Die Chroniken des Lichtbringers: Der Höllensturz - Carpenter Vangelis - E-Book

Die Chroniken des Lichtbringers: Der Höllensturz E-Book

Carpenter Vangelis

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Beschreibung

Kurz vor der göttlichen Prüfung des Erzengel-Anwärters Luzifer dringen Dämonen in das Paradies ein. Der Lichtbringer versucht, die Wahrheit über den Angriff herauszufinden und entdeckt Gottes neueste Kreation: die Menschen. Als Luzifer erfährt, dass durch ihre Adern das Blut der Dämonen fließt, stellt er sich den Plänen Gottes entgegen. Dabei kommt jedoch seine Geliebte ums Leben und Luzifer greift zu den Waffen. Von Wut und Rachegelüsten getrieben, wird Luzifer von den dunklen Mächten korrumpiert und aus dem Paradies verbannt. Während der Erzengel Michael verzweifelt versucht, seinen Bruder zurück ins Licht zu bringen, erliegt Luzifer der Dunkelheit, erweckt uralte Mächte und wird zum Anführer der Rebellion gegen das Paradies.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Die Chroniken des Lichtbringers

Der Höllensturz

Carpenter & Vangelis

Impressum

Alexandros & Andreas Papaioannou

Kentuckyallee 62

76149 Karlsruhe

ISBN: 9783757934187

Independently Published

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

©️ 2023 Alexandros & Andreas Papaioannou

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Übung macht den MeisterEos und PhorosDie neue SchöpfungDie vergessene WeltDas MahnmalDer ChaosregenDas UrteilSamael und die DämonensiegelDer AusbruchDer verschollene CherubimEine finstere ReiseGol-DawaDas Chaos hat ein EndeDer AbgrundLilithDas Schicksal von Moira und AnathemaDie Kathedrale der Tausend LügenDie dunklen InschriftenEine Reise in die VergangenheitDie RebellionDer HöllensturzDas Herz der SündeMichael trifft auf AristratosEine unheilige AllianzDer WiederaufbauDie IntrigeAuf der Suche nach BehemothPandämoniumMichaels göttliche PrüfungArmee der FinsternisDer Kampf gegen die ZeitDer AufmarschEine unausweichliche EntscheidungDer alte Mann und die ArcheDer Krieg der KriegeDer Engel des TodesDer ÜberraschungsangriffDas dritte GebotDer Hauch des TodesDer BruderkampfTod und VerderbenDie SintflutAssassinenDas himmlische WunderBaphomet

Über den Autor

Widmung

An alle Träumer und Gläubigen, die es wagen, die Grenzen von Licht und Dunkelheit in Frage zu stellen, und die Komplexität ihrer eigenen Entscheidungen annehmen.

Dieses Buch ist denen gewidmet, die die Wahrheit suchen, selbst angesichts überwältigender Versuchung und Verzweiflung.

Mögen Sie auf den folgenden Seiten Trost finden, und möge Ihre Reise genauso episch sein wie die Geschichte darin.

An die unermüdlichen Entdecker des menschlichen Geistes, die verstehen, dass selbst in den Tiefen der Dunkelheit ein Lichtfunke eine Revolution in der Seele auslösen kann.

Für die mutigen Seelen, die die Normen herausfordern, und keine Angst davor haben, die Grundfesten des Himmels und der Hölle in Frage zu stellen, Dieses Buch ist für Sie.

An den Erzengelkandidaten Luzifer, dessen Sturz in die Hölle mehr als ein Abstieg war, aber eine Transformation, die den Himmel erschütterte, und den Lauf des Schicksals für immer verändert hat.

Und schließlich an die Leser, die sich auf diese epische Reise begeben:

Mögen Sie von den Reichen der Engel und Dämonen fasziniert sein, und mögen die Worte auf diesen Seiten das Göttliche in Ihnen erwecken.

Prolog

Der Himmelskörper

65 Millionen Jahre v.Chr.

Staub, nichts als Staub. Abaddon lag schwer atmend im Schlamm und zwang sich, die Augen zu öffnen. Über ihm kreiste eine Gruppe furchterregender Flugkreaturen am Himmel. Von einem brennenden Schmerz begleitet, rieb er sich den Dreck aus seinen Augen und erkannte, dass es sich um echsenartige Wesen mit großem Schwanz und scharfen Zähnen handelte. Für einen kurzen Moment überdeckte die Spannweite ihrer Flügel die Sonne und Abaddon richtete seinen Blick gen Himmel. Hatte Vater ihn erhört? Für einen kurzen Moment schien die Erde, um ihm herum stillzustehen und noch einmal holte der Ur-Engel tief Luft. Dann stützte er sich auf sein Schwert und zog sich auf die Beine. Aus dem Augenwinkel konnte der Schwertführer Gottes erkennen, dass sich ihm eine finstere Gestalt nährte. Die brennend roten Augen der riesigen Kreatur schienen Abaddon mit ihrem Blick zu durchbohren. Je näher sie kam, umso mehr Details konnte der Ur-Engel erkennen. Verkohlte Haut umhüllte den Körper der mächtigen Erscheinung. Runenleuchtenden Stacheln, die sich nach hinten richteten, überdeckten seine Schultern und seinen Oberkörper wie ein Brustpanzer. Eine Flut aus Lava strömte aus der klaffenden Wunde an seinem Bauch und aus seinen Augen. Der brennende Schädel und die echsenartigen Krallen an Händen und Füßen rundeten das Erscheinungsbild des unheimlichen Wesens ab.

Mit schweren Schritten kam die Gestalt immer näher. „Abaddon!“, schrie die Kreatur mit dämonischer Stimme. „Du Narr! Glaubst du wirklich, du kannst mich stoppen? Niemand wird mich je aufhalten können! Du weißt nicht, wie stark die Kräfte der Hölle sind. Ich bin Sataniel – Herrscher über die Hölle und das gesamte Universum.“ Kaum hatte Sataniel seine Drohung ausgesprochen, zog er sein Schwert und eine runenverzierte Klinge kam zum Vorschein. „Vater hat versagt! Das Paradies ist dem Untergang geweiht! Wenn du seiner törichten Sicht weiter folgst, wirst auch du untergehen!“

Mit voller Wucht holte Sataniel mit seinem Schwert aus. Abaddon konnte den Schlag nur mit Mühe parieren, verlor dabei das Gleichgewicht und als Sataniel mit dem Fuß nach ihm trat, glitt ihm das Schwert aus den Händen.

„Schau dir diese Welt an – all diese unterschiedlichen Kreaturen mit ihren kräftigen Beinen, ihren schlanken Gliedern und ihren rasiermesserscharfen Zähnen! Wenn Vater sie erschaffen hat, sollte man glauben, dass sie uns ähneln, aber tun sie das? Sind diese Kreaturen die wahren Herrscher dieser grünen Welt?“ Sataniel deutete auf die herumwanderten Kreaturen. „Sind sie das?“, wiederholte er die Frage und drehte sich zu Abaddon. „Nein! Sind sie nicht! Diese erbärmlichen Geschöpfe sehen uns nicht, berühren uns nicht, schmecken uns nicht, denn sie sind vergänglich! Aber sie spüren unsere Präsenz … du hattest die Chance, ein Teil dieser Weltordnung zu werden. Es lag mit in deiner Hand, dass sich diese furchterregenden Echsen uns unterwerfen. Gemeinsam hätten wir eine Armee aus korrumpierten Kreaturen erschaffen können. Glaubst du, dass dein Verrat diese Welt retten kann? Sieh dir die Kreaturen an! Die meisten habe ich bereits verdorben.“

„Du wirst nie über diese Welt herrschen. Du unterschätzt das, was du hast, und überschätzt gleichzeitig das, was du bist“, erwiderte Abaddon.

Sataniel lachte. „Irgendwelche letzten Worte?“, fragte er mit einem finsteren Grinsen.

„Bedenke Sataniel“, lachte Abaddon höhnisch. „Zwischen Hochmut und Demut steht eine weitere Tugend!“

„Und die wäre?“, fragte Sataniel irritiert.

„Der Mut“, erwiderte Abaddon und zückte sein Horn.

Er blies hinein und augenblicklich verdunkelte sich der Himmel. Von allen Seiten ertönte das Grollen des Donners und ein peitschender Wind wirbelte die Blätter und den Sand auf. Die großen, schrecklichen Eidechsen, die zuvor siegessicher am Himmel ihre Kreise zogen, flogen auf der Suche nach einem sicheren Unterschlupf panisch in alle Richtungen davon. Sie waren die Ersten, die die aufkommende Gefahr spürten. Gefolgt von einem ohrenbetäubenden Grollen erschien ein gleißendes Licht am Himmel. Ein riesiger Himmelskörper raste direkt auf die Erde zu. Erstarrt blickte Sataniel nach oben. Die Angst ergriff seinen Körper.

„Nein. Neiiiin!“, brüllte er verzweifelt.

„Das kann nicht sein!“ Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit anzusehen, wie der Himmelskörper auf der Erde einschlug, ehe eine glühende Druckwelle ihn und Abaddon umfasste.

