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Veröffentlichungsjahr: 2024
»Sumsemann« hieß der dicke Maikäfer, der im Frühling auf einer Kastanie im Garten von Peterchens Eltern hauste, nicht weit von der großen Wiese mit den vielen Sternblumen. Er war verheiratet gewesen; aber seine Frau war nun tot. Ein Huhn hatte sie gefressen, als sie auf dem Hofe einherkrabbelte am Nachmittag, um einmal nachzusehen, was es da im Sonnenlicht zu schnabulieren gab. Für die Maikäfer ist es nämlich sehr gefährlich, am Tage spazierenzugehen. Wie die Menschen des Nachts schlafen müssen, so schlafen die Maikäfer am Tage.
Aber die kleine Frau Sumsemann war sehr neugierig und so brummte sie auch am Tage herum. Gerade hatte sie sich auf ein Salatblatt gesetzt und dachte: ›Willst mal probieren, wie das schmeckt!‹ ... Pick! - da hatte das Huhn sie aufgefressen.
Es war ein großer Schmerz für Herrn Sumsemann, den Maikäfer. Er weinte viele Blätter nass und ließ seine Beinchen schwarz lackieren. Die waren früher rot gewesen; aber es ist Sitte bei den Maikäfern, dass die Witwer schwarze Beine haben in der Trauerzeit. Und Herr Sumsemann hielt auf gute Sitte, denn er war der letzte Sohn einer sehr berühmten Familie.
Vor vielen hundert Jahren nämlich, als der Urahn der Familie Sumsemann sich gerade verheiratet hatte, geschah ein großes Unglück. Er war mit seiner kleinen Frau im Wald spazierengeflogen - an einem schönen Sonntagabend. Sie hatten viel gegessen und ruhten sich ein wenig auf einem Birkenzweiglein aus.
Da sie aber sehr mit sich selbst beschäftigt waren, denn sie waren jung verheiratet, merkten sie nicht, dass ein böser Mann durch den Wald herbeikam; ein Holzdieb, der am Sonntag stehlen wollte. Der schwang plötzlich seine Axt und hieb die Birke um. Und so schrecklich schlug er zu, dass er dem Urgroßvater Sumsemann ein Beinchen mit abschlug. Fürchterlich war es!
Und sie fielen auf den Rücken und wurden ohnmächtig vor Angst. Nach einiger Zeit aber kamen sie zu sich von einem hellen Schein, der um sie leuchtete.
Da stand eine schöne Frau vor ihnen im Walde und sagte: »Der böse Mann ist bestraft für seinen Waldfrevel am Sonntag. Ich bin die Fee der Nacht und habe es vom Monde aus gesehen. Zur Strafe ist er nun mit dem Holz, das er umgeschlagen hat, auf den höchsten Mondberg verbannt. Dort muss er bleiben bis in alle Ewigkeit, Bäume abhauen und Ruten schleppen.«
Aber der Urgroßvater Sumsemann schrie und sagte: »Wo ist mein Beinchen, wo ist mein Beinchen, wo ist mein kleines sechstes Beinchen?«
Da erschrak die Fee.
»Ach«, sagte sie, »das tut mir sehr leid; es ist wohl an der Birke hängengeblieben und nun mit auf den Mond gekommen.«
»Oh, oh, mein Beinchen, mein kleines sechstes Beinchen!« schrie der arme Urgroßvater Sumsemann, und seine kleine Frau weinte schrecklich. Sie wusste, dass nun alle ihre Kinder nur fünf Beinchen haben würden statt sechs, denn es vererbt sich. Und das war schlimm. Als aber die Fee den großen Jammer sah, hatte sie Mitleid mit den Käfertierchen und sagte: »Ein Mensch ist zwar sehr viel mehr als ein Maikäfer, und deshalb kann ich die Strafe für den bösen Mann nicht aufheben; aber ich will erlauben, dass gute Menschen, wenn ihr sie findet, euch das Beinchen wiedergewinnen können. Wenn ihr zwei Kinder findet, die niemals ein Tierchen quälten, dann dürft ihr auf den Mond mit ihnen und das Beinchen wiederholen.«
Da waren die beiden etwas getröstet und flogen heim und trockneten ihre Tränen.
Diese Geschichte hatte sich bald unter allen Käfern herumgesprochen; alle Mücken, Grillen und Ameisen wussten es, sogar die Libellen und Schmetterlinge hatten davon gehört. Die Familie der Sumsemanns war berühmt geworden. Sie galt auf allen Wiesen und in allen Bäumen für ein sehr vornehmes Geschlecht. Aber die Sumsemänner und Frauen hatten viel Leid von ihrem Ruhm, denn immer wieder wurden sie totgeschlagen, wenn sie nachts in die Stuben kamen, um die Kinder zu bitten; oft von rohen und unverständigen Dienstmädchen, oft auch von den Kindern selbst. Dies war der große Fluch, der auf der Familie lastete. Und so kam es, dass zuletzt nur noch ein Sumsemann übrig war auf der Welt, der Witwer, dessen Frau von dem Huhn gefressen wurde, weil sie so neugierig am Tag herumflog, statt zu schlafen.
Er war ein sehr vorsichtiger Mann, hielt sich immer ein wenig abseits von den anderen Maikäfern, und besonders, seit seine Frau tot war, liebte er die Einsamkeit.
Da saß er in der Dämmerung, wenn er sich satt gegessen hatte, auf irgendeinem Zweiglein, geigte sehnsüchtige Liederchen an den Mond und die große Ballade vom sechsten Beinchen, das noch immer dort oben war. Manchmal spielte er sich auch ein lustiges Liedchen. Dazu tanzte er dann auf den großen Kastanienblättern herum. Das sah sehr komisch aus. Die anderen Maikäfer veranstalteten allabendlich ein großes Brummbaß- und Paukenkonzert unter dem Baum. Herr Sumsemann aber sagte regelmäßig ab, wenn sie ihn dazu einluden, und das ärgerte sie sehr. »Er ist hochnäsig«, sagten sie, »seit er nicht mehr den Brummbaß, sondern die Geige spielt.«
Aber es war nur Neid von ihnen. Sie hatten nämlich alle nur ihre Pauken und dicken Brummbässe; er aber hatte eine kleine silberne Geige, die funkelte wie das Mondlicht und hatte einen Ton, so fein wie die winzigen, singenden Mücken, die in der Sonne tanzen. Diese Geige war ein altes Familienerbstück. Einst hatte ein Herr Sumsemann der Grille Zirpedirp, die auf der Sternblumenwiese wohnte, das Leben gerettet, als sie zu hoch auf einen Baum gestiegen war und einen Schwindelanfall bekam. Zum Dank für diese mutige Tat hatte die Grille ihrem Lebensretter die silberne Geige geschenkt. Die erbte seither im Geschlechte der Sumsemanns immer der älteste Sohn, und sie wurde hoch in Ehren gehalten. So war nun der letzte Sumsemann auch der letzte Erbe. All dies machte ihn sehr stolz. Man kann es begreifen. Er führte ein bequemes Leben, war dick und vorsichtig und dachte immer daran, dass er sich nicht in Gefahr bringen dürfe. Nur manchmal, wenn der Abend gar so schön war, packte es ihn, und er wurde mutig. Dann trank er ein Vergißmeinnichtschnäpschen nach dem anderen zur Erinnerung an seine Frau - obwohl sie damit ganz gewiss nicht einverstanden gewesen wäre -, und in sehr angeregter Stimmung summte er in Zickzacklinien durch die Gärten. Er störte die Mücken bei ihrem Abendtanz und die Leuchtkäfer beim Versteckspielen. Er rempelte die Apfelblüten an, dass die kleinen Marienkäferkinderchen herauspurzelten, die da eben einschlafen wollten. Er zerriss der schieläugigen Spinne die Fangnetze und rannte ... bums! ... gegen alle Fenster, weil er nicht mehr genau unterscheiden konnte, ob ein Fenster offen oder geschlossen war. Es tat ihm aber nichts, denn er hatte einen sehr harten Schädel. »Hoppla!« sagte er meistens nur und flog weiter, von gewaltigem Tatendurst getrieben. ›Ein Ritter bin ich‹, so dachte er, ›und der letzte Sumsemann!‹
So war der letzte Sumsemann denn auch eines schönen Abends in das Schlafzimmer von Peterchen und Anneliese geraten, als die Kinder gerade von der dicken Minna zu Bett gebracht wurden.
Peterchen hatte natürlich sein Gebrumm gehört und wollte ihn greifen. Gut war nur, dass Minna die Jagd nicht erlaubte, denn sonst wäre Sumsemann vielleicht in eine schlimme Lage geraten. Sie war wahrscheinlich schwerhörig, denn sie hatte gar nichts gehört und glaubte, dass Peterchen ihr nur etwas vormachen wolle, um im Hemdchen noch so »ein bissel« im Zimmer herumzuturnen.
