Die drei Schmiede ihres Schicksals - Adalbert Stifter - E-Book

Die drei Schmiede ihres Schicksals E-Book

Adalbert Stifter

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Beschreibung

Eine eher unbekannte Erzählung Stifters über zwei junge Männer, die es sich zum Ziel setzen, alles Zufällige aus ihrem Leben zu verbannen: Erwin und Leander wachsen als Waisen unter ähnlichen Voraussetzungen auf und beschließen gemeinsam, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Doch als Leander sich zunehmend von Erwin abwendet und schließlich sogar heiratet und seinen Jugendfreund bittet, zu seiner Hochzeit zu kommen, muss dieser eines Nachts erkennen, dass auch er nicht vor Zufällen gefeit ist...-

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Seitenzahl: 48

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Adalbert Stifter

Die drei Schmiede ihres Schicksals

 

Saga

Die drei Schmiede ihres SchicksalsCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1844, 2020 Adalbert Stifter und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726630855

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Die drei Schmiede ihres Schicksals

Quilibet fortunae suae faber est.

Alter Schulspruch.

Es war in einer Gesellschaft lustiger Männer ein Streit über den altlateinischen Satz ausgebrochen, daß jeder Mensch der Schmied seines Schicksals sei. Einige behaupteten, der Satz wäre echt römisch und stehe gewiß in diesem oder jenem Werke dieses oder jenes Klassikers; andere sagten, er sei ein neues Machwerk und schleppe sich erst seit kurzer Zeit durch unsere lateinischen Schulbücher. Aber, wie es geht, von diesem rein historischen Standpunkte, über den sie sich nicht einigen konnten, spielte sich der Streit auf den philosophischen über und entbrannte nun auf das heftigste über die Frage, ob es auch wahr sei, was der Satz enthalte. Man führte nun nicht mehr bloß die Historie in das Feld, sondern suchte der Sache auch a priori beizukommen, indem man die Psychologie, die Logik und Metaphysik aufbot. Man redete über Zusammenhang der Dinge, sittliche Weltordnung, Emanzipation vom Zufalle, Freiheit des Willens und war auf dem Wege, ins Endlose zu geraten, als plötzlich ein Schalk, der bisher geschwiegen hatte, eine Geschichte zu erzählen anfing, worauf es nach und nach stille ward; denn beide Parteien horchten hin, in der Hoffnung, Gründe für ihre Behauptung aus der Geschichte ziehen zu können. Allein der Mann zog seine Geschichte gerade bis zu dem Punkte, wo sie sich spalten mußte, um der einen oder der andern Partei zu dienen — dann brach er ab und sagte, daß er den Rest morgen erzählen wolle, wenn sie etwa wieder zusammenkämen. Sofort erhob sich ein Lärm über Willkür und Täuschung, und man verlangte, daß er fortfahre. Aber, da er hartnäckig bei seinem Ausspruche blieb, so vertagten sie listig den Streit, weil jeder begierig war, wie es nun weitergehen werde, und weil jeder heimlich hoffte, ihm würden die Hülfstruppen aus der Sache zuwachsen.

Allein, da nun die vierundzwanzig Stunden vorübergegangen waren, da sich die Gesellschaft versammelt, und der Mann seine Geschichte beendet hatte, so waren sie so ins Weite verschlagen, daß sie nun über ihren anfänglichen Satz gar nicht mehr stritten, sondern ihn alle plagten, ob die Geschichte wahr sei, wo sie sich zugetragen, wie die Personen geheißen haben, und wären beinahe in den neuen Streit geraten, ob die Geschichte aus innern Gründen wahr sein könne oder nicht. Der Mann aber lächelte verschmitzt, drehte seinen Ring auf dem Finger und sagte kein Wort mehr. Die Klügern unter uns merkten, daß er uns am Narrenseile geführt, die andern aber haderten auf dem neuen Wege weiter, auf den er sie gelockt hatte.

Da ich aber nun die Geschichte gerne wieder erzählen möchte, der Mann jedoch, wie ich oben sagte, ein Schalk ist, so weiß ich in der Tat nicht, ob er sie gelesen, ob sie ihm jemand erzählt, oder ob sie sich gar an ihm selber zugetragen habe. Letzteres wäre nicht ganz unwahrscheinlich, da man sich aus seinem früheren Leben noch ganz andere abenteuerliche Sachen erzählt. Jedenfalls aber hat er sich die üblen Folgen, die etwa aus meiner Plauderhaftigkeit entstehen sollten, selber zuzuschreiben; warum hat er uns die Geschichte arglistig erzählt, und warum hat er uns nicht aufgetragen, dieselbe geheim zu halten.

Es waren zwei Männer. Mein Vormann hat sie Erwin und Leander genannt. Beide waren sehr reich, hatten aber in ihrer frühesten Jugend das Unglück gehabt, ihre Eltern zu verlieren, und jeder stand dann unter einem tyrannischen Vormunde. Gleiche Schicksale, gleiche Jahre und vielleicht auch ein Zug des Herzens hatte sie schon frühe zusammengeführt. Sie betrieben auf dem mauerschwarzen Kollegium dieselben Studien, nämlich die Anfangsgründe alter Sprachen, und naschten zu Hause miteinander dieselbe Lektüre, nämlich nicht etwa Kinderbücher, sondern nur alte Klassiker. Sie hatten auch nie Kinderkleider gehabt, sondern, selbst da sie noch ganz klein waren, schon nach dem Schnitte der Vormünder und auf das Wachsen berechnet, daher immer zu groß — jeder hatte einen sauersehenden Diener, und in jedem der zwei blühenden Kindergesichter war die traurige Miene und der liebeleere Blick von Waisenknaben bemerkbar.

Nach und nach wurden sie in die Welt und das Leben eingeführt, das heißt, sie kannten die Gesetze der Spartaner, beteten die Stoiker an, ahmten beide nach und waren außer sich über das Bekannte jenes Weibes: „Es schmerzt nicht.“ Leander kam wohl zu besonderen Zeiten, damit er, wie der Vormund sagte, Manieren lerne, in diese oder jene Familie, die einst mit seinem nun verwaisten Hause verbunden gewesen war, aber er lernte dort nichts, weil er bloß schwieg, in einen Winkel gedrängt wurde und bei der ersten Gelegenheit fortging. Um Erwin aber, dessen Güter lauter Raubritterruinen in den fernen Waldbergen waren, kümmerte sich kein Mensch und kein Hund. Wenn er mit seinem Diener zur Schule ging, so geschah es zuweilen, daß eine Mädchengestalt etwa über seinen Weg trat, oder in einem Wagen vorbeifuhr; allein er machte sich nie davon eine deutliche Vorstellung, was das sei, und wie sie sich von ihm unterscheide.

Nicht weit von der Stadt war ein verrufener Winkel, „die Gänseweide“ geheißen, dort rangen sie, warfen den Diskus und fochten mit Schild und kurzem Schwerte. Weit von ihrer Wohnung, wo der Fluß zwischen düstern Föhren stagnierte, schwammen sie und sprangen über ausgetrocknete Lehmgruben.