Die Elf Augen - B. L. Hach - E-Book

Die Elf Augen E-Book

B. L. Hach

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Beschreibung

Am Morgen ihres zwölften Geburtstages bekommen die Zwillinge Agatha und Arnold einen gehörigen Schreck: Ihre Eltern sind verschwunden! Sie wurden entführt! Bald erfahren die Kinder, dass ihre Eltern Geheimagenten sind und dem Bund der "Elf Augen" angehören. Dieser hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Königreich Mirada von seinem Tyrannen zu befreien. Die Kinder schnappen sich ihre Babyschwester und den Familiendackel und machen sich auf, um die Eltern zu befreien. Ihre Reise führt sie nach Banilea, ein Land, in dem die Menschen auf Bäumen leben und mit Teppichen durch die Lüfte fliegen. Mehr als einmal geraten die Kinder in Lebensgefahr, dabei entdecken sie nach und nach ihre besonderen Fähigkeiten. Aber ob die ausreichen, um das Abenteuer zu bestehen?

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Seitenzahl: 368

Veröffentlichungsjahr: 2016

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B. L. Hach

Die Elf Augen

Agathas und Arnolds erste Reise

Imprint

Die Elf Augen B. L. Hach

published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de Copyright: © 2016 B. L. Hach

Konvertierung: Sabine Abels www.e-book-erstellung.de

Hinter dem Namen B. L. Hach verbirgt sich ein Mutter-Tochter-Team aus Berlin. Die eine studierte Journalismus, die andere Kreatives Schreiben – eine gelungene Kombination, davon sind beide überzeugt. Ebenso wie von der Inspiration durch weite Reisen, kleine und große Kinder sowie eigenwillige Dackel.

Für Robin, deren erste Töne auf eine äußerst zufriedene Allparla schließen lassen.

Und für Lio und Oscar, die mit ihrem Witz und ihrer Energie jeden Klyor mit Leichtigkeit zur Strecke bringen würden.

Und natürlich für Felix, den unvergessenen trickreichen Ausbrecherkönig und Superdackel.

Gefahr in der Nacht (Prolog)

Die Zwillinge haben immer wieder den selben Traum.

Zuerst ist da dieser Wind, der an den Fenstern rüttelt. Fast schon ein Orkan. Dann ist da ein Peitschen in der Luft, es klingt, als würden tausend Flügel schlagen. Das Kreischen setzt ein, so schrill, dass es am nächsten Tag noch in den Ohren pfeift. Es teilt die Nacht in ein Davor und ein Danach. Wer es gehört hat, weiß: Nichts ist mehr, wie es war. Agatha und Arnold wälzen sich in ihren Betten, nass geschwitzt sind sie; sehen blutrote Augen und einen Schnabel, scharf wie ein gewetztes Messer. Und dieser Gestank, immer ist da dieser Gestank, der ihnen den Atem nimmt! Verfault und vergoren. Durchhalten, Kinder, gleich ist es vorbei.

Da sind sie schon, die anthrazitfarbenen Federn, die von der Zimmerdecke regnen und alles bedecken. Jede Nacht aufs Neue.

Ein hartnäckiger Alptraum. Mehr nicht?

1. Kapitel

Ein letzter Tag zu Hause

»Herr Schmidt, nimm dich in Acht!« Agatha stolperte die Holztreppe hinunter. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar wehte um ihr Gesicht. Weit von sich gestreckt hielt sie ihren Anzug der Jugendfeuerwehr, von dem eine verdächtig gelbe Flüssigkeit auf die Holzdielen tropfte.

Von dem Übeltäter, dem Zwergdackel Herr Schmidt – das »Zwerg« war ihm wichtig, manche hielten ihn tatsächlich für einen winzigen Kaninchendackel – war nichts zu sehen. »Pass doch auf!«, schnauzte Agatha ihren Zwillingsbruder Arnold an, der auf dem Weg nach oben zu den Kinderzimmern war. Mit seiner angelaufenen Taucherbrille hatte er sie nicht kommen sehen.

