Die Dämonen von Martz: Flattertod - Christel Scher - E-Book

Die Dämonen von Martz: Flattertod E-Book

Christel Scher

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Beschreibung

Teil II der Reihe "Die Dämonen von Martz". Was nagt an deiner Seele? Für die Welt ist Zavin Wechem tot. Endlich frei von Druck und Erwartungen lässt er sich mit Aurelia vom Fluss des Lebens treiben. Er nährt sich vom Blut der Menschen – und von dem seiner Gefährtin, das ihm viel mehr bedeutet als einen vorübergehenden Rausch. Aurelia verhilft indes Prostituierten, wie sie selbst eine war, zur Flucht und zu einem neuen Leben. Doch die Vergangenheit holt sie ein: Ein abgefangener Brief ändert alles. Zavins Sohn ist in Gefahr. Zudem lassen Zavins Kräfte nach und ein Surren in seinem Kopf quält ihn zunehmend. Im tiefsten Winter kehren sie notgedrungen nach Martz zurück. Was flattert durch düstere Gassen? Mordende Dämonen gehen um und ein Mottenschwarm wirft seinen Schatten auf mysteriöse Leichen. Weder Aurelia noch Zavin ahnen, welche dunkle Macht es auf ihn abgesehen hat. In einem Strudel aus alten Mythen, Rache und Verrat wird nicht nur ihre Liebe auf die Probe gestellt. Sie drohen alles zu verlieren, was ihnen etwas bedeutet. Eine Geschichte über Schuld, Sehnsucht und das Scheitern.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

 

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Orten und sonstigen Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Lektorat: Lily Magdalen, www.lektorat-papiervogel.de

 

Korrektorat: Elisa Garrett, www.lektorat-garrett.de

 

Cover Design: Fantastical Ink, www.fantastical-ink.com

 

(copyright) 2025 I 1. Auflage I Christel Scher

ISBN: 9783759285218

 

Christel scher

C/o Fakriro GmbH

Bodenfeldstr. 9

91438 Bad Windsheim

 

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Und rubinrote Tinte berührt das Papier

2. Geh nicht ohne Freunde in die Nacht

3. Sanfter Schnee, schmücke unseren Schmutz

4. Mein Wolfsbericht an den Mond – 27.11.3034 n. d. Umbruch

5. Ein Schatten folgt dir immer

6. Mein Wolfsbericht an den Mond – 30.11.3034 n. d. Umbruch

7. Der Flattertanz der Elster und des Elohé

8. Mein Wolfsbericht an den Mond – 01. Dezembra 3034 n. d. Umbruch

9. Such mich nicht heim, wenn dein Heim woanders ist

10. Mein Wolfsbericht an den Mond – 04. Dezembra 3024 n. d. Umbruch

11. Lebensbeben, verschütte uns nicht

12. Mein Wolfsbericht an den Mond – 06. Dezembra 3034 n. d. Umbruch

13. Niemand ist frei. Selbst den Drachen hält eine Schnur.

14. Tiefe Wasser

15. Was ist mir die Welt so seltsam egal

16. Mein Wolfsbericht an den Mond – 08. Dezembra 3034 n. d. Umbruch

17. Lache … Verzweifelt, zynisch, bösartig … Lache

18. Wie heiß der Hass doch brennt

19. Hüte dich vor den Frauen im Wald.

20. Ein schöner Apfel, und innen so faul

21. Mein Wolfsbericht an den Mond – 15. Dezembra 3034 n. d. Umbruch

22. Was spielen wir?

23. Nuroshu

24. Mit Speck fängt man Mäuse.

25. Mein Wolfsbericht an den Mond – 17. Dezembra 3034 n. d. Umbruch

26. Verrat

27. Die Unversöhnten

28. Leise kribbelnd droht das Schweigen

29. Mond, scheine!

30. Trink mich!

31. Dasselbe Ziffernblatt, doch immer eine andere Zeit

32. Dunkelheit, was treibt mich näher zu dir hin?

33. Zeremonie

34. Schwarz oder weiß, Aurelia Beibrunnen?

35. Einer stirbt

36. Rutja

37. Zusammen, bis ans Ende der Zeit?

38. Was soll ich nun anfangen, mit diesem, meinem Leben?

Ich wollte noch Danke sagen!

Über die Autorin

Die Dämonen von Martz – Schlüsselblut

Leseprobe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für alle, die nach Sinn suchten

und an dunklen Orten strandeten.

 

 

Content Notes

 

Du hältst einen Roman in Händen, der düstere Thematiken beinhaltet.

Ich möchte dir versichern, dass ich diese Themen mit allem Respekt behandelt habe. Solltest du fürchten, gespoilert zu werden, dann blättere gerne weiter.

 

 

 

 

Blutkonsum, Gewalt (nicht verherrlicht), häusliche Gewalt (angedeutet), Mord, Schussverletzung, auspeitschen, durchgeschnittene Kehle, Gore (selten), Narben, Brandnarben, tiefe Kratzer, Krallen, fauliges Fleisch, Gefangenschaft, Spritzen, Zwangsmedikation, verletztes Kind, Kindesentführung, Unfruchtbarkeit, Verlust, Auseinandersetzung mit dem Tod, Sterbehilfe, fliegende Insekten, beißende Insekten, Insekten die aus/in Augen/Mund/Ohren krabbeln, Insektenschwarm, Drogenkonsum, Alkoholabhängigkeit, Alkoholrückfall, Verrat einer nahestehenden Person, sexuelle Handlungen (angedeutet), toxisches Verhalten (nicht verherrlicht), Angst vor dem Ertrinken, Übelkeit, falsche Verdächtigung, Ausgrenzung.

Prolog

Ich genoss es, tot zu sein.

Oh, mein Herz schlug noch, wenn auch viel langsamer als das von Menschen, doch für die Welt war Zavin Wechem tot.

Der Verfluchte, von Geburt an.

Der Dämon.

Der Bluttrinker.

Der passionierte Uhrmacher.

Es geschah im Spätsommer letzten Jahres, dass ein Mob aufgewühlter Martzer vor unserem Haus wütete. Dass ein Fanatiker namens Loy Wan mich am Kronleuchter im Salon meines Elternhauses aufhängte und ausbluten ließ. Aurelia und mein Wolf, ein Dämon wie ich, ein Gestaltwandler, retteten mir das Leben.

Die Menge an Blut im Salon strafte jeden Lügen, der behauptete, Aurelia Beibrunnen und mich fliehen gesehen zu haben. Die gar behaupteten, wir seien in inniger Umarmung das Treppenhaus hinuntergeschwebt. Eine verrückte Nacht, die so manchen Verstand vernebelt hätte, so sagten sie.

Vieles ist anders seit jenen Geschehnissen. Mein Schwager Ryn Wan verschwand, genauso wie meine Schwester, seine Ehefrau. Eine Dämonin, so wie ich einer bin. Und mein Wolf? Verabschiedete sich kryptisch und verschwand mit dem Dämonenmädchen Sin. Um sie würde ein Krieg losbrechen, der nicht der meine war. Mit diesen Worten, aber ohne jede Erklärung, ließ er mich zurück.

Ich versteckte mich in Aurelias Wohnung, solange die Zeitungen noch spekulierten. So lange, bis meine Todesanzeige erschien.

Keine lieben Worte, kein Segensspruch.

 

Zavin Wechem.

Geboren am 06.06. im Jahr 3007 nach dem Umbruch.

Gestorben am 17.08.3033.

 

Schmucklos. In eine Ecke gekauert beweinte ich mein bisheriges Leben. Aurelia, meine Auri, setzte sich im Schneidersitz vor mich und sagte nichts und hielt ihre Gedanken zurück. Ich kenne niemanden, der so intensiv da sein kann, mit Ruhe und aufmerksamem Blick und einer liebevollen Hand, die sie genau im richtigen Moment auf meine Schulter legte.

Sie strahlte Leben aus. So ganz anders als bei unserem ersten Zusammentreffen. Als misshandelte Prostituierte hatte ich sie kennengelernt. Als Vögelchen, wie die Martzer sie abfällig nannten. Sterben hatte sie wollen. Und nun? Ihre rosigen Wangen, all die Sommersprossen, die frech geschwungenen Lippen unter einer Stupsnase. Die krausen Locken, die im Licht fast golden glänzten. Sie glühte von innen. Ich konnte mich nicht an ihr sattsehen.

Und ich konnte mich nicht an ihr satttrinken, als sie sich vor mich kniete und ihren Kopf zur Seite kippte, ein Funkeln in den blauen Augen. Sie ließ mich ihren Jasmingeruch einatmen. Ließ mich über ihren Hals lecken, bevor ich gierig und dankbar meine Zähne darin versenkte.

Brauchte ich Martz? Brauchte ich meine Familie? Brauchte ich andere Dämonen? Brauchte ich mein Handwerk? In jenen Momenten mit ihr, wenn ihr Blut mir über die Lippen rann, so selbstverständlich, als sei es mein eigenes. In jenen Momenten bestand die Welt aus ihr und mir und unserem Ort, den wir in uns gefunden hatten. Eine Lichtung, eingerahmt von duftenden Jasminbüschen. Davor ein Sandstrand und sanft brandendes Meer, so rot und warm, wie ihr Blut selbst es war.

Wir verließen Martz in jenem Spätsommer.

Ruhe in Frieden, so sagt man. Das Leben wird einfacher, wenn man tot ist.

