Die Bücher der Chronika der drei Schwestern - Johann Karl August Musäus - E-Book

Die Bücher der Chronika der drei Schwestern E-Book

Johann Karl August Musäus

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Beschreibung

"Die Bücher der Chronika der drei Schwestern" - ein Märchen von Musäus mit Illustrationen von Karl Borschke "Ein reicher, reicher Graf vergeudete sein Gut und Habe. Er lebte königlich, hielt alle Tage offne Tafel; wer bei ihm einsprach, Ritter oder Knappe, dem gab er drei Tage lang ein herrliches Bankett, und alle Gäste taumelten mit frohem Mut von ihm hinweg. Er liebte Brettspiel und Würfel; sein Hof wimmelte von goldgelockten Edelknaben, Läufern und Heiducken, in prächtiger Livree, und seine Ställe nährten unzählige Pferde und Jagdhunde. Durch diesen Aufwand zerrannen seine Schätze. Er verpfändete eine Stadt nach der andern, verkaufte seine Juwelen und Silbergeschirr, entließ die Bedienten und erschoss die Hunde; von seinem ganzen Eigentum blieb ihm nichts übrig, als ein altes Waldschloss, eine tugendsame Gemahlin und drei wunderschöne Töchter. ..."

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Die Bücher der Chronika der drei Schwestern

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Die Bücher der Chronika der drei Schwestern

Ein Märchen

Johann Karl August Musäus

Erstes Buch

Ein reicher, reicher Graf vergeudete sein Gut und Habe. Er lebte königlich, hielt alle Tage offne Tafel; wer bei ihm einsprach, Ritter oder Knappe, dem gab er drei Tage lang ein herrliches Bankett, und alle Gäste taumelten mit frohem Mut von ihm hinweg.

Er liebte Brettspiel und Würfel; sein Hof wimmelte von goldgelockten Edelknaben, Läufern und Heiducken, in prächtiger Livree, und seine Ställe nährten unzählige Pferde und Jagdhunde. Durch diesen Aufwand zerrannen seine Schätze. Er verpfändete eine Stadt nach der andern, verkaufte seine Juwelen und Silbergeschirr, entließ die Bedienten und erschoss die Hunde; von seinem ganzen Eigentum blieb ihm nichts übrig, als ein altes Waldschloss, eine tugendsame Gemahlin und drei wunderschöne Töchter.

In diesem Schloss hauste er von aller Welt verlassen, die Gräfin versah mit ihren Töchtern selbst die Küche, und weil sie allerseits der Kochkunst nicht kundig waren, wussten sie nichts als Kartoffeln zu sieden. Diese frugalen Mahlzeiten behagten dem Papa so wenig, dass er grämlich und missmutig wurde, und in dem weiten leeren Hause so lärmte und fluchte, dass die kahlen Wände seinen Unmut widerhallten. An einem schönen Sommermorgen ergriff er aus Spleen seinen Jagdspieß, zog zu Wald, ein Stück Wild zu fällen, um sich eine leckerhafte Mahlzeit davon bereiten zu lassen.

Von diesem Wald ging die Rede, dass es darin nicht geheuer sei; manchen Wandrer hatte es schon irregeführt, und mancher war nie daraus zurückgekehrt, weil ihn entweder böse Gnomen erdrosselt oder wilde Tiere zerrissen hatten.

Der Graf glaubte nichts und fürchtete nichts von unsichtbaren Mächten, er stieg rüstig über Berg und Tal, und kroch durch Busch und Dickicht, ohne eine Beute zu erhaschen. Ermüdet setzte er sich unter einen hohen Eichbaum, nahm einige gesottne Kartoffeln und ein wenig Salz aus der Jagdtasche, um hier sein Mittagsmahl zu halten. Von ungefähr hub er seine Augen auf, siehe da! ein grausam wilder Bär schritt auf ihn zu. –

