Die Büchse der Pandora: Tragödie in drei Aufzügen - Frank Wedekind - E-Book

Die Büchse der Pandora: Tragödie in drei Aufzügen E-Book

Frank Wedekind

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Büchse der Pandora: Tragödie in drei Aufzügen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Die Büchse der Pandora ist eine Tragödie in drei Aufzügen von Frank Wedekind. Sie ist die Fortsetzung von Wedekinds Tragödie Erdgeist. Der Titel Die Büchse der Pandora stellt, und dies gilt insbesondere für die moritatenhafte Urfassung Die Büchse der Pandora. Eine Monstretragödie, eine Anspielung auf das Gefäß aus der griechischen Mythologie dar, auf die sagenhafte Büchse der Pandora. Zugleich trägt der Titel einen erotischen Subtext in sich, und dies in doppelter Hinsicht. Die Büchse, die Pandora selbst angeblich aus Neugier öffnete, und aus der das Böse der Welt hervortritt, ist durchaus als ihre Gebärmutter zu interpretieren, als Ort erster Kinder- und Mutterliebe. Das Drama ist eine psychologische Deutung von menschlichen Beziehungen. Wedekinds offene Darstellung der Triebgebundenheit des Menschen zielte auf eine Enttabuisierung der Sexualität und auf eine Öffnung der verfestigten Moralvorstellungen des Wilhelminischen Zeitalters und seiner gesellschaftlichen Konventionen, die die menschliche Natur in dieser Hinsicht völlig verleugneten. Der obszöne Beiklang des Titels verweist auch auf die Vagina, das "Zentrum von Begierde und sexueller Lust", also auf den Körperteil der Frau, den die Figur Schigolch im 2. Aufzug als "Lulus Hönigtöpfchen" beschreibt und der am Ende Gegenstand der bestialischen Schändung Lulus durch den Frauenmörder Jack the Ripper ist. Frank Wedekind (1864-1918) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler. Mit seinen gesellschaftskritischen Theaterstücken gehörte er zu den meistgespielten Dramatikern seiner Epoche.

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Frank Wedekind

Die Büchse der Pandora: Tragödie in drei Aufzügen

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-1773-4

Inhaltsverzeichnis

Prolog in der Buchhandlung
Erster Aufzug
Zweiter Aufzug
Dritter Aufzug

Personen:

Lulu Alwa Schön,

Schriftsteller

Rodrigo Quast,

Athlet

Schigolch Alfred Hugenberg,

Zögling einer Korrektionsanstalt

Die Gräfin Geschwitz

Graf

Casti-Piani

Bankier

Puntschu

Journalist

Heilmann Madelaine de Marelle Kadéga di Santa Croce,

ihre Tochter

Bianetta Gazil Ludmilla Steinherz Armande,

Zimmermädchen

Bob,

Liftjunge

Ein Polizeikommissär Mr. Hopkins Kungu Poti,

kaiserlicher Prinz von Uahube

Dr. Hilti,

Privatdozent

Jack

Prolog in der Buchhandlung

Inhaltsverzeichnis

Nach dem Wortlaut der »Gesammelten Werke« (1913)

Personen:

Der normale Leser Der rührige Verleger Der verschämte Autor Der hohe Staatsanwalt

Der Prolog kann in entsprechenden Überkleidern und Kopfbedeckungen von den Darstellern des Rodrigo, des Casti-Piani, des Alwa und des Schigolch gesprochen werden. Rodrigo in hellem Sommerüberzieher und Lodenhütchen, Casti-Piani in Schlafrock und Samtkäppchen, Alwa in Havelock und Schlapphut, Schigolch in Talar und Barett.

Szenerie: Ein Zwischenvorhang, ein primitives Büchergestell.

Der normale Leserschwankt herein

Ich möchte gern ein Buch bei Ihnen kaufen. Was drin steht, ist mir gänzlich einerlei. Der Mensch lebt, heißt es, nicht allein vom Saufen. Auch wünsch' ich dringend, daß es billig sei. Die älteste Tochter will ich zum Gedenken Der ersten Kommunion damit beschenken.

Der rührige Verleger

Da kann ich Ihnen warm ein Buch empfehlen, Bei dem das Herz des Menschen höher schlägt. Heut lesen es schon fünf Millionen Seelen, Und morgen wird's von neuem aufgelegt. Für jeden bleibt's ein dauernder Gewinn, Steht doch für niemand etwas Neues drin.

