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Beschreibung

Das meistgelesene Buch der Welt - Ursprung, Sinn und historische Wahrheit

Die Bibel, das Fundament des christlichen Glaubens, hat das Denken der westlichen Welt wie kein anderes Buch beeinflusst. Geschichten wie die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies oder Moses Empfang der Zehn Gebote auf dem Berg Sinai sind Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Europas Sprachen sind zutiefst vom Wortlaut der Heiligen Schrift geprägt. Bis heute wird das »Buch der Bücher« weltweit verehrt und intensiv studiert. Aber beruhen die alten Geschichten auf historischen Tatsachen?

SPIEGEL-Autoren und Historiker zeichnen Entstehung und Wirkung der Bibel über fast 3000 Jahre nach. Auf der Suche nach der historischen Wahrheit gewähren sie Einsicht in die Arbeit von Theologen, Schriftforschern und Archäologen und porträtieren Schlüsselfiguren wie die Apostel Petrus und Paulus, den Kirchenvater Hieronymus und Martin Luther. So entsteht ein eindrucksvolles Bild vom Werden und Leben mit der Bibel, von den Anfängen bis in unsere Gegenwart.

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Seitenzahl: 292

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Es ist das Buch der Bücher: die Bibel. Kein anderes Buch wurde in mehr Sprachen übersetzt, keines häufiger gedruckt. Der Einfluss der Heiligen Schrift auf die abendländische Kultur ist ohnegleichen, bis heute beschäftigt sie Theologen wie Glaubenskritiker, Archäologen wie Sprachwissenschaftler. SPIEGEL-Autoren und Historiker schildern im vorliegenden Buch die faszinierende Entstehungsgeschichte von Altem und Neuem Testament. Sie fragen nach dem historischen Kern der Texte und zeigen, welche Wirkung sie bis in unsere heutige Zeit haben.

Die Herausgeber

Annette Großbongardt, geboren 1961, ist stellvertretende Ressortleiterin des Deutschlandressorts beim SPIEGEL. Seit 1993 arbeitet sie für das Nachrichten-Magazin, zunächst als Redakteurin im Deutschlandressort, dann von 1998 bis 2007 als Korrespondentin in Jerusalem und Istanbul und von 2011 bis 2015 als stellvertretende Ressortleiterin der Sonderthemen. Bei DVA hat sie u.a. die SPIEGEL-Bücher Jesus von Nazareth (2012) und Leben im Mittelalter (2014) herausgegeben.

Johannes Saltzwedel, geboren 1962, ist seit 1991 Redakteur beim SPIEGEL. Er hat literaturgeschichtliche und bibliographische Studien veröffentlicht, unter anderem zur Goethezeit und zu Rudolf Borchardt. Er ist Herausgeber mehrerer SPIEGEL/DVA-Bücher, darunter Die Päpste und Karl der Große (beide 2013).

Annette Großbongardt und Johannes Saltzwedel (Hg.)

DIE BIBEL

Das mächtigste Buch der Welt

Dieter Bednarz, Lars-Olav Beier, Stefan Berg, Georg Bönisch, Viola Broecker, Annette Bruhns, Fiona Ehlers, Angelika Franz, Michael Fröhlingsdorf, Christoph Gunkel, Nils Klawitter, Uwe Klußmann, Romain Leick, Kristina Maroldt, Joachim Mohr, Bettina Musall, Jan Puhl, Kali Richter, Mathias Schreiber, Christoph Schult, Matthias Schulz, Martin Skoeries, Katja Soennecken, Michael Sontheimer, Hans-Ulrich Stoldt, Frank Thadeusz, Markus Verbeet, Dieter Vieweger

Deutsche Verlags-Anstalt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte dieses E-Book Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung dieses E-Books verweisen.

Die Texte dieses Buches sind erstmals in dem Heft »Die Bibel. Das mächtigste Buch der Welt« (Heft 6 / 2014) aus der Reihe SPIEGEL GESCHICHTE erschienen.Zweite Vorsatzabbildung: Andreas © A. Koch / Interfoto, Barnabas © Picture Alliance / dpa, Paulus © Interfoto, Petrus © RMN-GP / BPK / RMN / Gärard Blot

1. AuflageCopyright © 2015 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH und SPIEGEL-Verlag, HamburgAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: BÜRO JORGE SCHMIDT, MünchenTypografie und Satz: DVA/Andrea MogwitzGesetzt aus der Goudy Old StyleISBN 978-3-641-16409-6www.dva.de

Inhalt

VORWORT

TEIL I DAS BUCH DER BÜCHER

»Nimm und lies!«

Seit fast 2000 Jahren prägt die Heilige Schrift das Denken

Von Johannes Saltzwedel

»Zum historischen Kern hinzugedichtet«

Gespräch mit dem Alttestamentler Ernst Axel Knauf über die Entstehung der Bibel

Von Annette Großbongardt und Johannes Saltzwedel

TEIL II DIE HEILIGE SCHRIFT DER JUDEN

Ich bin der Herr, dein Gott

Was Babylon mit der Hebräischen Bibel zu tun hat

Von Kristina Maroldt

Arche in Keilschrift

Die Geschichte von der Sintflut

Von Kali Richter

Chronometer der Vorzeit

Die Suche des Archäologen Israel Finkelstein nach der historischen Wahrheit der Bibel

Von Matthias Schulz

Gottes Zeuge

Mose, Überbringer der Gesetze und überragende Gestalt

Von Mathias Schreiber

Essen und Trinken mit Gott

Die komplexen Speiseregeln des Alten Testaments

Von Joachim Mohr

Unsterbliche Helden

Vater und Sohn: David und Salomo, zwei Könige, zwei Herrschertypen

Von Bettina Musall

Rätselhafte Herrscherin

Wer war die Königin von Saba?

Von Hans-Ulrich Stoldt

Zeit des religiösen Ringens

Die Schriftrollen von Qumran, die ältesten gefundenen Sakraltexte des frühen Judentums

Von Dieter Vieweger und Katja Soennecken

Sagenhafte Wirkung

Die Visionen des Propheten

Von Nils Klawitter

Siebzig Greise

Wie die Tora auf Griechisch entstand: die »Septuaginta«

Von Michael Fröhlingsdorf

TEIL III DAS GLAUBENSBUCH DER CHRISTEN

Gute Nachrichten

Wer schrieb die Evangelien?

