Die Bimsstein-Bande - Neon-Jim - E-Book

Die Bimsstein-Bande E-Book

Neon-Jim

4,8

Beschreibung

"Einer für alle – und alle für einen!" - So lautet das Motto der Bimsstein-Bande. Der Schwur der sechs Freunde wird auf die Probe gestellt, als plötzlich Neon-Jims geliebte Oma gekidnappt wird. Heimlich büxen Neon-Jim, Titan-Billy, Uran-Eddie, Krypton-Jo, Glatze und Bandenchef Eisenoxid-Johannes nachts von zu Hause aus, um Oma Waltraut zu retten. Ein unglaubliches Abenteuer beginnt. Wer hätte auch gedacht, dass sich ihnen beim Haus des geheimnisvollen Professors Monsterkrabben in den Weg stellen und sie in eine Falle locken würden? Nur Neon-Jim kann sie daraus befreien … doch zuvor muss der kleine, rundliche Junge ganz allein seine Angst überwinden und den verschrobenen Professor zur Rede stellen und auf dem Rummelplatz gegen den "Stärksten Mann der Welt" in den Ring treten. Als die Freunde gemeinsam die Großmutter aufspüren, ist die Überraschung groß. Von einem Jungen, der über sich hinauswächst, von wahrer Freundschaft und Mut erzählt diese witzige und spannende Geschichte für Kinder. Ein riesiger Lese- und Vorlesespaß!

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Seitenzahl: 186

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Für alle Kleinen und Großen.

Besonders aber für Oma.

Inhalt

Die Geschichte fängt an

Die Geschichte geht weiter

Neon-Jim heult

Glück gehabt

Auf dem Weg

Krebse und Krabben

In der Falle

Kein Weichei

Der Professor

Kirmes

In der Grube

Wieder vereint

Rutschpartie

Schwerter und Degen

Gmh!

Klirr, hüpf, hack

Eins und eins macht immer zwei

Die Großmutter

Tatütata

Kekse und Kuchen

Die Geschichte geht zu Ende

Die Geschichte hört auf

Ein Gedicht

Die Geschichte fängt an

00.35 Uhr.

Der Regen fiel herunter, so laut, als würden hunderte Indianer auf ihren Trommeln schlagen. Es regnete so heftig, als würde das Wasser aus Kübeln, aus Gießkannen und Gartenschläuchen kommen.

Wer jetzt draußen war, der war entweder verrückt oder er musste zur Arbeit.

Aber da! Ein gelbliches Band mit einem grellen Lichtschein vorne dran. Geisterhaft zeichnete sich die Erscheinung von der Nacht ab. Seltsam, diese Erscheinung trug … Hüte! Hingen nicht menschliche Arme an den Seiten herunter? Was um Gottes willen steckte dahinter?

Plötzlich wurde es luftig. Das Windchen, das aufkam, war ein verspieltes Ding. Es rüttelte an Mülltonnen, klapperte an Briefkästen und raschelte durch Bäume und Sträucher.

Wäre ein Maler aufgewesen, hätte er ein Sturmgemälde pinseln können, denn aus dem Windchen wuchs ein Sturm.

Die Luftmassen, die angeschleudert kamen, waren von übelster Sorte. Was sich ihnen in den Weg stellte, wurde nach Lust und Laune angegriffen und in Mitleidenschaft gezogen. Mülltonnen rollten über den Boden, Müll flog durch die Luft, Äste knickten durch und wurden weggerissen. Die Briefkästen schlugen wie wild, und klirr! ging schon eine Fensterscheibe zu Bruch.

Dem Sturm entkommen, war die geheimnisvolle gelbe Erscheinung. Sie war auf einer Baustelle, in einem fast abgerissenen Haus verschwunden.

»Aua!« und »Autsch!«, klagten Stimmen.

»Oh, mein Po!«, stöhnte jemand.

Schauen wir in den Keller: Ein Licht, grell, ja, von einer Taschenlampe, tastete nach gelben Flecken.