Ein Toter trägt keine Verantwortung. Niemand erwartet etwas von ihm, niemand verfolgt ihn. Die Bauern der Region ernährten mich und Aurelia hielt sie mit ihren Giften in tiefem Schlaf, wenn wir beschlossen, die Nacht dort zu verbringen – oder zwei Nächte oder manchmal eine Woche, als der Winter über Witarien hereinbrach.

Ganze Tage verbrachten wir in fremden Ehebetten zwischen Lust und Blutextase. Ihr Blut ein warmes Meer, feinster Sand auf ihren nackten Kurven. Wie ein umgekehrter Sternenhimmel lag sie im Licht eines Blutmondes. Unzählige dunkle Sommersprossen auf weißer Haut, die ich manchmal versuchte zu zählen, wenn sie ruhig schlafend in meinen Armen lag. Ein Ort ohne Sorgen, ohne andere Menschen. Doch wir mussten zurück, wenn das Klingeln meiner Taschenuhr durch diese Welt dröhnte, mich aufforderte, die Zähne aus ihrer Haut zu ziehen. Ich wollte nicht zu viel nehmen. Ihr niemals schaden.

Ich nährte mich vom Blut der Menschen, doch was sie mir gab, war mehr. Ihr Blut war ein Geschenk aus freiem Willen, und das knüpfte ein tiefes Band. Keiner von uns hatte gewusst, nein, nicht einmal geahnt, dass wir wie zwei Flüssigkeiten ineinanderfließen würden. Eine Nähe, in der wir noch wir selbst waren, natürlich. Aber auf eine so intime Weise, dass die Grenze zwischen uns durchlässig wurde. Ich hörte ihre Gedanken und sie die meinen. Ich fühlte ihre Gefühle und sie die meinen. Ich sah seitdem die Schattenwesen, die Geister meiner Opfer, die vorher nur ihr erschienen waren. Wir beendeten die Sätze des anderen. Und manchmal besorgte sie auf dem Markt genau das, worauf ich Hunger hatte. Und immer, wirklich immer beschaffte sie mir die Menschen, auf die ich Hunger hatte. Sie zeigte keine Skrupel, wenn sie Betrunkene bezirzte oder gute Menschen um Hilfe bat. Sie durch Gesten und Lächeln überredete, uns in ihre Häuser einzulassen.

Sie scheute keinen Einbruch, wenn ich etwas zu gierig zu einem erleuchteten Fenster hochblickte. Die dünnen Nadeln mit dem betäubenden Gift trug sie immer bei sich, und sie zog mich aus dem Blutrausch, bevor der Verlust den Menschen gefährlich werden konnte. Viele lagen tagelang im Bett oder wurden von Albträumen gequält. Es war und blieb schäbig. Aber seit anderthalb Jahren war niemand mehr gestorben. Seit anderthalb Jahren nährte ich mich von einer Welt, die mich für tot hielt. Wie ein Blutegel. Wie eine Heimsuchung.

Ich hatte Angst vor mir selbst, seit unser Blutband uns Kräfte verlieh. Kräfte, die so mächtig waren und uns so unbekannt, dass wir sie sparsam einsetzten. Wir hatten keine Lehrmeister. Wir waren Studenten, allein in einem riesigen Labor gefährlichster Elemente. Und alles, was wir tun konnten, um zu lernen, war blind zu experimentieren.

Ich schmeckte intensiver, fühlte intensiver. Wir konnten sie körperlich spüren, die Kräfte um uns herum. Wir ließen Wind aufbrausen, der schändlicherweise die Dachschindeln von einer Scheune wehte. Wir überquerten einen See, indem wir darüberliefen. Wir drehten die ganze Welt um uns und verbrachten einen Abend an der Decke des schlichten Konzerthauses der Binnenstadt Tolk. Lauschten aneinandergekuschelt der Musik. Und immer lachte sie freudig oder kicherte, dass sich ihre Stupsnase krauszog. Sie liebte diese magische Welt abgöttisch, die ich sehr viel kritischer betrachtete. Wir wussten nicht, was genau wir da taten. Aber musste ich das? Musste ein Toter wissen, was er tat?

Oh, unser altes Leben verfolgte uns, ein Stückchen weit. Doch das konnten wir verschmerzen. Uhren blieben meine Passion. Das Mäppchen mit den Uhrmacherwerkzeugen trug ich stets bei mir, und so geschwächt ich meine Opfer stets zurückließ, ihre Uhren liefen danach präzise. Die Schatten huschten manchmal in unseren Augenwinkeln, doch sie ließen uns in Frieden. Vielleicht weil ich nicht mehr tötete. Vielleicht aus Angst. Ich war ihr Mörder.

Nur mit einem hörte ich Aurelia manchmal kichern. Fluxo, einer ihrer früheren Freier. Aurelia begann ihm die Sprache der Hände beizubringen.

Er will reden, sich mitteilen. Niemandem, der reden will, sollte das verwehrt bleiben.

„Du bist ein guter Mensch“, hatte ich daraufhin gesagt und sie lachte und bewarf mich mit einem Kissen.

Auri ist klüger, als sie selbst glaubt zu sein. Sie schickte Fluxo nach Martz, ließ sich von ihm Adressen besorgen, begann Briefe zu schreiben, begann Fluchtwege zu planen für Prostituierte, die fliehen wollten, so wie sie. Ihrer Stummheit zum Trotz; sie ging nicht mehr unter, wenn sie einen Schankraum betrat. Und wenn ein Wirt ihre Bitte um ein Zimmer für flüchtige Frauen nicht bemerkte, verschaffte sie sich Aufmerksamkeit, warf Krüge durch den Raum oder münzengefüllte Säckchen vor die Füße der Männer. Ich liebte es, sie dabei zu beobachten. Immer aus einer finsteren Ecke heraus, immer bereit einzugreifen. Lass es, schickte mir Auri dann stets in Gedanken. Lass sie nicht wissen, was du bist. Lass es gut sein.

Doch nachts suchten wir so manchen heim. Wer Auri eine Entschuldigung verweigerte, den ließ ich meine Zähne spüren, wer sich entschuldigte, aufrichtig und höflich, von dem trank ich sanfter. Ich tötete sie nicht, aber falsch war beides nach wie vor, oder nicht?

Aus der Ferne tat Auri einen talentierten Urkundenfälscher auf. Und jener Mann der Unterstadt, Mento Faresa, wurde auch mir nützlich. Ein Mann aus dem Ginko. Ein erfolgloser Gewürzhändler, der für kleines Geld Post sortierte und für ein paar Münzen allen Anstand fahren ließ. Er leitete mir Briefe weiter. Briefe von Ryn Wan, meinem Schwager, stets ohne Absender, adressiert an meine Familie. Das Reh lebt, stand darin. Die Heilung sei nahe. Ich zitterte, als die ersten Briefe mich erreichten.

„Er meint Tarielle“, flüsterte ich immer wieder. Meine Schwester.

Aber sie lebt, das ist doch gut, dachte Auri, nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände und wieder floh ich mich in Küsse und Vergessen.

Ein Frühling verging, ein Sommer. Dann kam der Herbst.

Geruch von Morast, Nebelmorgen und eine Taverne, vor der leuchtende Kürbisse wuchsen. Mento Faresa war ein gut organisierter Mann. Jedes Bündel Briefe enthielt den Ort, an den er die nächsten schicken würde. Die meisten für Aurelia.

Wie sie in der Tavernenecke saß und bei Kürbissuppe die Rettung von Leben organisierte … Ich war so stolz.

Ihr gegenüber öffnete ich den einen Brief meines Vaters an meine Tante und Auri blickte auf, während ich mehr und mehr zusammensackte.

Was ist?

Ich hatte so viele Leben genommen. So viele. Doch es gab dieses eine Leben, das ich erschaffen hatte. Ein Wunder. Aquin.

„Lariska … wurde überfallen.“ Ich hörte meine Stimme wie in weiter Ferne. „Eine dunkle Gasse. Eine Frau hat sie überfallen, ein Monster, sagt sie. Lariska glaubt, sie wollte Aquin. Sie wollte meinen Sohn.“

Geht es ihnen gut?, hörte ich sie denken.

„Es … Ja. Vater will sie wegschicken, aber sie will nicht.“

Sie legte ihre zarten Finger auf meine Hand. Ihre Wärme kroch mir wohlig den Arm hoch. Deine Familie, die Wache … Dein Sohn hat eine Armee um sich, Zavin. Ihm geschieht nichts.

Ein sonniger Tag, die Lichtung bedeckt von buntgefärbtem Laub. Das Blut eines jungen Jägers tropfte darauf. Eine farbliche Augenweide. Jeder Maler von Stillleben hätte wohl gleichermaßen entsetzt geschrien und vor Freude geweint.

Wir hievten den bewusstlosen Mann auf sein Pferd und führten es zum nächsten Dorf, bezahlten Gold für sein Obdach in der Taverne.

Am nächsten Morgen begann es. Schon in der Nacht hatte ich das Sausen in den Ohren bemerkt. Hatte mir mehrmals auf die Ohren geschlagen. Den Schinken und das frische Brot, welches im Tavernenraum serviert wurde, konnte ich kaum anrühren. Dann kam der Jäger, mein Opfer, die Treppe herunter … und starrte mich an. Die Augen wurden weiter und weiter. Er schrie, hob den Arm in meine Richtung, zeigte auf mich. „Dämon! Ein Dämon!“

Aurelia zog ihre Waffe, schoss in die Luft und wir flohen.

Es hörte nicht mehr auf. Ich halluzinierte Motten, die mich umschwirrten. Die vor meinem Ohr flatterten, in meinem Kopf. In meinem Kopf!