Von Jan Puhl

Der Balken im eigenen Auge

Jesus sprach gern in Gleichnissen

Von Stefan Berg

Stachel im Fleisch

Der Apostel Paulus ließ sich für seine Überzeugungen sogar peitschen

Von Annette Bruhns

Immer Jungfrau

Maria, die weibliche Hauptfigur des Christentums

Von Michael Sontheimer

Liebkosungen der Schrift

Die lateinische »Vulgata« des Kirchenvaters Hieronymus

Von Markus Verbeet

TEIL IV EINE BIBEL FÜR ALLE

Sendlinge Satans

Mit aller Macht versuchte die Kirche im Mittelalter, ihr Bibelmonopol zu sichern

Von Georg Bönisch

Herzenslust und Feuertaufe

Im Schutz der Wartburg machte sich Martin Luther an die Übersetzung der Heiligen Schrift

Von Uwe Klußmann

God save the King!

Der englische König James I. wollte seine eigene Bibel in Landessprache

Von Martin Skoeries

»Ihr Herz ist voller Sünde«

Warum der Missionar John Eliot eine Indianerbibel schrieb

Von Frank Thadeusz

TEIL V BIBELKRITIK ODER: GLAUBEN UND WIRKLICHKEIT

Tränen des Entzückens

Wie Constantin Tischendorf auf dem Sinai die älteste Bibelhandschrift entdeckte

Von Christoph Gunkel

Graben für den Kaiser

Archäologie: Mit dem Spaten auf den Spuren des Herrn

Von Angelika Franz

Adams Rippe

Warum eine junge Amerikanerin beschloss, ein Jahr nach der Bibel zu leben

Von Fiona Ehlers

Mythische Dimension

»Exodus«, der monumentale Bibelfilm von Ridley Scott

Von Lars-Olav Beier

Vater im Himmel

Die Psychoanalyse und Gott

Von Romain Leick

Die Brückenbauer

Der Urvater Abraham wird von Juden, Christen und Muslimen verehrt

Von Dieter Bednarz und Christoph Schult

ANHANG

Glossar

Chronik

Buchhinweise

Autorenverzeichnis

Dank

Personenregister

VORWORT

Was für ein Buch! Selbst der hartnäckige Glaubenszweifler Friedrich Nietzsche bekannte in achtungsvollen Worten seinen Respekt: »Man steht mit Schrecken und Ehrfurcht vor diesen ungeheuren Überbleibseln dessen, was der Mensch einstmals war«, schrieb der Philosoph 1886 über das Alte Testament. Dort fänden sich »Menschen, Dinge und Reden in einem so großen Stil, dass das griechische und indische Schrifttum ihm nichts an die Seite zu stellen hat«.

Wenn man in Europa die Bibel, dieses Buch »der Tiefe und der letzten Bedeutsamkeit«, weiter in Ehren halte, befand Nietzsche, bürge das allein schon für »Zucht und Verfeinerung« des Abendlandes – und sei es nur dank der eingeübten Haltung, dass man »nicht an alles rühren dürfe«, dass es »heilige Erlebnisse« gebe, vor denen man »die Schuhe auszuziehn und die unsaubere Hand fernzuhalten hat«.

Wer sich der Bibel nähert, ist bald von Superlativen überwältigt: Ewiger Bestseller, einzigartige Textsammlung der Menschheitsgeschichte, hochkomplexer Ideenspeicher monotheistischen Glaubens – und das sind nur einige Aspekte des Phänomens. Schon das Lesen der Bibel ist eine Herausforderung: Sehr wenige schaffen es, die vielen eng bedruckten Seiten komplett zu bewältigen. Wer dann auch noch neugierig oder skeptisch nachfragt, was eigentlich stimmen kann an den alten Geschichten von Gott, seiner Weltschöpfung und seinem Volk Israel, von David und Salomo, aber auch an den Wundern Jesu und seiner Apostel, an Auferstehung und Jüngstem Gericht, der findet sich bald in einem Dickicht aus theologischen Debatten, archäologischer Spurensuche und jeder Menge ideologisch umkämpften Deutungsversuchen wieder.

Geplant war das nicht, im Gegenteil: So gut wie alle Teile der seit der Spätantike kurz »Biblia« (griechisch »Bücher«) genannten Kollektion von Schriften wollten ursprünglich Orientierung liefern. Selbstvergewisserung für eine gewöhnlich noch recht überschaubare religiöse Gemeinschaft sollten sie bieten, niedergelegt mal in Schulbuchsprache, mal in nüchternen Paragraphen, häufig auch als poetisch begeisterte Rede. Erst das Neben- und Miteinander all dieser Formen, das Wachsen der Sammlung im Lauf der turbulenten jüdischen Geschichte, schließlich der Ausbau und die Festschreibung als Grundwerk des christlichen Glaubens hat die Überzeugung aufkommen lassen: Was so klar von Gott inspiriert zu sein behauptet, muss auch in sich stimmig sein. Damit wurden zahllose, oft bis heute schwelende Kontroversen um die richtige Auslegung heraufbeschworen.

Gegenwärtige Experten versuchen, mit solchen Ansprüchen gelassen umzugehen. »Die biblischen Autoren wollten nie Tatsachen referieren«, sagt Ernst Axel Knauf, der in Bern als Professor für die Geschichte des Alten Testaments und die Biblische Umwelt lehrt. Auch wenn vieles nicht mehr aufklärbar ist, hilft der historische Blick weiter: Erzählschicht über Erzählschicht lagerte sich in den Schriften ab, politische und religiöse Interessen ganz verschiedener Gruppen und Epochen durchdrangen sich in immer neuen Fassungen, bis Juden und später Christen aus der Fülle ihren Kanon heiliger Schriften destillierten, der zum Buch der Bücher wurde.

