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Siebzig Jahre Fernsehen sind sieben Jahrzehnte voller prägender Erinnerungen und einmaliger Erlebnisse. Fernsehzitate erwecken diese Geschichte zum Leben. Es sind erhellende, unterhaltsame und schier unglaubliche Streifzüge durch Politik, Kultur, Sport und Gesellschaft, die tief hineinführen in die österreichische Seele.
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Herbert Hayduck, Karin Moser:Die besten Sager und ihre Geschichten
Alle Rechte vorbehalten© 2025 edition a, Wienwww.edition-a.at
Fotos im Buch: ORFBildredaktion: Martin MajnaricCover: Bastian WelzerSatz: Bastian Welzer
Gesetzt in der PremieraGedruckt in Europa
1 2 3 4 5 — 28 27 26 25
eISBN: 978-3-99001-820-0
Herbert HayduckKarin Moser
70 Jahre Fernsehen
Nach einer Idee von Stefanie Groiss-Horowitz
1955
1960
1970
1980
1990
2000
2010
2020
Dieses Buch ist eine Zeitreise. Eine Reise durch siebzig Jahre Fernsehgeschichte in Österreich seit der Gründung dieses Mediums im Jahr 1955. Reisebegleiter sind die kollektiven Erinnerungsmomente, jene »Sager« und legendären Zitate, die als geflügelte Worte das Fernsehen mit seinem Publikum über siebzig Jahre verbunden haben und weiterhin verbinden.
Die Bezeichnung »Fernsehen« war Name und Programm zugleich: Das Versprechen des neuen Mediums an die Zuseherinnen und Zuseher war und ist das »Sehen«, also den Blick die Perspektive, den Horizont in die »Ferne« erweitern zu können. »Ferner« als jede körperliche Wahrnehmung des Menschen reichen könnte. Werkzeuge für diesen erweiterten physischen und geistigen Blick, waren die Mittel des Audiovisuellen, bewegte Bilder und Töne, die einen direkten Zugang zu den Emotionen des Publikums eröffnen können. Die Programminhalte des Fernsehens sind »moving images« im doppelten Wortsinn: Sie bewegen sich und sie sind bewegend für die Zuseherinnen und Zuseher. Aus der Tradition des Kinos kommend und in vielen technischen Aspekten in den ersten Jahrzehnten, noch sehr ähnlich, war Fernsehen trotzdem ein neues Medium: schneller, unmittelbarer, aber auch privater, weil zu Hause erlebbar, mit der Möglichkeit von »Live«-Übertragungen direkt vom Geschehen, bei Nachrichten, Sportereignissen, kulturellen und Show-Events.
Dieses Buch ist auch eine Liebeserklärung an die Kraft dieses Mediums und seine Wandlungsfähigkeit bis heute. Und es ist eine Hommage an jene, die Fernsehen über siebzig Jahre, mit immer neuen kreativen Pionierleistungen, Sendungsideen und Formaten entfaltet und konsequent weiterentwickelt haben, bis in die Gegenwart, in der angesichts der explosionsartigen Vermehrung der digitalen Verteilkanäle die Form der Empfangsgeräte nebensächlich wird. Entscheidend ist und bleibt die Stärke der bewegten Bilder und die Qualität der damit transportierten Inhalte. Sie bilden die Brücke zwischen Medium und Publikum.
Ein Zeichen und Beleg für diese Brücke sind jene legendären »Sager« und geflügelten Worte aus dem Fernsehprogramm des ORF über siebzig Jahre, die wir in diesem Buch präsentieren. Sie haben in der kollektiven Wahrnehmung und Erinnerung das Image des ORF mitgeprägt. Einige waren und sind seit Jahrzehnten vertraute Teile des audiovisuellen Alltags. Manche Sendungstitel, Kennmelodien, Ansagen, Appelle, Mottos und Statements sind vielen Zuseherinnen und Zusehern geläufig, haben einst aufgeregt, amüsiert oder einfach nur Vorfreude ausgelöst, jedenfalls sind sie mit Erinnerungen und Emotionen verbunden. Mit diesem Buch versuchen wir, einige dieser emotionalen Fernsehmomente ins Gedächtnis zu rufen, sie fühl- und erlebbar zu machen, auch für jene Generationen, die damals noch nicht dabei waren. Wir erheben dabei nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, der ohnedies vermessen wäre. Vielmehr soll die Lust am Wiedersehen und am Medium Fernsehen an sich geweckt werden.
