Die Büchse der Pandora - Frank Wedekind - E-Book

Die Büchse der Pandora E-Book

Frank Wedekind

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Beschreibung

Viele Männer liegen der intelligenten und gutaussehenden Lulu zu Füßen. Doch ihre zahlreihen Liebesbeziehungen bergen Gefahren für ihre gesellschaftliche Stellung. Neid und Eifersucht drohen ihr zum Verhängnis zu werden. »Die Büchse der Pandora« von Frank Wedekind aus dem Jahr 1902 enthält eine umfassende Kritik an den moralischen Vorstellungen des Wilhelminischen Zeitalters. Zu Recht ging Wedekind davon aus, dass die staatliche Zensur an dem Bühnenstück heftigen Anstoß nehmen würde. Um möglichst große Teile des Textes zu bewahren, setzte Wedekind zum einen auf umfassende Verschlüsselung und Symbolik. Zum anderen sind einige der gefährdeten Inhalte in englischen und französischen Textpassagen enthalten.

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Die Büchse der Pandora

TitelseitePersonen:Prolog in der BuchhandlungErster AufzugZweiter AufzugDritter AufzugImpressum

Frank Wedekind

Die Büchse der Pandora

Tragödie in drei Aufzügen

Nach dem Wortlaut der Erstausgabe

Personen:

Lulu

Alwa Schön, Schriftsteller

Rodrigo Quast, Athlet

Schigolch

Alfred Hugenberg, Zögling einer Korrektionsanstalt

Die Gräfin Geschwitz

Graf Casti-Piani

Bankier Puntschu

Journalist Heilmann

Madelaine de Marelle

Kadéga di Santa Croce, ihre Tochter

Bianetta Gazil

Ludmilla Steinherz

Armande, Zimmermädchen

Bob, Liftjunge

Ein Polizeikommissär

Mr. Hopkins

Kungu Poti, kaiserlicher Prinz von Uahube

Dr. Hilti, Privatdozent

Jack

Der erste Akt spielt in einer deutschen Großstadt, der zweite in Paris, der dritte in London.

Prolog in der Buchhandlung

Nach dem Wortlaut der »Gesammelten Werke« (1913)

Personen:

Der normale LeserDer rührige VerlegerDer verschämte AutorDer hohe Staatsanwalt

Der Prolog kann in entsprechenden Überkleidern und Kopfbedeckungen von den Darstellern des Rodrigo, des Casti-Piani, des Alwa und des Schigolch gesprochen werden. Rodrigo in hellem Sommerüberzieher und Lodenhütchen, Casti-Piani in Schlafrock und Samtkäppchen, Alwa in Havelock und Schlapphut, Schigolch in Talar und Barett.

Szenerie: Ein Zwischenvorhang, ein primitives Büchergestell.

Der normale Leser

schwankt herein

Ich möchte gern ein Buch bei Ihnen kaufen.

Was drin steht, ist mir gänzlich einerlei.

Der Mensch lebt, heißt es, nicht allein vom Saufen.

Auch wünsch' ich dringend, daß es billig sei.

Die älteste Tochter will ich zum Gedenken

Der ersten Kommunion damit beschenken.

Der rührige Verleger

Da kann ich Ihnen warm ein Buch empfehlen,

Bei dem das Herz des Menschen höher schlägt.

Heut lesen es schon fünf Millionen Seelen,

Und morgen wird's von neuem aufgelegt.

Für jeden bleibt's ein dauernder Gewinn,

Steht doch für niemand etwas Neues drin.

Der verschämte Autor

schleicht herein

Ein Buch möcht' ich bei Ihnen drucken lassen;

Zehn Jahre meines Lebens schrieb ich dran.

Das Weltall hofft' ich brünstig zu umfassen

Und hab's kaum richtig mit dem Weib getan.

Was lernend ich dabei als wahr empfand,

Hab' ich in schlottrig schöne Form gebannt.

Der hohe Staatsanwalt

stürmt herein

Ich muß ein Buch bei Ihnen konfiszieren,

Vor dem die Haare mir zu Berge stehn.