Normalerweise war Agatha zu ihrem Bruder deutlich netter, immerhin war er dreizehn Minuten älter. Aber sie hatte einfach schon wieder so schlecht geschlafen! Die Anspannung wuchs von Tag zu Tag. Hinter jeder Ecke, hinter jeder Tür befürchtete sie ... ja, was eigentlich? Jedenfalls war sie erschrocken, als ihr Bruder mitten auf der Treppe stand. So plötzlich, wie die nächtlichen Schatten.

Agatha stürzte ins Badezimmer und hielt das linke Hosenbein ihres Anzugs unter heißes Wasser. Ihre Mutter Thea lag in der Badewanne, hatte die Augen geschlossen und summte vor sich hin. Sie war umgeben von einem enormen Berg aus duftendem Schaum. Agatha sah gerade noch ihren Kopf mit den raspelkurzen, blonden Haaren. Wie jedes Mal wunderte sie sich, wie ihre so groß gewachsene Mutter sich so klein zusammenfalten konnte.

»Herr Schmidt hat wieder auf meinen Anzug gepinkelt«, beschwerte sich Agatha. Ihre Mutter reagierte nicht. Da entdeckte Agatha die Kopfhörer auf ihren Ohren. Sie stöhnte. Bestimmt hörte Thea wieder irgendeine Entspannungsmusik.

Agatha wendete ihren Anzug im Wasserstrahl. Dabei achtete sie darauf, nicht mit den ekligen Flecken in Berührung zu kommen. »Mama!«, rief sie entnervt. »Ich komme sicher zu spät.«

Endlich nahm ihre Mutter die Kopfhörer ab. »Agatha-Maus, was sagst du?«, fragte sie blinzelnd.

Agatha hielt den durchtränkten Anzug in die Höhe.

Thea seufzte. »Hat er etwa schon wieder …? Kaum zu glauben, dass so einer adlig ist! Vielleicht solltest du öfter mit ihm spazieren gehen, dann wäre unser Liebling von Neu-Kläffstein nicht so frustriert!«

Woher sollte Thea wissen, dass Herr Schmidt – der sich nach seiner Geburt einen bürgerlichen Namen zugelegt hatte, weil er meinte, alles zu sein, nur kein Angeber – aus reiner Bequemlichkeit ins Haus pinkelte? Außerdem gehörte sich das nun einmal so: Rüden markierten ihr Reich und alles, was sich darin befand: Stühle, Vorhänge, Stehlampen und eben auch den ein oder anderen Feuerwehranzug. Wenn er auf dem Boden lag, wo er sowieso nicht hingehörte.

Agatha, die sich mittlerweile in das nasse Ding gezwängt hatte, überhörte den Vorwurf. »Ich komme zu spät! Dabei hat die Feuerwehr heute extra die Schule gesperrt! Wir üben Großeinsatz! Die brauchen mich!«

Unbekümmert verrieb Thea eine lilafarbene Flüssigkeit unter ihren Augen. »Frag doch deinen Vater, der fährt dich sicher schnell hin. Er ist …«

»Unterm Dach, ich weiß«, unterbrach Agatha ihre Mutter. »Wo auch sonst.« Sie eilte davon.

Ihr Vater Leo hatte die Dachkammer vor einigen Jahren ausgebaut, um einen Rückzugsbereich zu haben. Den Kindern war es streng verboten, den Raum zu betreten. Einen nachvollziehbaren Grund dafür hatten sie bisher nicht erfahren. Jedenfalls war es in ihrem Haus eng geworden, seit für das zu groß geratene Aquarium von Arnold zwei Zimmer zusammengelegt worden waren. Ein Meisterwerk der Architektur, da waren sich alle einig.

