Die Duftapotheke (3). Das falsche Spiel der Meisterin - Anna Ruhe - E-Book

Die Duftapotheke (3). Das falsche Spiel der Meisterin E-Book

Anna Ruhe

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Beschreibung

Ein magisch-fantastisches Abenteuer für alle Sinne! Luzie Alvenstein weiß: In den magischen Düften der Duftapotheke schlummern gefährliche Mächte. Mächte, die niemals in die falschen Hände geraten dürfen. Doch als überall in der Stadt seltsame Raumdüfte auftauchen, deren Spur ausgerechnet zu Syrell de Richemont, dem Anführer der Ewigen, führt, weiß Luzie, dass sie sofort handeln muss, bevor alles zu spät ist … Kurzentschlossen reisen Luzie und ihr Freund Mats nach Paris, wo sie sich Antworten erhoffen. Doch in der Stadt der Liebe lauern jede Menge Gefahren und ein lang verborgenes Geheimnis, das Luzie und Mats für immer zu entzweien droht … Der dritte Band der erfolgreichen Bestseller-Kinderbuch-Reihe für Mädchen und Jungs ab 10. Atmosphärisch, sinnlich und fantasievoll erzählt von Erfolgsautorin Anna Ruhe, mit Schwarz-weiß-Illustrationen von Claudia Carls ("Woodwalkers", "Alea Aquarius").   "Die Duftapotheke": Ausgezeichnet mit dem Leipziger Lesekompass 2018 und der Ulmer Unke 2018.   "Die Duftapotheke ist eine spannende Abenteuergeschichte voller Fantasie und überraschender Wendungen." - Münchner Merkur "Fantasievoll und sinnlich." - BÜCHER Magazin "Ein echt duftes Kinderbuch!" - empfohlen vom Literaturkurier auf FAZ.net

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Seitenzahl: 288

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Anna Ruhe

Die Duftapotheke

Das falsche Spiel der Meisterin

Anna Ruhe wurde in Berlin geboren. Nach einem Abstecher an die englische Küste studierte sie Kommunikationsdesign und Illustration und arbeitete einige Jahre als Grafikdesignerin in großen und kleinen Designbüros. Spannende Geschichten hatte sie schon immer im Kopf, mit dem Schreiben begann sie nach der Geburt ihrer zwei Kinder. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin.

Claudia Carls erklärte in ihrer Kindheit abwechselnd, Schriftstellerin oder Künstlerin werden zu wollen, bis sich dieser Konflikt mit dem Beschluss, Buchillustration zu studieren, schließlich auflösen ließ. Als Diplom-Designerin lebt und arbeitet sie in Hamburg und gestaltet Bilderbücher, Kinder- und Jugendbücher, Sachbücher und Plakate.

Mit Illustrationen von Claudia Carls

Für Luk & Milo

1. Auflage 2019 © 2019 Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Cover und Illustrationen: Claudia Carls Gestaltung der Handschriften: Anna Ruhe und Suse Kopp Illustration S. 64/65: Sharpshot © Shutterstock.comE-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.netE-Book ISBN 978-3-401-80835-2

Besuche uns unter: www.arena-verlag.dewww.twitter.com/arenaverlagwww.facebook.com/arenaverlagfanswww.annaruhe.de

 

1. Kapitel

Rauchige Wolken füllten die Luft und nebelten uns ein. Aus dem Flakon in meiner Hand stieg der Duft auf, den ich in den letzten Wochen für Elsa Peters entwickelt hatte. Mir wurde warm, wie immer, wenn ich einen meiner eigenen Düfte zum ersten Mal anwendete.

Bleiern und schwer zog ein Dunst aus Rosen, Patschuli und Weihrauch in unsere Nasen und schlagartig erinnerte ich mich an die alten Kirchen, in die Ma mich so oft geschleppt und in denen sie wochenlang Statuen und verblichene Wandgemälde restauriert hatte. Die »Traumhafte Brise« war ein schwerer Geruch, der nach Wärme und gleichzeitig auch ein bisschen nach Ma duftete. Dabei roch Ma nie nach Weihrauch und sie benutzte auch kein Parfüm aus Rosen oder Patschuli. Es war mehr das Gefühl und auch die Wirkung des Duftes, die mich an sie denken ließ.

Ich hatte die »Traumhafte Brise« aus der Duftapotheke ein bisschen abgeändert und die Mengenangaben neu zusammengestellt. Vor allem hatte ich noch etwas geriebene Alraunwurzel beigemischt, was nicht nur den Duft, sondern auch seine Wirkung ziemlich verändert hatte. Zum Besseren, wie ich fand.

Für einen Moment schloss ich die Augen und spürte, wie mich die Wärme des Duftes beruhigte – zumindest, bis ein Schrei ertönte, der mich zusammenzucken ließ. Ich riss die Augen auf und drehte mich in die Richtung, aus der er gekommen sein musste. Aber da waren nur die dunkelrosa Dunstschwaden, nichts weiter. Dann hörte ich ein leises Schluchzen.

Etwas stimmte nicht. In den Wolken bewegte sich etwas! Da waren Bilder und Geräusche, die sich halb durchsichtig durch den Raum zogen. Grausame Orte und noch grausamere Menschen. Eine Gänsehaut lief über meine Arme. Was war das? Überall schwebten Bilder, die wie Filmschnipsel aufleuchteten, um sich gleich wieder von neuen, düsteren Bildern ablösen zu lassen.

Da begriff ich, was hier los war. Die »Traumhafte Brise« versuchte, Elsas Albträume zu verjagen, nur wollten die sich nicht verjagen lassen! Mit aller Macht wehrten sie sich und kämpften darum, weiterhin gesehen und gehört zu werden.