Dass sich nur wenige Hauptstationen dieser faszinierenden Abenteuerreise von Geist und Glaubenseifer in einem knappen Band unterbringen lassen, war nicht zu vermeiden. Ebenso wenig ließ sich umgehen, dass an vielen Stellen Fragen aufkommen, die von unterschiedlichen Konfessionen – nicht nur innerhalb des Christentums – weiterhin sehr gegensätzlich beantwortet werden. So kann und will unser Buch nur ein neuer Versuch sein, dem Faszinosum Bibel möglichst reichhaltig und vielseitig nahezukommen, indem wir die Geschichte ihrer Entstehung und Wirkung über fast 3000 Jahre exemplarisch nachzeichnen: Eine Entdeckungsfahrt in die Tiefenschichten unserer geistigen Überlieferung, die, wie wir hoffen, einiges an Erkenntnisvergnügen bereithält. Gute Lektüre!

Hamburg, im Herbst 2015

Annette GroßbongardtJohannes Saltzwedel

TEIL IDAS BUCH DER BÜCHER

»Nimm und lies!«

Seit fast 2000 Jahren prägt die Bibel das Denken. Dabei enthält sie Texte vom Ur-Judentum bis zur Spätantike. Die sonderbare Vielfalt fordert bis heute die Interpreten heraus.

Von Johannes Saltzwedel

Kaum mehr als eine Zigarettenschachtel misst das Buch: Gerade mal 12,2 Zentimeter hoch, 8,2 Zentimeter breit und 2,5 Zentimeter dick ist die kleinste Ausgabe der Deutschen Bibelgesellschaft. Trotzdem sind in der »Senfkornbibel« Altes Testament und Neues Testament zu lesen. Beängstigend dicht drängen sich auf 1856 hauchdünnen Seiten die Buchstaben; ein Konzentrat aus winziger Schrift in zwei Spalten, aufgelockert nur durch Überschriften und ein paar fettgedruckte Kernsprüche.

Wer den Mini-Wälzer aufschlägt, weiß in der Regel, was er sucht. Für Anfänger gibt es knappe Inhaltsverzeichnisse, in denen Namen und Reihenfolge der einzelnen Teile stehen, die verräterischerweise häufig »Bücher« heißen. Innerhalb dieser Bücher gliedern Kapitelnummern und die kleinen Zahlen vor jedem Kurzabsatz, der hier »Vers« genannt wird, exakt die Lektüre – hilfreich, sobald man den Text in einer anderen Ausgabe oder Sprache wiederfinden will.

Bei der Bibel, dem weltweit verehrten und studierten Grundbuch des christlichen Glaubens, ist das häufiger der Fall als irgendwo sonst. Schon für die normale Andacht vergleichen nicht nur protestantische Pfarrer neben der Luther-Version gern andere Fassungen; Katholiken rund um den Globus eint das Latein der ehrwürdigen, von Rom offiziell betreuten Vulgata.

Die Bibel hält mit Abstand den Weltrekord an Übersetzungen: In über 500 Sprachen ist sie komplett erhältlich, das Neue Testament gar in mehr als 1800. Da gibt es Grönländisch oder Plattdeutsch, Urdu oder Esperanto; auch auf Smartphones und Spielkonsolen finden sich die geheiligten Texte längst, ebenso als Quiz oder im »Geocaching-Buch zur Bibel«.

Das mit Abstand am weitesten verbreitete Buch ist die Heilige Schrift sowieso: seit Gutenbergs Meisterwerk, mit dem um 1452 der Buchdruck begann, sollen mehrere Milliarden Stück gedruckt worden sein. Zwar werden auch viele gläubige Christen eingestehen, dass sie ihr Exemplar nie vollständig gelesen haben. Aber ganz ohne biblische Redewendungen käme selbst ein überzeugter Atheist nur mit Mühe aus. Zu nachhaltig haben christliche Formeln und Sprachbilder sich ins kollektive Gedächtnis der weltlichen Welt eingegraben.

Schon wem bloß mal vor Schreck »die Haare zu Berge« stehen, bis er fast zur »Salzsäule« erstarrt, verwendet biblisches Vokabular; ebenso wer die Finanzmärkte zum »Moloch« erklärt, wo nicht nach »Treu und Glauben« gehandelt, sondern nur dem »schnöden Mammon« gehuldigt werde. Auch wem es ein »Dorn im Auge« ist, sich mit »Krethi und Plethi« durch den Verkehr drängeln zu müssen, oder wem »ein Licht aufgeht«, sodass er »Zeichen und Wunder« wahrnimmt, verwendet biblische Rede. Selbst so unscheinbare deutsche Ausdrücke wie »alt und grau«, »Landesvater«, »wetterwendisch«, »Gewissensbisse« oder »gegen den Strom schwimmen« verdanken wir der nachhaltig wirksamen Übersetzung Martin Luthers.

Selbstverständlich sind viele altbekannte Redensarten wie »Bleibe im Lande und nähre dich redlich«, »Perlen vor die Säue werfen« oder »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein« biblischen Ursprungs – ganz zu schweigen von Fachwörtern wie »Talent«, womit ursprünglich eine Gewichts- und Währungseinheit gemeint war, oder dem ominös-rätselhaften »Buch mit sieben Siegeln«, das in der Offenbarung vom »Lamm Gottes« geöffnet wird.

Aber die Sache geht noch viel tiefer. Was wäre die abendländische Kultur ohne biblische Geschichten – von Adam und Eva im Paradies über Kains Brudermord an Abel, die Sintflut, Davids Sieg über Goliat oder Daniel in der Löwengrube bis hin zu Jesu Geburt im Stall von Betlehem, seinen Heilungswundern, seiner Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt? Wer hätte nicht schon vom fatalen Judaskuss gehört, eine Hiobsbotschaft erhalten oder sich die Hände in Unschuld waschen mögen wie Roms Statthalter Pilatus? Selbst der Nichtchrist Bertolt Brecht antwortete 1928 auf die Frage nach dem Buch, das ihn am meisten beeindruckt habe: »Sie werden lachen, die Bibel.«

Dumm nur, dass das Schatzhaus jüdisch-christlicher Überlieferung, ohne Hintergrundwissen gelesen, im besten Fall irritierend wirkt. Da finden sich schon erbaulich-unterhaltsame Begebenheiten, aber auch archaisch-öde Verhaltensregeln oder Königslisten, störende erzählerische Brüche und immer wieder blanke Niedertracht und Gewalt – von zahllosen Ungereimtheiten und kaum erklärlichen Wendungen ganz zu schweigen.