Fernsehen entsteht immer in Teamarbeit – technische, redaktionelle und gestalterische Expertise wirken zusammen, damit ein attraktives Programm für das Publikum produziert werden kann. Genauso ist dieses Buch entstanden – wir danken allen, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen des ORF-Archivs. Dank ihrer konsequenten Dokumentationsarbeit ist und bleibt das audiovisuelle Gedächtnis des Fernsehens und der österreichischen Zeitgeschichte lebendig und wird dem Publikum über ORF ON laufend weiter zugänglich gemacht.
Wie sehr sich ÖVP-Politiker und Bundeskanzler Julius Raab in seiner Einschätzung irren sollte, zeigte sich schon wenige Jahre nach dem Start des ersten Fernsehversuchsprogramms in Österreich. Ab dem 1. August 1955 wurde von Wien, Graz, Salzburg und Linz aus montags, mittwochs und samstags ab etwa 17 Uhr gerade einmal 45 Minuten lang gesendet. 1960 war das erste Jahr, in dem an jedem Tag der Woche in Österreich Fernsehen empfangen werden konnte.
Ganz zu Beginn kannten viele das TV-Gerät nur aus der Auslage des Elektrohandels. Der Fernseher galt als Luxusgegenstand und Status-symbol und kostete damals etwa 6.000 Schilling (das wären nach heutiger Kaufkraft fast 4.000 Euro). Fernzusehen war demnach etwas Besonderes und es war ein Gemeinschaftserlebnis. Man ging zu Nachbarn, Freunden oder Verwandten, die sich diesen Luxus leisten konnten. Die Betreiber von Gasthäusern und Cafés investierten in ein TV-Gerät, um ihrer Kundschaft zu ermöglichen, Skirennen oder Fußballspiele live im Bild mitverfolgen zu können. Aber auch in Pfarren, Gemeinde- und Parteilokalen wurden Fernseher angeschafft, um gemeinsam ausgewählte Programme zu schauen.
Passanten staunen über die neuen Fernsehgeräte.
Anfangs war der Fernseher ein städtisches Phänomen: 1957 gab es 12 000 Geräte in Österreich, wobei 6 000 auf Wien entfielen. Mit dem wachsenden Wohlstand im Zuge des »Wirtschaftswunders« setzte sich das Fernsehen landesweit durch. 1958 waren 30 000 Fernsehapparate in Österreich angemeldet, 1960 bereits 193 000. Und 1969 war das TV-Gerät schließlich von einem Luxus- zu einem Alltagsgegenstand geworden: Der ORF verzeichnete bereits 1 125 000 Fernsehteilnehmerinnen und Fernsehteilnehmer.
Der allererste Sendetag am 1. August 1955 begann erst gegen 17 Uhr und bot eine Mischung aus Kultur, Information und Diskussion. Der erste Programmpunkt war musikalisch: Die Wiener Philharmoniker spielten im Schloss Belvedere die »Egmont-Ouvertüre« von Beethoven. Es folgte eine Diskussionssendung mit den Chefredakteuren der damals wichtigsten österreichischen Tageszeitungen zu der Frage: »Wird das Fernsehen der Presse schaden?« Den Abschluss bildete ein Beitrag über die französische Schule in Wien. Erstaunlich vorausblickend war das Gesprächsthema dieser ersten Sendung. Wird das neue Medium die alten Medien verdrängen? Die – übrigens rein männliche – Diskussionsrunde war sich einig und teilte damit auch die vorhin zitierte Einschätzung des damaligen Bundeskanzlers: Dem neuen Medium würde wohl keine allzu große Zukunft zuteilwerden. Diese Frage nach der Zukunft steht bei jeder neuen medialen Entwicklung im Zentrum. Die Antwort ist letztlich immer dieselbe: Die traditionellen Medien bleiben erhalten, sie verändern sich allerdings. Sie reflektieren und reagieren auf das neue Medium.