Kapitel 1

Übung macht den Meister

Sanft fuhr der Wind durch den offenen Gang, der zwei heruntergekommene Haupthallen verband. Ein leises Rauschen erklang in den Ästen der ewigen Bäume, die den Fuß der Gebäude säumten. Ihre goldenen Blätter spiegelten das Licht wider und schimmerten wie tausend kleine Edelsteine in dessen Glanz. Die Bäume hatten dicke, knorrige Stämme und lebten bereits seit Jahrhunderten. Inmitten der Ruinenstadt standen sich zwei Engel gegenüber. Luzifer zückte sein Schwert und fokussierte sich auf seinen Bruder Michael, der ebenfalls sein Schwert aus der Scheide zog. Michaels langes schwarzes Haar und seine schuppenförmige Rüstung ließen ihn im Gegensatz zu Luzifer archaisch wirken. Luzifer hingegen hatte leicht lockige, dunkelrote Haare, die ihm bis zur Schulter reichten und seine mit Ornamenten geschmückte Rüstung verdeckten. Mit seinen gelb leuchtenden Pupillen beobachtete Luzifer jede Bewegung seines älteren Bruders. Er holte mit dem Schwert aus und versuchte immer wieder Michael zu treffen, doch dieser wich mit einer gelassenen Eleganz aus, ehe er schließlich zum Gegenangriff überging. Stahl traf auf Stahl. Luzifer versuchte Michaels Angriffen standzuhalten, doch er rutschte aus und fiel auf den kalten Marmorboden.

Am Rand beobachtete der Engel Uriel die Brüder dabei, wie sie sich auf ihre Prüfung vorbereiteten. Er schleifte seine Waffen und schmunzelte. Uriels kräftige Statur war von einer rot schimmernden Plattenrüstung umgeben. Inschriften verzierten einen Teil seines kahlen Kopfes und seines markanten Gesichts.

Es dauerte nicht lange, bis Michael seinen Bruder besiegt hatte. Gelassen reichte er Luzifer die Hand, half ihm auf die Beine und spazierte mit ihm zu einem alten Torbogen. Die beiden stoppten und ihr Blick fiel auf die Inschrift.

Es gibt unter den meistgelehrten Dienern Gottes einen, der lange Zeit gehorsam ist und sich seinem Herrn widersetzt und sein Herr wird sich von ihm abwenden und ihn verfluchen.

„Was soll das überhaupt bedeuten?“, wandte sich Luzifer an seinen Bruder. „Diese Inschrift ist mehr als töricht.“

Michael schmunzelte. „Du weißt doch, die Wege unseres Vaters sind unergründlich und mit ihnen auch die Inschriften.“

Luzifer seufzte. „Das ist mir klar, aber ich verstehe es trotzdem nicht. Wer würde sich von Vater abwenden? Das ist doch nur ein altes Schauermärchen.“

Michael zuckte mit den Schultern. „Niemand weiß, was genau diese Worte bedeuten, Luzifer. Aber ich bin mir bewusst, dass jeder neue Tag unser Leben verändern kann. Wir werden niemals wirklich wissen, was der Morgen bringt. Deshalb sollten wir unseren Geist auf die bevorstehende Prüfung vorbereiten und schärfen.“

Uriel trat zu ihnen. „Wie viele Kämpfe wir wohl austragen müssen, um die göttliche Prüfung zu bestehen?“

„Das weiß nur unser Vater“, erwiderte Raphael wie aus dem Nichts und alle drei drehten sich zu ihrem Bruder um. Sein blondes Haar hing über sein grünes Gewand und ein schwarzer Panzer schützte seine muskulöse Brust. An der linken Seite seines verzierten Gürtels hingen zahlreiche Phiolen und Weihrauch entwich aus einem Schwenkräuchergefäß, das er zu seiner Linken trug.

„Lust auf einen Schluck Heiltrank? Stärkt Geist und Seele“, bot er an.

Seine Brüder lachten, doch noch ehe einer von ihnen antworten konnte, ertönte der Klang der Hörner aus der Ferne.

„Oh! Mein Unterricht fängt bald an!“, sagte Luzifer. „Meine Akolythen warten auf mich. Ich muss euch leider verlassen und mich auf den Weg zu den Hallen der Ahnen machen.“ Er schmunzelte und entfaltete seine vier Flügel, erhob sich in die Luft und ließ seine Brüder zurück. Er flog durch die Wolken und näherte sich schnell der pompösen Silhouette einer Festung mit großen, schimmernden Türmen – der Hauptstadt des Paradieses Zion. Vor dem großen silbernen Tor setzte er zur Landung an. Vier Engelswachen starrten ihn an und salutierten anschließend. Er schritt durch den silbernen Torbogen und betrat die große Vorhalle, die aus weißem Marmor erbaut war. Als Luzifer seinen Blick schweifen ließ, erblickte er eine Gruppe Engel, die aus Akolythen und Cherubim bestand. Diese Halle stellte den Kreuzpunkt des Paradieses dar, von dem aus man direkt in die anderen Hallen gelangte. Zu seiner Rechten und Linken erblickte Luzifer Handwerksbetriebe und Verkaufsstände. Dazwischen tummelten sich Engel und Cherubim, die redeten, einkauften oder einfach nur versuchten, sich ihren Weg durch die Menge zu bahnen. Luzifer richtete seinen Blick nach oben. Die Halle war so hoch, dass er die Decke nicht sehen konnte. Über Luzifer schien der Himmel zu sein, von dem die Sterne auf die Besucher der Halle herab strahlten. Das Licht hatte einen feinen, bläulichen Schimmer und war bei Weitem nicht so warm wie der Glanz, der den Rest des Himmels erhellte. Luzifer bahnte sich seinen Weg durch die lebhafte Menge und bog links in die Halle der Ahnen ab.

Dort fand er schließlich Ischrafil, die die Akolythen, die jungen Engel, unterrichtete. Ihre langen Haare schimmerten in einem reinen Weiß und eine leicht gelockte Strähne fiel ihr ins Gesicht. Ihre elegant-filigrane Gestalt wurde von Gewändern aus reiner Seide bedeckt – einem Kleid, so weiß wie ihr Haar und so strahlend wie das goldene Licht, das die heiligen Hallen erleuchtete.

Luzifer stoppte im hinteren Bereich der Halle und lauschte dem Ende von Ischrafils Unterricht, die mit einem Stab in der Hand vor den Akolythen stand. Mit diesem deutete sie auf ein massives Wandrelief und erzählte den jungen Engeln im Geschichtsunterricht vom Ersten Krieg – dem Kampf Gut gegen Böse.

In Stein gemeißelt waren, die Ur-Engel zu erkennen, die gegen die Dämonen kämpften und diese besiegten. Die jungen Engelsanwärter waren reichlich vertreten und füllten die Halle komplett aus, die mit zwölf großen Säulen der verschiedenen Helden ausgeschmückt war. Die kühlen Steinmauern im Inneren wurden von einer großen Feuerschale, dem ewigen Feuer, das zu Gedenken an die gefallenen Krieger des Paradieses in der Mitte der Halle brannte, beleuchtet. Luzifer lehnte sich gegen eine Säule und lauschte Ischrafils Worten. Diese ließ ihren Blick über die Menge schweifen und erblickte Luzifer. Sie schenkte ihm ein Lächeln und widmete sich dann wieder ihren Schülern.

Während Luzifer seiner Liebsten gebannt zuhörte, tippte ihm jemand auf die Schulter. Luzifer fuhr überrascht zusammen, drehte sich um und erblickte sein besten Freund Samael, der sich von hinten angeschlichen hatte. Seine nach oben geneigten Augen funkelten als er den Lichtbringer sah. Ein schmales Lächeln breitete sich in seinem langen, dreieckigen Gesicht aus und er verbeugte sich leicht mit seinen zurückgezogenen schwarzen Haaren vor Luzifer.

„Schön, dich zu sehen, Samael! Warst du beim Schmiedemeister Onura? Oder woher hast du diese schwarz-rote Rüstung? Hast du Michaels Garderobe geplündert?“, flüsterte Luzifer.

„Ein wenig von beidem!“, schmunzelte Samael.

Er war nach Ischrafil an der Reihe und leitete den Unterricht in Dämonologie und schwarzer Magie. Die vielen Pergamentrollen unter seinem Arm ließen Luzifer vermuten, dass die Akolythen heute eine Menge lernen mussten. Gerade als Luzifer etwas zu Samael sagen wollte, kam Ischrafil zum abschließenden Satz: „… Und so griff Abaddon, der Anführer der im 169. archäischen Jahr die Dämonenbrut an, die daraufhin eine herbe Niederlage erlitt.“

„Dieser Misserfolg der Dämonen war der Anfang vom Ende des Ersten Krieges. Aber mehr dazu in der nächsten Stunde“, ergänzte Sela, der alte Cherubimwächter, der Ischrafil zur Seite stand und ein Zeitzeuge der Geschehnisse war. Sela war ein mächtiges löwenartiges Wesen mit Flügeln und Hörnern. Seine Wangen sowie seine Brust waren mit verzierten archaischen Schriften geschmückt, die ihm ein ehrfurchtgebietendes Aussehen verliehen. Applaus war zu hören und Ischrafil und Sela verbeugten sich vor dem Publikum.

„Ich bin dran“, sagte Samael zu Luzifer und trat nach vorn. „Heute wollen wir über fliegende Dämonen sprechen“, sagte er und entfaltete die erste Pergamentrolle vor den Augen der jungen Engel. Luzifer schmunzelte und verließ die Hallen der Ahnen, um Ischrafil abzufangen, die den Unterricht mit Sela verließ.

„Seid gegrüßt, ehrfurchtgebietender Sela, Krieger der alten Zeiten. Es ist mir stets eine große Freude“, begrüßte er den alten Krieger und verbeugte sich leicht.

„Luzifer! Welch große Freude, dich zu sehen. Wie geht es unserem strahlenden Anwärter?“, entgegnete Sela euphorisch.