Aber wie sollte es anders sein? Die Bibel besteht nun einmal aus Schriften, die über mehr als tausend Jahre zu diversen Zwecken und in höchst verschiedenen historischen Zusammenhängen entstanden sind. So gleicht jede Lektüre einer Expedition in ferne geistig-religiöse Welten, deren ursprünglicher Ausdruck noch durch spätere Überarbeitungen bis zur Unkenntlichkeit verändert sein kann.

Natürlich geben auch Experten gern zu, was schon im ersten Missionsbrief des Apostels Paulus an die Korinther (13,9) steht: »Stückwerk ist unser Erkennen.« Und doch bleibt es demütigend, wie viele Rätsel nicht mehr lösbar sind. Was zum Beispiel waren »Urim und Tummim«, mit denen die Israeliten schwierige Fragen durch Auslosung entschieden? Schwarze und weiße Steinchen? Niemand weiß es genau. Und was sollen »Kleintiere mit Flügeln und vier Füßen« sein, die das jüdische Gesetz (Lev 11,20) für unrein erklärt? Biologen kennen nichts dergleichen.

Nun sind bei so alten Texten ein paar Abweichungen vom heutigen Wissensstand sicher verzeihlich. Wie aber soll man mit Widersprüchen umgehen? Bibelkritiker haben im Alten Testament viele Weissagungen aufgespürt, die lautstark verkündet, doch dann nie erfüllt werden. An einer Stelle erhält König David vom erzürnten Gott den Befehl, das Volk zu zählen (2 Sam 24,1), im anderen Bericht vom Satan (1 Chr 21,1). Nicht einmal die Namen der zwölf Stämme des Volkes Israel lauten an den Stellen, wo sie aufgezählt werden, einheitlich (Gen 49; Dtn 33, Offb 7).

Selbst mit derlei Diskrepanzen kommen Theologen und Philologen zurecht – beispielsweise indem sie verschiedene Textschichten unterscheiden. Dass Israels angeblich allmächtiger Gott in frühen Zeiten gegen vielerlei andere Götter einen schweren Stand hat, finden sie ganz normal. Dass im Alten wie im Neuen Testament öfter von bösen Dämonen die Rede ist, aber nie der damals übliche Sklavenhandel verurteilt wird, können sie ebenso aus den historischen Umständen erklären. Es stört sie weder, dass Jesus laut Johannes Kapitel 4, Vers 2 nicht tauft, noch dass im griechischen Neuen Testament anstatt vom Kreuz einfach nur von »Holz« die Rede ist. Und geduldig archivieren sie jede neue Deutung des symbolschwanger raunenden Satzes am Anfang des Johannesevangeliums: »Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.«

Ganz so liberal können offizielle Glaubenshüter nicht sein. Wer eine Konfession zu predigen hat, ist seiner Kirchentradition verpflichtet und darf nicht jede Bibelauslegung dulden. Dabei regen gerade eigenwillige, gewagte Auslegungen die kritische Fantasie an. So ist zum Beispiel gleich am Anfang der Bibel zweimal nacheinander von der Schöpfung der Welt und des Menschen die Rede. Im Anschluss an alte jüdische Spekulationen haben theologische Grübler – in Deutschland besonders tiefsinnig der Görlitzer Schuster und Visionär Jakob Böhme (»Morgenröte im Aufgang«, 1612) – daraus eine doppelstufige Kosmologie gemacht, in deren Mitte Adams Schlaf mit der Erschaffung der Frau und der Sturz der abtrünnigen Engel um Luzifer-Satan steht. Ursprünglich habe Gott den Menschen als sein Ebenbild erschaffen, ohne gebrechlichen, alternden Leib, ja nicht einmal in zwei Geschlechtern; Lust und Last der sexuellen Dualität, auch Alter und Krankheit seien erst bei der zweiten, nun zeitlich-körperlichen Schöpfung hinzugekommen.

Beargwöhnt, zur Sektiererei erklärt und schlimmstenfalls verketzert, haben derartige Sondermeinungen in der Geschichte des Christentums eine lange Tradition. Aber weshalb überhaupt das fortgesetzte Ringen um alte, seltsame Texte, die für verständige Menschen häufig ein Tohuwabohu darstellen, wahrhaftig »wüst und wirr« angehäuft wie das Universum nach Gottes Urtat (Gen 1,2)?

»Es nimmt kein Ende mit dem vielen Bücherschreiben, und viel Studieren ermüdet den Leib« (Koh 12,12), geben Glaubenskritiker gern spöttisch zu bedenken. Jüdische wie christliche Schriftkundige dagegen sehen in der enormen Komplexität der biblischen Überlieferung eine einzigartige Herausforderung. Nirgendwo sonst haben sich Sitten und Hoffnungen, Denkformen und Kultregeln eines ganzen Weltteils so konzentriert, allerdings auch so verknäuelt niedergeschlagen wie hier.

»Die vier apokalyptischen Reiter«, Holzschnitt von Albrecht Dürer, 1498

© akg-images

Von endlosen patriarchalischen Stammtafeln (»Eleasar zeugte Pinhas, Pinhas zeugte Abischua, Abischua zeugte Bukki, Bukki zeugte Usi …«) bis hin zum hoch erotischen Liebeslied (»Deiner Hüften Rund ist wie Geschmeide, / gefertigt von Künstlerhand. Dein Schoß ist ein rundes Becken … Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer Gazelle«) ist im Alten Testament nahezu jede damals denkbare Textsorte vertreten. Überall finden sich Querverweise. Evangelien, Missionsschriften und die Apokalypse im Neuen Testament treten dann als Konsequenz und Erfüllung dessen auf, was das Judentum an Erlösungserwartungen angesammelt hatte.