Fernsehen war zu Beginn ein Familienereignis.
Der Start des Fernsehens in Österreich hatte zwei Voraussetzungen: Die Entwicklung der Übertragungstechnologien war seit den 1930er-Jahren in verschiedenen Ländern im Gange und nach dem Zweiten Weltkrieg reif geworden für die weltweite Verbreitung. Diese erfolgte von den USA ausgehend ab Anfang der 1950er-Jahre schrittweise in die Länder Europas.
Die zweite Voraussetzung war eine politische: Während der Besatzungszeit stand der Rundfunkbetrieb unter alliierter Kontrolle. Erst mit dem Abschluss des Österreichischen Staatsvertrags erhielt Österreich die Rundfunkfreiheit. Kaum drei Monate nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 startete der Fernsehbetrieb bereits am 1. August 1955. Die technischen Erprobungen und Tests durch österreichische Techniker waren seit Jahren im Geheimen durchgeführt worden, wohl auch mit stillschweigender Billigung der westlichen Besatzungsmächte.
Etabliert wurde mit dem »Österreichischen Rundfunk« ein Medium in öffentlicher Verantwortung, in den ersten Jahren chronisch unterfinanziert und – ganz österreichisches Klischee – den wechselnden und sich erst entwickelnden Einflussnahmen der politischen Parteien ausgesetzt. Trotzdem bot das erste Jahrzehnt des österreichischen Fernsehens unter Leitung des ersten Fernsehdirektors Gerhard Freund ein erstaunlich produktives Experimental-Labor in vielen Programm-Genres – in den folgenden Kapiteln finden Sie legendäre Beispiele dazu. Mit dem seitens der Zeitungsherausgeber initiierten »Rundfunkvolksbegehren« 1964 und dem darauffolgenden neuen Rundfunkgesetz erfolgte ab 1966, nach dem Ende der Großen Koalition, eine grundlegende Rundfunkreform hin zu einem unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich. Damit wurde auch die Basis zur laufenden Weiterentwicklung dieses Mediums bis heute gelegt.
Bis 1997 bewegte sich das ORF-Fernsehen im Rahmen eines gesetzlich festgelegten Fernsehmonopols, das in der Praxis durch das Angebot deutscher Fernsehanbieter über Kabelnetze oder Satellitenempfang schon Jahre davor de facto außer Kraft gesetzt worden war. Von 1955 bis zur Jahrtausendwende verband also ein gemeinsamer medialer Erfahrungsraum die Menschen miteinander. Mehrere Generationen mit einem mehr oder weniger ähnlichen kulturellen Hintergrund haben dieselben Sendungen gesehen, die wiederum Teil des kollektiven audiovisuellen Gedächtnisses geworden sind.
Das Ende des Rundfunkmonopols bewirkte die Öffnung der medialen Erfahrungsräume, ab der Jahrtausendwende verstärkt durch die tiefgreifende technologische Zeitenwende der Digitalisierung. Die Verbreitung des Internets und eine laufend wachsende Fülle kommerziell betriebener, digitaler Fernseh- und Online-Angebote waren die Folge. Diese erzeugen seither wachsenden Konkurrenzdruck auf öffentlich-rechtliche Medien wie den ORF, tragen damit aber gleichzeitig zur rasanten technischen und inhaltlichen Weiterentwicklung und laufenden Modernisierung all dieser Medienhäuser bei. Die Sicherung der gesellschaftlichen Pluralität und der demokratischen Meinungsvielfalt sind und bleiben dabei zentrale Zielsetzungen.
Die Attraktivität des öffentlich-rechtlichen Medienangebots für das Publikum ist auch unter diesen völlig veränderten Rahmenbedingungen hoch, was sich an den starken Marktanteilen auch zum siebzigsten Jubiläum des ORF-Fernsehens zeigt: Das »ferne Sehen« bleibt für das Publikum sehr attraktiv, egal über welche Distributionswege die bewegten Bilder verteilt werden. Seit 2024 bietet der ORF seine linearen Programme auch online über die Plattform ORF ON zum zeitungebundenen »Vor- und Nachsehen« an, dazu eine wachsende Fülle an historischen Fernsehinhalten aus dem ORF-Archiv. Journalistische Unabhängigkeit und öffentlich-rechtliche Qualität der Programmangebote sichern dabei eine stabile Brücke zwischen den Programmmacherinnen und -machern und ihrem Publikum.
