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Liebe und Abenteuer sind auch in diesem Roman die Hauptthemen. Die Rolle der Abenteuer übernimmt hier die Kunst. Die Liebe führt nicht immer zur Erfüllung. Die intelligente, mutige und unkonventionelle aber häufig als "schroff" wahrgenommene Kunststudentin Elisabeth kommt 1988 durch ein Stipendium nach Prag. Sie forscht für ein halbes Jahr und stürzt sich dabei in die Welt der Künstler. Dort trifft Elisabeth den Maler Jan und verliebt sich in ihn, ernst und erschütternd, was für sie neu ist. Jan verlässt sie jedoch, sagt: "Komm nicht mehr!". Elisabeth erlebt eine große Trauer und Verzweiflung. Doch dann tritt ihr Professor und Lehrer, Professor Pajer, in ihr Leben, mit dem sie eine ruhige, verlässliche Liebesgeschichte erlebt, die Beständigkeit in ihr Leben bringt. In Jans Ehefrau Jarmila findet sie außerdem eine Herzensschwester; die beiden ergänzen sich, finden aneinander die fehlende Hälfte ihrer Persönlichkeiten. Doch dann verstirbt Jarmila plötzlich und auch Professor Pajer verliert seinen Kampf gegen die lange Krankheit. Elisabeth begreift, dass das Verlassenwerden das Schlimmste im Leben sein kann. Den historischen Hintergrund gibt diesem Buch die Wendezeit um die "Samtene Revolution" in der ehemaligen sozialistischen Tschechoslowakei. Ein Liebesroman nach der Formel Kennenlernen, Lieben, Verlieren, Leiden, Suchen, Wiederfinden, Glück. Im Grunde ist dieser auch ein Prag-Roman; dazu sind Berlin und Schwarzwald das Gegengewicht.
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Seitenzahl: 243
Veröffentlichungsjahr: 2022
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1988 In Prag: Jan
1989, in Freiburg Überraschungsgäste aus Prag Elisabeth ist verwirrt
1993 – 1994 in Prag Elisabeth als Stipendiatin Die Bibliothek auf der Burg
1993 in Prag Martin der Maler malt Elisabeth
1993 vor Weihnachten in Prag Petr B., der Bildhauer Das Land
1993 in Prag JAN Elisabeth verliebte sich atemlos
1993 in Prag Elisabeth im Gasthaus »Vikárka« mit Doktor Kurz und Monsignore Kostka
1993 in Prag Pavel auf der Pawlatsche Die Nackte in seiner Achselhöhle
1994, in Prag Elisabeth hält eine Rede Die Aktentaschenträger
1994, in Prag Roman, der Kunstsammler lädt Elisabeth ein und spielt Klavier
1993 in Sázava Der Liebhaber Er küsst, er küsst sie im Wald
1988- 2004, Freiburg, Prag, Berlin Eine Freundschaft Als Jarmila noch lebte
1993/4, in Sázava Polívka, der Nachbar
1993, in Sázava Weihnachten In einer Art Requisitenkammer lagen sie sich küssend
1993, Slowakei Jahresende in der Tatra Im Hotel »Semafor« für Eisenbahner
1994, in Prag Der Abschied
1994, in Freiburg Ida und Elisabeth gehen spazieren im Sternwald
1997, im Schwarzwald Die Hühnermalerin mit ihrer Familie
1997, in Bayern Die Tagung in F. Elisabeth und der Professor
1994/95, in Berlin Elisabeth macht ihren Doktor Der Professor und sie berührten sich ohne Bedenken
1999, in Berlin – Wie entsetzlich!
1999/2000, in Stralsund Die Mutter war da
1999/2000, in Stralsund Das Haus
1999/2000 Silvesternacht in Stralsund Bedrohlich!
2000 Auf der Insel Rügen Neujahrstag, es nieselte
2000, Hiddensee Hiddensee-Ausflug im Januar Weißbackengänse
2000, in Stralsund Ausruhen Immer noch Januar
2000, Januar in Berlin Enni Gerlinger, Ida, Martin der Maler
2000, in Freiburg Svetlana Kurz zum neunzigsten Geburtstag
2000, im März »… ein auberginengrauer Schneestreifen …« »… ein karger gelblicher Strauch …«
2002, in Berlin In der Redaktion
2003, in Berlin Professor Pajer langweilt Elisabeth?
2004, in Berlin »Liebe Elisabeth«
2004, in Berlin Karl Wallner Elisabeths Vater verunglückt
2004, in Berlin, Sommer Professor Pajer ging es miserabel
2004, in Prag, August Die Feier zum Andenken von Professor Pajer
2004, Prag Jarmilas Tod
2004, in Prag Veronika Elisabeth und Veronika im Sárka- Tal
2015, Berlin – Wie furchtbar! Elisabeth fährt nach Prag
2015, in Prag, November Wieder in Prag Jan hatte sich wie ein Schuft verhalten Sie legte ihre Arme um seinen Hals
2015, in Prag Die Ausstellungseröffnung in Mánes – Erkennen Sie mich noch?