Dabei haben sowohl die gelehrten jüdischen Redaktoren, die im Lauf der Jahrhunderte immer wieder ihre schriftlichen Bestände prüften, ergänzten und umarbeiteten, wie auch später deren christliche Kollegen sehr sorgsam gewählt, was man für wichtig halten sollte. Und so gibt es neben dem offiziellen Kanon des Alten Testaments dermaßen viele weitere Texte, die als heilige Offenbarungen auftreten, dass sie leicht einen Band vom Umfang der ganzen Bibel füllen: Unter den interessanteren Stücken finden sich Adams Testament, die Himmelfahrt des Mose und weitere Jenseits- und Endzeitvisionen.

Auch die Christen hatten auf ihre Lehren kein Monopol. In der griechischsprachigen Welt behaupteten immer wieder Leute, Gottes (oder immerhin eines Gottes) Sohn zu sein; auch Waschungs- und Ernährungsrituale wie Taufe und Abendmahl wurden in vielen Kulten praktiziert. Wer nach heiliger Wahrheit lechzte, den konnten die spirituellen Möglichkeiten etwa so verwirren wie Neulinge auf einer heutigen Esoterik-Messe.

Besonders streng wählen mussten deshalb die Kirchenleute, die seit etwa 200 n. Chr. den Kanon des Neuen Testaments festlegten. Da kursierten rührselige Evangelien über Wundertaten des Jesuskindes und gruselig präzise Berichte von der Höllenfahrt des Erlösers, aber auch Erfolgsgeschichten der Apostel, Visionen voll allegorischer Szenen wie der erst um 145 in Rom entstandene Bußappell namens »Hirte des Hermas« und sogar ein pfiffig gefälschter Briefwechsel des Paulus mit dem römischen Philosophen Seneca.

All diese Produkte – nur ein Bruchteil ist erhalten – stammen aus dem geistig-geistlichen Schmelztiegel, der sich von Vorderasien bis nach Rom erstreckte. In vielen Orten am Mittelmeer opferte man weiterhin den alten Göttern um Zeus oder Jupiter, interessierte sich aber auch für ägyptische Jenseitsideen. Schon im nächsten Haus konnten Anhänger der persischen Lichtreligion wohnen oder Adepten geheimer Mysterien bis hin zu Gnostikern, die die Welt als Schöpfung eines bösen Dämons abtaten. Daneben blühten etliche philosophische Lehrsysteme zwischen meditativer Erhebung und krassem Materialismus.

In seinen autobiografischen »Bekenntnissen« hat der Kirchenvater Augustinus geschildert, wie er durch diesen Wust weltanschaulicher Angebote endlich zum Christentum gelangte: mithilfe der Bibel. Ratlos und verzweifelt, habe er am 15. August 386 in einem Mailänder Garten eine Stimme gehört, die rief: »Tolle, lege!« (Nimm und lies!). Es waren die Briefe des Paulus, die er aufschlug. Dort stand: »Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht. Legt (als neues Gewand) den Herrn Jesus Christus an und sorgt nicht so für euren Leib, dass die Begierden erwachen« (Röm 13,13f). Das Text-Orakel genügte; Augustinus wurde Christ.

Dass ein hochgebildeter junger Mann des späteren römischen Kaiserreichs sich ausgerechnet von asketischen Aufrufen überzeugen ließ, dafür gab es mehrere Gründe – durchaus nicht nur den äußerlichen, dass Kaiser Theodosius den christlichen Kult immer weiter privilegierte. Dank einer Reihe emsiger Deuter fanden biblische Texte mittlerweile auch unter Intellektuellen Anklang.

Schon zu Lebzeiten Jesu hatte der jüdische Denker Philon begonnen, die Tora, also die fünf Bücher Mose, hellenistisch Belesenen schmackhaft zu machen, indem er sie als Sammlung weiser Denkszenarien deutete. »Es gab wohl wirklich einen Mann namens Samuel«, schrieb Philon beispielsweise, »aber wir sehen den Samuel der Schrift nicht als Lebewesen mit Seele und Körper, sondern allein als Geist, der sich freut, Gott zu dienen und ihn zu verehren.« Überall kunstvoll verrätselte Sinnbilder: So gesehen wurde die Bibel zum raffinierten Lehrgedicht.

Gut ein Jahrhundert später, als Paulusbriefe und Evangelien ins Zentrum der christlichen Identität gerückt waren, ging der geistliche Führer Clemens im ägyptischen Alexandria noch einen Schritt weiter: Wer es ernst meine, finde durch das literarisch kühne Bibelwort rascher und besser zur Wahrheit als über trockene Philosophie. Sein vermutlicher Schüler Origenes (185 bis um 254) betonte, wie oft Altes und Neues Testament einander »in figura« (bildlich) wunderbar entsprächen. Ein Paradebeispiel: Das Abendmahl aus Brot und Wein habe Patriarch Abraham schon vom alttestamentlichen Priesterkönig Melchisedech (Gen 14) empfangen.

»Macht eure Herzen zu einer Arche oder einem Schrank für die Bücher der Bibel!«, rief Origenes den Glaubensgenossen zu. In Predigten und Kommentaren rang er um das Verständnis des göttlichen Schriftwortes. Um einen optimalen Text zu finden, stellte er sogar die hebräische und fünf griechische Übersetzungen des Alten Testaments nebeneinander – ein paar Fragmente dieser gewaltigen »Hexapla« (Sechsfach-Bibel) sind erhalten. Gleichzeitig arbeiteten Intellektuelle daran, ehrwürdige Lehren der griechischen Philosophie wie die von der unsterblichen Seele mit christlichen Dogmen vereinbar zu machen.

Als Augustinus 386 seine Bekehrung erlebte, stand weitgehend fest, welche biblischen Bücher ein Christ in Ehren halten sollte. Selbst die Bezeichnung »Testament« wie auch die Gliederung in ein altes und ein neues war üblich geworden. Als Bischof seiner nordafrikanischen Heimat half Augustinus später kräftig mit, dass das Alte Testament nicht von Puristen ausgedünnt wurde und im Neuen auch umstrittene Bücher wie etwa die Offenbarung ihren Platz behielten.