Der verschämte Autorschleicht herein

Ein Buch möcht' ich bei Ihnen drucken lassen; Zehn Jahre meines Lebens schrieb ich dran. Das Weltall hofft' ich brünstig zu umfassen Und hab's kaum richtig mit dem Weib getan. Was lernend ich dabei als wahr empfand, Hab' ich in schlottrig schöne Form gebannt.

Der hohe Staatsanwaltstürmt herein

Ich muß ein Buch bei Ihnen konfiszieren, Vor dem die Haare mir zu Berge stehn. Erst sah den Kerl man alle Scham verlieren, Nun läßt er öffentlich für Geld sich sehn. Drum werden wir ihn nach dem Paragraphen Einhundertvierundachtzig streng bestrafen.

Der verschämte Autorlächelnd

Mich strafen? Nein! Des Schaffens Götterfreuden Raubt mir auch nicht die härteste Strafe mehr. Wer sträubt sich jemals, für sein Kind zu leiden? An solchem Glück läßt dein Beruf dich leer. Mich kannst du foltern, würgen, schinden, henken, Mein Werk wird das an keinem Worte kränken!

Der hohe Staatsanwalt

Dir schwör' ich's zu, daß du mit frechen Witzen Nicht länger der Verdammnis Opfer wirbst. Normale Leser muß ich davor schützen. Daß du sie grinsend bis ins Mark verdirbst. Zwei Jahr Gefängnis sind dein sichrer Lohn; Für Ehrverlust sorgst du ja selber schon.

Der normale Leser

Jetzt möcht' ich stracks mein Buch bei Ihnen kaufen. Ich finde dies Betragen unerhört. Laß ich die eignen Kinder christlich taufen, Damit mich Hunger umbringt, Durst verzehrt? Wenn ihr die Zänkerei nicht bald beendet, Dann wird das Geld auf Eierpunsch verwendet.

Der hohe Staatsanwaltschließt ihn in die Arme, worauf der normale Leser in Tränen ausbricht

Bejammernswürdiges Opfer! Abgetötet In deinem Busen starb die heilige Scheu. Ward diesem Wicht nur erst sein Maul verlötet, Dann keimen Zucht und Frömmigkeit aufs neu. Zwei Jahr Gefängnis! Ich behaupte dreist, Daß er dann ewig keinen Witz mehr reißt.

Der verschämte Autor

Wie sollte mich wohl ein Gerichtshof schrecken! Wer weiß, ob mir nicht gar sein Eifer nützt, Die Schwächen meines Schauspiels aufzudecken, So wahr, wie echte Kunst sich selbst beschützt. Ich bin's gewiß: Man kann sich nicht entbrechen, Von jeder Schuld mich freundlich freizusprechen.

Der hohe Staatsanwalt

Spricht man dich frei – womit uns Gott verschone! – Noch selbigen Tags leg' ich Berufung ein. Nicht jeder Richter trägt der Weisheit Krone, Um so verständiger wird ein nächster sein. Und zeigt auch der sich für den Autor sanft, Dein Schauspiel sicherlich wird eingestampft.

Der verschämte Autor

Dann laß ich es zum zweiten Male drucken, Und zwar in ernsterer, edlerer Gestalt, Nicht mehr im Gaunerwelsch der Mamelucken, Im klarsten Deutsch und ohne Hinterhalt. Ich bin's gewiß: Dann muß es ihm gelingen, Sich unbehelligt selber durchzuringen.

Der hohe Staatsanwalt

Grundgütiger Galgen! Dann fehlt nichts auf Erden, Als daß dies Stück noch auf die Bühne kommt. Doch vorher soll es so geläutert werden, Daß es dir nicht mehr zur Reklame frommt. Der Weg für deinen giftgen Höllenkrater Führt über meinen Leichnam zum Theater.

Der verschämte Autor

Was schiert mich das Theater! Unsere kühne Tagtäglichkeit erreicht's bekanntlich nie. Das menschliche Gehirn sei meine Bühne, Mein Lieblingsregisseur die Phantasie.

Zum hohen Staatsanwalt

Und dir wird nichts Geringres übrigbleiben, Als selbst mir den Prolog dafür zu schreiben.

Der rührige Verlegersich zwischen beide drängend

Prolog ist herrlich! Druckt ihn eine Zeitung, Dann sind wir schon so gut wie aufgeführt. Nun sorg' ich hurtig für des Buchs Verbreitung, Prospekte werden schleunigst expediert. Und eh' das Publikum noch Platz genommen, Bin ich gewiß, daß keine Krebse kommen.

