich auf unser Bett. Sie hat nichts an was ein Lexikon als Kleidung definieren würde. Sie ist heiß und es ist heiß und mir ist heiß. Wir schlafen ohne Klimaanlage, nur mit einem Ventilator an der Decke. Der Wind kühlt den Alkohol, der aus meinen Poren quillt.
“Das kann nicht sein. Du hast einen Erfolg nach dem anderen.”
Ihr Blick verführt.
“Ich bin Dein Erfolg,” sagt sie.
Und meint es.
Ohne sie hätte ich die Terroristen nie zur Strecke gebracht. Und Viqaas getötet.
“Mein Erfolg lässt sich nicht zu Geld machen.”
Sie lässt den Papierkorb mit den Flaschen auf den Boden sinken. Die Flaschen klappern und erinnern Balqis und mich an das, was ich tue, obwohl ich es nicht tun sollte.
“Jakarta ist nicht interessant genug. Sie werden es von Singapur aus abdecken. Keep the costs down. Indonesien ist im internationalen Journalismus ein Backwater. Die großen Dinge wie die Revolution und die Unabhängigkeit Ost-Timors sind vorbei.”
“Und jetzt?”
“Er hat mir ein paar Monate Zeit gegeben.”
“Wozu?”
“Eine Story zu liefern, die die Gesellschafter davon überzeugen soll, Jakarta nicht dicht zu machen.”
“Das kann nicht sein.”
“Oh doch. Ich kämpfe um unser Überleben. Es fühlt sich beschissen an, nach all den Jahren hier.”
Sie schüttelt ihren schönen Kopf und streichelt meine Hand. Dann mein Gesicht. Entlang der Narbe. Wie immer, wenn sie es ernst meint.
Ramadan
Blutrote Augen sehen mich im Spiegel an: “Was hast Du getan? Warum tust Du es immer wieder?”
Mein Kopf vibriert wie ein Airbus im Landeanflug und der Schmerz ist wie ein Crash und ich fühle mich schuldig. Schuldig für das, was ich mir selbst und meinem Körper antue und Balqis antue, wenn ich zugedröhnt ins Bett komme und am nächsten Morgen nicht mehr weiß, was ich am Abend zuvor gesagt habe.
“Du hast gesagt, Du trinkst nichts mehr.”
Ihr Blick ist vorwurfsvoll und ich kann mich nicht erinnern, ob ich das gesagt habe oder nicht. Aber vermutlich schon, denn ich habe es so oft gesagt und mir geht es heute so schlecht, dass ich mir sage:
“Heute werde ich nichts trinken.”
Ich meine es.
Wirklich.
Sie schaut mich an und sieht den Kampf in meinem Kopf nicht. Ich quäle mich mit einem Kopf, der größer ist als eine Wassermelone in die Küche. Ich schäme mich für meine Schmerzen. Wie ein Kind, das auf jede heiße Herdplatte langt und nichts dazu lernt.
Ich mache Kaffee.
“Kaffee?” sage ich zu ihr und tue, als ginge es mir gut, als hätte ich keinen Hangover, als wäre alles ganz normal. Vermutlich ist alles ganz normal, denn ich wache an mehr Tagen in der Woche mit einem Hangover auf als ohne. Ihr hübscher Kopf sagt “Nein” und ihr Gesicht verschwindet hinter der Mähne ihrer Locken.
“Heute beginnt Ramadan. Ich bin um vier Uhr aufgestanden und habe Sahur gegessen. Du hast geschnarcht wie ein Elefant.”
Sie meint es nicht lustig.
“Ich dachte, Du wolltest mit mir fasten. Anstelle dessen hast Du getrunken. Wenn ich es nicht besser wüsste ... würde ich glauben ... Du wolltest Dich umbringen.”
Ich schütte den heißen Kaffee in mich wie Medizin. Meine Hand zittert. Sie bemerkt es und ich schenke eine zweite Tasse ein und tue als wäre nichts.
“Warum tust Du das? Welches Loch in Dir willst Du stopfen?”
Im Kühlschrank finde ich eine Limette und gebe ihren Saft in den Kaffee. In den meisten Fällen hilft das, den Tiger in meinem Kopf zum Schweigen zu bringen.
“Ich weiß es nicht.”
Ich weiß es wirklich nicht.