»Krypton-Jo?«

»Hier!«

»Uran-Eddie?«

»Anwesend!«

»Titan-Billy?«

»Bin da!«

»Neon-Jim?«

»Ja!«

»Glatze? Wo ist Glatze?«

»Oh, mein Po!«

»Aha.«

Sechs Jungen ließen sich erkennen, als die Taschenlampe die Runde machte. Und die Namen der Jungen! Es gab keinen Zweifel, hier hatte sich die Bimsstein-Bande eingefunden. Die Taschenlampe hielt der Bandenboss, Eisenoxid-Johannes, in der Hand.

Die Jungen waren alle in gelbes Regenzeug eingekleidet: gelbe Gummistiefel, gelbe Regenjacke und gelbe Regenhüte.

Die Geschichte geht weiter

00.45 Uhr.

Eisenoxid-Johannes, der Bandenboss, leuchtete mit seiner Taschenlampe umher. Der Keller, in dem er und seine Kameraden sich befanden, schien groß wie eine Schulklasse zu sein. Die Wände wiesen an einigen Stellen Risse auf, aus denen Wasser hervorquoll.

»Besser hier drinnen als draußen«, machte sich der Bandenboss Mut. Er hatte seine Kameraden schutzsuchend in das halb abgerissene Haus geführt. Wohl aus Rache hatte der Sturm sie mit einem gewaltigen Windstoß in den offenliegenden Kellerzugang die Treppe herunter plumpsen lassen.

Es war auch kein freudiger Anblick, die Bimsstein-Bande lag kreuz und quer im Raum verstreut herum.

Uran-Eddie lag auf dem Bauch und stützte den Kopf mit der einen Hand ab. »Wir hätten ein Boot nehmen sollen!«, grollte er und schlug mit der anderen Hand ins Wasser. Tatsächlich hatten sich schon Wasserpfützen im Keller angesammelt.

Neon-Jim und Glatze lagen quer übereinander. »Hatschi!«, nieste Neon-Jim mit einem Mal. »Hatschi!«, nieste er direkt in die Pfütze vor Glatze. Das aufspritzende Wasser flog Glatze ins Gesicht.

»Igitt!«, meinte Glatze dazu.

»Schuldigung«, räusperte sich Neon-Jim.

Titan-Billy murmelte etwas vor sich hin, etwas wie »Meine Güte« und »Total schlapp« konnte man hören. Der arme Kerl lag auf seiner linken Seite und sein rechter Arm hing leblos über seinen Bauch herüber.

Im hintersten Winkel des Raumes verweilte Krypton-Jo. Er streckte auf dem Rücken liegend seine Gliedmaßen weit wie ein Hampelmann von sich ab. Er grinste, als ob ihm die Plumpserei in den Keller Spaß gemacht hätte.

Der Bandenboss selbst lehnte in einer Ecke des Kellers und saß auf seinen Beinen. Langsam brachte er erst das eine Bein, dann das andere Bein zum Vorschein, sie waren Gott sei Dank heil geblieben. »Wir müssen die Lage besprechen!«, wies er seine Kameraden an, und zwar schreiend, um ein Sturmheulen zu übertönen. »Setzen wir uns im Kreis!«, forderte er seine Kameraden auf.

»Chef!«, schrie Titan-Billy entsetzt. »Oh, Chef! Ich kann meinen Arm nicht bewegen!« Ängstlich richtete sich Titan-Billy auf.

Die Jungen versammelten sich eilig bei ihrem Bandenmitglied.

»Krötenbein!«, fluchte Uran-Eddie. »Der Arm hängt schlapp herunter!«

»Ist es schlimm?«, jammerte Titan-Billy. »Muss ich ins Krankenhaus?«

»Nein«, versicherte der Bandenboss und riss am kranken Arm, dass Titan-Billy aufheulte, »war nur ausgerenkt, glaub ich. Aber jetzt hinsetzen, dalli, los! Wir müssen die Lage besprechen!« Und Eisenoxid-Johannes trat in die Mitte des Raumes, zog seine Regenjacke aus und setzte sich auf den Innenstof der Jacke. Seine Kameraden taten es ihm gleich.