Der Schreck war dem edlen Sumsemann aber doch scheußlich in die Glieder gefahren, und, trotzdem er gerade heute besonders viele Vergißmeinnichtschnäpschen getrunken hatte, war all sein Mut fort. Er lag oben auf der Gardinenstange und stellte sich tot. Dies ist ein altes und bewährtes Mittel bei den Maikäfern, in großen Gefahren. Derweil aber passte er genau auf, was im Zimmer geschah. Die Minna ging fort, als sie die Kinder ins Bettchen gepackt hatte, und Peterchen unterhielt sich mit Anneliese natürlich gleich über den Maikäfer. Jetzt wurde es wieder gefährlich!
Der Sumsemann bekam oben auf der Gardinenstange kolossales Herzklopfen, als Peterchen plötzlich leise aufstand, um ihn zu suchen, weil Anneliese ein bissel Angst hatte.
›Wer weiß, es hätte ihm doch ans Leben gehen können; obwohl die Kinder ja sonst gut waren. Aber man darf sich auf die Gutmütigkeit der Menschen nicht verlassen.‹ Dies wusste er aus seiner Familiengeschichte.
Das Geschick war ihm aber günstig; denn, gerade als Peterchen an der Gardine war und die Gefahr am höchsten stieg, kam die Mutter herein. Husch! wurde der kleine Junge wieder ins Bettchen gesteckt; beide Kinder mussten die Hände falten und das Nachtgebet sprechen. Dann sang die Mutter ihnen noch ein Schlaflied. Und sie sang die berühmte Maikäferballade. Hier ist sie:
»War einst ein kleines Käferlein, Summ - Summ - Summ -Hatte zwei braune Flügelein, Summ - Summ - Summ - Und sechs Beinchen hatte es auch Unter seinem schwarz-weißen Bauch, Summ - Summ - Summ.
Saß auf einem grünen Baum, Summ - Summ - Summ - Träumte einen schönen Traum, Summ - Summ - Summ - Träumte von Sonne, Mond und Sternen Und von fremden Länderfernen, Summ - Summ - Summ.
Als der dunkle Abend kam, Summ - Summ - Summ - Käferlein sein Ränzel nahm, Summ - Summ - Summ - Wollt' auf die große Reise gehn Und die weite Welt besehn, Summ - Summ - Summ.
Flog über einen breiten Bach, Summ - Summ - Summ - Verlor ein kleines Beinchen, ach! Summ - Summ - Summ - Reiste nur noch mit fünf Beinen, Tat so bitterlich drum weinen, Summ - Summ - Summ.
Flog es nach dem Mond geschwind, Summ - Summ - Summ - Kam ein großer Wirbelwind, Summ - Summ - Summ - Brach ein Flügelchen entzwei; Ach, das gab ein groß' Geschrei! Summ - Summ - Summ.
Fiel in einen tiefen Wald, Summ - Summ - Summ - Starb an seinem Kummer bald, Summ - Summ - Summ - Musst' die Reis' ein Ende haben; Sandmännchen hat es eingegraben, Summ - Summ - Summ.«
›Seltsam!‹ Herr Sumsemann oben auf der Gardinenstange wunderte sich, dass die Menschen dies Lied auch kannten. Es war ihm aber ein neuer Beweis für die Berühmtheit der Maikäfer auf der weiten Welt, und dies beruhigte ihn sehr. Als die Kinder nun eingeschlafen waren und die Mutter aus dem Zimmer ging, fasste er neuen Mut. Ganz leise rappelte er sich auf und spazierte in der Stube herum.
Er besah und beschnüffelte alles. Eine Puppenstube, ein Schaukelpferdchen, ein Lämmchen, Soldaten und Bilderbücher waren da. Lauter langweilige Sachen!
In der Puppenstube war allerdings etwas Zucker; aber Zucker? Puh, den mochte er nicht! Er verstand gar nicht, wie man so was essen könnte. Dann waren noch zwei Körbchen mit Äpfel da. Die Mutter hatte sie den Kindern für morgen hingestellt, wenn sie recht brav ausgeschlafen hätten. Er schüttelte den Kopf. ›Wie konnte man nur Äpfel essen?!‹ Unbegreiflich war ihm das. Greuliche Bauchschmerzen hätte er bekommen. Er aß nur Salat; das war vornehm.›Komisch, was den Menschen alles gut schmeckt!‹ dachte er, und dabei musste er laut lachen. Da er aber so viel Vergißmeinnichtschnäpse getrunken hatte, geriet er plötzlich aus dem Gleichgewicht und purzelte auf den Rücken. Au!... das war eine außerordentlich fatale und unangenehme Lage für den dicken Sumsemann, denn jeder weiß, dass es für Maikäfer sehr schlimm ist, auf den Rücken zu fallen, weil sie sich dann gar nicht mehr recht aufrappeln können. Er angelte also mit seinen fünf Beinchen in der Luft herum und dachte: ›Ja, ja, das kommt von den Schnäpschen, die man zum Andenken an die tote Ehefrau trinkt!‹
Lebte sie noch, sie hätte ihm sicher eins ausgewischt für die vielen Schnäpschen. Er wiegte sich nach rechts und links wie ein kleines Boot, kreiselte herum wie eine Karussell und quälte sich sehr. Endlich geriet er in die Nähe eines Tischbeins, und daran konnte er sich stützen, so dass er wieder hochkam. Ganz schmutzig war sein schöner, brauner Rock geworden. Alle Knöpfe waren abgeplatzt, und eine lange Naht war aufgerissen. Gut, dass ihn seine Frau nicht mehr sehen konnte. Nun saß der Sumsemann eine Weile am Tisch und dachte nach, womit er sich die Zeit vertreiben könnte. Da er aber weiter nichts anzufangen wusste und über die traurige Stimmung hinwegkommen wollte, nahm er seine kleine Geige und spielte sich ein lustiges Maikäfertänzchen; dazu sang er:
»Eins, zwei, drei - eins, zwei, drei, Fiel eine Biene in den Brei; Plumsdibums, Dideldumdei! Alle Käfer sitzen drum herum, Lachen sich schief, Lachen sich krumm, Brumm, brumm!
Vier, fünf, sechs - vier, fünf, sechs, Macht eine Fliege einen Klecks; Putschpitschpatsch, Klickklackklecks! Pfui, ruft jeder rechte Käfermann, Seht sie an, Was sie kann, Heran, heran!
Sieben, acht, neun - sieben, acht, neun, Tanzen alle kleinen Käferlein; Ringelreih, Dideldudeldei! Um die dicke Linde mit Gesumm, Rechts herum, Links herum, Brumm, brumm ! «
Dabei wurde er so fidel, dass er ganz vergaß, wo er war, und sehr erschrak, als Peterchen und Anneliese plötzlich laut auflachten, weil er gar so komisch herumsprang bei seinem Tanz. Er hatte sie nämlich mit seiner Musik aufgeweckt und gar nicht bemerkt, dass sie ihm schon eine ganze Weile zusahen. Eigentlich hatte er Angst und wollte sich schnell tot stellen, aber die Kinder lachten so vergnügt, dass er sich wieder ein Herz fasste. Er legte also seine Geige auf den Tisch, strich seine schöne, schwarz-weiße Weste glatt, richtete die kleinen Fühlhörnchen an seinem Kopf auf, machte eine Verbeugung und stellte sich vor: »Herr Sumsemann ! «
Die Kinder waren aus ihrem Bettchen geklettert, und da sie wussten, was sich gehört, machte Peterchen auch eine Verbeugung, Anneliese einen Knicks, und sie stellten sich ebenso vor. Nun aber waren sie schrecklich neugierig, beguckten und befühlten den Sumsemann überall, bewunderten die kleine silberne Geige und wollten alles wissen.
Dem dicken Maikäfer wurde ganz schwindlig von all den Fragen nach der Grille Zirpedirp und nach der toten Frau, die das Huhn gefressen hatte. Plötzlich hatte Peterchen auch entdeckt, dass ihm ein Beinchen fehlte. Der wusste nämlich ganz genau, wie viel Beinchen ein ordentlicher Maikäfer haben muss, und darum fragte er nun.
So war also wirklich der große Augenblick für den Letzten der Sumsemanns gekommen: Zwei gute Kinder fragten ihn nach seinem Beinchen. Viel hundert Jahre hatten seine Ahnen und Vorfahren dies ersehnt und waren totgeschlagen worden. Und jetzt - jetzt!!
