Die Ehe auf Abbruch - Leni Behrendt - E-Book

Die Ehe auf Abbruch E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Die Morgensonne spiegelte sich in der Kristallvase, daß sie funkelte und sprühte, sie überflutete die Rosen, die in ihr dufteten, huschte über die Gedecke und schien überhaupt eifrig bemüht zu sein, das ganze Gemach mit ihren goldenen Strahlen zu durchdringen. Die beiden Menschen, die ihr Frühstück beendet hatten, griffen nun nach den Briefen, die der Diener neben die Gedecke gelegt hatte. Wohltuend empfanden sie dabei die Stille, die nur von dem geruhsamen Tick-Tack der Standuhr, dem Summen der Kaffeemaschine und den Schnarchtönen des Dackels Schalk, der auf einem weichen Sessel sein Schläfchen hielt, unterbrochen wurde. Lächelnd las Gräfin Liane den Brief, der von einer Freundin stammte. Man sah der Dame ihre fünfundvierzig Jahre nicht an, obgleich das dunkelblonde Haar bereits von Silberfäden durchwoben war. Es machten wohl das feine, faltenlose Antlitz und die märchenhaft schlanke Figur, die diese Frau so jung und immer noch schön erscheinen ließen. Jedenfalls war Harro Regglin sehr stolz auf seine Stiefmutter, die es wiederum auf ihren großen Jungen sein konnte. Denn er verfügte über eine blendende Erscheinung, der er die Gunst der Damenwelt zu verdanken hatte. Trotz seiner spöttischen, arroganten Art himmelten Frauen und Mädchen ihn an, der gern mit ihnen flirtete, aber doch stets der vornehme, guterzogene Kavalier blieb, was mancher Weiblichkeit nicht immer recht war. Jedenfalls war Harro Regglin, dessen ungewöhnliche Persönlichkeit außerdem noch die Gloriole des Reichtums umwob, der begehrteste Mann im Umkreis. Mochte er die Bemühungen der Damenwelt um ihn auch noch so ironisch belächeln, gerade das machte ihn in ihren Augen so außerordentlich interessant. Auch jetzt, beim Lesen des Briefes, stand wieder das berühmte Lächeln in dem schmalen, rassigen Antlitz, über dessen linke Wange sich eine Säbelnarbe zog, die Feindeshand im heißen Ringen des ersten Weltkrieges ihm geschlagen hatte. Die Hand mit den beiden kostbaren Ringen hielt das Briefblatt, mit der anderen fuhr er sich durch das blonde leichtgewellte Haar. Dann sah er zu seiner Mutter hin. Es waren Augen von kaltem Grau, deren Blick nicht jeder Mensch ruhig ertragen konnte, hauptsächlich dann nicht, wenn sie Verachtung widerspiegelten wie eben jetzt. Die sonore Stimme des Mannes durchbrach die Stille: »Darf ich dich einmal stören, Mutti?« »Gewiß, mein Junge.« »Dann lies – und bleibe deiner Sinne Meister«, lächelte er ironisch und öffnete dann gleichmütig ein anderes Schreiben, während die Gräfin das ihr Gereichte hastig überflog. Erschrocken war der Blick, der dann zu dem Sohn hinging, der so interessiert seinen Brief las, als ginge der in der Mutter Händen ihn gar nichts an.

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Leni Behrendt Bestseller – 19 –

Die Ehe auf Abbruch

Leni Behrendt

Die Morgensonne spiegelte sich in der Kristallvase, daß sie funkelte und sprühte, sie überflutete die Rosen, die in ihr dufteten, huschte über die Gedecke und schien überhaupt eifrig bemüht zu sein, das ganze Gemach mit ihren goldenen Strahlen zu durchdringen.

Die beiden Menschen, die ihr Frühstück beendet hatten, griffen nun nach den Briefen, die der Diener neben die Gedecke gelegt hatte. Wohltuend empfanden sie dabei die Stille, die nur von dem geruhsamen Tick-Tack der Standuhr, dem Summen der Kaffeemaschine und den Schnarchtönen des Dackels Schalk, der auf einem weichen Sessel sein Schläfchen hielt, unterbrochen wurde.

Lächelnd las Gräfin Liane den Brief, der von einer Freundin stammte. Man sah der Dame ihre fünfundvierzig Jahre nicht an, obgleich das dunkelblonde Haar bereits von Silberfäden durchwoben war. Es machten wohl das feine, faltenlose Antlitz und die märchenhaft schlanke Figur, die diese Frau so jung und immer noch schön erscheinen ließen.

Jedenfalls war Harro Regglin sehr stolz auf seine Stiefmutter, die es wiederum auf ihren großen Jungen sein konnte. Denn er verfügte über eine blendende Erscheinung, der er die Gunst der Damenwelt zu verdanken hatte. Trotz seiner spöttischen, arroganten Art himmelten Frauen und Mädchen ihn an, der gern mit ihnen flirtete, aber doch stets der vornehme, guterzogene Kavalier blieb, was mancher Weiblichkeit nicht immer recht war.