Blut für Blut, flüsterte es in meinen Gedanken. Komm heim, Blut für Blut.

Schweißgebadet schreckte ich aus Träumen hoch und klammerte mich an Auri, die mir liebevoll durchs Haar fuhr.

Es wird alles gut. Wir haben viel durchgemacht. Das sind nur böse Erinnerungen. So macht der Kopf das. Macht Monster aus bösen Erinnerungen.

Ich musste mit Bedacht trinken, tat es immer seltener, denn immer seltener gelang es mir, ihre Erinnerung zu löschen.

Gerüchte gingen um. Dörfer verweigerten Reisenden den Einlass. Aus so mancher kleinen Stadt mussten wir fliehen, ließen Nebel aufsteigen, die uns verbargen.

Ein nächster Winter kam. Die Dörfer waren in Aufruhr. Die Reisewege durch Eis und Schnee beschränkt. Fast über Nacht umschloss der Winter den Inselstaat Witarien ohne Gnade.

Matsch und klamme Kleidung hatte ich noch verschmerzen können, wenn uns abends ein heißes Bad und ein weiches Bett erwartete. Doch ich war ein Mann der Oberstadt und im Witarischen Winter fand ich meine Grenze.

Und was blieb uns? Was blieb uns anderes übrig als zurückzukehren zu dem einzigen Ort, der ausreichend Verstecke, warme Kamine und Anonymität bot? Jener Ort, den mir die flatternden Insekten im Traum zuflüsterten. Jener Ort, an dem das einzig Lebendige in Gefahr war, das ich je erschaffen hatte. Jener Ort, an dem ich gestorben war.

Martz.

1. Und rubinrote Tinte berührt das Papier

„Wo sind meine Manschettenknöpfe?“

Ich schob meine Hand tief in die Seitentasche des Koffers.

Die brauchst du nicht. Aurelia saß in der Nische unter dem Hochbett und ihre Stupsnase zog sich kraus. Sie unterdrückte ein mitleidiges Lachen.

„Mit den schlackernden Ärmeln sehe ich aus wie dahergelaufen.“ Ich wühlte weiter in einem der Koffer, in denen ich mein ganzes Leben aufbewahrte, hier in dieser winzigen Kammer. Dieser unordentlichen Kammer.

Aurelia schob die kleine Gaslaterne auf dem Tisch näher an die Kante, um mich zu beleuchten.

Wenn wir heute Nacht die Flecken herausschrubben, wird es egal sein, ob Manschettenknöpfe dran waren oder nicht, hörte ich ihre Gedankenstimme in meinem Kopf. Und doch formte sie die Gebärden dazu. Ich liebte ihre Sprache, in der ihr ganzer Körper in fließenden Bewegungen mit mir redete.

Sie half mir suchen, tastete das Futter eines kleineren Koffers ab, wühlte dann im großen und ließ sich von einer Holzschachtel ablenken, öffnete sie. Eine goldene Uhr, ein Familienfoto eines Dorfmeiers, einige Halme Heu, ein Fläschchen voll Kies … Souvenirs von den Orten, an denen wir Liebe gemacht hatten. Sie sah sie sich gerne an. Ja, diesen Glückstaumel in den Dörfern Witariens hatten wir erlebt. Vorbei.

Ich lehnte mich auf das niedrige Waschbecken und musterte mich in dem gesprungenen Spiegel. Ich hatte kaum gegessen in den letzten Wochen, was meine Gesichtszüge kantiger wirken ließ. Hohe Wangenknochen und ein Gesicht, das nun allzu spitz zulief und in einem schmalen Kinnbart endete. Nahrung hatten wir genug. Von allem hatten wir genug, wenn wir es wollten. Aber seit wir Martz wieder betreten hatten, drückte eine dunkle Wolke mich nieder. Ein Fehler. Es war ein Fehler, dachte ich.

Schuld und Scham, sie laugten mich aus.

Ich öffnete den Wasserhahn, der rebellisch gluckerte, füllte meine Handflächen mit eisigem Wasser und warf es mir ins Gesicht.Ich befeuchtete meine Finger, zwirbelte den Kinnbart in Form, schob eine kleine Bartperle darauf, die sorgsam auf einem Samttuch am Waschbeckenrand geruht hatte.

Ein Geschenk von Aurelia. Von ihren geschickten Händen entworfen und gegossen. Ich war mir mit diesem Detail nicht sicher, aber …

Das macht dich verwegen, flüsterte sie in meinem Kopf. Ein Seitenblick, der ihren traf, ein Funkeln.

Ich versuchte zu lächeln. Das konnte nett wirken, sehr sogar. Besonders die kleinen Grübchen liebte Aurelia an mir. Doch hinter den Lippen blitzten meine Fangzähne. Ein Raubtier. Ein Versprechen von Schmerz und Tod.

Lass die Lippen einfach geschlossen. Sie kam zu mir herüber, lockerte mein Haarband, dass einige der tiefroten Strähnen mir wieder ins Gesicht fielen. Sei du selbst.

„Mein Selbst bringt Leute zum Schreien.“

Mich bringt es zum Lächeln. Sie drückte mir einen Kuss auf den Mundwinkel und kraulte meinen Nacken, nur mit den Fingerspitzen.Ein Kribbeln auf der Haut, das mein Herz beschleunigte. Immer noch. Jedes Mal.

Wir müssen nur den Winter überstehen. Im Frühling zerre ich dich raus aus Martz und in die Welt.

Ich schluckte. „Der Winter hat gerade erst angefangen.“

Ach, Zavin, ich versuch dich nur aufzuheitern. Es gibt keinen Grund, so nervös dazustehen. Es wird gut gehen. Ein entspannter Winterschlaf, wir finden raus, wer dir diese Motten in den Kopf setzt, sehen nach deinem Sohn und dann reisen wir fort. Nicht nur durch Witarien. Sie drehte sich auf dem Absatz zu der Karte, die an der Wand hing. Ich will Bretonien sehen und Eurinland und Oresh und die südlichen Inseln und … Sie zog eine Haarnadel aus ihrem Dutt und warf sie auf die Karte, wo sie stecken blieb. … und diesen Ort.

„Was ist da?“

Ist doch egal! Sie lachte. Ich will einfach alles mit dir sehen.

Sie schlang mir die Arme um den Hals, sprang an mir hoch und umklammerte meine Hüfte mit ihren Beinen. Ich konnte sie nur halten, indem ich ihr Gesäß unsittlich berührte.

Sie schmunzelte. Der feine Herr nutzt so höfliche Worte, selbst wenn er denkt. Sie küsste mich und ihre weiche Zunge fand meine. Erzähl mir mehr davon.

Ganz langsam liebkosten ihre Lippen meine, entzogen sich mir, lockten mich. Sie biss mir zärtlich in die Unterlippe und ich unterdrückte ein Stöhnen. Mir rutschte das Herz in den Magen und das Kribbeln dort wanderte tiefer. Wenn sie jetzt nicht aufhörte … Mein Herz hämmerte und ihres antwortete. Ein weiteres Klopfen störte unseren Rhythmus. Wir fuhren zur Tür herum.

„Er sitzt oben.“ Die alte Treme steckte kurz ihren Kopf durch die Tür. „Er sitzt oben, seit einer Stunde. Wenn es noch länger dauert, berechne ich euch das Feuerholz.“ Sie musterte uns kritisch von oben bis unten, zog sich wortlos zurück.

Ich setzte Auri auf einer Kommode ab.

Du kannst auch Nein sagen. Sie drückte meine Hand etwas fester.

Kann ich nicht, dachte ich. „Sieh uns an“, flüsterte ich. Ihr Gesicht war blass. Wir hatten es übertrieben und wir taten es noch.

Du musst es nicht wegen mir tun. Ich bereue keinen einzigen Tropfen, nicht einen.

Ein wohliger Schauer fuhr mir den Rücken entlang, aber ich schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht nur von dir trinken, Auri, kann mich nicht nur verstecken. Ich brauche … Menschen, die mir zeigen, dass ich noch existiere … Bei Etoh, es ist schwer zu erklären …“

Sie legte mir einen Finger auf den Mund. Du bist einsam.

„Mehr als das. Zavin Wechem ist für alle hier gestorben. Und ein Stück weit auch in mir.“

Sei nicht so dramatisch. Aurelia zog meinen rechten Arm zu sich, zog den Ärmelsaum am Handgelenk zusammen und fixierte ihn mit einer Stecknadel. Mit dem linken Arm tat sie es gleich.

„Es ist dramatisch.“ Ich legte die Hände um ihr Gesicht, verfluchte den entspannt berauschten Glanz, den das Gift auf meinen Handflächen in ihre himmelblauen Augen zauberte. Seit Wochen gab sie mir mehr, als sie regenerieren konnte, und ich hörte nicht auf sie zu wollen. „Es geht dir nicht gut.“

Sie blinzelte mich müde an. Ich stehe auf zwei Beinen, nicht wahr?

Sie schlang die Arme um meinen Hals, mehr um sich zu halten, das bemerkte ich, doch ließ es mir nicht anmerken. Wir haben schon mehr durchgestanden als das hier. Es wird alles gut.

„Und du willst mich wirklich teilen?“

Sie streichelte mir sanft mit zwei Fingern über die Lippen und lächelte neckisch. Ich will mich an dich gebunden fühlen, aber nicht an dich gefesselt. Es muss andere geben, früher oder später.