Ihm wurde ganz grün vor den Augen, seine Flügel zitterten vor Aufregung, und beinahe wäre er auf den Rücken gefallen. Aber er beherrschte sich doch, so gut es ging, holte tief Luft, wischte sich mit einem grünen Lindenblättchen, das er immer als Taschentuch benutzte, den Schweiß von der Stirn, machte eine sehr geheimnisvolle Miene und sagte: »Ja, das ist eine sehr traurige und wunderbare Geschichte !«
Nun wollten die Kinder natürlich die Geschichte hören, schleppten drei Schemelchen herbei, und gleich darauf saßen sie, der Maikäfer in der Mitte, Peterchen links und Anneliese rechts dicht neben ihm. Es war totenstill in der Stube und sehr geheimnisvoll. Der Mond sah groß und gelb durch die Blumen vor dem Fenster, und der Maikäfer erzählte langsam und feierlich mit einem leisen brummenden Stimmchen die Geschichte vom Beinchen, von der Nachtfee und vom Mondmann. Staunend hörten die Kinder zu. Ja, das war wirklich eine wunderbare und geheimnisvolle Geschichte!
Es war ihnen ganz seltsam zumute. als der Maikäfer nun mit dem Erzählen fertig war und sie mit zwei großen Tränen in seinen runden Glotzäugelchen fragend anguckte. Peterchen war sehr gerührt, und Anneliese wischte sich mit ihrem Hemdzipfelchen sogar die Augen, weil ihr immer die Tränen kamen. Dann aber fasste sich Peterchen ein Herz und sagte, dass er das Beinchen schon recht gern mit Anneliese vom Mond herunterholen möchte; aber der Mond - das hatte er schon mal gehört vom Vater -, der wäre sehr weit fort, da oben irgendwo ganz hoch in der Luft; und wer nicht fliegen könnte, würde wohl niemals hinaufkommen. Anneliese wusste zwar noch weniger vom Mond als Peterchen; aber hoch war er sicher, vielleicht noch höher als der Schornstein auf dem Haus, und sie hatte doch ein klein bisschen Angst, dass man kaputtgehen könnte, wenn man da hinaufwollte, ohne richtig fliegen zu können. Sie sah ganz verlegen aus. Der Sumsemann aber wusste: wenn die Kinder nur wollten, so war es schon gut; wenn sie den guten Willen hatten, zu helfen, dann konnte er sie sogar das Fliegen lehren. So stand es nämlich in der Familiengeschichte der Sumsemanns deutlich mit weißer Tinte auf grünen Blättern geschrieben. Er hatte es auswendig gelernt. Selig umarmte er die beiden Kinder und sagte, dass sie das Fliegen sehr leicht von ihm lernen könnten, wenn sie nur ein bisschen aufpassten, wie er es mache. Na, das war was für Peterchen und Anneliese!
Sie fingen laut an zu lachen und tanzten wie toll in ihren Hemdchen im Zimmer herum. Aber es galt keine Zeit zu verlieren, wenn sie noch nach dem Mond fliegen wollten. Und so setzte der dicke Maikäfer sich in Positur, um den Kindern etwas vorzufliegen. »Aufgepasst!« sagte er, nahm seine kleine silberne Geige ans Kinn, spielte und sang dazu:
»Rechtes Bein - linkes Bein, Rechtes Bein - linkes Bein, Rechtes Bein und linkes Bein, Summ! - dann kommt das Flügelein Summ - Summ - Summ!«
Da flog er auch schon im Zimmer herum, und die Kinder klatschten vor Vergnügen laut in die Hände. Jetzt sollten sie es nachmachen. Es war ein feierlicher Augenblick!
Peterchen stellte sich in Positur, und Anneliese daneben, mit ein ganz klein wenig Herzklopfen. Der Maikäfer stand vor ihnen mit der Geige, sie mussten die Ärmchen ausbreiten, und während er geigte und sang, machten sie gehorsam die komischen Schritte nach, die er vorhin vorgemacht hatte. Plötzlich als er sang: »Summ! - dann kommt das Flügelein.« Was war das? Sie hoben sich von der Erde in die Luft ... ja ... sie flogen richtig rund im Zimmer herum!
Zuerst waren sie so erstaunt, dass sie nur die Augen ganz weit aufrissen und auch die Mäulchen. Dann aber konnte es Anneliese nicht mehr aushalten vor Vergnügen; denn es war wirklich zu schön, so wie ein richtiger Käfer in der Luft herumzusummen. Sie lachte laut auf, strampelte mit den Beinchen und klatschte begeistert in die Hände... Bauz!! Da lagen sie beide auf der Nase!
Sie guckten den Herrn Sumsemann sehr erstaunt an. »Das kommt vom Klatschen«, sagte der. Natürlich, wenn man fliegen will, darf man nicht in die Hände klatschen! Das tun ja die Maikäfer auch nicht beim Fliegen. Obwohl sie sich doch ein wenig weh getan hatten beim Herunterpurzeln aus der Luft, verkniffen sie die Tränen und standen tapfer wieder auf. Anneliese war sehr verlegen, denn sie hatte ja angefangen mit der Strampelei. »Noch einmal! « hieß es jetzt, und wieder geigte und sang der Käfer, sie machten die Schritte, die er vorgemacht hatte, und als die Zeile kam: »Summ! - dann kommt das Flügelein.. .« flogen sie, genau wie vorher, ganz hoch in die Luft. Nun hüteten sie sich aber zu klatschen, und, obwohl es so schön war, dass sie wieder laut lachen mussten, hielten sie doch ihre Arme ruhig ausgebreitet und strampelten nicht mit den Beinen wie vorher. So blieben sie in der Luft, solange der Maikäfer geigte, und als das Liedchen aus war, glitten sie sanft, wie zwei kleine Schmetterlinge, auf die Erde herab. Es war sehr schön gewesen!
Peterchen meinte, dass es bei ihm richtig gebrummt hätte beim Fliegen, und Anneliese hatte auch so etwas bei sich gehört. Herr Sumsemann fand das ganz in der Ordnung, denn das Brummen gehört ja bei den Maikäfern auch zum Fliegen.
Nun also konnte das große Abenteuer beginnen. Gelb und rund stand der Mond über der Sternblumenwiese vor dem Fenster. »Es ist sehr weit«, sagte der Maikäfer, obgleich es ganz nah aussah; aber er musste es wissen. Darum sollten sie Proviant mit auf die Reise nehmen. Hierfür waren die Äpfel von Muttchen gut. Aber auch die Puppe und den Hampelmann wollten sie nicht daheim lassen. Die mussten doch große Abenteuer miterleben!
Der Maikäfer zog zwar zuerst eine krause Nase, denn für Puppen und Hampelmänner hatte er gar kein Verständnis, der dumme Kerl; aber schließlich meinte er doch, »man könne nicht wissen, wozu es gut sei«; und so durften Püppchen und Hampelhänschen mit. Natürlich schnallte sich Peterchen sein kleines Holzschwert ums Hemd, denn Kämpfe gab es sicher zu bestehen. Damit war auch der Maikäfer sehr einverstanden. Er hatte nämlich doch etwas Angst vor der großen Reise. Wir wissen schon, dass er von Natur nicht sehr mutig war. Jetzt waren sie soweit. Sie stellten sich hintereinander auf; der Maikäfer vorn, mit der kleinen Geige, dann Peterchen, dann Anneliese. Das Liedchen ertönte, sie hoben die Arme, machten die Schritte, wie sie es gelernt hatten, und ... plötzlich ging die Wand des Zimmers weit auseinander, die Sternblumenwiese lag vor ihnen, von Tausenden von Glühwürmchen beleuchtet, und sie flogen hinaus ... über die Wiese hin... immer weiter ... auf den großen, goldenen Mond zu, der vor ihnen über die Bäume guckte.
»Nanu!« sagten die anderen Maikäfer, die gerade unter der großen Kastanie ein Konzert abhielten, »hat der hochnäsige Geigensumsemann doch ein paar Kinder gefunden, mit denen er zum Mond fliegt? «
Sie waren so erstaunt, dass in ihr Brummkonzert ein ganz falscher Takt kam. Die drei aber flogen so schnell, dass die Hemdchen der Kinder wie kleine Fahnen in der Luft flatterten. Beinahe hätten sie zwei kleine, verliebte Nachtschmetterlinge, die nicht aufpassten, über den Haufen geflogen. Jetzt waren sie über dem See. Der funkelte leise. Alle seine Wellen waren von Silber. Und die dummen, dicken Karpfen, die dort wohnten, glotzten durch das Wasser, sehr erstaunt. ›Oh!‹ dachte der Karpfenururgroßpapa, ›das sind aber ein paar seltsame Enten, die da oben flattern.‹ Er hielt alles, was in der Luft flog, für Enten. Fünfhundert Jahre war er alt, aber schrecklich dumm, weil er fast immer schlief. ›Oh, oh!‹ dachten die andern Karpfen. So viel hatten sie schon lange nicht gedacht, und von der Anstrengung schwitzten sie große Luftblasen; die stiegen im Wasser hoch wie kleine Perlen. Aber schon flogen die drei Abenteurer über den Wald hin. »Guck! « sagte das kleine Reh Ziepziep zu seiner Mutter, »da fliegen zwei weiße Fledermäuschen!«
Doch die Mutter wusste es besser, denn sie hatte feine Ohren und hörte alles, was man im Walde erzählt. »Es ist der Maikäfer Sumsemann, der mit zwei Kindern nach dem Mond fliegt«, sagte sie. »Wollen sie den Mond fressen?« fragte Ziepziep. Es glaubte nämlich, dass man den Mond fressen könnte, weil er so ähnlich aussah wie eine gelbe Butterblume.