Ungeduldig klopfte Agatha an die kleine, weiß gestrichene Holztür zur Kammer. Wie so oft überlegte sie, ob sie ihren Eltern von ihrem wiederkehrenden Traum erzählen sollte. Er war so entsetzlich! Aber ihre Eltern waren immer sehr beschäftigt und jetzt war sowieso nicht der richtige Zeitpunkt. Baden war Thea heilig! Und wenn Leo in seiner Kammer arbeitete, hatte er nur dafür Augen und Ohren. Außerdem wollte Agatha so schnell wie möglich zur Feuerwehr. Spaß! Das war es, was sie brauchte!

Als sie sah, wie jemand durch den Türspion blickte, streckte Agatha ihre Zunge heraus. Kurz darauf wurde ein Riegel zurückgeschoben und Leo lächelte ihr durch einen schmalen Spalt entgegen. Er war etwas untersetzt und hatte, wie viele Männer seines Alters, einen kleinen Bauchansatz. In seinen dunklen, grau melierten Locken steckte eine Lupe, die umständlich an einem Gummiband befestigt war.

»Ich habe eine neue Lieferung Briefmarken bekommen, die ich gerade untersuche«, erklärte er. »Ganz seltene Exemplare. Magst du sie sehen? Ich hole sie gerne raus.«

»Vielleicht ein andermal«, sagte Agatha. »Ich muss jetzt zur Feuerwehr. Fährst du mich?«

Ihr Vater nickte, wenn auch widerwillig. »In Ordnung. Ich habe sowieso Kopfweh vom Augenzusammenkneifen. Das ist ziemlich anstrengend, weißt du.«

Arnold trug immer noch seine Taucherbrille, mittlerweile blank poliert. Außerdem hatte er einen Schnorchel im Mund und Flossen an den Füßen. Damit tauchte er in seinem riesigen Aquarium zwischen den Fischen herum. Die Träume hatten selbst ihn, der sonst so gelassen war, ziemlich durcheinandergebracht. Um sich zu entspannen, schwamm und tauchte er. Vor Kurzem hatte er zudem bemerkt, dass der Turm seiner Dekorationsburg schief im Wasser stand. Den wollte er so schnell wie möglich aufrichten: Sein und Agathas zwölfter Geburtstag stand vor der Tür. Dafür sollte alles schön sein!

Blöderweise war das Befestigen des Turms schwerer als gedacht. Arnold fluchte unter Wasser und Blasen stiegen auf – sehr zur Freude seiner Babyschwester Greta, die mit einem Schnuller im Mund vor dem Aquarium saß. Dass ihre Locken dringend mal wieder gekämmt werden mussten, sah Arnold selbst durch das Wasser. Aber von Bürsten jeder Art, ob Haar- oder Zahnbürsten, hielt Greta gar nichts. Und sie war ziemlich willensstark. Selbst Herr Schmidt war stets bemüht, der Kleinen alles recht zu machen. Sonst ließ sie einen Schrei fahren, der einem durch Mark und Bein ging. Außerdem konnte sie blitzschnell wegkrabbeln. Nur mit dem Laufen haperte es noch ...

Arnold kniff die Augen zusammen. Mit was spielte die Krabbelkönigin denn da? War das eine Feder?! Nein, nur ein Plastikfisch. Der nicht mal entfernt Ähnlichkeit mit den anthrazitfarbenen Federn hatte, die Arnold in seinem Traum wie meterhoher Schnee bedeckten. Er winkte Greta und drückte ihr zuliebe seine Nase an der Scheibe platt.

Dann machte er einen Handstand. Kopfüber sah er, dass das Dach der Plastik-Bäckerei halb abgerissen war.

»Verdammt«, blubberte Arnold.