Erst sah den Kerl man alle Scham verlieren,

Nun läßt er öffentlich für Geld sich sehn.

Drum werden wir ihn nach dem Paragraphen

Einhundertvierundachtzig streng bestrafen.

Der verschämte Autor

lächelnd

Mich strafen? Nein! Des Schaffens Götterfreuden

Raubt mir auch nicht die härteste Strafe mehr.

Wer sträubt sich jemals, für sein Kind zu leiden?

An solchem Glück läßt dein Beruf dich leer.

Mich kannst du foltern, würgen, schinden, henken,

Mein Werk wird das an keinem Worte kränken!

Der hohe Staatsanwalt

Dir schwör' ich's zu, daß du mit frechen Witzen

Nicht länger der Verdammnis Opfer wirbst.

Normale Leser muß ich davor schützen.

Daß du sie grinsend bis ins Mark verdirbst.

Zwei Jahr Gefängnis sind dein sichrer Lohn;

Für Ehrverlust sorgst du ja selber schon.

Der normale Leser

Jetzt möcht' ich stracks mein Buch bei Ihnen kaufen.

Ich finde dies Betragen unerhört.

Laß ich die eignen Kinder christlich taufen,

Damit mich Hunger umbringt, Durst verzehrt?

Wenn ihr die Zänkerei nicht bald beendet,

Dann wird das Geld auf Eierpunsch verwendet.

Der hohe Staatsanwalt

schließt ihn in die Arme,

worauf der normale Leser in Tränen ausbricht

Bejammernswürdiges Opfer! Abgetötet

In deinem Busen starb die heilige Scheu.

Ward diesem Wicht nur erst sein Maul verlötet,

Dann keimen Zucht und Frömmigkeit aufs neu.

Zwei Jahr Gefängnis! Ich behaupte dreist,

Daß er dann ewig keinen Witz mehr reißt.

Der verschämte Autor

Wie sollte mich wohl ein Gerichtshof schrecken!

Wer weiß, ob mir nicht gar sein Eifer nützt,

Die Schwächen meines Schauspiels aufzudecken,

So wahr, wie echte Kunst sich selbst beschützt.

Ich bin's gewiß: Man kann sich nicht entbrechen,

Von jeder Schuld mich freundlich freizusprechen.

Der hohe Staatsanwalt

Spricht man dich frei – womit uns Gott verschone! –

Noch selbigen Tags leg' ich Berufung ein.

Nicht jeder Richter trägt der Weisheit Krone,

Um so verständiger wird ein nächster sein.

Und zeigt auch der sich für den Autor sanft,

Dein Schauspiel sicherlich wird eingestampft.

Der verschämte Autor

Dann laß ich es zum zweiten Male drucken,

Und zwar in ernsterer, edlerer Gestalt,

Nicht mehr im Gaunerwelsch der Mamelucken,

Im klarsten Deutsch und ohne Hinterhalt.

Ich bin's gewiß: Dann muß es ihm gelingen,

Sich unbehelligt selber durchzuringen.

Der hohe Staatsanwalt

Grundgütiger Galgen! Dann fehlt nichts auf Erden,

Als daß dies Stück noch auf die Bühne kommt.

Doch vorher soll es so geläutert werden,

Daß es dir nicht mehr zur Reklame frommt.

Der Weg für deinen giftgen Höllenkrater

Führt über meinen Leichnam zum Theater.

Der verschämte Autor

Was schiert mich das Theater! Unsere kühne

Tagtäglichkeit erreicht's bekanntlich nie.

Das menschliche Gehirn sei meine Bühne,

Mein Lieblingsregisseur die Phantasie.

Zum hohen Staatsanwalt

Und dir wird nichts Geringres übrigbleiben,

Als selbst mir den Prolog dafür zu schreiben.

Der rührige Verleger

sich zwischen beide drängend

Prolog ist herrlich! Druckt ihn eine Zeitung,

Dann sind wir schon so gut wie aufgeführt.