»Frag nicht so dumm und iss deinen Salat!« sagte die Mutter. Ziepziep war wirklich noch zu klein, um die berühmte Geschichte von dem Holzdieb und dem Maikäferbeinchen zu verstehen. Immer schneller und immer höher flogen die drei. Das Haus, die Wiese, der See, der Wald lag bald tief unter ihnen. Die Hügel, die Berge, an denen die weißen Nachtnebel hingen, versanken. Und dann lag die ganze Erde dort unten, unermesslich tief in der blauen, stillen Nacht; mit allen ihren Ländern und Meeren; die große, liebe Erde in tiefem Schlaf. Das Herz klopfte den Kindern, aber tapfer hielten sie die Ärmchen ausgebreitet und machten keine einzige falsche Bewegung. Der Maikäfer flog ihnen voran; er geigte unermüdlich und sang sein Liedchen dazu. Seltsam! Ganz anders sahen jetzt die Sterne aus als von der Erde, wenn man sie abends vom Garten her betrachtete. Als ob sie freundliche, liebe, lachende Gesichtchen hätten mit silbernen Löckchen drum. Immer mehr wurden es, je höher man flog. Nur die großen konnte man von der Erde sehen, die kleinen sah man erst jetzt. Es waren viel, viel hunderttausend. Und plötzlich begann es durch den schweigenden Himmelsraum wie von unzähligen Glöckchen zu klingen; zuerst ganz fein und leise, dann immer lauter und deutlicher und immer schöner. Nein! es waren keine Glöckchen!
Jetzt hörten sie es deutlich; es waren viel tausend kleine Silberstimmchen ringsum. Die Sterne sangen in der Nacht; und so war ihr Lied:
»Auf der Erde ist Frieden, Auf der Erde ist Ruh, Alle Kinderlein schlafen, Haben die Äugelein zu.
Hoch am Himmel, im Schweigen Der heiligen Nacht, Halten viel tausend Sternlein Treu ihre Wacht.
Alle Tierlein auf dem Felde Alle Vöglein im Wald, Alle Fischlein im Wasser Träumen nun bald.
Silberglöckchen, die läuten, Und Silberlicht rinnt, Und die Sternlein, die singen; Süß träumt das Kind.«
Rings um die drei kleinen Abenteurer war während dieses Gesanges ein wundersames Leuchten, das immer stärker wurde. Es ging von einer weiten, silbernen Wolke aus, die vor ihnen im unendlichen Himmelsraum schwamm, wie ein großer Nebel. Man sieht manchmal des Nachts auf der Erde, hinter dem Garten über dem Fluss, oder über dem See solche Nebel. Wie Tücher sehen sie aus, die still und weiß in der Luft liegen. Nur viel heller, viel größer war dieser Nebel im Himmelsraum vor den Kindern. Und als sie nun immer näher kamen, sahen sie sehr sonderbare Dinge darauf. Hunderte, Tausende von kleinen Stühlchen standen dort um ein schönes, silbernes Pult herum, genau, wie die Kinderstühlchen in der Schule um das Lehrerpult. Neben dem Pult hing eine dicke, silberne Glockenschnur mit einer wunderschönen Troddel vom Himmel herunter; auf der andern Seite aber stand eine riesengroße Pauke neben einem mächtigen, silbernen Fernrohr. Weit hinten, auf einem Hügelchen, von dem ein feiner Nebelweg nach vorn lief, sah man einen niedlichen, weißen Schäfchenstall mit einem rosenroten Dach darauf und runden, komischen Fenstern, die wie kleine Äugelchen guckten. Um das Ganze aber lief ein Gitterchen, so zart, als sei es aus Porzellan gesponnen worden. Was war dies nur alles?
Auf der Sternenwiese wohnt das Sandmännchen, das eine sehr wichtige Persönlichkeit im Himmelsraum ist und viele Ämter hat. Es muss den Sternen Unterricht im Singen geben, und es muss aufpassen, dass sie am Tage, wenn sie noch nicht am Himmel stehen, ihre Strahlen ordentlich putzen. Lauter kleine, silberhaarige Mädchen sind die Sterne. Jedes Kind auf der Erde hat sein Sternchen. Und wenn das Kind nicht artig war, wenn es Kuchen stibitzt hat, oder wenn es gar gelogen hat, so entstehen auf der schönen Strahlenkrone seines Sternenmädchens hässliche Flecken, sie verbiegt sich, oder sie bekommt Scharten. Dann muss das kleine Sternchen putzen mit seinem goldenen Putzläppchen und sich mühen in der Sternenschule auf der Wiese, damit das Krönchen wieder blank und hell wird zur Nacht. Das ist oft furchtbar schwer, und die kleinen Sternchen seufzen dabei vor Mühe. Manchmal weinen sie sogar, denn das Sandmännchen ist sehr streng und lässt es ihnen nicht durchgehen, wenn auch nur das kleinste Fleckchen noch da ist. Meistens aber sind sie fröhlich und oft gar schrecklich ausgelassen; besonders im Winter, wenn Weihnachten nicht mehr weit ist. Dann hat das Sandmännchen Mühe, Ordnung zu halten; so viel lachen sie. Manchmal lachen sie über die Mondschäfchen, die am Tage in dem Stall auf dem kleinen Hügel wohnen und Purzelbäumchen schießen; manchmal über die Himmelsziegen, die so komisch meckern; manchmal lachen sie auch über gar nichts und so laut, dass man es beinahe auf der Erde hören könnte. Das darf natürlich nicht sein. Dann haut das Sandmännchen auf die Pauke, sie bekommen einen Schreck und sind stille, wie die Fischchen im See; aber nicht sehr lange. So geht es auf der Sternenwiese zu, wenn auf der Erde Tag ist. Wenn aber der Abend kommt, wenn die Sonne auf der Erde untergeht, dann stellt sich der Sandmann feierlich vor sein Pult, alle Sternchen setzen ihre Kronen aufs Haar und sehen andächtig zu ihm auf. Er wendet im goldenen Mondbuch auf dem Pult feierlich eine Seite um und schreibt hinein, was die Kinder auf Erden am letzten Tag Gutes getan haben. Er weiß alles, denn die Sternchen merken es an ihren Strahlenkronen. Ist dies geschehen, so setzt er sein großes, silbernes Sandsiegel unter die Schrift, zwinkert ernsthaft mit seinen kugelrunden, freundlichen Äugelchen und zieht an der Glockenschnur. In demselben Augenblick läutet es leise über den ganzen Himmel hin von ungezählten Glöckchen. Zu dieser Musik aber huschen alle Sternenmädchen von der Wiese fort und an den Himmel. Dort stehen sie dann für die Nacht als winzige Lichtpünktchen, jedes an seinem Platz. Sandmännchen aber läuft zu seinem Fernrohr und guckt, ob sie auch alle richtig stehen, denn manchmal verirrt sich eins ein wenig an dem großen, dunklen Himmel; besonders den kleinen passiert das leicht. Manchmal rücken sie auch heimlich ein bisschen zusammen, weil sie sich noch was zu erzählen haben. Sie tuscheln und kichern nämlich ebenso gern miteinander wie die kleinen Mädchen auf der Erde. Das ist natürlich nicht erlaubt, und Sandmännchen hält streng darauf, dass so etwas nicht einreißt am Himmel.
Ja, das Sandmännchen hat wirklich sehr viel zu tun; besonders am Abend!
Wenn die Sternchen am Himmel stehen, muss es die Mondschäfchen aus dem Stall lassen, damit sie in der Nacht auf die Himmelsweide kommen. Das ist auch ein tüchtiges Stück Arbeit. Vergnügt sind die nämlich und fürchterlich ausgelassen! Sie purzeln mit ihren silbernen Fellchen wie kleine Kullerbällchen durcheinander, und bis sie schließlich ruhig auf der Weide oben am Himmel das schöne Sternschnuppengemüse grasen, vergeht eine ganze Zeit. Auch dann noch muss das Sandmännchen aufpassen, dass sie nicht etwa heimlich den Kometenkohl oder die Himmelschoten anknabbern, die dort zwar wachsen, aber den Schäfchen verboten sind, weil die Nachtfee sie braucht, wenn sie ihre großen Mitternachtsessen gibt, zu denen die mächtigen Naturkräfte eingeladen werden.