Neon-Jim heult

00.57 Uhr.

Die Jungen saßen kreisförmig beieinander, und der Bandenboss stellte seine Taschenlampe in ihrer Mitte auf. Der Lichtstrahl verbreitete sich wie eine umgedrehte Deckenlampe von unten nach oben.

»Wir müssen leider abwarten«, sprach der Bandenboss. »Dieses dumme Wetter macht es uns unmöglich, unser Unternehmen fortzusetzen!«

»Das sehe ich auch so«, meinte Krypton-Jo, »wir haben einfach Pech!«

Titan-Billy rieb sich an seinem Arm. »Aber tatenlos rumsitzen, das geht doch nicht. Wer weiß, was inzwischen passieren kann!«

»Vielleicht sollte es jemand von uns auf eigene Faust versuchen«, schlug Uran-Eddie vor.

»Du wirst weggepustet, ehe du zwei Schritte raus getan hast«, meinte Eisenoxid-Johannes, der Bandenboss.

»Vielleicht fliegt er ja richtig«, scherzte Krypton-Jo.

»Affe!«, schimpfte Neon-Jim. Er fand den Scherz abscheulich. Eine Träne rann ihm über die eine Wange seines Gesichts.

»Verzeihung«, sagte Krypton-Jo.

»Dieser eklige Professor!« Neon-Jim schluchzte. Rinnsale von herzschmerzenden Tränen flossen von seinen Augen herunter.

Glatze meldete sich zu Wort. Seine Stimme klang nach schlechter Laune. »Potztausend, Leute!«, meinte er. »Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber wieso das ganze Theater? Ich schlief so gemütlich, und plötzlich klopft ihr an mein Fenster, mitten in der Nacht. Ich soll mitkommen, gut, aber warum, das sagt mir keiner!«

Neon-Jim hielt die Luft an und schaute mit großen traurigen Augen.

Uran-Eddie erklärte: »Er hat seine Oma geklaut!«

»Ja, die Oma von Neon-Jim!«, rief Krypton-Jo.

»Oma geklaut! Neon-Jim. Wer?« Glatze schien es, als habe er eine Ohrfeige bekommen. Eine Ohrfeige, saftig in der Handschrift und wie aus heiterem Himmel. Der Junge brauchte eine Weile, um sein geistiges Durcheinander zu ordnen. »Die Großmutter von Neon-Jim ist was?«, fragte er vorsichtig.

»Geraubt!«

»Geklaut!«

»Entführt!«

Neon-Jim heulte wie ein Schlosshund. Die Tränen schossen nur so aus seinen Augen, krachten über die Wangen in ein Taschentuch. Das Taschentuch hatte er von Uran-Eddie bekommen, und der nahm es Neon-Jim von Zeit zu Zeit aus der Hand, um es auszuwringen.

»Geraubt!«, sagte Glatze fassungslos. »Oje!«

»Entführt. Ja, entführt ist wohl das richtige Wort.« Eisenoxid-Johannes meinte, nun sei er an der Reihe seinem Kumpel das Leid, das sie mit frechem Gesicht angrinste, beizubringen. Schließlich lastete auf seinen Schultern ein würdiges Amt. Das Amt des Bandenbosses. Und ein Bandenboss trägt ein hohes Ansehen. Desto mehr muss er seine Kraft in Führung und Verantwortung legen. Eisenoxid-Johannes empfand seine Gedanken intelligent, er überlegte, ob er nach Schule studieren sollte.

»Glatze«, sagte Eisenoxid-Johannes, der Bandenboss, »die Sache ist verdrießlich. Die Großmutter wurde auf dem Weg zum Einkaufen von der Straße in ein Auto gezerrt. Seitdem haben wir nichts mehr von ihr gehört. Keine Forderung nach Lösegeld – nichts!«

»Wie schrecklich!« Glatze verspürte einen heftigen Schmerz in seiner Brust. Die arme gute Großmutter. Er konnte nicht zählen, wie oft sie ihnen Kekse und Kuchen gebacken hatte – ach, Kekse und Kuchen. Bei ihr hielt die Bimsstein-Bande ihre Treffen ab. Immer freundlich, die Frau. Ein netter Mensch.