Nun sorg' ich hurtig für des Buchs Verbreitung,

Prospekte werden schleunigst expediert.

Und eh' das Publikum noch Platz genommen,

Bin ich gewiß, daß keine Krebse kommen.

Der normale Leser

gleichfalls die Mitte nehmend

Dann pflanz' ich breit mich in die erste Reihe

Mit meinem Freibillett und schnarche laut.

Das ahnt kein Mensch, wie ich mich dran erfreue,

Wenn so wer Schnitzler oder Shakespeare kaut.

Ist's nicht genug, daß christlich ich verzeihe

Und niemand merkt, wie sehr mir davor graut?

Chorus:

Der hohe Staatsanwalt

hält den Arm um den normalen Leser geschlungen

So pflegen wir gemeinsam das Gehege

Dramatischer Dichtung mit verteilter Kraft.

Der normale Leser

Wenn ich auch meinen Wanst am liebsten pflege,

Mir fehlt doch nie die große Leidenschaft.

Der rührige Verleger

hält den Arm um den verschämten Autor geschlungen

Ich freue mich, wenn sich die Menschen freuen,

Am ehrlichsten am Funkelnagelneuen.

Der verschämte Autor

Wenn's not tut, geb' ich meine Freiheit hin

Für dich, o Muse, meine Herrscherin.

Erster Aufzug

Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond aus geschnitztem Eichenholz. Die Wände sind bis zur halben Höhe mit dunklen Holzskulpturen bekleidet; darüber an beiden Seiten verblaßte Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der rechts eine monumentale Treppe bis zur halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie befindet sich die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der linken Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin, weiter vorne ein Balkonfenster mit geschlossenen schweren Gardinen; an der rechten Seitenwand vor dem Treppenfuß eine geschlossene Portière.

Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers steht eine leere dekorative Staffelei; rechts vorne befindet sich eine breite Ottomane, in der Mitte des Saales ein vierkantiger Tisch, um den drei hochlehnige Polstersessel stehen. Links vorn ein kleiner Serviertisch, daneben ein Lehnsessel. Der Saal ist durch eine auf dem Mitteltisch stehende, tiefverschleierte Petroleumlampe matt erhellt. Alwa Schön geht vor der Eingangstür auf und nieder. Auf der Ottomane sitzt Rodrigo, als Bedienter gekleidet. Links in dem Lehnsessel, in schwarzem enganliegenden Kleid, tief in Kissen gebettet, einen Plaid über den Knien, sitzt die Gräfin Geschwitz. Neben ihr auf dem Tisch steht eine Kaffeemaschine und eine Tasse mit schwarzem Kaffee.

RodrigoEr läßt auf sich warten wie ein Konzertmeister!

Die GeschwitzIch beschwöre Sie, sprechen Sie nicht!

RodrigoEs soll einer die Klappe halten, wenn er den Kopf so voll Gedanken hat wie ich! – Es will mir ganz und gar nicht einleuchten, daß sie sich dabei sogar noch zu ihrem Vorteil verändert haben soll!

Die GeschwitzSie ist herrlicher anzuschauen, als ich sie je gekannt habe!

RodrigoBehüte mich der Himmel davor, daß ich mein Lebensglück auf Ihre Geschmacksrichtungen gründe! Wenn ihr die Krankheit ebenso gut angeschlagen hat wie Ihnen, dann bin ich pleite! Sie verlassen die Isolierbaracke wie eine verunglückte Kautschukdame, die sich aufs Kunsthungern geworfen hat. Sie können sich kaum mehr die Nase schneuzen. Erst brauchen Sie eine Viertelstunde, um Ihre Finger zu sortieren, und dann bedarf es der größten Vorsicht, damit Sie die Spitze nicht abbrechen.

Die GeschwitzWas uns unter die Erde bringt, gibt ihr Kraft und Gesundheit wieder.

RodrigoDas ist alles schön und gut. Ich werde aber doch vermutlich heute abend noch nicht mitfahren.