Die Familie vor dem Fernseher, die Welt im Wohnzimmer: Das war das Versprechen, als die Zeit im Bild 1955 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Die Zeit im Bild ist das einzige Sendeformat des ORF-Fernsehens, das seit dem Gründungsjahr 1955 bis heute ohne Unterbrechung gesendet wird. Und zugleich verdeutlicht es eine der wichtigsten Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: die Bürgerinnen und Bürger eines Landes mit Informationen zu versorgen. Die technische und dramaturgische Weiterentwicklung dieser Nachrichtensendung steht exemplarisch für die Gesamtentwicklung des Mediums Fernsehen. Im Dezember 1955 sahen und hörten die Zuseherinnen und Zuseher zum ersten Mal den Titel jener Sendung, die bis heute zu einem Fixpunkt und der bekanntesten Marke des ORF-Programms werden sollte: Zeit im Bild, damals jeweils um 17 und um 19 Uhr gesendet.
Vorbild für die Sendung waren die Nine O’Clock News der britischen BBC, konzipiert als reine »Sprechersendung«. Der Redakteur las dabei dem Publikum die neuesten Nachrichten vor. Das waren zu Beginn Hörfunkmeldungen ins Medium Fernsehen übertragen. Der Name Zeit im Bild geht auf den Fernsehjournalisten und späteren ORF-Generalintendanten Teddy Podgorski zurück, der diese Anekdote später immer wieder zum Besten gab: Er erhielt als ganz junger Redakteur vom damaligen Fernsehdirektor Gerhard Freund den Auftrag, sich einen guten Titel für die Nachrichtensendung zu überlegen. Nach einer schlaflosen Nacht legte er dem Direktor seinen Vorschlag vor, von dem er selbst nicht ganz überzeugt war: Zeit im Bild. Die Reaktion des Fernsehdirektors war verhalten: »Na ja, guat is des wirklich ned, aber lass ma’s derweil.« Der Name blieb und das Provisorium wurde zur Institution. »Eine typisch österreichische Lösung«, befand Podgorski später.
Die erste »Zeit im Bild«-Signation
Und tatsächlich trifft es die Formulierung Zeit im Bild ganz genau: Unsere Zeit, die Gegenwart, wird in Bildern eingefangen, erklärt, kommentiert und damit zugänglich gemacht. Großereignisse aus aller Welt werden genauso thematisiert wie Nachrichten aus nächster Umgebung. Entscheidend sind die unabhängige Bewertung der Relevanz eines Ereignisses und die journalistische Qualität der Recherche und Aufbereitung der Meldungen und Beiträge. Die ZiB eröffnete den Österreicherinnen und Österreichern ein Fenster zur Welt, die visualisierte Information ließ das Publikum noch näher am nationalen und internationalen Geschehen teilhaben. In den ersten Jahrzehnten des Fernsehens war die tägliche Zeit im Bild-Sendung um 19.30 Uhr ein kollektives Informationserlebnis und Ritual. 1975 startete die Zeit im Bild 2, die einen stärkeren Schwerpunkt auf Reportage, Hintergrundberichterstattung und Studiogespräche legt.
Die Zeit im Bild wird von den Menschen geprägt, die sie gestalten und verantworten, in bester öffentlich-rechtlicher Nachrichten- und Informationsqualität. In den letzten siebzig Jahren haben sich die Gesichter und Stimmen vor der Kamera verändert, die Grundsätze der Berichterstattung sind gleich geblieben – frei nach Hugo Portisch: »Check, Re-Check, Double-Check«. Moderatorinnen und Moderatoren wie Annemarie Berté, Walter Richard Langer, Danielle Spera, Josef Broukal, Ingrid Thurnher, Robert Hochner, Hannelore Veit, Horst Friedrich Mayer, Lou Lorenz-Dittlbacher, Armin Wolf, Martin Thür, Fanny Stapf, Stefan Lenglinger und viele mehr prägten und prägen die österreichische Informationslandschaft. Viele Menschen erfuhren bedeutende Ereignisse zum ersten Mal über die ZiB oder saßen bei Sondersendungen stundenlang atemlos vor dem Fernseher, um neueste Entwicklungen zu verfolgen, von der Mondlandung über »9/11«, den Anschlägen in den USA am 11. September 2001, bis zur spontanen Live-Berichterstattung anlässlich der Veröffentlichung des »Ibiza-Videos« 2019.