Das war mehr als ärgerlich! Er hatte das Haus erst letzte Woche gebaut! Irgendeiner seiner neuen Goldfische war ein richtiger Rowdy. Oder war es möglich, dass heute Nacht, durch diesen unglaublichen Wind alles durcheinander geraten war?! Arnold schüttelte den Kopf über sich selbst. Schon seit Wochen war das Wetter herrlich. Den Sturm hatte er ja nur geträumt! Genau wie die Federn ... was war nur los mit ihm? Arnold beschloss, dass er zur Beruhigung seiner Nerven dringend eine Stärkung brauchte. Er tauchte auf, kletterte aus dem Glasbecken und nahm sich das gestreifte Handtuch, das am Rand bereitlag.

»Na, Greta«, sagte er und rubbelte sich über die dunklen Haare, »hast du auch so einen Hunger?« Begeistert haute Greta ihm zweimal mit dem Plastikfisch gegen das Knie. Das war ein deutliches Ja. Arnold band sich das Handtuch um die Hüfte, nahm seine glucksende Schwester auf den Arm und ging, nasse Fußabdrücke hinterlassend, mit ihr in die Küche.

Im Erdgeschoss war alles ruhig. Spätestens zum Abendbrot würde sich die ganze Familie an dem runden Tisch im Esszimmer versammeln. Prunkstück war Gretas blau getupfter Hochstuhl, in dem sie kaum noch saß. Sie fühlte sich längst viel zu groß dafür! Um ihr den Platz schmackhaft zu machen, hatte Leo sich einmal in das Ding gezwängt. Doch ohne Erfolg. Beim nächsten Essen hatte Greta darauf bestanden, dass er wieder darin Platz nahm. Demonstrativ hatte sie ihm sogar ihr Lätzchen zugeworfen. Sie machte es sich lieber auf dem flachen Sofa oder dem einen Holzstuhl bequem. Auf dem zweiten Stuhl saß nur Thea. Sie hatte die Angewohnheit, ihre Melonenkaugummis (»Meine einzige Sucht«, wie sie gerne erklärte) unter die Sitzfläche zu kleben. Das ekelte ihre Familienmitglieder so sehr, dass Thea den Stuhl immer sicher hatte.

***

Am Abend, als Arnold im Bett lag, überlegte er, zu Agatha zu schleichen. An sie gekuschelt würde er sich nicht so fürchten, wenn es nachts wieder losgehen würde mit dem Gekreisch und Geschrei.

Ablenkung. Das würde ihm guttun. Arnold zwang sich, über seinen und Agathas Geburtstag nachzudenken. Morgen war es schon soweit! Normalerweise dürften seine Gedanken um nichts anderes kreisen. Er fragte sich, ob seine Eltern den kleinen Katzenhai aufgetrieben hatten, den er sich so sehr wünschte. Es war ein ungefährliches Exemplar und würde sich gut zwischen seinen anderen Fischen machen. Schon seit Tagen suchte Arnold nach einem geeigneten Namen für sein neues Haustier, Tom fand er gut. Agatha hatte nur gelacht und gemeint, Hainrich wäre doch viel passender.

Schließlich gab Arnold gab den Versuch einzuschlafen auf. Er wollte noch eine Runde Mitternachtsschwimmen betreiben – sehr zum Leidwesen seiner Fische, die ihre Ruhe brauchten. Aber da hatte Arnold sich schon seine Badehose geschnappt. Langsam ließ er sich ins Wasser gleiten.

Ein Zimmer weiter warf Agatha sich in ihrem zitronengelben Himmelbett unruhig von der einen Seite zur anderen. Sie hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. War ihr Leos legendäres Champignonsüppchen mit Knoblauchcroûtons nicht bekommen? Vielleicht waren die Pilze schlecht gewesen. Oder hatte Agatha einfach nur Angst, einzuschlafen – weil sie genau wusste, dass sie kurz nach Mitternacht aufschrecken würde?!