»Aber keiner kennt die Geschichte besser als Neon-Jim«, bemerkte Uran-Eddie. »Er war dabei.«

»Gütiger Himmel!«, rief Glatze. »Dann hätte er was unternehmen können!«

Neon-Jim fühlte sich am Ende seiner Kräfte. Er zitterte am Leib wie Espenlaub in einer Windböe und heulte wie eine Sirene bei Probealarm.

Neon-Jim war ein kleiner dicker Junge. Zweimal die Woche half er im Tierheim aus, das Katzen- und Hundehaus zu reinigen. Er mochte Tiere, und Tiere mochten ihn. So klein Neon-Jim an Gestalt war, so groß war doch seine seelische Empfindsamkeit gegen Schicksalsschläge. Und so dick er war, so dünn war seine körperliche Widerstandskraft. Neon-Jims Großmutter meinte dazu: »Junge, sei nicht immer so wehleidig.«

Und an seine Großmutter dachte Neon-Jim.

»Ach, meine Oma«, jammerte er. »Wie hab ich sie lieb.« Neon-Jim schluckte mehrmals. »Es ist alles so furchtbar. Ich kann es nicht verstehen. Heute Mittag waren wir noch zusammen, um Backzeug zu kaufen.«

Als Neon-Jim begonnen hatte, zu erzählen, hatte er seine Freunde angesprochen. Nun sprach er zu sich selbst. Sein Heulen und Zittern waren in traurige Betroffenheit umgeschlagen. Zeit und Raum waren für ihn unwirklich geworden. Er sah sein Erlebnis wie auf einer Leinwand, als säße er in einem leeren Kino.

»Wir wollten zum Supermarkt«, sprach er. »Großmutter hatte ihre Lieblingsschuhe, die roten Lackschuhe, an. Es war schön warm draußen. Plötzlich quietschten Reifen, ein Auto bremste dicht neben uns. Eine Hand zerrte Oma in das Auto. Sie schrie, der Wagen brauste davon. Ich lief hinterher, aber es nützte nichts …«

Für eine Zeit herrschte tiefes Schweigen innerhalb der Bimsstein-Bande. Deutlich waren das Trommeln des Regens und das Wüten des Sturms zu hören. Das Haus bebte unter den Naturgewalten. Eisenoxid-Johannes fragte sich, ob es gut sei, das Unwetter hier abwarten zu wollen.

»Es tut mir alles so leid«, beteuerte Glatze.

»Es war der Professor«, sagte Neon-Jim. »Ich habe ihn im Wagen erkannt.« Und mit diesen Worten ließ ihn die Erinnerung in die Wirklichkeit zurückkehren. Da saß er nun im Kreise seiner Freunde. Alle schauten sie ihn mit mitleidigen Augen an. »Ja, dieser eklige Professor«, schrie der kleine dicke Junge beinahe. »Der eklige Professor!«, schrie er.

Eisenoxid-Johannes schossen die Haare zu Berge, als er erlebte, wie Neon-Jim mit seinen Fäusten in die Luft schlug. Der kleine dicke Junge verwandelte sich in ein wildes Tier. Schon wollte Neon-Jim aufspringen, um in wilder Wut umher zu rennen. Der Bandenboss stürzte sich auf den scheinbar Irren.

»Ich bin direkt zu meinen Eltern gelaufen und habe ihnen alles erzählt«, jammerte Neon-Jim. »Aber die hatten keine Zeit für mich, sie waren in Eile und wollten irgendwohin.«

»Wir haben Zeit für dich«, beruhigte ihn der Bandenboss. Er lag auf Neon-Jim und drückte sanft dessen Fäuste herunter. »Wir werden die Großmutter befreien, auf mein Wort.«

»Ja«, rief Krypton-Jo, »ein Bimsstein für alle!«

»Und alle Bimssteine für einen!«, rief Uran-Eddie.

Die Jungen richteten sich für Neon-Jim auf und machten einen Handstand, so dass ihnen die Regenhüte von den Köpfen fielen. Geräuschvoll schlugen sie ihre Stiefelsohlen aneinander. Das war das Zeichen der Bimsstein-Bande.