2015, in Sázava Im Landhaus – Du bist gefährlich für mich!
2015, in Prag Am Grab
2015, in Prag – Ich liebe dich!
Jan hatte den Staubsauger angeworfen und lief hinter dem Gerät in der Wohnung herum. Er war lediglich mit einer bunten Unterhose bekleidet. Jan K. war Jarmilas Mann.
Jarmila war an dem Morgen vor dem Hotel Olympik gestanden und hatte nach Elisabeth Ausschau gehalten. Die deutschen Busreisenden waren im Hotel Olympik einquartiert worden. Jarmila hatte Elisabeth dann daran erkannt, dass diese einen Kopf größer war als die anderen Studenten der Gruppe. Die beiden Frauen fuhren mit der Metro nach Vinohrady, wo Jarmila und Jan in der Slavíková- Straße wohnten.
– War deine Reise gut?, fragte Jan und versetzte dem jaulenden Gerät einen Tritt mit seiner nackten Ferse.
– Ich ziehe mich sofort an. Mein Name ist Jan, sagte er.
Da hatte alles angefangen. Sie hatte sich gleich wie zu Hause gefühlt. Es wurde ein großartiger Tag.
Die Studentengruppe war eine lange, kalte Januarnacht von Freiburg nach Prag gefahren. Elisabeth hatte sich einer Busreise angeschlossen. An der Grenze saßen die halbschlafenden Reisenden in dem unbeheizten Autobus vor einem Schlagbaum, der aus unerfindlichen Gründen nicht geöffnet wurde. Männer in Uniformen standen auf der tschechischen Seite der Sperrschranke und starrten den Reisebus an. Ihre Zigaretten glühten in nebeliger Dunkelheit.
Elisabeth war als Botin eines Briefes unterwegs. Sie studierte in Freiburg seit einigen Semestern Slawistik und hatte bei einer Bibliotheksführung mit einer tschechischen Exilantin Bekanntschaft gemacht; Klára hatte damals in Freiburg im Schwarzwald Deutschkurse an der Uni belegt und lernte die Sprache bei Elisabeths Vater, Karl Wallner, der als Lektor tätig war. Später hatte Klára als Psychologin in der Schweiz Stellung gefunden, wo sie dann mit ihrem Mann lebte. Klára war verheiratet mit dem bekannten tschechischen Liedermacher und evangelischen Pfarrer N., sie hatten schon seit mehreren Jahren in Zürich ein Zuhause gefunden.
Klára litt an stetigem Heimweh nach Prag. Sie hatte Heimweh nach ihrer Freundin Jarmila, der sie einen Brief über Elisabeth zukommen lassen wollte. Elisabeth hatte versprochen, Kláras vertraulichen Brief an Jarmila bald nach ihrer Ankunft in Prag zu überbringen.
Das Hotel war ziemlich neu. Es ragte in die Höhe, umgeben von tristen Fassaden in vielen Grau- schwarz- Tönungen und in vielen Stadien des Verfalls. Das Straßenbild sah traurig aus. Elisabeth war in den nächsten Tagen oft gegen Abend unterwegs und beobachtete, wie nach dem Schließen der Geschäfte einige Bewohner vom Tagesverkauf übrig gebliebene Gemüsereste auf einem Markt zusammenklaubten. Ein alter Mann drehte seine vielleicht allabendlichen Runden in den Straßen um den Marktplatz und versuchte, die vierblättrige Tageszeitung den wenigen Passanten zu verkaufen. Aus einem Bierausschank quoll Lärm heraus.
Es hatte geschneit. Menschen eilten zu den Metroeingängen, stiegen in die rotgelben Straßenbahnen oder standen unbeweglich an Bushaltestellen. Der Schneefall war dichter geworden, so dass man die abendlichen Heimkehrer wie durch einen Vorhang auftauchen sah.
Es wurde vereinbart, dass Elisabeth im Hotel Olympik wohnen blieb, aber die wenigen Tage in Prag mit Jarmila und Jan verbringen würde.
Jarmila hatte Dienst als Psychologin in einem städtischen Therapiezentrum. Ihre Klienten besudelten sich täglich bei ihrer Tätigkeit in der StB und litten folglich nicht selten an Depressionen. Auch Jan hatte Jarmilas Sprechstunde besucht, jedoch als Künstler, der sich permanent im stillen Widerstand gegen das Regime befand. Er war ein Künstler ohne Ausstellungsmöglichkeiten. Für ihn war die Psychotherapie staatlich verordnet worden – hätte er die therapeutische Behandlung nicht angenommen, hätte ihm die Einweisung in eine Klinik gedroht. Elisabeth, die die Geschichte des tschechischen Ehepaars bald erfuhr, begriff, vor welche Alternative in einer Diktatur jemand wie Jan gestellt war, sollte er als »gestörter« Mensch eingestuft sein. Jan war gesund, aber wäre zwangsweise in eine Psychiatrie eingewiesen worden, hätte er sich keiner Psychotherapie unterzogen. In Berlin hatte Elisabeth eine Freundin, die offensichtlich psychisch krank war; dennoch kümmerte es niemanden, dass diese keine Hilfe suchte. Nicht einmal ein Arzt hatte ihr eine Therapie vorgeschlagen, obwohl sie fast nur noch im Bett ihre Tage verbrachte und unförmig fett geworden war.