Mit angehaltenem Atem sah ich dem Kampf zwischen Elsas Albträumen und meinen Duftwolken zu, bis die Luft im Zimmer endlich aufklarte und nicht nur das Dunkel, sondern auch die furchtbaren Geräusche verschluckte.

Ich atmete auf. Die »Traumhafte Brise« hatte gewirkt!

Schnell stopfte ich den Korken zurück in den Flakon und schaute den letzten verblassenden Wolken dabei zu, wie sie sich auflösten. Stück für Stück kamen die weiß getünchten Holzmöbel zum Vorschein.

Ich schielte zu Hanne, die schweigend neben mir auf dem Sofa saß und Elsa Peters in den letzten Minuten nicht aus den Augen gelassen hatte. Zum Glück schien sich Elsa wohlzufühlen. Zurückgelehnt lag sie in ihrem Sessel, die Füße auf dem Couchtisch und die Augen geschlossen. Die vielen Falten auf ihrem Gesicht wirkten glatter und ihre Mundwinkel zeigten nach oben. Es war ein ungewohnt entspannter Gesichtsausdruck. Aber genau aus diesem Grund waren wir ja auch hergekommen.

Elsa Peters war eine alte Schulfreundin von Hanne und litt seit mehr als dreißig Jahren unter schrecklichen Albträumen, die einfach nicht aufhören wollten, ganz egal, was sie auch versuchte. Wirklich sicher war ich mir nicht gewesen, ob die »Traumhafte Brise« dabei helfen würde, doch da hatte ich mich wohl getäuscht. Schließlich hatten die Düfte der Duftapotheke schon viel Unglaublicheres bewirkt.

Hanne räusperte sich und Elsa öffnete wieder ihre Augen. Mit einem Seufzen strich sie sich durch die kurzen grauen Haare.

»Heute Nacht schläfst du sicher so friedlich wie ein Baby, Elsa.« Hanne lächelte und stand auf. »Luzies Düfte sind kleine Meisterwerke.«

Hanne van Velden, die frühere Besitzerin unserer Villa Evie und Erbin der Duftapotheke, winkte mich hinter sich her.

Unsicher stand ich auf. »Falls Ihre Albträume Sie heute Nacht doch wieder aufschrecken sollten, rufen Sie uns morgen an.« Ich schob den rosa Flakon der »Traumhaften Brise« zurück in meinen Duftkoffer, den ich mir für genau diese Art Aufträge angeschafft hatte, und verschloss ihn. Fragend sah ich zu Hanne, die mir zunickte.

Elsa Peters pellte sich in Zeitlupe aus ihrem Sessel. »Ich fühle mich so entspannt und sorglos, wie schon seit Jahren nicht mehr!«

»Besser, du bleibst noch sitzen und genießt die letzten Duftwolken!« Hanne lächelte ihre Freundin an und winkte mich zur Wohnungstür. »Ich kenne doch den Weg hinaus.«

Elsa sah dankbar zu Hanne hinauf und ließ sich ohne Widerrede zurück in ihren Sessel sinken. Als sie zu mir schaute, lächelte sie. »Aber bitte nimm das kleine Päckchen im Flur mit! Es ist nur ein klitzekleines Dankeschön für deine wunderbare Arbeit!«

Etwas verlegen bedankte ich mich und ging aus dem Zimmer. Noch einmal hörte ich Elsa Peters seufzen, dann reichte mir Hanne ein in Glitzerpapier gewickeltes Etwas, das in der Diele auf mich gewartet hatte. Ich schob es in meine Jackentasche, während Hanne die Wohnungstür hinter uns schloss und vor mir die Hausflurtreppe hinabstieg. Nach der Stille in Elsas Wohnung hörten sich unsere Schritte wie wildes Getrampel an.

Zurück auf der Straße war auch der allerletzte Hauch der »Traumhaften Brise« verflogen. Fast hatte ich das Gefühl, selbst eine Traumwelt verlassen zu müssen, um in der ungemütlichen Realität wieder aufzuwachen. Aber es war natürlich kein Traum. Es war nur meine Fähigkeit, Gefühle und Erinnerungen in den Düften erkennen zu können. Denn so fühlte es sich an, wenn man eine Sentifleur war.

Noch ein bisschen benebelt von meinem selbst gebrauten Weihrauchduft schlenderten Hanne und ich zur Bushaltestelle und machten uns auf den Nachhauseweg.

Die Villa Evie wartete bereits auf uns.

Zurück im Lavendelweg verabschiedete sich Hanne von mir und verschwand hinter ihrer Wohnungstür, die seitlich in die Villa Evie führte. Hannes Wohnung war ein Teil der Villa, genauer gesagt war es die alte Dienstbotenwohnung im linken Seitenflügel, die Hanne weiterhin bewohnte, nachdem sie meiner Familie den Rest der Villa Evie verkauft hatte.

Für einen Moment wollte ich einfach noch ein bisschen allein sein und mich über meinen ersten offiziellen Auftrag als Duftapothekerin freuen, deshalb setzte ich mich auf die Stufen, die zur Haupttür der Villa führten. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und sah hinauf in den wolkenverhangenen Himmel.

Die letzten Monate, seit Mats, Benno und ich aus Amsterdam zurückgekommen waren, hatten sich ziemlich ruhig und ereignislos angefühlt. Fast beunruhigend ruhig. Weihnachten lag hinter uns, der Winter verabschiedete sich und der Frühling kündigte sich an. Ich hatte meine Aufgabe, die Duftapotheke zu führen, sehr ernst genommen und obwohl mich meine selbst gebrauten Düfte stolz machten, ließ meine Anspannung einfach nicht richtig nach. Ein unbestimmtes Gefühl grollte ständig in meinem Magen.