»Wir werden deine Großmutter befreien!«, beteuerte Eisenoxid-Johannes nochmals, sozusagen auf dem Kopf stehend.

Dann durchzog ein langer Riss eine Kellerwand, und die Kellerwand brach ein.

Glück gehabt

01.22 Uhr.

Um es genauer zu beschreiben, brach die Kellerwand nicht ein, sondern sie platzte wie ein Luftballon auf. Pong! machte es, und die Steinbrocken flogen wie Luftballonfetzen durch den Raum. Durch die Erschütterung kippten die Jungen, die einen Handstand darboten, wie Dominosteine um. Dem sitzenden Neon-Jim flog der Regenhut vom Kopf.

Mit dem Aufplatzen der Kellerwand schoss eine Brühe aus Wasser und Erde in den Raum nach. Waren die Jungen von den herumfliegenden Steinbrocken verschont geblieben, schlug diese bräunliche Brühe auf die Jungen ein. Dann eroberte der Sturm den Keller.

Eisenoxid-Johannes wurde durch die Wucht der Windmassen in die Luft gehoben und dann auf seinen Hosenboden gesetzt. Uran-Eddie und Titan-Billy rutschten auf ihren Bäuchen hin und her. Neon-Jim drehte sich wie ein wilder Kreisel.

Schlimm erwischte es Krypton-Jo, er wurde kurzerhand zu einem hässlichen Spielchen herangezogen. Der arme Kerl musste mehrere Purzelbäume schlagen und einen Handstand zeigen, bevor er schließlich auf seinem Rücken liegen blieb. Der Junge streckte benommen die Arme und Beine von sich.

Glatze war der Einzige der Jungen, der bis auf eine Dreckdusche unbeschadet davonkam. Die Windmassen konnten ihm nicht ernstlich etwas anhaben. Auf seinem Bauch liegend, stemmte er sich mit seiner Kraft gegen die stürmischen Elemente der Natur auf, bis er sicher auf seinen Beinen stand.

Glatze war ein Muskelprotz. Der Junge hatte einen schweren und breiten Körperbau, seine Muskeln waren gut ausgebildet und hart trainiert. Er konnte nicht nur einen Apfel mit bloßer Hand zerquetschen, sondern auch einen Kasten Wasser mit einer Hand über seinen Kopf heben. Das machte ihm so schneller keiner nach!

Aber wo Sonne scheint, fällt auch Schatten. So hatte er einmal Weinbrandessig mit Shampoon verwechselt, woraufhin ihm alle Haare ausgefallen waren. Deshalb wurde er Glatze genannt. Ja, man kann nicht alles haben!

Aber Glatze war stark, zu stark für die Windmassen. Deshalb tobten sie sich auf eine andere Weise aus. Sie hoben die Regenhüte und Regenjacken der Jungen samt Taschenlampe in die Höhe und schleuderten sie wie Wäsche in einer Waschtrommel. Sie ließen Steinbrocken hochspringen und Erde durch die aufgeplatzte Kellerwand nachströmen.

Dann war mit einem Mal der Spuk vorbei. Eisenoxid-Johannes fand als Erster seine Stimme wieder. »Meldet euch!« rief er, denn er konnte seine Kameraden nicht mehr sehen. Die Taschenlampe und somit das Licht war verschwunden. »Neon-Jim?«

»Hier!«

»Titan-Billy?«

»Bin da!«

»Uran-Eddie?«

»Jawohl!«

»Glatze?«

»Stehe aufrecht!«

»Krypton-Jo?«

Aber Krypton-Jo antwortete nicht.

»Jo!«

Die Antwort blieb aus.

