Die Chroniken der Traumwandler - Kathy Wrighter - E-Book

Die Chroniken der Traumwandler E-Book

Kathy Wrighter

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Beschreibung

London im Herbst, ein Kellergewölbe voller wispernder Bücher, in Vergessenheit geratene Magie, mutige Traumwandler, ein finsteres Schattenwesen, die erste Liebe und eine gewaltige Ladung verheißungsvoll lockender Fantasie: Lass dich vom Auftakt der Traumwandlerchroniken verzaubern und tauche ein, in eine Welt voller Bücherliebe und Magie! Ruby Baker hat ihr ganzes Leben im Herzen von London verbracht, umgeben von der in Vergessenheit geratenen Magie, den staubigen Seiten dicker Bücher und einer Menge Fantasie. Doch dann beginnen diese verrückten Träume: Von Orten, an denen sie noch nie gewesen ist und von einem geheimnisvollen Jungen mit faszinierend schönen Karamellaugen. Ihre Vergangenheit holt sie ein und ein aufregendes Abenteuer durch magische Welten beginnt, für das Ruby wohl oder übel den Schutz ihrer vertrauten Bücherwelt verlassen und sich Gefahren stellen muss, die den Untergang für das Reich der Träume bedeuten könnten...

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KATHY WRIGHTER

Die Chroniken der Traumwandler

Herbstgeflüster

Band 1

Die Autorin

Kathy Wrighter träumt sich in fantastische Buchwelten, seit sie als kleines Mädchen die ersten Geschichten bei Kerzenschein und Regengeprassel von ihrer Mutter vorgelesen bekam. Mittlerweile ist sie 25 und liebt, liest und schreibt Bücher im kleinen Chemnitz, wohin sie 2018 für ihr Psychologiestudium gezogen ist. Wenn sie nicht gerade Wörter zu Papier bringt, wartet sie (bisher leider vergeblich) auf ihren Hogwarts-Brief, strickt mit Vorliebe kunterbunte Socken, lacht mit Freund*innen bei einer duftenden Tasse Kaffee oder testet begeistert neue Kochrezepte, während sie ziemlich schräg einen Taylor Swift-Song vor sich hin trällert. Denn man munkelt: gutes Essen macht sie beinahe so glücklich wie ein gutes Buch…

Website: www.kathywrighter.de

Instagram: @kathy.wrighter

Kathy Wrighter

Roman

IMPRESSUM

2. Auflage

© 2023 Kathy Wrighter

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

www.kathywrighter.de

[email protected]

ISBN Softcover: 978-3-347-93929-5

ISBN Hardcover: 978-3-347-93930-1

ISBN E-Book: 978-3-347-93931-8

ISBN Großschrift: 978-3-347-93932-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Lektorat: Nadine Zacharias

Korrektorat: Sabine Emm

Cover & Gestaltung: Kathy Wrighter

(Mit Vorlagen und KI-Programm von www.canva.com)

Druck und Distribution: tredition GmbH

( Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany)

Dieses Werk ist in der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet.

Für meine Eltern.

Ihr seid mein Fundament, mein sicherer Hafen und der Wind in meinem Rücken. Dank euch habe ich den Mut zu träumen. Ich liebe euch mehr als ich es jemals in Worte fassen könnte…

(was ironisch ist, weil ich mich selbst Schriftstellerin nenne)

Inhalt

Cover

Halbe Titelseite

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Aus den Chroniken der Traumwandler

Kapitel 1

»Freche Wichtel & Einsame Bücher«

Kapitel 2

»Verrückte Prophezeiungen & Käsesahnetorte«

Kapitel 3

»Stacey Millers Beauty-Tipps & Herbstball-Aufregung«

Kapitel 4

»Pollys Warnung & Glühwürmchentänze«

Kapitel 5

»Ein vierpfotiger Sherlock & ein Gespenster sehender Dad«

Kapitel 6

»Himmelskrieger & Gefühlschaos«

Kapitel 7

»Tintenmale & ein unerwarteter Besucher«

Kapitel 8

»Hufgetrappel & Wilderwaldwölfe«

Kapitel 9

»Ratschläge von Emery & wildgewordene Mathelehrer«

Kapitel 10

»Ein Klugscheißer-Bad Boy & London bei Nacht«

Kapitel 11

»Ein morgenmuffeliger Wichtel & tödliche Gefahren«

Kapitel 12

»Grübeleien & ein grundgütiger Wichtelfurz«

Kapitel 13

»Wahrheiten & Erklärungen«

Kapitel 14

»Tränen & Friedhofsgruseln«

Kapitel 15

»Gedankenchaos & alte Gemäuer«

Kapitel 16

»Aufmunternde Worte & eine heiße Tasse Tee«

Kapitel 17

»Eiscreme & Emery«

Kapitel 18

»Carter Wood & der See der verborgenen Träume«

Kapitel 19

»Traumchaos & eine kleine Ruby, die Hilfe braucht«

Kapitel 20

»Magische Ringe & ein fliegender Drache«

Kapitel 21

»Das Herz der Traumwelt & eine sehr gesprächige Halbelfe«

Kapitel 22

»Henri Parchemin & Fragen über Fragen«

Kapitel 23

»Noch eine Bibliothek & ein gewaltiger Schrecken«

Kapitel 24

»Carlisle & das Verschwinden der Magie«

Kapitel 25

»Nächtliche Spaziergänge & einsame Ritter«

Kapitel 26

»Persönliche Traumwelten & Abenteurerin Fawn«

Kapitel 27

»Prof. Dr. Arthur Kuddletail & die Zeitung von Morgen«

Kapitel 28

»Croissants & Schminken mit Emery«

Kapitel 29

»Schattenwächter & Schauergeschichten«

Kapitel 30

»Küchenkräuter & ein verlockendes Angebot«

Kapitel 31

»Träumerstaub & Flugstunden«

Kapitel 32

»Der graue Drache & Feenfruchtschorlen-Gespräche«

Kapitel 33

»Schlossgärten & Königskinder«

Kapitel 34

»Traumsteinpflege & der Codex der Traumwandler«

Kapitel 35

»Döner-Dinner & Luftschwerter«

Kapitel 36

»Traumwelt-Übergänge & Wacholderpfeile«

Kapitel 37

»Discokugeln & Illusions-Bluffs«

Kapitel 38

»Düstere Schlagzeilen & ausgeklügelte Tippsereien«

Kapitel 39

»U-Bahn-Geister & andere Peinlichkeiten«

Kapitel 40

»Streitereien & Drachenland-Geschichten«

Kapitel 41

»Karuella Blütenzart & Frederik Mickelbrunn«

Kapitel 42

»Balkon-Gespräche & Skoltebolt«

Kapitel 43

»Traumwelträtsel & Spiegelsplitter«

Kapitel 44

»Kristallregenschauer & versteckte Talente«

Kapitel 45

»Ehrliche Worte & Geflügelte Pferde«

Kapitel 46

»Wichtelbirnen & Oscars Moment«

Kapitel 47

»Buchschutzmauern & Schattenlandbibliotheken«

Kapitel 48

»Streifzüge & Erinnerungen«

Kapitel 49

»Hoffnungssteine & tröstende Worte«

Kapitel 50

»Fürst von Wackelbauch & Zeit für Helden«

Kapitel 51

»Singende Bäume & Herzklopfen«

Kapitel 52

»Misstrauische Väter & missglückte Verkleidungen«

Kapitel 53

»Ein todesmutiger Wichtel & ein Abschied mit Folgen«

Kapitel 54

»Das Schattenland & übergriffige Wächter«

Kapitel 55

»Pub-Gespräche & eine überraschende Wendung«

Kapitel 56

»Der Schattenwächter & eine unerfreuliche Prophezeiung«

Kapitel 57

»Verärgerte Patentanten & ein besonderes Geschenk«

Kapitel 58

»Schmetterlinge & Sonnenaufgänge«

Kapitel 59

»Sammelkarten & Jackpots«

Kapitel 60

»Grandpa Theo & Waldbeerkuchen«

Kapitel 61

»Geständnisse & Enttäuschungen«

Kapitel 62

»Erkenntnisse & ein schlechtes Gewissen«

Kapitel 63

»Carters Geheimnis & ein folgenschwerer Entschluss«

Kapitel 64

»Das Traumarchiv & Katzenaugenpullover«

Kapitel 65

»Alte Verwandte & neuer Mut«

Kapitel 66

»Zusammenhalt & der Anfang vom Ende«

Kapitel 67

»Ein alter Freund & eine luftige Reise«

Kapitel 68

»Mysteriöse Stimmen & ein beunruhigender Fund«

Kapitel 69

»Tragische Liebe & schreckliches Schicksal«

Kapitel 70

»Feierlichkeiten & Chancen«

Kapitel 71

»Herbstbälle & ein lange überfälliger Kuss«

Danksagung

Die Chroniken der Traumwandler

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Aus den Chroniken der Traumwandler

Vor langer Zeit war Magie überall um uns herum. Sie funkelte in warmem Sonnenlicht und schimmerte selbst in strömendem Regen. Sie steckte in jeder Ritze, in jeder Nische und erwartete dich hinter der nächsten Straßenecke. Magie schenkte selbst den tristesten Orten tröstende Lebendigkeit und sie zauberte immer wieder ein Lächeln in die Gesichter der Menschen. Sie machte den Winter etwas wärmer und ließ den Regen Sternenstaub versprühen. Sie musste nicht beeindruckend mächtig oder betörend laut sein. Ein jeder fand sie bereits in den winzigsten Kleinigkeiten. Magie war schon immer etwas Besonderes und doch ein beständiger Teil dieser Welt.