Um die Bibel, dieses große Panorama von Welt und Mensch schlechthin, zu studieren, sollte man Bildung mitbringen, erklärte Augustinus – Bildung, wie sie in Lateinschulen ganz ähnlich für die Lektüre von Vergils »Äneis«, das Epos von der Staatsgründung Roms, trainiert wurde. Beispiele gab der Kirchenlehrer selbst. Gleich mehrfach kommentierte er den Schöpfungsbericht: polemisch zugespitzt (etwa gegen die Anhänger des persischen Gurus Mani, dessen Lehren er selbst jahrelang gefolgt war), bemüht um theologisch-philosophische Grundsatzfragen wie die Bedeutung von Adams Schlaf, endlich schlicht andächtig bis hin zum Gebet.

Zahllose Geistliche sind während des folgenden Jahrtausends und bis weit über das Mittelalter hinaus diesem Weg bedächtiger Meditation gefolgt, und sei es auch bloß beim klösterlichen Lese- und Vorlesepensum. Für die große Masse einfacher Christen hingegen blieb das gewaltige, nur in kostbaren Handschriften verfügbare Textkonvolut eher ein Orakel, zu dessen Befragung und Deutung man Fachleute brauchte.

Immerhin, einige Passagen wie etwa das Vaterunser oder die Abendmahlsformeln waren schon aus dem Gottesdienst bekannt. Außerdem lernten Schüler anhand der Psalmen das Schreiben; Sprachforscher führen das Wort »Fibel« auf die kindliche Aussprache von »Bibel« zurück. Und mochte selbst der Wortlaut ganz fehlen: Biblische Geschichten kannte ohnehin jeder mittelalterliche Christ, weil sie an den Wänden, später auch in den Glasfenstern der Kirchen abgebildet waren.

Konkurrenz für die Bibel gab es zwar: Man wusste von heiligen Büchern anderer Religionen – den jüdischen ohnehin, seit dem Frühmittelalter dann auch vom Koran, wo Mose häufig genannt ist, Jesus als Prophet vorkommt, Maria immerhin eine eigene Sure hat und oft mit Respekt erwähnt ist. Die nach und nach entdeckten wissenschaftlich-philosophischen Werke der Antike erhoben gleichermaßen den Anspruch, Wahrheit zu enthalten. Aber ob und wie man die unterschiedlichen Behauptungen versöhnen konnte, das kümmerte während des Mittelalters nur Experten. Prinzipiell blieb es beim Satz: Was in der Bibel steht, gilt. Letztlich haben erst Reformation und Aufklärung diese Autorität dauerhaft erschüttert.

Mit dem erbitterten Streit von Theologen wie Laien um einzelne Formulierungen – etwa Luthers aus dem Römerbrief (Röm 3,28) abgeleitete These, dass himmlische Erlösung ohne gute Werke auf Erden, »sola fide« (allein durch den Glauben) möglich sei – kam auch das Bedürfnis, schnell zitieren und vergleichen zu können. 1527 erschien die erste lateinische Bibel mit Verseinteilung; seit 1551 begann man die Verse jedes Kapitels durchzuzählen.

Natürlich kommen solche Äußerlichkeiten Rekordsuchern und Tüftlern entgegen – von der banalen Frage nach dem kürzesten und längsten Kapitel der Bibel (Psalm 117 und 119) bis hin zu Textfahndungen, die geheime Botschaften eines obskuren »Bibel-Codes« entschlüsseln sollten. Form und Stil biblischer Bücher sind unzählige Male parodiert und nachgeahmt worden: Ein klassischer Fall ist das angeblich 1827 gefundene, 1830 gedruckte und in 15 Einzelbücher gegliederte »Buch Mormon«, die (neben der Bibel) heilige Schrift der Mormonen.

Und natürlich hat es ebenso zahllose Versuche gegeben, die alten, sperrigen Texte leichter lesbar, zeitgemäß und selbst für historisch Ahnungslose unanstößig zu machen; jüngstes Beispiel ist die mit viel Engagement betriebene, vorwiegend von Protestanten getragene Initiative für eine politisch korrekte »Bibel in gerechter Sprache«, die bereits im Internet verfügbar ist. Dennoch: Die spätestens seit der Aufklärung nicht mehr verstummte Frage, ob und worin die Bibel überhaupt recht habe oder was aus ihr zu lernen sei, wird durch keine Textrevision beantwortet. Auch die Wissenschaftler diverser Disziplinen, die das uralte Textknäuel weiter zu entwirren versuchen, mögen sich da ungern festlegen.

Verbissene Skeptiker poltern zwar gelegentlich immer noch wie 1888 Friedrich Nietzsche: »Die Priester haben jenes Wunderwerk von Fälschung zustande gebracht, als deren Dokument uns ein guter Theil der Bibel vorliegt.« Aber was heißt hier Fälschung? Nietzsche, Pastorensohn und Philologe, wusste über den kaum aufklärbaren Werdegang der Texte und die Mühe, sie zu deuten, besser Bescheid als die meisten seiner Zeitgenossen. Ihn erbitterte vor allem, dass Kirchenleute weiterhin »halsstarrig« mit Bibelworten moralische Autorität in Anspruch nahmen.

Diesem einst fast obrigkeitlichen Druck braucht sich heute fast überall auf der Welt niemand mehr zu beugen. Im Gegenteil: Viele Mitteleuropäer ahnen kaum noch, welchen Reichtum das »unordentliche Buch mit 50 000 Textvarianten«, so sarkastisch der Schriftsteller Arno Schmidt, zu bieten hat, wenn man nur wieder einmal darin stöbert.

Ob man dann »das gefährlichste aller Bücher in weltgeschichtlicher Hinsicht« wiederentdeckt, wie Goethe 1810 anmerkte, oder ob man über seiner »Selbständigkeit, wunderbaren Originalität, Vielseitigkeit, Totalität, ja Unermeßlichkeit« (nochmals Goethe) ins Staunen und Grübeln gerät: Kompakter als in der Bibel ist die geistliche und kulturelle Tradition der jüdisch-christlichen Welt nicht zu haben. Dieser Ausnahmerang wird dem kleinen, dicken Buch bleiben.

