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Die Bernsteinhexe Autor: Wilhelm Meinhold Der interessanteste aller bisher bekannten Hexenprozesse, nach einer defecten Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers Abraham Schweidler in Coserow auf Usedom. Vorrede. Indem ich dem Publicum hiemit diesen tiefrührenden und fast romanartigen Hexenproceß übergebe, den ich wohl nicht mit Unrecht auf dem vorstehenden Titelblatte den interessantesten Aller, bis jetzt bekannten, genannt habe, ertheile ich zuvörderst über die Geschichte des Manuscriptes die folgende Auskunft: In Coserow auf der Insel Usedom auf meiner vorigen Pfarre, und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als 200 Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl der dortigen Kirche und fast zu ebener Erde eine Art Nische, in welcher ich zwar schon öfter einige Scripturen liegen gesehen, die ich jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes für verlesene Gesangbücher hielt, wie denn in der That auch deren eine Menge hier umherlag. Eines Tages jedoch, als ich mit Unterricht in der Kirche beschäftigt ein Papierzeichen ... (in) den Katechismus eines Knaben suchte, und es nicht sogleich finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähriger Küster (der auch Appelmann hieß, aber seinem Namensverwandten in unserer Lebensgeschichte durchaus unähnlich und ein zwar beschränkter, aber sehr braver Mann wär) unter jenes Chorgestühl, und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommen war, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierstreifen riß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche und weiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oder entrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsleder gebundene Manuscript war nicht blos vorne und hinten defect, sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter gerissen. ..............
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Seitenzahl: 338
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Wilhelm Meinhold
Die Bernsteinhexe
Der interessanteste aller bisher bekanntenHexenprozesse, nach einer defecten Handschrift ihres Vaters, des PfarrersAbraham Schweidler in Coserow auf Usedom
Vorrede.
Indem ich dem Publicum hiemit diesen tiefrührenden und fastromanartigen Hexenproceß übergebe, den ich wohl nicht mitUnrecht auf dem vorstehenden Titelblatte den interessantestenAller, bis jetzt bekannten, genannt habe, ertheile ich zuvörderstüber die Geschichte des Manuscriptes die folgende Auskunft:In Coserow auf der Insel Usedom auf meiner vorigen Pfarre,und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als200 Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl derdortigen Kirche und fast zu ebener Erde eine Art Nische, inwelcher ich zwar schon öfter einige Scripturen liegen gesehen, die ichjedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit und der Dunkelheit des Ortesfür verlesene Gesangbücher hielt, wie denn in der That auch dereneine Menge hier umherlag. Eines Tages jedoch, als ich mitUnterricht in der Kirche beschäftigt ein Papierzeichen ... (in) denKatechismus eines Knaben suchte, und es nicht sogleich findenkonnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähriger Küster (der auchAppelmann hieß, aber seinem Namensverwandten in unsererLebensgeschichte durchaus unähnlich und ein zwar beschränkter,aber sehr braver Mann wär) unter jenes Chorgestühl, und kehrtemit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommenwar, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierstreifenriß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche undweiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oderentrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsledergebundene Manuscript war nicht blos vorne und hinten defect,sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrereBlätter gerissen. Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben;er entschuldigte sich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihmdas Manuscript zum Zerreißen gegeben, da es hier seit Menschen
Gedenken umhergelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheitgewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte usw. Der greise, halbblinde Pastor hätte es für alte Kirchenrechnungen gehalten, die dochnicht mehr zu gebrauchen seien 1 .
Kaum zu Hause angekommen machte ich mich über meinenFund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein unddurchgelesen, regten mich die darin mitgetheilten Sachen mächtig an.
Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die Art und Weisedieser Hexenprocesse, über das Verfahren ja über die ganzePeriode, in welche diese Erscheinungen fallen, näher aufzuklären.
Doch je mehr dieser bewundernswürdigen Geschichten ich las, jemehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Beeker (diebezauberte Welt) noch der vorsichtigere Horst (Zauberbibliothek)und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konntenmeine Verwirrung heben, sondern dienten nur dazu, sie zuvermehren.
Es geht nicht bloß ein so tiefer dämonischer Zug durch diemeisten dieser Schaudergeschichten, daß den aufmerksamen LeserGrausen und Entsetzen anwandelt; sondern die ewigen undunveränderlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs- undHandlungsweise werden auch oft auf eine so gewaltsame Weiseunterbrochen, daß der Verstand im eigentlichen Sinne des Wortesstille steht; wie denn z.B. in einem der Originalprocesse, die einjuristischer Freund in unserer Provinz aufgestöbert, sich dieRelation findet, daß eine Mutter, nachdem sie bereits die Folterüberstanden, das heilige Abendmahl genossen und im Begriff ist,den Scheiterhaufen zu besteigen, so sehr alles mütterliche Gefühl beiSeite setzt, daß sie ihre einzige, zärtlich geliebte Tochter, einMädchen von fünfzehn Jahren, gegen welche Niemand einenVerdacht hegt, sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlt, gleichfallsals Hexe anzuklagen, um, wie sie sagt, ihre arme Seele zu retten.
Das Gericht mit Recht erstaunt über diesen, vielleicht nie wiedervorgekommenen Fall, ließ ihren Gesundheitszustand von Predigernund Aerzten untersuchen, deren Original-Zeugnisse den Aktennoch beiliegen und durchaus günstig lauten. Die unglücklicheTochter, welche merkwürdiger Weise Elisabeth Hegel hieß, wurdein Folge dieser mütterlichen Aussage denn auch wirklichhingerichtet 2 .
Die gewöhnliche Auffassung der neuesten Zeit, dieseErscheinungen aus dem Wesen des thierischen Magnetismus zubegreifen reichen durchaus nicht hin. Wie will man z.B. die tiefe,dämonische Natur der alten Lise Kolken in dem vorliegendenWerke daraus ableiten, die unbegreiflich ist, und es ganz erklärlichmacht, daß der alte Pfarrer, trotz des, ihm mit seiner Tochtergespielten, entsetzlichen Betruges so fest in seinem Glauben an dasHexenwesen, wie in dem, an das Evangelium bleibt.
Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters wußten wenig odernichts von Hexen. Das Verbrechen der Zauberei, wo es einmalvorkam, wurde milde bestraft. So z.B. setzte das Concilium zuAncyra (314) die ganze Strafe dieser Weiber in ein bloßesVerbannen aus der christlichen Gemeinschaft; die Westgothenbestraften sie mit Prügeln, und Carl der Große ließ sie auf denRath seiner Bischöfe so lange in gefänglicher Haft, bis sie aufrichtigeBuße thaten 3 . Erst kurz vor der Reformation klagt Innocentius VIII., daß die Beschwerden der ganzen Christenheit über dasUnwesen dieser Weiber, so allgemein und in einem solchen Gradelaut würden, daß dagegen auf das Entschiedenste eingegriffenwerden müsse, und ließ zu dem Ende 1489 den berüchtigstenHexenhammer (malleus malleficarum) anfertigen, nach welchemnicht blos in der ganzen katholischen, sondern merkwürdiger Weiseauch in der protestantischen Christenheit, die doch sonst allesKatholische verabscheuete und zwar mit solchem fanatischen Eifer
inquirirt wurde, daß die Protestanten es weit den Katholiken anGrausamkeit zuvor taten, bis katholischer Seits der edle Jesuit J.
Spee und protestantischer obgleich erst siebzig Jahre später, dertreffliche Thomasius dem Unwesen allmählich Einhalt thaten.
Nachdem ich mich auf das Eifrigste mit dem Hexenwesenbeschäftigt hatte, sah ich bald ein, daß unter allen diesen, zumTheil so abenteuerlichen Geschichten, keine einzige an lebendigemInteresse meine »Bernsteinhexe« übertreffen würde, und ich nahmmir vor, ihr Schicksal in die Gestalt einer Novelle zu bringen.
Doch glücklicher Weise sagte ich mir bald: aber wie? ist ihreGeschichte denn nicht schon an und für sich die interessantesteNovelle? Laß sie ganz in ihrer alten ursprünglichen Gestalt; laßfort daraus, was für den gegenwärtigen Leser, von keinem Interessemehr, oder sonst allgemein bekannt ist, und wenn du auch denfehlenden Anfang und das fehlende Ende nicht wiederherstellenkannst, so siehe zu, ob der Zusammenhang es dir nicht möglichmacht, die fehlenden Blätter aus der Mitte zu ergänzen, und fahredann ganz in dem Ton und der Sprache deines alten Biographenfort, so daß wenigstens der Unterschied der Darstellung und diegemachten Einschiebsel nicht gerade ins Auge fallen.
Dies habe ich denn mit vieler Mühe und nach mancherleivergeblichen Versuchen gethan, verschweige aber, an welchen Ortenes geschehen ist, um das historische Interesse der größten Anzahlmeiner Leser nicht zu trüben. Für die Kritik jedoch, welche nie einebewundernswürdigere Höhe als in unserer Zeit erreicht hat, wäreein solches Geständniß hier vollends überflüssig, da sie auch ohnedasselbe gar leichtlich unterscheiden wird, wo der Pastor Schweidler,oder wo der Pastor Meinhold spricht 4 .
Von dem jedoch, was ich fortgelassen, bin ich dem Publikumnoch eine nähere Nachricht schuldig. Dahin gehören:
1) lange Gebete, insofern sie nicht durch christliche Salbung ausgezeichnet waren.
2) allgemein bekannte Geschichten aus dem dreißigjährigen Kriege.
3) Wunderzeichen in den Wolken, die hie und da sollten geschehen sein, und die auch
anderepommersehe Schriftsteller dieser
Schreckenszeit berichten, wie z.B. Micrälius 5 ; Standen jedoch solche Angaben in Verbindung mit dem Ganzen, z.B. das Kreuz auf dem Streckelberge, so habe ich sie natürlich stehen lassen.
4) die Specifikation der ganzen Einnahme der Coserower Kirche vor und während der
Schreckenszeit des dreißigjährigen Krieges.
5) die Aufzählung der Wohnungen, die nach den Verheerungen des Feindes in jedem Dorf der Parochie stehen geblieben.
6) die Angabe der Oerter, wohin dieses oder jenes Mitglied der Gemeinde ausgewandert sei.
7) Ein Grundriß und eine Beschreibung des alten Pfarrhauses usw.
Auch mit der Sprache habe ich mir hin und wieder einige Veränderungen erlaubt, wie denn auch mein Autor in Sprache und Orthographie nicht recht constant ist.
Letztere habe ich mit geringen Ausnahmen beibehalten.
Und somit übergebe ich denn dies vom Feuer des Himmels wie der Hölle glühende Werk dem geneigten Leser.
Meinhold.
Fußnoten
1 Und in der That kommen im Original einige Rechnungen vor, die wohl beim ersten Anblick zu diesem Irrthum verleiten konnten, und außerdem ist die Handschrift schwer zu lesen, und an einigen Stellen vergilbt und verrottet.
2 Auch diesen Prozeß gedenke ich noch herauszugeben, da er ein ungemeines psychologisches Interesse hat.
3 Horst, Zauberbibliothek, VI, 231.
4 Vorläufige Proben des Ganzen befanden sich bereits in der Christoterpe von 1841 und 42.
5 vom alten Pommernlande, Buch V.
Einleitung.
Die Abkunft unsers Biographen kann bei dem verloren gegangenen Anfange seiner Schrift nicht mehr mit Genauigkeit bestimmt werden. Er scheint jedoch jedenfalls kein Pommeraner gewesen zu sein, denn einmal spricht er von Schlesien, wo er in seiner Jugend sich befunden; nennt sodann weit zerstreute Verwandte, nicht blos in Hamburg und Cöln sondern sogar in Antwerpen und verräth vor allen Dingen durch seine süddeutsche Sprache seine auswärtige Abkunft. Hieher rechne ich besonders Ausdrücke als: eim für einem, und die eigne Derivation mancher Adjective z.B. tänein von Tanne, seidin von Seide, eine Sprechweise, die, so viel ich weiß, niemals in Pommern, wohl aber in Schwaben vorgekommen ist. Doch mußte er bei Abfassung seiner Schrift schon lange Zeit in Pommern gelebt haben, weil er fast noch häufiger plattdeutsche Ausdrücke einmischt, ganz wie dies eingeborne Pommersche Schriftsteller der damaligen Zeit auch wohl zu thun pflegen.