Schon damals gab es Menschen, welche die Magie spürten und solche, die sie nicht einmal bemerkten, wenn sie energisch an ihre Haustür klopfte. Doch mit der Zeit ging der Glaube an die Magie mehr und mehr verloren. Die Ritzen und Nischen wurden leerer, der Regen wieder nasser und immer seltener huschte ein Lächeln über die Gesichter der Menschen. Der Zauber der Magie geriet in Vergessenheit und damit wurden finstere Schatten angelockt. Sie krochen durch die Portale aus ihren Reichen in die Welt der Menschen und hüllten sie in einen undurchdringlichen, unheilvollen Schleier. Sie verdrängten die wundervoll leuchtende, zauberhafte Magie und stahlen der Welt ihr Funkeln.

Wer weiß, wie unsere Welt heute aussähe, wenn nicht nach vielen dunklen Jahren die ersten Traumwandler den Menschen wieder Hoffnung geschenkt hätten. Sie führten sie durch die magischen Traumwelten und versprühten neuen Glanz. Und so wurden die Schatten zurück in ihre Welten vertrieben und die Portale schlossen sich. Die Magie fand ihren Weg zurück in die Welt der Menschen und machte sie wieder zu einem besseren Ort.

Kapitel 1

»Freche Wichtel & Einsame Bücher«

Heee, Büchermädchen!« Ich zuckte so heftig zusammen, dass das mitternachtsblaue Buch in meinen Händen polternd zu Boden fiel und eine Schaar Papiergeister hektisch zwischen den ausgeblichenen Seiten hervorquoll. Empört rieben sie sich die tintenverschleierten Augen. »Ruhe, verdammt noch eins, wir versuchen hier zu schlummern, Menschenkind.«

»Tschuldigung!«, murmelte ich hastig und widmete mich dann dem frechen kleinen Wichtel, der sich vor lauter Lachen den kugelrunden Bauch hielt. Ein schalkhaftes Schimmern funkelte in seinen großen braunen Augen. »Herr Gott nochmal, Knollbart«, schimpfte ich, während der Schreck mir noch in den Gliedern saß. »Du hast mich zu Tode erschreckt! Willst du mich umbringen?«

Knollbart verschränkte beleidigt die Arme, die buschigen rabenschwarzen Brauen pikiert zusammengezogen. »Ihr Menschlinge versteht wirklich nicht das klitzeligste bisschen Spaßigkeit. Bomsdibumslige Spitzeließer seid ihr, allesamt…«, schimpfte er mürrisch und begann recht ungelenk auf den alten Büchern im Regal umherzuklettern.

»Jetzt sei doch nicht gleich so eingeschnappt, Knollbart«, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, während ich in meiner Hosentasche ein altes Karamellbonbon herausfischte. Wichtel waren nicht nur äußerst schnell beleidigt, sondern auch vollkommen verrückt nach Süßigkeiten. Deshalb wäre Knollbart beim Anblick des Bonbons auch beinahe vor lauter Freude aus dem Regal gepurzelt. Flink schnappte er mir die Leckerei aus der Hand, zog das knisternde Papier ab und begann genüsslich daran zu schlecken.

»Diese Leckereien sind wirklich schlombonisch«, schmatzte er, grinste glückselig und rülpste im nächsten Moment für seine Größe beachtlich laut. Liebevoll strich ich ihm über das borstige schwarze Haar. Er mochte schreckliche Manieren haben und hin und wieder unausstehlich sein, aber er war und blieb mein ältester Freund.

Knollbart war schon immer hier gewesen, in dem alten Kellergewölbe zwischen all den vielen Büchern. Unzählige Stunden hatten wir gemeinsam unsere Nasen zwischen vergilbte Seiten gesteckt und waren in ferne Welten abgetaucht. Welten, von denen ich nur zu träumen vermochte. Unzählige Male hatte Mr. Higgs uns in den Tiefen der unterirdischen Bibliothek gesucht, weil wir die Zeit vergessen hatten und über Pergament und Tinte schließlich eingeschlafen waren. Mit der Zeit musste ich allerdings feststellen, dass Knollbart für die Augen der meisten Menschen unsichtbar zu sein schien und das lag nicht an seiner äußerst nützlichen Fähigkeit, sich selbst verschwinden zu lassen. Es war schlichtweg die Tatsache, dass kaum jemand an die Existenz von Wichteln zu glauben schien. Fabelwesen, Magie und unerklärbare Wunder gehörten zwischen die Seiten eines Buches, aber nicht in die lähmend gewöhnliche Wirklichkeit. Für die meisten Menschen war ich also einfach ein verträumtes Mädchen mit viel zu viel Fantasie. Mr. Higgs, dem das unterirdische Londoner Büchergewölbe und der darüber gelegene kleine Second-Hand-Buchladen gehörte, konnte Knollbart aber sehr wohl sehen und das war mir Beweis genug, dass ich nicht verrückt war.

»Ruby, meine Liebe, man kann gar nicht genug Fantasie haben, denn wenn wir nicht aufpassen, läuft sie uns eines schönen Tages einfach davon«, pflegte er augenzwinkernd zu sagen und ich fand, damit hatte er Recht.

»Hier steckt ihr beiden also!«, riss mich in just diesem Moment seine vertraute Stimme aus meinen Gedanken. Artus Higgs, offiziell anerkannter Magi-Bibliothekar und Bücherheiler, lugte um das Olivenholzregal, das die Wichtelbuchabteilung beherbergte, und schien erleichtert, Knollbart und mich in dem Labyrinth aus Büchern endlich gefunden zu haben. Er trug einen traurigen Stapel Bücher in seinen Armen, die alle schon bessere Zeiten erlebt hatten, seine grauen Haare standen dem wirren Schopf Knollbarts nicht im Geringsten nach und um seine dunklen Augen kringelten sich Lachfältchen.

»Ruby, sei doch so gut und bring die Bücher hier in meine Werkstatt.« Der alte Bibliothekar schlurfte zwischen den wuchtigen Holzregalen hindurch zu mir herüber, die sich in dem verwunschenen Gewölbe dicht an dicht reihten. Wie viele es genau waren, wusste niemand. Nicht einmal Mr. Higgs. »Ich hab doch längst den Überblick verloren bei all dem Buchgewusel hier unten«, hatte er einmal verlegen zugegeben, als ich ihn danach gefragt hatte.

Mr. Higgs geheime Bibliothek streckte sich mit ihren Tunneln und Höhlen meilenweit unter London aus und selbst nach all den Jahren entdeckte ich immer wieder neue versteckte Geheimgänge in weitere Gewölbe, beladen mit Büchern, die so alt waren, dass ich Angst hatte, sie würden allein durch eine sanfte Berührung zu Staub zerfallen. Diese Bibliothek besaß ihre Eigenarten und eine große Portion geheimnisvoller, faszinierender Magie. Viele Bücher blieben nie lange an einem Ort, verschwanden und tauchten Wochen später in einem anderen Regal wieder auf. Einige Bücher entschieden selbst, ob sie gelesen werden wollten. Wenn man Pech hatte, starrte man nichts als bleiches Pergament an und es kostete einiges an Anstrengung, Einfallsreichtum und Geduld, dennoch ihre tintigen Wortschätze hervorzukitzeln. Wieder andere Bücher hatten es in sich. Sie waren so voll gepackt mit kraftvoller Magie, dass sie dazu in der Lage waren, ihre Leser in ihre Geschichte hineinzuziehen und wenn man einmal in einer dieser Buchwelten gefangen war, stellte es sich als äußerst schwierig heraus, sie wieder zu verlassen. Die Bücher, die Mr. Higgs mir aber nun in die Arme drückte, waren alles andere als kraftvoll. Jegliche hoffnungsvolle Magie schien ihre fleckigen Seiten verlassen zu haben und ich wappnete mich innerlich gegen die Trostlosigkeit, die sie umhüllte wie ein regenwolkengrauer Schleier. Die Bücher hatten Mr. Higgs heilende Hände dringend nötig. »Wo hast du sie gefunden?«, fragte ich leise.

Mr. Higgs seufzte niedergeschlagen. »Letzte Nacht muss sich das Portal nach Areya wieder geöffnet haben. Sie lagen überall verstreut in der Abteilung für Heilkunst und Buchpflege.«

Areya, das Andersland. Ich hatte schon so viel davon gehört, unzählige Bücher darüber gelesen und was würde ich dafür geben, diese wundersame Welt nur ein einziges Mal zu betreten. Areya war eine der vielen magischen Welten, zu denen wir hier unten im Kellergewölbe durch eine Vielzahl von Portalen Zutritt hatten. Der Hintereingang von Knollbarts Höhle führte zum Beispiel geradewegs nach Wichtelonien, in das Reich der Wichtel und zwischen Wälzern und Pergament versteckten sich tausende von anderen magischen Übergängen, die nach Abenteuer und Wanderlust dufteten.