WAS STEHT IN DER BIBEL?

(Einheitsübersetzung ohne Apokryphen)

Altes Testament

Die fünf Bücher Mose (Tora)

❯ Genesis Schöpfung, Paradies, Sündenfall, Sintflut, Erzväter

❯ Exodus Israels Auszug aus Ägypten, Mose auf dem Sinai

❯ Levitikus Ritualvorschriften

❯ Numeri Israels Stämme

❯ Deuteronomium Schlussreden und Tod des Mose

❯ Buch Josua Der Kampf um das Gelobte Land

❯ Buch der Richter Leben in Kanaan, Streit mit Urbewohnern

❯ Buch Rut Porträt einer starken Frau: Treue wird belohnt

❯ Zwei Bücher Samuel Sauls Königtum, Davids Aufstieg

❯ Zwei Bücher der Könige Salomo und der Bau des Tempels, die zwei Reiche Israel und Juda

❯ Zwei Bücher der Chronik Geschichte der David-Dynastie

❯ Esra und Nehemia Rückkehr aus dem Exil, Bau und Vollendung des Zweiten Tempels

❯ Ester Rettung der Juden vor der Gewalt des Perserkönigs

❯ Ijob (Hiob) Meditation über den Sinn irdischen Leidens

❯ Psalmen Religiöse Lieddichtung

❯ Sprüche und Kohelet (Prediger Salomo) Sammlungen jüdischer Weisheit

❯ Hohelied Liebeslieder

Propheten

❯ Jesaja Gottes Anklage gegen das abtrünnige Volk

❯ Jeremia und seine Klagelieder Das Gericht Gottes

❯ Ezechiel sieht die Herrlichkeit des Herrn

❯ Daniel (in der Lutherbibel zwischen die Propheten gestellt)

❯ Die zwölf »kleinen« Propheten, u. a. Amos, Jona

Neues Testament

Evangelien

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»Zum historischen Kern hinzugedichtet«

Der Bibelwissenschaftler Ernst Axel Knauf über die Entstehung der Bibel, die literarische Kunst ihrer Verfasser und das Neue am Neuen Testament

Das Gespräch führten Annette Großbongardt und Johannes Saltzwedel.

SPIEGEL: Herr Professor Knauf, wann haben Sie zum ersten Mal in der Bibel gelesen?

KNAUF: Als Student der Theologie, da habe ich mir die erste Bibel angeschafft, und zwar die Hebräische. So habe ich auch die Sprache gelernt. Im Bücherregal meiner Eltern standen Shakespeare und Goethe, aber keine Bibel. Natürlich kannte ich viele Geschichten aus dem Religionsunterricht oder der Literatur, aber wie tief unsere Kultur von der Bibel geprägt ist, habe ich erst später gemerkt.

SPIEGEL: Kann man überhaupt von der Bibel sprechen?

KNAUF: Solange man darin Gottes Wort sah, hatte der Begriff seinen Sinn. Tatsächlich aber haben wir es mit einer Familie von Bibliotheken zu tun – griechisch heißt Biblia ja »Bücher«.

SPIEGEL: Wie viele gibt es denn?

KNAUF: Selbst ganz grob betrachtet muss man mindestens vier Bibeln unterscheiden: die Hebräische, mit der alles anfing, die griechische, in der das Neue Testament hinzukam, die lateinische Vulgata des Hieronymus, deren Altes Testament wieder aus dem hebräischen Original übersetzt ist, und schließlich die Bibel der Reformatoren. Jedes Mal gab es gravierende Änderungen.

SPIEGEL: Wir reden von einer Textsammlung von über 1400 Seiten, die immer wieder ergänzt und umgestaltet wurde. Über welchen Zeitraum muss man sich diesen Prozess vorstellen, mehr als tausend Jahre?

KNAUF: Allerdings. Der früheste Text, das Siegeslied der Debora im 5. Kapitel des Buches der Richter, stammt in seiner Schriftgestalt aus dem 9. Jh. v. Chr. Solche Poesie kann sehr gut vorher eine Weile mündlich überliefert worden sein – ähnlich wie die Ilias, Homers Dichtung über den Kampf um Troja, deren Niederschrift auch zeitlich benachbart ist. Erste längere Texte, also Bücher, werden ab dem 8. und 7. Jh. v. Chr. niedergeschrieben. Mit den jüngsten Partien des Neuen Testaments sind wir kurz vor der Mitte des 2. Jh. n. Chr. angekommen.

SPIEGEL: Wie und wozu entstanden denn die frühesten Passagen der Bibel? Schriftliches gab es im Alten Orient, im Zweistromland oder in Ägypten, ja lange zuvor …

KNAUF: Ja, seit dem Ende des 3. Jahrtausends, auch im Heiligen Land kannte man da schon Buchstaben. Aber erst viel später brauchte der Staat so viele Beamte und Priester, dass sich für deren Ausbildung Schulen lohnten, wenigstens eine Palast- oder Tempelschule. In Israel fing das um 850 v. Chr. an, in Juda etwa 100 Jahre später. Die gesamte altorientalische Literatur ist als Schulliteratur entstanden.

SPIEGEL: Wann aber hat man angefangen, kultische Texte aufzuschreiben?

KNAUF: Das ist unklar; anscheinend wurden sie noch lange nur mündlich weitergegeben. Ein Beispiel: Wir kennen das Tempelarchiv des Militärstützpunktes von Elefantine im östlichen Nildelta, kurz vor 400 v. Chr. Dort lebten Judäer im Dienst des persischen Großreiches. Unter den Papyrusresten hat sich kein einziges biblisches Buch gefunden, kein Psalm, kein Ritual, nichts. Neben vielen Listen und Akten gibt es nur zwei Schulbücher auf Aramäisch: Den Achikar-Roman aus dem 7. Jahrhundert, von dem Teile ins Buch Tobit eingingen, und eine Übersetzung der Inschrift von Behistun, worin der Perserkönig Darius um 500 seinen Putsch gerechtfertigt hatte.