Sind die Mondschäfchen ordentlich auf die Weide gebracht, so ist noch eine ganz besonders wichtige Angelegenheit zu erledigen. Es steht auf der Sternenwiese neben der großen Pauke ein kugelrundes Säckchen, und aus diesem Säckchen schüttet der Sandmann einen feinen Silbersand in ein langes Pusterohr. Dann geht er gravitätisch nach den vier Himmelsrichtungen an den Rand der Wiese, beugt sich weit über das Gitter und bläst den leuchtenden Staub viermal in den Himmelsraum hinaus. Der Staub aber verteilt sich ganz, ganz fein und rieselt durch die Luft herab auf die Erde mit dem Licht des Mondes zusammen. Überall dort, wo Kinderaugen aus dem Bettchen in die Luft gucken, fliegt dieser silberne Sand aus Sandmännchens Pusterohr herum und legt sich leise auf die Augenlider. Die werden müde und schwer davon; man muss sie zumachen und schläft ein. So schickt das Sandmännchen den Kindern den Schlaf und auch die schönen Träume.
Mit allen diesen Arbeiten war das Männchen gerade fertig geworden, als Peterchen und Anneliese mit dem Maikäfer durch die Nacht herangeflogen kamen. Sie sahen deutlich, wie es steifbeinig auf der Wiese umherlief in seinem Schlafrock, der mit Sternen bestickt war. Auf dem Kopf hatte es eine lange Zipfelmütze und an den Füßen komische, riesengroße Pantoffeln. Von einer Seite der Wiese nach der andern lief das Männchen und passte auf, dass am Himmel nichts in Unordnung kam. Und richtig! plötzlich hatte es die drei Abenteurer entdeckt! Es stutzte, zwinkerte mit den Augen, guckte, schnaubte sich und zwinkerte wieder. Dann aber lief es emsig zu seinem Fernrohr, richtete das auf die Kinder, guckte durch, wischte sich die Äugelchen, putzte das Glas am Fernrohr, guckte noch einmal ... und nun hatte es erkannt, was da ankam. Es blies die Backen auf und schlug sich vor Erstaunen auf den kleinen Spitzbauch. Seine Augen wurden so groß wie Kuchenteller, und sein Mund stand so weit auf wie eine Ladentür. Was da vor sich ging, war aber auch etwas ganz Unerhörtes am Himmel! Viele Tausend Jahre war der Sandmann alt, aber so etwas war noch nicht passiert auf der Sternenwiese, seit er hier Ordnung hielt! Zwei Kinder im Nachthemdchen und ein geigender Maikäfer kamen durch den großen Himmelsraum herangeflogen, als wäre das so ein Sonntagnachmittags-Vergnügen. Dies ging nicht mit rechten Dingen zu! Hier musste er sehr energisch sein!
Er stürzte also eiligst zu seiner großen Pauke, schlug darauf und schnitt ein furchtbar böses Gesicht. In dem Augenblick landeten die Kinder mit dem Maikäfer behutsam auf der Sternenwiese. »Bum - bum - bum! Hier ist der Mond! Rausgeschmissen wird, wer hier nicht wohnt!« schrie der Sandmann sie an und fuchtelte mit dem Paukenstock in der Luft herum.
Na, das war gerade kein liebenswürdiger Empfang auf der ersten Station ihrer Reise!
Der Maikäfer aber dachte: ›Mit Höflichkeit kommt man am weitesten‹; und so machte er eine sehr schöne Verbeugung mit Kratzfüßchen hinten ,raus und sagte: »Entschuldigen Sie bitte, Herr Sandmann. . »Was? - was? - entschuldigen? « quiekte das Männchen ganz rot vor Aufregung. »Was will Er hier? Ein Maikäfer gehört auf die dicke Kastanie im Garten, aber nicht auf die Sternenwiese am Mond! Ich werde mal gleich ein paar Stemraketen gegen Ihn abschießen, dass Ihm der Bauch platzt, Er Nasegrün !
Stemraketen?
Der Maikäfer bekam natürlich Angst und dachte daran, sich tot zu stellen. Peterchen hatte zwar keine Angst, denn er hatte ja sein Holzschwert bei sich, aber er war etwas verlegen und wusste nicht recht, was man wohl tun sollte, wenn das Männchen wirklich mit Stemraketen zu schießen anfinge. Anneliese aber ... ja, das hätte man wirklich nicht von der kleinen Anneliese gedacht! Sie trat plötzlich ganz mutig vor, nahm aus ihrem Körbchen ein rotbäckiges Äpfelchen und hielt es dem grimmigen Sandmann dicht unter die spitze Nase. »Nanu?« sagte der höchst erstaunt; »was ist denn das für ein tapferes, kleines Frauenzimmerchen?« Dabei schnüffelte er schon neugierig an dem schönen Apfel herum. So etwas gab es nämlich nicht am Himmel oben. Auf der Weihnachtswiese, die auf dem Mond lag, wuchsen allerdings die vergoldeten Äpfelchen und Nüsschen; aber davon konnte das Männchen keine bekommen, die waren für die Kinder auf der Erde. Nun lief ihm doch das Wasser im Munde zusammen. »Gib mal her!« sagte es. Anneliese machte einen Knicks und sagte: »Bitte schön!«
Happs! ... biss das Männchen hinein. Ordentlich komisch war, wie es plötzlich vergnügt wurde. Es schmunzelte von einem Ohr bis zum andern beim Kauen und rieb sich das Bäuchlein, so gut schmeckte es ihm.
Als der Apfel aufgegessen war, faltete der Sandmann die Hände auf dem Rücken und sah die Kinder an. Er wollte böse aussehen, aber der Apfel hatte so gut geschmeckt, dass es ihm nicht mehr richtig gelang, ein grimmiges Gesicht zu schneiden. »Ihr Hemdenmätze, was wollt ihr denn hier? Ihr sollt doch schlafen!« schmunzelte er. Jetzt trat Peterchen mit einer Verbeugung vor und erklärte den Grund der Reise. Ja, von der Geschichte hatte der Sandmann schon gehört. Sie war einmal auf einem Kaffeeklatsch bei der Nachtfee erzählt worden, vor etwa tausend Jahren; und damals waren alle Gäste sehr gerührt gewesen von dem Schicksal der Sumsemänner. »Hm, hm«, meinte das Männchen jetzt und rollte mit den Augen, so stark dachte es nach. Aber da kam ihm schon wieder der Geruch von den Äpfeln in die Nase, die Peterchen in seinem Korbe hatte. »Gib mir noch einen Apfel!« sagte es plötzlich mitten im Denken und hielt die Hand hin. Das tat Peterchen natürlich gern. Als der Sandmann nun auch den zweiten Apfel verspeist hatte, war all sein Grimm verflogen, und er nickte wohlwollend mit dem Kopfe. »Jaja, die Geschichte der Sumsemänner, die war überall am Himmel bekannt.«
Aber sollte der Maikäfer nun wirklich zwei artige Kinder gefunden haben, um das Beinchen zurückzuerobern? Das wäre doch ein ganz gewaltiges Glück für die Sumsemänner!
Es musste also festgestellt werden, ob die Kinder artig waren; sonst ging die Geschichte nicht. Mit großen, feierlichen Schritten begab sich das Sandmännchen zu seinem Sprachrohr und rief nach dem Himmel hinauf: »Die Sternchen von Anneliese und Peterchen sollen mal schnell herunterkommen !
Und was geschah?
Zwei winzige Sternpünktchen lösten sich hoch oben vom Himmelsgrund und fielen leuchtend herab auf die Wiese. Im gleichen Augenblick standen dort zwei wunderschöne kleine Mädchen mit blonden Locken und lachenden Augen. Silberne Hemdchen hatten sie an und silberne Schuhe; funkelhelle Strahlenkronen aber blinkten auf ihren Köpfen. »Peterchen, mein Peterchen!« rief das eine Sternchen. »Meine kleine Anneliese!« rief das andere. Und dann gab's eine fröhliche Begrüßung. Die Kinder liefen zu ihren Sternchen, und sie umarmten und küssten sich. Dem dicken Maikäfer kamen ordentlich die Tränen in die Glotzaugen vom Zusehen, so hübsch war es. Rührung durfte aber nicht einreißen, denn die Geschichte war ernst. Also tat das Sandmännchen wieder sehr grimmig, verbat sich die Küsserei und fragte die Sternchen, ob die beiden Kinder, Peterchen und Anneliese, kein' Fleckchen auf die Kronen ihrer Sternchen gemacht hätten. Da lächelten beide Sternchen und schüttelten ihre silbernen Locken. Blitzblank waren die Kronen. Jetzt schmunzelte das gute Sandmännchen, denn es freute sich sehr darüber, und die Kinder durften den Sternchen noch einen Kuss geben. »Ach, war das schön!«
So ein Sternchenkuss schmeckt so lieb, dass man es wirklich gar nicht beschreiben kann; man muss es erleben; und man erlebt es, wenn man gut ist.