Jedenfalls war Harro Regglin, dessen ungewöhnliche Persönlichkeit außerdem noch die Gloriole des Reichtums umwob, der begehrteste Mann im Umkreis. Mochte er die Bemühungen der Damenwelt um ihn auch noch so ironisch belächeln, gerade das machte ihn in ihren Augen so außerordentlich interessant.

Auch jetzt, beim Lesen des Briefes, stand wieder das berühmte Lächeln in dem schmalen, rassigen Antlitz, über dessen linke Wange sich eine Säbelnarbe zog, die Feindeshand im heißen Ringen des ersten Weltkrieges ihm geschlagen hatte. Die Hand mit den beiden kostbaren Ringen hielt das Briefblatt, mit der anderen fuhr er sich durch das blonde leichtgewellte Haar.

Dann sah er zu seiner Mutter hin. Es waren Augen von kaltem Grau, deren Blick nicht jeder Mensch ruhig ertragen konnte, hauptsächlich dann nicht, wenn sie Verachtung widerspiegelten wie eben jetzt.

Die sonore Stimme des Mannes durchbrach die Stille: »Darf ich dich einmal stören, Mutti?«

»Gewiß, mein Junge.«

»Dann lies – und bleibe deiner Sinne Meister«, lächelte er ironisch und öffnete dann gleichmütig ein anderes Schreiben, während die Gräfin das ihr Gereichte hastig überflog. Erschrocken war der Blick, der dann zu dem Sohn hinging, der so interessiert seinen Brief las, als ginge der in der Mutter Händen ihn gar nichts an.

»Harro!«

»Nun, kleine Mama?«

»Junge, ich begreife nicht, wie du so gelassen sein kannst.«

Lächelnd legte er das Schreiben zur Seite und griff über den Tisch hinweg nach der Mutter Hand, die er zart mit den Lippen berührte.

»Du zitterst ja förmlich vor Erregung, Mutti. Wie töricht! Wir wissen doch schon seit länger als einem Jahr, daß dieser Brief einmal kommen mußte, und haben uns mit dem, was darin von mir verlangt wird, abgefunden.«

»Gewiß, mein Junge, und doch habe ich immer noch gehofft, daß Fräulein Bracht von ihrem Ansinnen Abstand nehmen würde. Was wirst du tun?«

»In das Seebad fahren, wie sie es verlangt.«

»Und weiter?«

»Den Dingen ihren Lauf lassen.«

»Harro, deine Gelassenheit kann einen Menschen manchmal direkt peinigen. Fällt es dir denn gar nicht schwer, diese geschmacklose Komödie zu spielen?«

»Im Gegenteil, ich finde das alles höchst interessant. Vom Schicksal die Frau in die Arme gelegt bekommen, ist gewiß nicht alltäglich und daher äußerst reizvoll für mich.«

»So leicht kannst du dich darüber hinwegsetzen, daß diese – Krämerstochter Gräfin Regglin werden soll!?«

»Nur in einer Ehe auf Abbruch! Das darfst du nämlich nicht vergessen, Mutter. Ein Jahr, und ich bin von dieser Verpflichtung frei.«

»Und wenn doch nicht alles so glatt geht, wie du es annimmst, mein Junge? Es ist verlockend genug, Gräfin Regglin zu werden. Und das erstrebt das Mädchen doch nur deshalb, weil es etwas ist, das es in seinem übersättigten Leben noch reizen kann. Denke es dir nicht so einfach, mit einem Menschen leben zu müssen, von dem man nicht einmal das Notwendigste weiß.«

»Ist ja auch nicht erforderlich«, entgegnete er gleichmütig. »Du weißt doch, kleine Mama: ›Nie sollst du mich befragen‹. Daß ich die mir aufgedrängte Frau wieder los werde, das laß nur meine Sorge sein. Gräfin Regglin zu werden, das ist für dieses anspruchsvolle Fräulein unter solchen Umständen nicht schwer. Aber Gräfin Regglin s e i n…«, schloß er achselzuckend, und die Mutter sah ihn bekümmert an.

»Und wenn sie sich in dich verliebt, Harro?«

»Das ist ihre Privatangelegenheit«, tat er es gelassen ab. Sekundenlang herrschte Schweigen, bis die Gräfin leise fragte:

»Und – Iris?«

Verständnislos sah Harro die Mutter an.

»Iris? Was hat sie damit zu tun!«

»Sie betrachtet sich als deine Braut.«

Nun trat der arrogante Zug in Regglins Gesicht, der ihn in den Augen der Weiblichkeit so interessant machte. Und arrogant war auch der Tonfall seiner Stimme, als er sagte:

»Tut sie das? Wie nett. Doch meiner Ansicht nach hat sie absolut keine Veranlassung dazu.«

»Du bist ein entsetzlicher Junge!« entrüstete die Mutter sich. »Nichts nimmst du ernst, spielst mit dem Leben wie ein Knabe. Daß du Iris jetzt nicht heiraten kannst, das weiß ich wohl. Aber du darfst dem Mädchen die Hoffnung nicht nehmen, daß es später geschieht.«

O doch, Graf Regglin konnte schon ernst sein, wenn er es für notwendig hielt. Er kniff ein wenig die Augen zusammen, was seinem Gesicht einen hochmütigen Ausdruck gab, und antwortete in einem Ton, den er sonst der geliebten Mutter gegenüber nicht hatte:

»Da ich Iris nie Hoffnungen gemacht habe, kann ich sie ihr folglich auch nicht nehmen. Alles weitere ist leeres Geschwätz, von dem ich verschont zu bleiben wünsche.