Während die meisten Portale sich immer an derselben Stelle versteckten, gab es andere, die sich nach Lust und Laune verschlossen und wieder öffneten und ihren Standort so oft wechselten, dass man ab und zu wochenlang warten musste, bis sie endlich wieder auftauchten. Und genau so war es mit dem Portal nach Areya. Es wechselte ständig seine Gestalt, verschwand monatelang, nur um dann urplötzlich wiederaufzutauchen und irgendetwas oder auch irgendjemanden in unserem Kellergewölbe abzuladen. Areya war eine ganz besondere Welt, die ihren eigenen Regeln folgte und sich mit Vorliebe selbstständig machte. Was es mir bisher unmöglich gemacht hatte, das sagenumwobene Land zu betreten. Mal abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht den Mut dazu gehabt hätte, auch nur einen Zeh durch das Portal zu stecken. Seit ich denken konnte, hatte Mr. Higgs mir eingeschärft, wie schrecklich gefährlich es sein konnte, ständig die Welten zu wechseln, weil dadurch das kostbare Gleichgewicht, das sie zusammenhielt, zerbrechen konnte und dass in all diesen magischen Reichen Gefahren lauerten, die mich Hals über Kopf und unwiderruflich ins Dunkel ziehen würden. Also steckte ich meine etwas zu schiefe Nase lieber zwischen die Seiten eines guten Buches und erlebte Abenteuer nur durch vertraute staubige Seiten und verschnörkelte Tinte.

»Meinst du, du kannst diese Bücher retten?«, fragte ich nach einer Weile andächtigen Schweigens und strich über die alten, schäbigen Buchrücken. Ein Hauch von Vergangenheit kroch in meine Nase, vermischt mit einer leisen Spur markerschütternder Einsamkeit. Ein Geruch, der mir durch Mark und Bein ging. Dass diese Bücher bei uns in der Abteilung für Heilkunst gelandet waren, war gewiss kein Zufall. Mr. Higgs war einer der wenigen Buchhändler, die es verstanden, Büchern neues Leben einzuhauchen. Hier unten in seinem Kellergewölbe befand sich eine schmale Holztür in dem dunkelgrauen Stein der Wände und dahinter befand sich seine Werkstatt. Dort wurden Bücher wieder neu zum Leben erweckt.

»Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, aber einige von ihnen scheinen die Hoffnung bereits verloren zu haben«, antwortete Mr. Higgs ernst. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Bücher mochten für viele Menschen bloß gebündelte Päckchen aus beschrieben Seiten sein, aber wer genau hinsah, gar fühlte, musste einfach erkennen, dass sie weit mehr waren als Tinte auf Papier. Bücher flüsterten von Abenteuern, Magie und anderen Zeiten. Und vor allem sprühten sie voller Lebendigkeit.

Diese Bücher hier schienen jedoch mit der Zeit das Atmen vergessen zu haben. Ich vernahm weder leise Stimmen noch spürte ich das pochende, vibrierende Leben zwischen den Seiten, wie ich es sonst immer vermochte. Erinnerungen schlichen sich in meinen Kopf: Stunden, in denen ich dem alten Buchhändler dabei zugesehen hatte, wie er sich über ein altes, kläglich zerschlissenes Buch mit gebrochenem Rücken gebeugt und es mit seinen ruhigen Händen in mühsamer Kleinarbeit geheilt hatte.

»Ruby, pass gut auf!«, hatte er einmal leise gemurmelt. »Es gibt nicht viele Menschen, die sich heute noch die Mühe machen, alten Büchern das Leben zu retten und wenn ich einmal nicht mehr bin, dann habe ich mein Handwerk wenigstens an eine gute Seele weitergegeben.«

Nach diesen Worten hatte ich mir selbst ein Versprechen gegeben! Ich würde die Bücher dieser Welt beschützen.

Koste es, was es wolle.

Kapitel 2

»Verrückte Prophezeiungen & Käsesahnetorte«

Es hatte nicht lange gedauert, die Bücher in Mr. Higgs Werkstatt abzulegen. Ich war zügig gelaufen, weil wir auf dem Weg an der Abteilung für Verstandvernebelungszauber vorbeigekommen waren. Seit ein paar Wochen musste ich mir dort jedes Mal die nervtötenden Anmachsprüche eines eingebildeten Verführungsmeisters über mich ergehen lassen, der leider viel zu häufig seinen aufgeblasenen Macho-Kopf aus einem pompös verzierten Einband heraussteckte. Er hatte eine ganze Reihe von Bänden geschrieben, die dem Leser beibringen sollten, wie man Frauen mithilfe der Zauberei verführen konnte. Von Feminismus und Selbstbestimmung hatte der Kerl wahrscheinlich noch nie gehört. Kein Wunder. Seine Bücher bedeckten uralte Staubschichten und er selbst war seit über drei Jahrhunderten tot. Heute hatte er mir großspurig zugezwinkert und mich gefragt, ob ich mich denn wohl geneigt fühlen würde, mit ihm einen herrlich erfrischenden Herbsttrunk in seinem Teesalon einzunehmen, um dem Lauf der Liebe und der Leidenschaft eine Chance zu geben. Selbst als ich ihn gekonnt ignoriert und Knollbart damit begonnen hatte, lauthals Furzgeräusche von sich zu geben, hatte er mir noch hinterhergerufen, dass meine feurige Lockenpracht heute doch wohl sehr liebreizend aussähe.

Erleichtert, den unverschämten Vollidioten endlich hinter mir gelassen zu haben, bahnte ich mir nun einen Weg durch die Regalreihen zurück und versuchte mich nicht zu sehr von all den unterschiedlichen Gerüchen und Geräuschen der Bücher ablenken zu lassen, als ich der hölzernen Wendeltreppe entgegeneilte, die hinauf in den Buchladen führte. Eigentlich war diese scheinheilige Ruhe, an die man sich in Bibliotheken und Buchläden immer halten musste, vollkommen sinnlos, denn wenn die meisten Menschen nicht so fantasielos durchs Leben stolpern würden, hörten sie womöglich auch den Lärm, den Bücher veranstalten konnten. Siegestrunkene Helden ließen ihr tosendes Gebrüll durch die raschelnden Seiten klingen, zauberhafte Wesen krabbelten über die Buchrücken und warfen ein paar scheue Blicke in die Welt der Menschen, tieftraurige, von Liebeskummer geplagte Buchfiguren heulten wie ein Rudel Schlosshunde oder glückliches Lachen schallte aus den zufriedenen Enden auf unzähligen letzten Seiten. Ich liebte dieses bunte, unaufhaltsame Chaos in meinen Ohren, wenn ich mich zwischen Büchern aufhielt. Stets herrschte ein beruhigender Lärmpegel, der einem das Gefühl gab, dazuzugehören. Wenn ich von Büchern umgeben war, dann war ich nie allein.

Außer den Geräuschen und den kleinen Buchwesen wehten unendlich viele Gerüche durch das unterirdische Buchgewölbe. Während ich die Kochbuchabteilung meist gar nicht mehr verlassen wollte, hielt ich es in der Gegenwart manch anderer Bücher nicht lange aus. Das Buch über den großen Brand in Koboldstadt zum Beispiel setzte jeden Feuermelder in Alarmbereitschaft und kokelte stets fröhlich vor sich hin. Die hundertbändige Reihe über die Eroberungen des reichsten Wichtels der letzten dreiundzwanzig Jahrhunderte stank ekelhaft nach Geld, Verwesung und Bier und die Trilogie über eine Elfensängerin der 90er Jahre roch so aufdringlich blumig nach Parfum, dass ich jedes Mal das Gefühl hatte, vergiftet zu werden, sobald ich einen Fuß zwischen die deckenhohen Regalreihen der über Jahrhunderte hinweg gesammelten Elfenwerke setzte.

In den heutigen Buchhandlungen wurden die Bücher zu meinem Bedauern meist fest in Plastik eingewickelt, sodass kein einziges Stück Magie daraus entweichen. Schon gar nicht Laute, Gerüche oder ganze Buchwesen. Ich hatte immer das beklemmende Gefühl, dass die Verpackung die Geschichte erstickte und deshalb hielt ich es in den meisten modernen Buchläden nicht lange aus. Bereits nach wenigen Minuten fiel es mir schwer zu atmen und ich stürzte fluchtartig ins Freie. Dazu kam, dass die Bücher in Buchläden noch vollkommen ungelesen waren. Ab und an hatten ein paar Kunden zwar die ersten Seiten überflogen oder durch die verschiedenen Kapitel geblättert, aber das reichte nicht, um die Geschichten aus ihren Büchern zu locken. Nur gelesene Bücher waren in der Lage, die magische Lebendigkeit zu verbreiten, die ich so sehr liebte. Und genau deswegen hielt ich mich lieber in Bibliotheken oder in Mr. Higgs Buchkeller auf, denn dort war es der wunderbaren Bücherwelt möglich, zum Leben zu erwachen.

Manchmal, wenn ich so durch die unzähligen Regalreihen streifte, um ein weiteres spannendes Abenteuer zwischen mit Tinte beschriebenen Seiten zu entdecken, fielen mir Bücher auf, die unnatürlich still waren. Ich hatte Mr. Higgs danach gefragt und seine Antwort hatte mich ein wenig traurig gestimmt.