Sie ließ mir keine Zeit zu reagieren und zog mich kichernd durch die Tapetentür unseres winzigen Unterschlupfs.

Der Flur roch nach Weihrauch und verbranntem Salbei. Die herabhängenden Federn einiger Traumfänger streiften meine Stirn, kitzelten angenehm. Am Ende des Ganges führte eine enge Wendeltreppe nach oben, verschwand in Dunkelheit. Ich drehte mich nochmal um, nickte Aurelia zu und ließ mich von ihr die schmiedeeisernen Stufen hochziehen.

Er ist perfekt, Zavin. Er kommt immer wieder und wieder in Tremes Laden, liebt den übernatürlichen Tant. Und ich mag ihn.

Ich mochte ihn auch sehr, das war so offensichtlich wie furchtbar. „Er weiß nicht, worauf er sich einlässt.“

Aber er fürchtet sich nicht vor Magie und er hilft mir, hilft uns, schon so lange. Es ist nur noch ein so kleiner Schritt, Zavin, so klein.

Ich krallte die Hand um das kühle Geländer. Schon roch ich ihn. Den Duft von Seife und salziger Luft, der seinen Eigengeruch mit sich trug. Meine Zähne schoben sich vor, meine Krallen fuhren heraus. Kontrollverlust. Ich blieb kurz stehen, wischte mir das Hemd glatt und war dankbar, so dankbar für die gut sitzenden Ärmel.

Es gibt nichts, für das du dich zu schämen brauchst. Wir versuchens.

Gute zwanzig Stufen vor dem Flur hielt ich an. „Ich kann nicht, Auri. Heute kann ich nicht. Bitte lass es uns ein anderes Mal tun.“

Auri schüttelte den Kopf. Heute ist genauso gut wie morgen oder übermorgen. Wenn es klappt, können wir hier sorglos einen Winter am Kaminfeuer verbringen. Wer außer Mento fällt dir ein, dem wir hier vertrauen können? Richtig! Niemand. Oh Zavin, ich will das so sehr.

Ich fuhr mir durch das Haar, zerzauste es dadurch nur schlimmer und ging im Geiste die Worte durch, die ich gleich sprechen würde, während ich die letzten Stufen nahm. Wo soll ich nur anfangen? Ich schob meine Gefühle beiseite. Das hier ist keine Verabredung, ich mache ihm nicht den Hof. Es ist ein Geschäft. Ja, es beginnt als Geschäft.

Die Treppe war durch einen Vorhang abgetrennt. Aurelia schlüpfte hindurch. Ich blieb zurück, linste nur durch den Spalt.

Mento Faresa saß in einem der drei grünen Ohrensessel am Ende des Raums. Sein brauner Anzug war an den Ellenbogen abgewetzt. Dunkle Strähnen fielen in sein gebräuntes Gesicht. Er hatte sich Mühe gegeben, doch ich konnte die Geschäftsmänner verstehen, die ihn am langen Arm verhungern ließen, denn er trug seine Schwächen zu offen nach außen. Martz verschluckte Männer wie ihn.

Alle Fensterläden im Raum waren geschlossen und klapperten unter dem heulenden Wind, der draußen tobte. Einzig der Kamin schenkte flackerndes Licht. Viele der Holzscheite waren heruntergebrannt.

Wir haben ihn lange warten lassen, er ist nervös, dachte ich.

Er ist aus freien Stücken hier, antwortete sie.

Schon klopfte mein Herz spürbar und mein Atem ging etwas schneller, benebelte mich wieder und wieder mit seinem Duft. Es gibt kein Zurück.

Er richtete sich im Sessel auf und spähte irritiert in das Dunkel, aus dem Aurelia sich näherte. Schon spürte ich Zweifel in seinem Geist, doch er stand auf und gab ihr die Hand. Zumindest wusste er, was sich gehörte.

„Aurelia Beibrunnen …? Ich … es freut mich.“

Aurelia griff ihre eigene Hand auf der Höhe ihres Herzens. Die Gebärde für „Freund“.

Mento erwiderte ihr Lächeln, noch immer nervös.

„Ich hab mehr Briefe. Es wird schwieriger sie abzufangen, aber …“ Er kramte unbeholfen in seiner Ledertasche und legte einen Stapel vergilbter Umschläge auf das Tischchen. „Ihren Partner … lern ich ihn heut kennen?“ Wieder starrte er ins Dunkel, kniff die Augen zusammen, als könne er die Dunkelheit so besser durchdringen. Ich seufzte tief, hatte dieses Mysterium selbst geschaffen, das ihn nervös mit den Fingern gegen sein Hosenbein trommeln ließ. Es ging nicht anders. Ich versuchte den Jäger in mir zurückzudrängen, damit er es gleich nicht in meinen Augen sehen würde und auch die Zähne und Krallen nicht.

Er schrie auf, ließ sich in den Sessel zurückfallen und presste sich in das Polster. „Wer ist da? Was verdammt nochmal ist das?!“ Seine Stimme überschlug sich. Ich zuckte vom Vorhang zurück. Aurelias Geist zeigte mir ein Bild. Meine Augen, die das Licht des Kamins zu intensiv reflektierten und unseren Gast gierig anstarrten. Bei Etoh. Sein hörbar schneller Atem war unerträglich.

Auri, betäub ihn. Das hat so keinen Sinn, dachte ich. Sie sollte die kleinen Nadeln mit dem Schlafblumensaft ziehen, ihn in ruhigen Schlaf schicken. Seine Nervosität, gepaart mit meiner … das hielt ich nicht aus.

Komm jetzt her! Auris Gedankenstimme dröhnte mir im Kopf. Die Katze ist aus dem Sack, jetzt komm!

Ich stieß einen leisen Fluch aus, dann trat ich durch den Vorhang, blieb aber im Schatten. Jeder Schritt knarzte auf den alten Dielen. Mento Faresa riss die Augen weiter auf. Angst loderte um ihn herum, wie ein kaltes Feuer.

„Wer bist du?“

„Ich bin ein Mann. Ein Mann, der diese Stadt liebt, obwohl sie ihn hasst.“

„Was willst du von mir?“, flüsterte er.

„Ich will dir danken. Für die Briefe, die du abgefangen hast. Du hast es nicht nur für das Geld gemacht. Ich weiß, dass es dich gerührt hat, dass noch jemand nach Ryn und Tarielle Wechem sucht.“ Er starrte mich an mit einer Angst in den Augen, die längst seinen klaren Menschenverstand lähmte. „Ich will dir einen Handel anbieten.“

Wie um es zu unterstreichen, holte Auri ein Schriftstück, ein Tintenfass und eine Schreibfeder aus einer Kommode. Das war großes Theater. Im Grunde unnötig, doch mir war es wichtig. Menschen dachten einmal mehr nach, bevor sie etwas unterschrieben. Jedenfalls bildete ich mir das ein.

„Ich geh mit niemandem einen Handel ein, den ich nicht sehe.“ Er richtete sich kerzengerade auf, kämpfte sichtlich gegen jedes Gefühl, das in ihm tobte.

„Sobald du mich siehst, gibt es kein Zurück mehr. Das musst du wissen.“

„Für mich gibt es schon jetzt kein Zurück mehr.“ Er lachte auf, bitter und freudlos. „Aber ich schließe keinen Handel mit mir unbekannten Schatten.“

„Ich kenne dich. Wir laden nicht jeden ein. Dein Vater ist Seefahrer, nicht wahr? Deine Mutter hat einen kleinen Stand, an dem sie die Kuriositäten verkauft, die er ihr schickt. Du liebst Teeblumen und sammelst Messer in einer Schachtel unter deinem Bett …“

Zavin!, zischte Aurelia in meinem Kopf.

„Drohen Sie mir?“ Seine Stimme zitterte, brach weg.

Bei Etoh, ich wollte doch nur …

Zeigen, dass du die Macht hast, ihm nachzustellen?

Ich seufzte tief und trat in den Lichtkegel des Kaminfeuers. Er erkannte mich. Jeder erkannte den Dämon von Martz. Es stach.

Ich hob beschwichtigend die Hände. „Ich tue dir nichts.“ Wie sehr doch alle Dämonen Lügner sind. „Gib mir fünf Minuten, um es zu erklären.“

Er schluckte, blieb reglos sitzen. Keine Zustimmung. Er war starr vor Angst.

Auri kramte in ihrer Tasche, zog unauffällig eine der dünnen Giftnadeln heraus. Nur für den Fall, hörte ich ihre Gedankenstimme.

Ich goss uns allen eine Tasse Lavendeltee ein, den Treme uns aufgebrüht hatte. Solche alltäglichen Dinge beruhigten die Menschen … und auch mich. Ich schenkte ihm ein, er zuckte zurück.

„Was … was sind Sie?“

Ich nahm im Sessel ihm gegenüber Platz, gab ihm etwas Raum. „Ich bin nicht, was die Leute sich erzählen.“

„Sie erzählen eine Menge.“

„Was zum Beispiel?“

Er schluckte. „Dass Sie tot sind.“

„Ich habe Puls und ich bin warm. Ich will in Ruhe leben.“

„Und was man sich sonst erzählt? Übertriebenes Geschwätz?“

„Nein … wohl nicht.“ Es stach, zu wissen, was das Stadtgeschwätz aus mir machte, unkontrolliert, ohne dass ich mich wehren konnte. Und noch mehr stach es zu wissen, wie recht sie in vielen Dingen hatten. War ich dieses Monster?