Ich kann es nur vermuten.
Der Alkohol ist zur Gewohnheit geworden, in Jakarta gehört Alkohol zum Lifestyle. Meistens geht es mittags mit ein paar Bier los. Chander fährt mich oder ich nehme ein Taxi - das, was mich in Deutschland vom Trinken abhalten würde, das Autofahren, findet hier nicht statt.
Nicht, dass ich es vermisse.
Es ist Stau und lieber stehe ich betrunken im Stau in Jakarta als nüchtern in Deutschland. Ich will trinken. Wenn ich aufhören wollte, dann würde ich aufhören.
“Ich mache mir Sorgen um Dich und Deine Gesundheit.”
Ich schüttle den Kopf und lächle sie an wie ein Schulkind den Rektor.
“Willst Du nicht während des Fastenmonats das Trinken aufhören.”
Der Satz ist keine Frage. Er ist ein Befehl.
Sie schaut mich an und sagt:
“Nicht wegen mir. Wegen Dir.”
Ihre Augen strafen mich. Balqis ist keine strenge Muslimin und sie trinkt gerne.
Moderat.
Der Ramadan ist heilig für sie, und in diesen Wochen ändert sich ihr Leben. Sie fastet, sie betet, wir haben keinen Sex. Das Leben mit ihr ist genauso langweilig wie Jakarta in diesen Wochen, wenn die Ibu Kota zur Ruhe kommt. Es ist beinahe so wie der erste und zweite Weihnachtsfeiertag in Deutschland.
Nur eben vier Wochen lang.
“Hilfst Du mir in den Momenten, in denen ich schwach werde?”
“Ja.”
Sie hebt die Decke hoch und sagt mir, ich soll zu ihr kommen.
“Zusammen sind wir stärker.”
Ich trinke den Kaffee aus und gehe zu ihr ins Bett und halte sie fest und hoffe, diesmal mein Versprechen zu halten.
Die grüne Uniform
Mein Nokia klingelt.
“Hallo Mister Wolf.”
“General Made. Das ist eine Überraschung.”
“Mister Wolf. Das ist seit geraumer Zeit General a.D. Made. Und für Sie einfach nur Made.”
“Sehr gerne, General Made.”
Ich stelle mir sein Gesicht vor, wie es am schwarzen Strand von Lovina lacht.
Der General ohne Uniform ist wie New York ohne Wolkenkratzer. Ich kann mir seinen dicken Bauch nicht ohne die olivgrüne Uniform vorstellen. Ich habe ihn nie ohne seine Uniform gesehen.
“Sie haben mich immer noch nicht besucht,” sagt er ohne Vorwurf in seiner Stimme. Es ist eine korrekte Feststellung, nicht mehr und nicht weniger. Sein Guesthouse in der Nähe des Pantai Lovina heißt “Jenderal Made’s Guesthouse”.
Der Name ist wenig einfallsreich.
Er ist programmatisch.
Und General Made trägt weiterhin seine Uniform. Ich bezweifle, dass er andere Kleidung besitzt. Das Thema zieht sich durch das ganze Guesthouse. Die Angestellten tragen auch Uniformen und haben verschiedene Dienstgrade auf ihren Schultern. Beim Check In salutieren die Mitarbeiter den Gästen und fordern sie auf, Meldung zu machen. Das hat einen besonderen Appeal, der nicht jedem taugt. General Made ist der General und er hat das Sagen. Ganz so, wie er es gewohnt ist. “Wenn Du zu uns kommst und bei uns wohnst, nehme ich das persönlich,” verkündet der General auf seiner Homepage. “Dafür bürge ich. Mit meinem Namen: Made. Jenderal Made.”
Die Seite existiert auf Indonesisch und Englisch. Kleine Flaggen rechts oben deuten dem Betrachter der Website an, wo er die Spracheinstellung ändern kann.
Hinter dem Text zeigt General Made am Strand vor einer sich neigenden Sonne mit zwei Fingern in die Kamera, als würde er auf den Betrachter schießen.
Fast wie in einem James Bond Film.
Er hat seine Uniform an.
Ich weiß nicht, wer ihm zu diesem Webauftritt verholfen hat, aber es funktioniert.
“Ja. Ich weiß. Sie stehen ganz oben auf unserer Liste. Balqis ist fast die ganze Zeit in Sumur, wenn sie nicht in Jakarta ist. Das lässt kaum Platz für andere Reisen.”