Einige Jahre später, nach der »Samtenen Revolution« (»sametová revoluce«) im Jahre 1989, wurde Jan berühmt in Prag. Er verkaufte große Bilder, sogar ganze Ausstellungen, auch an öffentliche Institutionen, wobei er jedoch weiterhin arm blieb. Damals, als Elisabeth ihn ken-nenlernte, verkaufte Jan keine großen Arbeiten, sondern lediglich einige Grafikblätter, Zeichnungen oder hin und wieder ein kleinformatiges Ölbild.
Jan zeigte Elisabeth die Stadt in den Tagen, in denen sie sich in Prag mit der Freiburger Studentengruppe aufhielt. Elisabeth staunte über die Aussicht von der Burg, über den Fluss, der so breit war, dass es mitten im Wasser Platz für mehrere Inseln mit Fußpfaden und Sitzbänken gab. Die steinerne Brücke über den Fluss war so schön, dass sie unwirklich schien.
In einer Schneenacht fuhr eine ausgelassene Gruppe mit Jan und Elisabeth in Jarmilas Škoda vom Kleinseitener Ring im Leerlauf über die vollkommen menschenleere, schneebedeckte Karlsbrücke. Auf den Straßen musste man zu jene Zeit nachts keinen Verkehr fürchten.
An jenem Abend hatten sich ein paar Freunde auf der Kleinseite bei einer Einkehr in einem Bierlokal zu Jan und Elisabeth an einen Tisch gesetzt. Neben ihrer Bierrunde drängte sich eine Gruppe von Frauen und Männern an den Tischen, Bierhumpen, die einen Liter fassten, vor sich schäumend. Es wurde gesungen, sehr laut. An einem Tisch hatten Russen gesessen. Die Besatzungsmacht schien jedoch hier im Lokal eine »Minderheit« zu sein.
– Die Besatzungsmacht! fluchte jemand feindselig.
Die Russen fingen ebenfalls an zu singen und wurden dabei als Konkurrenz der Tschechen wahrgenommen. Die Russen benahmen sich arrogant, ihre Stimmen durchdrangen alle anderen in dem schmalen, langgezogenen Raum. Es entstand eine Situation, in der ein Sänger vom tschechischen Tisch aufstand und zu den Russen trat. Er redete freundlich und beruhigend zu ihnen. Und tatsächlich:
Man nahm Friedensverhandlungen auf. Man unterhielt sich von Sänger zu Sänger, war plötzlich weg vom Politischen. Die Russen waren ganz bewusst als diejenigen aufgetreten, die hier das Sagen hatten. Jetzt: Frieden. Es wurde unter den tschechischen Sängern abgestimmt, ob ein Singverbot für die Russen bestimmt würde, oder ob die Nachbarn doch singen durften. Sie durften.
– Das war wunderbar!, sagte Elisabeth am folgenden Tag zu Jarmila, als sie ihr den Tag mit Jan schilderte.
Die Bierkellner im Lokal hatten schaumüberfließende Gläser an die Tische getragen. Alle Kellner waren außergewöhnlich große Männer gewesen und schienen viel zu lang zu sein, denn sie mussten sich arg krümmen beim Bedienen der Gäste.
In vielen Kneipen, die Jan und Elisabeth an folgenden Abenden besuchten, saßen manchmal schlafende Männer mit der Stirn auf der Tischplatte. An den Wänden der alten Restaurants betrachtete Elisabeth staunend die aufgemalten Wappen und versuchte, die fast unleserlichen farbigen Texte dazwischen zu entziffern. Mittelalterlich gekleidete Menschenfiguren gruppierten sich in den Gaststätten auf den bemalten Wänden.
Nach diesem ersten Aufenthalt in Prag war Elisabeth mit mehreren Zeichnungen in ihrem Koffer, die Jan ihr mitgegeben hatte, zurück nach Freiburg gekehrt. Im Bus hatte sie auf ihrem Platz im Halbschlaf geträumt und die nächste, baldige Reise nach Prag geplant. Aber Jan kam zuerst zu ihr nach Freiburg.
Ein Jahr später, im Winter, waren vor Elisabeths Haustür vier Reisende erschienen. Sie waren auf der Durchreise nach Paris, wie sie ihr mitteilten. Ein blassgrüner Škoda parkte am Bürgersteig. Aus den Wagen waren Jarmila, Jan, Beata und Otakar ausgestiegen.
– Jetzt sind wir hier. Du hast uns eingeladen, wir sind gekommen. Die Beiden hier heißen Beata und Otakar, sagte Jarmila und lachte. Sie sprach ein leicht hartes Deutsch, lachte laut und viel.