Sie beneidete Herrn Schmidt, der satt und zufrieden neben ihr schnarchte. In der Hoffnung, sich sicherer zu fühlen, hatte Agatha ihn vorhin aus seinem Körbchen gehoben und in ihr Zimmer geschleppt. Kaum richtig aufgewacht war er dabei! Als Wachdackel war Herr Schmidt also ziemlich ungeeignet – da konnte er glauben, was er wollte.

Agatha knipste die Nachttischlampe an und versuchte, sich mit dem Lesen der Tageszeitung abzulenken. Genauer gesagt mit den Todesanzeigen, die ihre Lieblingsrubrik waren.

Agathas Lieblingsverstorbener an diesem Abend war der Dirigent Wladi T. Rohowski. Siebenunddreißig Jahre war er nur geworden, wie Agatha mit leichtem Schaudern ausrechnete. Sie stellte sich vor, wie er sich auf seiner ersten Welttournee vor Aufregung mit dem Taktstock in die Nase gestochen hatte und ins Stolpern kam. Er landete zwischen den Becken des Musikers hinter ihm, der ausgerechnet in diesem Moment sein Instrument mit aller Kraft zusammenschlug. Schädelbruch, gar keine Frage.

Agatha, die im Schneidersitz auf ihrem Bett saß, schnitt die Anzeige sorgfältig aus und heftete sie an die Rosentapete hinter sich. Dort hingen neben anderen Todesanzeigen auch Zeitungsartikel über aufregende Kriminalfälle und tragische Unfälle. Agatha las die Zeitung von vorne bis hinten, aber müde wurde sie nicht. Sie beschloss, rasch einen Blick auf ihre Familie werfen und sich zu vergewissern, dass in der Zwischenzeit keiner an einer Pilzvergiftung gestorben war. Außerdem wollte sie aus dem Fenster sehen, um sicherzugehen, dass kein wild gewordener Vogelschwarm das Haus belagerte. So, wie sie sich früher immer vergewissert hatte, dass unter ihrem Bett kein Monster saß. Pfff ... ein Monster! Agatha musste fast lachen. Ein Monster! Wie harmlos gegen diese Wesen, die sie in ihren Träumen besuchten.

Im Dunklen schlich Agatha durch das Haus. Huch, was war denn das? Beinahe wäre sie gestolpert. Auf dem Teppich vor der Haustür lag etwas. Ein dicker Brief, der im Mondlicht schimmerte. Sollte sich doch ihr Vater darum kümmern, immerhin war er hier der Postbote! Als Agatha weitergehen wollte, fiel ihr auf, dass die Briefmarke sich ständig veränderte: Eben leuchtete sie noch grün, jetzt war sie dunkelblau. So etwas hatte Agatha noch nie gesehen und das sollte schon etwas heißen, schließlich war sie die Tochter eines leidenschaftlichen Postboten und noch leidenschaftlicheren Briefmarkensammlers. Agatha betrachtete die Marke genauer.

Es war eine Art Hologramm. Wenn man die Briefmarke von der einen Seite anschaute, war ein Auge zu sehen, von der anderen Seite sah man eine Weltkugel. Leo wäre begeistert, sicher war die Briefmarke ein sehr seltenes Exemplar. Agatha würde ihren Vater gleich morgen früh fragen, in welchem Land es so schicke Marken gab.

Agathas Bedenken waren unbegründet. Allesamt schlummerten sie friedlich; Leo, Thea und Greta, die wieder einmal durchgesetzt hatte, bei ihren Eltern in der Ritze zu schlafen. Bis zum Morgen würde sie ihren Vater mit Sicherheit auf den Fußboden geschoben haben. Fehlte nur noch Arnold. Agatha machte sich auf den Weg zum Zimmer ihres Zwillingsbruders. Der Anblick des beleuchteten Aquariums versetzte sie immer in eine ruhige Stimmung. Vor allem nachts, wenn das ganze Zimmer blau schimmerte. Die Pflanzen im Wasser bewegten sich langsam hin und her, die meisten Fische hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen, nur ein paar schillernde Guppys waren zu sehen. Dazwischen drehte Arnold seine Runden.