Es folgten bis heute neben den klassischen Formaten ZiB 1 und ZiB 2 die ZiB 3, ZiB Flash, ZiB Magazin, ZiB Nacht, ZiB 100 (News des Tages in hundert Sekunden), ZiB ZACK Mini und je nach Thema, Uhrzeit oder Anlass, weitere ZiB-Formate, nicht nur im TV, sondern auch online. Auf diese Weise werden unterschiedliche Zielgruppen angesprochen. Zudem ermöglichen die Formate – je nach Ausrichtung – Überblicke, Kurzinformationen und tiefgehende Analysen, Gespräche und Diskussionen. Doch alle gehen auf den Grundgedanken der ersten ZiB aus dem Jahr 1955 zurück: Das Publikum soll bestmöglich und ausgewogen über politische, ökonomische, kulturelle, wissenschaftliche und chronikale Inhalte informiert werden.
Moderator Gerd Prechtl im Studio der ZiB in den 1950er-Jahren
Das mediale Angebot hat sich seit der Jahrtausendwende vervielfacht. Als Folge der Digitalisierung ist die ZiB seit langem auch im Internet verfügbar. ZiB auf TikTok und Instagram gehören für die Breite aller Zielgruppen ins Gesamtangebot. Individualisierung, Personalisierung, Dialog und Partizipation stehen heute hoch im Kurs und werden längst in den ORF-Informationsformaten berücksichtigt und angeboten.
Auch in Zeiten zunehmend polarisierter gesellschaftlicher Diskussionen, polemischer Ablehnung öffentlicher Institutionen und der Abwertung von etablierten und investigativen Medien als »Mainstream«-Medien bleibt die ZiB noch immer die meistgesehene Nachrichtensendung Österreichs und ist damit die wohl bedeutendste Sendung der österreichischen Fernsehgeschichte. In einer Welt, die zunehmend von Nachrichten geflutet wird und in der die Unterscheidung zwischen Fakt und Fake, zwischen wichtig und unwichtig schwieriger wird, weckt die Marke Zeit im Bild in all ihren aktuellen Formen Vertrauen und Sicherheit, auch in der klassischen linearen Form mit der traditionellen Begrüßung:
Nadja Bernhard und Tarek Leitner, eines der aktuellen Moderationspaare der »Zeit im Bild«
Das Fernsehen war in den 1950er-Jahren zweifellos das Medium der Zukunft und doch zeichnet es sich von Anfang an auch dadurch aus, die Vergangenheit zu veranschaulichen, Historisches audiovisuell aufzubereiten und zu erklären. Aufnahmen an Originalschauplätzen, Kleinodien, Fotografien, Bilder und kleinere Reinszenierungen brachten das Publikum in andere Zeiten und zu anderen Orten. Diese Erzählweisen waren zu Beginn des Fernsehens noch weit von den heutigen Möglichkeiten der digitalen Bildgestaltung entfernt.
Doch der Effekt, den die in die Gegenwart gerückte Vergangenheit im neuen Medium Fernsehen damals auf die Zuschauer gemacht haben muss, war wohl nicht zu unterschätzen. Die Repräsentation von Geschichte war und ist eines der Erfolgsgenres des Mediums Fernsehen – von der scheinbar einfachen Erzählform des Fensterguckers bis zu hochkomplexen Geschichtsdarstellungen der Gegenwart, die mit aufwändig animierten Archivmaterialien und detailgetreu inszenierten Reenactments dem Publikum neue Formen des »Storytellings« für historische Themen präsentieren.