– Wir sind unterwegs nach Paris. Man hat uns zu Hause erzählt, dass in diesem Haus in dieser Stadt eine Elisabeth Tschechen jederzeit aufnimmt, wenn diese eine Übernachtungsmöglichkeit suchen, lachte Jarmila. Elisabeth lächelte starr und blieb stumm, fast stumm, denn Jans Erscheinen, seine Nähe plötzlich, verwirrten sie.
Elisabeth war beeindruckt von der Art dieses scheuen Künstlers. Wie er sich kleidete und wie er sich gab. Er wirkte wie ein Bauarbeiter. Sie war beeindruckt von seinem Gesicht, von den ausgeprägten Zügen, von seinen tiefliegenden schwarzen Augen. Schwarze, lange Locken standen wie ein Kranz um sein Gesicht.
Jarmila war dunkelhaarig und etwa so groß wie Elisabeth, doch nicht so schlank wie diese. Das Auffälligste an Jarmila waren ihre blauen Augen. Sie war Jahre jünger als ihr Mann, der damals fünfzig sein mochte.
Beata und Otakar lernte Elisabeth jetzt kennen. Sie waren ein junges Ehepaar, das mit Kunst zu tun hatte. Beata war klein und schmal, ihre roten Haare glühten wie eine Leuchterblume auf ihrem Kopf. Sie sprach ein altertümliches Deutsch. Ihr Mann Otakar benahm sich außerordentlich charmant. Er begrüßte Elisabeth mit einem Handkuss. Otakar war ein langer, schlanker Hugenotte mit einem fehlenden Zahn am Oberkiefer. Sein gelbblondes Haar lichtete sich leicht dort, wo Männer den Schwund selbst am wenigsten sehen konnten. Otakar beherrschte Deutsch recht gut, wie Elisabeth bald feststellen konnte.
Ihre Reise bis hierher hatten die Vier hunderte von Kilometern in diesen alten Škoda gezwängt überstanden. Jarmila war gefahren. Das Auto gehörte ihr. Gemeinsam mit Elisabeth zerrten die Gäste dickleibige Plastiktaschen aus dem engen Kofferraum und trugen ihr Reisegepäck in Elisabeths Mansardenwohnung. Es war bereits dunkel geworden. Elisabeth stieg rückwärts die Treppe aufwärts, eine der sperrigen Reisetaschen mit beiden Händen vor sich haltend. Die Stiege war schmal und machte einige Kurven unterwegs nach oben. Es war mühsam das Gleichgewicht zu halten.
Elisabeth atmete erleichtert auf, als sie alle oben an ihrer Tür angekommen waren.
Die Abendsonne schien schräg in die kleine Küche, wohin die Gäste gebeten wurden. Im Laufe der ersten Stunde – Elisabeth hatte Wein, Käse und Brot in ihrer Küche gedeckt – hatte auch Beata den Mund aufgemacht. Deutsch hatte sie von ihren Eltern und vor allem von ihrer Großmutter gelernt. Beata erzählte, dass sie und Otakar sich seit ihrer Schulzeit kannten. Kurz vor dem Abitur bekam Beata ein Kind. Das Paar war mit einem Bummelzug nach Süd- Mähren geflohen, wo Beata in einem Ferienhaus ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. Otakar hatte Geburtshilfe geleistet. Beide waren damals gerade mal achtzehn Jahre alt gewesen. Nach dem Abitur hatten sie geheiratet. Otakar besuchte die Kunstgewerbeschule und wurde nach dem Studium Fotograf. Seine Ausstellungen jedoch wurden jahrelang schon während der Eröffnungsfeier durch die Polizei geschlossen, die Vernissagebesucher fotografiert und hinausbefördert.
Beata war einige Jahre zu Hause bei ihrem Kind geblieben. Jetzt war sie in der österreichischen Botschaft in Prag in der Visumabteilung beschäftigt.
Jarmila wurde in den achtziger Jahren Jans Therapeutin und bald seine Ehefrau und Managerin. Sie hatte für ihn alles übernommen, alles veranlasst, kontrolliert und erledigt. Sie war eine Heilige in ihrer Geduld und in ihrem Verständnis für Jan gewesen. Jarmila starb, noch nicht fünfzigjährig, an einem Herzinfarkt. Als er ohne sie leben sollte, wurde Jan hilflos und ratlos, sogar in seiner Küche.
Am nächsten Morgen, in der süddeutschen Stadt Freiburg, wo man übernachtet hatte bei Elisabeth, quetschten sich alle in Jarmilas Auto und fuhren in eine Werkstatt, an der verkehrsdichtesten Straße in der Stadt gelegen. Im Škoda war ein Rücklicht blind. Als der Schaden behoben war, für den Elisabeth aufgekommen war, setzten die tschechischen Reisenden ihre Fahrt nach Paris wieder fort. Jan hatte einen großen Wunsch, den er sich erfüllte, denn sie besuchten auf ihrem Weg in Frankreich Colmar, dort das Museum Unterlinden, wo sie vor dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald lange und schweigend innehielten.
Jan war zu diesem Zeitpunkt bereits ein bekannter Zeichner und Maler in der Prager inoffiziellen Kunstszene. Seine Ausstellungen fanden jedoch lediglich in privaten Räumen statt und meist waren sie nur von der Dauer eines einzigen Abends, bis die Polizei kam.