»Bücher müssen gelesen werden, Ruby. Sonst werden sie unglücklich. Wenn sie im Regal verstauben, verstummen sie irgendwann und ihr kostbarer Inhalt geht für immer verloren.«

Deswegen war Mr. Higgs Kellergewölbe eine Art geheime Bibliothek für alle, die noch an die Magie auf der Welt glaubten, selbst ein Teil davon waren oder auch ein Teil davon sein wollten. Die unzähligen Bücher, die hier unten Seite an Seite die morschen Regale und den steinigen Boden säumten, waren nicht zum Verkauf frei gegeben. Das war Mr. Higgs persönliche Sammlung, vollgepackt mit aufregenden Geschichten über andere Zeiten und andere Welten. Diese Bücher durften ausschließlich geliehen werden.

Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie viele Menschen früher täglich Mr. Higgs kleinem Buchladen einen Besuch abgestattet hatten, nur um eines seiner Bücher auszuleihen oder zu kaufen. Ich hatte das rege Treiben sehr gemocht und das Geschehen über den Rand meiner Bücher hinweg beobachtet. Doch mit den Jahren waren nur noch die treuen Stammkunden übriggeblieben, von denen die wenigsten normale Menschen waren. Es gab die Feen mit ihren unterschiedlich farbigen Augen und Elfen, die nur vorbeischauten, wenn die Sonne schien. Kobolde, die sich dagegen erst bei Anbruch der Dunkelheit aus ihrer unterirdischen Koboldstadt hervortrauten und Wichtel (wie Knollbart einer war), die sich meist durch die dicken Kochbücher wühlten und ein heilloses Geruchschaos veranstalteten. Heiler durchforsteten den Laden und die Bibliothek nach Büchern über einzigartige Heilpflanzen und Gestaltwandler machten sich einen Spaß daraus, jedes Mal als jemand anderes wieder aufzukreuzen.

Seufzend machte ich mich daran, die Wendeltreppe emporzusteigen und verdrängte den Gedanken daran, dass wohl die meisten Menschen damit begannen, die Magie auf der Welt zu vergessen. Mit jeder Stufe näherte ich mich der massiven Holztür, die das kostbare, verschlungene Kellergewölbe vom Buchladen trennte, der mindesten genauso verzaubert wirkte, wie das unterirdische Kellergewölbe. Der Boden war ausgelegt mit abgelaufenen, dunklen Holzdielen, die an vielen Stellen von bunt gewebten Teppichen bedeckt waren. Die mit Mustern, alten Zeitungen und Gemälden gesäumte Wand wurde zu einem Großteil von einer Vielzahl unterschiedlich gebauter Holzregale verdeckt. Einige waren bedrohlich massiv, in einem dunklen Braunton gehalten und beherbergten die wuchtigen, verstaubten Wälzer, in denen Jahrhunderte alte Erinnerungen verpackt waren. Andere Regale waren vollgestopft mit zerlesenen Taschenbüchern, ein buntes Chaos in sonnig hellen Holzrahmen. Wieder andere bestanden aus abgenutzten Holzkisten, die wir notdürftig übereinandergestapelt hatten. Mit der Zeit hatten sich hier so vielfältige, zahlreiche Haufen aus Büchern angesammelt, dass wir schon lange nicht mehr genügend Stauraum für sie besaßen. Daher stapelten sich einige Bücher nun in schiefen, bedrohlich wackelnden Türmen überall in dem kleinen, verwinkelten Laden.

»Halihallöööchen! Niemand hier?«

Wie angewurzelt blieb ich stehen. Oh, nein!

»Verdammt, Büchermädchen, da trifft mich doch der mächtige Wichtelhunger«, knurrte Knollbart in mein Ohr, »was tut die alte Schachtel heute hier? Es ist doch erst Montag.«

Jeden Dienstagnachmittag stattete die verrückte, alte Abla uns einen Besuch ab, um in unseren Augen unsere Zukunft zu lesen und im Anschluss einen von diesen grauenhaft kitschigen Liebesromanen zu kaufen. Ihre Lieblingsschriftstellerin war eine schrullige alte Elfe namens Karuella Blütenzart, deren Bücher wahrscheinlich die schlimmste Sorte von Kitschroman waren, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Mr. Higgs und ich waren uns ziemlich sicher, dass die alte Wahrsagerin die Einzige war, die diese schrecklichen Bücher überhaupt kaufte, aber der alte Buchhändler brachte es nicht übers Herz, der Elfe beizubringen, dass ihre Bücher nicht gerade ein Verkaufsknaller waren. Und so lag mindestens alle sechs Wochen ein dickes Paket mit handgeschriebenen Exemplaren ihres neuesten Buches auf dem Verkaufstresen.

»Was machen wir denn jetzt?«, wisperte ich Knollbart zu und duckte mich hinter die mächtige Kellertüre. Doch anstatt einer Antwort ertönte nur ein leises Plopp und Knollbart war verschwunden. Der feige Wichtel hatte sich einfach verdünnisiert. Was ich ihm allerdings kaum verübeln konnte. Laut Abla standen seine Sterne nie besonders gut. Für einen Augenblick erwog ich den Gedanken, mich auch klammheimlich wieder davonzuschleichen, aber dann siegte mein Gewissen. Seufzend schob ich mich durch die geöffnete Kellertür hinein in den Buchladen.

»Ah, das verträumte Bücherkindchen!«, begrüßte mich die schräge alte Dame. »Hat die gute Karuella eine neue, herzzerreißende Geschichte für mich gezaubert?«

Ich trat hinter den altertümlichen, rotbraunen Tresen und schüttelte den Kopf: »Tut mir leid, du wirst dich wohl noch eine Weile gedulden müssen. Wenn du magst, kannst du aber gerne mal etwas anderes ausprobieren. Wie wäre es mit…« Doch bevor ich ihr die Herzblut-Tagebücher aus dem Leben einer Liebes-Fee auf Wolke Sieben empfehlen konnte, unterbrach sie mich auch schon.

»Kindchen, Kindchen…ich weiß deine Bemühungen wirklich zu schätzen, aber die alte Abla hat einen äußerst hohen Anspruch und ich bin sicher, dass kaum andere Werke denen der großen Karuella Blütenzart gerecht werden können. Ich werde wohl noch ein paar Wochen in grausiger Langeweile dahinsiechen müssen.« Theatralisch legte sie eine faltige Hand auf ihre Stirn als müsse sie sich stark beherrschen, nicht vor lauter Kummer in Ohnmacht zu fallen. »Wo sind denn alle? Der fette Wichtel müsste die Kekse in meiner Tasche doch eigentlich schon aus weiter Ferne erschnuppern und der alte Artus verlässt seinen Buchladen doch nicht einmal, wenn die Welt droht unterzugehen.«

Ich verkniff mir einen finsteren Blick. Klar, Knollbart war nicht gerade athletisch und seine Figur war wahrscheinlich selbst für einen Wichtel eindeutig zu rundlich um noch als gesund durchzugehen, aber meinen kleinen Wichtelfreund als fett zu beleidigen, konnte ich dann doch nicht zulassen. Vor allem nicht von dieser schrägen alten Dame, die in ihren bunten Wollklamotten selbst aussah wie ein lebendig gewordenes mächtiges Bonbon.

»Knollbart ist nicht fett, er sorgt nur gerne für den Winter vor«, zitierte ich den kleinen Wichtel und ignorierte geflissentlich wie bescheuert das klang. «Und es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber er ist heute leider … äh … verhindert. Was Mr. Higgs angeht…der ist in seiner Werkstatt und kümmert sich um ein paar verletzte Bücher. Du musst wohl mit mir vorliebnehmen«, fügte ich hinzu und begann ein paar Bücher in dem Regal hinter mir umzusortieren, obwohl sie eigentlich genau am richtigen Platz gestanden hatten.

»Schon gut, schon gut, ich habe heute ohnehin noch eine Menge zu tun«, flötete Abla und schüttelte ihre kurzen, pinken Haare. »Kristallkugeln putzen, Teeblätter lesen, meine Prophezeiungssammlung abstauben, das kostet alles wertvolle Zeit.« Sie ließ sich geräuschvoll auf einem Sofa am Schaufenster nieder und klopfte auf den Sessel direkt gegenüber. »Nun denn, mein liebes Kind, dann wollen wir mal sehen, was die Zukunft für dich bereithält.«

Widerwillig ließ ich mich mit einem gezwungenen Lächeln auf den dunkelgrünen Samtsessel plumpsen und erwiderte den intensiven Blick der alten Frau.

Ich liebte meine Arbeit im Buchladen, aber die Besuche der schrägen Wahrsagerin trieben mich Woche für Woche beinahe bis in die hintersten Winkel des Kellergewölbes.

»Nun komm doch mal etwas näher, meine alten Augen sind nicht mehr die besten«, befahl Abla mir herrisch und ich rutschte noch ein Stück auf sie zu. Ihre kristallklaren violetten Augen bohrten sich in die meinen. Ich verspürte den starken Drang einfach wegzuschauen. »Na, na, nicht blinzeln.« Ich unterdrückte mühsam einen Seufzer und hielt schicksalsergeben still, bis meine Augen brannten.