„Mein Unterricht fängt gleich an und danach muss ich mich mit meinen Brüdern auf die göttliche Prüfung vorbereiten“, antwortete Luzifer.

„Geduld und Disziplin! Schon bald werden eure silbernen Flügel in Gold erstrahlen. Dann seid ihr die neuen Erzengel!“ Sela lächelte.

„Eure Worte erfüllen mich mit Mut und Freude, Sela. Erlaubt Ihr mir, Ischrafil zu entführen?“

„Aber gewiss! Hinfort mit euch, junges Glück“, schmunzelte Sela.

Luzifer drehte sich zu Ischrafil, die es nicht mehr abwarten konnte und ihm in die Arme fiel.

„Da bist du, meine Liebe“, begrüßte er sie und zog sie sanft an sich.

„Ja, hier bin ich!“, entgegnete Ischrafil, küsste ihn und lachte leise. „Wir sollten uns langsam zum Observatorium begeben. Was denkst du?“

Luzifer stimmte zu und schlenderte mit Ischrafil in die überfüllte Halle der Engel. Händchenhaltend ging das Paar vorbei an der großen Pforte, die zum Garten Eden führte, und blieb in der Nähe des imposanten Eingangs stehen. Zu ihrer Rechten befand sich ein dreieckiges Relief und zu ihrer Linken eine große Steintafel. Die Fliesen waren mit Blättern verdeckt. Sie waren kleine, goldene Kunstwerke voller intrikater Muster. Vor der Pforte umzingelte bereits eine eifrige Gruppe von Akolythen Sakul, ein kräftiges Fabelwesen mit dem Kopf eines Greifens und dem Körper eines Menschen, der den jungen Engeln gerade die Rangfolge der himmlischen Hierarchie erklärte. Mit seinen riesigen Löwenkrallen deutete er auf das imposante dreieckige Relief, während seine sechs Augen die Akolythen im Blick behielten und seine mächtigen Flügel leicht hin und her schwangen. Gebannt lauschten die Akolythen den Worten des Fabelwesens.

„Ehrt die himmlische Hierarchie und beachtet die Reihenfolge! Sprecht mir nach!“, erklärte Sakul. „An erster Stelle kommt unser allmächtiger Vater, Gott. An zweiter Stelle folgen die sechsflügeligen Wesen, die Seraphim. Sie sind nach Vater die weisesten Geschöpfe. Ihnen folgen an dritter Stelle die Principatus, die sogenannten Ur-Engel, die Vorfahren der Cherubim. An fünfter Stelle stehen die Leibwächter und Heeresführer der Engel, die Erzengel.“ Von Weitem erkannte Sakul Ischrafil und Luzifer und ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Seht, wer da kommt“, machte der alte Kriegsveteran der Cherubim seine Schüler aufmerksam. Fasziniert scharrten sich die Akolythen um das Paar, denn es war das erste Mal, dass sie einen werdenden Erzengel mit eigenen Augen sahen. Sofort begannen sie, Luzifer mit Fragen zu löchern.

„Lichtbringer Luzifer, wie wird man zu einem Erzengel?“

Luzifer schmunzelte. „Ganz einfach. Wenn du den angelischen Geboten folgst, bist du schon auf dem richtigen Weg. Aber zuerst musst du natürlich vom Akolyth zum Engel aufsteigen.“

„Und wie werde ich ein Engel?“, fragte ein kleiner Akolyth neugierig. „Nun, du musst auf jeden Fall bereit sein, die letzte Stufe der himmlischen Hierarchie mit deinem Leben, deiner Leidenschaft und deiner Fürsorge zu beschützen! Wie ihr alle wisst, besteht die letzte Stufe aus der Flora, der Fauna und aus sämtlichen Geschöpfen, die am sechsten Tag erschaffen wurden“, antwortete Ischrafil und kniete sich zu dem kleinen Akolyth nieder.

„Das scheint eine Menge zu sein!“, seufzte dieser. „Eine Menge …“, wiederholte er nachdenklich.

„Genau.“ Ischrafil lächelte.

„Aber manche Arten von Lebewesen sind im Relief ganz zerbröckelt. Man kann sie gar nicht richtig erkennen“, warf ein anderer Akolyth ein.

„Ja. Das ist die vergessenen Spezies, die lange vor eurer Zeit gelebt haben“, erklärte Sakul und die Gruppe der jungen Engel drehte sich zu einer weiteren großen Steintafel, die links neben dem Eingang von Eden stand. Sakul erklärte seinen Schülern, dass die angelischen Gebote in Archäisch, der Sprache der Ur-Engel, verfasst worden waren. In die Steintafel waren riesige Hieroglyphen eingemeißelt. „Diese Gebote wurden gegen Ende des Ersten Krieges von den Cherubim verfasst. So sollte für alle Zeit Recht und Ordnung geschaffen werden“, erklärte er.

Gespannt sprachen die jungen Engel die acht Gebote nach, die Sakul laut vorlas:

Ehre deinen Vater, deine Brüder und SchwesternDu sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchenDu sollst keine Himmelsbewohner tötenDu sollst nicht falsch Zeugnis reden wieder deinen NächstenDu sollst Vater, deinem Herrn vertrauenDu sollst nicht die Himmelswand überschreitenRichte deine Waffen gegen jeden DämonEhre die Schöpfung und deren Gesetze

Beim sechsten Gebot hielt Luzifer einen Moment inne. Obwohl es verboten war, fragte er sich seit Jahren, was sich wohl hinter der mächtigen Himmelswand verbarg. Er ließ sich jedoch nichts anmerken. „Übung macht den Meister!“, rief er den jungen Akolythen zu und verabschiedete sich von ihnen. „Mein Unterricht fängt gleich an“, wandte er sich dann zu Ischrafil.

„Nach Ihnen, Herr Gelehrter“, neckte sie ihren Liebsten.

Kapitel 2

Eos und Phoros

Luzifer und Ischrafil verließen die Halle der Engel und schlenderten weiter durch den großen Gang, vorbei an der gut besuchten Bibliothek, in der fliegende Bücher zwischen den Regalen umherflatterten. An den Seiten des Gangs reihten sich prächtige Statuen aneinander und ein lieblicher Chorgesang erfüllte die Luft. Obwohl alle Paradiesbewohner beschäftigt wirkten, schienen sie die Präsenz von Luzifer und Ischrafil dennoch wahrzunehmen. Überall wurde das Paar mit Euphorie begrüßt und jedes Mal erwiderten sie die Begrüßung mit einem warmen Lächeln.

Nach vielen Schritten erreichten die beiden ihr Ziel. Sie überquerten eine unscheinbar wirkende Plattform, die durch eine schwebende Treppe mit einer fliegenden Insel verbunden war. Auf dieser war das kuppelförmige Observatorium in einem Felsmassiv errichtet worden.

Direkt bei ihrer Ankunft wurden Luzifer und Ischrafil von einer schlanken, Schakal-artigen Kreatur empfangen. Die schwarzen Krallen an seinen Händen und Füßen waren stumpf und ließen zusammen mit der ergrauten Mähne das hohe Alter der Kreatur erahnen. Der Ur-Engel war in ein weißes Leinengewand gekleidet, das mit Goldschmuck und Saphirsteinen an den Armen und dem Hals verziert war. Trotz seines hohen Alters erweckte er noch immer einen erhabenen Eindruck. Auf einem Knorrenstab gestützt, begrüßte er das Paar mit gebrechlicher Stimme. „Willkommen auf der Sternwarte, Luzifer und Ischrafil.“ Er richtete den Blick auf Luzifer: „Bist du bereit für deinen Unterricht?“

Luzifer nickte ehrfürchtig und folgte dem Ur-Engel, der ihn zu einer Gruppe Schüler führte, die vor einer schwebenden, bronzenen Armillarsphäre stand. Das aufwendig verzierte Konstrukt bestand aus sieben gegeneinander drehbaren Metallringen und Planeten.

„Meine lieben Schüler!“, begann der Alte. „Ich darf euch in der ersten Stunde der Phosologie, der Lehre des Lichtes, willkommen heißen. Mein Name ist Sethiel, ich bin der Wächter dieser Sternwarte und einst ehemaliger Wagenlenker des Lichtes. Dieses Amt habe ich nun an Luzifer, Lichtbringer und Erzengel-Anwärter, abgetreten. Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und übergebe nun das Wort an Luzifer.“

Die Menge klatschte eifrig und ihre Blicke richteten sich auf Luzifer, der nach vorn trat. „Ich heiße euch willkommen, liebe Akolythen. Was glaubt ihr, was sich hinter uns befindet?“ Er deutete auf die Armillarsphäre.

Die Akolythen zuckten lediglich mit den Schultern und sahen den Lichtbringer fragend an.

„Das ist das Planetarium, die Weltmaschine“, erklärte Luzifer. „Alle sieben Tage drehen sich die bronzenen Metallringe und mit ihnen auch die Planeten. Sie bleiben stehen und leuchten auf, bis der letzte Himmelstag erreicht ist. Danach wird die Energie aus allen sieben bronzenen Planeten gebündelt und ein neuer Planet entsteht, der in das freistehende Dach emporsteigt und die Milchstraße erweitert. Die Himmelstage könnt ihr hier auf dem Boden ablesen. Sie bilden einen Kreis um die Weltmaschine.“

„Wofür stehen die Himmelstage?“, wollte einer der Schüler wissen.