Jans Zeichnungen und Grafiken wimmelten von nackten, muskulösen Kämpfern, die gegen eine höhere Macht verzweifelt antraten, oder sie litten in einer hoffnungslosen »Grenzsituation des Individuums«. Gewalt, Diktatur, Konzentrationslager waren seine Oberthemen. Hier und da fand man eine Portraitzeichnung in der Menge seiner Arbeiten. Jan arbeitete wie ein Missionar, die Vorbilder für seine Arbeiten waren die barocke Malerei und Bildhauerei in Prager Kirchen, die er schon als Kind häufig aufgesucht hatte, um die Malerei und die Skulpturen des Barock zu betrachten. Fassungslos und beinahe betäubt beschäftigte er sich in Gedanken mit Figuren und Farben der Ausstattung in einer Kirche. Das Höchste für ihn war aber später das Altarbild von Grünewald in Colmar.
Elisabeth hatte ein Stipendium nach Prag ergattert. Sie wollte für ihre Dissertation dort täglich in der Bibliothek der Gemäldegalerie forschen. Im Rahmen ihres Studiums wollte sie auch möglichst viele Künstlerinnen und Künstler in ihren Ateliers besuchen. Die Stadt, die Universität, die Menschen auf den Straßen, Restaurants, Kneipen, Familien bei sich zu Hause erlebten gerade die Zeit der Umwandlung der Gesellschaft und Politik, die sich wirklich überall im Land als Energie, Freude, Kreativität und Glücksgefühle verbreitete.
An der Station Malostranská stieg Elisabeth aus der Metro aus und ließ sich vom Menschengedränge zur Rolltreppe schieben. Oben in der Stationshalle eilten Menschen hinaus auf die Straße, hinein in die Metro. Leute standen Schlange vor einem Getränkeautomaten, zogen sich eine Kofola- Dose, Wasser oder Bier heraus. Das künstliche Licht tauchte den Raum ins Graue. Die verdreckten Deckenlampen flackerten und zirrten.
Elisabeth wendete sich zum Ausgang, der sie zu der alten Burgsteige führte. Sie stieg die schmale steinerne Gasse hinauf zur Burg. Es hatte Schneeregen eingesetzt. Dieses Jahr war es früh, schon im November, winterlich geworden und Elisabeth hatte sich einen wetterfesten Parka angezogen.
Sie wendete sich, oben angekommen, der Stadt zu, stand an der steinernen Mauer, schaute hinunter und sah Kirchen, Türme und Paläste, Häuser und Straßenzüge, Parkbäume, schon ohne Laub, Plätze und den Fluss. Über den Fluss Brücken, alte und jüngere, die die Stadt zusammenbanden.
Es war kalt. Die Steigung auf den Burgplatz hatte sie jedoch warm gehalten.
An einem kleinen, wackeligen Holztisch, der unter einem Fenster stand, hatten die Damen Bibliothekarinnen einen Leseplatz für Elisabeth eingerichtet. Eine, ebenfalls wackelige, Tischlampe warf Licht auf die Arbeitsfläche. Der Raum um ihren Leseplatz war eng, recht dunkel, es duftete nach Büchern, die die Regale an den Wänden füllten. Mitten im Raum, der auch als Handbibliothek diente, stand ein riesiges Möbel, das uralte, alte und neuere Karteikarten in Schubladen eingeordnet beherbergte. Die beiden Bibliothekarinnen saßen nahe beim Eingang zu der Bücherei. Sie tranken Kaffee und ein kleines, unsichtbares Radiogerät schickte aus einem Zimmerpflanzengestrüpp sehr leise Schlagermusik des Monats in die Räume. Die Bibliothekarinnen waren überaus freundlich.
Bevor Elisabeth ihren Platz am späten Nachmittag verließ, legte sie den Damen eine Bücherliste für den nächsten Lektüretag auf ihren Tisch. Hin und wieder fanden sich auch andere Leser in dieser Abteilung für Kunst ein. Elisabeth konnte hier mit Pavel Preiss ein Gespräch über tschechische Kunst genießen oder sich mit Petr Wittlich über seine gegenwärtige Vorlesung unterhalten. Beide Professoren lehrten Kunstgeschichte an der Karlsuniversität und Elisabeth besuchte ihre Vorlesungen in der Celetná- Straße. Die Räume dort in dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte waren recht klein, die Zuhörerschaft musste teilweise stehend während der Vorlesungen im Dunkeln ausharren. Die einzige Lichtquelle im Raum war ein Episkop, mit dessen Hilfe Bilder an eine Leinwand projiziert wurden. Der Hörsaal befand sich unter dem Dach im Gebäude, ganz am Ende eines dämmerigen Korridors, dessen Decke niedrig hing. Aus einer Fensterreihe bewunderte Elisabeth die auf- und abwogende ziegelrote Dächerlandschaft der Altstadt.