Da er von altadlicher Herkunft ist, wie er bei verschiedenen Gelegenheiten sagt; so möchte man vielleicht in den Adelsregistern des siebzehnten Jahrhunderts etwas Näheres über das Geschlecht der Schweidler finden, und mithin auch über sein wahrscheinliches Vaterland; allein ich habe mich vergebens in den mir zugänglichen Quellen nach jenem Namen umgesehen, und möchte daher vermuthen, daß unser Autor, wie dies so häufig geschah, bei seinem Uebergange zur Theologie, seinen Adel mit Abänderung seines Namens ablegte.
Genug ich will hier nicht weitere Hypothesen wagen.
Unser Manuscript, in welchem die ansehnliche Zahl von sechs Kapiteln fehlt, und welches auf den nächst vorhergegangenen Blättern unstreitig sich über den Ausbruch des dreißigjährigen Krieges auf der Insel Usedom verbreitet hat, beginnt mit den Worten:
»Kaiserliche gehauset« und fährt dann fort wie folgt:
– – Koffer, Truhen, Schränke waren allesammt erbrochen und zuschlagen, auch mein Priesterhemd zurissen, so daß in großen Aengsten und Nöthen stände.
Doch hatten sie mein armes Töchterlein nit gefunden, maßen ich sie in einem Stall, wo es dunkel war, verborgen, denn sonst sorge ich, hätten sie mir noch mehr Herzeleid bereitet. Wollten die räudigen Hunde doch schon meine alte Ilse ein Mensch bei schier 50
Jahren angehen, hätte es ihnen ein alter Kornett nicht gewegert. Dankete dahero meinem Schöpfer, als die wilden Gäste wegkwaren, daß ich allermeist mein armes Kind vor ihren Klauen geborgen, wiewohl kein Stäublein Mehl, kein Körnlein Getreide noch ein Stücklein Fleisch bei eines Fingers Länge mehr fürhanden, und ich nit wußte wie ich mein und meines armen Kindes Leben weiter fristen söllte. Item dankete Gott, daß ich noch die vasa sacra geborgen, welche ich gleich mit den beiden Türstehern als, Hinrich Seden und Claus Bulken von Uekeritze in der Kirchen vor dem Altar vergrübe, Gott die Obhut empfehlend. Weil nun aber, wie bemeldet, ich bittern Hunger litte, so schrieb an Se. Gestrengen den Herrn Amtshauptmann Wittich von Appelmann auf Pudgla 1 daß er umb Gotts und seines heiligen Evangeliums willen in sollich schwerer Noth und Trübsal
mir zukommen ließe, was Se. Fürstliche Gnaden, Philippus Julius mir an Praestandis vom Kloster zu Pudgla beigeleget, als nämlich 30 Schffl. Gerste und 25
Mark Silbers, welche Sr. Gestrengen mir aber bis nunmehro gewegert. (Denn er war ein fast hart und unmenschlicher Mann sintemalen er das heilige Evangelium und die Predigt verachtete, auch öffentlich und sonder Scheue seinen Spott über die Diener Gottes hatte, nämblich, daß sie unnütze Brodtfresser wären, und Lutherus den Schweinestall der Kirchen nur halb gesäubert. Gott bessers! –) Aber er antwortete mir nit, und ich wäre schier verschmachtet, wenn Hinrich Seden nicht für mich im Kapsel 2 gebetet. Gott lohn's dem ehrlichen Kerl in der Ewigkeit! Er wurde dazumalen auch schon alt und hatte viel Plage von seinem bösen Weibe, Lise Kollken. Dachte gleich, daß es nit sonderlich gehen würd, als ich sie traute; angesehen sie im gemeinen Geschrei war, daß sie lange mit Wittich Appelmann in Unzucht gelebet, welcher von jeher ein rechter Erzschalk und auch absonderlich ein hitziger – – – Jäger gewest, denn so etwas gesegnet der Herre nicht. Selbiger Seden nun brachte mir 5 Brodte, 2 Würste und eine Gans, so die alte Paalsche in Loddin ihm verehret, item eine Seite Speck von Hans Tewert dem Bauern. Müchte ihn aber vor seiner Frauen schützen, welche die Hälfte hätte vor ihr behalten wollen, und da er sich gewegert, hätte sie ihn vermaledeiet und die Kopfgicht angewünscht, so daß er gleich ein Ziehen in der rechten Wangen verspüret, welches jetzunder fast hart und schwer geworden. Für solcher erschröcklichen Nachricht entsetzte ich mich, wie einem guten Seelenhirten geziemet, fragende: ob er
vielleicht gläubete, daß sie in bösem Verkehr mit dem leidigen Satan stünde, und hexen könnte? Aber er schwiege und zuckete mit den Achseln. Ließ mir also die alte Lise rufen welche ein lang, dürr Mensch, bei 60
Jahren war, mit Gluderaugen, so daß sie Niemand nit gerade ins Antlitz schauete, item mit eitel rothen Haaren wie sie ihr Kerl auch hatte. Aber obwol ich sie fleißig auf Gotts Wort vermahnete gab sie doch keine Stimme, und als ich endlich sagete: Willtu deinen Kerl wieder umböten
3 (denn ich sahe ihn auf der Straßen vor das Fenster, allbereits als einen Unsinnigen rasen) oder willtu, daß ich's der Obrigkeit anzeige, gab sie endlich nach und verspräche, daß es bald sölle besser mit ihm werden; (was auch geschach) item bat sie, daß ich ihr wölle etwas Speck und Brod verehren, dieweil sie auch seit dreien Tagen kein ander Fleisch und Nahrung mehr zwischen den Zähnen gehabt, denn ihre Zunge. Gab ihr mein Töchterlein also ein halb Brod, und ein Stück Speck bei zweer Händen Länge, was ihr aber nicht genugsam bedünkete, sondern mummelte zwischen den Zähnen, worauf mein Töchterlein sagte: bistu nicht zufrieden, alter Hexensack, so packe dich und hilf erst deinem Kerl, schaue wie er das Haubt auf Zabels Zaun geleget und mit den Füßen vor Wehetage trampelt, worauf sie ginge, doch abermals zwischen den Zähnen mummelnde: »Ja, ich will ihm helfen und dir auch!«
Fußnoten
1 Schloß auf Usedom, früher ein berühmtes Kloster
2 Allmosen in der Gemeinde eingesammelt.
3 umzaubern.