Husch! waren die Sternchen wieder fort und standen als Lichtpünktchen am Himmel. Die Kinder guckten ihnen ganz traurig nach, aber plötzlich mussten sie laut lachen. Der Maikäfer tanzte nämlich wie ein Verdrehter auf der Sternenwiese herum und warf dabei mit den Beinchen mindestens ein Dutzend Sternenstühlchen um, die dort standen. Er freute sich, dass die Kinder artig waren, denn in seiner Familiengeschichte stand, artige Kinder müssten es sein, sonst sei alle Mühe umsonst. Nun war es sicher, dass er sein Beinchen wiederbekam. Schrecklich freute er sich!
Der Sandmann verstand zwar, dass das Sumsemännchen sich freute; aber, dass es die Sternenstühlchen umwarf, war gegen die Ordnung, und er verbat sich dieses maikäferhafte Benehmen sehr energisch. »Ein Freudentanz sollte das sein? Ein ganz dummes Rumgebrumsel sei es! Auf der Sternenwiese mache man so was nicht; überhaupt, wenn man so dick wäre und so unsicher auf den Beinen!«
Da hatte der Sumsemann seine Strafpredigt weg. ›Das Sandmännchen ist sehr ungebildet‹, dachte er, denn die Maikäfertänze sind die schönsten Tänze der Welt, das weiß jeder. ›Und er, der Sumsemann, sei unsicher auf den Beinen? So was Lächerliches! Alle wüssten, wie elegant er auf den Kastanienblättern im Garten tanzen konnte; und nun sollte man ihn erst mal sehen, wenn er das sechste Beinchen wieder hätte!‹
Beinahe hätte er laut gelacht; aber er verkniff sich das Lachen, denn er war vorsichtig und wollte sich nicht unbeliebt machen. »Entschuldigen Sie, Herr Sandmann!« sagte er, machte einen Kratzfuß und sah bescheiden aus. Nur ganz heimlich warf er den Kindern ein paar Kusshändchen zu. Sandmännchen hatte den Finger an seine Nase gelegt und dachte tief nach. Es war nämlich eine recht gefährliche Geschichte, die von den beiden Kindern unternommen werden sollte; und weil er sie schon sehr lieb hatte, wollte er ihnen nun auch mit allen Kräften beistehen auf der weiteren Fahrt. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Gerade heute, um 12 Uhr mitternachts, gab die Nachtfee einen Kaffeeklatsch für die Naturgeister in ihrem Schloss. Er war auch eingeladen. Die Nachtfee war sehr mächtig; viel mächtiger als er. Sie war es ja auch gewesen, die vor vielen hundert Jahren den bösen Holzdieb auf den Mondberg verbannt und den Sumsemännern erlaubt hatte, mit artigen Kindern das Beinchen von dort wieder herunterzuholen. Wenn er die Kinder also mitnähme auf das Schloss der Nachtfee zu dem Kaffeeklatsch? Sie war eine gütige Fee und würde ihnen sicher ihren Schutz leihen. Peterchen und Anneliese konnten bei dieser Gelegenheit sogar die Naturgeister kennenlernen, die ihnen vielleicht später beistehen würden. Ja, das war ein prächtiger Gedanke!
Das Männchen machte einen Sprung in die Luft vor Vergnügen über diesen Einfall, dass sein spitzes Bäuchlein nur so wackelte; dazu schrie es: »Ich hab's! ich hab's! ich habe einen himmelsraketenmäßig prächtigen Gedanken, Kinderchen!
Und er erklärte ihnen alles, was er vorhatte. Das war allerdings ein wunderbar schöner Plan!
Peterchen freute sich gewaltig auf die Naturgeister, und Anneliese auf die schöne Nachtfee. Der Sumsemann hatte zwar wieder Angst, denn die Bekanntschaft mit den Naturgeistern schien ihm gefährlich; doch er unterdrückte es, tat mutig und fand den Einfall des Sandmännchens sehr schön. Der Sandmann aber zog jetzt eine riesengroße Taschenuhr aus dem Schlafrock, tippte mit dem Finger auf das Zifferblatt und sagte:
»Gleich muss er da sein!«
Er meinte nämlich seinen Mondschlitten, mit dem er zum Schloss der Nachtfee fahren wollte. Und richtig, da kam auch schon etwas durch die Luft!
Ein schneeweißer Schlitten war es, der von acht Nachtfaltern an silbernen Bändern gezogen wurde. Lautlos, wie ein Wölkchen glitt er heran und hielt vor den Kindern. Die Nachtfalter hatten große, leuchtend grüne Augen und schlugen geheimnisvoll mit ihren schönen, schimmernden Flügeln. Dazu bewegten sie ihre goldenen Fühlhörner, an denen gläserne Glöckchen klangen. Staunend sahen die Kinder dies. Aber es gab keine Zeit mehr mit Verwundern zu verlieren. Der Weg, den sie zu fahren hatten, war weit. So nahmen sie alle schnell im Schlitten Platz. Man saß wie auf seidenen Wolken darin. Sandmännchen ergriff die Zügel, die Nachtfalter hoben die Schwingen, leise klangen die Glasglöckchen und . ,. fort ging die Fahrt über die Sternenwiese hin, auf die Milchstraße zu, an deren fernem Ende das Schloss der Nachtfee lag.
Das war ein seltsames Kutschieren'
Noch nie sind Kinder so schön gefahren, wie Peterchen und Anneliese in Sandmanns Mondschlitten auf der Milchstraße zum Schoß der Nachtfee fuhren!
Aus einem leise leuchtenden Schaum war der Weg unter ihnen, glänzender als frischer Schnee und zarter als der Schaum der klarsten Wellen. Lautlos glitt der Schlitten auf diesem Zauberwege durch den Himmelsraum. Nur die kleinen, gläsernen Glöckchen an den Fühlern der Falter klangen leise im Takt, so, wie die schönen Tiere ihre Flügel hoben und senkten. Mächtige Bäume wuchsen zu beiden Seiten der Milchstraße; durchsichtig waren sie und mit großen, weißen Blumen bedeckt. »Das sind die Milchbäume«, erklärte das Sandmännchen; »aus ihren Blumen tropft der süße ~ Den essen die Sternenmädchen, wenn sie hungrig sind.«
Unter diesen blühenden Alleebäumen ging es dahin, und die weißen Blumen kamen den Kindern einmal so nahe, dass Annneliese das Händchen ausstreckte, um eine solche Blüte abzupflücken. Sie bekam es zwar nicht fertig, denn der Schlitten fuhr viel zu schnell, aber alle Finger waren von dem herrlichen Milchstraßenhonig nass.
Nun ging es ans Ablutschen!
Peterchen machte natürlich auch Anspruch auf den Honig, und Anneliese war gut. Sie ließ ihn drei von ihren Fingerchen ablutschen. Die anderen beiden aber, die größten, behielt sie doch für sich. Das war auch ihr gutes Recht. Wirklich, so etwas Süßes hatten sie noch nie geschmeckt!
Jetzt kamen sie an einer Wiese vorbei, auf der sich eine Herde sehr sonderbarer Tiere tummelte. Beinahe sahen sie wie Ziegen aus und beinahe wie kleine Wölkchen mit Beinen. Immerfort huschten sie herum, aber sie bewegten die Beinchen gar nicht dabei. Als ob ein Wind sie durcheinanderwirbelte, sah es aus, und dazu meckerten sie, dass es klang, als ob tausend Kinder sich totlachen wollten. »Es sind die Himmelsziegen«, erklärte das Sandmännchen; »sie grasen hier den Mondspinat ab. Zu Weihnachten werden ihnen die goldenen Hörnchen abgebrochen; dann ist auf der Sternenwiese für die Sternenmädchen ein großer Festschmaus. Es gibt Milchstraßenschlagsahne mit Himmelsziegenhörnchen. Das schmeckt unbeschreiblich gut! «
Die Kinder konnten sich wohl denken, dass so etwas gut schmeckt.
Und nun fuhren sie an einem sonderbaren See vorüber. Sein Wasser flimmerte wie geschmolzenes Silber, über das ein leiser Wind geht. Es war leuchtende Nebelluft, die leise Wellen schlug. In dem See wimmelte es von unzähligen kleinen Fischen; die funkelten wie bunte Flämmchen. Immerfort zuckten, huschten und zitterten sie herum. Totenstill war's dabei. »Das ist der Tausee mit den Irrlichterfischchen!« erklärte der Sandmann. »In jeder stillen Nacht kommt ein wunderschönes Mädchen leise an das Ufer des Tausees, das Taumariechen, die Tochter der Nachtfee. Mit einer Schale, die aus einem einzigen Diamanten geschnitten ist, schöpft sie aus dem See. Dann schwebt sie zur Erde hinab und sprengt den kühlen Tau über Gärten, Wiesen und Wälder, damit alle Blumen und Bäume, alle Gräser und Kräuter frisch und schön sind am Morgen. Manchmal geschieht es, dass einige von den funkelnden Fischen mit in die Schale des Taumariechens kommen Die werden dann auch mit dem Tau über die Wiesen gestreut, und man kann sie in stillen Nächten huschen und funkeln sehen. »Elmsfeuerchen« sagen die Menschen, oder » Irrlichter«.