Die Bibliothek oben auf der Burg, wo Elisabeth jetzt arbeitete, öffnete schon um acht Uhr morgens. Das bedeutete, dass sie früh aufstehen musste. Am ersten Morgen in Prag war sie aus dem Schlaf hochgeschreckt. Sie war überrascht gewesen, dass sie in einem völlig fremden Zimmer aufgewacht war, aber wo, war ihr nicht gleich eingefallen. Elisabeth hatte sich bei Beata einquartiert. Es war vereinbart, dass sie in Karlín bei Beata bleiben würde für die Monate ihrer Forschungstätigkeit in Prag. Am Tag davor war sie aus Freiburg hierhergereist. Beata hatte sie auf dem Bahnhof Libeň erwartet. Ihr Škoda parkte in der Nähe des Bahnhofs. Verstopfte Straßen auf dem Weg nach Hause. Beata sprang unterwegs in einen winzigen Lebensmittelladen, um Wein, Käse und Schinken zu kaufen. Sie hatten dann den ganzen restlichen Tag und die halbe Nacht in Beatas Wohnung verbracht, hatten geredet, zwischendurch belegte Brote aus der Küche getragen, die sie dann aus der Hand gegessen hatten. Dazu hatten sie eine Flasche sauren Rotwein geleert. Das Fernsehgerät war die ganze Zeit angestellt, aber so leise, dass man nur die Bilder sah. Oben an der Zimmerdecke spendete eine schwache Birne spärliches Licht. Die Luft wurde immer rauchiger. Beatas Hund, ein ungekämmter Mischling, hatte sich unter dem Tisch auf die Füße der Frauen gekringelt.
Später, im Laufe des Abends, kam Otakar nach Hause und verschwand in seinem Zimmer. Er war müde und schien betrunken zu sein.
Elisabeth und Beata schliefen in einem Doppelbett. Es kam häufig vor, dass Elisabeth auch andere, ihr unbekannte Schläfer in der Wohnung begegneten. Diese legten sich ins Doppelbett, während Elisabeth und Beata in solchen Nächten ins Wohnzimmer auswichen und es sich auf dem ausziehbaren Sofa bequem machten – soweit es möglich war. Das Licht des stetig flackernden Fernsehgerätes (ohne Ton) gab die nötige Orientierung im Raum. Der Hund trappelte die Nächte lang von einem Raum zum anderen, dabei schabten seine langen Krallen an dem Linoleumfußboden.
Beata hatte im »alten Regime« eine leitende Stellung im Vergabeamt für Mietwohnungen gehabt. Folglich hatte sie eine gewisse Macht ausgeübt. Dies brachte ihr viele Geschenke ein, die sie immer gut gebrauchen konnte. Nach der Wende begann sie in der Galerie eines Freundes, Thomáš, zu arbeiten. Sie wurde sehr beliebt in Kunstkreisen; ihre Vernissagen- Veranstaltungen erreichten eine gewisse Berühmtheit. Beata schien auch vorwiegend für das leibliche Wohl des Galeristen zu sorgen. Niemand sagte es laut, aber es war allgemein bekannt, dass der Galerist, Thomáš, ihr Arbeitgeber, seine Zeit überwiegend bei Beata in ihrer Karlíner Wohnung verbrachte, eher als bei seiner eigenen Ehefrau und seinen zwei Söhnen.
Beata hatte ebenfalls zwei Söhne (mit eigenen Haushalten). Irgendwann würde sich Otakar von ihr trennen. In den Prager Künstlerkreisen war Beata schon bereits vor der »Samtenen Revolution« eine unersetzbare, unermüdliche Macherin gewesen, die Dinge erledigte, die unmöglich zu erledigen schienen. Von allen Künstlern, für die sie ihre Hilfe anbot, reichlich belohnt in Form von Gemälden und Grafiken, konnte sie stolz eine Wohnung voller Kunst vorzeigen.
Jedes Wohnhaus der Siedlung in Karlín befand sich an einem Anwohnerparkplatz. Sollten manchmal Bekannte aus dem Westen mit einem Westwagen zu Besuch über Nacht kommen, schlief Beatas Galerist in solchen Nächten auf dem Parkplatz in einem der BMWs, der Mercedes’ oder VWs, Wache haltend. Er fürchtete Autodiebe.
Des Öfteren traf man sich in Beatas vollgestellter Wohnung zum Entenbratenessen nach einer Vernissage in Thomáš’ Galerie, die die tschechische Kunst der damals sogenannten »Mittleren Generation« vertrat, die inoffiziell die »verlorene Generation« genannt wurde. Es handelte sich um Frauen und Männer, die während der sogenannten »Normalisierung« kaum Aussicht auf Erfolg hatten. Ihre Arbeit blieb erfolglos, wohl eher aus ästhetischen Gründen als aus politischen. Nach der Wende dann tauchten in Prag junge Zeitgenossen auf, auch viele Frauen, die den Regionalismus für überwunden erklärten und dies auch in ihrer Arbeit bewiesen.