“Sumur. Wie laufen Eure Geschäfte da?”
General Made ruft mich nicht an, um mit mir über die Auslastung von Balqis’s Anlage in Sumur zu sprechen.
“Es läuft. Balqis ist happy. Der Terrorismus ist verdaut und die Menschen kommen wieder nach Sumur und in den Nationalpark.”
Ich höre ihn murmeln, beinahe singen:
“Das ist schön, sehr schön, sehr gut.”
Würde ich nichts sagen, er würde auflegen.
Also sage ich:
“Wie läuft das Geschäft bei Ihnen?”
Javaner und Balinesen sind genauso unterschiedlich wie Tag und Nacht. Sie teilen sich jedoch die Zurückhaltung. Sie fallen ungern mit der Tür ins Haus. Sie tanzen lieber um das Thema herum, als dass sie zu früh mit ihrem eigentlichen Anliegen loslegen. Dies kann einen Ausländer verwirren und ihn in die Irre führen, Geduld und Zeit kosten. Ich habe mich daran gewöhnt.
Direkt mit dem eigentlichen Anliegen voran preschen ist ein Zeichen der Schwäche.
Es ist Gesichtsverlust.
Entweder Deiner, wenn Du nicht weißt, was Dein Gesprächspartner antworten wird.
Oder der Deines Gesprächspartners.
Wenn ihm Deine Frage unangenehm ist und Du ihn als Geschäftspartner verlieren könntest.
In meinen Jahren in Indonesien habe ich gelernt, ihnen Zeit und Raum zu geben. Sie kommen zu Dir, wenn sie so weit sind.
Ich gebe General Made Zeit und Raum, zu mir zu kommen. Aber General Made macht sich keine Gedanken um seinen oder meinen Gesichtsverlust. Er kommt direkt zum Punkt. Er kennt mich und weiss, wie ich ticke.
“Sie haben mir doch gesagt, wenn ich etwas habe, soll ich mich melden.”
“Uh-hu.”
“Ich habe etwas.”
Ich schweige.
Er stellt mir keine Frage.
Ich frage ihn:
“Worum geht es?”
Wir treffen uns in der Pendopo Lounge im Hotel Borobudur. Nurul kommt zu mir an den Tisch.
“Mr Wolf, schön, dass Du hier bist. Bintang?”
“Nurul, es ist viel zu früh für ein Bier.”
“Es ist kurz vor Mittag. Normalerweise trinkst Du ein Bier. Und manchmal rügst Du mich, wenn ich den Tequila vergesse.”
Ich schüttle meinen Kopf und setze ein ernstes Lachen auf. Vielleicht wird mein Gesicht auch rot, weil ich mich schäme, dass die schöne Nurul meinen hässlichen Habitus so gut kennt und mir einen Spiegel vorhält.
“Heute ist alles anders, Nurul. Und außerdem ist Fastenzeit.”
“Sag mir nicht, dass Du fastest.”
“Fastest Du?”
Sie nickt.
“Und Du?”
“Fasten nicht. Aber ich habe versprochen, bis Idul Fitri nichts zu trinken.”
“Wem?”
“Meiner Frau?”
“Deine Frau kann sich sehr glücklich schätzen.”
“Ich bin es noch mehr, Nurul.”
Sie hat mich einige Male erlebt, in denen ich weit mehr als genug hatte, und Nurul hat mir nie einen Strick daraus gedreht. Sie mag mich und ich sie und wäre sie nicht verheiratet und wäre ich nicht verheiratet, dann hätte ich sie eingeladen. Nurul ist eine exotische Frau mit hohen Wangenknochen, dunkler Haut und langen Haaren und Augen, die tief wie ein Brunnen sind. Viele Männer würden eintausend Dollar ausgeben, nur um ihren Anblick eine Minute lang genießen zu können.
“Ramadan ist eine lange Zeit. Gut für Dich. Schlecht für unseren Umsatz.”
Sie lacht mit einem Grinsen, das ihr schönes Gesicht noch schöner macht, wenn das möglich wäre.
“Ich lege Dir die Differenz in Kaffee oben drauf.”
“Oh Mister Wolf, da wirst Du viele schlaflose Nächte haben, wenn Du so viel Kaffee trinkst.”