Doch außer mir schien sich niemand Sorgen zu machen. Ich dachte an mein letztes Telefonat mit Willem zurück und was er zu mir gesagt hatte.

Seit wir wussten, was für ein Mensch unser früherer Gärtner wirklich war, klang der Name Willem Boer plötzlich ganz anders in meinen Ohren. Noch vor Kurzem war mir eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen, sobald ich an ihn dachte. Nachdem Willem uns aber geholfen hatte, den Ewigen den letzten Rest unseres Meteorpulvers, das sie uns gestohlen hatten, wieder abzunehmen, hatte sein Name eine fast beruhigende Wirkung. Seltsam, wie sich die Dinge manchmal komplett änderten, nur weil man ein paar Informationen mehr besaß.

Seit ich wusste, dass alles, was Willem in der Villa Evie und der Duftapotheke angerichtet hatte, nur passiert war, weil er seine Familie beschützen musste, vertraute ich ihm fast blind. Dabei waren Mats und ich uns vor gar nicht langer Zeit sicher gewesen, dass Willem der schrecklichste Mensch war, den wir kannten. Wie absolut falsch wir doch damit gelegen hatten!

Ein leichter Wind wehte mir ins Gesicht. Ich fröstelte und schlang meine Arme um mich. Seit Amsterdam fragte ich mich regelmäßig, warum wir gar nichts mehr von den Ewigen hörten. Warum versuchte keiner von ihnen, an einen weiteren Ewigkeitsduft zu kommen? Warum drohte uns niemand oder versuchte, in die Duftapotheke einzubrechen? Klar, Hanne hatte das Gewächshaus zwar mit neuen Duftfallen endgültig gegen jeden Einbruchsversuch gesichert, aber ich zweifelte trotzdem daran, dass sich die Ewigen davon abhalten ließen.

Mats glaubte im Gegensatz zu mir an das, was Willem sagte: dass die Ewigen nur ihn und seine Familie, Helene und Edgar, suchten. Dass sie wirklich glaubten, das Meteorpulver wäre bei Willem zu finden. Mir jedoch kam das unlogisch vor. Der Baronin von Schönblom und all den anderen Ewigen musste klar sein, dass wir das Meteorpulver irgendwann in die Duftapotheke zurückgebracht hatten. Schließlich waren wir nur mit dem Pulver in der Lage, neue Düfte herzustellen!

Trotzdem: Bislang war uns niemand gefolgt. Es war so ruhig, dass wir fast anfingen, die Ewigen und ihren Kampf um die magischen Düfte aus der Duftapotheke zu vergessen.

Aber das war sicher keine gute Idee.

 

2. Kapitel

Hinter mir quietschten die Scharniere und die Haustür öffnete sich. »Da bist du! Ma sucht dich!«, rief mir mein kleiner Bruder Benno zu. »Es gibt Abendessen, komm!«

Als ich mich umdrehte, war Benno längst in der Villa Evie verschwunden und die Eingangstür schwang langsam zu. Also stand ich auf und folgte ihm in die Küche.

»Was gibt es denn heute?«, fragte ich noch aus der Diele, obwohl mir der köstliche Duft, der aus der Küche kam, längst meine Frage beantwortete.

»Dreimal darfst du raten.« Pa zwinkerte und zog eine dampfende Auflaufform aus dem Ofen. Der Geruch von heißen Tomaten, Oregano und brutzelndem Käse füllte sofort die gesamte Küche und ich strahlte Pa an.

»Es ist ewig her, dass du das letzte Mal Lasagne gemacht hast!«, sagte ich und nahm Ma die Teller ab, die sie gerade aus der Küchenanrichte holte. So schnell ich konnte, deckte ich den Tisch und setzte mich neben Benno an den Esstisch. Benno hielt schon einen Löffel in der einen Hand und ein Messer in der anderen und sang lauthals: »Wir haaaaben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst!« Dazu trommelte er mit dem Besteck im Takt auf dem Tisch herum.

Ich lachte, weil Benno seine Hymne nur sang, wenn es etwas gab, auf das er sich so richtig freute. Mein Bruder und ich waren die allergrößten Lasagnefans auf der Welt. Ich sah zu Pa, der die Kochschürze ablegte und sich zu uns an den Tisch zwängte.

»Na dann mal los!«, sagte er und zerteilte den brodelnden und Blasen schlagenden Käse. Aus der Auflaufform zog eine Dampfwolke und schwebte über unseren Köpfen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, während ich mit Benno um die Wette auf unsere Teller pustete, damit wir endlich den ersten Bissen verschlingen konnten. Beim Pusten fiel mir auf, wie schön es war, dass Pa wieder in der Küche stand und unser Lieblingsessen für uns kochte.

Nachdem er Benno, Mats und mich in den Herbstferien aus Amsterdam abgeholt hatte – wo wir ohne seine Erlaubnis und ohne sein Wissen gesteckt hatten –, war Pa so wütend auf mich gewesen, dass es tagelang nichts anderes als langweiliges Graubrot mit noch langweiligeren Belägen gab. Was für ein Glück, dass Pa endlich wieder ganz der Alte war und seinen Ärger vergessen hatte!

Nach Bennos und meinem erbitterten Kampf um das letzte Stück Lasagne, den wir beide zur Hälfte gewannen – oder verloren, wie man es nimmt –, kugelten wir in den ersten Stock und verzogen uns in unsere Zimmer. Ich hörte, wie Benno sich in seinem Kinderzimmer ein Piratenhörspiel einlegte, dann schloss ich die Tür hinter mir und verkroch mich aufs Bett.

In meinem Kopf drehten seit Wochen die immer gleichen Fragen ihre Runden. Ich lehnte mich an den Fensterrahmen und schaute in den Himmel. Es dämmerte langsam und ein paar Krähen zankten auf unserem Hausdach. Ich griff mir das schwere Buch mit dem Titel Die berühmtesten Duftexperten der Geschichte, das ich mir vor Tagen aus der Bibliothek unserer Villa mit hochgenommen hatte.

Unsere Villa Evie! Bei dem Gedanken zogen sich meine Mundwinkel automatisch in die Höhe. Mittlerweile liebte ich die uralte Villa über alles, in der es nach so vielen Dingen roch und kaum ein Möbelstück jünger als hundert Jahre alt war. Wir lebten in einem Museum – dank Ma, die die klapprige Villa gesucht, gefunden und uns schließlich gezwungen hatte, hier einzuziehen.

Ich lächelte bei der Erinnerung an meine ersten Tage im Lavendelweg. Manche Dinge musste man eben erst einmal kennenlernen, bevor man anfangen konnte, sie zu mögen. Aber jetzt konnte ich mich kaum erinnern, was ich an meinem alten Leben in Berlin so vermisst hatte. Außer Mona natürlich. Beste Freundinnen konnte nun mal nichts ersetzen. Das schaffte nicht mal eine unter dem eigenen Haus versteckt liegende Duftapotheke!

Ich strich über den angekratzten Ledereinband auf meinen Knien und blätterte die Seiten durch bis zu der Stelle, an der ich gestern aufgehört hatte zu lesen. Ich drückte mir die Daumen, dass ich in diesem Buch endlich etwas über mein Sentifleur-Talent finden würde.

Laut Daan de Bruijn, dem ersten Duftapotheker, der lange vor uns in der Villa Evie gelebt hatte, hatten wir beide dieses Talent einfach im Blut. Was auch immer das bedeutete, denn es leuchtete mir einfach nicht ein, woher oder wodurch ich dieses Talent hatte. Schließlich war ich überhaupt nicht mit Daan verwandt! Und trotzdem besaßen wir diese seltene Gabe, die einen dazu befähigte, die Zutaten aller Düfte, selbst der mysteriösesten, nicht nur zu riechen, sondern auch zu erspüren. Wie ein Prisma fächerten sich die einzelnen Zutaten vor meinem inneren Auge auf, als ob ich direkt in den Duft hineinschauen könnte. Dadurch spürte ich, wenn ein Duft nicht ausgewogen war oder ihm noch etwas fehlte. Ich roch sogar kleinste Unterschiede in der Zusammenstellung.

Trotzdem: Wirklich verstehen tat ich das alles nicht. Und Daan, der am liebsten über seine Vergangenheit in der Duftapotheke schwieg, war keine große Hilfe. Deshalb lag all meine Hoffnung in den verstaubten Büchern unserer Bibliothek, die meine Eltern mit der restlichen Einrichtung der Villa Evie mitgekauft hatten. Immerhin war es Daan de Bruijns alte Bibliothek und auch die der Duftapotheker, die nach ihm hier gelebt hatten. Außerdem waren es Bücher, die sich hauptsächlich um Düfte, ätherische Öle, Aromatherapien, Pflanzenkunde und Ähnliches drehten. Das Grundwissen eines jeden Duftapothekers also. Auch Daan musste irgendwann Antworten auf die Fragen gesucht haben, die mir gerade im Kopf umherschwirrten.

Ich blätterte Seite um Seite um, ohne dabei schlauer zu werden. Alles, was ich merkte, war nur, wie mich die altmodische Schrift und Ausdrucksweise schläfrig machten. Also klappte ich das Buch nach einer Weile zu, versuchte, den aufwirbelnden Staub der Buchseiten nicht einzuatmen, und rollte mich aus dem Bett.

Auf dem Weg zum Bad lugte ich in Bennos Zimmer und winkte meinem kleinen Bruder zu, der es sich auf Pas Schoß gemütlich gemacht hatte, um sich eine Gutenachtgeschichte vorlesen zu lassen.

Das war normalerweise Mas Aufgabe, aber Pa würde morgen früh für eine Woche mit seiner Bläserklasse auf Musikfahrt gehen und da hatte Benno ihm wohl ausnahmsweise die Ehre gewährt, ihm vorlesen zu dürfen.

»Schlaf gut!«, sagte ich leise und lehnte die Tür an. Dann putzte ich mir die Zähne, kämmte meine hellbraunen Spaghettilocken durch und spritzte mir ein bisschen Wasser ins Gesicht.

Endlich Wochenende, dachte ich auf dem Weg zurück in mein Zimmer und wollte schnell ins Bett kriechen. Doch dann fiel mir das glitzernde Päckchen auf, das mir Elsa Peters geschenkt hatte und das ich noch gar nicht ausgepackt hatte. Neugierig zerriss ich das Papier, darunter kam ein Pappkistchen zum Vorschein. Ich drehte es einmal hin und her und runzelte die Stirn.

Als Dankeschön für meinen Duftapothekeneinsatz hatte Elsa Peters mir einen Raumduft geschenkt. Ein französischer Name war zwischen vielen Blumenschnörkeln auf die Verpackung gedruckt: Ancien. Und darunter stand: Der edle Raumerfrischer für solche, die es sich leisten können.

Was für ein seltsames Geschenk! Schließlich war ich weder alt noch sonderlich wohlhabend.

Ich öffnete die Verpackung und beäugte skeptisch das verschraubte Glasgefäß, das ich nun herauszog. Diese stinkenden Chemiekeulen aus den Drogeriemärkten hatte ich nie gemocht. Sie verwandelten nur jedes Zimmer in überparfümierte Dampfkammern. Was sollte ich denn bitte damit? Trotzdem öffnete ich den Verschluss und schnupperte daran.

Bäh! Schnell hielt ich die Glasflasche von mir weg und verschraubte sie wieder. Das roch genau so, wie ich es erwartet hatte. Nach Chemie und nach zu viel von allem. Ganz besonders nach zu viel Vanille. Das war an sich kein unangenehmer Duft, schließlich liebten ihn so gut wie alle Menschen. Nur in diesem Raumduft war zu viel davon!

Außerdem stimmte irgendetwas mit der Duftzusammensetzung nicht: Der Duft roch zu süß, zu übertrieben und zu künstlich. Aber die meisten störte das wahrscheinlich gar nicht. Die meisten Menschen waren an diese Art von Düften gewöhnt. Schließlich wurde so gut wie jedes Waschmittel, Duschgel und Shampoo mit künstlichen Duftstoffen versetzt.

Elsa hatte es mit ihrem Geschenk bestimmt nur gut gemeint und dabei eben nicht ganz meinen Geschmack getroffen. Also stellte ich das Glasfläschchen zurück auf meine Kommode und lüftete mein Zimmer erst mal kräftig durch.

 

3. Kapitel

Am nächsten Morgen riss mich Dinosauriergebrüll aus meinem Traum. Ich verdrehte die Augen. Warum lernte Benno einfach nicht, seine Zimmertür zuzumachen, wenn er am Wochenende um 6:15 Uhr mit seinen Hörspielen plus Gepolter anfangen wollte? Das war doch Absicht!

Bestimmt langweilte er sich und hatte mal wieder keine Lust, allein rumzusitzen.

Stöhnend schob ich mich an meinem Kissen hoch und lugte durch die Häkelgardine vor meinem Fenster. Im Lavendelweg war zwar nie viel los, aber um diese Zeit lagen wirklich auch noch die fleißigsten Nachbarn in ihren Betten. Auf einmal knallten im Zimmer nebenan viele Dinge gleichzeitig auf die Holzdielen. Ich tippte mal darauf, dass ein sehr hoher Turm aus Holzklötzchen eingestürzt war. Was bestimmt auch nur ganz aus Versehen passiert war.

Also gut. Ich pellte mich aus dem Bett, gähnte lang und landete auf meinen Füßen. Heute war Wochenende und das bedeutete: Es war Zeit für die Duftapotheke! Ich versuchte, mir einzureden, dass es sowieso gut war, wenn ich früh aufstand. So konnte ich mich mit mehr Ruhe über das Rezept hermachen, das Daan mir anvertraut hatte, in der Hoffnung, ich könnte es nach all den Jahren endlich reparieren.

Es war ein Duft, der uns die Ewigen für alle Zukunft vom Hals halten könnte: der »Duft der Endlichkeit«. Wenn ich es schaffte, seine Zusammensetzung zu perfektionieren, würden die Ewigen nie wieder freiwillig einen Fuß in die Duftapotheke setzen. Schließlich konnte dieser Duft alle anderen Duftwirkungen aufheben und neutralisieren und damit auch die Ewigen um ihr unnatürlich verlängertes Lebensalter bringen, das sie sich nur mit dem »Duft der Ewigkeit« erschlichen hatten.

Der Ewigkeitsduft war wiederum ein Duft, den Daan de Bruijn vor sehr, sehr langer Zeit entwickelt hatte. Ursprünglich wollte er damit Menschen von schweren Krankheiten heilen. Doch der alte Duftapotheker hatte unbeabsichtigt einen Duft erschaffen, der das Leben über Jahrhunderte verlängern konnte. Die Auswirkungen hatte er zu spät erkannt. Somit war auch Daan versehentlich zu einem Ewigen geworden, genau wie Willem.

Um die Ewigen zu stoppen, hatte Daan deshalb begonnen, den »Duft der Endlichkeit« zu entwickeln. Denn wenn die Ewigen vor einer Sache Angst hatten, dann davor, keine Ewigen mehr sein zu können.

Nur leider funktionierte der »Duft der Endlichkeit« nicht so wie gedacht. Er entwickelte einige ungeplante Nebenwirkungen. »Gelegentlich tödlich!« war da nur die Spitze des Eisberges. Deshalb würden wir den Duft nie benutzen. Und das wussten die Ewigen wahrscheinlich ganz genau.

Doch wenn sich das ändern ließ und ich es wirklich schaffte, die Duftformel zu überarbeiten, dann hätten wir eine mächtige Waffe gegen die Ewigen in der Hand.

Allerdings wusste ich überhaupt nicht, wie ich diesen komplizierten Duft reparieren sollte. Die »Traumhafte Brise« zu verändern, war im Vergleich dazu ein Kinderspiel. Aber bei einem so gefährlichen Duft wie dem »Duft der Endlichkeit« war das etwas völlig anderes. Schließlich konnte ich ihn nicht einfach ausprobieren. Ich konnte den Flakon weder öffnen noch daran riechen. Wie sollte ich da jemals herausfinden, was mit der Duftformel nicht stimmte? Da half mir auch mein Sentifleur-Talent nicht viel. Alles, was ich hatte, war ein handschriftliches Rezept mit ein paar Ideen zur Verbesserung von Daan de Bruijn. Und auch das machte mir nicht gerade viel Mut. Denn wenn nicht mal der Gründer der Duftapotheke es geschafft hatte, diesen Duft ohne schreckliche Nebenwirkungen herzustellen, wie sollte ich das dann hinbekommen?

Noch halb in meine Gedanken versunken, schlurfte ich in den Flur. Extralaut klopfte ich an Bennos Tür und brummte: »Na los, komm schon. Ich mach dir einen Kakao.«

Benno jubelte und hopste mir sofort entgegen. »Jaaa!«

»Aber …«, kurz blieb ich stehen und schaute meinen fünfjährigen Bruder streng an, »… wenn du morgen früh wieder deine Tür offen stehen lässt und dieses Gebrüll anmachst, ist das heute der allerletzte Kakao. Klar? Der absolut allerletzte!«

»Versprochen!« Benno nickte und warf mir sein niedlichstes Lächeln zu, das er draufhatte. »Hab ich nur vergessen gehabt heute. Morgen denk ich wieder dran.«

»Aber natürlich.« Ich seufzte noch einmal tief, bevor ich zurückgrinste. Wirklich lange konnte ich der kleinen Chaosnudel eh nie böse sein.

Auf den knarrenden Stufen, die ins Erdgeschoss hinunterführten, sog ich wie immer die vielen verschiedenen Gerüche ein, die sich aus der Duftapotheke unter den Holzdielen durch die Ritzen hinauf in die Villa Evie drängten. Ich liebte den Wirrwarr aus Gerüchen im Haus. Alles roch immer anders und gleichzeitig so vertraut.

Weil es so früh am Morgen war, der Frühling auf sich warten ließ und die Öfen wie immer über Nacht runtergebrannt waren, merkte ich mal wieder, was es bedeutete, in einem Haus ohne elektrische Heizung zu wohnen. Eilig zog ich im Wohnzimmer zwei Decken vom Sofa und wickelte erst Benno und dann mich darin ein. Als Wollmumien schlurften wir in die Küche und ich versuchte, einarmig einen Kakao auf dem Gasherd umzurühren, ohne dabei die Decke in Brand zu stecken.

»Luzie?« Benno hörte sich plötzlich ungewohnt ernst an.

»Was denn?«, fragte ich, ohne aufzusehen. Schließlich versuchte ich, den dampfenden Kakao nicht auf dem Küchentisch, sondern auf zwei Tassen zu verteilen.

»Wieso war dieser Riese gestern da?«

»Wie? Welcher Riese?« Ich wischte ein paar klebrige Kakaotropfen von den Tassenrändern und verstand nur Bahnhof.

»Na, dieser Bonsie. Der mit dem komischen Auge, das sich nicht bewegt.«

»Was?« Plötzlich war mir der kleckernde Kakaotopf egal. »Meinst du Bonsky? Der Riese aus dem Zug? Willems Freund, der nie ein Wort sagt?«

Benno pustete auf seinen noch viel zu heißen Kakao und nickte kräftig. »Ja, genau! Der mit der Narbe im Gesicht. Ich hab den gesehen.«

»Wie? Was?« Ich ließ mich auf einen Küchenstuhl fallen und starrte meinen Bruder an. »Wo denn?«

Benno schlürfte weiter. »Na … hier!«

»Im Lavendelweg?« Mir wurde ganz heiß und ich spürte, wie mir ein Schreck durch alle Glieder sauste. Doch dann schüttelte ich den Kopf. »Nein, das kann nicht sein. Das hast du bestimmt nur geträumt.« Gleichzeitig merkte ich, wie sich das schlechte Gewissen wieder in mir hochschob, weil ich Benno damals überhaupt mit zu den Ewigen genommen hatte. Jetzt war ich auch noch daran schuld, dass mein kleiner Bruder Albträume bekam! Ich nippte an meiner Tasse und schreckte zurück, als ich mir an der viel zu heißen Flüssigkeit den Mund verbrannte.

»Ich hab das nicht geträumt!« Benno stellte seine Tasse mit so viel Wucht auf den Tisch, dass der Kakao darin Wellen schlug. »Bonsie war da! In seinem schwarzen Mantel. Der ist um unser Haus gelaufen. Und auch ums Gewächshaus!«

Ich hob meine Augenbrauen. »Und wann war das genau?«

»Na gestern!«, maulte Benno mich an.

»Okay und warum hast du mir das nicht gleich erzählt?«

Benno schob die Unterlippe nach vorne. »Wollte ich ja! Aber dann gab’s Lasagne und ich hab’s vergessen.«

Das machte natürlich Sinn. Wenn es Lasagne gab, dachte Benno an nichts anderes.

»Und was hat Bonsky gemacht, als er um die Villa gelaufen ist?«

»Geguckt!«, polterte es aus Benno heraus. »Hinter Hannes Rosensträuchern hat er gestanden und sonst nichts. Ich hab Hallo gesagt, aber er hat nicht zurückgegrüßt! Ich mag den nicht, der ist unfreundlich und ich will auch nicht, dass der hierherkommt!«

»Das will ich auch nicht.« Ich strich mir eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein Teil von mir wollte Benno nicht glauben, nur andererseits … warum sollte er sich das alles ausdenken?

Hatte Bonsky vielleicht gehofft, mich zu treffen – und deshalb nichts zu Benno gesagt?

»Sag mir das nächste Mal sofort Bescheid, wenn du ihn siehst, ja?«, bat ich ihn.

»Hmmm«, brummte Benno und löffelte in seinem Kakao.

Ich stand auf und schaute aus den Fenstern. Draußen war die Luft noch grau vom Morgen und alles lag still um uns herum.

»Ich geh mal kurz raus, ja?«, fragte ich und stellte meine leere Tasse in die Spüle. »Du kannst so lange Ma und Pa wecken gehen. Die zwei könnten langsam mal die Öfen heizen, finde ich.«

»Okay!« Benno nickte und leerte den Rest des Kakaos, während ich mir meine Jacke von der Garderobe am Eingang schnappte und die Haustür aufschloss.

Wieso bloß tauchte Bonsky hier auf? Was wollte er? Mir fiel es schwer, den stummen Riesen einzuschätzen. Auch wenn er uns in Amsterdam geholfen hatte, war ich mir trotzdem nicht hundertprozentig sicher, ob er wirklich auf unserer Seite war. Spionierte er uns vielleicht aus? Oder wartete er genau wie ich darauf, dass sich die Ewigen doch noch blicken ließen, um sich das Meteorpulver der Duftapotheke unter den Nagel zu reißen?

Ob Willem von Bonskys Besuch wusste? Hatte er ihn am Ende sogar zu uns geschickt? Ich beschloss, erst mal zu Mats zu gehen, um ihm davon zu erzählen.

Draußen sanken meine Schuhe ins taunasse Gras ein. Langsam ging ich an den Backsteinmauern der Villa Evie entlang und schaute mich um. Während ich über Bonsky nachdachte, fiel mir auf, dass Willem uns im Grunde nichts über ihn erzählt hatte. Dabei kannte er ihn gut, schließlich hatte er mit ihm zusammen das Meteorpulver aus unserer Duftapotheke gestohlen. Die beiden waren uns bis nach Utrecht gefolgt, um uns schließlich im Anwesen der Baronin vor einer Horde wütender Ewiger zu retten.

Bonsky hatte eine wichtige Rolle dabei gespielt, als wir das Meteorpulver zurückerobert hatten. Aber so richtig etwas über ihn wissen … das taten wir nicht. Bonsky hatte während der ganzen Zeit schließlich nie auch nur ein einziges Wort gesagt. Ich war mir unsicher, ob er nicht sprechen konnte – oder nicht wollte.

So oder so: Ich musste mit Mats reden. Also stapfte ich noch schneller durch die quietschenden Grashalme rüber zum Nachbarhaus und sah zu seinem Zimmerfenster hoch. Hinter der Glasscheibe war es noch dunkel. Aber egal, da musste er jetzt durch.

Ich suchte mir ein paar Kiesel zusammen und warf sie an die Fensterscheibe. Die Steinchen waren klein genug und somit machte es bei jedem Treffer ans Glas nur leise Tock. Ich hatte das Gefühl, Hunderte davon in die Luft geworfen zu haben, bis Mats endlich am Fenster auftauchte und es öffnete.

»Na endlich, du Schnarchnase!«, rief ich zu ihm hoch.

Mats’ dunkle Locken standen ihm in allen Richtungen vom Kopf ab.

»Wie spät ist es?«, brummte er zu mir runter.

»Es ist Aufstehzeit! Und ich muss ganz dringend mit dir reden. Kannst du runterkommen?«

»Jetzt?« Mats sah aus, als könnte er kaum geradeaus gucken.

»Ja, jetzt!«

Mats brummte noch mal irgendwas, das ich nicht mehr verstand, und machte das Fenster wieder zu. Dafür knipste er das Licht an.

Ich grinste in mich hinein. Mats konnte so viel brummen, wie er wollte, aber gegen seine eigene Neugier kam er niemals an.

 

4. Kapitel

Als Mats endlich die Haustür öffnete, war ich ganz durchgefroren. Schnell huschte ich zu ihm in den warmen Flur. »Ich liebe elektrische Heizungen!«, sagte ich zur Begrüßung und strahlte ihn an.

Mats hob nur seinen rechten Mundwinkel und winkte mich in die Küche. »Und ich liebe mein Bett! Hier, bei den normalen Leuten mit Heizungen, schläft man am Wochenende nämlich um die Uhrzeit.«

»Jaja, jetzt hab dich nicht so.« Ich setzte mich an den Küchentisch und rieb mir die Arme, während Mats den Kühlschrank öffnete und ratlos hineinstarrte.

»Willst du was frühstücken?«, fragte er, aber ich schüttelte den Kopf. Also klappte Mats die Kühlschranktür wieder zu, nuschelte irgendwas von viel zu früh und schlurfte zu mir an den Tisch.

»Benno sagt, dass er Bonsky gestern hier gesehen hat«, fing ich an. »Er ist ums Haus gelaufen und hat uns beobachtet. Ist doch gruselig, findest du nicht?«

»Hm? Ja, schon.« Mats guckte mich verständnislos an. »Aber vielleicht wollte er nur mal nach dem Rechten sehen. Sich vergewissern, dass es uns gut geht.«

Einen Moment sah ich Mats einfach nur an und wunderte mich, dass ihm das nicht mehr Sorgen zu machen schien. »Okay, Bonsky hat uns zwar geholfen«, gab ich zu, »aber ich habe ihn auch schon anders erlebt. Immerhin hat er versucht, mich in den Kanal von Utrecht zu schubsen, nur weil er den Duftplan bekommen wollte. Der Typ ist schwer einzuschätzen, ich sag’s dir. Du warst ja nicht dabei!«

Mats verzog nachdenklich die Lippen. So langsam schienen seine Hirnwindungen wach zu werden. »Was glaubst du denn, will er von uns?«

»Keine Ahnung.« Ich lehnte mich zurück und sah an die Decke. »Ich frage mich, ob es sein könnte, dass er mittlerweile nicht mehr für Willem arbeitet, sondern sich entschieden hat, sich doch noch den Ewigen anzuschließen.«

Mats strich sich durch seine zerzausten Haare. »Ich kann mir das nicht vorstellen. Wieso hätte er uns dann damals helfen sollen?«