Eine der ersten dieser Historiensendungen in Österreich war eben jener Fenstergucker. 1957 gestartet, entwickelte er sich bald zu einem der beliebtesten Kulturformate im österreichischen Fernsehen. Mit dem Untertitel »Unsere Fernsehillustrierte« wurde auf den thematisch vielfältigen Gesamthorizont der Sendereihe verwiesen, präsentiert als großformatige visuelle Film-Essays mit hohem Schauwert, fallweise auch von neuproduzierten Spielszenen unterstützt.
Jede Sendung führte die Zuseher an einen anderen Ort Österreichs oder Europas, um dessen Geschichte, kulturelle Traditionen und den »genius loci« vorzustellen.
So war der Fenstergucker wohl auch als eine identitätsstiftende Sendung für das »neue Österreich« gedacht, die gut ein Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus' in Österreich der Stärkung eines neuen Österreich-Bewusstseins diente. Man bezog sich auf jahrhundertealte Traditionen und Kulturphänomene aus dem »alten Österreich« vor der nationalsozialistischen Herrschaft und den vielfältigen Verstrickungen von Österreicherinnen und Österreichern als Täter und Mitläufer in der NS-Diktatur zwischen 1938 und 1945. Die in den 1950er- und 1960er-Jahren gängige Betonung der These von der Rolle Österreichs als »erstes Opfer« des Nationalsozialismus wurde damit inhaltlich und emotional gestärkt.
Als »Fernseh-Illustrierte« entführte die Sendung an spannende Orte.
Konzipiert und gestaltet wurde die Sendereihe von Friedrich Hansen-Löve, einem dänisch-österreichischen, katholischen Schriftsteller und Essayisten, der nach Tätigkeiten als Autor und Publizist ab 1954 im Radio tätig war, wo er am Aufbau des österreichischen Fernsehens mit der Gestaltung vieler kulturhistorischer Sendereihen und als Hauptabteilungsleiter für Kultur, Wissenschaft und Bildung mitwirkte. Ernst Meister gab den Ausflügen des Fensterguckers in die Geschichte seine markante Stimme. Wie viele Stars des frühen Fernsehens war Meister gelernter Schauspieler. Bekannt für sein weiches, angenehmes Timbre, wurde er bald zu einem gefragten Radiosprecher und galt als »Stimme Österreichs«. In der Rolle des »Meister Pilgram« verkörperte er akustisch oft auch in direkter Rede das »neue Österreich«.
Der Name der Sendung geht auf einen der Baumeister des Stephansdoms, Anton Pilgram, zurück. Als dieser im 16. Jahrhundert der Kirche einige ihrer charakteristischsten Elemente verlieh, soll er sich auf der steinernen Kanzel selbst verewigt haben. Dort ist die titelgebende Skulptur eines Mannes zu sehen, der sich aus einem Fenster lehnt und traditionell als »Fenstergucker« bezeichnet wurde. Heute ist zwar umstritten, ob es sich bei der Gestalt tatsächlich um Pilgram handelt, aber sie symbolisiert einen Zeugen für die Wechselläufe der Geschichte. Anders als der steinerne Fenstergucker im Stephansdom, war die Fernsehsendung kein stummer Zeuge der Vergangenheit, sondern vielmehr ein Symbol für die Rolle des Fernsehens als »Fenster zur Welt« für das Publikum.
Seit Anbeginn war das Fernsehen Heimat von Entertainern, die ganze Generationen prägten. Einer der ersten Stunde im ORF war der Autor, Kabarettist, Schauspieler und Conférencier Karl Farkas. Als 1955 das österreichische Fernsehen entstand, war Farkas bereits eine Kabarettgröße. Geboren 1893 in Wien, sollte er dem Wunsch der Eltern entsprechend Jurist werden, doch schon vor dem Ersten Weltkrieg studierte Farkas an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst im Hauptfach Schauspiel. Nach 1918 trat er auf Bühnen in Olmütz, Mährisch Ostrau und Linz auf, bis er 1921 nach Wien zurückkehrte und sich auf diversen Kleinkunstbühnen einen Namen machte. Legendär wurden seine Auftritte im Kabarett Simpl. Ab 1922 waren Farkas und sein kongenialer Partner Fritz Grünbaum als »der G’scheite und der Blöde« in Doppelconférence im Kabarett zu sehen. 1938 musste der als Schauspieler und Regisseur in zahlreichen Theatern, Kabaretts, Revuen und Filmen von Erfolg zu Erfolg eilende Farkas vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten über die tschechische Grenze fliehen und gelangte über Frankreich, Spanien und Portugal in die USA. New Yorker Freunde wie Alexander Roda Roda bewahrten Farkas vor einer Abschiebung nach Europa. Sie hatten damit sein Leben gerettet, Farkas’ Simpl-Partner Fritz Grünbaum wurde 1941 im KZ Dachau ermordet.