Sie legt ihre Hand auf meine Schulter.
“Soll ich Dir einen Kaffee bringen?”
“Bitte mit Limette.”
“Bleibst Du alleine?”
“Ich habe gleich einen Gast.”
“Dann lasse ich die Karte hier.”
Sie lächelt mich an, ich lächle zurück und sie macht sich auf den Weg zur Bar. Ich nehme eine Jakarta Post und blättere belanglos durch die Nachrichten dieser Welt.
Der Kaffee kommt kurz vor der grünen Uniform. Die Uniform schiebt den großen Bauch voran in die Lounge. Ich bin mir sicher, dass General a.D. Made zugenommen hat. Das stressfreie Leben auf Bali hat einen anderen Effekt auf ihn als das Leben in Jakarta.
Der Captain im Livree an der Bar salutiert General a.D. Made als wäre General Made nicht a.D. sondern i.D. Die beiden tauschen ein Lachen aus, als kennen sie sich seit Ewigkeiten.
Der General bringt sein Selbstbewusstsein ohne irgendwelche Hybris mit. Vielleicht ist es das Wissen, mit niemandem im Wettbewerb zu stehen. General Made hat seinen Krieg gewonnen, wenn auch nicht alle Schlachten. Er hat zuletzt dann doch an den Emporkömmling, General Arief, berichten müssen. Arief ist mein Trauzeuge.
Heute ist ihm das alles egal.
General Made sieht nicht so aus, als könnte er ohne seine Uniform leben. Die Uniform verleiht ihm Würde und Respekt. Ohne die Uniform ist General Made nur Made und ein lustiger und angenehmer Zeitgenosse aus Bali, aber nicht der ehemals höchste Terroristenjäger im Land. Ich stehe auf und reiche ihm die Hand zur Begrüßung und verneige meinen Kopf ein wenig, so wie sie es hier machen. Der Handschlag ist weich und locker und ein breites Lachen auf seinem Gesicht begleitet seine fleischige Hand.
“Bapak Jenderal Made, schön Sie zu sehen.”
Seine Augen tasten die Sessel der Lounge ab, ob in ihnen eine Person sitzt, die wichtiger ist als er und die er begrüßen muss. Alle anderen müssen ihm die Ehre erweisen und zu ihm kommen.
Negativ.
Die Lounge ist fast leer. Es ist Ramadan. Etwas, das General a.D. Made so fremd ist wie mir.
Seine Aufmerksamkeit gehört mir.
“Schön, dass es so schnell geklappt hat.”
Nurul sieht meinen Gast in Uniform und bewegt ihre schlanke Taille an unseren Tisch.
“Die haben Sie sich hier schön ausgesucht,” sagt General Made. Er zeigt mit seiner Hand auf die Lounge und sein Blick meint sie.
“Und auch den Platz.”
Er lächelt Nurul an und Nurul lächelt zurück als General Made ihr vier blaue Scheine zusteckt.
“Kaffee, bitte, und verzeihen Sie mir meine Frivolität.”
Nurul ist ein Profi. Das Lachen verlässt ihr Gesicht genauso wenig wie die Hitze Jakarta und sie sagt:
“Ich bin das von Mr. Wolf und seinen Freunden gewohnt.”
Sie zwinkert mir zu. Sie dreht ihren zarten Körper zu mir und ihren Rücken zu General Made und rollt ihre Augen nach oben, bevor sie den langen Weg vorbei am Piano an die Bar nimmt.
General Made sieht Nurul hinterher. Sie schwebt als javanische Göttin durch die Lounge.
“Überall lockt das Weib.”
“Da haben Sie Recht.”
Ich brauche Nurul nicht hinterher zu schauen, um zu wissen, was ich versäume.
“Ich bin seit mehr als vierzig Jahren verheiratet. Meine Frau und ich haben zehn Kinder. Und ich bin nicht jede Nacht mit meiner Frau zusammen. Das ist das Glück meiner Ehe.”
Ich nicke und sehe ihn mit einem javanischen Lächeln an. Mein Lächeln sagt alles und könnte auch das Gegenteil bedeuten. Es ist die javanische Art, alles zu bedeuten, ohne etwas auszusprechen. General Made wird sein Gesicht nicht wegen mir verlieren. Egal ob ich ihm zustimme.
Oder nicht.