„Eine gute und berechtigte Frage“, gab Luzifer zu. „Der erste Himmelstag dient der Erschaffung von Tag und Nacht auf jedem Planeten. An den folgenden zwei Tagen wird der Himmel geformt, gefolgt von Land und dem Meer. Am vierten Tag komme ich mit dem Sonnenwagen ins Spiel und erschaffe Sonne, Mond und Sterne, indem ich einmal über den Himmel ziehe.“ Eine kleine Schülerin stupste Luzifer an und er sah mit einer neugierig hochgezogenen Braue zu ihr. „Wie kann ich dir helfen?“

„Wann genau sind die Tiere und Pflanzen dran?“, fragte sie mit piepsiger Stimme.

Ischrafil und Sethiel kicherten im Hintergrund.

„Die Tiere und Pflanzen werden am fünften Himmelstag erschaffen, meine neugierige Akolythin“, erwiderte Luzifer schmunzelnd. „Am vorletzten Tag kreiert unser allmächtiger Vater eine auserwählte Spezies, die den Planeten bewohnen, ihn hüten und sich auf ihm entwickeln soll. Unsere Aufgabe ist es, diese Spezies samt aller Lebewesen zu beschützen.“

„Und was passiert am siebten Tag?“

Luzifer sah die kleine Schülerin grinsend an. „Es wird gefeiert!“ Die Schüler lachten und Luzifer fuhr fort. „Jeden siebten Tag wird eine Feier veranstaltet – für die Erschaffung eines neuen Planeten mitsamt seinen Individuen. Tische werden aufgestellt, die so lang sind, dass sie jede Halle winzig erscheinen lassen. Sie sind gedeckt mit gesegneten Speisen und Himmelstrank. Keine der Speisen verdirbt jemals und der Himmelstrank schmeckt niemals abgestanden. Lobeshymnen erklingen und vieles mehr. Aber genug davon. Habt ihr noch weitere Fragen?“

„Wer sind eigentlich diese acht Statuen, die hier in der Sternwarte stehen?“, ertönte es aus der Gruppe.

Luzifer deutete zu den acht steinernen Gestalten, die kreisförmig um die Warte herum errichtet worden waren. „Das sind alle Wächter der Sternwarte: Sabathiel, Zedekiel, Madimiel, Sethiel, Nogahel, Cochabiel, Jarehel und meine Wenigkeit.“

Die Akolythen sahen sich die Statuen genauer an. „Und was ist aus den anderen geworden?“, fragte einer von ihnen neugierig.

Sethiel schmunzelte. „Sie sind da draußen und sind an neue Aufgaben gebunden. Eines Tages werde ich sie wiedersehen.“

Eifrig fragten die jungen Schüler, ob sie den Sonnenwagen sehen dürften.

Luzifer lachte, stand auf und gab ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie liefen eine Wendeltreppe hinab und erreichten ein großes Deck, auf dem der fliegende Sonnenwagen mit dem weißen Pferd Eos und dem weißen Hirschen Phoros stand.

Luzifer näherte sich den Tieren und streichelte sie sanft. Dann stellte er der Gruppe seine tierischen Begleiter vor. Aufgeregt umzingelten die jungen Akolythen den Lichtbringer und seine Weggefährten. Die jungen Engel bestaunten Eos und Phoros fasziniert und Luzifer erzählte ihnen davon, wie er mit seinem Sonnenwagen durch das Paradies und die neu erschaffenen Welten streifte, das Sonnenlicht verbreitete und auf diese Weise dafür sorgte, dass Flora und Fauna ewig gedeihen konnten.

„Ist das die Himmelswand?“, fragte ein neugieriger Akolyth, der aus dem Deck herausblickte und die donnernde Barriere am Himmel beobachtete.

„Ja“, nickte Ischrafil.

„Was befindet sich dahinter?“

„Die vergessene Welt“, antwortete Luzifer lachend.

„Die vergessene Welt?“, die Augen des Akolyths wurden groß.

„Einst wurde der größte Krieg zwischen Gut und Böse hinter der Himmelswand ausgefochten. Es war ein schrecklicher Kampf, aber für den Rest der Geschichte müsst ihr euch noch ein wenig gedulden. Die erfahrt ihr im Unterricht mit Ischrafil und Sela. Also immer schön aufpassen“, erklärte Sethiel schmunzelnd. Ein Seufzen ging durch die Gruppe der jungen Akolythen.

„Was haltet ihr von einem kleinen Ausflug?“, fragte Luzifer und erntete dafür tosenden Beifall. Gemeinsam mit den Akolythen, Ischrafil und Sethiel stieg er in den Sonnenwagen und gab den Tieren ein Zeichen. Das Gefährt setzte sich in Bewegung und die Schüler kreischten begeistert, als Luzifer mit gekonnten Manövern zwischen den Bauten hindurchsegelte. Sie flogen durch die himmlische Vegetation und hielten Kurs auf die Himmelswand, als Gazadriel, die Kommandeurin der Himmelswand-Wächter, sich ihnen in den Weg stellte.

„Sei gegrüßt, Luzifer. Wohin des Weges?“, fragte sie.

Luzifer begrüßte die Kommandeurin. „Ich bin hier, um meinen Schülern die Himmelswand zu zeigen. Akolythen, das ist Kommandeurin Gazadriel. Sie wurde dazu auserkor

en, die Himmelswand zu bewachen.“

Die Schüler begrüßten Gazadriel ehrfürchtig und die Kommandeurin begann, ihnen die Funktion der Himmelswand zu erklären, als ein leichter Schauer durch Luzifers Körper jagte. Er löste den Blick von Gazadriel und drehte sich um. Hinter ihm erschien ein helles Licht, das an Intensität zunahm, bis es schließlich zu einem gleißenden Schein wurde. Innerhalb von wenigen Sekunden nahm dieser Gestalt an. Im ersten Moment schien die Silhouette bloß aus Licht zu bestehen, doch je näher die Gestalt kam, umso deutlicher wurden ihre Konturen. Schließlich konnte Luzifer eine Person erkennen – eine große Person, deren Körper von einer prachtvollen Rüstung geschützt war. Der imposante Helm ragte in den Himmel und die darauf platzierten spitzen Zacken wurden nur von den gewaltigen Flügeln überragt. Luzifer konnte die am Gürtel befestigte Schriftrolle erkennen. In der Hand trug der Neuankömmling einen großen Heroldsstab, dessen verschlungene Verzierungen für Luzifers Augen nur schwer zu begreifen waren.

„Bruder“, erklang eine warme, aber dennoch bestimmende Stimme.

„Gabriel!“, begrüßte Luzifer seinen Bruder. „Was ist geschehen?“ Je näher Gabriel kam, umso mehr erlosch das Licht.

„Cherubiel wünscht dich zu sprechen“, erklärte er.

„Aus welchem Grund?“, fragte Luzifer.

„Das wird dir der König der Cherubim selbst sagen, wenn du bei ihm eintriffst. Er befindet sich auf dem Berg der Erkenntnis. Triff ihn dort.“

Kapitel 3

Die neue Schöpfung

Auf seinem Weg durch die Hallen ließ Luzifer seine Gedanken schweifen. Cherubiel verlangte selten nach ihm, also musste es wichtig sein. Aus diesem Grund wollte er ihn auch nicht warten lassen – auch wenn Luzifer wusste, dass Cherubiel geduldig war. Seine Neugierde war erwacht und er eilte mit schnellen Schritten zu den Angeli-Hallen, die Eden mit dem Rest des Himmels verbanden. Die Tore waren aus schwerem Metall und Luzifer musste kurzzeitig warten, bis sie sich öffneten. Das himmlische Wappen, das allsehende Auge seines Vaters, umschlossen von einem Dreieck und Cherubimflügeln, schmückte den Eingang. Dahinter lag eine Halle, die von dem Licht der immer-brennenden Fackeln erhellt wurde und die Skulpturen der großen Krieger der Schöpfung sahen auf Luzifer hinab. Er ließ die Halle hinter sich und sein Weg führte über die Brücke, die über den endlosen Abgrund führte. Am Rand des Konstruktes befand sich kein Geländer, obwohl die Brücke zunächst in einem Bogen in die Höhe führte und dann, nachdem sie den höchsten Punkt erreicht hatte, steil nach unten abfiel. Unbeirrt schritt Luzifer darüber, bis er eine große Treppe erreichte, die weiter nach unten führte. Das Licht dort war so hell, dass die meisten anderen innegehalten hätten – aber Luzifer kannte diesen Weg. Er hatte ihn schon mehrere Male beschritten und ohne zu zögern, durchschritt er das Licht. Für einen Moment umhüllte es ihn, dann stieg er aus dem Glanz und betrat den Garten Eden. Wenn es einen Ort gab, der die Festung und die Gärten des Paradieses an Schönheit übertraf, so war es dieser hier.

Eine leichte Brise strich über das Land, das sich bis weit in die Ferne erstreckte. Er setzte einen Fuß auf das weiche Gras und es kam ihm vor, als würde eine unaussprechliche Leichtigkeit seinen Körper erfassen. Jegliche Anstrengung schien an diesem Ort nicht zu existieren. Engel waren keine Wesen, die schnell ermüdeten und doch fühlte sich Luzifer, als würde neue Energie durch seinen Körper strömen. Er ging vorbei an den bunten Büschen, den ewigen Bäumen und den Gewächsen, die teils hoch in den Himmel ragten. Alles hier war natürlichen Ursprungs – es gab keine Gebäude, keine Statuen, keine Bögen, nur die wilde Natur. Natürlich waren zwar auch die Pflanzen durch die Hand seines Vaters erschaffen worden, aber er ließ sie einfach gedeihen und mischte sich nicht in ihr Wachstum ein.