Eine ganze Weile war es ziemlich still, bis die verrückte alte Wahrsagerin plötzlich einen gellenden Schrei ausstieß und, selbst unter den Tonnen von Rouge, die ihre Wangen bedeckten, kreidebleich wurde. Sie sackte in sich zusammen und wimmerte leise vor sich hin. Ich starrte sie verwirrt an. Abla hatte schon immer einen Hang zur Theatralik bewiesen, aber so dramatisch waren ihre Vorhersagen dann doch noch nie ausgefallen. Für gewöhnlich verkündete sie Mr. Higgs eine bevorstehende Hochzeit mit einer wunderschönen, anmutigen Unbekannten, Knollbart eine gewaltige, in rasender Geschwindigkeit anrollende Gefahr für seine Vorratskammer und mir ein auf mysteriöse Art und Weise auftauchendes Mittel gegen meine unbändigen Locken, damit mein Traumprinz mich zwischen all der Kopfbehaarung auch erkennen könne. Weil ich als Mädchen natürlich auch nichts Besseres zu tun hatte, als mit makelloser Frisur auf einen Traumprinzen zu warten.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig und fühlte mich ein wenig unwohl. »So schlimm kann meine Zukunft doch nicht sein, oder? Ich meine, der Mathetest nächste Woche wird sicher keine Glanzleistung, aber das ist doch noch lange kein Weltuntergang. Und auch wenn es nächsten Dienstag in der Cafeteria wieder Tomatensuppe gibt, die ich mir bestimmt über meinen Rock schütten werde, weil mich Stacey aus Versehen von der Seite anrempelt, glaube ich doch, dass ich ganz gute Chancen habe, die nächste Woche traumafrei zu über…« Doch bevor ich mein Geschwafel vollenden konnte, unterbrach mich Abla mit eisiger Stimme.

»Du hast ja keine Ahnung, was dir bevorsteht, Mädchen.«

Ich warf ihr einen erschrockenen Blick zu. Die alte Dame war vielleicht nicht gerade die liebenswürdige Oma von nebenan, aber so ungehalten hatte ich sie noch nie erlebt.

»Es beginnt. Ich kann es glasklar sehen. Das Grauen beginnt und es wird ein ebenso schreckliches Ende nehmen. Oh, was hab ich nur getan…«, schluchzte Abla, mehr zu sich selbst als zu mir. Eine einsame Träne kullerte durch die dicke Schicht Make-Up über ihre Wange.

»Ähm, was beginnt?«, fragte ich und starrte sie entgeistert an. Die alte Dame heulte kurz auf, wie ein Hund, dem man auf den Schwanz getreten war, und packte mich dann so plötzlich an den Schultern, dass ich vor Schreck zusammenzuckte.

»Lausche meinen weisen Worten, Mädchen«, hauchte sie, ihre violetten Augen wieder fest auf die meinen gerichtet. »Gib acht, dass du auf deinen Reisen nicht bestohlen wirst. Hüte deinen kostbarsten Schatz. Denn alte Freunde werden zu Feinden und der Schrecken wird dich packen, wenn niemand die Wahrheit ans Licht holt. Nimm die Aufgabe an, die dir zu Teil werden soll. Sie ist deine Vergangenheit, deine Gegenwart und deine Zukunft. Und vergiss niemals, wer du wirklich bist.« Erschöpft sackte sie in sich zusammen. »Hättest du vielleicht ein Stück Käse-Sahnetorte für mich?«

Für einen Moment saß ich nur in meinem Sessel und starrte die alte Dame an, als wäre sie soeben von den Toten auferstanden. Ihre Zukunftsvisionen waren schon immer ziemlich bescheuert gewesen, aber heute hatte sie wirklich den Vogel abgeschossen.

»Wir haben leider keinen Käsekuchen«, murmelte ich, noch immer etwas verwirrt von ihrem dramatischen Ausbruch, »aber ich kann dir eine Tasse Tee anbieten.«

»Das wäre herzallerliebst, Rubinya.«

»Äh, in Ordnung«, stammelte ich und erhob mich etwas verwundert aus dem abgewetzten Lesesessel. Niemand nannte mich Rubinya. Ich war Ruby. Einfach Ruby.

Als ich wiederkam, stand Abla vor dem Regal mit den Kitschromanen und schnäuzte sich mitleiderregend die große, gepuderte Nase mit einem geblümten Spitzentaschentuch. »Ach wie schrecklich, dass niemand in der Lage ist, der wunderbaren Karuella Blütenzart gerecht zu werden. Heutzutage ist alles so schrecklich herzlos. Niemand hat mehr Sinn für feurige Leidenschaft und göttliche Romantik.« Schmunzelnd reichte ich ihr den dampfenden Tee. »Vielen Dank, mein liebes Kind«, zwitscherte sie, knüllte ihr benutztes Taschentuch zusammen und warf es in ihre knallrote Lack-Handtasche. Dann nahm sie ein paar Schlucke und verzog die Lippen. »Der schmeckt ja bitterer als mein Herz, wenn es diesem Regal mit schauriger Möchtegern-Romantik zu nahekommt.«

Ich seufzte und nahm die Teetasse zurück.

»Entschuldige, eine andere Teesorte kommt Mr. Higgs nicht ins Haus und die Feenstaubkekse hat Knollbart aufgefuttert.«

Abla winkte ab.

»Schon in Ordnung, Kindchen. Ich muss ohnehin von hier verschwinden. Die fehlenden Düfte von herzzerreißender Liebe und glühend heißer Leidenschaft machen mich noch ganz krank.« Sie nickte mir zu und war einen Augenblick später schon fast zur Tür hinaus, da drehte sie sich nochmal um. »Richte doch bitte deinem Wichtelfreund aus, dass er in den nächsten Wochen ganz hervorragende Talente entdecken wird, die sein Leben lang in seinem rundlichen Wichtelbauch vor sich hingeschlummert haben.« Und mit diesen Worten verschwand sie in der Dämmerung.

Kapitel 3

»Stacey Millers Beauty-Tipps & Herbstball-Aufregung«

Emery wartete bereits am Schultor auf mich. Seine haselnussbraunen Haare waren etwas zerknautscht und wie immer eine Spur zu lang. Auf seiner rechten Wange prangte noch ein leichter Kissenabdruck und sein Hemd lugte unter dem dunkelroten Pullover hervor, der mit zum Repertoire unserer Schuluniformen gehörte. Auf seinen schwarzen Schuhen klebten wie immer feine Schlammspritzer. Viel zu oft vergaß er seine Schuhe zu wechseln, wenn er nach dem Unterricht seinen Großvater Theobald in seinem wilden Garten in Greenwich besucht hatte und Feen- und Kobolderde war nun mal leider recht hartnäckig. Mein bester Freund verbrachte mindestens so viel Zeit zwischen sonderbaren Blumen und Kräutern, wie ich meine Nase zwischen Buchseiten steckte. Mit unbändiger Leidenschaft versorgte er all die vielen Pflanzen aus tausenden von Welten, die Grandpa Theos wilden Schrebergarten schmückten, notierte sich eifrig, was sie brauchten, um bei Kräften zu bleiben und manchmal, wenn er glaubte, dass er völlig allein war, sprach er sogar mit seinen Schützlingen.

»Hast du schon wieder beim Lesen die Zeit vergessen?«, rief mein bester Freund mir entgegen, breit grinsend. Seine graublauen Augen, die von dichten dunklen Wimpern umrahmt wurden, blitzten fröhlich. Wie es bei Feen so üblich war, schien die Iris eine Spur intensiver zu sein als bei gewöhnlichen Menschen. Die graublauen Farbtöne waren viel kräftiger als all die Farben um uns herum und auch wenn Emerys Augen inzwischen nicht mehr ständig die Farbe wechselten, schimmerte immer eines ein bisschen blauer als das andere.

»Erraten«, erwiderte ich zerknirscht und atemlos, als ich unmittelbar vor ihm zum Stehen kam. Wie jeden Morgen hatte ich nach dem Wecker-Klingeln nach einem der Bücher gegriffen, die sich in meinem ganzen Zimmer über den Teppich, auf meinem Schreibtisch und in meinem Bett verteilten. Manchmal erwachte ich mit zahlreichen Schrammen oder blauen Flecken, weil ich wieder einmal wild geträumt hatte und mit meinen schlafwandlerischen Bewegungen an all die Bücherstapel auf und unter meiner Bettdecke geraten war. Mein Dad hatte vergeblich versucht, mich dazu zu bringen, wenigstens nachts meine geliebten Bücher zur Seite zu legen, aber so verrückt es auch war: ohne das vertraute Gemurmel zwischen den bunten Buchrücken war es mir unmöglich, friedlich zu schlafen. Albträume übermannten mich oder ich schaffte es nicht, auch nur ein Auge zuzumachen.