Er steckt sich eine Kretek-Zigarette mit einem goldenen Zippo an. Das Zippo trägt eine indonesische Flagge auf der Seite und einen Garuda.
“Meine Frau vertraut mir,” sagt General Made durch den Qualm der Zigarette.
“Wissen Sie, was Vertrauen ist?”
“Ich denke schon,” sage ich.
“Meine Frau weiß, dass ich zurückkomme. Jedes Mal.”
Mittel- und Ringfinger seiner rechten Hand halten die Zigarette. Beide Finger tragen goldene Ringe wie Trophäen aus der Jagdsaison. Ein Ring hat einen Rubin, der andere einen grünen Stein. Jade.
Ein wenig Asche fällt auf seinen Bauch.
“Das ist Vertrauen.”
Sein Blick nickt mir zu, schweift weg von meinen Augen durch die Lobby, bleibt an Nurul hängen, fährt einmal an ihrem Körper wie ein Scanner hoch und runter. Nurul spürt seinen Blick auf ihrem Körper und dreht sich um. Es gibt in diesem Augenblick keine schönere Frau als Nurul. Dann wandert sein Blick über den Eingangsbereich zur Lobby des Hotels.
“Wie alt ist Nurul?”
“Warum fragen Sie?”
“Sie könnte meine Enkelin sein und arbeitet hier und lässt sich von Männern wie mir ansehen.”
“Ich dachte, Männer wie Sie sind ehrbar und es macht nichts, solange Sie sie nur ansehen.”
“Machen wir uns nichts vor, Wolf. Wir wollen alle das Gleiche.”
Ich reagiere nicht auf seine Aussage.
Kurze Pause.
Paffen an der Zigarette.
Blauer Dunst.
Nurul bringt seine Tasse Kaffee. Diesmal beachtet er sie nicht.
“Vertrauen Sie mir?” sagt General Made.
“Soweit ich Sie kenne.”
“Das ist das Thema mit dem Vertrauen. Entweder Sie tun es, oder nicht. Es gibt keinen Graubereich.”
Ich schaue ihn an und sage nichts. Ich weiß nicht, worauf er hinaus will.
“Wie gut kennen Sie mich?”
Er pausiert für den Effekt. Ich sage nichts, und er erwartet nichts.
“Wie gut glauben Sie, mich zu kennen? Und können Sie einen Menschen jemals so gut kennen, dass Sie wirklich wissen können, dass Sie einem anderen Menschen vertrauen können?”
“Ich weiß nicht, wie gut ich Sie kenne. Gar nicht gut. Vermutlich gar nicht.”
“Und warum vertrauen Sie mir dann?”
“Vertrauen hat nichts mit Wissen zu tun.”
“Das ist sehr clever von Ihnen, Mister Wolf. Was bedeutet das?”
“Dass Vertrauen nichts damit zu tun hat, wie gut ich Sie kenne oder was ich über Sie weiß. Sondern was ich über Sie denke. Und fühle.”
“Jetzt kommen wir der Sache näher.”
“Welcher Sache?”
“Die ich für Sie habe.”
Er richtet sich in seinem Sessel auf und schiebt seine polierten Lederschuhe unter den goldenen Tisch. Er stampft seine Zigarette im Aschenbecher aus. Nurul kommt vorbeigeflogen wie ein Engel und nimmt den Aschenbecher mit.
“Darf es noch etwas sein?”
Er schüttelt seinen Kopf.
“Danke, Nurul,” sage ich.
“Vertrauen Sie ihm?” fragt er Nurul und zeigt mit seinem Gesicht auf mich.
Nurul lacht und nickt ihre Zustimmung und zieht von dannen, damit General a.D. Made sie nicht noch tiefer in unser Gespräch zieht.
Er schaut mich an.
“Das ist gut. Sie haben einen Stein bei ihr im Brett.”
Ich sehe Nurul hinterher und General a.D. Made studiert meine Augen, ohne etwas zu sagen.
“Vertrauen Sie mir?” sage ich zu ihm.
“Sonst würden Sie nicht hier sitzen.”
“Also gut. Dann haben wir das aus der Welt geschafft,” sage ich und lache dabei, als hätte mir der sokratische Dialog Spaß gemacht und als hätte ich nichts anderes zu tun.
“Das haben wir.”