Am Horizont erblickte Luzifer einen gewaltigen Baum. Er ragte mehrere hundert Meter in den Himmel empor und stellte alle anderen Gewächse in den Schatten, egal, wie sehr sie versuchten, ihm nachzueifern. Sein Stamm war so gewaltig, dass selbst die Festungstürme von Zion im Vergleich mickrig erschienen. Seine Blätter schimmerten silbrig, doch sie hatten keine greifbare Farbe. Je nachdem, aus welcher Perspektive man sie betrachtete, erschienen sie in unterschiedlichen Tönen – manchmal sogar in mehreren gleichzeitig. Obwohl er ihn schon hunderte Male gesehen hatte, blieb Luzifer für einen Moment stehen und bewunderte den Baum. Er hätte ewig hier stehen können, doch Luzifer wollte Cherubiel nicht unnötig warten lassen. Sein Weg führte ihn vorbei an Quellen, aus denen klares Wasser sprudelte, an Seen, deren Wasser so rein war, dass man bis auf ihren Grund sehen konnte und an Bäume, deren Blätter Purpur strahlten. Manchmal, wenn er hierherkam, suchte er nach der schönsten Blume, um sie zu pflücken und sie Ischrafil zu schenken, doch dafür war heute keine Zeit. An einem der Seen machte er noch einmal Halt, bückte sich und trank etwas von dem Wasser. Es war kalt, aber nicht eisig und nur ein paar Schlucke genügten, um ihn das Gefühl zu geben, er müsse niemals wieder Durst empfinden. Er richtete sich wieder auf und setzte seine Reise fort. In Eden konnte man für immer wandeln, sofern man es wünschte. Die Gärten hatten kein Ende, zumindest keines, das man erreichen konnte.

Nicht weit hinter dem großen Baum fand er den Berg der Erkenntnis. Dieser überragte alles – selbst den Baum Edens. Das Ziel vor Augen lief Luzifer an vielen duftenden Pflanzen vorbei, bis er schließlich den Fuß des Berges erreicht hatte. Von dort aus war der Gipfel nicht mehr zu erkennen und es schien fast, als würde er endlos in den Himmel ragen. Luzifers Weg führte ihn an der Flanke des Berges entlang, bis er zu einem steinernen Tor kam. Die Steine griffen wie tausende kleine Vorrichtungen ineinander und versperrten so den Weg. Eine Fackel auf der linken sowie auf der rechten Seite erhellten das Tor und den davorliegenden Pfad.

„Lass mich eintreten. Ich bin es, Luzifer. Der Lichtbringer.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, begannen sich die Steine zu entwirren und zogen sich in den Felsen zurück. Nach wenigen Sekunden war der Weg frei und hunderte Fackeln erhellten den Weg. Das warme Licht der Fackeln vertrieb die Dunkelheit und erleuchtete den Gang bis in den letzten Winkel. Als sich die Tür vollständig geöffnet hatte, trat Luzifer hindurch. Filigrane Tropfsteine schmückten die Wände und Luzifer hielt kurz inne, um die kunstvollen Felsformationen zu bewundern. Es fiel beinahe schwer zu glauben, dass die Natur solche Wunder von selbst hervorbringen konnte. Ischrafil würden sie auch gefallen, schoss es ihm durch den Kopf. Die Sehnsucht ergriff ihn, doch er durfte sich nicht damit aufhalten, denn Cherubiel wartete bereits auf ihn.

Der Gang endete in einer imposanten Höhle, in der noch größere Tropfsteine wucherten. Luzifer ging zwischen ihnen hindurch, vorbei an einem tiefen Abgrund. Er schaute nach unten und konnte erkennen, dass dort noch mehr der steinernen Höhlengewächse aus dem Boden sprossen und an den Wänden wuchsen. Wasser plätscherte leise und der ganze Raum wurde von einem mehrfarbigen Licht erhellt, das ihn unwirklich erscheinen ließ. Ehrfürchtig durchschritt Luzifer die Halle und erreichte einen See, an dessen Ufer ein Boot lag. Das Wasser hätte ihn getragen, wenn er es gewollt hätte, aber Cherubiel hatte ihm und seinen Brüdern stets eingeschärft, ihre Kräfte nur zu benutzen, wenn es wirklich notwendig war. Also ließ sich Luzifer in dem Boot nieder, stieß es vom Ufer ab und glitt geräuschlos über das dunkle Wasser, auf dessen Oberfläche sich das Licht der Fackeln spiegelte. Bald sah er die kleine Insel und es dauerte nicht lange, bis das Boot das Ufer erreicht hatte. Er stieg aus und erklomm den Hügel, bis er am höchsten Punkt angelangt war. Cherubiel erwartete ihn bereits. Sein breiter, drachenförmiger Kopf schien aus etlichen Ästen zu bestehen und Lianen umhüllten seine raue Borkenhaut. Er trug einen hölzernen Brustpanzer, der mit den Gesichtern von verschiedenen Fabelwesen mit grün leuchtenden Augen verziert war und die Krallen an seinen Händen und Füßen waren messerscharf. Auf den ersten Blick wirkte der Wächter, als würde er schlafen, aber Luzifer wusste, dass Cherubiel stets wusste, was um ihn herum geschah, auch wenn er die Augen geschlossen hatte.

„Ihr habt nach mir verlangt, Cherubiel, König der Cherubimwächter“, begrüßte ihn Luzifer. Für einen Atemzug saß Cherubiel still da, dann drehte er sich um und erhob sich. Er breitete die Arme zur Begrüßung aus und trat auf Luzifer zu.

„Ja, das habe ich“, sagte er. „Ich habe dich gerufen, weil ich dir etwas zeigen möchte.“

„Etwas zeigen?“, fragte Luzifer. „Und was?“

Cherubiel nickte langsam. „Du solltest es sehen. Worte können nicht alles beschreiben, manches muss mit den eigenen Augen erblickt werden.“

Luzifer sah den Wächter an und versuchte, sich in Geduld zu üben.

„Sechs Tage sind vergangen, Luzifer, seitdem Vater zum letzten Mal etwas erschuf“, begann Cherubiel, klopfte ihm auf die Schulter und führte ihn den Hügel hinab auf das andere Ende der Insel. Dort lag ein weiteres Boot verträumt an einem Steg.

„In der Tat. Also habt ihr beschlossen, dass es an der Zeit für einen weiteren Neuanfang ist?“, fragte Luzifer.

Der König der Cherubimwächter lächelte und deutete Luzifer, im Boot Platz zu nehmen. „Die Wege des Herren sind unergründlich.“

Als sie beide in das Boot gestiegen waren, löste sich der Strick wie von Geisterhand und sie glitten lautlos über den See.

„Du bist besorgt“, stellte Cherubiel fest.

„Ich sorge mich wegen Vater“, gestand Luzifer. „Wieso spricht er nicht zu uns?“

Cherubiel schüttelte den Kopf. „Vater ist nach dem Ersten Krieg verschwunden. Niemand weiß, wann er wieder erscheinen wird. Nach seinem Verschwinden ließ ich die himmlischen Gebote erschaffen, um für Recht und Ordnung zu sorgen, solange bis er uns ein Zeichen gibt. Nur seine Schöpfungen erscheinen am sechsten Tag und werden an uns übergeben.“

„Ich verstehe nicht, warum wir ihn nicht nach jeder neuen Schöpfung sehen können. Jede neue Kreatur bringt auch eine Veränderung mit sich“, erwiderte Luzifer.

Cherubiel musterte ihn gespannt. „Du denkst, es wäre ein schlechtes Zeichen. Wie kommst du darauf?“

„Ich kann es nicht genau beschreiben. Es ist nur ein Gefühl. Ist es nicht seine Aufgabe, seiner Schöpfung beizustehen? Bislang ist alles vollkommen, aber was, wenn etwas schiefläuft? Was, wenn eine falsche Veränderung Unheil über die Welten bringt?“, antwortete Luzifer.

Cherubiel blickte auf das Wasser.

„In Veränderung liegt nichts Schlechtes oder Gutes. Und Vollkommenheit gibt es nicht. Wir können ihr nahekommen, aber wahre Perfektion existiert nicht und es ist nicht der Sinn der Welt, diese zu erreichen“, erklärte der Wächter dann.

„Wenn Vollkommenheit unerreichbar ist, was ist unser Streben dann wert?“, fragte Luzifer. Die Frage war provokant und Gabriel oder einer seiner anderen Brüder hätten ihn dafür wahrscheinlich gerügt, aber Cherubiel schmunzelte nur.

„Was ist es dir wert? Du hast viel erreicht, Luzifer. Vielleicht ist unser Streben für niemanden etwas wert, außer für uns selbst. Und selbst, wenn man die Vollkommenheit nicht erreichen kann, ist es nicht gut genug, sie anzustreben? Nur unser Vater kennt die wahre Perfektion.“

Luzifer schwieg und dachte darüber nach. „Das stimmt“, antwortete er dann. Dieses Schweigen begleitete die beiden den restlichen Weg über das Wasser.

Am anderen Ufer verließen sie das Boot, das sich eigenständig festmachte. Durch einen Gang führte Cherubiel Luzifer aus der Höhle und sie stoppten auf einer Anhöhe. Luzifer ließ den Blick über das fruchtbare Land schweifen, das vor ihnen lag.

„Was willst du mir zeigen, Cherubiel?“, flüsterte Luzifer, den für einen Moment eine unerklärliche Unruhe ergriff. Anstatt zu Antworten ging Cherubiel einige Schritte weiter, verschwamm mit der Luft und ließ Luzifer allein zurück.