Durch meine frühmorgendliche Reise in die Bücherwelt hatte ich mein Frühstück auf dem Weg zur U-Bahnstation verschlingen müssen, mir die Haare in der Bahn schnell zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden und momentan war ich damit beschäftigt, mir das weiße Hemd meiner Schuluniform in den Rock zu stecken. Ganz zu schweigen von meiner Krawatte, die noch immer aus meiner Umhängetasche baumelte. Und außerdem war ich noch immer seltsam durcheinander, seit ich vor einer halben Stunde den Buchladen verlassen hatte, mit dem Gefühl beobachtet zu werden…von goldbraunen Augen, die mir letzte Nacht in meinen (wie immer recht lebhaften) Träumen begegnet waren. Verschwommen erinnerte ich mich noch an einen Raum voller unbeschriebener Bücher, etliche leere Seiten und diese unergründliche, beinahe karamellfarbene Iris, die just in dem Moment mein Herz hatte höher schlagen lassen, als ich aus dieser seltsamen Traumwelt heraus erwachte. Leicht benommen hatte ich in meinem Zimmer in London wieder die Augen geöffnet und mich gefragt, warum mir der Geruch von frischen Aquarellfarben und Regentropfen in der Nase hing. Vielleicht stimmte es tatsächlich, was die Leute über mich sagten. Vielleicht hatte ich einfach zu viel Fantasie.

»Du hast Tinte im Gesicht«, kommentierte Emery, wischte über meine Wange und machte sich dann daran, meine Uniform zurechtzuzupfen und mir die Krawatte umzubinden.

»Muss wohl noch von gestern sein. Meine Hand ist auch beschmiert, ich glaube, ich brauch mal einen neuen Füller«, murmelte ich und rieb erfolglos über einen weiteren, mitternachtsblauen Kringel, der auf meinem Handgelenk thronte. »Wie geht’s Elvis?«

»Hervorragend!«, erwiderte mein bester Freund strahlend. »Hat seine Stimme wiedergefunden.«

Elvis war ein Wichtelonisches Waldpony mit buschiger schwarzer Mähne, kurzen kräftigen Beinchen und einem kugelrunden Bauch, das hin und wieder in Grandpa Theos Garten auftauchte. Wichtelonische Waldponys standen den Wichteln in Sachen Appetit leider nicht im Geringsten nach und so hatte er vor ein paar Tagen Eloayischen Salbei stibitzt und wenige Augenblicke später hatte der ihn seines Wieherns beraubt. Der arme Kerl war ganz betrübt gewesen und leider hatte es eine Weile gedauert, bis Emerys Feenbuchensirup seine Wirkung entfaltet hatte.

»Dürfte ich eurer banalen Unterhaltung etwas Substanz beigeben?«, mischte sich eine nasale Stimme in unser Gespräch ein.

»Nein!«, kam es von Emery und mir einstimmig zurück. Der alte, steinerne Adler, der die linke Seite des imposanten, dunkelbraunen Schultors schmückte, verzog beleidigt den Schnabel.

»Wie ungehörig von euch!«, motzte er und begann dann schweigend sein Gefieder zu putzen. Emery und ich waren wirklich tolerante Menschen, aber Lebuin war ein unfassbar hochnäsiger, steinerner Adler, dem seine Unsterblichkeit definitiv nicht gutzutun schien. Ständig korrigierte er unsere Sprache und gab uns jedes Mal verärgert zu verstehen, dass unsere Ausdrucksweise ja wohl zu wünschen übrigließe. Er hielt alle Schüler für schrecklich dumm und fühlte sich in seiner Aufgabe als Statue vollkommen unterfordert. Ganz anders als Adria, die steinerne Adlerdame, die auf der rechten Seite des Tors prangte.

»Einen herrlichen guten Morgen!«, begrüßte sie uns würdevoll und verneigte sich leicht.

»Gleichfalls« antwortete ich und warf Lebuin einen provozierenden Blick zu. Der tat so, als habe er nichts gesehen und so ließen wir ihn weiter an seinen versteinerten Federn herumzupfen und betraten den Schulhof.

Die Maxwell Secondary School war bereits vor über einem Jahrhundert gegründet worden und benannt nach dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell, allerdings vergaß ich immer, was genau seine bahnbrechende Entdeckung eigentlich gewesen war. Ich war zwar nicht besonders schlecht in der Schule, in Englisch glänzte ich sogar ab und zu mit meinen Aufsätzen, aber Mathematik und Physik waren mir ein großes, verwirrendes Rätsel. Sehr zum Leidwesen meiner Lehrer, die allesamt einen James Clerk Maxwell – Fanclub leiten könnten. Das alte Gebäude unserer Schule imponierte wie immer mit seinem altmodischen Backsteinbau im warmen Morgenlicht der Spätsommersonne, die sich in den vielen Buntglasfenstern spiegelte. Der mit Kopfsteinpflaster ausgelegte Schulhof erstreckte sich einmal um das ganze Gebäude und war umringt von einer kleinen Parkanlage, in der die Hockeymannschaften trainierten und wo bei gutem Wetter auch der Sportunterricht stattfand. Außerdem gab es ein buntes Fleckchen hinter der Cafeteria, das einen kleinen Kräutergarten bildete, der duftende Minze, Zitronenmelisse, Lavendel, Salbei, Schnittlauch, Petersilie, Basilikum, Knoblauch, ein winziges Apfelbäumchen, eine Koboldfamilie und ein paar exotische Eigenkreationen der Kräuter-AG-Mitglieder beherbergte, die den kleinen Garten allesamt liebevoll hegten und pflegten. Ich muss wahrscheinlich nicht extra erwähnen, dass Emery der Vorsitzende war… Daher verbrachten wir seit unserem ersten Tag an der Maxwell jede Pause draußen zwischen den Kräutern. Außer bei Schnee, aber der war in den letzten Jahren leider immer seltener geworden. Für Regentage hatte ich inzwischen immer meinen bunten Schirm in meinem Schließfach und an heißen Sommertagen boten die umstehenden Bäume des Schulparks angenehmen Schatten. Die frische Luft tat gut und in der Cafeteria war es ohnehin so laut, dass man sein eigenes Wort nicht verstand. Im Garten waren wir stets ungestört, mal abgesehen vom Rest der Kräuter-AG, und so konnte ich in Ruhe meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen und meine Nase in ein gutes Buch stecken oder ein paar Ideen in mein Notizbuch kritzeln, ohne dass jemand blöde Bemerkungen abgab oder - ganz aus Versehen natürlich - seine Limonade darüber ergoss.

»Was ist denn da los?«, murmelte Emery amüsiert. »Hat Stacey sich wieder die Haare gefärbt, um sich in der Gunst ihrer Bewunderer zu sonnen?«

Ich folgte seinem Blick und registrierte stirnrunzelnd, dass sich eine große Traube von Schülern vor den breiten Flügeltüren versammelt hatte, die ins Schulgebäude führten. Alle tuschelten noch aufgeregter als sonst miteinander und deuteten auf ein großes, buntes Plakat, das wohl wie durch Zauberhand über Nacht dort erschienen war. Als wir das Ende der kleinen Versammlung erreicht hatten, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und versuchte, einen Blick auf das skandalöse Papier zu erhaschen.

Herbstball der Maxwell Secondary School – Coming Soon stand da in geschwungenen, orangeroten Lettern geschrieben. Etwas enttäuscht ließ ich mich zurück auf die Fersen sinken. Nicht dass ich die Vorstellung, in einem wunderschönen Kleid bei romantischem Licht mit einem ganz besonderen Jungen über die Tanzfläche zu wirbeln, nicht verlockend fand, aber erstens reichten meine tänzerischen Fähigkeiten in etwa an die eines betrunkenen Wichtels mit Orientierungslosigkeit heran und zweitens konnte ich, abgesehen von Emery, mit niemandem auf unserer Schule wirklich etwas anfangen. Und so hatten die meisten Schulbälle bisher mit einem Filmabend, meinem besten Freund und einem Haufen Schokoladeneis geendet.

»Der Herbstball…«, murmelte ich seufzend, »wie hatte ich das nur vergessen können, Em?«

»Natürlich hast du es vergessen, Bücherwurm. Du hast ja überhaupt keine Ahnung vom echten Leben und den Sehnsüchten einer Frau. Würde mich nicht wundern, wenn du irgendwann einfach verschwunden bist, weil dich einer deiner verstaubten Schinken verschluckt hat. Also, wenn man mich fragt, sind Bücher irgendwie gruselig.« Stacey Miller, der Albtraum meiner Kindheit, drängte sich zwischen uns und schüttelte ihre schimmernden blonden Strähnen, die prompt in meinem Gesicht landeten. Genervt schob ich ihre blöden Haare von meiner Nase runter.

»Stacey, hast du nichts Besseres zu tun, als deine fein gepuderte Nase in Konversationen zu stecken, zu denen dich niemand eingeladen hat?«, konterte Emery neben mir und kämpfte ebenfalls mit Staceys Haarpracht in seinem Gesicht. »Verdammt, deine Haare riechen wie ein ganzer Drogeriemarkt.«

»Emery Abraham, das ist der Geruch von einem durchaus renommierten Conditioner«, verkündete Stacey erhaben, »aber es ist wohl kein Wunder, dass du davon keine Ahnung hast. Ich bin sicher, dass Rubys Haare noch nie in Kontakt mit ordentlichen Pflegeprodukten gekommen sind.« Stacey warf mir einen abschätzigen Blick zu und warf ihre glänzenden Haare wie in einer billigen Shampoo-Werbung über ihre schmalen Schultern. »Ihr seid wirklich hoffnungslose Fälle«, seufzte sie theatralisch, hakte sich bei ihrer Freundin Trish-Ashley (von Emery und mir nur liebevoll Trashley genannt) ein und stolzierte davon.