Auch über mich erzählt man sich viel, lieber Mento, hörte ich Aurelia denken, während sie die Worte aufschrieb. Hör nicht auf Stadtgewäsch. Vertrau mir und hör Zavin zu. Was er zu bieten hat, ist ein Geschenk. Sie schob Mento den Block hin. Nachdenklich musterte er das Papier.

Danke, dachte ich in ihre Richtung.

Wieder spürte ich ihre kribbelige Wut darüber, das Gespräch nicht übernehmen zu können. Sie war so viel schlagfertiger als ich.

„Und was ist sie?“ Er deutete mit dem Kopf in ihre Richtung.

„Keine Dämonin. Und dein Schutzengel.“ Ich lächelte sie warm an. Sie erwiderte es, aber rollte mit den Augen.

„Was wollen Sie? Ich denke, ekratische Gewürze sind es nicht … Brauchen Sie Papiere?“ Seine Stimme stockte.

„Nein.“ Es klang dunkler, als ich beabsichtigt hatte. Bei Etoh, ich sah den Pulsschlag unter der angespannten Haut seines Halses, starrte darauf. Beschämend.

Draußen heulte der Wind auf, ließ die Dachschindeln pfeifen und Mento fuhr zusammen. „Was wollen Sie dann?“

Als wäre ich nicht mehr Herr meines Körpers, leckte ich mir kurz über die Lippen. Er sah es und verstand zu gut.

Sein Blick zuckte in Richtung des Ausgangs. Er sprang auf.

Spiel die Karte! Spiel sie!, rief Aurelia.

Ich sank resigniert im Sessel zusammen, massierte mir kurz die Stirn, um widerwillige Gedanken zu beruhigen. Also würde ich jetzt ein wahrer Dämon werden. Welche Wahl hatte ich schon?

„Da draußen lauern andere Monster, die dich fressen werden.“

Er war bereits bis zum Vorhang gekommen, hatte ihn zur Seite gehoben. Doch jetzt stoppte er.

„Von wie vielen zwielichtigen Männern hast du Geld geliehen? Wie viel davon hast du überhaupt noch?“

Ich sah ihn innerlich zusammensacken, auch wenn er weiter auf beiden Beinen stand. Ich ekelte mich vor mir selbst.

„Ich kann dich schützen. Und mehr noch. Du bist ein Gewürzhändler ohne Schiff. Die Berewill von Moras Freballio liegt noch immer herrenlos im Hafen. Er hatte keine Kinder, sein Bruder hat eigene Schiffe. Ich komme überall hinein, komme an jedes Stammbuch, jedes Geburtenregister. Du kannst Unterschriften fälschen. In einer Woche könntest du Moras Freballios Bastard sein und die Berewill Richtung Ekrates losschicken.“

Ein gequälter Mann schlurfte zurück zum Sessel und ließ sich hineinsinken. Sein Blick blieb leer. Sein Verstand kam nicht hinterher.

„Und ich kann dir Antworten geben“, fuhr ich fort. „Keine Weissagungen, aber was du tief in dir wirklich willst. Das kann ich dir zeigen.“ Meine Lippen zitterten. So tun, als wolle ich ihm helfen, und dabei wollte ich ihn nur packen und …

Du machst das gut, hörte ich Auri.

„Du … willst meine Seele dafür?“ Er blickte auf das Papier, schien die Sätze wieder und wieder zu lesen.

 

Der Herr Mento Faresa erklärt sich bereit, für Unterstützung und Schutz mit Blut zu bezahlen. Er wird schweigen, über die Identität seines Geschäftspartners und über alle Transaktionen. Ansonsten erklärt er sich bereit, den vollen Preis zu zahlen.

 

Ich mag den letzten Satz nicht, dachte ich.

Der letzte Satz ist nötig, antwortete Aurelia.

Aurelia griff nach der Schreibfeder, tauchte sie in die Tinte und hielt sie Faresa hin. Ich stand auf, näherte mich ihm langsam und ging vor ihm in die Hocke, versperrte ihm den Fluchtweg. Er schien es gar nicht zu bemerken, starrte nur zitternd auf die Feder, während er sie langsam mit Fingern umschloss. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.

„Keiner meiner Briefe an dich war gelogen“, sprach ich sanft. „Nur dass ich nicht der Sohn eines Tuchhändlers bin, sondern ein Wechem.“

Können wir ihm nicht Zeit zum Nachdenken geben?, fragte ich Aurelia.

Wenn er zu den Wachen rennt, sind wir beide Gejagte, das weißt du.

Mit der linken Hand knetete er sein Knie. Ich legte die meine darauf. Kurz weiteten sich seine Augen, als das berauschende Gift auf meiner Handfläche ihn ein wenig beruhigte. Wenn ich mit meinen scharfen Krallen seine Haut durchschneiden, das Gift direkt in seine Blutbahn geben würde, dann wäre er mein. Aber ich suchte nach mehr als einem Opfer.

„Ich weiß, dass es viel ist“, sprach ich leise. „Ich wünschte, du könntest mich erst kennenlernen, so wie ich dich kennenlernen durfte. Es tut mir leid, dass ich dir nachgestellt habe. Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte dir nur klarmachen, dass ich dich nicht willkürlich ausgesucht habe. Du bist ein aufrechter Mann. Ich habe dir etwas zu bieten. Mehr, als du ahnst. Und alles, was du tun musst, ist, deine Angst beiseitezuschieben. Um mehr bitte ich nicht.“

Er starrte auf die Feder, die er noch immer in der gehobenen Hand hielt.

„Meine … meine Mutter braucht eine andere Wohnung … Sie liebt den Ginko, aber sie wohnt zu weit unten.“

„Ich schaue, was ich tun kann.“ Ob er die Ungeduld in meiner Stimme hörte? Die Spitze der Schreibfeder kratzte über das Pergament. Mehrmals setzte er ab, atmete so laut und schwer, als bedeute dies körperliche Anstrengung für ihn. Krakelig erschien sein Name unter dem Vertrag. Er ließ die Feder fallen und starrte ungläubig auf seine Unterschrift. Aurelia goss uns ein Glas guten Whiskey ein, den wir letzte Nacht gestohlen hatten. Was für ein Theater. Trotzdem ließ ich meine Händlermünze in das Glas fallen. „Du kennst den Brauch?“

Er nickte langsam, griff sich an die Weste, riss einen Silberknopf ab und gab ihn ebenfalls in das Glas. Der zweite bewusste Akt. Ein freiwilliger Akt, oder nicht? Ich nahm einen Schluck, reichte ihm das Glas. Seine zittrige Hand führte es zu den Lippen. Ich beobachtete seinen Adamsapfel, wie er beim Schlucken auf und nieder hüpfte. Seine dritte bewusste Zustimmung. Das war selbst mir genug.

Ich ließ alle Leinen los, ließ das Dämonische, dieses Andere in mir frei, sank auf seinen Schoß und drückte ihm eine Hand auf den Mund, die den Aufschrei erstickte. Die Krallen der anderen bohrten sich in seinen Nacken.

„Ganz ruhig“, flüsterte ich, während mein Gift ihn überschwemmte, doch ein Knurren schwang in meiner Stimme mit und im Augenwinkel sah ich, wie verzweifelt er sich in die Sessellehnen krallte. Ich griff in sein volles schwarzes Haar und zog seinen Kopf zur Seite, biss zu. Es tut mir leid. Sein rasender Puls spritzte mir das Blut an den Gaumen und ich stöhnte vor Erleichterung.

Er war so verzweifelt. Verzweifelt wie ich, wie wir. Silberfäden wie dicke Seile führten zu seiner Mutter und in weite Ferne. Hin zu einem erdachten Vaterbild, ein verwegener Seemann am Bug eines Schiffes. Ein Mann, den er nie kennengelernt hatte. Unzählige Fäden, dünn wie Spinnenseide, wehten herrenlos in der Luft. Er wusste weder, was er wollte, noch was ihm etwas bedeutete. Ein Abenteurer auf der Suche nach Wurzeln. Es stach tief in meine Herzgegend und ich verbiss mich fester. Ich kannte mal jemanden wie dich, dachte ich. Todesangst flammte in ihm auf, breitete sich aus, umschloss seine Seele. Er wand sich unter mir, trommelte mit den Fäusten auf meinen Rücken ein.

„Bitte!“, schrie er mir ins Ohr, dass es schmerzte.

Zavin! Aurelias Stimme klang alarmiert.

Ich sah im Augenwinkel die Klinge blitzen, zog die Zähne aus seinem Hals. Sie stoppte kurz vor meinem Gesicht. Aurelia hielt Faresas Arm fest umklammert. Der Blutrausch benebelte mich. Faresa stieß mich beiseite, schüttelte Aurelia von sich und rannte Richtung Ausgang. Ich sprang auf, ihm hinterher, bekam seine Jacke zu fassen und riss ihn zurück. Er taumelte, stolperte, fiel auf den Rücken. Ich trat auf seine bewaffnete Hand, etwas knackte widerlich unter meinem Schuh. Er jaulte auf, ließ das Messer los und ich trat es beiseite.

„Warum tust du das?“, fauchte ich ihn an. Er hielt sich wimmernd sein Handgelenk. Hatte ich es ihm gebrochen? Bei Etoh.

„Zeig … zeig her.“ Ich beugte mich zu ihm runter, doch sein metallischer Duft lag so schwer in der Luft und auf meiner Zunge. Hör auf!, bat ich mich selbst, aber das Raubtier war frei. Meine Beine knickten ein und ich fiel auf ihn, biss in seine Kehle, schmeckte die nackte Angst. Ja, zeig mir, wie die Menschen mich sehen, warum ich keiner von ihnen sein darf. Das Blut quoll aus seinem Hals und ich schluckte gierig.