Flink kletterte Agatha die Strickleiter am Aquarium hoch und setzte sich auf die Luftmatratze, die im Wasser trieb.

»Na«, begrüßte sie ihren Bruder, der sich zu ihr auf die Matratze zog. Sie gab sich alle Mühe, gut gelaunt zu klingen. Über ihre Träume hatten sie genug geredet, stundenlang. Nur waren sie dabei nicht weitergekommen. Deshalb hatten die Zwillinge beschlossen, das Ganze so gut es ging, zu ignorieren. Vielleicht hörte es ja von selbst auf.

»Glaubst du, du kriegst den Hai?«, fragte Agatha.

»Ich hoffe es!«

Es begann eine Diskussion über den perfekten Geburtstagskuchen. Arnold, der Sahniges bevorzugte, war für eine klassische Schwarzwäldertorte. Agatha wünschte sich einen Apfelkuchen.

Als sie sich gerade auf Kirschapfelkuchen geeinigt hatten, mit Sahne auf der einen Seite, schliefen sie ein. Auf der Luftmatratze war zwar nicht viel Platz, aber dafür war es ziemlich gemütlich.

Ein paar Stunden später wachte Agatha auf. Sie lauschte und blinzelte. Alles war ruhig. Kein bedrohlicher Schatten war zu sehen. Sie beschloss, in ihr eigenes Bett zu gehen, bevor sie doch noch ins Wasser fiel. Außerdem wartete da ja immer noch Herr Schmidt, der sicher beleidigt wäre, wenn er am Morgen ganz allein aufwachen würde.

Agatha war kaum wieder eingeschlafen – kurz nach Mitternacht – als es los ging.

2. Kapitel

Schreckliches Erwachen

Federn. Überall diese dicken, schweren Federn. Sie fielen auf Agatha hinab wie Schnee, begruben sie wie eine Lawine. Agatha versuchte, einen Arm zu bewegen, sich freizustrampeln. Ohne Erfolg. In der Ferne hörte sie das Kreischen, merkwürdig gedämpft durch die Decke aus Federn. Vor Agathas innerem Auge blitzte ein Vogelschwarm auf. Aber waren das wirklich Vögel? Es waren riesenhafte Wesen mit drei, vier ... sechs kräftigen Flügeln. Und da war dieser enorme, unrasierte Kerl. Er schwang eine Peitsche. Ein Vogeldompteur? Agatha war, als beugte er sich über sie. »Das ist nur die Tochter«, brummte er. »Wir müssen weitersuchen.«

»Weitersuchen, nach was? «, wollte Agatha fragen. »Nach wem?« Da spuckte der Kerl ihr mitten ins Gesicht. Nass und klebrig fühlte der Batzen sich an. Ein Klirren lenkte Agatha ab, gefolgt von einem lauten Poltern. Direkt über ihr. Dann waren da diese Flüche, in einer nie gehörten Sprache. Langsam, viel zu langsam, entfernten sie sich ...

Agatha öffnete die Augen. Sie blickte direkt in Herrn Schmidts kleines Dackelgesicht. Er saß neben ihrem Kopfkissen und leckte sie liebevoll mit seiner langen, schmalen und etwas ekligen Zunge ab.

»Herr Schmidt, hör sofort auf!«, rief Agatha panisch. Eine Hundezunge war ein wahres Paradies für die allergefährlichsten Bakterien der Welt!

Herr Schmidt merkte sofort, dass seine Küsse bei Agatha nicht auf Gegenliebe stießen. Schmollend verzog er sich an das Fußende des Bettes. Kurz überlegte er, ob er sich an Agatha rächen und an ihren Schreibtisch pinkeln sollte. Aber er war im wahrsten Sinn des Wortes hundemüde, da er wie jeden Abend Leos Cognac ausgeschlabbert hatte. Er war eben ein echter Genusshund! Außerdem ließ ihn so ein Tröpfchen einfach besser schlummern. Wer so gute Ohren hatte wie er, wurde sonst ständig wach, da reichte das Husten einer Fliege!