1946 kehrte Karl Farkas nach Österreich zurück und nahm seine Arbeit im Simpl wieder auf, 1950 wurde er dessen künstlerischer Leiter. Er war nun auch als Autor und Regisseur tätig und schrieb gemeinsam mit Hugo Wiener zahlreiche Revuen. Auch das Konzept der Doppelconférence wurde wieder aufgegriffen; als neue Partner im humorvollen Schlagabtausch erwiesen sich Ernst Waldbrunn und Maxi Böhm. Diese beliebten Zweierkonstellationen sollten auch Eingang in das neue Medium Fernsehen finden.
Karl Farkas als Bilanzierer des Monats
Der ORF konnte Farkas für ein TV-Format unter dem Titel Bilanz des Monats gewinnen. Seine Eloquenz, sein trockener Humor und seine pointierten Gedanken machten ihn zum idealen Moderator für diese launige monatliche Show, in der Farkas ab Ende September 1957 regelmäßig die wichtigsten Ereignisse des Monats aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur analysierte. Ab 1962 folgte die Bilanz der Saison und die Bilanz des Jahres, die meist zu Silvester das endende Jahr noch einmal in Erinnerung riefen und näher unter die Lupe nahmen. Dabei klärte der »kluge« Karl Farkas den »einfältigen« Ernst Waldbrunn über die genauen Umstände politischer, wirtschaftlicher und künstlerischer Entwicklungen, Gerüchte und Begebenheiten auf. Die vermeintlich dummen Antworten und Fragen Waldbrunns brachten den obergescheiten Farkas dabei immer wieder in Bedrängnis. Im Verlauf dieser sehr raffinierten Wortgefechte wurde charmant, launig und mit höchstem Sprachwitz das Geschehen kritisch reflektiert, aber so, dass am Ende jede und jeder lachte und niemand gekränkt schien.
Farkas’ Bilanzen verlangten nach keinen allzu aufwändigen Inszenierungen. Die Kabarettshow verließ sich vielmehr auf die zentralen Akteure der Sendung, und im Speziellen auf klug durchdachte Einlagen, auf Farkas’ Talent für Sprache, Gestik und Pointen. Den Zuschauerinnen und Zuschauern wurden nicht nur Fakten geliefert, sondern zugleich humorvoll Denkanstöße gegeben, deren Tiefgang sich bisweilen erst langsam entfaltete.
Nach einer eloquenten Begrüßung, die Lust auf das Kabarettprogramm machen sollte, folgte stets die Aufforderung:
Der Sager entwickelte sich rasch zu einem Markenzeichen der Sendung und steigerte als geflügeltes Wort ihren Wiedererkennungswert. Und nicht nur das, Generationen von Kabarettisten griffen ihn auf, wissend, welche Wirkung er haben konnte. Seit jeher waren und sind die Revuen des Simpl im ORF ein Fixprogramm. Ob Martin Flossmann, Michael Niavarani, Claudia Rohnefeld, Tilde Lechner, Dolores Schmidinger, Ciro de Luca, Stefano Bernardin oder Joachim Brandl, sie alle stehen in der Tradition eines Karl Farkas. Seine Sendungen, mit einer Mischung aus journalistisch-spitzer Analyse und Kabarett, können durchaus als Vorläufer von Formaten wie Dorfers Donnerstalk, Die Tafelrunde, Willkommen Österreich oder Gute Nacht Österreich gesehen werden.
Karl Farkas und Ernst Waldbrunn waren ein kongeniales Duo.