Zavin! Ein Prickeln im Nacken. Aurelia streichelte mir sanft über den Kopf. Ich klammerte mich um Faresa, hielt ihn fest bei mir. Ein Mann, dem Familie etwas bedeutete. Das hatten wir doch gemein. Warum wehrte er sich gegen mich?

Lass los, Zavin.

Hilf mir. Ich wollt ihn nicht gehen lassen, wollte dieses Blut schmecken, bis es nicht mehr ging.

Eine kalte, scharfe Kante berührte die Haut an meinem Hals. Selbst das Monster verstand. Fauchend zog ich die Zähne aus Faresas Hals und seufzte gequält. Auri erhöhte den Druck.

Weg von ihm.

Ich schob mich von ihm herunter, krabbelte rücklinks nach hinten. Auri, bewaffnet mit Faresas Messer, trieb mich vor sich her, bis mein Hinterkopf gegen die Holzwand stieß. Sie setzte sich auf mich, richtete die Spitze des Messers auf meinen Kehlkopf, sah mir tief in die Augen und ich versank in ihrem Blau. Mein Atem beruhigte sich, meine Zähne zogen sich zurück. Sie legte das Messer weg, streichelte mir übers Haar und lächelte schwach. Auch ich lächelte traurig zurück.

Sie kroch zu Faresa, fühlte seinen Puls und nickte. Ich verteilte mein Gift auf seinen Wunden und wir warteten, während sie heilten. Wir sprachen kein Wort miteinander, gingen auf die Gedanken des anderen nicht ein, saßen ratlos auf dem Boden. Unsere Blicke klebten auf dem Mann, in den wir so viel Hoffnung gesetzt hatten und der nun in einer Lache seines Blutes lag. Ich würde seine Erinnerung verändern. Er würde einer von jenen Martzer Bürgern werden, die ahnten, auch wenn sie noch nicht wussten. Jemanden, der mir in den letzten Monaten ein Freund geworden war, ohne es zu wissen, war mir in nur wenigen Minuten wieder verloren gegangen.

„Lass uns das nie wieder tun“, flüsterte ich. Nichts an seiner Unterschrift war aus freien Stücken geschehen. Wie erbärmlich wir sind.

Du könntest es nochmal probieren. Ihm weiterhin schreiben.

Ich dachte kurz darüber nach, schüttelte dann den Kopf. „Der Moment wäre der gleiche. Der Moment, wenn sie mich sehen als das, was ich bin.“

Das kann überfordernd sein, aber trau den Menschen um dich herum etwas mehr zu. Wir müssen es nur langsamer angehen, viel langsamer. Ich hab auch Zeit gebraucht, um mich für dich zu entscheiden. Oh, bei der Mutter, ja, das habe ich.

„Niemand ist wie du, Aurelia Beibrunnen.“

Heb mich nicht auf einen Sockel, dachte sie, aber lächelte, wenn auch nur ganz leicht.

„Was ich dir angetan habe, sollte nie mehr geschehen.“ Ich seufzte tief. „Und jetzt sieh mich an.“

Ich holte das Bündel Briefe, setzte mich dann wieder neben Aurelia auf die Holzdielen, überflog sie. Ein Brief meiner Tante aus Nordwitarien. Einige Aufträge für Kaffeelieferungen. Ein verdreckter Briefbogen, tatsächlich von den Kundschaftern, die mein Vater beauftragt hatte, um Tarielle und Ryn zu finden. Ich überflog die Zeilen. Frustriert ließ ich das Papier wieder sinken.

Nichts?, fragte Aurelia.

Ich schüttelte den Kopf. Es wirkte, als hätte sich die Erde aufgetan und meine Schwester und meinen Schwager verschluckt.

Wir schwiegen eine ganze Weile, saßen nur beieinander. Ein wahres Geschenk waren für mich Menschen wie sie, mit denen ich gemeinsam schweigen konnte. Sie waren selten und wertvoll, wie Amber am Strand.

Nur einen Winter, hörte ich Auris Stimme. Wir machen es sicher für deinen Sohn und dann gehen wir.

„Wir sind noch keine Woche hier und …“ Ich zeigte auf den ohnmächtigen Faresa. „Und dieses Sausen in meinen Ohren, dieses Flattern in meinem Kopf …“ Ich klemmte mir den Kopf zwischen die Knie. Nutzlos war ich hier. Sie legte mir die Hand auf den Rücken.

Einen Tag nach dem anderen, so haben wir es doch immer geschafft, oder?

Ich antwortete ihr nicht, und das war Antwort genug.

2. Geh nicht ohne Freunde in die Nacht

Sie

 

Was fang ich an, mit diesem, meinem Leben, das nur mir allein gehört?

Es gab eine Menge Fragen, die einfacher zu beantworten waren. Zum Beispiel: Wie schrubbe ich Blut aus alten Holzdielen? Die wilden Locken grob hochstecken, Ärmel hochkrempeln, eine grobe Bürste, ein Eimer Seifenlauge und dann hieß es Schrubben, mit aller Muskelkraft, die ich aufbringen konnte.

Wir hätten nicht zurückkommen sollen.

Ich fluchte tonlos vor mich hin. Schnell musste man sein, bevor das Blut zu tief ins Holz einzog und trocknete. Wir haben die Gelegenheit verpasst. Hätten direkt nach Bretonien übersiedeln sollen, dachte ich bei mir. Zu spät. Ein simples zu spät.Verdammt nochmal!

Die trockenen alten Dielen saugten das blutige Wasser auf wie ein Schwamm. Vielleicht versuchst du es nochmal mit warmem Wasser … Oder du legst einen Teppich drüber. Unter den Teppich kehren, so sagte man doch.

Ich warf die Bürste wütend in den Eimer, dass das Wasser über den Rand schwappte.

Ich hatte auf Mento gehofft. Hatte uns drei schon gemeinsam am Kaminfeuer sitzen sehen. Ich und Mento, das wäre genug gewesen. Wir hätten nicht jagen müssen in dieser Stadt. Oh, ich liebte die Jagd, aber in Martz lauerten weit zu viele Raubtiere.

Und Zavins Zustand … Mir brach jedes Mal das Herz, wenn er aus dem Schlaf aufschreckte, als hätte der Schattenalb persönlich ihn heimgesucht. Und dann weinte er Aquins Namen. Er kannte diesen kleinen Menschen gar nicht, und doch spürte ich diese Verbindung in ihm. Ähnlich einem Blutband. Und trotzdem wusste ich nicht, was es bedeutete, ein Kind zu haben. Würde es wohl auch nie. Nahm das Hurenkraut, seit ich eine junge Frau war.

Wieder griff ich die Bürste, schrubbte noch energischer.

Dummer Kerl, dachte ich und wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Ein Verbündeter im Kampf gegen diese seelenfressende Stadt. Und dann? Zückte dieser Idiot ein Messer und morgen würde er sich nicht mehr an uns erinnern.

Ich blinzelte, und wie jedes Mal sah ich die Welt kurz durch Zavins Augen. Er mühte sich am Fenster von Mentos Wohnung ab. Mit dem schmalen Holzplättchen versuchte er den Riegel hochzuschieben, wie ich es ihm beigebracht hatte. Dann wickelte er den halb nackten Mann aus der Decke und legte ihn ins Bett, legte die Fingerspitze des Mittelfingers auf seine Stirn und zwei weitere auf seine Augen.

Leb wohl. Ich wischte mir die Tränen aus dem verheulten Gesicht. Aus einem Leben gelöscht werden, tat weh. Mein Urkundenfälscher. Weg. Ich durfte nicht riskieren, dass er sich durch mich an Zavin erinnerte. Für einen weiteren Menschen hatte ich nie existiert und alles, was mir von ihm blieb, war ein Haufen blutdurchtränkter Kleidung, aus der wir ihn geschält hatten.

Lass sie bis morgen liegen. Ich kümmer mich darum. Geh schlafen, hörte ich Zavins Stimme in meinen Gedanken.

Nein, antwortete ich ihm. Mehr nicht, raffte trotzig die Kleidung zusammen und trug sie die Treppe hinunter.

Das verwitterte Holz roch nach Räucherwerk. Nach Salbei und Weihrauch. Kräuterbüschel hingen im Flur zur Treppe und Traumfänger mit Federn und kleinen Tierknochen. Eine Spur aus Salz führte an den Fußleisten entlang. Nichts war hier zufällig arrangiert.

Die Treppe führte direkt in den Laden der alten Treme, die im Schein einer letzten Öllampe das Geld in der Kasse zählte. Holzwurmdurchfressene Regale voller Gläser. Fremdartige Tiere, die in Flüssigkeiten schwammen, Kräuter, zu Büscheln zusammengebunden, und jeder Tand, den man sich vorstellen konnte. Ein kurioser Kramladen auf den ersten Blick, doch mir lief ein Schaudern über den Rücken. „Berühr uns nicht!“, schienen all die Dinge mir zuzurufen – und, oh ja, ich gehorchte. Manch Kette oder Kelch löste in mir ein seltsames Ziehen aus. So als würde es mir unter der Haut jucken.