Inzwischen war auch außerhalb des Hauses der Spuk vorbei. Das Unwetter hatte sich ausgetobt, Sturm und Regen zogen heimwärts. Am Himmel tauchte grell der Vollmond auf. Seinen Lichtstrahl sandte er auf das halb abgerissene Haus, in dem sich die Bimsstein-Bande befand. Das Licht fiel durch die aufgeplatzte Kellerwand und erhellte den Raum: Wasserlachen, Regenhüte und Regenjacken; die Taschenlampe, die kopfüber in einem Matschhaufen steckte. Zu sehen waren die Jungen, die in dieser Umgebung teils lagen oder saßen. Und da lag unverkennbar in einer Ecke ein lebloser Körper, der seine Gliedmaßen von sich streckte – der arme Krypton-Jo.

»Oh, mein Gott!« Eisenoxid-Johannes stockte der Atem.

»Ob er noch lebt?«, fragte Glatze.

Neon-Jim krabbelte auf allen Vieren zu dem Liegenden und nahm behutsam dessen Kopf in seine Hand, wobei er ihm Dreck aus dem Gesicht wischte.

»Bitte, lieber Jo«, flehte er, »wach doch auf, bitte!«

Einer nach dem anderen versammelten sich die Jungen um Krypton-Jo und Neon-Jim.

»Da ist nichts mehr zu machen«, meinte Titan-Billy, »begraben wir ihn gleich hier!«

»Wie kannst du nur so sprechen«, schimpfte Neon-Jim. »Schäm dich!«

»Nehmen wir gleich die Steine«, setzte Titan-Billy unbeirrt fort. »Steine liegen hier ja haufenweise rum, bedecken wir ihn damit.«

»Schöne Freund hat man!«, stöhnte Krypton-Jo, der ein Auge auftat.

»Hurra, er lebt!« Neon-Jim jubelte.

»Natürlich lebt er«, meinte Titan-Billy. »Man muss nur gemein zu ihm sein, dann wird er richtig munter.«

»Genug der Scherze!« Eisenoxid-Johannes drohte mit seiner Faust, ohne aber böse zu sein, so groß war seine Freude über das Erwachen seines Kameraden. »Wie fühlst du dich?«

Krypton-Jo öfnete sein zweites Auge und richtete seinen Oberkörper langsam auf. Mit der Hand fuhr er sich an die Stirn. »Mein Schädel dröhnt«, sagte er. »Und das komische Geräusch in den Ohren!«

»Das höre ich auch, dieses Knacken«, sagte mit nachdenklicher Miene Uran-Eddie.

»Da! Schnell!« Krypton-Jo schrie voller Entsetzen. »Das Haus bricht ein!«

Und tatsächlich, das Gemäuer ächzte und jammerte in Gewissheit auf ein elendes Ende. Ein verzweifeltes Aufbäumen noch, dann knallte die von Berstungen ereilte Kellertreppe nieder. Ein Zittern und Rucken, und ein Teil der Kellerdecke stürzte zu Boden.

Krypton-Jo sprang auf und hüpfte auf den Rücken von Glatze. Mit einem Fußtritt trieb er ihn an.

»Hinterher!«, schrie Eisenoxid-Johannes.

Die Jungen liefen Glatze und Krypton-Jo nach, die in das riesige Loch verschwanden, wo eben noch eine ganze Wand gewesen war. Das Loch ging in eine Öfnung über, die breit und aufwärts verlief. Wie verrückt, krochen die Jungen über matschige Erde hoch. Als spie ein Vulkan sein Inneres aus, schien die Bimsstein-Bande aus dem Haus geschleudert zu werden. Was das Zeug hielt, rannten die Jungen um ihr Leben. Hinter ihnen fiel lärmend das Haus in sich zusammen. Die Erde bebte unter dieser Last.

»Glück gehabt!«, keuchte Glatze, der mit Krypton-Jo auf seinem Rücken in sicherer Entfernung anhielt.

Die andren Jungen prallten gegen sie.

»Ach, ja«, stöhnte Uran-Eddie.

Auf dem Weg

01.48 Uhr.

Die Jungen schickten sich an, die Baustelle zu verlassen. Allen voran der Bandenboss, er marschierte an der Spitze der Gruppe, und das Schlusslicht bildete Glatze, der Krypton-Jo weiter huckepack trug.

»Trag mich bitte, Glatze«, hatte Krypton-Jo gebeten, »ich bin noch zu schwach, um zu gehen«, und Glatze trug ihn.