Und weiter ging die Fahrt. An der Weide der Himmelskühe und Mondkälber kamen sie jetzt vorüber, die wie große, dicke Wolken herumrutschten auf den weißen Wiesen und immerfort fraßen. Nicht durchsichtig waren sie wie die Mondschäfchen und Himmelsziegen auf den anderen Weiden, sondern große, undurchsichtige graue Klumpen. »Sie sind gar nicht beliebt bei den Sternchen«, sagte der Sandmann; »weil sie oft die Aussicht auf die Erde mit ihren dicken Bäuchen versperren, so dass die Sternchen ihre schlafenden Kinder dort unten nicht recht sehen können. Aber die Nachtfee braucht die Himmelskühe. Aus ihrer Milch wird die Mondbutter gemacht. Die braucht der Koch der Nachtfee zum Kuchenbacken; besonders für die schönen Mondscheinfladen, die es manchmal auf dem Kaffeeklatsch bei der Nachtfee gibt.«
Das Sandmännchen schmunzelte ordentlich bei dem Gedanken an die Mondscheinfladen. Sie waren nämlich sein Leibgericht. Und heute nacht sollte es auch welche geben. Das hatte der Milchstraßenmann, der die Mondbutter liefern muss, verraten. ›Am Himmel gibt's doch viele gute Sachen‹, dachten die Kinder; ›soviel Gutes zu essen!‹ Nur der Sumsemann saß hinten im Schlitten und sah etwas gelangweilt aus. Für ihn war das alles nichts. Kein einziges grünes Blättchen hatte er bisher entdecken können. Alles war von Silber oder von Zucker. Für Mondbutter, Sternblumenklee, Milchstraßen- Schlagsahne und Himmelsziegenhörnchen hatte er gar kein Verständnis als anständiger Maikäfer. Na aber schließlich brauchte er ja das Zeug nicht zu essen. Und hier war doch die Hauptsache, dass er, der Herr Sumsemann, sein Beinchen wiederbekam. Deshalb wurde die ganze Reise unternommen. Er war also die Hauptperson!
Als er sich darüber klar wurde, sah er wieder sehr zufrieden und stolz aus.
Am hundertsten Meilenstein fuhren sie eben vorüber, da fing es an zu schneien. Ein sonderbarer Schnee war das!
Millionen Lichtflocken tanzten um sie her; winzige, sprühende Sternchen. Sie stiebten so dicht um den Schlitten, dass man vor lauter Fünkchen nichts mehr sehen konnte. »Da sind wir in eine Sternschnuppenwolke geraten«, meinte das Sandmännchen; »aber das schadet nichts; davon brennt man nicht an.«
Die Kinder fanden es sehr lustig. Sie griffen nach den Fünkchen und wollten gar zu gern Sternschnuppen-Schneebällchen daraus machen; aber das war nicht so einfach. Beinahe wäre Peterchen dabei aus dem Schlitten gefallen. Anneliese lachte immerfort und steckte die Zunge heraus in das Schnuppengestöber. Das prickelte nämlich zu komisch. Nur dem Sumsemann war es wieder recht ungemütlich. Schneegestöber ist eben für Maikäfer etwas Greuliches. Das kann man schließlich begreifen. Eben wollte er sich tot stellen, da waren sie aus der Wolke heraus, und vor ihnen lag das Schloss der Nachtfee auf himmelhohen, silbergrauen Wolken - unbeschreiblich schön!
Der Schlitten hielt am Fuße der Treppe aus weißem Glase, die breit zwischen den Wolken hinaufführte zum Tor des Schlosses. Nun stiegen sie an der Hand des Sandmännchens die Treppe hinauf. Sehr feierlich war es.
In einem gewaltigen Saal ihres Schlosses empfing die Nachtfee ihre Gäste zum Mitternachts-Kaffeeklatsch. Himmelhohe, silberne Säulen trugen eine ungeheure Wolkenkuppel, von wehenden Nebeln wie von zarten Fahnen umschwebt. Der Boden war aus tiefblauem Kristall. so durchsichtig wie das Wasser des
Meeres, wenn es ganz still liegt. Durch weite Eingänge zwischen den Säulen sah die Nacht herein, und in ihrer Unendlichkeit schwebten gleich großen Blumen Tausende von Wölkchen und gaben ein zauberzartes Licht. Das Schönste aber war der Thron der Nachtfee in der Mitte des Saales. Aus einem einzigen, grünen Edelstein waren seine Stufen geschnitten, aus Perlen war der Sitz, die Lehne aus Silber, und sieben blaue Sterne funkelten leise darüber in der Luft. Zu beiden Seiten dieses wunderschönen Thrones standen Reihen von silbernen Stühlen für die Gäste, die erwartet wurden. Die Nachtfee saß auf ihrem Thron, als die Mitternacht nahte, eine leuchtende Mondsichel im schwarzen Haar, mit ihrem Königsmantel angetan. Neben ihr standen zwei Sternenmädchen in ihren Silberkleidern; durch die Nacht des Hintergrundes aber zog ununterbrochen eine Kette winziger singender Sternenkinder. Die ganz, ganz kleinen waren es, die noch nicht beim Sandmännchen in die Sternenschule gingen, weil sie noch keine Kinder auf der Erde zu beschützen hatten. Darum hatten sie auch noch kein Plätzchen am Himmel, von dem aus sie des Nachts auf die Erde hätten blicken und wachen müssen. Aber wunderschön singen konnten sie schon!
Plötzlich klangen zwölf tiefe Glockenschläge durch den Raum; die Nachtfee erhob sich von ihrem Thron, breitete die Arme aus und sagte mit einer weichen, von Wohlklang wunderlieben Stimme:
»Mitternacht! - Die Welt schlief ein; Frieden, Frieden soll über ihr sein!«
Mit tausendfachem Echo nahm der Himmelsraum diesen Segensspruch auf. Von fernen Chören gesungen klang es, immer weiter, immer leiser:
»Frieden, Frieden soll über ihr sein!«
Dann wurde es ganz still. Still setzte sich die Fee wieder auf ihren Thron, und ein gütiges Lächeln lag über ihrem blassen, edlen Antlitz. Eine Zeitlang war tiefes Schweigen ringsum, dann aber hörte man fernes Gerumpel, das immer stärker wurde und schließlich als gewaltiger Donner heranbrüllte. Gleich darauf sprang mit einem schmetternden Schlage der Donnermann aus den Wolken am Eingang; der erste der geladenen Gäste. Er hatte einen mächtigen Paukenklöppel in der Faust, schlug sich damit auf den Bauch, verneigte sich vor der Nachtfee und brüllte:
»Zum Donnerwetter, da bin ich gekommen! Habe mir keine Zeit genommen; Bin gleich, weil du mich geladen hast, Auf meiner Pauke hierher gerast. Mein Weib, die Blitzhexe, lässt dir sagen, Sie hätte noch schnell mal wo einzuschlagen Und käme dann hinterher geritten; Derweil zu grüßen lässt sie bitten!
Potz - Himmel - Bomben - Donnerwetter! Unterwegs überholte ich meinen Vetter, Den Hagelhans; der muss gleich kommen; Hat ein graues Wolkenschiff genommen, Hat ein Loch an der Mondsichel ins Segel geschnitten; Lässt derweil durch mich um Entschuldigung bitten. Potz - Krach - Blitz - Donner - Bombenschlag Ich bin hier und sage dir guten Tag!«
Während er dies sprach, donnerte es immerfort, so dass die kleinen Sternenmädchen neben dem Thron der Nachtfee ordentlich Herzklopfen bekamen. Aber der Donnermann war gar nicht böse dabei; er lachte und verzog lustig den Mund von einem Ohr bis zum andern. Die Nachtfee neigte ihr schönes Haupt zum Gruß gegen den wilden Mann und meinte mit freundlichem Lächeln, er solle nur nicht gar so viel donnern, damit die Sternenkinder keine Angst bekämen. Nun war der gutmütige Donnermann ganz verlegen und bullerte leise eine Entschuldigung. Es war nämlich wirklich nicht so einfach für ihn, sich das Donnern zu verkneifen; besonders, wenn er sich freute. Da summte und pfiff es in der Luft, und der zweite Gast kam, die Windliese. Auf einem Besen ritt sie, sprang vor dem Thron der Nachtfee ab und, während sie immerfort Knickse machte und im Kreise herumlief, rief sie mit einer pfeifenden Stimme:
»Hui - Hui - Sumsiselsei! Komm' schnell auf meinem Besen herbei, Hab' tausend Meilen zurückgelegt, Bin über Wiesen und Wälder gefegt, Hab' an allen Türen und Fenstern gerüttelt, Hunderttausend Kirschen von den Bäumen geschüttelt. Haha - hoho - huhu - sieh - sieh! Die Windliese ist hie, die Windliese ist hie!«
Die Nachtfee reichte ihr freundlich die Hand, und, während sich die Windliese mit dem Donnermann begrüßte - die beiden waren natürlich sehr befreundet - kam schon der dritte Gast herein. Es war die dicke Wolkenfrau.