»Kannst du sie nicht verzaubern?«, zischte ich Emery leise zu. »Oder eine Kräutermischung in ihren Lunch streuen, die ihr eine fiese Ladung Spliss verpasst? Mich würde interessieren, ob sie ohne ihre Goldmähne noch immer so eine große Klappe hat.«

Emery lachte und legte mir den Arm um die Schulter. »Du weißt doch, mein Halbfeenehrenkodex…mir sind zu meinem größten Bedauern die Hände gebunden.«

Stacey begann ein paar Schritte von uns entfernt, vor jedem, der es nicht hören wollte, von ihrem bezaubernden, zart roséfarbenen Ballkleid mit einem Hauch Hagebutte zu schwärmen.

»Ich wette, sie weiß nicht einmal, was Hagebutten sind«, murmelte Emery grinsend.

Kapitel 4

»Pollys Warnung & Glühwürmchentänze«

Das kleine Glöckchen klingelte melodisch, als ich am Nachmittag erschöpft den alten Buchladen betrat. Inzwischen hatte es begonnen zu dämmern und die kühle Abendluft wehte durch die geöffnete Tür ins warme Licht der Lampen und Kerzen. Schnell ließ ich sie hinter mir ins Schloss fallen. Auf dem Heimweg hatte ich Polly in der U-Bahn getroffen. Sie war ein unerträglich nerviger Geist, seit schätzungsweise mehreren Jahrhunderten tot und lebte in den alten Tunneln des U-Bahnsystems. Sie hatte sich dort unten angeblich verlaufen und jedes Mal, wenn ich sie traf, fragte sie mich nach dem Ausgang. Zu Beginn unserer nicht besonders intensiven Freundschaft hatte ich ihr immer wieder hilfsbereit geantwortet und auf die Treppen nach oben verwiesen, aber nach dem vierten Mal hatte ich es aufgegeben, weil sie immerzu ihren Kopf schüttelte und mir versicherte, dass sich dort nur der Eingang zur Hölle befände. Sie war eindeutig völlig verrückt. Aber das war auch kein Wunder, wenn man sein Leben unter der Erde verbrachte. Naja, oder was auch immer das war, was man als ihr Leben bezeichnen konnte.

Heute hatte sie kreischend versucht, mich davon abzuhalten, die U-Bahnstation wieder zu verlassen und als ich es endlich geschafft hatte, mich aus ihrer feucht kalten Geisterumklammerung wieder zu lösen, war zu meiner Erleichterung die nächste Bahn eingefahren. Mit einem Hechtsprung (begleitet von verstörten Blicken der anderen U-Bahn-Nutzer) hatte ich mich in Sicherheit gebracht und war ihr wieder entkommen. Heulend und mit weit aufgerissenen bleichen Augen hatte sie sich an die U-Bahn-Scheibe geklebt.

»Die Hölle wird dich verschlingen, Menschenmädchen!«, hatte sie mir theatralisch hinterher gehaucht, bevor der Fahrtwind sie glücklicherweise davon gepustet hatte. Eines war sicher. Victoria Station würde ich bis auf Weiteres meiden.

»Du bist spät, Ruby.« Mr. Higgs hockte vor einem der großen Bücherregale am Fenster und sortierte die dicken grünen Bände über die Geschichten von Wales.

»Geister…«, murmelte ich und ließ meine Umhängetasche in einen Sessel fallen. »Wo ist Knollbart?« Der kleine Wichtel war nirgends zu entdecken. Mit fragendem Blick schnappte ich mir einen Schokoladenkeks von dem kleinen Teller auf dem Tresen. »Ein wahres Wunder, dass es noch Kekse gibt.«

Mr. Higgs verzog den Mund zu einem amüsierten Lächeln. »Im Talltomps gibt es heute Schurumpfel und Krolleputsch im Angebot. Du glaubst nicht, wie unser kleiner, dicker Wichtel rennen kann.«

Ich kicherte. Das hätte ich mir auch denken können. Das Talltomps war Knollbarts Stammkneipe in Wichtelonien. Falls der kleine Wichtel unauffindbar war, machte er meist einen Abstecher in seine alte Heimat, ein kleines Wichteldorf namens Brombstings, um eine Wichtelspezialität nach der anderen in seinen kugelrunden Wichtelbauch zu schaufeln. Bei Schurumpfeln handelte es sich um recht klobige, unförmige Kugeln, die sich in ihrem Geschmack stets an die Wünsche des hungrigen Essers anpassten. Krolleputsch dagegen war ein Wichtelonischer Schnaps, der an eine seltsame Mischung aus Nougat, Popcorn und Zuckerwatte erinnerte und (wenn man Knollbarts Worten Glauben schenkte) gehörig reinhaute.

»Deine Buchempfehlungen könnten mal wieder aufgefrischt werden«, fuhr Mr. Higgs fort und reichte mir ein abgewetztes, dunkelgrünes Buch, gebunden in rauen, derben Stoff. Entschlossen schnappte ich es ihm aus der Hand. Ein Blick aus dem Fenster sagte mir, dass sich weiterhin keine Regenwolken am Horizont sehen ließen. Gut so. Bevor der Herbst kam, musste ich die letzten warmen Abende ausnutzen. Ich schnappte mir wieder meine Handtasche, steckte das Buch hinein und winkte Mr. Higgs zum Abschied. Dann trat ich hinaus in die laue Abendluft. Für einen Augenblick hätte ich schwören könnten, die goldbraunen Augen aus meinem Traum zwischen dem dichten Geäst eines Ahornbaumes auf der anderen Straßenseite hervorlugen zu sehen. Bei erneutem Hinsehen musste ich aber zugeben, dass dort weit und breit keine Menschenseele zu erkennen war.

»Schwachsinn…«, murmelte ich in mich hinein, strich meine rote Cordjacke zurecht und stapfte die Straße hinunter, bis ich mich inmitten des mir so vertrauten Londoner Getümmels wiederfand. Eine Weile genoss ich die warme Stimme eines jungen Straßenmusikers, die melodischen Klänge seiner Gitarre und die schönen Worte, die aus seinem Mund drangen. Inmitten von aufgeregten Touristen, die sich von London verzaubern ließen, stand ich da und genoss die letzten Strahlen der Sonne, die sich langsam, aber sicher, für den Tag verabschiedete und hinter all den riesigen Londoner Gebäuden verschwand. All die Abende und gemütlichen Sonntage kamen mir in den Sinn, an denen ich mit meinem Dad auf seinen alten Gitarren herumgeklimpert, alberne Texte auf seltsame Melodien gedichtet und so viel gelacht hatte, dass mir der Bauch schmerzte. Beim Gedanken daran, musste ich lächeln.

Mein Dad und ich waren ein wunderbar eingespieltes Team. Auch wenn er meinen Hang zur Tagträumerei, meine übersprudelnde Fantasie und meine ungewöhnliche Vorliebe für alte Bücher nicht ganz verstehen konnte und nicht den leisesten Schimmer von dem Teil meines Lebens ahnte, den ich inmitten von Magie verbrachte, hatte ich ihn sehr lieb. Weit und breit kochte er das beste vegetarische Chili, er fand stets genau die richtigen Worte für jede Lebenslage und er ließ mir meine Freiheiten, in dem Wissen, dass ich ihm ohnehin alles erzählen würde. Ich nutzte sein Vertrauen nie aus. Kurzum, wir kamen wunderbar zurecht. Seit ich denken konnte, gab es nur uns beide.

An meine Mutter konnte ich mich kaum erinnern. Was kein Wunder war. Sie war kurz nach meinem dritten Geburtstag verschwunden und mein Dad hatte so gut wie jede Erinnerung an sie aus unserer kleinen Wohnung über dem Buchladen verbannt. Manchmal, während meiner Tagträumereien stahlen sich verschwommene, ferne Erinnerungen in mein Bewusstsein, doch jedes Mal, wenn ich sie packen wollte, verpufften sie ins Nichts. Mein Dad wurde stets sehr still, wenn ich meine Mutter in seiner Gegenwart erwähnte und auch Mr. Higgs machte aus ihrem Verschwinden ein großes Geheimnis.

»Die Sache ist kompliziert«, murmelte er stets kurz und knapp vor sich hin und zog sich dann in die Tiefen des Kellergewölbes zurück. Aus dem sturen alten Mann war absolut überhaupt nichts herauszubekommen. Also hatte ich das Fragen irgendwann zähneknirschend eingestellt.