„Um zwölf Uhr sind die Türen zu“, murmelte die alte Treme, während sie Kleingeldrollen in Papier einwickelte, und ich krallte mich ein wenig fester in Mentos Kleidung, als sie mich mit ihren dunklen Augen anblickte. Sie meinte nicht nur die Türen, wenn sie das sagte. Der letzte nächtliche Einbrecher lag nun in einem gekachelten Krankenzimmer in der Nervenklinik Ambassador. Die Ginkori beherrschten eine Magie, die ich noch nicht ganz begriff. Als ob ich irgendwas hiervon begreife.

Ich trat durch die Hintertür auf Tremes kleine Terrasse und das Gefühl ließ endlich nach, mir Ekliges von der Haut kratzen zu wollen.

Ich liebte Hexerei. Liebte es, in einer Welt zu leben, in der Wunder möglich waren. Aber man muss klug sein und aufpassen.

Ich hatte mir nichts Warmes übergezogen und die Kälte begann mir an den Armen und im Gesicht zu beißen. Schnell schichtete ich etwas Holz in den Tonofen, griff eine Öllampe vom Fenstersims, über dessen Glas sich schon Eisblumen zogen, und tränkte die Kleidung mit ihrem Inhalt. Alles stopfte ich in die kleine Kaminöffnung. Rein damit und gut.

Ich griff in meine Rocktasche, zog ein Rubinarmband heraus. Einer Handlangerin der Freballios hatten wir es vor Tagen abgenommen, warum es nicht nutzen? Die Steine kribbelten, als ich es anlegte, glühten auf meiner Haut, ohne sie zu verbrennen. Kraft strömte in mich, füllte kurz die Lücken, die Zavins Durst geschlagen hatte. Mit der anderen Hand berührte ich den Stoff und sie verließ mich wieder. Die Kleidung loderte auf, brannte, knisterte, schien sich kurz zu winden wie ein lebendiges Wesen und sank dann in sich zusammen.

Dann heißt es wohl Lebewohl, Mento Faresa. Ich hätte dich gerne in meinem Leben gehabt, aber du warst ein Idiot mit einem Messer.

Ich zog Mauern um meinen Geist. Mein Frust gehörte mir, den brauchte Zavin nicht zu spüren.

Im Gebüsch neben mir raschelte es und ich fuhr herum.

Ein Schatten, war mein erster Gedanke und mein Herz begann zu rasen. Sie suchten mich noch immer heim, Zavins frühere Opfer. Doch nein. Trockenes Laub raschelte. Schatten waren lautlos.

Ich griff in meine Rocktasche, umfasste meinen Revolver. Nachts in Martz begegnete ich lieber Geistergestalten als lebendigen Menschen … oder Dämonen. Eine lähmende Angst kroch in mir hoch, floss mir in die Gliedmaßen. Der Revolver wurde mir seltsam schwer in der Hand. Ich atmete schnappend und doch bekam ich nicht genug Luft.Ich konnte mich kaum mehr rühren. Diese Stadt tut mir nicht gut.

Ein Gesicht erschien im immergrünen Buchsbaum und ich atmete auf. Eine Frau um die vierzig, zum Teil weiß, zum Teil dunkelhäutig, als hätte sich die Natur nicht für eine Hautfarbe entscheiden wollen, schob sich durch die Hecke. Schnee rieselte auf ihr pechschwarzes Haar. Pockennarben zogen sich über ihre linke Gesichtshälfte. Ihr erstaunt geöffneter Mund zeigte eine breite Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen, welche in eine Oberlippenspalte überging. Dunkle Augen glänzten zu mir hoch.

„Bist ’ne Hexe“, flüsterte sie und starrte auf meine Hand. „Hast mir das nie gesagt.“ Eine verschlagene Seele, diese Frau namens Quar. Aber eine Haushälterin im Vogelhaus und mein Aug und Ohr unter den Huren der Stadt.

Innerlich fluchte ich in die Nacht. Verdammt, wie erklär ich das?

Ich starrte sie an, wie sie langsam aus dem Busch krabbelte.Ihr graues Kleid und die braune Wolljacke wirkten viel zu dünn für diese Jahreszeit. Sie zitterte, atmete hektisch weiße Wölkchen. Hätte sie sich aufgerichtet, hätte sie mich überragt, doch sie blieb gekrümmt stehen, die Arme fest um den Körper geschlungen. Ihr Blick fiel auf mein Armband, dann in mein Gesicht und ihre Augen weiteten sich erschrocken. Die plötzliche Erkenntnis, dass sie vielleicht mehr gesehen hatte, als sie hätte sehen dürfen. Und sie tat, was ich früher getan hätte.

Sie wandte sich um und rannte los, schwang sich auf die schmale Leiter, die hinunter zur Straßenebene führte.

Verdammt! Quar, ich tu dir nichts!, formten meine Lippen. Sie konnte Lippen lesen, verstand auch die Sprache der Hände, doch sie sah mich nicht.

Ich folgte ihr. Das eisige Metall der Leiter brannte mir in den Handflächen. Ich biss die Zähne zusammen, atmete erleichtert, als ich festen Boden unter den Stiefeln spürte. Weit hinter mir sah ich Quar in eine Seitengasse abbiegen. Was für ein flinkes Wiesel!

Ich rannte los, so gut es sich mit einem schweren Wollkleid eben rennen ließ. Schnell keuchte ich. Niemand sonst war mehr auf den Straßen. Seit den Unruhen herrschte nachts eine Ausgangssperre im Ginko. Doch die Windlichter auf den Fensterbänken waren zahlreich wie noch nie und sie tauchten die Gassen in rotes und grünes Licht. Stiller Protest.

Ich bog in eine enge Gasse, blieb stehen und kam zu Atem, blies weißen Nebel in die Nacht. Angestrengt lauschte ich auf Schritte, doch hörte keine. Alles still und leer. Ich lehnte mich gegen die Hauswand, wappnete mich, es Zavin zu beichten. Oh, er würde böse mit mir sein. Ich war mir böse. Alles riskiert, nur weil ich draußen herumzaubere, anstatt Zündhölzer zu benutzen. Ich schlug mit der flachen Hand auf den Backstein hinter mir. Dann hörte ich Schritte und ich begriff, wo ich war. In einer schummrig beleuchteten Gasse. Bei Nacht. Allein. Tief im Ginkoridistrikt. Ich lauschte angespannt, versuchte, die Richtung der Schritte auszumachen. Bleib jetzt ganz ruhig. Vielleicht nur ein Nachtwächter. Vielleicht Quar.

Doch es waren nicht die schnellen Schritte einer fliehenden Frau. Sie klangen nach teuren Absätzen auf Kopfsteinpflaster, begleitet von dem leiseren Klacken eines Gehstocks. Eine Gestalt erschien am Anfang der Gasse, verdeckte das Licht der Straßenlaterne. Ein Mann in einem breiten schwarzen Kutschermantel, der sich auf einen Gehstock stützte, den er nicht brauchte. Eine Hand im schwarzen Lederhandschuh hob sich zum Gruß an die Krempe seines Zylinders, unter dem sein grausilbernes Haar hervorquoll. Die Augen in seinem dunklen Gesicht blitzten auf, wie bei Tieraugen, die das Licht heller Lampen reflektierten. Ich vergaß zu atmen. Als ich es wieder tat, war mein Atem stockend. Ich tastete nach Zavins Geist, doch er hatte sich abgeschottet. Hilfe.

Brom Waldbreit … nach all der Zeit traf ich ihn ausgerechnet nachts. Ausgerechnet in einer engen Gasse. Hatte er auf diese Gelegenheit gelauert?

Ohne Hast schritt er auf mich zu. Rhythmisch klackende Schritte. Ich lief los, weg von ihm, weiter die Gasse entlang, riss eine tief hängende Wäscheleine mit steif gefrorenen Hemden herunter, bemerkte zu spät die Wand aus Frachtkisten, die den Weg verstellte. Eine Sackgasse.

Ich drückte mich in die Ecke, zog meinen Revolver aus der Rocktasche. Hab ich ihn überhaupt geladen? Ich hob den Revolver und er zitterte heftig. Es war so kalt.

Hau ab!, formte ich deutlich mit den Lippen, doch er spazierte weiter auf mich zu und sein Blick schien mich an Ort und Stelle festzunageln.

„Nimm die Waffe runter, Kind.“ Er klang wie ein freundlicher alter Mann, doch ich wusste es besser. Oh ja. Wenn du die Waffe senkst, bist du tot, ermahnte ich mich selbst. Mir wurden die Beine weich, so als würde er mich niederstarren. Konnte er das? Reiß dich zusammen!

Hinter ihm huschte eine Gestalt aus einer Nische, holte mit einem Holzbrett zum Schlag aus. Ich sog die Luft scharf ein. Quar. Doch der alte Waldbreit fuhr herum, schlug ihr mit dem Gehstock die Beine weg. Sie ließ das Brett los, um den Sturz abzufangen. Waldbreit zog sich den Handschuh von der rechten Hand und packte sie im Nacken. Ich zuckte, als sie leise stöhnte. Nein!

„Lass mich!“, schrie sie, doch er zerrte sie zurück auf die Beine, legte seine Hand um ihre Kehle, dass sie würgte, und drückte sie gegen die Wand. Sie schlug ihm gegen die Schultern, riss an den Fingern um ihren Hals, die Augen weit aufgerissen. Waldbreits Krallen schnitten in ihre Haut, Blutstropfen flossen ihr in den Ausschnitt, färbten den Kragen ihres dünnen Mantels. Sie weinte. Dann entspannte sich ihr Gesicht und irritiertes Erstaunen legte sich in ihre Augen.