Das Fernsehen gab den deutschsprachigen Ländern neue Möglichkeiten, ihre Kulturräume füreinander zu öffnen. Die Ratesendung Was bin ich? wurde vom Ersten Deutschen Rundfunk produziert, auch in Österreich ausgestrahlt und erfreute sich in beiden Ländern großer Beliebtheit. Das Vorbild der Sendung stammte aus den USA, wo eine ähnliche Show unter dem Titel What’s my Line? seit 1950 bei CBS lief. Ein Standardspruch von Moderator Robert Lembke lautete:
Er wurde sowohl beim österreichischen als auch beim deutschen Publikum bald zum geflügelten Wort. Das Ratespiel machte das Publikum auf humorvolle Weise mit durchaus ungewöhnlichen Berufen wie etwa Schulreiter, Gobelinweberin, Drehorgelspieler, Bridgedame oder Arrestantenfotograf bekannt. Das Konzept der Sendung war einfach und sehr erfolgreich: Der jeweilige Gast stellte sich vor und zeigte dem Rateteam eine für seine Tätigkeit typische Handbewegung. Dem Publikum zuhause wurde der Beruf – begleitet von einem Gongschlag – eingeblendet. Wollten die Zuschauerinnen und Zuschauer mitraten, so sahen sie beim Tonsignal einfach nicht auf den Bildschirm. Die Mitglieder des Rateteams durften nur Fragen stellen, die mit »Ja« oder »Nein« beantwortet werden konnten.
Robert Lembke mit seinen »Schweinderln«
Für die Gäste war ein »Nein« durchaus »lukrativ«, denn für jedes »Nein« warf Robert Lembke fünf D-Mark in das rote, grüne, gelbe oder blaue Schweinderl, das sich die Gäste zuvor ausgesucht hatten. Nach zehn Fragen konnten die Kandidatinnen und Kandidaten im besten Fall mit fünfzig Mark nach Hause gehen.
Die Auflösung überraschte so manches Rateteam-Mitglied, anschließend wurde der Beruf des Gasts in einem Kurzfilm vorgeführt. Oft waren die Ratefüchse aber auch sehr schnell, immerhin wurden sie nach und nach zu Routiniers. Dabei waren viele von ihnen selbst durchaus prominent beziehungsweise wurden durch die Sendung zu Fernsehstars. Zum Rateteam zählten unter anderem Marianne Koch (Schauspielerin und Ärztin), Guido Baumann (Unterhaltungschef des Schweizer Fernsehens), Ingrid Wendl (TV-Sprecherin und Eiskunstläuferin), Hans Sachs (Oberstaatsanwalt in Nürnberg) und Annette von Aretin (Fernsehsprecherin und Leiterin des Besetzungsbüros des Bayerischen Rundfunks).
Neben den nichtprominenten Gästen mit kuriosen Berufen wurden auch bekannte Persönlichkeiten eingeladen. Das Rateteam musste bei diesem Spiel Augenmasken tragen. Die Gäste beziehungsweise der Prominente durften nicht sprechen, sondern nur nicken oder den Kopf schütteln. Robert Lembke antwortete stellvertretend. Wenn das Geheimnis um den Stargast gelüftet war, gab dieser meist eine Kostprobe seiner oder ihrer Kunst. Zu den prominenten Mitspielerinnen und Mitspielern zählten unter anderem Senta Berger, Vico Torriani, Cornelia Froboess, Peter Alexander, Louise Martini, Udo Jürgens, Erika Pluhar, Ephraim Kishon, Elfriede Ott, Peter Weck, Audrey Hepburn, Harry Belafonte, Sydne Rome, Heinz Rühmann, Liv Ullmann und Peter Ustinov.
Moderator Robert Lembke blickte zu dieser Zeit auf eine bewegte Lebensgeschichte zurück. Er wurde von den Nationalsozialisten verfolgt und versteckte sich ab September 1944 bis zum Kriegsende in einem kleinen bayerischen Dorf. Im Deutschland der Nachkriegszeit wurde er zu einem der wichtigsten Mediengestalter. Mit Erich Kästner und Stefan Heym baute er Die Neue Zeitung