Die Besessenheit - Annie Ernaux - E-Book

Die Besessenheit E-Book

Annie Ernaux

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Beschreibung

Sie hat keine großen Gefühle mehr für ihn und trennt sich. Doch als er Monate später von einer anderen spricht, ist sie völlig aus der Bahn geworfen. Jetzt leidet sie, fühlt sich verschmäht, zurückgewiesen. Vor allem aber treibt die Frau sie um, die ihren Platz eingenommen hat – wer ist die eigentlich und wie? Ist sie schöner, besser, ist der Sex mit ihr toller? Diese Fremde wird zu einer Obsession, einer Art Wahn. »Das Seltsamste an der Eifersucht ist, dass sie eine ganze Stadt – die ganze Welt – mit einer Person bevölkern kann, der man womöglich noch nie begegnet ist.« Und irgendwann ist diese Andere ein ständiger Albtraum, aus dem es womöglich gar kein Erwachen mehr gibt…

Wie fühlt es sich an, von einem Menschen besessen zu sein, den man nicht mal kennt? In klaren, fast klinischen Sätzen schreibt Annie Ernaux über die perfide Wucht von Eifersucht, über drohende Selbstauflösung und den aberwitzigen Versuch, in eigener Sache Gewissheit zu erlangen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 47

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

Annie Ernaux

Die Besessenheit

Aus dem Französischen von Sonja Finck

Suhrkamp Verlag

Impressum

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Die Originalausgabe erschien 2002 unter dem TitelL’occupation bei Éditions Gallimard, Paris.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2025.

© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag GmbH, Berlin, 2025© Éditions Gallimard, Paris, 2002

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Umschlaggestaltung nach einem Konzept von Willy Fleckhaus

Umschlagfoto: Privatarchiv Annie Ernaux, mit freundlicher Genehmigung der Autorin

eISBN 978-3-518-78335-1

www.suhrkamp.de

Widmung

Und doch wusste ich: wenn ich das, was ich fühlte, durchstehen würde, würde ich die Wahrheit über mich selbst und über die Welt erfahren und über alles, worüber man sich die ganze Zeit den Kopf zerbricht und was einen quält.

Jean Rhys

Ich habe schon immer schreiben wollen, als wäre ich bei Erscheinen des Textes nicht mehr da. Schreiben, als würde ich bald sterben, und es gäbe dann niemanden mehr, der urteilt. Auch wenn der Glaube, die Wahrheit könne erst durch den Tod zum Vorschein kommen, eine Illusion sein mag.

Nach dem Aufwachen griff ich meist als Erstes nach seinem im Schlaf erigierten Penis und hielt ihn fest, als umklammerte ich einen Ast. Ich dachte, »solange ich das hier in der Hand halte, bin ich nicht verloren in der Welt«. Wenn ich heute über die Bedeutung dieses Satzes nachdenke, scheint mir, ich meinte damit, dass nichts zu wünschen übrigblieb, wenn meine Hand den Penis dieses Mannes umschloss.

Jetzt liegt er im Bett einer anderen Frau. Vielleicht tut sie dasselbe, streckt die Hand aus und greift nach seinem Penis. Monatelang sah ich ihre Hand und hatte den Eindruck, es wäre meine.

Dabei war ich es, die W. einige Monate zuvor verlassen hatte, nach sechsjähriger Beziehung. Aus Überdruss wie aus dem Unwillen, meine nach achtzehn Jahren wiedererlangte Freiheit für ein Zusammenleben aufzugeben, nach dem er sich von Anfang an gesehnt hatte. Wir telefonierten weiter miteinander, sahen uns ab und zu. Eines Abends rief er an und teilte mir mit, dass er seine kleine Wohnung aufgab und mit einer Frau zusammenzog. Von nun an gebe es Regeln für Anrufe – nur auf dem Handy – und für Verabredungen – weder abends noch am Wochenende. An meinem Gefühl der absoluten Niederlage merkte ich, dass ein neues Element hinzugekommen war. Von diesem Moment an nahm die Frau mein Leben in Besitz. Ich dachte nur noch durch sie.

Die Frau füllte meinen Kopf, meine Brust und meinen Bauch, begleitete mich überallhin, diktierte mir meine Gefühle. Gleichzeitig ließ mich diese ständige Anwesenheit intensiver leben. Sie löste Regungen aus, die mir bis dahin fremd gewesen waren, setzte eine Energie und einen Erfindungsreichtum frei, deren ich mich nicht für fähig gehalten hätte, trieb mich konstant zu fieberhaften Aktivitäten an.

Die Frau beschäftigte mich im doppelten Wortsinn, ich war von ihr besessen.

Dieser Zustand hielt die alltäglichen Sorgen und Ärgernisse auf Abstand. Er versetzte mich in gewisser Weise an einen Ort, an dem die übliche Mittelmäßigkeit des Lebens nicht an mich herankam. Auch die Gedanken, die politische Ereignisse und Nachrichten im Allgemeinen in mir hervorrufen, prägten sich mir nicht ein. Ganz gleich, wie sehr ich mich zu erinnern versuche, außer dem Sturz der Concorde auf ein Hotelissimo in Gonesse ist mir vom Weltgeschehen des Sommers 2000 nichts im Gedächtnis geblieben.

Da waren einerseits der Schmerz und andererseits die Gedanken, die keinen anderen Gegenstand haben konnten als die Feststellung und Analyse dieses Schmerzes.

Ich musste unbedingt ihren Vor- und Nachnamen, ihr Alter, ihren Beruf, ihre Adresse herausfinden. Ich erkannte, dass diese Informationen, mit denen unsere Gesellschaft die Identität eines Individuums definiert und die wir leichtfertig als etwas abtun, was uns nichts über das wahre Wesen eines Menschen verrät, in Wahrheit von größter Bedeutung sind. Nur durch sie konnte ich aus der unterschiedslosen Masse aller Frauen ein körperliches und soziales Erscheinungsbild extrahieren, mir einen Körper und eine Lebensweise vorstellen, mir ein Bild von ihr als Mensch machen. Sobald er mir widerstrebend verraten hatte, dass sie siebenundvierzig Jahre alt war, Dozentin, geschieden mit einer sechzehnjährigen Tochter, dass sie in Paris wohnte, in der Avenue Rapp im 7. Arrondissement, tauchte eine Gestalt in Bluse und strengem Kostüm auf, mit makelloser Föhnfrisur, die in einer bürgerlichen Wohnung im Halbdunkel am Schreibtisch sitzt und ihr Seminar vorbereitet.

Die Zahl 47 hatte mit einem Mal eine merkwürdige Materialität. Ich sah die beiden Ziffern überall aufragen, riesengroß. Jede Frau, der ich begegnete, sortierte ich nach geschätzten Lebensjahren ein, indem ich die sichtbaren Zeichen ihres Alters mit meinen verglich. Alle, die ich zwischen vierzig und fünfzig einordnete und die mit jener »schlichten Eleganz« gekleidet waren, die die Bewohnerinnen der besseren Viertel uniformiert, waren Doppelgängerinnen der anderen Frau.