Beata kochte in ihrer verdreckten, tristen Küche wunderbare Gerichte. Sie servierte eine einmalig schmackhafte Kuttelsuppe, die Elisabeth – ohne Erfolg – nachzukochen versuchte. Es gab immer viel Wein und es wurde viel geraucht. Das Fernsehgerät lief. Eine dicke, aggressive Ratte lümmelte in einem runden Glasbehälter, der auf das Bücherboard gestellt war. Es konnte passieren, dass die unglückliche Ratte Elisabeth in den Finger biss, wenn sie ihr Futterstückchen mit der Hand anbot.
Der Maler- Bildhauer Jan nahm Beatas Hilfe bei Materialtransporten in Anspruch. Er war ein häufiger Gast an Entenbraten- Abenden bei ihr. Jan besuchte übrigens nur Beata zu Hause und auch nur dann, wenn es wirklich Entenbraten gab, vorne weg eine Kuttelsuppe. Seine Vernissage- Feiern fanden jedoch jedes Mal in irgendeinem kleinen Gasthaus nahe der Galerie statt, wo gerade eine Ausstellung von ihm eröffnet worden war.
In Thomáš’ Galerie Galerie zeigte Jan gerade einen Zyklus aus seinen alttestamentarischen Themen und Jarmila hatte Elisabeth gefragt, ob sie nicht einen Text darüber schreiben könnte für den kleinen Katalog, den Jarmila herausgeben wollte. Elisabeth tat ihr Bestes – sie war noch nicht sehr geübt im Schreiben solcher Ausstellungstexte, aber Marie J. sprach ihr gut zu und meinte, Elisabeth wäre genau die richtige Kritikerin dieser Arbeiten von Jan. Sie kenne sich doch in der Bibel aus, als eine »Weststudentin«, die schon in der Schule »das Buch der Bücher« als Lektüre gehabt habe.
Als der Katalog gedruckt war, genau zu der Ausstellung erschienen, bekam Elisabeth einen Brief an Beatas Adresse, wo sie in Prag wohnte.
Liebe Elisabeth,
endlich halte ich Deinen Text in den Händen. Ich denke, es ist der beste Text, der jemals über meine Arbeit geschrieben wurde, und ich habe eine große Freude daran. Es ist so erfreulich, dass man in der Flut der Dummheiten und blödsinnigen Texte klar konzipierte Erwägungen und Gedanken lesen kann, ganz ohne überflüssige Emotionen, verständlich und wissenschaftlich zugleich. Ich bin Dir sehr dankbar, vielleicht finde ich einen Weg, wie ich wiederum Dir eine Freude machen könnte. Vielleicht kommst Du einmal mit uns nach Sázava; dort in der Scheune wirken meine Arbeiten in einer ganz besonderen Atmosphäre …
Den Brief von Jan hatte die Post Elisabeth zugestellt, denn Jan fürchtete die zu große Nähe, hätte er mit Elisabeth in dem Restaurant geredet, wo sie alle nach der Ausstellung zusammenkamen. Beata hatte in dem kleinen Gasthaus für etwa zwanzig Leute einen Tisch reservieren lassen.
Bei einer solchen Einkehr lernte Elisabeth Martin Zeman kennen. Martin war ein Portraitmaler, der vor kurzem aus dem Exil heimgekehrt war. Martin hatte beachtliche Erfolge in New York gefeiert. Er hatte bekannte und prominente Köpfe in schwarz- weiß auf riesige Leinwände gemalt.
Eines Morgens fuhr Elisabeth mit der Tram zu Martins Atelier, das er auch als Wohnung benutzte. Martin hatte ihr vorgeschlagen sie zu malen. Von dem Tag an saß Elisabeth zwei Wochen täglich einige Stunden Modell in dem kalten Raum. Eingepackt in Wolle saß sie auf einer Pritsche, nahm hin und wieder einen Schluck aus dem dampfenden Teeglas, das Martin ihr vorbereitet hatte. Sie sprachen kaum ein Wort miteinander. In den Malpausen setzte sich Martin dicht neben Elisabeth auf das Bettgestell und suchte mit seinem Blick ihr Gesicht ab. Er sagte, dass er nachts Skizzen von ihrem Gesicht aus dem Gedächtnis zeichnen würde, um Elisabeths Art gut in den Griff zu bekommen.
Martin gefiel Elisabeth gut. Er hatte schwarze Haare, die er mit einer verblichenen Schildkappe bedeckte, braune Augen und war sehr mager. Der Atelier- Wohnraum stellte auch ein Bilderlager dar. Manches Gemälde maß die ganze Wandbreite, mehrere Meter. Keine farbigen Arbeiten. Weiß, Schwarz, Grau, ein oder zwei braune Bilder.
Auf einem niedrigen Regal thronte ein altmodisches Telefon, das in einen Brokatmantel gekleidet war. Der Kontrast des Übrigen in der Wohnung zu diesem offensichtlich kostbaren Brokatüberzug war außerordentlich stark. Elisabeth versuchte zu erfahren, ob es sich um einen Witz handelte oder um ein ernst gemeintes Objekt, das dem Raum einen Hauch Vornehmheit hinzufügen sollte.