Er lehnt sich zurück und spricht mit leiser Stimme:
“Ich war Verbindungsoffizier zu allen möglichen Geheimdiensten. Auch zu Ihrem. BND. Auf ASEAN-Ebene. Bevor General Arief dies wurde. Im Kampf gegen den Terrorismus.”
Ich nicke. Das ist nichts Neues.
“Wie heißt das bei Euch? Bundesnachrichtendienst?”
Er spricht das Wort fehlerfrei aus und sucht meine Bestätigung.
“Korrekt.”
“Ihr liebt auch die langen Namen.”
“Und Akronyme. So wie Ihr.”
Er lacht und nickt und steckt sich eine neue Kretek an. Nurul bringt einen sauberen Aschenbecher und tut so, als wäre sie nicht anwesend.
“Ein BND-Agent aus dem Asien-Referat hat mit mir Kontakt aufgenommen.”
“Und?”
“Er müsste mit General Arief Kontakt aufnehmen. Ich bin a.D., wie Sie wissen.”
“Sie haben ihn sicherlich an General Arief verwiesen.”
“Das ist das Ding. Das wollte er nicht. Er kennt General Arief.”
“Warum nicht?”
“General Arief soll es nicht wissen.”
“Soll was nicht wissen?”
“Dass er und ich in Kontakt stehen.”
“Ist es eine offizielle Anfrage des BND?”
“Das ist das nächste Thema.”
“Ist es nicht?”
“Nein.”
“Es ist ein privates Anliegen. Eines Agenten des BND.”
“Das ist die Story, die sie für mich haben?”
“Sie stinkt. Da ist mehr. Viel mehr. Ich rieche es.”
Er hält seine Hand hoch und ein junger Mann in einer grünen Uniform kommt an den Tisch gepirscht wie ein Reh, duckt den Kopf und reicht General Made mit beiden Händen einen Umschlag. Dann verschwindet der junge Mann in die Lobby des Hotels.
“Major Gusti. Einer meiner Söhne.”
Ich nicke. Er reicht mir das Kuvert.
“Machen Sie auf.”
Ich mache den Umschlag auf und schütte den Inhalt auf den Tisch: Emails, Fotos, Schriftstücke.
“Behandeln Sie es vertraulich. Solange, bis es Ihre Story ist. Dann kommen Sie zu mir.”
“Und was ist mit dem BND-Mann?”
“Er heißt Arne Kucholski. Ich vertraue ihm genauso wenig wie einem Politiker kurz vor den Wahlen.”
General Made schaut sich in der Lounge um. Ein paar Geschäftsleute haben sich eingefunden und Nurul ist mit ihnen beschäftigt. Ein paar Bule in Badeklamotten auf dem Weg zum olympischen Pool schauen durch die Fenster in den tropischen Garten. Ein Hausmeister bringt Sedap Malam in hohen Vasen an unserem Tisch vorbei und ihr Duft zieht mir in die Nase.
“Sie haben mit ihm gesprochen?”
Er nickt.
“Sie dürfen mir gerne ein wenig mehr erzählen.”
“Mr Arne will, dass wir für ihn einen deutschen Staatsbürger finden, der sich in Indonesien aufhält. ‘Versteckt’ in seinen Worten.”
“Und warum versteckt er sich?”
“Die BRD hat für ihn einen internationalen Haftbefehl beantragt.”
General a.D. Made fällt wieder in den Habitus des Polizisten und sein Wording ändert sich:
“Es geht um den Vorwurf der Vergewaltigung, der Körperverletzung und der Freiheitsberaubung. Die Behörden können ihn in Indonesien nicht vollstrecken. Wir haben kein Auslieferungsabkommen mit Deutschland.”
“Das ist auch nicht Aufgabe des BND.”
“Und Mr Arne fragt nicht in der Funktion eines BND-Agenten. Vergessen Sie das nicht. Seine Agenda ist von privater Natur. Das mit dem Haftbefehl ist ein Vorwand. Ansonsten würde er mit General Arief sprechen.”
“Daher stinkt die Story.”
General Made lacht mich an.
“Sie riechen es also auch.”
“Was machen wir nun?”
“Sprechen Sie mit dem gesuchten Deutschen. Maximilian Rust, jetzt Ulrich Zimmer.”
“Wo?”