Sie sah aus wie ein Luftballon oder wie eine große Kaffeekanne; sehr, sehr komisch. Ihr Gesicht war wie ein Bratapfel so rund und auch so freundlich. Mit sehr gemütlichen, langsamen Bewegungen kam sie bis dicht an den Thron der Nachtfee, wippte mit ihrem aufgeplusterten Kleid einen komischen Begrüßungsknicks und sagte mit weicher, molliger Stimme:
»Wie geht es am Himmel? Wie geht's auf dem Mond? Ich finde, dass es sich immer noch lohnt, Liebe Nachtfee, Sie zum Kaffee zu besuchen; Sie haben ausgezeichneten Fladenkuchen. Ich hoffe nur, dass die Sonne, das Biest, Nicht etwa auch geladen ist; Hat mir neulich wieder durchs Kleid gebrochen Und mich mit ihren Strahlen zerstochen.«
Die Nachtfee dankte für den Gruß der Wolkenbase und wies ihr den Platz neben dem Donnermann und der Windliese. Freilich, die Sonne war auch eingeladen; das erforderte die Sitte und Höflichkeit. Aber die Wolkenfrau beruhigte sich darüber, da sie neben dem Donnermann und der Windliese sitzen konnte, mit denen sie selbstverständlich in dicker Freundschaft lebte.
Plötzlich zuckte es schwefelgelb durch den Raum, und herein fuhr die Blitzhexe auf einem toten Baumast. Im gleichen Augenblick sprang der Donnermann mit einem fürchterlichen Donner von seinem Sitz, umarmte sein Weib und tanzte mit ihr eine Weile im Saal herum. Sie machten dabei ein sehr greuliches Getöse und einen schauderhaften Schwefelgestank. Ihre Freude war so groß, dass sie sich nicht beherrschen konnten. Die Nachtfee hielt sich die Nase zu, so schlecht roch es. Dann ließ die Blitzhexe den Donnermann los, lief in Zickzacklinien vor den Thron und schrie mit schriller Stimme:
»Sirrr - sirrr - liebe Base - da ist der Blitz! Zerschlug nur noch schnell eine Kirchturmspitz; Hatte Auftrag, musst' ihn erledigen schnell; Sirrr - sirrr - krakacks - bin ich zur Stell' ! «
Die Nachtfee verneigte sich und bat die Blitzhexe freundlich, etwas weniger Schwefelduft zu verbreiten, da dies ihren Sternenkindern und auch noch anderen von den geladenen Herrschaften nicht gesund sei; zum Beispiel dem Taumariechen, der Morgenröte und der Abendröte. Der Donnermann machte einen Witz um den anderen zur Wolkenfrau über die zimperlichen Frauenzimmer am Morgen- und Abendhimmel, die Blitzhexe aber knickste eckig und schrie dazu:
»Sirrr - will mich beherrschen! Hoffe, es glückt; Wenn's mich auch drängt und zwackt und jückt, Den köstlichen Feuerduft zu verbreiten, Sirrr - sirrr - das sind ja nur Kleinigkeiten!«
Dann zuckte sie in Zickzacklinien durch den Saal und setzte sich dem Donnermann auf den Schoß. Ein leises Regenrauschen wurde nun hörbar, und eine sehr sonderbare Erscheinung trat vor den Thron; der Regenfritz. Schön war der Regenfritz nicht. So dünn wie ein Lineal war er. Langes, verwaschen blondes Haar hing ihm strähnig über die Triefaugen und die rote, spitze Schnupfennase. Einen mächtigen Regenschirm hatte er zugeklappt unter dem Arm, und sein langer Rock war patschnass von Wasser. Wo er stand, bildete sich sofort auf dem Boden eine Pfütze. Er machte eine linkische Verbeugung vor der Nachtfee, zog seinen alten, triefenden Zylinder und sagte mit einer ölig flötenden, melancholischen Greinstimme:
»Drüppelü - tüp - tüp - liebe Fee der Nacht, Sie haben mir gütige Einladung gemacht. Ich bin gerne gekommen - tüp - top - tü - ti! War ein weiter Ritt auf dem Parapluie. Hab' zwar im Mai sehr wenig zu tun, Hin und wieder mal drüppeln, meist muss ich ruhn; Hab's aber eben noch erreicht Und fünfzig neue Leider milde durchweicht, An siebzehn Stellen sanft durch die Decke geregnet, Tische, Stühle und Betten mit Pfützen gesegnet, Zwölf Landpartien freundlich berieselt, Zweihundert Kinderchen haben's mit Schnupfen benieselt; Dreizehn Handwerksburschen, bis aufs Hemd, Habe ich liebevoll durchschwemmt. Nun ja, man muss eben zufrieden sein, Der Mai ist trocken, die Arbeit klein.«
Die Nachtfee ermahnte diesen seltsamen Gast, nachdem sie ihn begrüßt hatte. auf der Erde nicht nur Possen und Unsinn zu treiben, sondern auch Gutes zu tun und die Gärten und Felder ordentlich zu begießen. Und dann bat sie ihn, hier in ihrem Saal das Regnen ein wenig zu unterdrücken und keine Pfützen zu rieseln. Der Regenfritz versprach's und setzte sich zur Wolkenfrau. Seit einiger Zeit hatte man schon ein fernes Brausen gehört, das immer näher heranschwoll. Plötzlich flatterten alle Schleier und Nebelfahnen im Saal, die Wolkenwände bewegten sich leise, denn der Sturmriese fuhr in den Raum, schwarz und riesengroß, mit ungeheuren, den Boden fegenden Flügeln. In seiner Faust hielt er einen abgerissenen Eichenast; den schwenkte er zum Willkommen und brüllte, während sein mächtiger Bart wie eine schwarze Wolke um ihn her wehte:
»Puh - da bin ich! Komme vom Ozean! Schnallte meine schnellsten Flügel an! Bin wie der Teufel durch die Luft gesaust, Durch Gebirg und Urwald herangebraust! Ließ auf dem Flug mir keine Zeit, Weil Ihre Einladung mich furchtbar freut! Habe nicht Wind- noch Wasserhose angezogen; Sie müssen verzeihen, bin so geflogen!«
Er hatte wirklich gar nichts an; nicht einmal den neuen Wüstenwirbelwetterhut oder die Föhnstiefel. Darum musste er sich jetzt hinter die Wolkenfrau setzen, nachdem er mit vielem Getöse den Donnermann, die Blitzhexe und die Windliese, sein Weib, begrüßt hatte.
Nun kamen die drei Eisgeschwister. Als erster der Hagelhans mit seiner riesigen Trommel. Er hatte ein blaues Gesicht und kugelrunde, glashelle Augen, in denen grüne Funken brannten. Sein Haar war weiß wie Schnee, und seine Uniform war blitzend von Hagelperlen. Als er eintrat, wurde es kühl, und der Regenfritz fing an zu niesen. Er konnte den Hagelhans nicht besonders leiden, weil der ihm immer beim Begießen ins Handwerk pfuschte. Der Hagelhans klappte vor dem Thron der Nachtfee militärisch mit den Hacken, schlug einen Wirbel zur Begrüßung auf seiner Trommel und schnarrte mit einer Stimme, die wie das Rasseln von Eisenketten klang:
»Klirrrr - der Hagelhans ist zur Stelle! Hat viel zu tun in der Mittagshelle; Muss in den heißen Frühlingstagen Die Ehre des Winters zu Ansehn tragen! Tut's gern, ist ihm eine dienstliche Pflicht, Kennt Mitleid mit Blumen und Saaten nicht, Zerschmettert all den albernen Kram, Wo er ihm in die Marschrichtung kam; Schießt mit tausend Flinten zu gleicher Zeit, Trifft sicher, ist gegen alles gefeit; Kennt kein sanftsäuselndes Betragen, Hat immer alles kurz und klein geschlagen; Ist gründlich in seinem Dienstrevier; Nachts hat er Urlaub - jetzt ist er hier!«
Die Nachtfee liebte zwar die Arbeit dieses strengen Herrn nicht besonders; aber, da er zu den Eisgeschwistern gehörte und ein vornehmer Himmelsfürst war, lud sie ihn stets zu ihren Festen und grüßte ihn auch jetzt mit höflichem Verneigen.