Es sollte sich für die Jungen als zeitraubend erweisen, die Baustelle zu verlassen. Überall lagen vom Sturm verteilt Gegenstände herum: Bretter, Stangen, Steine, Planen, eine Schubkarre und sogar ein auf dem Kopf stehendes Toilettenhäuschen. Die Jungen umgingen diese Hindernisse in einem Zickzackkurs. Letztendlich versperrte ihnen ein umgestürzter Kran den Weg.

Der Bandenboss führte seine Kameraden entlang des Krans, der mit seinem Ende in eine Steinmauer eingeschlagen war. Die Jungen zwängten sich zwischen den Metallstreben der Kranspitze und dem gebrochenen Mauerwerk hindurch, schließlich standen sie auf einem Gehweg.

In das Dunkel der Nacht flackerte die Straßenbeleuchtung. Das Licht spiegelte sich in den Wasserlachen der Straße.

»Kurzschluss«, meinte Neon-Jim zu dem Flackern. »Möchte nicht wissen, was alles zu Bruch gegangen ist!«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, schwoll der Lärm von Sirenengeheul an. Unwillkürlich pressten sich die Jungen ihre Handflächen auf die Ohren. Innerhalb weniger Sekunden fuhren mehrere Feuerwehrwagen an ihnen vorbei. Die Wagen rasten durch die Wasserlachen, und das aufgespritzte Nass ergoss sich über die Bimsstein-Bande.

Die Jungen zuckten mit den Schultern. Nass waren sie sowieso, ihre Regenhüte und Regenjacken hatten sie verloren, da machte ein Tropfen mehr oder weniger auch nichts mehr aus. Um es positiv zu sehen, war der ganze Dreck und Schmodder von ihnen weggespült worden.

Krypton-Jo schüttelte sich wie ein nasser Hund, dann begann er in die Runde zu sprechen: »Wir sind nicht weit von unserem Weg abgekommen, und ich kenne die Gegend hier gut. Früher musste ich in der nächsten Straße Nachhilfe in Englisch nehmen, bei einer Lehrerin, die laut wurde, weil ich manchmal zu spät kam. Natürlich trödelte ich mit Absicht, ha. Vor uns liegt ein Kiosk, an dem ich meine Zigaretten kaufte. Was hatte ich Ärger mit meinen Eltern, als sie rauskriegten, dass ich rauchte. Schmeckt aber nicht, und Rauchen ist viel zu gefährlich. Dahinter liegt ein Krankenhaus, in dem man mir den Blinddarm entfernt hat. Da gab es eine Krankenschwester, in die ich mich verliebt hätte, wäre ich älter gewesen. Hinter dem Krankenhaus fängt eine Landstraße an. Dort liegt von einem Zaun umgeben der Bauernhof des Professors!«

Krypton-Jo war stets lustig und guter Laune, auch jetzt, da er zu schwach zum Gehen war und von Glatze getragen wurde. So lustig Krypton-Jo war, so lustig sah er auch aus. Das ganze Jahr über hatte er stets irgendeinen Insektenstich auf seiner Nase. Nicht dass Krypton-Jo in einem Wald oder gar in einem schmutzigen Haushalt lebte, nein, die Mücken bevorzugten halt seine Nase. Es schien, als würden sie seinethalben von weit hergeflogen kommen.

Uran-Eddie konnte nicht richtig lustig und guter Laune sein. Er versuchte es, aber es schaffte es nur selten. Dafür konnte er aber gut meckern. Uran-Eddie war eben ein anderer Schlag von einem Menschen. Ihm war aber keiner böse, weil er auf der einen Seite der hilfsbereiteste Junge der Welt war. »Echt nett, deine Wegbeschreibung, nur zu lang«, meckerte er jetzt Krypton-Jo an, »du könntest damit einen Brief vollschreiben!«

Eisenoxid-Johannes murmelte: »Kiosk geradeaus, Krankenhaus, Landstraße, Zaun, Professor, ja, so machen wir es!« Schnellen Schrittes jagte er den Gehsteig hoch.