“Auf Lombok. Senggigi Beach. Die Details finden Sie in den Papieren. Fliegen Sie hin.”
“Woher wissen Sie das?”
“Ich habe meine Wege.”
“Wenn die Story nicht groß genug ist, bringt sie mir nichts.”
General Made raucht und schaut mich an und lässt lässig sein Grinsen durch die Lounge schweifen, als würde ihn nichts auf dieser Welt belasten. Er trinkt seinen Kaffee und fährt sich mit seiner Hand durch die Haare.
“Oh glauben Sie mir, die Story ist groß genug.”
“Die Unterlagen?”
“Nehmen Sie sie mit.”
“Was sagen Sie Arne?”
“Dass wir Ulrich Zimmer für ihn suchen. Ich halte ihn hin. Dann sehen wir weiter.”
Er grinst, als würden wir mit Arne Kucholksi Räuber und Gendarm spielen.
“Warum machen Sie das?”
“Es amüsiert mich.”
Ich schweige, weil mir dazu nichts einfällt.
“Nein, ernsthaft. Wenn ein abtrünniger Agent eines ausländischen Geheimdienstes in meinem Land etwas vorhat, dann will ich's wissen.”
“Um was zu tun?”
“Das werden wir sehen. Entweder wir unternehmen selbst etwas. Oder wir geben es an die Presse.”
Ich lächle ihn an und nicke. Dann winke ich Nurul zu. General a.D. Made nimmt zwei rote Rupiah-Scheine mit den Gesichtern von Sukarno und Mohammad Hatta aus seiner Brieftasche und legt sie auf den Tisch.
“Der Rest ist für Sie, Nurul.”
More brown, more love
Tika ist Uli’s Freundin.
Tika ist einige Jahre älter als Uli und hat ein Kind aus ihrer ersten Ehe. Das sie nie sieht. So gut wie nie.
Ihr erster Mann war ein Schweizer, der für die UBS in Jakarta gearbeitet hat. Alessandro, obwohl mit einem italienischen Namen versehen, kommt aus Zürich und aus betuchten Hause und war geschieden und lebte in Jakarta. Als Tika ihn im CJ’s im Mulia Hotel kennen lernte, wusste sie zwei Dinge:
Zum einen, dass sie ihn in dieser Nacht nicht alleine aus dem Nachtclub gehen lassen wird.
Und zum zweiten, dass sie ihn gar nicht gehen lassen wird.
Er gehörte ihr.
Alessandro war nicht nur Liebe auf den ersten Blick, Alessandro war ihr Ticket für die Business Class, für Schmuck, Handtaschen und ein Leben im Geld.
Denn Alessandro atmete Luft ein und Geld aus - als Investment Banker ging es in seinem Leben nur um drei Dinge, und um die drehte sich sein Leben, an diesen orientierte sich alles, und deswegen war auch seine erste Ehe gescheitert: Geld, Geld, Geld.
Was auch immer er in Indonesien tat, es kam sehr viel Geld dabei raus. Alessandro lebte teuer: Penthouse in den Four Seasons Residences, BMW mit Fahrer, an den Wochenenden Business Class nach Singapur oder Bali, fünf Sterne oder mehr.
Alessandro versprach Tika ihre eigene Kreditkarte. Tika erhielt sie und sie flog erst auf, als Alessandro zwei Wochen lang auf einer Investorentour durch die Welt flog und bereits nach einer Woche zurückkam. Er betrat das Penthouse und eine Spur an Klamotten führte ihn zu Tika in ihrem Ehebett. Tika, nie ein Kind der Traurigkeit, war nicht alleine, sondern lautstark mit Peter und David beschäftigt und hörte ihren Mann erst, als er nach einigen Minuten an der Schlafzimmertür klopfte. Alessandro filmte alles. Die beiden Männer, zwei australische Piloten, hatten Körper wie Surfer aus Bondi Beach. Sie tat Dinge mit ihnen, die er nur in Videos im Internet gesehen hatte, und die er nie von Tika verlangt hätte, ohne sich zu schämen.
Die Scheidung war schnell und schmerzhaft und nahm Tika alles. Auch das Sorgerecht für Felicitas, die Tochter aus ihrer Ehe. Sie schlief in einem Nachbarzimmer und wäre sie wach geworden, hätte sie die Untreue ihrer Mutter live mitbekommen.