Der arme Graf erbebte über diesen Anblick, entfliehen konnte er nicht, und zu einer Bärenjagd war er nicht ausgerüstet. Zur Notwehr nahm er den Jägerspieß in die Hand, sich damit zu verteidigen, so gut er konnte. Das Ungetüm kam nah heran; auf einmal stund's und brummte ihm vernehmlich diese Worte entgegen: »Räuber, plünderst du meinen Honigbaum? Den Frevel sollst du mit dem Leben büßen!« »Ach«, bat der Graf, »ach, fresst mich nicht, Herr Bär, mich lüstet nicht nach Eurem Honig, ich bin ein biedrer Rittersmann. Seid Ihr bei Appetit, so nehmt mit Hausmannskost vorlieb und seid mein Gast.« Hierauf tischt er dem Bären alle Kartoffeln in seinem Jagdhut auf. Dieser aber verschmähte des Grafen Tafel und brummte unwillig fort: »Unglücklicher, um diesen Preis lösest du dein Leben nicht; verheiß mir deine große Tochter Wulfild augenblicks zur Frau, wo nicht, so fress ich dich!« In der Angst hätte der Graf dem veramorten Bären wohl alle drei Töchter verheißen, und seine Gemahlin obendrein, wenn er sie verlangt hätte; denn Not kennt kein Gesetz. »Sie soll die Eure sein, Herr Bär«, sprach der Graf, der anfing, sich wieder zu erholen; doch setzte er trüglich hinzu, »unter dem Beding, dass Ihr nach Landes Brauch die Braut löset und selber kommt, sie heimzuführen.« »Top«, murmelte der Bär, »schlag ein«, und reichte ihm die raue Tatze hin, »in sieben Tagen lös ich sie mit einem Zentner Gold und führ mein Liebchen heim.« »Top«, sprach der Graf, »ein Wort ein Mann!« Drauf schieden sie in Frieden auseinander, der Bär trabte seiner Höhle zu, der Graf säumte nicht, aus dem furchtbaren Wald zu kommen, und gelangte bei Sternenschimmer kraftlos und ermattet in seinem Waldschloss an.

Zu wissen ist, dass ein Bär, der wie ein Mensch vernünftig reden und handeln kann, niemals ein natürlicher, sondern ein bezauberter Bär sei. Das merkte der Graf wohl, darum dacht er, den zottigen Eidam durch List zu hintergehen, und sich in seiner festen Burg so zu verpallisidieren, dass es dem Bär unmöglich war, hineinzukommen, wenn er auf den bestimmten Termin die Braut abholen würde. Wenngleich einem Zauberbär, dacht er bei sich, die Gabe der Vernunft und Sprache verliehen ist, so ist er doch gleich wohl ein Bär, und hat übrigens alle Eigenschaften eines natürlichen Bären. Er wird also doch wohl nicht fliegen können, wie ein Vogel; oder durchs Schlüsselloch in ein verschlossenes Zimmer eingehen, wie ein Nachtgespenst; oder durch ein Nadelöhr schlüpfen. Den folgenden Tag berichtete er seiner Gemahlin und den Fräuleins das Abenteuer im Wald. Fräulein Wulfild fiel vor Entsetzen in Ohnmacht, als sie hörte, dass sie an einen scheußlichen Bär vermählt werden sollte, die Mutter rang und wand die Hände und jammerte laut, und die Schwestern bebten und bangten vor Wehmut und Entsetzen. Papa aber ging hinaus, beschaute die Mauren und Graben ums Schloss her, untersuchte, ob das eiserne Tor schloss- und riegelfest sei, zog die Zugbrücke auf und verwahrte alle Zugänge wohl, stieg darauf auf die Warte, und fand da ein Kämmerlein hochgebaut unter der Zinne und wohlvermauert, darin verschloss er das Fräulein, die ihr seidenes Flachshaar zerraufte, und schier die himmelblauen Augen ausweinte.

 Sechs Tage waren verflossen und der siebente dämmerte heran, da erhob sich vom Wald her groß Getöse, als sei das wilde Heer im Anzuge. Peitschen knallten, Posthörner schallten, Pferde trappelten, Räder rasselten. Eine prächtige Staatskarosse mit Reitern umringt rollte übers Blachfeld daher ans Schlosstor. Alle Riegel schoben sich, das Tor rauschte auf, die Zugbrücke fiel, ein junger Prinz stieg aus der Karosse, schön wie der Tag, angetan mit Samt und Silberstück, um seinen Hals hatte er eine goldene Kette dreimal geschlungen, in der ein Mann aufrecht stehen konnte, um seinen Hut lief eine Schnur von Perlen und Diamanten, welche die Augen verblendete, und um die Agraffe, welche die Straußfeder trug, wär ein Herzogtum feil gewesen. Rasch, wie Sturm und Wirbelwind, flog er die Schneckentreppe im Turm hinauf, und einen Augenblick nachher bebte in seinem Arm die erschrockene Braut herab.

Über dem Getöse erwachte der Graf aus seinem Morgenschlummer, schob das Fenster im Schlafgemach auf, und als er Ross und Wagen, und Ritter und Reisige im Hofe erblickte, und seine Tochter im Arm eines fremden Mannes, der sie in den Brautwagen hob, und nun der Zug zum Schlosstor hinausging, fuhr's ihm durchs Herz, und er erhob groß Klaggeschrei: »Ade, mein Töchterlein! Fahr hin, du Bärenbraut!« Wulfild vernahm die Stimme ihres Vaters, ließ ihr Schweißtüchlein zum Wagen herauswehen, und gab damit das Zeichen des Abschieds.