Luzifer schluckte, aber er wusste, was von ihm erwartet wurde. Er eilte zu der Marmorbrücke und überquerte sie mit schnellen Schritten. Der Garten war ein Meer aus saftigen Pflanzen. Klares Wasser sprudelte glucksend aus unzähligen Quellen und Bächen. Blumen blühten in herrlicher Pracht. Sie hatten so viele Farben, dass Luzifer sie kaum alle benennen konnte. „Hier bin ich, Cherubiel“, rief er und sah in den Himmel. „Aus welchem Grund hast du mich hierhergeführt?“

„Siehst du den Baum, das Zentrum des Gartens?“, erklang die Stimme des Cherubimkönigs.

„Ja. Ich sehe ihn.“

„Gehe auf den hohen Felsen und blicke hinab.“

Der Aufstieg war steil, also breitete Luzifer seine Schwingen aus und flog in die Höhe. Er glitt ein Stück durch die Luft, dann landete er auf dem hohen Felsen, faltete seine Flügel wieder ein und blickte hinab. Am Fuße des Baumes sah er zwei Geschöpfe. Sie waren etwas kleiner als er selbst, mit hellem Teint und spärlicher Kleidung. Sie schienen miteinander zu sprechen – in einer echten Sprache, anders als die Tiere, die sich nur durch Laute verständigten.

„Du wolltest, dass ich die beiden sehe, Cherubiel?“, fragte Luzifer. Der Cherubimkönig erschien hinter ihm und richtete seinen Blick ebenfalls auf die Geschöpfe.

„Ja, Luzifer. Dies ist Vaters neue Schöpfung. Er erschuf sie, um der vergessenen Welt Bewohner zu geben, die so denken, wie wir. Geschöpfe, die dazu befähigt sind, sich wie unseresgleichen zu verhalten und so zu leben, wie wir es tun. Ein Abbild unser Selbst. Er nennt sie die Menschen“.

Luzifer blickte nachdenklich nach unten, sein Blick weiterhin auf die Geschöpfe gerichtet, die ihre Beobachter nicht zu bemerken schienen und sich weiter unterhielten. Er runzelte die Stirn, unsicher, ob er Cherubiel recht geben sollte oder nicht.

„Ich spüre deine Unsicherheit. Woher kommen deine Zweifel?“, fragte Cherubiel ruhig.

„Es ist nichts, Cherubiel“, antwortete er schließlich. „Für einen Moment war ich mir nur nicht sicher, ob es etwas geben sollte, dass uns so ähnlich ist. Aber wenn das eure Absicht ist, dann wird es dafür einen Grund geben.“ Luzifer sah Cherubiel in die Augen.

„Steig zu ihnen herab. Triff sie und lerne sie kennen“, erwiderte dieser. Es klang wie eine Mischung aus einem Befehl und einem Vorschlag. Luzifer nickte und machte sich auf den Weg. Bei den Geschöpfen angekommen, hielt er dennoch ein wenig Abstand. In ihrer Gestalt waren diese Wesen, die Menschen, ihm und den anderen Engeln nicht unähnlich, nur etwas kleiner. Dennoch besaßen sie keine Flügel.

„Der Größere, sein Name ist Adam“, erklärte Cherubiel. Zwar war der Wächter nicht mehr an seiner Seite, dennoch konnte Luzifer seine Stimme hören.

„Er steht für das männliche Geschlecht. Er besitzt Stärke und Entschlossenheit. Zu seiner Rechten ist Eva, sein weibliches Gegenstück. Sie besitzt Einfühlungsvermögen und Treue.“

Luzifer blieb stehen und betrachtete die Menschen etwas genauer. Adam war groß, seine Arme muskulös und er überragte seine Begleiterin. Sie hingegen war schmaler, filigraner und ihr Haar war länger als das seine. Es fiel über ihre Schultern, wie ein stillstehender Wasserfall. Adam nahm sie bei der Hand und sie erhoben sich, als sie Luzifer bemerkten.

Adam und Eva richteten ihren Blick auf den Lichtbringer und schienen für einen Moment beunruhigt. Eva drückte sich an Adams Seite, der beschützend seinen Arm um seine Begleiterin legte. Luzifer schenkte ihnen ein sanftes Lächeln und als die beiden Menschen seine Aura wahrnahmen, schienen sie sich wieder zu beruhigen. Für eine Weile beobachteten sie den Lichtbringer, dann nickten sie ihm zu und setzten ihren Weg durch den Garten fort.

Einen Moment folgte Luzifer ihnen und beobachtete die neue Schöpfung seines Vaters. Sie sprachen miteinander und er verstand jedes ihrer Worte, denn es war die Sprache des Himmels.

„Manchmal bleibt uns nichts anderes, als abzuwarten“, erklang Cherubiels Stimme. „Aber ich denke, dass sie die Sprache eines Tages benötigen werden. Und sollten sie jemals den Wunsch verspüren, mit uns zu sprechen, so ist ihnen die Möglichkeit dazu gegeben.“

Adam richtete seinen Blick auf Luzifer. Eine Weile sahen sie einander an und ein Schauer jagte über Luzifers Nacken. In den Menschen lebte eine Vernunft, die er von Tieren nicht kannte. Es war beinahe, als würde er etwas von sich selbst in ihnen wiedersehen. Schließlich kehrte Adam zu seiner Begleiterin zurück. Er griff sie bei der Hand und gemeinsam verschwanden sie zwischen den Bäumen am Ufer. Luzifer folgte ihnen. Er wollte die Geschöpfe besser kennenlernen. Die neue Schöpfung seines Vaters faszinierte ihn, wie es keine zuvor getan hatte, denn sie waren ihm und den anderen Engeln so ähnlich und doch so anders. Sie lebten nicht nur, um zu überleben, sondern schienen einen weiteren Sinn in ihrem Leben zu haben. Sie dachten nach, sie empfanden mehr Gefühle, als die anderen Lebewesen und er glaubte, dass sie nach etwas Höherem strebten.

Eva drehte sich um, lächelte Adam an und küsste ihn. Eine Weile standen sie so da, dann ließen sie sich auf einem Baumstamm nieder. Adam entzündete ein Feuer, an dem sie rasteten. „Meinst du, es gibt mehr von uns?“, fragte Eva verträumt und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Nein. Wir sind die Ersten unserer Art. Er hat uns erschaffen, auf dass wir ein neues Geschlecht gründen“, antwortete Adam.

„Er muss viel Vertrauen in uns haben“, antwortete Eva und Adam nickte.

„Das hat er. Wir dürfen sein Vertrauen nicht missbrauchen und ich wünsche auch nicht, ihn zu enttäuschen“, antwortete er.

Ihre Worte klangen so vertraut. Sie unterhielten sich, wie Luzifer sich mit seiner Geliebten oder mit seinen Brüdern unterhielt, auch wenn er noch eine Unsicherheit in ihren Stimmen wahrnahm. Das verwunderte ihn jedoch nicht, schließlich existierten die beiden erst seit kurzer Zeit und sie benutzten die Sprache noch nicht so lange. Luzifer hingegen sprach die gleichen Worte schon seit Jahrtausenden – es war also nicht verwunderlich, dass sie ihm leichter über die Lippen kamen als den beiden.

„Was denkst du?“, fragte Cherubiel ihn. Er war wieder hinter Luzifer aufgetaucht, ohne dass dieser ihn bemerkt hatte.

„Sie sind uns sehr ähnlich“, antwortete Luzifer, der sich noch immer nicht sicher war, was er davon halten sollte, „Ich müsste lügen, wenn ich sage, dass mich das nicht mit Verwunderung erfüllt. Ich bin mir nicht sicher, ob ein Lebewesen uns wirklich so ähnlich sein sollte.“

„Weshalb denkst du das?“

„Es ist schwer zu sagen, Cherubiel. Vielleicht täusche ich mich auch. Sie scheinen gutmütige Wesen zu sein und ich möchte eure Entscheidung nicht anzweifeln.“

„Du darfst deinen Zweifeln Worte verleihen, vielleicht vermag ich sie zu widerlegen. Oder vielleicht können die beiden das tun. Warum gehst du nicht zu ihnen und verbringst etwas Zeit mit den beiden?“

„Das werde ich tun“, antwortete Luzifer, schob die Äste beiseite und ging auf die beiden zu. Sie hielten einen Moment inne und sahen ihn an. Er setzte sich auf den Baumstamm und richtete seinen Blick auf die beiden. Nach einem kurzen Moment der Überraschung nahmen Adam und Eva ihre Tätigkeiten wieder auf und beachteten den Engel nicht weiter. Sie holten Wasser aus dem Fluss, das sie mit Honig und Früchten vermischten. Luzifer beobachtete sie dabei, wie sie einander halfen und ganz auf das konzentriert waren, was sie taten. Nach einiger Zeit griff Adam sich einen Stock und versuchte ein Ende zu einer Spitze zu schnitzen. Eva aber lief in den Wald und sammelte die Beeren, die überall an bunten Büschen wuchsen. Es waren so viele verschiedene und sie waren so zahlreich, dass sie kaum mehr als ein paar Schritte gehen musste, um genügend zu sammeln. Im Garten Eden gab es alles im Überfluss und sie wären niemals verhungert. Trotzdem ließ Vater sie ihr Essen selbst beschaffen, um sie auf eine Welt vorzubereiten, die weniger gütig war.