Der normale Lesergleichfalls die Mitte nehmend

Dann pflanz' ich breit mich in die erste Reihe Mit meinem Freibillett und schnarche laut. Das ahnt kein Mensch, wie ich mich dran erfreue, Wenn so wer Schnitzler oder Shakespeare kaut. Ist's nicht genug, daß christlich ich verzeihe Und niemand merkt, wie sehr mir davor graut?

Chorus:Der hohe Staatsanwalthält den Arm um den normalen Leser geschlungen

So pflegen wir gemeinsam das Gehege Dramatischer Dichtung mit verteilter Kraft.

Der normale Leser

Wenn ich auch meinen Wanst am liebsten pflege,

Erster Aufzug

Inhaltsverzeichnis

Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond aus geschnitztem Eichenholz. Die Wände sind bis zur halben Höhe mit dunklen Holzskulpturen bekleidet; darüber an beiden Seiten verblaßte Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der rechts eine monumentale Treppe bis zur halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie befindet sich die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der linken Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin, weiter vorne ein Balkonfenster mit geschlossenen schweren Gardinen; an der rechten Seitenwand vor dem Treppenfuß eine geschlossene Portière.

Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers steht eine leere dekorative Staffelei; rechts vorne befindet sich eine breite Ottomane, in der Mitte des Saales ein vierkantiger Tisch, um den drei hochlehnige Polstersessel stehen. Links vorn ein kleiner Serviertisch, daneben ein Lehnsessel. Der Saal ist durch eine auf dem Mitteltisch stehende, tiefverschleierte Petroleumlampe matt erhellt. Alwa Schön geht vor der Eingangstür auf und nieder. Auf der Ottomane sitzt Rodrigo, als Bedienter gekleidet. Links in dem Lehnsessel, in schwarzem enganliegenden Kleid, tief in Kissen gebettet, einen Plaid über den Knien, sitzt die Gräfin Geschwitz. Neben ihr auf dem Tisch steht eine Kaffeemaschine und eine Tasse mit schwarzem Kaffee.

Rodrigo Er läßt auf sich warten wie ein Konzertmeister!

Die Geschwitz Ich beschwöre Sie, sprechen Sie nicht!

Rodrigo Es soll einer die Klappe halten, wenn er den Kopf so voll Gedanken hat wie ich! – Es will mir ganz und gar nicht einleuchten, daß sie sich dabei sogar noch zu ihrem Vorteil verändert haben soll!

Die Geschwitz Sie ist herrlicher anzuschauen, als ich sie je gekannt habe!

Rodrigo Behüte mich der Himmel davor, daß ich mein Lebensglück auf Ihre Geschmacksrichtungen gründe! Wenn ihr die Krankheit ebenso gut angeschlagen hat wie Ihnen, dann bin ich pleite! Sie verlassen die Isolierbaracke wie eine verunglückte Kautschukdame, die sich aufs Kunsthungern geworfen hat. Sie können sich kaum mehr die Nase schneuzen. Erst brauchen Sie eine Viertelstunde, um Ihre Finger zu sortieren, und dann bedarf es der größten Vorsicht, damit Sie die Spitze nicht abbrechen.

Die Geschwitz Was uns unter die Erde bringt, gibt ihr Kraft und Gesundheit wieder.

Rodrigo Das ist alles schön und gut. Ich werde aber doch vermutlich heute abend noch nicht mitfahren.

Die Geschwitz Sie wollen Ihre Braut am Ende gar allein reisen lassen?

Rodrigo Erstens fährt doch der Alte mit, um sie im Ernstfalle zu verteidigen. Meine Begleitung kann sie nur verdächtigen. Und zweitens muß ich hier noch abwarten, bis meine Kostüme fertig sind. – Ich komme immer noch früh genug nach Paris. Hoffentlich legt sie sich derweil auch noch etwas Embonpoint zu. Dann wird geheiratet, vorausgesetzt, daß ich sie vor einem anständigen Publikum produzieren kann. Ich liebe an einer Frau das Praktische; welche Theorien sich die Weiber machen, ist mir vollkommen egal. Ihnen nicht auch, Herr Doktor?

Alwa Ich habe nicht gehört, was Sie sagten.

Rodrigo Ich hätte meine Person gar nicht in das Komplott verwickelt, wenn sie mir nicht vor ihrer Verurteilung schon immer die Plauze gekitzelt hätte. Wenn sie sich in Paris nur nicht gleich wieder zuviel Bewegung macht! Wenn ich nicht in die »Folies Bergère« engagiert wäre, nähme ich sie auf ein halbes Jahr mit nach London und ließe sie Plumkakes futtern. In London geht man schon allein durch die Seeluft auf. Außerdem fühlt man in London auch nicht bei jedem Schluck Bier immer gleich die Schicksalshand an der Gurgel.

Alwa Ich frage mich seit acht Tagen, ob sich jemand, der zu Zuchthausstrafe verurteilt war, wohl noch zur Hauptfigur in einem modernen Drama eignen würde.

Die Geschwitz Käme der Mensch nur endlich mal!

Rodrigo Ich muß hier auch meine Requisiten noch aus dem Pfandleihhaus auslösen; sechshundert Kilo vom besten Eisen. Der Transport kostet mich immer dreimal mehr als mein eigenes Billett. Dabei ist die ganze Ausrüstung keinen Hosenknopf wert. Als ich schweißtriefend damit im Pfandhaus ankam, fragten sie mich, ob die Sachen auch echt seien. – Die Kostüme hätte ich mir eigentlich richtiger in Paris anfertigen lassen sollen. Der Pariser zum Beispiel merkt auf den ersten Blick, wo man seine Vorzüge hat. Da dekolletiert er tapfer drauflos. Aber das lernt sich nicht mit untergeschlagenen Beinen; das will an klassisch gebildeten Menschen studiert sein. Hier haben sie eine Angst vor der bloßen Haut wie in Paris vor den Dynamitbomben. Vor zwei Jahren wurde ich im Alhambra-Theater zu fünfzig Mark Strafe verknallt, wie man sah, daß ich ein paar Haare auf der Brust habe, nicht so viel wie zu einer anständigen Zahnbürste nötig sind. Aber der Kultusminister meinte, die kleinen Schulmädchen könnten darüber die Freude am Strümpfestricken verlieren. Seitdem lasse ich mich jeden Monat einmal rasieren.

Alwa Wenn ich jetzt nicht meine ganze geistige Spannkraft zu dem »Weltbeherrscher« nötig hätte, möchte ich das Problem wohl auf seine Tragfähigkeit erproben. Das ist der Fluch, der auf unserer jungen deutschen Literatur lastet, daß wir Dichter viel zu literarisch sind. Wir kennen keine anderen Fragen und Probleme als solche, die unter Schriftstellern und Gelehrten auftauchen. Unser Gesichtskreis reicht über die Grenzen unserer Zunftinteressen nicht hinaus. Um wieder auf die Fährte einer großen gewaltigen Kunst zu gelangen, müßten wir uns möglichst viel unter Menschen bewegen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben, denen die einfachsten animalischen Instinkte bei ihren Handlungen maßgebend sind. In meinem »Totentanz« habe ich schon aus voller Kraft nach diesen Prinzipien zu arbeiten gesucht. Das Weib, das mir zu der Hauptfigur des Stückes Modell stehen mußte, atmet heute seit einem vollen Jahr hinter vergitterten Fenstern. Dafür wurde das Drama sonderbarerweise allerdings auch nur von der freien literarischen Gesellschaft zur Aufführung gebracht. Solange mein Vater noch lebte, standen meinen Schöpfungen sämtliche Bühnen Deutschlands offen. Das hat sich gewaltig geändert.

Rodrigo Ich habe mir Trikots im zartesten Blau-Grün anfertigen lassen. Wenn die im Ausland keinen Sukzeß haben, dann will ich Mausefallen verkaufen. Die Trußhöschen sind so graziös, daß ich mich damit auf keine Tischkante setzen kann. Der vorteilhafte Eindruck wird nur durch meine fürchterliche Plauze gestört, die ich meiner tätigen Mitwirkung in dieser großartigen Verschwörung zu danken habe. Bei gesunden Gliedern drei Monate lang im Krankenhaus liegen, das muß den heruntergekommensten Landstreicher zum Mastschwein machen. Seit ich heraus bin, futtere ich nichts als Karlsbader Pastillen; Tag und Nacht habe ich Orchesterprobe in den Gedärmen. Bis ich nach Paris komme, werde ich so ausgeschwemmt sein, daß ich keinen Flaschenstöpsel mehr hochheben kann.

Die Geschwitz