Capitel 7.
Wie die Kaiserlichen mir alles Uebrige geraubet, auch die Kirchen erbrochen und die vasa Sacra entwendet; item was sonsten fürgefallen.
Nach etzlichen Tagen, als unsere Nothdurft fast verzehret, fiel mir auch meine letzte Kuh umb (die andern hatten die Wülfe, wie oben bemeldet, allbereits zurissen) nicht ohne sonderlichen Verdacht, daß die Lise ihr etwas angethan, angesehen sie den Tag vorhero noch wacker gefressen. Doch lasse ich das in seinen Würden, dieweil ich Niemand nit verleumbden mag; kann auch geschehen sein durch die Schikkung des gerechten Gottes, deßen Zorn ich wohl verdienet hab' – Summa: ich war wiederumb in großen Nöthen und mein Töchterlein Maria zuriß mir noch mehr das Herze durch ihr Seufzen, als das Geschreie anhub: daß abermals ein Trupp Kaiserlicher nach Uekeritze gekommen, und noch gräulicher denn die ersten gemarodiret, auch das halbe Dorf in Brand gestecket. Derohalben hielt ich mich nicht mehr sicher in meiner Hütten, sondern nachdem in einem brünstigen Gebet Alles dem Herrn empfohlen, machte mich mit meinem Töchterlein und der alten Ilsen auf, in den Streckelberg 1 wo ich allbereits ein Loch, einer Höhlen gleich, und trefflich von Brommelbeeren verrancket uns ausersehen, wenn die Noth uns verscheuchen söllte. Nahmen daher mit, was uns an Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten Greisen und das Weibsvolk mit den Kindern folgten,
welche ein groß Hungergeschrei erhoben. Denn sie sahen, daß sich mein Töchterlein auf einen Stubben satzte, um ein Stück Fleisch und Brod verzehrete, kamen also die kleinen Würmer mit ausgereckten Händeleins angelaufen und schrieen: uck hebben, uck hebben 2 .
Wannenhero da mich solch groß Leid billig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß sie alles Brod und Fleisch so vorräthig unter die hungrigen Kindlein vertheilete. Erst mußten sie aber dafür »Aller Augen« 3
beten, über welche Wort ich dann eine tröstliche Ansprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher jetzunder ihre Kindlein gespeiset auch Rath wissen würde ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde werden ihm zu vertrauen.
Aber sollich Trost währete nicht lange. Denn nachdeme wir wohl an die zween Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe so kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen schier das Herze brach, angesehen auch dazwischen ein laut Schießen, item das Geschrei der Menschen und das Bellen der Hunde erschallete, so daß männiglich gießen kunnte, der Feind sei mitten im Dorfe. Hatte dannenhero genug mit den Weibern zu tüschen 4 daß sie nicht durch ihr unverständig Lamentiren dem grimmigen Feind unsern Schlupfwinkel verrathen möchten, zumalen als es anfing schmockig zu riechen, und alsobald auch die helle Flamme durch die Bäume glitzerte. Schickete derohalben den alten Paassch oben auf den Berg daß er umbherlugen sollt, wie es stünde, hätte sich aber wohl zu wahren, daß man ihn nicht vom Dorfe erschaue, anerwogen, es erst zu schummern begunte. Solliches versprach er und kam
alsbald auch mit der Bothschaft zurücke, daß gegen 20
Reuter aus dem Dorfe gen die Damerow gejagt wären aber das halbe Dorf in rothen Flammen stünd. Item erzählete er, daß durch seltsame Schickung Gottes sich sehr viel Gevögel in den Knirkbüschen 5 und anderswo sehen ließ, und meinete, wenn man sie nur fangen künnte, daß sie eine treffliche Speiß vor uns abgeben würden. Stieg also selbsten auf den Berg, und nachdem ich alles so befunden, auch gewahr worden daß durch des barmherzigen Gottes Hülf das Feuer im Dorfe nachgelassen, item daß auch mein Hüttlein wider mein Verdienst und Würdigkeit annoch stünde, stieg ich alsbald herunter, tröstete das Volk und sprach: der Herr hat uns ein Zeichen gegeben und will uns speisen, wie einst das Volk Israel in der Wüsten, denn er hat uns eine treffliche Schaar von Krammetsvögeln über die wüste Sehe gesendet, welche aus jedem Büschlein burren, so man ihm nahet. Wer will nun in das Dorf laufen und schneiden die Mähnhaare und den Schwanz von meiner gefallenen Kuh wegk, so hinten auf der Wörthe liegt.
(Denn Roßhaare hatte es im ganzen Dorf nicht, dieweil alle Roß vom Feinde längst genommen oder erstochen waren.) Aber es wollte sich Niemand nit finden angesehen die Angst noch größer war, denn der Hunger, als meine alte Ilse anhub: so will ich schon gehen, denn ich fürchte mich nit, dieweil ich auf Gottes Wegen bin, gebet mir nur einen guten Stock. Als ihr nun der alte Paassch seinen Stecken hingereichet, begunte sie vor sich zu singen. »Gott der Vater wohn uns bei«, und verlief sich bald in das Gebüsche. Hierzwischen vermahnete ich nun das Volk, alsbald Hand anzulegen, kleine Rüthlein zu
den Dohnen zu schneiteln und Beeren zu suchen, dieweil es Mondschein ware, und allwärts viel Gänseflieder auch Ebereschen auf dem Berge stunden. Die kleinen Kindlein aber hütete ich mit meiner Marien, dieweil die Gegend nicht sicher für Wülfen war. Hatten derohalben ein lustig Feuer angemacht, umb welches wir uns setzten und dem kleinen Volk die Gebot verhöreten, als es hinter uns knisterte und knasterte, und mein Töchterlein mit den Worten: proh dolor, hostis! 6 auf und im die Höhlen sprang. Aber es waren nur die rüstigen Kerls, so im Dorfe verblieben, und nun kamen, uns Bothschaft zu bringen, wie es alldorten stünde. Dahero rief ihr gleich zu: emergas, amici 7 wo sie denn auch mit großen Freuden wieder herfürsprang und bei uns zum Feuer niedersaß. Allsobald verzählete nun mein Fürsteher Hinrich Seden was derweilen fürgefallen, und wie er nur durch sein Weib Lise Kolken sein Leben geborgen.