Luzifer sah Adam eine Weile zu, wie er mit einem viel zu groben Stein versuchte, den Stock zu spitzen. Dann erhob er sich und trat an ihn heran. Er bückte sich, hob einen weiteren Stein auf und schlug die beiden Stücke gegeneinander, bis Splitter von ihnen abbrachen. Nach einiger Zeit war einer der beiden Steine scharf – fast wie ein Messer aus Stein. Adam sah ihn verwundert an, dann überreichte er Luzifer den Stock und er begann ihn mit dem Steinmesser zu bearbeiten. Eva kehrte zurück und sah mit derselben Verwunderung wie ihr Begleiter dabei zu.

„Was tut er?“, fragte sie und ließ den Korb mit den Beeren sinken.

„Störe ihn nicht“, wies Adam sie an und Eva setzte sich ein Stück von Luzifer entfernt auf den Baumstamm. Als der Stock spitz war, hielt er ihn Adam hin.

„Habt Dank“, sagte er und griff den Stock. Ihre Hände berührten einander und mit einem Schlag veränderte sich Adams Erscheinung. Vor Luzifer stand eine düstere Gestalt mit verrottetem Fleisch und glühenden Augen. Die Gestalt war umhüllt von tiefster Dunkelheit und grinste Luzifer aus einem Maul mit messerscharfen Zähnen entgegen.

Luzifer zuckte zusammen, zog seine Hand zurück und im nächsten Moment erschien Adam wieder so, wie er ihn zuvor gesehen hatte.

Luzifer war für einen Moment wie erstarrt, dann blickte er Eva an. Sie schenkte ihm ein Lächeln. Langsam streckte Luzifer ihr seine Hand entgegen. Sie umschloss seine Finger mit ihren und eine weitere Vision erschien vor Luzifers Augen. Ihre Haut war rot, schuppig und ihre Haare vergilbt. Ihr Lächeln glich mehr einer Fratze. Die Vision blieb für einen Herzschlag, dann nahm Eva wieder normale Formen an. Ratlos starrte Luzifer ihr entgegen. Ihre Hand ruhte noch immer in der seinen. Ohne ein Wort zu sagen, löste sich Luzifer von ihr, wandte sich ab und eilte davon. Wind wehte durch seine dunkelroten Haare und ließ sie hinter ihm durch die Luft flattern. Die beiden Menschen blickten ihm verdutzt nach.

Kapitel 4

Die vergessene Welt

Luzifers Gedanken überschlugen sich. Was hatte er gesehen? Sein Verstand wollte es nicht begreifen, aber was er gesehen hatte, war düster und grauenvoll gewesen – wie eine entstellte und verdorbene Version der Menschen. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, dass in ihnen Dunkelheit lebte – eine Dunkelheit, wie sie sonst nur in Dämonen zu finden war. Aber wie konnte das sein? Vater würde niemals etwas Derartiges erschaffen, da war er sich sicher. Vor der Brücke, die ihn wieder aus Eden führte, hielt er an. Sein Blick fiel in den Abgrund. Dieser schien nahezu unendlich, so tief, sodass kein Boden zu sehen war.

Was waren diese Menschen? Er hatte nichts Böses gespürt, bis er sie berührt hatte. Etwas stimmte nicht, da war er sich sicher. Die beiden waren keine normalen Geschöpfe Edens. Wusste Vater davon? Und selbst wenn nicht – wie könnte er es ihm sagen, wenn er seit Äonen verschwunden war? Ein unangenehmes Gefühl überkam ihn und er verließ den Garten. Mit ruhigen Schritten steuerte er durch die Hallen. Seine Gedanken drehten sich immerzu um die Menschen, doch er kam auf keinen grünen Zweig.

Der Luftzug, der durch den Gang fuhr, ließ die Vorhänge tanzen. Luzifer blieb für einen Moment stehen und beobachtete Stoffe, die vom Wind getragen wurden. In seiner Faszination bemerkte er nicht, dass Ischrafil hinter der Ecke hervorkam und leichtfüßig auf ihn zulief. „Luzifer!“

Er fuhr überrascht zusammen und drehte sich zu ihr. Es gelang ihm nicht, seine Sorgen vor ihr zu verbergen.

Ischrafil legte die Stirn in Falten. „Du bist bedrückt. Was ist geschehen, mein Liebster?“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. Er griff sie und sah ihr in die Augen.

„Cherubiel hat mir etwas gezeigt“, antwortete er, doch Zweifel überkamen ihn. Durfte er seiner Gefährtin von den Menschen berichten?

„Was?“, hauchte sie. Sie war ihm jetzt so nahe, dass niemand in der Nähe sie belauschen konnte.

Luzifer beschloss, dass Ischrafil ein Recht darauf hatte, zu erfahren, was er in Eden gesehen hatte. „Neue Geschöpfe, die Vater erschuf. Sie wurden auf den Namen Mensch getauft und sind ein Abbild unser Selbst, nur ohne Flügel.“ erklärte er.

Ischrafil musterte ihn neugierig. „Und warum bist du dann so schwermütig? Gefallen dir die Menschen nicht?“

„Nein, das ist es nicht. Ich habe Zeit mit ihnen verbracht und gerade als ich begann, sie zu schätzen … habe ich sie berührt.“ Er zögerte. „Ich hatte eine Vision, Ischrafil. Es war, als hätte ich ihre wahre Gestalt gesehen. Oder ihre andere Hälfte. Es war … als stünde ein Dämon vor mir.“

„Ein Dämon?“ Ischrafil sah ihn perplex an. „Aber das kann nicht sein. Du weißt, dass Vater niemals etwas Derartiges erschaffen würde“, antwortete sie schließlich. In ihrer Stimme lag kein Vorwurf, aber Zweifel. Zweifel, die Luzifer nur allzu gut verstehen konnte. Am liebsten hätte er sie bei der Hand gegriffen und nach Eden geführt, sodass sie die beiden auch sehen und berühren konnte. Doch er war sich nicht sicher, ob dieses törichte Verhalten Cherubiel erzürnen würde. Immerhin hatte er keinen Beweis – und der Wächter hatte ihn gerufen, nicht Ischrafil. Vermutlich hatte er dafür seine Gründe gehabt.

„Ich weiß. Aber ich habe keine Erklärung für das, was ich gesehen habe“, erwiderte Luzifer.

„Ich glaube dir, Geliebter. Aber deine Erzählung verunsichert mich. Vielleicht war es nur eine Einbildung? Sonst gibt es keine Erklärung dafür“, sagte sie. Ihre Worte waren sanft, doch lag in ihnen auch eine gewisse Strenge. Anscheinend befürchtete sie, dass sein Einschätzungsvermögen beeinträchtigt war – auch wenn sie es nicht aussprach. „Alles wird Sinn ergeben. Zu seiner Zeit. Da bin ich mir sicher“, fügte sie beruhigend hinzu. Dann ergriff sie Luzifer erneut an der Hand und sie gingen Seite an Seite durch die Halle. „Hast du denn nur Schlechtes in dieser neuen Schöpfung gesehen?“, wollte sie wissen, doch Luzifer schüttelte den Kopf. „Nein“, murmelte er und dachte nach. Das Verhalten der Menschen hatte ihm keinen Anlass zur Sorge gegeben, doch die Vision ließ ihn nicht los und selbst Ischrafils Gegenwart ließ diese Sorge nicht verstummen.

„Ich war gerade auf dem Weg in die Bibliothek“, bemerkte sie beiläufig. „Vielleicht möchtest du mich begleiten?“

„Gewiss“, antwortete er. Vielleicht würde ihn ein Besuch in der Bibliothek auf andere Gedanken bringen.

Die große Tür der Bibliothek schwang von selbst auf, als die beiden sich ihr näherten. Vor ihnen offenbarte sich ein endloser Raum mit gewaltigen Regalen voller Bücher. Es waren so viele Werke, dass man ein ganzes Jahrhundert damit verbringen könnte, sie zu lesen, ohne danach auch nur einen Bruchteil zu kennen. Ein imposanter Kronleuchter zierte die Decke der Bibliothek. Seine Lichter schienen wie kleine Sterne und tauchten den endlos erscheinenden Raum in ein warmes Licht.

Ischrafil trat ein und verschwand zwischen den Reihen. Luzifer wusste nicht, wonach seine Liebste suchte, doch er folgte ihr. Sie breitete ihre Flügel aus, um die oberste Reihe eines der Regale zu erreichen. Schwebend verharrte sie dort für einen Augenblick und blickte nachdenklich auf die Buchrücken. Nach einer Weile griff sie nach einem Einband. Es war ein dickes, grünliches Werk, das schwer zu sein schien, da Ischrafil es in beide Hände nahm. Mit dem Buch in den Händen glitt sie wieder auf den Boden hinab.

„Welches Buch hast du da?“, fragte Luzifer.

Sie lächelte nur, wandte sich um und ging zu einem der Tische. Dort legte sie das große Buch auf den Tisch und sah Luzifer in die Augen. „Das Buch der Schöpfung. Hier wird jedes neue Lebewesen eingetragen. Selbst die Menschen, die Vater erschaffen hat. Das Buch schreibt sich von selbst und außer Vater kennt es die Schöpfung besser als jeder andere.“

Sie ließen sich nebeneinander an einen der Tische nieder und Ischrafil schlug das Buch auf, um es durchzublättern. Der Inhalt erstreckte sich von den frühen Lebensformen über die schrecklichen Echsen bis zu den Säugetieren. Der letzte Eintrag galt den Menschen. Aber er war kurz und schien im Vergleich mit den anderen unvollständig zu sein. Eine Zeichnung befand sich am oberen Ende der Seite, auf der die beiden Menschen, die Luzifer getroffen hatte, zu sehen waren.