»He, warte!«, rief Neon-Jim. »Nimm uns mit!«

Bald hatten die Jungen ihren Boss eingeholt. Zusammen bildeten sie einen verschworenen Trupp, sie waren entschlossen, bis zum letzten Blutstropfen in den Füßen zu laufen. Schnell vollzog sich ihr Gang durch die Straßen. Viel zu viel Zeit hatten sie verloren, seit der Sturm getobt hatte. Die arme Großmutter sehnte sich nach Hilfe, und ihre Aufgabe war es, sie zu befreien.

Nach wenigen Minuten passierten sie den Kiosk. Die Holzverschläge waren vom Wind aufgebrochen und klapperten altersmüde an ihren Scharnieren. Sie erinnerten an Schwingtüren eines Saloons im Wilden Westen.

»Man könnte Proviant klauen«, schlug Krypton-Jo vor. »Würde sich lohnen.«

»Solange unsere Rettungsaktion läuft, wird nichts geklaut«, verneinte Eisenoxid-Johannes den Vorschlag.

»War sowieso Spaß«, gab Krypton-Jo zu.

»Dachte ich mir«, antwortete der Bandenboss.

Die Bimsstein-Bande kam gut voran. Gewiss lagen überall Müll und Mülltonen herum, auch abgetrennte Äste waren vorzufinden. Aber das waren Hindernisse, über die man kurzerhand hinwegstieg. Am Krankenhaus angelangt, mussten die Jungen allerdings einen Umweg über eine Seitenstraße nehmen, denn Feuerwehrwagen versperrten den Weg. Ein entwurzelter Baum war auf mehrere Autos geschlagen, und die Feuerwehrmänner waren damit beschäftigt, den Baum zu zersägen.

Je weiter die Bimsstein-Bande jetzt ging, umso lebloser wurde die Stadt. Geräuscharm, verschlafen und schwarz. Keine Katze, die in einer Mülltonne scharrte. Kein Schatten, der an einer Mauerwand kauerte. Keine schräge Gestalt mit einem glühenden Zigarettenstummel im Mundwinkel. Die Jungen nutzten die Stille und die Kühle der Nacht, um ihre Gedanken zu erfrischen.

»Ich schnappe mir den Professor, und dann haue ich ihm die Nase platt«, dachte Titan-Billy.

»Teeren und Federn sollte man ihn«, sagte sich Uran-Eddie. »Einfach die Großmutter zu entführen, was für ein Schuft!«

»Hundert Tage Gefängnis bei Wasser und Brot«, überlegte Glatze, »das wäre die gerechte Strafe!«

Wie alt war der Professor eigentlich? Er hatte doch die besten Jahre seines Lebens überschritten, bestimmt könnte er schon siebzig sein. Die Leute nannten ihn ehrfürchtig Professor, er würde draußen vor der Stadt auf dem Bauernhof leben, ab und zu sähe man ihn in der Stadt, er wäre unfreundlich. Wahrscheinlich mochte ihn keiner!

Es war auch schwer, ihn zu mögen. Einmal stieß er Uran-Eddie beim Ruderfest in den Bach. Das andere Mal warf er eine Dose nach Neon-Jim. Und letztens schlich er noch im Garten der Großmutter umher. Auf frischer Tat von ihnen ertappt, zertrampelte er das Tulpenbeet und verließ fluchtartig das Grundstück. Wahrscheinlich wollte er da schon die Großmutter entführt haben!

»Ich habe Angst, dass er Schlimmes mit der Großmutter vorhat«, brach Neon-Jim mit trauriger Stimme das Schweigen.

»Wir werden den Professor davon abhalten«, beruhigte ihn der Bandenboss. »Guck, wir sind schon aus der Stadt, hier fängt die Landstraße an.«

»Jetzt dauert es nicht mehr lange und wir sind da«, sagte Krypton-Jo.

Die Jungen marschierten entschlossen ihrem Ziel entgegen, auf einer Landstraße, die sich wie ein undeutlicher Strich in die Dunkelheit zog. Dumpf hallten ihre Schritte vom Asphalt wider.