Das Gift. Aber sie spürte die Angst sicher noch. Ich wusste es zu gut. Gefangen im eigenen Körper.

Schieß!, schrie ich mich an, doch konnte mich nicht rühren. Was, wenn es nur klickt?Dann sind wir beide tot.

Ich strich mir mit der Faust am Gesicht entlang. Die Gebärde für: Bitte. Doch er beachtete mich nicht, sprach nicht mal meine Sprache. Bitte lass sie!

Er lehnte den Stock an die Hauswand, packte ihr mit der freien Hand ins Haar. Sie zog die Schultern hoch. Doch er drängte seinen Mund bis zu ihrem Hals. Sie schrie auf.

Bastard! Ich stürmte auf ihn zu, bereit ihn wegzutreten, ihm die Waffe auf den Hinterkopf zu schlagen. Irgendwas … Er hörte nicht mal auf zu schlucken, griff den Gehstock und schlug ihn blind in meine Richtung. Nur knapp wich ich aus. Immer wieder.

Er ließ sie los. Ließ sie einfach auf den Boden fallen, wie ein Stück Müll.

Er drehte sich mir zu und ich wich wieder zurück, hob die Waffe. Ich blickte auf Quar. Bewusstlos, doch noch hob und senkte sich ihr Brustkorb. Sie hatte mir helfen wollen. Hatte mir doch nur helfen wollen.

Er setzte sich auf eine der Frachtkisten, zog ein Tuch aus seiner Tasche und wischte sich das Blut vom Kinn und aus seinem weißen Schnauzbart. Dann packte er in aller Ruhe seine Pfeife aus, stopfte sie und zündete sie sich an.

Wut und Furcht trugen Kämpfe in mir aus. Jetzt nur nichts Dummes tun.

Waldbreits Pfeife glomm auf, als er daran zog, und er blies den Rauch genüsslich in die Nacht. Er klopfte auffordernd neben sich auf die Kiste und ich schüttelte den Kopf.

„Fräulein Beibrunnen. Ich bin ein Freund zivilisierter Gesprächsführung. Ich führe keine Gespräche, während ich sitze und du stehst. Und ich führe keine Gespräche, während ich sitze und du eine Waffe auf meinen Kopf richtest.“

Wütende Tränen stiegen mir in die Augen und ich ließ die Waffe sinken. Verschaff dir Zeit. Zitternd vor Kälte setzte ich mich neben ihn. Hätte ich doch wenigstens meinen dicken Mantel gehabt. Ein bisschen mehr Stoff zwischen meiner Haut und seinen Zähnen. Zavin, wo bist du? Keine Antwort.

Er zog einen zerknitterten Block und einen Bleistift aus seiner Manteltasche und reichte sie mir.

Sehr freundlich!, formte ich deutlich mit den Lippen und legte so viel Hass in meinen Blick, wie mir nur möglich war. Meine Finger waren schon taub vor Kälte, zitterten, als ich den Stift griff.

Keine Spielchen, schrieb ich.

Er richtete sich etwas gerader auf, als er es las. „Du missverstehst mich, wie immer. Die alte Treme hat mir ihr Leid geklagt. Es hat mich damals Verhandlungsgeschick gekostet, dass sie dir eine Lehre anbietet. Dass Zavins Vater den Uhrenladen auf sie überschreibt und seine Räumlichkeit in der Oberstadt auf dich. Ich habe dir ein bequemes Nest bereitet, will ich meinen. Und dann … brennt ihr durch wie zwei liebestolle Jungvögel.“

Du wolltest mich kontrollieren, mehr nicht.

Er atmete tief ein. „Ich musste Timblin schwören, dich nicht mehr anzurühren. Und ich habe es mit Freude getan. Und auch alles Weitere habe ich mit Freude getan. Du hast einen der unseren gerettet.“

Ich zuckte unter der freudlosen Art, mit der er das Wort „Freude“ sagte.

Und was sind deine Schwüre wert?

Er ließ seine Hand in meine Richtung schnellen und ich zuckte zurück, doch er griff lediglich den Handschuh, der neben mir lag, und zog ihn sich wieder über.

„Unhöflichkeit dulde ich auch von dir nicht“, sagte er, die Stimme scharf wie ein Messer. „Du hast keine Ahnung von unseren Strukturen, unserer Kultur. Du durftest einen Fuß in unsere Welt setzen und solltest dich geehrt fühlen, dass wir das dulden.“

Quar regte sich, stöhnte leise und versuchte wegzukriechen. Waldbreit stellte beiläufig einen Fuß auf ihren Rocksaum und hielt sie so zurück. Sie zeigte nicht viel Gegenwehr, blieb reglos liegen und wimmerte leise.

Du Schwein. Ich schrieb es nicht, hielt mich gerade so zurück. Was für eine wunderbare Hochkultur musste das sein, von der Waldbreit da erzählte … Ich muss sie retten, dachte ich. Wie nur kann ich sie retten?

„Tatsächlich komme ich mit einer Bitte zu dir und würde sie dir gerne unterbreiten, bevor du erfrierst.“ Wieder zog er an seiner Pfeife. „Diese Steine.“ Er zeigte auf mein Armband. „Dämonensteine, wie die Menschen sie nennen. Doch es gibt kaum welche, die nicht durch Folter und Gefangenschaft der unseren entstanden sind. Eine unschöne Angelegenheit. Ich stelle sie sicher, wenn du so willst.“

Ich nahm mein Armband ab und warf es ihm in den Schoß. Das war alles? Eine Frau lag sterbend am Boden wegen eines Armbands, das ich ihm jederzeit gegeben hätte?

„Ich bedanke mich für den guten Willen, aber das ist es nicht, was ich von dir will. Eine ganze Kiste dieser Schmuckstücke ist noch im Besitz der Freballios. Moras’ Bruder hat sie geerbt, sie wahrscheinlich in seinen Räumlichkeiten über dem Ratssaal verstaut. Nur scheint er ein kluger Mann zu sein. Kein Dämon kommt in diesen Teil des Gebäudes. Eine unsichtbare Mauer. Du wirst sie also für mich holen.“

Ich lachte auf und bereute es sofort, als Waldbreits Raubtierblick mich traf.

Gar nichts werde ich, formten meine Lippen.

„Übermorgen findet ein Empfang statt, du wirst mich begleiten. Ich werde dir ein Kleid in deine Oberstadtwohnung bringen lassen. Und Zavin wirst du gefälligst nichts davon erzählen, er bringt sich für dich nur in Lebensgefahr.“

Gar nichts werde ich! Ich schrieb es nun auf, dass er es auch verstand. Was glaubte er, was ich war? Eine kleine dumme Dienstbotin, die auf seine Befehle wartete? Wieder stiegen diese wütenden Tränen hoch. Diese verdammte Stadt.

Ich wollte auf ihn einprügeln. Oh, wie verlockend, diese kurze Befriedigung, bevor er mich dann sicher umbrächte. Der Stift flog nur so über das Papier.

Du hast mir nichts zu befehlen. Wir haben Kräfte, das weißt du. Kräfte, die ein Mörder wie du nicht hat.

Das kalte Leder seiner Handschuhe legte sich um meinen Hals und er drückte mich auf die Kiste nieder. Mein Hinterkopf schlug hart auf das Holz und ich schrie tonlos auf.

„Wo sind deine Kräfte, Fräulein Beibrunnen? Wo sind sie?“, fragte er, drückte mich mit seinem gesamten Gewicht nach unten. Ich strampelte, japste nach Luft. Atmen, lass mich atmen. Schwarze Flecken tanzten mir vor den Augen.

„Wo sind deine Kräfte?“, zischte er mir ins Ohr. „Es sind seine Kräfte. Ohne ihn bist du nichts. Gar nichts.“

Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln und ich hasste den zufriedenen Ausdruck, den das in Waldbreits Augen legte, als er tief in meine blickte.

Er ließ von mir ab, griff wieder seine Pfeife und zog daran, als wäre nichts geschehen.

Ich rappelte mich auf, hustete, rieb mir den Hals, unterdrückte das Schluchzen und ordnete meine Locken.

Warum schickst du nicht einen deiner Hausangestellten, oder deinen Sohn? Der ist doch ein Mensch, oder nicht?

„Weißt du, es ist schon enttäuschend, wie infantil du dich verhältst. Ich schicke dich, weil ich es dir zutraue. Ein Diebstahl ist nötig und stehlen, das kannst du.“

Schwachsinn.

Er schmunzelte, als wäre ich ein Kind, das etwas sehr Dummes gesagt hatte. Die Pfeife wackelte zwischen seinen Zähnen. „Nun gut, es ist Hochverrat, in die privaten Räume eines Ratsmitglieds einzudringen, und ich möchte keinen meiner Lieben hängen sehen.“

Endlich ehrliche Worte, schrieb ich.

„Ich beobachte dich. Ich sehe, was du tust. Dass du den leichten Mädchen und Männern aus der Stadt hilfst.“ Er griff in Quars Mantel, zog sie zu sich und tätschelte ihr den Kopf. Mir wurde übel. „Ich weiß, dass du ihnen selbst aus der Ferne Geld und falsche Pässe besorgt hast. Löblich. Es kann doch nur in deinem Sinne sein, dass Zabiano Freballio sein Erbe nicht nutzen kann.“ Er wog das Rubinarmband in seiner Hand. „Denk doch kurz darüber nach, was allein dieses Schmuckstück einer entlaufenen käuflichen Frau antun könnte.“

Die Steine glühten in seiner Hand auf und näherten sich Quars Wange.

Warte!