SPIEGEL: Da gab es also noch keine Bibel?

KNAUF: Genau. Die Vorfahren der Elefantine-Judäer haben keine Bücher mitgenommen, als sie nach 582 von Benjamin aufbrachen. Bücher, Bibliotheken, Archive gab es im Tempel und im Gouverneurspalast, nirgendwo sonst.

SPIEGEL: Wie viele Inhalte der Bibel waren zuvor in mündlicher Tradition bekannt? Wie muss man sich das überhaupt vorstellen, wo und wie wurden diese Geschichten denn erzählt?

KNAUF: Es gab relativ wenig mündliche Überlieferung. Wir wissen es etwa von dem Satz: »Der Herr hat Israel aus Ägypten geführt«, der muss seit dem 12. Jahrhundert überliefert worden sein, bis er dann in die Bibel kam. In vielen Fällen steckt schon eine Überlieferung dahinter, aber wir sollten die Kreativität der Bibelredaktoren nicht unterschätzen, das alles ist literarisch sehr gekonnt.

SPIEGEL: Hätten Sie dafür ein Beispiel?

KNAUF: Die Geschichte von Abraham etwa, dem im Hain von Mamre drei göttliche Besucher einen Nachkommen verheißen – in vorderasiatischen Mythen wird seit der späteren Bronzezeit vom Hain einer Baumgöttin erzählt, wo man um Kindersegen bittet. Aber erst nach 597, als Jerusalem nach der ersten Deportation mit judäischen Zuwanderern bevölkert wurde, ist die Geschichte mit ihrer Geografie – etwa Abrahams Grab bei Hebron – aufgezeichnet worden.

SPIEGEL: Erzählen Sie uns jetzt biblische Geschichten oder Historie?

KNAUF: Meine Geschichte – oder was viele meiner Kollegen und ich für wahrscheinlich halten. Wir haben wenige Fakten, nur mit Indizien und Parallelen kann man aus der theologisch-literarischen Komposition der Bibeltexte historische und geografische Details zu erschließen versuchen.

SPIEGEL: Das Alte Testament besteht nun aus ganz verschiedenen Textformen, darunter Gesetze, Chroniken, also Geschichtsschreibung, und Poesie. Kann man eine Reihenfolge aufstellen, wie sich das allmählich angesammelt hat?

KNAUF: Mit dem Wort Geschichtsschreibung wäre ich vorsichtig. Aber der Reihe nach: Die Tora, also die fünf Bücher Mose mit ihren Gesetzestexten, sind vom 6. Jahrhundert an in Babylon und in den Provinzen Samaria und Judäa zusammengestellt worden. 398 bringt der Schriftgelehrte Esra, wie es heißt, wunderbarerweise die komplette Tora aus Babylon mit – das glaube ich auch so ganz naiv.

SPIEGEL: Weshalb naiv?

KNAUF: Viele Alttestamentler halten Esra für erfunden; über diese Fragen wird immerhin seit mehr als 200 Jahren diskutiert. Es gibt aber auch Indizien: ab 400 beginnen die Judäer, dem Bilderverbot zu folgen. Da muss also doch etwas passiert sein.

SPIEGEL: Was ist Ihre Erklärung?

KNAUF: Nach Babylon war die judäische Oberschicht deportiert worden. Ohne König und fast ohne Elite blieb die Restbevölkerung in Benjamin sich selbst überlassen. Gesetzliche Ordnung lieferte allein noch das alte Bundesbuch, die älteste Rechtssammlung in der Tora. Man brauchte aber aktuelles Recht, sozusagen eine Gesetzesnovelle. Sie findet sich im 5. Buch Mose, das ja griechisch Deuteronomion heißt, das zweite Gesetz.

SPIEGEL: Wer verfasste diese Novelle?

Biblisches Buch Esra, hebräische Ausgabe, 16. Jahrhundert

© Art Resource

KNAUF: Angefangen haben damit die Priester und Schreiber, die im 6. Jahrhundert in der babylonischen Provinz Judäa lebten, die fast nur aus dem Stammesgebiet Benjamin bestand. Ab etwa 525 kamen die »Heimkehrer« aus Babylon dazu. Die »Heimkehr aus dem Exil« ist insgesamt ein Mythos; nur eine Minderheit, die Oberschicht, war deportiert, davon kehrte nur ein Teil, aber doch einige Judäer aus Babylon als Priester, Beamte und Soldaten in ihre nun persisch beherrschte Heimat zurück. Sie bemannten das neue kleine Fort auf dem Tempelberg von Jerusalem, als Flankenschutz für die Küstenstraße und für den Ägyptenfeldzug des Perserkönigs Kambyses. Schließlich bauten sie den Tempel wieder auf.

SPIEGEL: Und diese kleine Schar übte so enormen historischen Einfluss aus?

KNAUF: In der Tat, sie waren als Beamte und Soldaten zwar eine Minorität, aber die herrschende Minderheit in der Provinz, und bald fühlten sie sich als die eigentlichen Herren des Landes. Sie setzten ihr Recht durch. Und: Aus Persien brachten sie einen Glauben mit, der nahezu monotheistisch war. Es gab noch andere Götter, aber sie wurden nicht mehr verehrt.

SPIEGEL: Darum steht in den Zehn Geboten der eigenartige Satz: »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir«?

KNAUF: Ja. Was die Oberschicht-Rückkehrer dachten und wollten, nämlich Unterwerfung der altjudäischen Restbevölkerung, der dieser Beinahe-Monotheismus neu war, ist im Buch Josua zu lesen. Allerdings wird es dort als Kampf mit Fremdvölkern wie »Kanaanitern« oder »Amoritern« dargestellt, was in Wahrheit ein innerjüdischer Konflikt war zwischen der zurückgekehrten Elite und der israelitischen Landbevölkerung.

SPIEGEL: Da würde man heute wohl von Geschichtsklitterung sprechen.

KNAUF: