Die Chronik der Sperlingsgasse - Wilhelm Raabe - E-Book

Die Chronik der Sperlingsgasse E-Book

Wilhelm Raabe

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Beschreibung

In "Die Chronik der Sperlingsgasse" entfaltet Wilhelm Raabe ein lebendiges Panorama des Alltagslebens im deutschen Kleinbürgertum des 19. Jahrhunderts. Durch seinen charakteristischen, detailreichen Erzählstil und die meisterhafte Charakterzeichnung schafft Raabe eine Atmosphäre, die den Leser in die beschaulichen, jedoch oft konfliktbeladenen Geschichten der Anwohner der Sperlingsgasse eintauchen lässt. Der Roman thematisiert die Wechselwirkungen zwischen Individuen und ihrem sozialen Umfeld, während er auch kritische gesellschaftliche Fragen aufwirft und einen Blick auf die moralischen Dilemmata wirft, mit denen die Protagonisten konfrontiert sind. Wilhelm Raabe, geboren 1831 in Langenberg, war ein herausragender deutscher Schriftsteller der Realismus-Epoche, der für seine tiefgründigen und nuancierten Darstellungen des deutschen Lebens bekannt ist. Sein persönlicher Hintergrund und seine vielfältigen Erfahrungen im Bildungswesen und Journalismus prägten seinen Blick auf die Gesellschaft und die Herausforderungen, mit denen die Menschen zu kämpfen hatten. Raabes scharfer Verstand und seine Empathie für die einfachen Leute spiegeln sich in der authentischen Schilderung der Lebensumstände und Emotionen seiner Figuren wider. Dieses Buch ist eine fesselnde Lektüre für alle, die sich für die Herausforderungen und Freuden des Alltagslebens im Geschichte interessieren. Raabes Geschick, den Leser mit seinen lebendigen Beschreibungen und tiefgründigen Beobachtungen zu fesseln, macht "Die Chronik der Sperlingsgasse" zu einem zeitlosen Werk, das sowohl literarische als auch gesellschaftliche Relevanz besitzt. Es ist eine Einladung, im Mikrokosmos der Sperlingsgasse die Komplexität menschlicher Beziehungen und die Suche nach einem Platz in der Gesellschaft zu erkunden. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Wilhelm Raabe

Die Chronik der Sperlingsgasse

Bereicherte Ausgabe. Die Geschichte der Menschen der Berliner Sperlingsgasse
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547673651

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Die Chronik der Sperlingsgasse
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Zwischen der flüchtigen Geschäftigkeit einer Großstadtgasse und dem beharrlichen Versuch, dem Unscheinbaren Dauer zu verleihen, entfaltet sich eine stille Spannung, in der das Festhalten von Augenblicken, Gesichtern und Gesten zugleich zu einer Selbstvergewisserung des Erzählers und zu einer poetischen Verteidigung der Wirklichkeit wird, die nicht in großen Taten, sondern in den verbindenden Fäden des Alltags liegt, und so entsteht aus der genauen, geduldigen Beobachtung ein Bild von Nachbarschaft und Zeitlauf, das gerade im Kleinen das Bedeutende sichtbar macht, dabei zart ironisch bleibt und die Frage stellt, wie Erinnerung und Erzählen dem Vergessen und der Vereinzelung etwas Widerständiges entgegensetzen können.

Die Chronik der Sperlingsgasse ist ein Roman des poetischen Realismus und siedelt seine Beobachtungen in einer Berliner Seitenstraße an, deren begrenzter Raum zum Panorama bürgerlichen Lebens wird. Das Werk erschien in den 1850er Jahren und gehört zu Wilhelm Raabes frühen Arbeiten, die das Alltägliche mit literarischer Feinzeichnung ernst nehmen. Statt dramatischer Schauplätze wählt der Text den Nahbereich der Stadt, Treppenhäuser, Werkstätten, Stuben und den Blick aus dem Fenster. In dieser räumlichen Konzentration liegt sein Programm: Gegenwart wird nicht als Sensation, sondern als Gewebe kleiner Vorgänge gezeigt, deren Muster sich erst im geduldigen Erzählen erkennen lässt.

Ausgangspunkt ist ein Ich-Erzähler, der sich vornimmt, das Geschehen in seiner Gasse festzuhalten und den Faden immer dann wieder aufnimmt, wenn eine Begebenheit, ein Besuch oder ein Gerücht das alltägliche Rauschen verdichtet. Er begegnet den Menschen um ihn herum mit Aufmerksamkeit und einem leisen Lächeln, beobachtet Handwerk, Handel und häusliche Routinen, und spürt dabei der Zeit nach, die in kleinen Veränderungen sichtbar wird. Das Leseerlebnis ist ruhig, episodenhaft und von sanfter Ironie getragen; die Stimme bleibt nahbar, gelegentlich nachdenklich, aber nie larmoyant, und führt durch ein Mosaik von Szenen, die sich zu einem atmosphärischen Ganzen fügen.

Zentrale Themen kreisen um Erinnerung, Zugehörigkeit und die Kunst des Aufschreibens. Die Chronik wird zum Mittel, dem Lauf der Dinge Sinn und Gestalt zu geben, ohne ihn zu verfälschen. So entstehen feine Kontraste zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, zwischen stiller Hausarbeit und Straßenlärm, zwischen Gewohnheit und Aufbruch. Immer wieder zeigt der Text, wie fragile Bindungen Nachbarschaft tragen: Hilfsbereitschaft, geteilte Geschichten, kleine Rituale. Zeit erscheint als unterschwellige Kraft, die Spuren legt, jedoch kein fertiges Ziel vorgibt. Das Erzählen hält diese Spuren fest und macht erfahrbar, wie sich Identität in wiederkehrenden Gesten und Blicken formt.

Stilistisch verbindet Raabe anschauliche, präzise Beobachtung mit leiser Komik und einem kontrollierten Erzählduktus, der die Dinge nicht ausstellt, sondern entfaltet. Die Sätze tragen oft eine musikalische Ruhe, in der ein sprechendes Detail genügt, um Personen und Milieu zu zeichnen. Der Aufbau folgt einem rhythmischen Wechsel aus Innenblicken und Straßenszenen; aus belebten Dialogmomenten und nachdenklichen Passagen, die Motive wieder aufnehmen. Dadurch entsteht ein Fluss, der ohne große Wendungen Spannung erzeugt: Man liest weiter, um den Ton zu hören, die Muster zu erkennen, den Platz zu finden, an dem aus Alltag Erzählung und aus Beobachtung Bedeutung wird.

Für heutige Leserinnen und Leser ist das Buch nicht nur als Zeitbild interessant, sondern als Reflexion darüber, wie urbane Gemeinschaft funktioniert und wie zerbrechlich sie ist. Wer in Städten lebt, erkennt das Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz, zwischen geteiltem Ort und getrennten Lebenswelten wieder. Die Chronik erinnert daran, dass soziale Kohäsion im Kleinen entsteht: durch Aufmerksamkeit, Gespräch, verlässliche Gesten. Zugleich zeigt sie, wie Geschichten Räume zusammenhalten und Veränderungen begleitbar machen. In einer Gegenwart, die Beschleunigung und Vereinzelung kennt, plädiert Raabes erzählerische Geduld für ein anderes Tempo – und für die Würde des Unscheinbaren.

Wer Die Chronik der Sperlingsgasse liest, begegnet einem Werk, das seine Wirkung weniger über Handlung als über Haltung entfaltet: aufmerksam, genau, menschenfreundlich. Es lädt dazu ein, das eigene Sehen zu schärfen und die Stadt als Geflecht von Beziehungen zu begreifen. Gerade weil der Roman keine sensationellen Effekte sucht, bleiben seine Bilder haften und seine Fragen aktuell: Was stiftet Nachbarschaft? Wie bewahren wir Geschichten, die sonst verschwänden? In der behutsamen Balance aus Realitätssinn und poetischer Wärme liegt die anhaltende Faszination dieses Buches – und ein Argument, dem leisen, beständigen Erzählen wieder mehr Vertrauen zu schenken.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Die Chronik der Sperlingsgasse ist ein frühes Prosawerk Wilhelm Raabes, erstmals in den 1850er Jahren publiziert. In Form einer persönlichen Chronik erzählt ein ansässiger Beobachter aus einer kleinen Stadtgasse, deren unscheinbares Gefüge zum Spiegel bürgerlicher Alltagswelt wird. Der Erzähler macht es sich zur Aufgabe, Begebenheiten, Stimmungen und Gesichter festzuhalten, um dem Vergänglichen ein Andenken zu sichern. Daraus entsteht eine lose verbundene Folge von Episoden, die Humor, Melancholie und stille Ironie mischen. Ohne große Schauplätze oder sensationelle Handlung richtet das Buch seinen Blick auf Nähe, Nachbarschaft und die unsichtbaren Fäden, die Menschen in einer urbanen Gemeinschaft verbinden.

Zu Beginn umreißt der Chronist das Milieu: Handwerker und kleine Beamte, Witwen, Studenten und Geschäftsleute teilen enge Räume und alltägliche Sorgen. Kleine Rituale, zufällige Begegnungen und jahreszeitliche Wechsel bilden den Takt der Gasse. Der Erzähler kommentiert dabei mit mildem Spott und Anteilnahme, beobachtet soziale Schranken, aber auch die Verbindlichkeit des Miteinanders. Erste Konfliktlinien zeichnen sich ab: Idealismus prallt auf Erwerbsnöte, Bildungshunger auf Zeitmangel, Liebesabsichten auf Konventionen. Die Chronik entfaltet ihre Figuren behutsam, indem sie charakteristische Züge und wiederkehrende Gesten hervorhebt, statt sie durch spektakuläre Handlungen zu definieren.

Allmählich verdichten sich einzelne Lebensgeschichten. Neue Bewohner bringen frischen Schwung und verdeckte Vergangenheiten mit, Freundschaften entstehen, zarte Zuneigungen wachsen. Zugleich dringen Nachrichten von draußen in die Gasse: politische Spannungen, die die scheinbare Ruhe erschüttern. Diese Unruhe markiert einen ersten Wendepunkt, denn sie zwingt mehrere Figuren, Haltung zu beziehen und persönliche Prioritäten zu überdenken. Ein lang gehegter Plan gerät ins Wanken, ein Vertrauensverhältnis wird auf die Probe gestellt. Die Chronik zeigt, wie größere Ereignisse nur indirekt sichtbar werden, indem sie Alltagsroutinen stören, Hoffnungen relativieren und die tönende Oberfläche des Gewohnten feiner rissig erscheinen lassen.

Nach dem Aufruhr folgt die Ernüchterung: wirtschaftliche Engpässe, zerbrochene Vorhaben und leise Kränkungen verändern die Beziehungen in der Nachbarschaft. Ein Abschied, dessen Gründe erst nach und nach erkennbar werden, setzt eine Kette diskreter Klärungen in Gang. Ein anderes Leben tritt aus dem Schatten der Vergangenheit hervor und relativiert frühere Urteile. Die Chronik verschiebt ihren Ton von heiterer Skizze zu nachdenklicher Prüfung: Was lässt sich bewahren, was muss losgelassen werden? Dabei werden Generationenkonflikte sichtbar, ebenso die Spannung zwischen beharrlichem Pflichtsinn und der Sehnsucht nach persönlicher Entfaltung.

Der Erzähler erweitert seinen Blick über die Gasse hinaus, streift durch Straßen und Erinnerungen und bindet Briefe, Notizen und überlieferte Gegenstände als Erzählanlässe ein. So entsteht ein Mosaik, das private Erlebnisse mit dem Takt der Großstadt verbindet. Ein Besuch an einem Ort, der früheres Glück und Verlust in sich trägt, wird zum leisen Prüfstein für Loyalität und Selbstverständnis. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob man sich dem Fluss der Zeit anpassen oder an Vertrautem festhalten soll. Die Chronik arbeitet diese Entscheidung nicht pathetisch, sondern in kleinen, sprechenden Handlungen und stillen Einsichten aus.

Gegen Ende kreuzen sich die Wege der Figuren erneut. Missverständnisse werden vorsichtig ausgeräumt, Schultern tragen Lasten gemeinsam, und manche Entscheidung reift unspektakulär heran. Die Wendepunkte bleiben menschlich maßvoll: ein Versprechen wird eingelöst, eine Schuld anerkannt, ein Abschied gestaltet. Anstelle einer lauten Auflösung betont die Chronik die Kunst der Nuance, die Wärme kleiner Gesten und die Tragfähigkeit von Vertrauen. Sprachlich mischt sie feinsinnige Ironie mit gelassener Empathie und zeichnet dadurch ein realistisches Bild, das weder idealisiert noch den Glauben an Verständigung preisgibt.

Im Nachhall erweist sich Die Chronik der Sperlingsgasse als Porträt einer Gesellschaft im Übergang, das die Geschichte gewöhnlicher Menschen ernst nimmt. Leitend sind Fragen nach Erinnerung, Verantwortung und der Solidarität des Nahen im Angesicht größerer Umbrüche. Das Werk zeigt, wie private Entscheidungen vom Zeitgeist berührt werden, ohne ihre persönliche Würde zu verlieren. Seine nachhaltige Wirkung liegt in der leisen Beharrlichkeit, mit der es für Achtsamkeit gegenüber dem Alltäglichen plädiert und die moralische Bilanz des bürgerlichen Lebens prüft. Es bleibt spoilerarm zu sagen: Die Chronik endet ohne Spektakel, aber mit einem Blick, der Bestand hat.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Die Chronik der Sperlingsgasse erschien 1857 in Berlin und ist in der preußischen Hauptstadt verortet. Berlin war damals Zentrum des Königreichs Preußen mit monarchischer Spitze, ausgebauter Verwaltung und einer aktiven städtischen Öffentlichkeit. Prägende Institutionen waren die königliche Polizei, Gerichte und Ministerien, die Friedrich‑Wilhelms‑Universität (seit 1810) sowie Verlage, Leihbibliotheken und Theater. Die Stadt war durch Gassen und Höfe, Mietshäuser und Werkstätten strukturiert; die Erzählung nutzt die fiktive „Sperlingsgasse“ als exemplarischen Ort kleinbürgerlicher Nachbarschaft. In diesem Umfeld entfaltet sich die Chronikform, die an amtliche und städtische Annalen erinnert und Alltagsbeobachtung mit Rückblick auf jüngst Erlebtes verbindet.

Das Werk steht im Nachhall der Revolutionen von 1848/49, die auch Berlin erfassten. Auf die Barrikadenkämpfe und Verfassungsdebatten folgte in Preußen eine Phase der politischen Reaktion. Die Paulskirchenverfassung scheiterte, und Preußen setzte mit der Verfassung von 1850 eine monarchische Ordnung mit Parlament durch, jedoch unter konservativen Vorzeichen. Bürgerliche Hoffnungen auf nationale Einheit und breitere Mitwirkung trafen so auf Enttäuschung und Pragmatismus des Alltags. Diese Stimmungslage bildet den zeitgeschichtlichen Resonanzraum der Chronik: Sie registriert Veränderungen, Rückzüge in das Private und die leisen Fortwirkungen liberaler Ideen in Vereinen, Lesekreisen und im Gespräch der Nachbarschaft.

Die preußische Verfassung und das Dreiklassenwahlrecht strukturierten das politische Leben der 1850er Jahre. Das Presse- und Vereinswesen blieb behördlich überwacht; Zensur war nach 1849 wieder verschärft und wurde unterschiedlich gehandhabt. Im städtischen Alltag wirkten Polizeiordnungen, Gewerbe- und Armenverwaltung sowie eine zunehmend professionalisierte Kommunalbürokratie. Solche Institutionen prägten Routinen: Meldewesen, Genehmigungen, Schanklizenzen, Schulpflicht. In dieser Umgebung gewann das abgewogene Wort Gewicht, und indirekte politische Kommentare waren verbreitet. Die Chronikform eignet sich genau dafür: Sie verzeichnet Begebenheiten, statt programmatisch zu agitieren, und spiegelt, wie Regelungen und obrigkeitliche Präsenz selbst in unscheinbaren Straßen die Lebensführung mitbestimmen.

Seit den 1840er Jahren wuchs Berlin durch Migration aus Provinzen und Nachbarstaaten rasch. Industrielle Betriebe, Werkstätten und ein ausgreifendes Verkehrsnetz – insbesondere die Eisenbahnlinien nach Hamburg, Stettin, Potsdam oder Frankfurt (Oder) – verdichteten Wirtschaft und Kommunikation. Gasbeleuchtung und ein ausgebauter Zeitungsmarkt veränderten Wahrnehmung und Tagesrhythmus. Zugleich blieb vielerorts eine kleinteilige Bebauung mit Hinterhöfen erhalten, in der Handwerk, Kleingewerbe und Mietwohnungen sich mischten. Diese Übergangslandschaft zwischen altem Handwerksmilieu und neuer Großstadtökonomie liefert dem Buch seine sozialen Kulissen: das Gespräch am Ladentisch, der Blick in Höfe, das Nebeneinander von Mobilität, Neuigkeiten und vertrauten, beinahe dörflich wirkenden Nachbarschaften.

Literarisch gehört Raabes Debüt in den Kontext des poetischen Realismus, der in den 1850er und 1860er Jahren in den deutschsprachigen Ländern dominierte. Dieser Realismus wählt den Alltag als Gegenstand, verzichtet auf politische Programmschrift und setzt auf genaue, oft humorvolle Beobachtung. Zeitgenossen wie Gottfried Keller oder, für Preußen, Theodor Fontane entwickelten ähnliche Verfahren, wenn auch mit jeweils eigener Tonlage. Die Chronik der Sperlingsgasse nutzt eine ichbezogene, kommentierende Erzählinstanz, die Typen und Situationen aus dem bürgerlich‑kleinbürgerlichen Milieu porträtiert. Der Rückgriff auf die Form einer „Chronik“ knüpft an stadtgeschichtliche Schreibweisen und an die Tradition der humoristischen Prosaskizze an.

Die Erzählung wurde 1857 unter dem Pseudonym „Jakob Corvinus“ veröffentlicht, ein in der Zeit nicht unübliches Verfahren, das Distanz und Spielraum gegenüber Kritik und Öffentlichkeit schuf. Der Berliner Buchhandel profitierte von wachsender Alphabetisierung und einer ausgedehnten Leihbibliotheks‑Kultur; Feuilletons in Tageszeitungen verbreiteten Rezensionen und Leseimpulse. Gleichzeitig blieben die Grenzen des Sagbaren spürbar: Politische Anspielungen mussten in Andeutungen, Figurenrede oder Alltagsdetails aufscheinen, um nicht anzensiert zu werden. Die schrittweise Liberalisierung einzelner Bereiche – vor allem nach 1858 in Preußens „Neuer Ära“ – bedeutete eher vorsichtige Lockerung als radikalen Bruch und prägte die Publikationsbedingungen.

Im dargestellten Umfeld lassen sich typische Züge der entstehenden Bürgergesellschaft erkennen: Vereinswesen, Sänger- und Lesevereine, wohltätige Komitees und eine auf Bildung, Sittlichkeit und Arbeitsethos gerichtete Selbstvergewisserung. Zugleich wirkten Standesgrenzen, traditionelle Geschlechterrollen und die Abhängigkeit von Amt und Lizenz fort. Zwischen liberaler Gesinnung, die an Öffentlichkeit und Rechtsstaat appellierte, und der konservativen Ordnung entstanden Reibungen, die sich eher in Redewendungen, Hausregeln und kleinen Konflikten zeigen als in großen Manifesten. Genau diese Mikroformen sozialen Lebens – Nachbarschaft, Ladenverkehr, Familienfeste, Trauer – bündelt die Chronik und macht sie zu Indikatoren einer Gesellschaft im Übergang.

Vor diesem Hintergrund wird Die Chronik der Sperlingsgasse häufig als kommentierender Spiegel ihrer Epoche gelesen: ein leises, am Alltag ansetzendes Register der Nachmärz‑Zeit in Preußen. Das Buch verbindet Humor mit Erinnerungskultur und zeigt, wie politische Enttäuschung, wirtschaftlicher Wandel und städtische Verdichtung sich in Gesprächen, kleinen Gesten und Gewohnheiten niederschlagen. Ohne programmatischen Spoiler: Die Erzählung zielt weniger auf dramatische Enthüllung als auf die Beobachtung eines Milieus, das zwischen Wunsch nach Teilhabe und Anpassung lebt. Damit trägt Raabes frühes Werk zur Formierung eines realistischen Blicks bei, der die 1850er Jahre literarisch dokumentiert.

Die Chronik der Sperlingsgasse

Hauptinhaltsverzeichnis
Cover
Titelblatt
Text

Wenn es gewittert, verkriechen sich die Vögel unter dem Busch[1q]. Das wäre fast als ein gutes und warnendes Beispiel auch für dieses kleine Buch zu nehmen; es will sich aber nicht warnen lassen, und vielleicht darf es auch nicht.

Als vor zehn Jahren hinten in der Türkei[3] die Völker aufeinanderschlugen, da regte es zum erstenmal seine Flügel und flatterte unbesorgt aus, wie finster auch der Himmel sein mochte. Mancherlei Wechsel der Zeit erfuhr es, und es wäre kein Wunder, wenn so viele fallende Trümmer es längst mit tausend Genossen unter berghohem Schutt begraben hätten; aber es fand seinen Weg, kam zu vielen Leuten, und sie nahmen es gut auf mit allen seinen Fehlern und Wunderlichkeiten.

Wenn es aber auch nur unter einem Dach eine trübe Stunde verscheucht, eine schwere Stunde sanfter gemacht hätte, wie Herr Hartmann von der Aue[2] sagt; wenn es nur ein Lächeln, nur eine Träne hervorgerufen hätte, so wäre sein Wirken und Sein nicht vergeblich gewesen.

Nun hängen wieder die Wolken drohend herab; der Krieg schlägt mit gewappneter Faust dröhnend an die Pforten unseres eigenen Volkes, und es ist niemand, so hoch oder niedrig ihn das Leben gestellt habe, der sagen kann, welch ein Schicksal ihm die nächste Stunde bringen werde. Es steht zu keiner Zeit ein Glück so fest, daß es nicht von einem Windhauch oder dem Hauch eines Kindes umgestürzt werden könnte; wieviel weniger jetzt! In solcher Zeit ständen die Menschen am liebsten mit leeren, müßigen Händen, horchend und wartend; aber das ist nicht das Rechte. Es soll niemand sein Handwerksgerät, die Waffen, mit welchen er das Leben bezwingt, in dumpfer Betäubung fallen lassen. Ein Geschlecht gebe seine Arbeit an das folgende ab, und, gottlob, jener Epochen, in welchen die Menschheit ihre Mühen ganz von neuem aufnehmen mußte, weil die Sturmflut alles vorige fortgespült hatte, sind wenige.

Auch in diesem Sinne ist nichts zu hoch und nichts zu gering, und in diesem Sinne finden auch diese Blätter die Berechtigung, ihren Flug durch die stürmische Welt abermals vertrauensvoll zu beginnen. Mögen sie neue Freunde zu den alten gewonnen haben, wenn wieder zehn Jahre ihres flüchtigen Daseins dahingegangen sind!

Stuttgart, im Februar 1864

Der Verfasser Am 15. November.

Es ist eigentlich eine böse Zeit![2q] Das Lachen ist teuer geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Donnerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krankheit, Hunger und Not ihren unheimlichen Schleier gelegt; – es ist eine böse Zeit! Dazu ist’s Herbst, trauriger, melancholischer Herbst, und ein feiner, kalter Vorwinterregen rieselt schon wochenlang herab auf die große Stadt; – es ist eine böse Zeit! Die Menschen haben lange Gesichter und schwere Herzen, und wenn sich zwei Bekannte begegnen, zucken sie die Achsel und eilen fast ohne Gruß aneinander vorüber; – es ist eine böse Zeit! – Mißmutig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir eine frische Pfeife gestopft, ein Buch herabgenommen und aufgeschlagen. Es war ein einfaches altes Buch, in welches Meister Daniel Chodowiecki[7] gar hübsche Bilder gezeichnet hatte: Asmus omnia sua secum portans[5], der prächtige Wandsbecker Bote[6] des alten Matthias Claudius[4], weiland homme de lettres zu Wandsbeck, und recht ein Tag war’s, darin zu blättern. Der Regen, das Brummen und Poltern des Feuers im Ofen, der Widerschein desselben auf dem Boden und an den Wänden – alles trug dazu bei, mich die Welt da draußen ganz vergessen zu machen und mich ganz in die Welt von Herz und Gemüt auf den Blättern vor mir zu versenken.

Aufs Geratewohl schlug ich eine Seite auf: Sieh! – da ist der herbstliche Garten zu Wandsbeck. Es ist ebenso nebelig und trübe wie heute; leise sinken die gelben Blätter zur Erde, als bräche eine unsichtbare Hand sie ab, eins nach dem andern. Wer kommt da den Gang herauf im geblümten bunten Schlafrock, die weiße Zipfelmütze über dem Ohr? – Er ist’s – Matthias Claudius, der wackere Asmus selbst! – Bedächtiglich schreitet er einher, von Zeit zu Zeit stehenbleibend; jetzt ein welkes Blatt aufnehmend und das zierliche Geäder desselben betrachtend; jetzt in die nebelige Luft hinaufschauend. Er scheint in Gedanken versunken zu sein. Denkt er vielleicht an den Vetter oder den Freund Hein, an den Invaliden Görgel mit der Pudelmütze und dem neuen Stelzbein, denkt er an die neue Kanone oder an das Ohr des schuftigen Hofmarschalls Albiboghoi? Wer weiß! – Sieh! wieder bleibt er stehen. Was fällt ihm ein!? Lustig wirft er die weiße Zipfelmütze in die Luft und tut einen kleinen Sprung: ein großer Gedanke ist ihm »aufs Herz geschossen« – das große neue Fest der Herbstling[8] ist erfunden – der Herbstling, so anmutig zu feiern, wenn der erste Schnee fällt, mit Kinderjubel und Bratäpfeln und Lächeln auf den Gesichtern von jung und alt! –

Wenn der erste Schnee[9] fällt – – – wie ich in diesem Augenblick wieder einmal einen Blick zur grauen Himmelsdecke hinaufwerfe, da – kommt er herunter – wirklich herunter, der erste Schnee!

Schnee! Schnee! der erste Schnee! –

In großen wäßrigen Flocken, dem Regen untermischt, schlägt er an die Scheiben, grüßend wie ein alter Bekannter, der aus weiter Ferne nach langer Abwesenheit zurückkommt. Schnell springe ich auf und ans Fenster. Welche Veränderung da draußen! Die Leute, die eben noch mürrisch und unzufrieden mit sich und der Welt umherschlichen, sehen jetzt ganz anders aus[4q]. Gegen den Regen suchte jeder sich durch Mäntel und Schirme auf alle Weise zu schützen, dem Schnee aber kehrt man lustig und verwegen das Gesicht zu.

Der erste Schnee! der erste Schnee![3q]

An den Fenstern erscheinen lachende Kindergesichter, kleine Händchen klatschen fröhlich zusammen: welche Gedanken an weiße Dächer und grüne, funkelnde Tannenbäume! Wie phantastisch die Sperlingsgasse[1] in dem wirbelnden, weißen Gestöber aussieht! Wie die wasserholenden Dienstmädchen am Brunnen kichern! Der fatale Wind! –

»Gehorsamster Diener, Herr Professor Niepeguck[10]! Auch im ersten Schnee?«

»Ärztliche Verordnung!« brummt der Weise und lächelt herauf zu mir, so gut es Würde und Hypochondrie erlauben.

Auf der Sophienkirche[11] schlägt’s jetzt! – Erst vier? und schon fast Nacht! – »Vier!« wiederholen die Glocken dumpf über die ganze Stadt. Jetzt sind die Schulen zu Ende![5q] Hurra – hinaus in den beginnenden Winter: die Buben wild und unbändig, die Mädchen ängstlich und trippelnd, dicht sich an den Häuserwänden hinwindend. Hier und dort blitzt nun schon in einem dunkeln Laden ein Licht auf, immer geisterhafter wird das Aussehen der Sperlingsgasse.

Da kommt der Lehrer selbst, seine Bücher unter dem Arm; aufmerksam betrachtet er das Zerschmelzen einer Flocke auf seinem fadenscheinigen schwarzen Rockärmel. Jetzt ist die Zeit für einen Märchenerzähler, für einen Dichter. – Ganz aufgeregt schritt ich hin und her; vergessen war die böse Zeit; – auch mir war, wie weiland dem ehrlichen Matthias, ein großer Gedanke »aufs Herz geschossen«. »Ich führe ihn aus, ich führe ihn aus!« brummte ich vor mich hin, während ich auf und ab lief, wie verwundert mich auch alle meine Quartanten und Folianten von den Büchergestellen anglotzten, wie spöttisch auch das Allongeperückengesicht auf dem Titelblatt der dort aufgeschlagenen Schwarte hergrinste!

»Ein Bilderbuch der Sperlingsgasse![6q]«

»Eine Chronik der Sperlingsgasse!«

Ein Kinderkopf drückt sich drüben im Hause gegen die Scheibe, und der Lampenschein dahinter wirft den runden Schatten über die Gasse in mein dunkles Fenster und über die Büchergestelle an der entgegengesetzten Wand. Ein gutes, ein glückliches Omen! Grinst nur, ihr Meister in Folio und Quarto, ihr Aldinen und Elzevire! Ein Bilderbuch der Sperlingsgasse; eine Chronik der Sperlingsgasse![7q] Ich mußte mich wirklich setzen, so arg war mir die Aufregung in die alten Beine gefahren, und benutzte das gleich, um ein Buch Papier zu falzen für meinen großen Gedanken und einen letzten Blick hinauszuwerfen in den ersten Schnee. Bah! – Wo war er geblieben? Wie ein guter Diener war er, nachdem er die Ankunft seines Meisters, des gestrengen Herrn Winters, verkündet hatte, zurückgekehrt, ohne eine Spur zu hinterlassen. – – –