Jürgen Flatow, Chim Burse, Clas Peer und Chim Seideritz aber wären erschlagen, und läge letzterer recht auf dem Kirchsteig. Zwölf Katen hätten die grimmigen Mordbrenner in Asche geleget und wär es nit ihre Schuld, daß nicht das ganze Dorf draufgegangen angesehen der Wind ihnen nicht gepasset. Hätten zum Hohn und Gespötte die Glocken dazu geläutet, ob Niemand kommen wöllt und löschen, und als er und die andern jungen Kerle herfürgesprungen hätten sie die Musqueten auf sie abgedruckt, aber mit des großen Gotts Hülfe Niemand nit getroffen. Darauf wären seine Gesellen über die Zäune gesprungen, ihn aber hätten sie erwischet, und schon das Gewehr über ihm ausgerecket, als sein Weib Lise Kollken mit eim andern Trupp aus der Kirchen
herfürgetreten, und ihnen gewinket daß er Ruhe gehabt.
Lene Hebers aber hätten sie in ihrem Wochenbett erstochen, das Kindlein gespießet und über Claas Peers Zaum in den Nessel geworfen, wo es annoch gelegen, als sie abgelaufen. Wäre jetzunder im ganzen Dorf derohalben keine lebendige Seele mehr, und noch schwerer ein Bissel Brods, so daß, wenn den Herrn nit ihre Noth jammerte, sie alle des elendiglichen Hungertodes würden sterben müssen.
(Da sage nun Einer: das wöllen Christenmenschen sein!)
Fragte nunmehro, als er schwiege (mit wie viel Seufzen jedoch, kann man leichtlich gießen) nach meiner Hütten, wovon sie aber nichts wußten, als daß sie annoch stünde. Ich dankete dannenhero dem Herrn mit einem stillen Seufzerlein und alsobald den alten Seden fragend was sein Weib in der Kirchen gemachet, hätte ich schier vergehen mügen für großem Schmerz, als ich hörete, daß die Lotterbuben, als sie heraußer getreten die beiden Kelche nebst den Patenen in Händen getragen. Fuhr dahero die alte Lise fast heftig an, welche nun auch angeschlichen kam durch das Buschwerk, worauf sie aber trotziglich zur Antwort gab: daß das fremde Volk sie gezwungen die Kirche aufzuschließen, da ihr Kerl ja sich in den Zaum verkrochen, und Niemand Anders nit da gewesen. Selbige wären sogleich für den Altar getreten, und da ein Stein nicht wohl gefuget (was aber eine Erzlüge war) hätten sie alsobald angefangen mit ihren Schwertern zu graben, bis sie auch die Kelche und Patenen gefunden. Könnte auch sein daß ein Anderer ihnen den Fleck verrathen. Möchte dahero ihr nicht
immer die Schuld beilegen, und sie also heftig anschnautzen.
Hierzwischen kamen nun auch die alten Greisen und Weiber mit trefflich vielen Beeren an, item meine alte Magd mit dem Kuhschwanz und den Mähnhaaren, welche verzählete, daß das ganze Haus umbgewühlet, die Fenster zuschlagen, die Bücher und Scripturen auf der Straßen in den Koth getreten und die Thüren aus den Hespen gehoben wären. Solliches aber war mir ein geringer Leid, denn die Kelche, dahero nur das Volk vermahnete Biegel und Schneere zu machen, umb am nächsten Morgen mit des barmherzigen Gotts Hilfe unser Jagdwerk zu vollenführen.
Klöbete dahero selber die Rüthlein bis um Mitternacht und da wir eine ansehnliche Zahl gefertiget, ließ ich den alten Hinrich Seden den Abendseegen beten, den wir alle knieende anhöreten, worauf ich endiglichen noch ein Gebet that, und das Volk sodann vermahnete, die Männer apart und die Weiber auch apart sich für die Kälte (Dieweil es schon im Monat Septembri war und fast frisch von der Seekante herwehete) in dem Buschwerk zu verkriechen. Ich selbsten stieg aber mit meinem Töchterlein und der Magd in die Höhlen, hatte aber noch nicht lange geschlummert, als ich den alten Seden fast heftig wimmern hörete, weilen ihn die Kolik überfallen, wie er klagte. Stand dahero wieder auf und gab ihm mein Lager, und setzte mich wieder zum Feuer, und schneitelte Dohnen, bis ich ein halb Stündchen entschlief und der Morgen anbrach, worauf es besser mit ihm worden war, und ich nun auch alsobald mich aufmachte und das Volk zum Morgenseegen weckte.
Diesesmal thät ihn der alte Paassch kunnte aber nit recht hineinkommen, weshalb ich ihm aushelfen mußte. Hatt'
er ihn vergessen oder thats die Angst, das lasse ich ungesagt. Summa. Nachdem wir All recht inniglichen gebetet, schritten wir alsofort zum Werk, keilten die Dohnen in die Bäume und umbhingen sie mit Beeren, unterdessen mein Töchterlein der Kinder hüthete, und Brummelbeeren vor sie zum Frühstück suchete. – Nun soll man aber wissen, daß wir quer durch den Busch gen den Weg nach Uekeritze hin keileten, und da merke nun männiglich wieder die sonderbare Gnadenschickung des barmherzigen Gotts. Denn als ich mit dem Beil in der Hand (es war Seden sein Beil, so er in der Frühe aus dem Dorfe gehohlet) in bemeldeten Weg trate, nehm ich auf der Erden ein Brod wahr, bei eines Armes Länge, worauf ein Rabe pickete, und welches sonder Zweifel ein kaiserlicher Reuter Tags vorhero aus seinem Schnappsack verloren, dieweil noch frische Roßtrappen im Sande dabei stunden. Knöpfe mir es also heimlich über den Wanst, so daß Niemand nichtes merkete, obschon bemeldeter Paassch dicht hinter mir schritt, item alle Andern in nicht gar guter Ferne ihm folgeten. Als wir nun so die Dohnen bestellet in großer Frühe, hatte es schon gegen die liebe Mittagszeit eine so große Menge Vögel darinnen, daß Käthe Berow welche mir zur Seiten schritt, als ich sie abbande, dieselben in ihrem Schurzfleck fast nit zu lassen mußte, und auf dem andern Ende der alte Pagels auch nit viel weniger aus seinem Brustlatz und Rocktaschen herfürlangte. Mein Töchterlein satzte sich also mit den andern Frauensvolk hin, das Gevögel zu rupfen, und da es an Salz gebrach,
(denn dessen hatten die Meisten von uns lange nicht mehr gekostet,) vermahnete sie ein Paar Männer, zur Sehe zu steigen, und in einem Grapen, so noch von Staffer Zuter geborgen war, ein wenig gesalzen Wasser zu hohlen, was sie auch thäten. In solchem Wasser tunketen wir nunmehro die Vöglein und brieten sie darauf bei einem großen Feuer, wobei uns allen schon vom dem süßen Geruch das Maul zu wässern begunnte, da wir so lange keiner Speisen nicht gekostet.
Sage dahero als alles fertig, und das Volk sich auf der Erden gelagert hat: nun schauet wie der Herr sein Volk Israel in der Wüsten noch immerdar mit frischen Wachteln speiset, sollt er nun ein Uebriges thun, und uns auch ein Stücklein Mannabrod vom Himmel senden, was meinet ihr, würdet ihr dann jemalen müde werden zu gläuben, und nit vielmehr alle Noth, Trübsal, Durst und Hunger williglich tragen, so er euch förder nach seinem gnädigen Willen auferlegen söllte? worauf sie alle antworteten und sprachen: ja sicherlich! Ego: Wöllt ihr mir das wahrhaftiglichen versprechen, worauf sie wiederumb sageten: ja das wollen wir! Da zog ich mit Thränen das Brod von meinem Wanst herfür, hub es hoch in die Höhe und rufete: nun schau du armes, gläubiges Häuflein, welch ein süßes Mannabrod dein treuer Erlöser Dir durch mich gesendet, worauf alles schriee, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder abermals herbeisprangen, und die Händlein ausrecketen, indeme sie schrien: »kiekt Brod, kiekt Brod!« Da ich aber vor Wehemuth selbsten nit beten kunte, ließ ich Paassch sein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender Zeit meine Maria das Brodt zuschnitt und einem Jeglichen
sein Theil reichete. Und nun langeten wir allesammt freudig zu dem lieben Gottesmaal in der Wüsten.
Hierzwischen mußte nun aber erzählen, wie ich das liebe Mannabrod gefunden, wobei nit versäumete sie abermals zu vermahnen, daß sie wöllten das große Wunderzeichen sich zu Herzen gehen lassen, so der barmherzige Gott, wie weiland an dem Propheten Elisa, an ihnen auch gethan, angesehen wie ein Raab in der großen Hungersnoth demselbigen das Brod in der Wüsten zugefuhret, der Herr auch mir dieses Brod durch einen Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich ihm sonst wohl in meiner Trübsal vorbeigeschritten, und es nimmer gesehen hätte.
Als wir endiglichen unsern Bauch mit Nothdurft gefüllet, hielte die Danksagung über Lucas 12, v. 24, wo der Herre spricht: nehmet wahr den Raben, sie säen nicht, sie erndten auch nit, sie haben auch keine Keller noch Scheuen, und Gott nähret sie doch, Wieviel aber seid ihr besser denn die Vögel? – Aber unsere Sünden stunken vor dem Herrn. Denn da die alte Lise, wie ich bald in Erfahrung gebracht ihre Vögel nit verzehret, weilen sie ihr zu nüchtern fürkamen, sondern selbige in den Knirkbusch 8 geworfen, ergrimmete sein Zorn über uns, wie weiland über das Volk Israel, und wir hatten zur Nacht nur sieben Vögel auf den Schneeren, am andern Morgen aber nur zween. Auch kam kein Raab wieder, der uns Brod wiese. Darumb schalt ich die alte Lise und vermahnete das Volk, sollich gerechte Strafe des höchsten Gottes williglich auf sich zu nehmen, fleißig zu beten, in seine verlassenen Hütten zurückzuwallen, und zu sehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf der Sehe
mehr bescheeren möcht. Würde ihn auch in mein Gebet Tag und Nacht anrufen; doch noch eine Zeit lang mit meinem Töchterlein und der Magd in der Höhlen verblieben und der Dohnen hüten, ob sich sein Zorn wenden möcht. Sollten mir inzwischen mein Pfarrhaus nach besten Kräften wieder zurichten, damit ich es bald wieder beziehen könnt, sintemalen die Kälte mir fast schwer fiele. Solliches gelobten sie auch zu thun, und schieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein Häuflein! – fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren doch sonsten über 80 gewest; alle andern hatte der Hunger, das Schwert und die Pestilenz 9 gewürget. Blieb dahero noch mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang einsam und traurig in den Höhlen und sendete nur mein Töchterlein nebst der Magd mit zum Dorfe, daß sie sich umbsehen sollten, wie es in der Widemen 10 stände, item die Schriften und Bücher wieder zusammenlesen, auch mir Kundschaft bringen, ob Hinze der Zimmermann, den ich alsobald in's Dorf zurückgesendet, die Särge vor die elenden Leichnahme zusammengehämmert, daß ich sie des nächsten Tages begraben möchte. Darauf schritt ich zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war darinnen zu verspüren, woraus ich denn merkete, daß der Zorn Gottes noch nit vorüber.
Traf jedoch einen schönen Brummelbeerenbusch, woran ich bei einer Metze Beeren pflückete, mit dem Vogel selbige in Staffer Zuter seinen Grapen thät, den der gute Kerl uns noch eine Frist gelassen und zur Nachtkost auf ein Feuer setzete, wann mein Kind mit der Magd zurückkehren würd. Währete auch nicht lange, als sie durch den Busch brachen und von dem Gräuel der
Verwüstung erzähleten, so der leidige Satan unter Zulassung des gerechten Gottes im Dorf und in der Widemen angerichtet. Mein Töchterlein hatte noch ein paar Bücher zusammengelesen, die sie mit sich trug, vor andern einen Virgilium und eine griechische Bibel. Und als sie darauf verzählet, daß der Zimmermann erst morgen fertig würd, wie auch alsbald unsem Bauch zur Nothdurft gestillet, mußte sie mir zur Stärkung meines Glaubens noch einmal den locum von den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechischen fürlesen, item den schönen locum parallelum Matth. am 6ten, worauf die Magd den Abendseegen betete, und wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg schauete, hörete, ich, daß mein arm hungrig Töchterlein schon vor der Höhlen stand und das schöne Liedlein von den Freuden des Paradieses recitirte, so der heilige Augustinus gefertiget, und ich ihr gelernet. 11 Sie schluchzete für Jammer als sie die Worte sprach:
uno pane vivunt dives utriusque patriae
avidi et semper pleni, quod habent, desiderant non sacietas fastidit, neque fames cruciat inhiantes semper edunt, et edentes inhiant flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum, Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum, virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt pigmentorum spirat odor liquor et aromatum, pendent poma floridorum non lapsura nemorum non alternat luna vices, sol vel cursus syderum
agnus est foelicis urbis lumen inocciduum 12
Bei diesen Worten wurde ich selbsten weich, und als sie schwiege, fragte ich: »was machst du da mein Töchterlein?« worauf sie mir zur Antwort gabe: »ich esse Vater.« was mir erst recht die Thränen herfürtrieb, so daß ich anfing sie zu loben, daß sie die arme Seele speißen wöllt, da sie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte aber noch nit viel gesprochen, als sie aufschriee, daß ich das große Wunderwerk doch betrachten söllte, so sich aus der Sehe herfürthät, und allbereits über der Höhlen hereinbrach. Denn siehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz geformiret, kam über uns und ließ dicke schwere Tropfen bei einer guten Erbsen groß und drüber auf uns niederfallen, worauf sie alsbald hinter das Gehäge sank.
Richtete mich dannenhero sogleich in die Höhe, und rannte mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr nachzuschauen. Sie zog gen das Achterwasser 13 , wo sie sich weit auseinander thät, und hinterwärts alsbald einen großen blauen Streifen formirete, welchen wunderlich die Sonne beschien, so daß er schier wie eine güldne Brücken anzuschauen war, wie mein Töchterlein sagte, auf welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr sogleich auf die Kniee und dankete dem Herrn, daß unser Kreuz für über gezogen, aber ach unser Kreuz sollte erst anheben, wie man weiter lesen wird.
Fußnoten
1 Ein ansehnlicher Berg am Meere nahe bei Coserow.
2 auch haben, auch haben.
3 Ps. 145, 15, 16.
4 beschwichtigen.
5 Wachholderbüsche.
6 o Jammer der Feind ist da! – Ueber die wunderbare Bildungsweise des Mädchens erklärt sich unser Verfasser später.
7 komm nur wieder hervor, es sind Freunde!
8 Wachholdergebüsch.
9 fand im Jahre 1628 statt und häufte das Elend des 30jährigen Krieges auf der hiesigen Insel auf das Unerträglichste. Schade, daß die Schilderung des alten Pfarrers, welche er ohne Zweifel in dem Vorhergehenden gegeben, verloren ist.
10 Pfarrhaus.
11 Dies ist ein Irrthum. Das nachfolgende Lied ist von dem Cardinal-Bischof von Ostia Peter Damianus ( 23sten
Febr. 1072) nach Augustins Prosa überdichtet.
12WirversuchenhiereineUebersetzungdieserschönen Stelle:
Alle Bürger dieses Landes leben nur von einem Brod.
–
Hungrig stets und stets gesättigt, trübt ihr Sehnen keine Noth,
Fühlen nie der Sattheit Ekel, auch die Qual des Hungers nie,
Athmend essen sie beständig, ha und essend athmen sie!
Ewig blüht die Rosenknospe hier im ew'gen Frühling auch
Weiß die Lilie, roth der Krokus, duftend träuft der Balsamstrauch,
Grün die Wiesen, grün die Saaten, und von Honig rinnt der Bach.
Das Aroma süßer Blumen haucht und duftet
tausendfach.
Blühnde Wälder tragen Aepfel, deren Stengel nimmer bricht.
Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechseln dorten mehr ihr Licht.
Denn ihr Licht, das nimmer schwindet, ist des Lammes Angesicht.
13 Ein Busen, den der Peenefluß in der Nähe bildet.
Capitel 8.
Wie unsere Noth immer größer wird, ich die alte Ilse mit einem andern Schreiben gen Pudgla sande, und was mir daraus noch für ein größer Leid erfolget.
Als ich des andern Tags mit gemeinem Geschrei, des ganzen Dorfs die elenden Leichname beerdiget (merke, da wo die Linde 1 über die Mauer schattet, seind sie alle begraben) hörete ich mit vielen Seufzern, daß auch weder die Sehe noch das Achterwasser etwas hergeben gewöllt.
Dies dauerte bei zehn Tagen, daß das arme Volk fast kein Fisches Auge nit kunnte fangen. Ging dahero auf das Feld, und sanne, wie der Zorn des gerechten Gottes über uns zu wenden wär, dieweil der harte Winter vor der Thür und kein Korn, kein Fisch, kein Apfel, kein Fleisch nicht sowohl im Dorfe als im ganzen Kapsel mehr zu finden. Denn Gewilde hatte es zwar genugsam in der Coserowschen und Uekeritzer Heiden, aber der alte Heidenreuter Zabel Nehring war im verschienen Jahr an der Pestilenz gestorben, und noch kein neuer daselbsten.
Auch war im ganzen Kapsel keine einige Mousquete oder Kraut dazu aufzufinden, sintemalen der Feind alles geraubet und zubrochen. Wir mußten dahero alle Tage ansehen, wie Hirsche, Rehe, Haasen, Schweine et cet. uns fürbei sprangen, da wir sie doch lieber in unserm Magen gehabt, aber in unserer Unmacht sie nicht gewinnen kunnten. Und in Gruben wollten sie sich nicht fahen lassen. Doch hatte Claus Peer ein Rehe darin gefangen, und mir auch ein Stück davon verehret, was ihm Gott lohnen wölle. Item an zahmen Vieh war fast gar nichtes
mehr in Kapsel fürhanden, auch kein Hund, weder eine Katze, welche das Volk in der großen Hungersnoth zum Theile gegessen, zum Theile aber vorlängst geschlagen oder versäufet. Doch hatte der alte Bauer Paassch noch zwei Kühe item soll in Uekeritze noch ein alter Mann ein Ferkelken gehabt haben, das war Alles. Darumb lebete fast alles Volk von Brummel- und andern Waldbeeren, welche aber auch schon begunnten seltsam zu werden, wie man leichtlich gießen mag. Auch hatte sich dabei allbereits ein Knabe bei 14 Jahren verloffen, (den alten Labahn sein Junge) und nie nichtes wieder von sich hören lassen, so daß ich schier befahre, daß ihn die Wülfe gefressen.
Hieraus möge nun ein christlich Herze vor sich selbsten abnehmen, in was Gram und Trübsal ich meinen Stecken zur Hand genommen, angesehen mein Töchterlein für den leidigen Hunger wie ein Schatten verging, obschon ich selbsten als ein alter Körper, durch die Gnade des barmherzigen Gottes noch keinen sonderbaren Abgang meiner Kräft verspürete. Indeme ich nun so ginge im fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Uekeritze so ich eingeschlagen, einen Bettlersmann, der saß mit seinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein Stücklein seltene Gottesgabe, verstehe ein Stücklein Brod. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen so voll Wassers, daß ich mich erst bücken und es zur Erde mußte laufen lassen, ehe ich fragen kunte: »wer bistu, und wo kommstu her, daß du Brod hast?« Worauf er antwortete: daß er ein armer Mann aus Bannemin sei, deme der Feind Allens genommen, und da er erfahren,
daß der Lieper Winkel 2 fast lange Frieden gehabt, hätt' er sich aufgemacht daselbsten zu schnurren. »Nunsage ich darauf: du armer Bettlersmann, so theile einem betrübten Diener Christi der ärmer ist denn du, nur eine kleine Schnede 3 Brodt für sein armes Töchterlein ab, denn du sollt wissen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf und mein Kind will sterben für Hunger. Ich beschwere dich bei dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen lässest, ohne dich mein zu erbarmen, wie man sich dein erbarmet hat.« Aber der Bettlersmann wollte mir nichts abtheilen, sprechende: daß er selbsten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen, massen die Noth in Bannemin noch viel größer sei, denn hier, wo wir doch Beere hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort ein Weibsbild (die er auch nennete, hab es aber für Schrecken nicht gleich beachtet) ihr eigen Kind geschlachtet, und für Hunger aufgezehret 4 ? Könne mir dahero nicht helfen und möchte ich selbsten nach dem Lieper Winkel gehen.
Für solche Rede entsatzte ich mich, wie leicht zu erachten, da in unserer Noth noch nichts daran vernommen, auch wenig oder gar kein Wanken ist, von einem Dorf in das andere, und an Jerusalem gedenkend 5
und schier verzweifelnde, daß uns der Herr heimsuchete, wie weiland diese gottlose Stadt, wiewohl wir ihn nicht verrathen noch gekreuziget, vergaß ich fast meiner Noth, und setzte meinen Stecken an, umb fürbast zu gehen.
Doch war ich kaum ein paar Ehlen geschritten, als mir der Bettlersmann nachrief, daß ich stehen söllte.
Wanndte mich dahero wieder als er mir mit einer guten Schnede Brod, so er aus seinem Queersack gehohlet
entgegentrat und sprach: Da! äwer bedet uck för mi, datt ick to Huuse kame, denn wenn se unnerweges rücken, datt uk Brod hebbe, schleht mi min egen Broder dod, köhnt gi glöwen. 6 Solliches versprach mit Freuden, und kehrete flugs um, meinem Töchterlein den heiligen Christ zu bringen, so ich in meiner Rocktaschen verborgen.
Doch siehe, als ich gegen die Straßen komme, so vom Wege nach Loddin führet (vorhero hatt' ich es in meiner Betrübniß übersehen) trauete kaum meinen Augen, als ich alldorten mein Ackerstück bei sieben Scheffeln groß, begatet 7 besäet und bestaudet antraff, so daß die liebe Roggensaat, schon bei eines Fingers Länge lustig aus der Erden geschossen war. Konnte nicht anders gläuben, als daß der leidige Satan mir ein Blendwerk fürgespielet; doch wie ich mir auch die Augen riebe, es war Roggen und bliebe Roggen. Und weilen den alten Paassch sein Stück so daneben stieß imgleichen besäet und die Hälmlein zu gleicher Höhe mit den meinigen geschossen waren, kunnte gar leicht bei mir abnehmen, daß der gute Kerl solliches gethan, anerwogen die andern Stücken allesammt wüste lagen. Verziehe ihm dahero gerne, daß er den Morgenseegen nit gewußt und dem Herrn dankend vor so viel Liebe bei meinen Kapselkindern und ihn brünstiglich anflehend: er wölle mir Kraft und Glauben gewehren, bei ihnen nunmehro auch unverdrossen auszuhalten, und alle Kümmernüß und Trübsal so er nach seinem grundgütigen Willen uns ferner auferlegen söllte, williglich zu tragen, lief ich mehr denn ich ginge in das Dorf zurücke und auf den alten Paassch seinen Hof, wo ich ihn antraf, daß er eben seine Kuh zuhauete, so er für grimmigem Hunger nunmehro
auch geschlachtet. »Gott hilf dir!« sage ich »du frommer Kerl, daß du mir meinen Acker begatet hast, wie soll ich dir's lohnen?« Aber der alte Mann gab zur Antwort: Lat he dat man wesen und bede he man för uns 8
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