„Zu den Menschen steht nicht viel geschrieben“, seufzte er und überflog die Zeilen. Nichts von dem, was dort stand, erklärte, was Luzifer gesehen hatte. „Das hilft mir nicht“, raunte er schließlich und stand wieder auf.

„Mit der Zeit wird mehr in diesem Buch stehen. Die Menschen sind zu jung, als dass das Buch viel über sie wissen könnte. Aber es zeigt uns zumindest eines – Vater will seine Schöpfung nicht verbergen!“, schlussfolgerte Ischrafil. Luzifer wollte etwas darauf antworten, als ein lautes Krachen ertönte. Sie wechselten einen kurzen Blick, dann erhob sich Ischrafil und eilte zu ihm.

„Was war das?“, flüsterte sie. Aber Luzifer zuckte nur mit den Schultern und sah sich um. Der Lärm war aus der Bibliothek gekommen – ganz aus der Nähe. War jemand hier? Luzifer lauschte, doch es waren keine Stimmen zu hören.

„Hallo?“, rief Luzifer in die Halle.

Ein raues Röcheln ertönte. Ein Herzschlag verstrich, dann vernahm Luzifer Stimmen. Stimmen, die weit entfernt waren und undeutliche Worte sprachen. Trotz seiner Bemühungen konnte Luzifer nichts verstehen. Auch Ischrafil lauschte. „Es kommt aus dem hinteren Bereich der Bibliothek“, sagte sie nach einer Weile.

„Bleib hier, ich werde nachsehen“, erwiderte er, aber sie legte ihre Hand auf seine Schulter.

„Nein, geh nicht allein. Ich werde bei dir bleiben.“

Sie liefen los und Luzifer blickte zwischen den Regalen die Flure hinab. Niemand war zu sehen, aber die flüsternden Stimmen wurden lauter und er vernahm ein leises Knurren. Er blieb stehen und hob die Hand. Das Geräusch schien aus der Richtung des Regals zu kommen, an dessen Seite sie standen. Einen Moment hielt er inne, dann trat er hinter das Regal. Nichts. Der vor ihm liegende Flur war leer – bis auf eine Spur der Verwüstung.

„Etwas stimmt nicht“, murmelte Ischrafil und schritt an ihm vorbei. Sie ging auf das Ende des Regals zu und Luzifer folgte ihr. Sein Blick fiel auf ein glühendes Zeichen, das zwischen den zerstörten Regalen und verstreuten Büchern auf dem Boden eingebrannt war. Es war ein Pentagramm. Gemeinsam schlichen sie um die Ecke und stießen beinahe gegen eine fünf-äugige Gestalt mit einem unförmigen Ziegenkopf und Reißzähnen im Maul.

Völlig perplex starrten die beiden die fremde Kreatur an, die zunächst nur knurrte. Dann stürzte die hässliche Kreatur auf die beiden Engel zu. Geistesgegenwärtig stieß Luzifer Ischrafil beiseite, sodass sich die Kiefer des Dämons nicht in ihr Fleisch bohren konnten. Mit einem gewaltigen Hieb stieß Luzifer das Monster zurück, sodass dieses ins Taumeln geriet. Gerade als Luzifer im Begriff war, die Kreatur zu packen, vernahm er über sich ein Geräusch. Von einem der Regale sprang ein weiterer Dämon herab, dem Luzifer gerade noch ausweichen konnte. Durch die Wucht des Sturzes rammte das ziegenähnliche Wesen seine scharfen Krallen in den Boden. Steine splitterten und lange Risse fraßen sich durch die Marmorfliesen.

Der erste Dämon, rappelte sich wieder auf, stieß einen Schrei aus und warf sich auf Luzifer, als ihn ein Lichtblitz traf und von den Füßen riss. Er flog nach hinten und krachte gegen das Regal. Ischrafil trat an Luzifers Seite und schleuderte einen weiteren Lichtstrahl auf den Dämon. Dieser duckte sich jedoch und sprintete knurrend nach vorn. Luzifer wand sich dem zweiten Monster zu, das mit erhobenen Krallen auf ihn zustürzte. Der Lichtbringer griff nach seinem Gürtel und löste ein silbernes Band, das sich in seiner Hand zu einem Schwert verfestigte. Die Krallen fuhren auf ihn nieder und Luzifer schlug die Arme der Kreatur mit einem Hieb seines Schwertes ab. Luzifer rammte sein Schwert in den Körper der Kreatur und der Dämon brach mit einem schrillen Schrei zusammen. Ischrafil wich dem Hieb des ersten Dämons aus. Seine Krallen schlugen ins Leere und mit einem Wutschrei wirbelte er herum, um erneut anzugreifen. Sie schlug die Hände zusammen und seine Krallen schienen auf eine unsichtbare Barriere zu treffen. Der Dämon ließ die Arme fallen und wich zurück.

„Weiche, Kreatur des Bösen. Du hast kein Recht hier zu sein“, donnerte Ischrafil.

„Bald werden diese Hallen uns gehören“, antwortete der Dämon. In seiner Hand erschien eine Flamme, die rapide zu wachsen begann, bis sie die Größe eines Balles hatte. Er schleuderte das Feuer auf Ischrafil, die jedoch zur Seite sprang. Sie glitt durch die Luft und landete hinter der finsteren Kreatur. Mit einer fließenden Bewegung drehte er sich um und das restliche Feuer wurde zu seiner Peitsche, die er gegen Ischrafil schwang. Dem ersten Schlag wich sie gekonnt aus und als er erneut zuschlug, schien sich die Peitsche in der Luft zu verhängen. Der Dämon zog an ihr, doch sie wurde ihm aus der Hand gerissen. Ischrafil zögerte nicht. In ihrer Hand erschien ein grelles Licht, das die Konturen eines Geschosses annahm und sie schleuderte es dem Monster entgegen. Das erste Geschoss verfehlte den Dämon, aber das zweite traf ihn an der Brust. Das Licht erfüllte seinen Körper und mit einem letzten Schrei brach die Kreatur zusammen.

„Wir haben sie“, keuchte Ischrafil, doch im selben Moment ertönte das Geräusch von Krallen auf den Marmorfliesen. Luzifer fuhr herum und sah einen dritten Dämon, der sich hastig aus dem Staub machte.

„Ihm nach!“, schrie Luzifer und breitete seine Flügel aus. Zusammen mit Ischrafil nahm er die Verfolgung auf.

Im Gang flogen sie an Samael vorbei, dem vor Schreck alle Pergamentrollen herunterfielen. „Was ist hier los?“, rief er völlig verwirrt.

„Dämonen in der Bibliothek!“, rief Luzifer.

„Er entkommt uns! Komm mit, wir müssen ihn aufhalten!“, rief Ischrafil Samael zu.

„Das hat noch gefehlt!“, schnaubte Samael und schloss sich der Verfolgung an.

Der Dämon hetzte durch die heiligen Hallen und die Paradiesbewohner sprangen mit entsetzten Schreien zur Seite. Sie gerieten in Panik, stolperten über ihre eigenen Füße und versuchten, in alle Richtungen zu fliehen, um sich in Sicherheit zu bringen.

„Wir nehmen den Sonnenwagen“, rief Luzifer. „Dann können wir ihn einholen. Ansonsten verlieren wir ihn in der Menge!“

Gemeinsam eilten sie zum Deck und sprangen in den Sonnenwagen. Der Dämon hatte die Halle der Engel bereits hinter sich gelassen und versuchte, seine Verfolger abzuschütteln, indem er zwischen den alten Bäumen und Türmen Haken schlug. Doch Luzifer ließ sich nicht so einfach abschütteln.

Die unheimliche Kreatur knurrte und steuerte auf die Himmelswand zu.

„In Gottes Namen, er will die Himmelswand durchbrechen! Wir dürfen ihn nicht entkommen lassen“, schrie Luzifer.

„Liebster!“, rief Ischrafil besorgt. „Wir dürfen die Himmelswand nicht durchbrechen!“

„Beeil dich, Luzifer!“, drängte Samael.

Luzifer schnaubte und ließ die Zügel knallen. „Das versuche ich, Samael!“

Der Dämon näherte sich dem Außenposten der Himmelswand, an dem Gazadriel mit ihren Himmelswächtern Wache hielt. Als ein Soldat den Dämon erkannte, stieß er in sein Horn und eilte zu seiner Vorgesetzten. „Kommandeurin Gazadriel! Etwas nähert sich mit einer unheimlichen Geschwindigkeit!“

Gazadriel sah in den Himmel und ihre edlen Gesichtszüge verhärteten sich. „Ein Dämon!“, rief sie. „In Formation gehen und auf mein Kommando warten!“

Die Himmelswächter nickten artig und bildeten mit ihren Schildern und Speeren eine schwebende Phalanx. Gazadriel wollte gerade weitere Befehle erteilen, als sie Luzifer, Ischrafil und Samael auf dem Sonnenwagen sah. Schlagartig weiteten sich ihre Augen und sie erstarrte. „Aus dem Schussfeld, Luzifer“, brüllte Gazadriel mit letzter Kraft, doch es war bereits zu spät. Der Sonnenwagen krachte in die Phalanx der Himmelswächter. Die Engel schrien und Ischrafil wurde gegen die Wand des Wagens geschleudert. Luzifer wollte nach ihr greifen, doch ein Wächter stieß gegen sie und riss sie mit sich in die Tiefe.

„Ischrafil!“, entkam es Luzifers Kehle und ein eisiger Schauer ergriff seinen Körper, als er dabei zusah, wie der verwundete Soldat und seine Geliebte durch die Himmelswand stürzten.