Als der Straßenmusiker geendet hatte und die Menschen um mich herum begeistert zu klatschen begannen, stimmte ich ein, warf ein paar Pfundmünzen in seinen Gitarrenkoffer und wanderte dann weiter am Ufer der Themse entlang. Auch wenn das Wasser schmutzig und nicht besonders einladend wirkte, führten mich meine ziellosen Spaziergänge früher oder später jedes Mal ans Ufer des breiten Flusses, der sich einmal durch London hindurch schlängelte. Ein frischer Wind wehte und zerzauste meine Haare. Hinter mir drangen leise Töne an mein Ohr, der Straßenmusiker hatte sein nächstes Lied angestimmt und der Wind trug die Melodie noch eine Weile hinter mir her, bis sie immer leiser und schließlich vom Rauschen des Wassers übertönt wurde. Inzwischen hatte sich die Sonne gänzlich verzogen und der Mond lugte hinter den weichen Wolken hervor, tauchte den Abend in warmes Licht. Ich genoss die bunten Lichter der Stadt, das Stimmengewirr und das Gefühl von Lebendigkeit, das mich jedes Mal überkam, wenn ich durch London streifte. Nach einer Weile ließ ich mich auf einer alten Bank nieder. In der Ferne ragten die Türme der Tower Bridge in den Himmel hinauf, der schmale Halbmond spiegelte sich im dunklen Wasser der Themse. Ich zog das alte, grüne Buch hervor, schlug es auf und begann im Schein einer Horde Glühwürmchen zu lesen, die sich immer mal wieder aus den altertümlichen Straßenlaternen heraus hierher verirrten.

Glühwürmchen können Abenteuer riechen. Eine alte Feenweisheit. Emerys Worte geisterten durch meinen Kopf an den Rand meines Bewusstseins. Ich blickte für einen kurzen Augenblick von meinem Buch auf und betrachtete nachdenklich die schimmernden Wesen. Ob da etwas dran war?

Die Zeit würde es zeigen.

Kapitel 5

»Ein vierpfotiger Sherlock & ein Gespenster sehender Dad«

Der Klang von klirrendem Geschirr, gemischt mit Musik und der Duft von Spaghetti Bolognese wehten mir entgegen, als ich schließlich erschöpft die Tür zu unserer kleinen Wohnung aufschloss und meine Tasche mit einem gehörigen Wums neben dem Schuhschrank fallen ließ.

Das Radio in der Küche war auf volle Lautstärke aufgedreht und trällerte gemeinsam mit der tiefen Stimme meines Dads Highway to hell. Ich summte ein wenig mit, während ich meine Schuhe auszog und Sherlock begrüßte, der mit wedelndem Schwanz um die Ecke getapst kam. Ich strich ihm durch sein hellbraunes, zotteliges Fell und küsste ihn auf seine Hundeschnauze. Der zottelige Hütehund war schon seit beinahe zwölf Jahren bei uns und ich konnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Er hatte damals eines Tages einfach vor den Treppenstufen unseres kleinen Buchladens gesessen. »Es kommt bestimmt bald jemand und holt ihn ab«, hatten mein Dad und Mr. Higgs gesagt. Und so warteten wir ein paar Tage. Aber aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen Monate und schließlich Jahre. Niemand war gekommen, um ihn abzuholen und so hatte er den Namen Sherlock bekommen und war bei uns eingezogen. Anfänglich war Mr. Higgs nicht sonderlich begeistert gewesen, dass ein zotteliger Vierbeiner seine Bücherwelt unsicher machte, aber bereits nach wenigen Wochen hatte Sherlock auch sein Herz voll und ganz erobert.

»Hallo, Große.« Mein Vater steckte seinen Lockenkopf aus unserer kleinen Küche und winkte mir mit einem Kochlöffel fröhlich zu. Ich erhob mich grinsend und folgte Sherlock in die warme, duftende Küche.

»Hi, Dad«, murmelte ich einen Augenblick später in seine Umarmung hinein.

»Wo hast du gesteckt?«, fragte er, löste sich von mir und rührte in einer großen Pfanne, in der Bolognese Sauce vor sich hin köchelte.

»Ich war in der Stadt und hab…«

»…beim Lesen die Zeit vergessen?«, beendete mein Vater meinen Satz, bevor ich zu Ende sprechen konnte. Ich grinste. »Du scheinst mich ganz gut zu kennen. Könnte es sein, dass wir verwandt sind?«, gab ich zurück.

Mein Vater strubbelte mir lachend durch die Haare. »Ja, das könnte durchaus sein.«

»Wie lange dauert es noch?«, fragte ich. Mein Magen knurrte mittlerweile ungeduldig. Ich hatte seit der ungenießbaren Mahlzeit in der Schulcafeteria nichts mehr gegessen. Mein Vater wandte sich wieder der dampfenden Pfanne und den kochenden Nudeln zu. »Alles fertig, ich habe nur auf dich gewartet.«

Ich wusch mir schnell die Hände, half dabei, die vollgeladenen Teller rüber ins Wohnzimmer zu tragen und warf Sherlock ein paar Nudeln und eine Handvoll seiner Lieblingshundekekse in seinen Napf. Der stürzte sich schwanzwedelnd auf sein Abendbrot, als habe er seit Wochen nichts mehr gegessen und schmatzte zufrieden.

Es war schön, Zeit mit meinem Dad zu verbringen. Ich berichtete ihm von meinem Tag, vom anstehenden Herbstball, von Staceys bescheuertem Kleid mit einem Hauch von Hagebutte und von dem Buch, das ich gerade las. Er hörte wie immer geduldig zu und erzählte mir dann von den urigen Altbauten im Londoner Süden, die er gerade renovierte. Als Architekt hatte er es sich zur Berufung gemacht, heruntergekommene, vergessene Gebäude wieder zum Leben zu erwecken und vor den gierigen Fingern scheußlicher Baugiganten zu retten, die dort stattdessen wuchtige, gläserne Bürokomplexe, Wolkenkratzer und spießige Neubausiedlungen aus dem Boden ziehen wollten.

Gespannt lauschte ich seinen Ideen und betrachtete begeistert die Zeichnungen, die er mühevoll angefertigt hatte. Mr. Higgs hauchte alten Büchern neues Leben ein, mein Dad den einzigartigen Bauten aus Londons Vergangenheit. Stolz erfüllte meine Brust.

»Das wird toll, Dad!« Andächtig fuhren meine Finger über die präzisen Bleistiftstriche, während ich die verschnörkelte Hausfassade eines schmalen Reihenhauses bewunderte.

»Was ist das da auf deiner Hand?«, riss mich mein Dad aus meiner Betrachung. Verwirrt hob ich den Kopf. »Was…oh, achso, das meinst du. Ist nur Tinte. Ich glaube, mein Füller hat ein Leck«, erwiderte ich und rieb über die geschwungene blaue Farbe, die meinen Handrücken zierte. »Äh, Dad? Alles in Ordnung?«

Stirnrunzelnd betrachtete ich meinen Vater, der ganz still geworden war und mit glasigen Augen vor sich hinstarrte. Verunsichert wackelte ich mit beiden Händen vor seinem Gesicht, das mit einem Mal einen so seltsamen Ausdruck angenommen hatte.

»Hallo? Erde an Dad?«

Er zuckte zusammen als hätte ich ihn aus einem tiefen Tagtraum gerissen. »Entschuldige Ruby«, murmelte er und rieb sich seine dunkelgrünen Augen, die mit einem Mal furchtbar müde erschienen, »ich dachte…« Angestrengt runzelte er die Stirn als müsse er sich an etwas erinnern, das furchtbar tief in seinem Gedächtnis begraben lag. »Ach, ich weiß auch nicht. Lass uns schlafen gehen. Ich hatte einen langen Tag und ich glaube, ich sehe schon Gespenster.«

Kapitel 6

»Himmelskrieger & Gefühlschaos«

Ich ließ meinen Blick durch das riesige Gewölbe schweifen. Der Geruch nach Erde, Regen und Honig stieg mir in die Nase. Der Boden war mit Stein, Moos, Gras, dicken Wurzeln und violetten Blüten überzogen. Hier und da wanden sich Bäume hinauf in die erdige Decke, streckten ihre langen, knorrigen Äste empor und warfen dunkle Schatten über imposante Statuen. An der Wand zu meiner Linken flackerten Fackeln und erhellten gemeinsam mit einer Menge flinker Glühwürmchen das unterirdische Gewölbe, als wollten sie diesem düsteren Ort ein wenig Trost spenden.

Es war völlig ruhig hier unten. Die Stille legte sich auf meine Ohren wie eine samtige Decke und mich durchfuhr ein Gefühl, das ich nicht einordnen konnte. Es überwältigte mich, schüttelte mich durch und ließ für einen Augenblick kribbelnde Glückseligkeit durch meinen ganzen Körper strömen. Und im nächsten Moment rollte eine einsame Träne meine Wange hinunter. Aufgelöst wischte ich sie von meiner Haut, unfähig zu verstehen, was hier geschah. Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, was das hier für ein Ort war und doch berührte er mich auf eine Art und Weise, die alles überstieg, was ich jemals empfunden hatte.

Ich atmete ein paar Mal tief durch, bis ich mich in der Lage fühlte, mich wieder zu bewegen. Langsam lief ich weiter ins Innere dieses seltsamen, unterirdischen Gartens. Dicke, steinerne Statuen säumten den schmalen, unebenen Pfad, über den ich lief, und ich fragte mich, zu wessen Ehren sie an diesem Ort erbaut worden waren. Selbst bei genauerem Hinsehen konnte ich keine Inschriften, keine Namen, keine Jahreszahlen entdecken.

Schließlich zog eine von ihnen besonders meine Aufmerksamkeit auf sich. Himmelskriegerin,