Um meine Anspannung loszuwerden, stand ich auf und lief ein paar Schritte herum. »Na gut, wenn du meinst. Kommst du wenigstens mit? Ich wollte heute sowieso in die Duftapotheke, um an Daans Duft zu arbeiten.«

»Schon überredet.« Mats grinste mich mit seiner ganz speziellen Art an, die mich immer sofort zum Lächeln brachte, dann lief er Richtung Treppe. »Ich putz mir nur kurz die Zähne.«

Immerhin hatte er sich schon Jeans und T-Shirt übergezogen, bevor er mir die Tür geöffnet hatte. Zum Glück, dachte ich, während ich auf ihn wartete. Bestimmt wäre ich feuerrot angelaufen, wenn er in Boxershorts in der Tür gestanden hätte.

Endlich war Mats fertig und winkte mich nach draußen. Mit einem Mal sah er gar nicht mehr so entspannt aus. »Weißt du, was? Wir sollten in der Duftapotheke gleich mal nachschauen, ob noch alles da ist, wo es hingehört. Nach Bonskys letztem Besuch hatten wir schließlich kein Meteorpulver mehr.«

Ich nickte nur und spürte die Erleichterung in mir aufkommen, weil Mats meine Sorgen doch nicht ganz abtat. Bei dem Gedanken an unser Meteorpulver lief ich gleich doppelt so schnell. Daran hätte ich natürlich auch denken können!

Kaum dass wir vor dem haushohen Gewächshaus hinter der Villa Evie ankamen, zog ich meinen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete die schwere Verriegelung. Immer wenn ich die Glastüren mit den verschnörkelten Metallstreben öffnete, klopfte mein Herz. Ganz egal, wie oft ich mittlerweile schon in der Duftapotheke gewesen war, es war jedes Mal Aufregung pur. Hinter mir zog Mats die Tür zu und das Schloss klackte. Ich atmete die vertraute feuchte Pflanzenluft ein. Es war wie nach Hause kommen.

Mats schien sich mittlerweile tatsächlich mehr Sorgen zu machen, jedenfalls ging er hinter mir zwischen den dichten Blättern und Blüten hindurch und sah sich dabei ganz genau um. Fast, als erwartete er jeden Moment irgendetwas, das uns überraschen würde.

Aber alles war genauso wie immer, also winkte ich Mats ungeduldig zum Geräteschuppen und drückte den Bodenhebel nach unten. Mats schob sich neben mich und so standen wir Arm an Arm und drehten uns mit dem Boden unter unseren Füßen um neunzig Grad wie auf einem Karussell.

Als die Wand vor uns anhielt, drehten wir uns zur Treppe, die nach unten führte, und ich atmete auf, weil wir uns nicht mehr so dicht aneinanderdrücken mussten.

»Hier könnte auch mal jemand sauber machen«, murmelte Mats, als er an das staubige Geländer griff und vor mir die Treppenstufen in den Flur hinunterging.

»Ja, jemand sollte das mal tun«, antwortete ich nur, weil Mats sich offensichtlich selbst dafür nicht zuständig fühlte.

Mein Blick glitt an der Blümchentapete und den vielen Schwarz-Weiß-Fotografien darauf entlang. Jedes Mal, wenn wir hier waren, begrüßte uns der erste Duftapotheker der Villa Evie, Daan de Bruijn, aus den goldenen Bilderrahmen. Manchmal hatte ich das Gefühl, seine vielen Expeditionsfotos sollten uns daran erinnern, wie schwierig es gewesen war, das alles hier aufzubauen, und wie wichtig es war, dass wir es beschützten.

Über uns surrte die alte Gaslampe. Wahrscheinlich war Hanne schon unten und wartete auf uns.

Hanne war Daans einzige lebende Erbin und ich fragte mich oft, warum sie eigentlich keine Sentifleur war. Immerhin war Daan ihr Ururgroßvater und nicht meiner. Außerdem war Hanne in der Villa Evie aufgewachsen und hatte ihren Eltern und Großeltern bei der Arbeit in der Duftapotheke zugesehen. Womöglich war diese Fähigkeit ja tatsächlich nicht vererblich? Womöglich war es reiner Zufall?

Wir öffneten die schwere Holztür und ließen uns vom Sprudeln und Funkeln der zahllosen Flakons begrüßen, die sich bunt in den Regalen bis zur Decke aneinanderreihten. Eilig gingen wir durch die Duftapotheke und öffneten die Tür zum Büro, in das man durch eine Geheimtür in den Regalen gelangte. Dahinter öffnete ich die Tür des Fahrstuhls, der wiederum am Ende des Büros lag und in einen ganz besonders gut versteckten Raum führte.

Es war das Labor der Duftapotheke, in dem schon seit Ewigkeiten die Düfte hergestellt wurden. Dafür benötigte man nämlich nicht nur eine Destille und Zutaten, wie getrocknete Blüten, Kräuter oder Pülverchen, sondern etwas, das den Düften ihre magischen Fähigkeiten gab: das schwarz glitzernde Meteorpulver.

»Guten Morgen!«, rief Mats.

Hanne stand in einem gemusterten, bodenlangen Rock mit dem Rücken zu uns und beugte sich über irgendetwas auf der Arbeitsfläche. Langsam, und ohne von einem vergilbten Zettel in ihrer Hand aufzusehen, drehte sie sich zu uns um.

»Guten Morgen«, grüßte sie zurück und sah jetzt doch auf. »Gut geschlafen, ihr zwei?«

Mats stöhnte bloß leise als Antwort.

»Und wieso bist du