Die GeschwitzSie wollen Ihre Braut am Ende gar allein reisen lassen?

RodrigoErstens fährt doch der Alte mit, um sie im Ernstfalle zu verteidigen. Meine Begleitung kann sie nur verdächtigen. Und zweitens muß ich hier noch abwarten, bis meine Kostüme fertig sind. – Ich komme immer noch früh genug nach Paris. Hoffentlich legt sie sich derweil auch noch etwas Embonpoint zu. Dann wird geheiratet, vorausgesetzt, daß ich sie vor einem anständigen Publikum produzieren kann. Ich liebe an einer Frau das Praktische; welche Theorien sich die Weiber machen, ist mir vollkommen egal. Ihnen nicht auch, Herr Doktor?

AlwaIch habe nicht gehört, was Sie sagten.

RodrigoIch hätte meine Person gar nicht in das Komplott verwickelt, wenn sie mir nicht vor ihrer Verurteilung schon immer die Plauze gekitzelt hätte. Wenn sie sich in Paris nur nicht gleich wieder zuviel Bewegung macht! Wenn ich nicht in die »Folies Bergère« engagiert wäre, nähme ich sie auf ein halbes Jahr mit nach London und ließe sie Plumkakes futtern. In London geht man schon allein durch die Seeluft auf. Außerdem fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier immer gleich die Schicksalshand an der Gurgel.

AlwaIch frage mich seit acht Tagen, ob sich jemand, der zu Zuchthausstrafe verurteilt war, wohl noch zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde.

Die GeschwitzKäme der Mensch nur endlich mal!

RodrigoIch muß hier auch meine Requisiten noch aus dem Pfandleihhaus auslösen; sechshundert Kilo vom besten Eisen. Der Transport kostet mich immer dreimal mehr als mein eigenes Billett. Dabei ist die ganze Ausrüstung keinen Hosenknopf wert. Als ich schweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten sie mich, ob die Sachen auch echt seien. – Die Kostüme hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen lassen sollen. Der Pariser zum Beispiel merkt auf den ersten Blick, wo man seine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer drauflos. Aber das lernt sich nicht mit untergeschlagenen Beinen; das will an klassisch gebildeten Menschen studiert sein. Hier haben sie eine Angst vor der bloßen Haut wie in Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe verknallt, wie man sah, daß ich ein paar Haare auf der Brust habe, nicht so viel wie zu einer anständigen Zahnbürste nötig sind. Aber der Kultusminister meinte, die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude am Strümpfestricken verlieren. Seitdem lasse ich mich jeden Monat einmal rasieren.

AlwaWenn ich jetzt nicht meine ganze geistige Spannkraft zu dem »Weltbeherrscher« nötig hätte, möchte ich das Problem wohl auf seine Tragfähigkeit erproben. Das ist der Fluch, der auf unserer jungen deutschen Literatur lastet, daß wir Dichter viel zu literarisch sind. Wir kennen keine anderen Fragen und Probleme als solche, die unter Schriftstellern und Gelehrten auftauchen. Unser Gesichtskreis reicht über die Grenzen unserer Zunftinteressen nicht hinaus. Um wieder auf die Fährte einer großen gewaltigen Kunst zu gelangen, müßten wir uns möglichst viel unter Menschen bewegen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben, denen die einfachsten animalischen Instinkte bei ihren Handlungen maßgebend sind. In meinem »Totentanz« habe ich schon aus voller Kraft nach diesen Prinzipien zu arbeiten gesucht. Das Weib, das mir zu der Hauptfigur des Stückes Modell stehen mußte, atmet heute seit einem vollen Jahr hinter vergitterten Fenstern. Dafür wurde das Drama sonderbarerweise allerdings auch nur von der freien literarischen Gesellschaft zur Aufführung gebracht. Solange mein Vater noch lebte, standen meinen Schöpfungen sämtliche Bühnen Deutschlands offen. Das hat sich gewaltig geändert.

Rodrigo