Und nun mach nicht so ein betrübtes Gesicht, Mutti«, schwächte er seine scharfen Worte ab. »Wir wollen nicht weiter um Wenn und Aber herumreden, sondern alles auf uns zukommen lassen. Oder wäre es dir lieber, wenn ich um etwas plärren würde, was doch nicht zu ändern ist?«

»Um Gott, mein Sohn«, sie hob abwechselnd die Hände, »das dürfte dir schlecht anstehen.«

»Na also!« Er lachte und griff nach dem Brief, um ihn zu Ende zu lesen, während die Mutter an vergangene Zeiten dachte und sich den Tag ins Gedächtnis zurückrief, an dem sie als Herrin in Regglinsgrund eingezogen war und als Mutter des damals fünfjährigen Harro, den sie sofort von ganzem Herzen lieb gewann. Zuerst stand das trotzige und sehr verwöhnte Kind der neuen Mutter wohl mißtrauisch gegenüber, doch bald kapitulierte es vor so viel rührender Liebe und Geduld. Die Mutter wurde fortan das Schönste und Köstlichste in seinem Leben.

Die erste Ehe des Bodo Regglin war nicht glücklich gewesen. Er hatte die Gattin ja auch nicht aus Liebe erwählt, sondern um ihres Geldes willen, mit dem er das stark heruntergewirtschaftete Regglinsgrund sanieren wollte. Merkwürdig war es nur, daß dieser Reichtum zwei Tage vor der Hochzeit zusammenbrach. Trotzdem kam sie zustande, weil es Bodo Regglin ehrlos erschien, der Braut so kurz vor der Eheschließung den Laufpaß zu geben.

So stand es denn weiter schlecht um die Regglinsgrunder Herrschaft, und die Ehe, die der Tod der Gräfin sechs Jahre später löste, wurde alles andere als harmonisch. Man munkelte wohl, daß sie keines natürlichen Todes gestorben sei; doch niemand wußte darüber Genaues.

Graf Bodo trauerte auch nicht lange um die Gattin; denn schon nach Jahresfrist hielt eine neue Herrin ihren Einzug in Regglinsgrund, die außer viel Geld auch die leidenschaftliche Liebe des Gatten besaß.

So herrschte denn eine traute Harmonie in Regglinsgrund, an der allerdings nur wenige Außenstehende teilhaben durften. Denn Gräfin Liane war sehr zurückhaltend und liebte keinen großen Verkehr. Nur zwei Familien hatte sie sich näher angeschlossen, den Halldungen auf Hermeshöh und den Illsunds auf Laubern.

Gräfin Halldungen, eine Schwester der verstorbenen Gräfin Regglin, führte an der Seite ihres Gatten ein sorgenfreies, glückliches Leben. Die Illsunds jedoch verfügten zwar über einen alten makellosen Namen, waren aber mit Glücksgütern nicht gesegnet. Der Graf wußte manchmal nicht, woher er das Geld nehmen sollte, um seine fünf Kinder standesgemäß erziehen zu können.

So setzte er seine Hoffnung auf Iris, die älteste Tochter, die alle Aussichten hatte, die Herrin auf Regglinsgrund zu werden. Illsund hegte diese Zuversicht seit dem Tage, an dem das Ehepaar Regglin ihm zu verstehen gegeben hatte, daß Iris ihnen als Schwiegertochter sehr willkommen wäre.

Seitdem galten Iris Illsund und Harro Regglin allgemein als heimliche Verlobte, zumal der Bräutigam in spe nichts dazu tat, um diesem Gerücht die Spitze abzubrechen. Daß er die Auserwählte immer noch nicht heimführte, begründete man damit, daß er sein Leben erst genießen wollte, bevor er sich ins Ehejoch spannte.

So saß denn die schöne Iris Jahr um Jahr bei ihren Eltern und träumte vom kommenden Glück. Natürlich verlangte sie eine Ausnahmestellung in der Familie, was der vernarrte Vater auch für richtig hielt. Er umgab sein Lieblingskind trotz seiner schwierigen finanziellen Lage mit Luxus und ließ seine anderen Kinder darunter empfindlich leiden. Die drei noch nicht erwachsenen Söhne empfanden die Zurücksetzung nicht als sehr bitter, doch um so mehr tat es die zweiundzwanzigjährige Adelheid, die zugunsten der älteren Schwestern immer zurückstehen mußte. Sie war überhaupt das Aschenputtelchen der Familie, das mit allem zufrieden zu sein hatte.

Davon ahnte man allerdings in Regglinsgrund nichts. Man lebte dort in so trauter Harmonie, daß man annahm, es müßte anderswo auch so sein. Zuerst hatte Bodo Regglin den Sohn oft ermuntert, ihm Iris als Töchterchen zu bringen, doch in den letzten Jahren schien er kein Verlangen mehr danach zu haben.

Überhaupt hatte sich der sonst so frohgemute Mann verändert. Er schien unter Stimmungen zu leiden, die Liane beunruhigten. Daß ihn etwas quälte, war unverkennbar.

Aber was war es?

Das sollte sie erfahren, als eine tückische Krankheit den Gatten ganz plötzlich überfiel. Und als er sein Ende nahen fühlte, war es Zeit, über das zu sprechen, was ihm so schwer über die Lippen wollte. Müde war der Blick, der zu seinem Sohn hinging, der neben der Mutter am Krankenbett saß. Und unendlich müde klang auch die Stimme des Kranken, als er mit seiner Beichte begann:

»Junge, um dir das zu sagen, was mich zwei Jahre lang so unendlich quälte, muß ich ein wenig zurückgreifen. Ich bin mit deiner Mutter nicht glücklich gewesen, weil wir beide die Liebe nicht aufbringen konnten, die zu einer harmonischen Ehe gehört. So konnte es kommen, daß die enttäuschte Frau ihr Herz an einen Mann hängte, der den Posten eines Inspektors auf Regglinsgrund bekleidete. Als ich dann hinter das Herzensgeheimnis meiner Frau kam, jagte ich Herrn Bracht vom Hof, obgleich er schuldlos war, wie ich später erfuhr.

Ich hörte fortan nichts mehr von ihm. Und hätte die feindliche Haltung deiner Mutter mich nicht stets an ihn erinnert, so hätte ich ihn wohl nach und nach vergessen.

Mit Regglinsgrund ging es immer mehr bergab. Ich mußte Geld herbeischaffen um jeden Preis.

Also spielte ich und gewann eine große Summe, mit der ich mich hätte zufrieden geben müssen. Doch wie ein Fieber kam es über mich –, ich wollte mehr haben, immer mehr!

Ich jeute, bis das Glück sich abwandte und ich in einer Nacht Haus und Hof verspielte. Nun hätte ich mir ja eigentlich eine Kugel durch den Kopf schießen müssen. Aber vorher wollte ich mir noch den Mann ansehen, dem ich mein Hab und Gut verpfändet hatte.

Es war Herr Bracht.

Lächelnd erzählte er mir, daß er vor Jahren nach Amerika ausgewandert sei, um dort eine Erbschaft anzutreten. Geschäfte hätten ihn in die Heimat geführt, wo er eigentlich nur aus Zeitvertreib ein Spielchen riskiert hatte. Daher möchte er mich bitten, die unangenehme Geldgeschichte ruhen zu lassen.

Als ich aufbrauste, erinnerte er mich an Weib und Kind, die ich nicht mit ins Verderben ziehen dürfte. Ich war nicht stark genug, um Brachts lockendem Angebot zu widerstehen, und wurde so der Schuldner des Mannes, den ich einst schuldlos von meinem Hof jagte, der nun von Rechts wegen ihm gehörte.

Wie erbärmlich ich mir damals vorkam, kann ich euch unmöglich beschreiben. Ich drang in Bracht, doch irgendeinen Gegenwert meiner Schuld zu verlangen. Mit dem nachsichtigen Lächeln, das mich meine ganze Erbärmlichkeit immer stärker fühlen ließ, versprach er mir, sich zu melden, falls ihm etwas einfallen würde, und ich verpflichtete mich, jedem seiner Wünsche Rechnung zu tragen. Verpflichtete mich ehrenwörtlich, obgleich er keinen Wert darauf legte.

Nach einem halben Jahr starb deine Mutter, Harro. Ich gewann bald darauf das Herz meiner Liane und wurde durch sie zum reichen Mann. Ich wollte meine Schuld an Herrn Bracht abtragen, zog über ihn Erkundigungen ein und erfuhr, daß er eine vermögende Witwe geheiratet hatte, deren Geld er in sein ohnehin schon erstklassiges kaufmännisches Unternehmen steckte, so daß es nun an führender Stelle stand.

Diese Nachricht entmutigte mich, denn Geld schien bei dem Finanzgenie keine Rolle zu spielen. Trotzdem bot ich ihm brieflich die Begleichung meiner Schuld an. Wie erwartet, antwortete er mir, daß er nach wie vor auf das Geld verzichte, mich jedoch benachrichtigen würde, wenn er einen Ausgleich dafür wüßte.

Jahre vergingen –, und in meinem Glück, das mir durch meinen geliebten Ehekameraden zuteil wurde, vergaß ich Herrn Bracht. Frohgemut und sorglos lebte ich dahin, bis ein Schreiben des Mannes mich vor zwei Jahren aufs Grausamste dieser Sorglosigkeit entriß.

Er verlangte als Begleichung der Schuld meinen Sohn als Gatten für seine damals achtzehnjährige Tochter, falls diese bis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag nicht verheiratet sein sollte. Wenn er bis dahin nicht mehr lebte, würde ein Schreiben, das er bei einem Notar hinterlegte, die Tochter von des Vaters Wunsch unterrichten.

Nun hieß es weiter: ›Wird die Ehe unglücklich sein, kann sie nach einem Jahr geschieden werden, vorausgesetzt, daß beide Ehepartner damit einverstanden sind. Sonst muß sie bestehen bleiben‹.

Und Fräulein Bracht, ein hübsches, launenhaftes und sehr verzogenes Persönchen, wie ich aus Erkundigungen weiß, wird gegen eine Scheidung sein.

Denn eine Krämerstochter gibt die Stellung einer Gräfin Regglin bestimmt nicht auf. Somit wärest du, mein armer Junge, durch den Leichtsinn deines Vaters dazu verurteilt, zeitlebens an eine Frau gebunden zu sein, die deiner unwürdig ist. Kannst du mir das verzeihen?«

Erst als der Sohn fest versprochen hatte, die Schuld des Vaters auf sich zu nehmen, wurde der gequälte Mann ruhiger. Er dämmerte in halber Bewußtlosigkeit dahin, bis er am nächsten Tage die Augen für immer schloß und eine verzweifelte Gattin und einen erschütterten Sohn zurückließ.

Das war vor mehr als einem Jahr gewesen, und heute traf der gefürchtete Brief ein, in dem Fräulein Bracht Harro Regglin ersuchte, zur Unterredung in ein nahegelegenes Ostseebad zu kommen.

Was würde diese Unterredung dem geliebten Jungen bringen? Eine quälende Ehefessel oder vielleicht…?

Die in peinigende Gedanken versunkene Mutter bemerkte nicht Harros Blick, der schon eine Weile lächelnd auf ihr ruhte. Erst als sie schmerzlich seufzte, lachte er amüsiert auf.

»Kleine Mama, ich muß feststellen, daß du gar keine richtige Schwiegermutter abgeben wirst. Du siehst nämlich so fabelhaft jung aus, daß du deine eigene Schwiegertochter sein könntest.«

»Deine Sorglosigkeit möchte ich haben«, entgegnete sie kopfschüttelnd. »Wann wirst du reisen?«

»Morgen; denn die Sehnsucht nach meiner Mary peinigt mein Herz.«

Daß der Junge doch nichts ernst nahm! Selbst über die ernstesten Dinge spottete er. Verspottete auch die Liebe, die ihr Leben ausgefüllt hatte.

Sorgenvoll sah sie zu ihm auf, der hoch und schlank, in seiner bekannt vornehm-nachlässigen Haltung vor ihr stand. Ein Prachtjunge, für den ihrem Mutterstolz keine Frau gut genug erschien. Und nun…

Wieder seufzte sie schwer.

»Ach, Junge! Du lachst, und ich…«

»Muß für dich mitseufzen«, vollendete er neckend ihre stockende Rede. »Wo die Seufzer wohl alle hinfliegen mögen? Einer wahrscheinlich zu deinem späteren Sorgenkind Mary, mein verzagtes Muttilein. Doch nun beurlaube mich, damit ich an die Arbeit komme. Ich habe mich bereits über Gebühr verspätet.«

Er zog ihre Hand an die Lippen und ging davon, während die Mutter weiter ihren unerquicklichen Gedanken nachhing, bis helles Lachen sie daraus aufschreckte. Gleich darauf traten die beiden Illsundtöchter ein. Iris blieb zögernd stehen; doch Adelheid, die reizende, sonnige Heidi, legte ihre Arme zärtlich um den Nacken der Gräfin.

»Guten Morgen, du liebes Tantchen! Da unser Ritt uns an Regglinsgrund vorbeiführte, konnten wir nicht umhin einzukehren. Stören wir dich?«

»Wie könnte das bei euch lieben Mädchen wohl möglich sein. Habt ihr Hunger?«

»Sehr.«

»Dann nehmt Platz. Von dem, was auf dem Tisch steht, dürftet ihr wohl satt werden.«

Die Mädchen kamen der Aufforderung nach. Doch während Heidi es sich gut schmecken ließ, aß Iris kaum etwas. Sie tat immer sehr reserviert. Warum, das ließ sich kaum erklären; denn nötig hatte sie es in diesem befreundeten Hause gewiß nicht. Es lag wohl in ihrer Art, sich immer ein wenig sphinxhaft zu geben, um sich damit interessant zu machen.

Während sie sich auch jetzt in Schweigen hüllte, schwatzte ihre Schwester frisch drauflos. Als sie dann nach Harro fragte, hielt die Gräfin es an der Zeit, den Mädchen das mitzuteilen, was ihr nur schwer über die Lippen wollte.

»Harro hat in der Wirtschaft noch einiges zu erledigen, weil er morgen auf unbestimmte Zeit verreisen muß«, gab Liane mit gespieltem Gleichmut zur Antwort. »Er will nämlich seine – Braut besuchen.«

So, nun war das Schwere gesagt. – Gott sei Dank!

Und die Wirkung ihrer Worte war auch so, wie sie es erwartet hatte. Iris erblaßte, und Heidi erschrak so heftig, daß Messer und Gabel ihren Händen entglitten und klirrend auf den Teller fielen. Nur mühsam formten die Lippen die Worte: »Harro – ist – verlobt?«

»Ja, mit einer Deutschamerikanerin. Ich wollte euch mit dieser Nachricht überraschen. Und so weit ich es beurteilen kann, ist es mir auch glänzend gelungen.«

Das konnte man wohl sagen! Allerdings wirkte die Überraschung niederschmetternd auf die Mädchen. Aber da ihnen von Kindheit auf Selbstbeherrschung anerzogen worden war, so rissen sie sich gewaltsam zusammen.

Es klang fast fröhlich, als Heidi sagte:

»Dieser scheinheilige Mensch! Na, warte nur, mein lieber Harro! Du sollst bei unserer Verlobung auch erst vor die vollendete Tatsache gestellt werden. Nicht wahr, Iris?«

Bang ging ihr Blick zur Schwester hin, die sich meisterhaft beherrschte. Nur blaß war sie, erschreckend blaß. Und der flackernde Blick ließ den Aufruhr in ihrem Herzen ahnen.

Sie kam zu keiner Antwort, weil Harro eintrat, gleichmütig und sorglos, als gäbe es keine Bräute auf der Welt.

»Du Heimtücker!« drohte Heidi ihm. »Verlobt sich dieser Mann, ohne vorher ein Wort darüber verlauten zu lassen. Ich werde aber feurige Kohlen auf dein Haupt sammeln, indem ich dir dennoch herzlich gratuliere.«

Sie streckte ihm beide Hände entgegen, die er nacheinander küßte.

»Entzückend bist du, Heidekind«, sagte er mit seiner dunklen, warmen Stimme, die mit ihrem bestrickenden Wohllaut in keinem Verhältnis zu seiner spöttischen Miene stand. »Woher hast du die erschütternde Neuigkeit? Hat meine kleine Mama etwa geplaudert?«

»Erraten. Nun beichte, du Sünder, wann du heiraten willst.«

»Bald. Häkele nur fleißig Pantoffel und Taschentuchbehälter für mich, damit du bei der Hochzeitsfeier würdig beistehen kannst.«

Da lachte Heidi auf, frisch und froh. »Oh, Harro! Du und gehäkelte Pantoffel!«

»Warum nicht«, fiel er in ihr Lachen ein. »Zu einem Ehemann, wie ich es zu werden gedenke, gehören Pantoffel solidester Sorte. Willst du das etwa anzweifeln?«

»Daß du treu und solide werden willst?« fragte sie mit blitzenden Augen zurück. »Keineswegs, da ich manchmal noch an – Märchen glaube.«

»Racker!« Er zog sie lachend am Ohrläppchen. »Unerhört finde ich es, meine guten Eigenschaften anzweifeln zu wollen, die allerdings erst in mir entstehen werden.«

Dann suchte sein spöttischer Blick Iris, die mit gelangweilter Miene dabeisaß.

»Nun, gnädigste Komteß sagen ja gar nichts. Haben Sie denn keinen Glückwunsch für mich bedauernswerten Mann?«

Er duzte Iris nicht, da diese nach ihrer Rückkehr aus dem Pensionat das förmliche Sie für ihn gehabt hatte, während Heidi das traute Du nach wie vor beibehielt. Es klang sehr gnädig, als Iris antwortete:

»Selbstverständlich wünsche auch ich Ihnen alles Glück zu Ihrer Verlobung, Graf. Nein, von Ihnen, daß Sie von uns dreien den Anfang gemacht haben.«

»Nicht wahr?« Er verbeugte sich übertrieben höflich und streifte sie dabei mit einem Blick, unter dem sie unwillig errötete. Rasch mahnte sie die Schwester zum Aufbruch, verabschiedete sich flüchtig von der Gräfin und sehr kühl von Harro, die den Damen das Geleit gab, um ihnen in den Sattel zu helfen. Als er zur Mutter zurückkehrte, empfing diese ihn froh.

»Junge, mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, nachdem ich den Mut gehabt habe, den Mädchen deine Verlobung beizubringen. Wie peinlich, wenn die Familie Illsund das erst von dritter Seite erfahren hätte. Wenn ich den lieben Menschen jetzt auch weh tun mußte, so hoffe ich, das übers Jahr wiedergutmachen zu können.«

»Inwiefern?« fragte er verwundert.

»Daß nach der Ehe auf Abbruch…«

»… die schöne Iris doch noch Chancen hat, meine Frau zu werden«, vollendete er, als sie unter seinem ironischen Lächeln verwirrt schwieg. »Wenn du nun schon so sehr darauf erpicht bist, eine Illsund als Schwiegertochter zu bekommen, kann es dann nicht die herzige Heidi sein? In der steckt doch wenigstens Leben und Geist, während die gnädige Komteß sich alle Mühe gibt, ein ›Bild ohne Gnade‹ zu markieren. Im übrigen geht die Bevorzugung für Iris entschieden zu weit. Adelheid läuft in einem Aufzuge herum, der mehr als bescheiden ist, nur damit ihre Schwester sich wie eine große Dame putzen kann. Ist dir das noch nicht aufgefallen, Mutti?«

»Eigentlich nicht, mein Junge«, entgegnete sie betroffen. »Heidi ist aber auch so ganz anders als Iris.«

»Drum eben«, lachte er herzlich. »Und nun laß endlich deine Heiratspläne, Muttchen. Denke an unsere Mary, die uns bald mit ihrer Anwesenheit beglücken wird.«

*

Die Schwestern ritten eine Weile stumm nebeneinander. Heidi wagte es nicht, Iris anzusprechen, weil das böse Licht in deren Augen nichts Gutes verhieß. Dann war es nämlich nicht ratsam, die Ältere zu reizen, die sich in ihrer Selbstherrlichkeit wie ein Gott vorkam, dem alles anbetend zu Füßen zu liegen hatte. Und was ihr heute angetan worden war, hätte gewiß auch bescheidenere Mädchen bis ins tiefste verletzt. Das konnte Heidi sehr wohl verstehen.

Auf dem Gutshof von Laubern kam ihnen der Vater entgegen, der mit seiner kräftigen Gestalt und dem sonnengebräunten, ein wenig derben Gesicht einen erfreulichen Anblick bot. Vergnügt blinzelte er den Töchtern zu.

»Nun, Marjellchen, Station gemacht auf Regglinsgrund, hm? Was machen denn Seine Gnaden?«

Verblüfft sah er den Mädchen nach, die rasch aus dem Sattel glitten und auf das Haus zueilten. Kopfschüttelnd folgte er ihnen und kam gerade dazu, als Iris sich in ihrem Zimmer auf den Diwan warf und in Tränen ausbrach.

»Was hat sie denn?« fragte der Vater seine zweitgeborene Tochter, die neben der Mutter stand. »Hat man ihr etwa in Regglinsgrund etwas zuleide getan, Adelheid?«

»Ja«, kam bedrückt die Antwort.

»Wodurch? Antworte!« herrschte er die Tochter an.

»Harro Regglin hat – hat – sich – verlobt«, sagte Heidi stotternd.

Zuerst starrte der Vater sie wie entgeistert an, dann brach es aus ihm heraus:

»Du bist wohl verrückt geworden, wie?!«

Heidi war es zwar gewohnt, von den Eltern lange nicht so liebevoll behandelt zu werden wie der Abgott Iris, aber daß der Vater sie so anfuhr, obwohl sie schuldlos war, das machte sie aufsässig. Trotzig warf sie den Kopf in den Nacken und funkelte den Vater an.

»Dann muß Tante Liane wohl verrückt sein, die mit der Neuigkeit aufwartete, daß Harro sich verlobt hat und morgen zu seiner Braut fährt.«

Bums, flog die Tür zum Nebenzimmer zu, wo Heidis bescheidenes Reich war, das an dem der Schwester gemessen direkt ärmlich wirkte. Jedenfalls hätte die Zofe einer eleganten Frau es entrüstet abgelehnt, in einem solch bescheidenen Zimmer zu hausen. Allein, für Aschenputtelchen Heidi war es gut genug.

Nachdem Illsund sich über das ungebührliche Benehmen seiner Tochter Adelheid ausgepolstert hatte, sprach er mit seinem Abgott in einem Ton, an den dieser nicht gewohnt war:

»Himmeldonnerwetter, hör mit der Heulerei auf! Sag’ lieber, was dir geschehen ist, damit ich dir helfen kann.«

»Was willst du von mir?« fauchte Iris wie eine kleine Wildkatze auf. »Du hörtest doch schon von Heidi, was Tante Liane uns verraten hat. Harro ist verlobt und besucht morgen seine Braut. Aus.«

Damit drückte sie das Gesicht in die Kissen und schluchzte aufs neue, während der Vater sich mit zwei Fingern in den Kragen fuhr, als wäre er ihm zu eng.

Dann stieß er die Fäuste in die Hosentaschen und lachte grimmig auf.

»Also haben Seine Gnaden genauso mit dir gespielt wie mit allen andern, mein Kind. Während er uns alle in dem Glauben ließ, daß er dich dereinst heimführen würde, bereitete er in aller Heimlichkeit seine Verlobung vor. Da soll doch der Deubel dreinschlagen!«

Mit langen Schritten lief er in dem lauschigen Gemach auf und ab wie ein gefangenes Tier. Sein Gesicht war stark gerötet, die Brauen zogen sich finster zusammen, ein Zeichen, wie sehr Grimm und Groll in ihm tobten. Bang ging der Blick der Gattin zu dem Erregten hin. Die stille Frau, die sich dem herrischen Willen ihres Mannes beugen mußte und daher niemals wagte, ihre eigene Meinung kundzutun, zuckte erschrocken zusammen, als er plötzlich den Schritt vor ihr verhielt und sie anfuhr, als wäre sie an allem schuld:

»Was sagst du nun dazu, Frau?«

»Ich weiß nicht, lieber Mann.«

»Natürlich«, unterbrach er sie unwirsch, »wann wißt ihr Frauen überhaupt mal was. Ihr könnt nichts anderes als jammern und plärren. Jetzt sitzt du da mit deiner sechsundzwanzigjährigen Tochter, die du wie eine Prinzeß erzogen hast. Es ist, um auf die Akazien zu klettern!«

Damit stürmte er hinaus, unzufrieden mit sich und der ganzen Welt.

*

Das war ein buntes, vergnügtes Leben und Treiben in dem eleganten Seebad. Das Herz konnte einem aufgehen angesichts der vergnügten Sommergäste, die sich dort tummelten. Lachend tollten große und kleine Menschen in dem lauen Wasser umher, saßen auf drolligen Gummitieren, haschten nach riesigen Bällen, trieben allerlei Allotria und erfüllten alles ringsum mit ihrem Jubel. Andere lagen am Strand, wieder andere belebten die Promenade. Alles in allem boten sie ein herzerquickendes Bild sorgloser, ferienübermütiger Menschen.

Harro Regglin saß auf einer Promenadenbank und nahm das frohe Bild belustigt in sich auf. Bei seiner nicht alltäglichen Erscheinung blieb er selbstverständlich nicht lange unbemerkt. Mit Vergnügen sah er die Blicke der schönen Frauen, und da er einem Flirt niemals abgeneigt war, ließ auch er seine Augen spielen. So stand er denn bald unter einem Kreuzfeuer von Blicken, das ihn hätte überwältigen müssen. Aber das passierte dem Schwerenöter nicht so leicht, er konnte allerhand vertragen.

Erst als die Sonne am Horizont verschwand und ein prächtiges Farbenspiel am Himmel zurückließ, erhob er sich und schlenderte dem Kurhotel zu, wo er für sich und seinen Diener Zimmer belegt hatte. Mit Vergnügen nahm er wahr, daß einige junge Mädchen ihm folgten, wahrscheinlich, um herauszubekommen, wo er wohnte. Am Portal des Hotels wandte er sich um und winkte ihnen lächelnd zu, die darob verlegen kicherten. Als er sein Zimmer betrat, um sich zum Abendessen umzukleiden, erwartete der Diener ihn bereits.

»Nun, Albert, haben Sie Bescheid von Fräulein Bracht?«

»Sehr wohl. Das gnädige Fräulein wird morgen zwischen elf und zwölf Uhr von den Herrn Grafen zu sprechen sein.«

»Na schön. Hat Ihnen das gnädige Fräulein das persönlich gesagt?«

»Nein. Ich erhielt von der Zofe den Bescheid.«

»Ausgezeichnet. Nun machen Sie mich so schön wie möglich, damit ich vor den süßen Mädelchen würdig bestehen kann.«

Albert lächelte niemals; seiner Ansicht nach vertrug sich das nicht mit der Würde eines wohlgeschulten Dieners. Doch hätte er in diesem Augenblick gelächelt –, es wäre vielsagend gewesen. In den vierzehn Jahren, da er seinem Herrn stets auf dessen Reisen begleitete, hatte er so manches gesehen und gehört. Daher schätzte er die Frauen nicht sonderlich.

Als der Graf den großen Speisesaal betrat, amüsierte er sich über die vielen neugierigen Blicke, die ihn ganz unverhohlen musterten. Er setzte sich an einen kleinen Tisch, von dem aus er den Raum übersehen konnte.

Schau an, da waren auch einige der Pusselchen, die ihm auf der Promenade so nett die Zeit vertrieben hatten. Sie drehten sich bald ihre reizenden Hälschen nach ihm aus.

Exklusive Gesellschaft, stellte er abschätzend fest. Es gab nur wenige Ausnahmen, die extravagant gekleidet waren und es schön fanden, sich recht auffallend zu benehmen.

Jene Kleine dort, mit den dunklen, sehr kurz geschnittenen Haaren und der mehr protzigen als geschmackvollen Aufmachung gehörte zu ihnen. Ihr standen Launenhaftigkeit und kapriziöse Einfälle schon auf der Stirn geschrieben. Damit schien sie auch jetzt die drei Herren, die mit ihr am Tisch saßen, in Atem zu halten. Die Dame entsprach so ganz der Vorstellung, die er sich von seiner Mary gemacht hatte. Also mußte sie es wohl auch sein.

Als der Ober ihm das Essen brachte, fragte er ihn:

»Die Dame dort in Gesellschaft der drei Herren –, das ist doch wohl Fräulein Bracht?«

»Sehr wohl, Herr Graf.«

Also doch! Er beobachtete nun die junge Dame unausgesetzt, die es bald bemerkte und ihm kokette Blicke zuwarf. Ihr auffallendes Benehmen zog die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich, um deren Mund ein eigenartiges Lächeln spielte. Nur Harro Regglin lächelte nicht mehr.

Zuerst wirst du dir deine Ungeniertheit abgewöhnen müssen, mein Kind, dachte er verbissen. Denn so wie du darf sich die Herrin von Regglinsgrund, die den ihr Untergebenen mit gutem Beispiel voranzugehen hat, nicht betragen!

Unwillkürlich mußte er an seine Mutter denken, an die schöne, stolze Frau, der alles verhaßt war, was auffallend wirkte. Welche Zumutung, ihr diese Schwiegertochter ins Haus zu bringen!

Harro wartete, bis sich die Gäste fast alle verzogen hatten und bis auch das extravagante Fräulein sich erhob. Sie verabschiedete ihre Verehrer und sah dann mit aufforderndem Blick zu dem Fremden hin, als sie langsam aus dem Saal schritt.