Elisabeth fuhr täglich mit der Tram in den herrschenden trüben Novembertagen zu Martins Atelier. Sie tranken Kräutertee in den Malpausen auf der Pritsche sitzend. Unter dem Parterrefenster lag Schnee. Kinder veranstalteten Schneeballschlachten, wobei hin und wieder ein Geschoß an die Fensterscheibe knallte. Der schmelzende Schnee erschuf auf dem Glas ein lebendiges Bild. Der Lärm der aufgeregten Kinder der Nachbarschaft war ohrenbetäubend. Nach einer Weile nahm Martin ihr das Teeglas aus den Händen, stellte es auf den Fußboden. Er fasste ihren Kopf mit beiden Händen und küsste sie. Das verwirrte sie, denn sie wusste, dass Martin eine Freundin hatte, Olga, die außerhalb Prags in einem kleinen Dorf nahe der Burg Karlštejn eine alte Villa bewohnte. Beata hatte Elisabeth einmal zu Olga zu Besuch mitgenommen. Olga war eine erfolgreiche Kinderbuchautorin. Martin und Olga konnten noch nicht sehr lange ein Paar gewesen sein, denn Martin hatte noch vor kurzem Elisabeths Nähe gesucht. Er war zu der Zeit einigermale überraschend in Beatas Wohnung aufgetaucht und war zum Essen geblieben.
Beata erwähnte eines Tages Petr Beránek, einen Bildhauer, der mit riesigen Baumstämmen arbeitete, auf einem Dorf unweit Prags in einem Bauernhaus mit seiner Familie lebte und dort arbeitete. Petr würde Elisabeth gerne kennenlernen. Beata schlug Elisabeth vor, Petr Beránek in dem Dorf H. aufzusuchen. Er war bekannt als der Ex- Ehemann der bereits weltberühmten Holzbildhauerin Magdalena J., die mit ihren überdimensionalen Arbeiten schon früh nach ihrer Emigration nach Deutschland erfolgreich geworden war. Sie schlug aus Eichenstämmen Tische und Stühle oder Treppen heraus, sie arbeitete mit Beton, installierte Lichtquellen, gebündelt in öde Landschaften, und schuf damit »Landart«, die die Bildhauerin in die Schublade »Konzeptkünstlerin« einordnete. Fotografien dieser Installationen existierten danach sowohl als ein Archiv als auch als eigenständige Kunstwerke. Petr Beránek, ihr geschiedener Ehemann, blieb bei den Eichenstämmen. Seinen Namen kannte wohl nur ein kleiner Kreis von Leuten in seiner Heimat.
Irgendwann hatten sich seine gigantischen Eichenstammskulpturen in ihrer Wirkung erschöpft, obwohl so gewaltig, und obwohl viele von ihnen auch in der Öffentlichkeit gezeigt worden waren.
– Möchtest du ihn besuchen? Ich fahre gerne mit dir zu ihm. Du kennst ihn sicher noch nicht, aber seine Ex- Frau kennst du. Sie ist weltberühmt geworden und heute lehrt sie in Düsseldorf Bildhauerei. Wenn es dir gefallen würde, könnten wir jetzt gleich fahren, was meinst du, Elisabeth?, fragte Beata.
Das Land zeigt eigenartige Farben. Das Gras an manchen Stellen gelblich, staubig, dann fahlgrün, verblichen. Die Farben der Bäume ebenso in dieser Skala. Das Auge sieht müdes Hellblau, Blassrot, von braun bis gelb und grau gestrichene Hauswände und Mauern, die vielerorts schäbig aussehen.
Und Orange. Aprikosenorange überall: Blumenbeete in den Gärten, Früchte auf den Bäumen, die Wäsche auf der Leine im Wind flatternd, die Röcke der Frauen und die handgestrickten Pullover der Männer.
Struppiges Gras an den Straßenböschungen, kilometerlange, herrliche Baumkolonnen: Nuss- und Apfelbäume, Birnbäume, Pflaumen, Kastanien. Die Alleebäume wachsen überall den Landstraßen entlang, während das Gelände hinter ihnen ein endloser Acker zu sein scheint. Stellenweise leichte Anhöhen, brandige Ebenen, Stoppelfelder und schwarzer Humus, in den Furchen gezogen sind. Auf der welligen Horizontlinie sichtbar einzelne im Winter nackte Laubbäume. Das gepflügte Land verwandelt sich zum Sommeranfang in ein gelbes Rapsmeer oder in einen fettglänzenden Rübenteppich, soweit das Auge reicht. Im Herbst, nach der Rübenernte, auf dem vollkommen ebenen Feld, auf dem nackten Acker, sind die Rüben als haushohe Berge oder als quadratische Massen hier und da aufgetürmt. Traktoren und Lastwagen sollen sie abtransportieren. Das Auge sieht auch in weiten Abständen voneinander gebaute Pyramiden aus Stroh. Das Schweben der heißen Luft. Die vom Nebel verhüllten nahen Berge im Herbst sind dann völlig verschwunden. Im Winter liegen Wiesen und Felder grauweiß vom leichten Schneefall.