Bevor Herr Schmidt es sich für seine zweite Runde Schlaf gemütlich machte, streckte er sich kräftig aus und machte den Hund, eine von Theas Yogaübungen: Mit dem Oberkörper legte er sich flach auf die Matratze, stellte die Hinterbeine auf und schob den Po soweit es ging nach oben – der Rücken musste ganz lang werden. Das konnte er als Dackel natürlich besonders gut, weshalb er damit immer jede Menge Neid weckte. Er schielte zu Agatha. Sah sie, wie sportlich er war? Noch dazu so früh am Morgen? Aber nein, sie zog sich die Decke über den Kopf! Agatha wollte über den Traum nachdenken, der heute anders gewesen war. Irgendwie echter und näher. Bedrohlicher. Woran das gelegen hatte?

Da fiel Agatha etwas anderes ein: Geburtstag! Sie und Arnold wurden heute zwölf! Eine riesige Freude stieg in Agatha auf, in ihrem Bauch schienen Tausende von Ameisen zu krabbeln. Die Neugier auf die Geschenke breitete sich aus.

»Weißt du, wer heute Geburtstag hat, du kleines Hundebaby?«, gurrte sie, drückte Herrn Schmidt einmal fest an sich und kraulte ihn hinter den Ohren. »Gratulier mal deinem lieben Frauchen!«

Herr Schmidt war irritiert. Gerade noch hatte Agatha ihn angeschrien und nun säuselte sie ihm ins Ohr! Er beschloss, gelassen zu bleiben, desinteressiert zu wirken und die Augen fest geschlossen zu halten.

Schließlich schnappte Agatha sich den Dackel, klemmte ihn unter ihren einen Arm und das Geschenk für Arnold unter den anderen. So eilte sie in sein Zimmer. Etwas unsanft setzte sie Herrn Schmidt auf dem Boden ab. Mit Schwung warf sie sich neben ihren tief schlafenden Bruder.

»Arnold, Bruderscherz! Guten Morgen!«

Arnold zuckte zusammen. Kurz schien es, als traute er sich nicht, die Augen zu öffnen. Sah er etwa auch diesen riesenhaften Vogeldompteur vor sich? Da war der Moment vorbei. Geradezu erleichtert schlang Arnold beide Arme um Agatha: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebes Schwesterherz!« Er freute sich riesig, dass Agatha ihm wie immer als Erste gratulierte.

So gehörte sich das. Zuerst wurden die Geschwistergeschenke ausgetauscht und dann wurde gemeinsam auf die Eltern gewartet. Bestimmt bereiteten Thea und Leo gerade den Geburtstagstisch vor. Bald würden sie in Arnolds Schlafzimmer marschieren – fröhlich, laut und schief singend, samt einem fetten Geburtstagkuchen. Die Kerzen darauf wären wie immer elektrisch, da Agatha sonst ständig Angst vor einem Zimmerbrand hatte.

»Ich wünsche dir auch alles Gute zum Geburtstag«, flüsterte Agatha ihrem Bruder ins Ohr.

»Schau mal, was ich für dich habe.« Hinter ihrem Rücken zog sie ein himmelblaues Päckchen hervor. Arnold schnappte es sich und riss das Papier auf. Es war ein Buch.

»Wie überlebe ich eine Hai-Attacke fast unverletzt?«, las Arnold den Titel vor. »Super, danke! Jetzt bist du dran.« Er drückte ihr ein giftgrünes Päckchen in die Hand.

Agatha konnte mindestens so schnell auspacken wie ihr Bruder. Ein feuerfester Bikini kam zum Vorschein. »Wo hast du denn den gefunden?«, rief sie und gab ihrem Bruder einen Kuss auf beide Wangen. Dann huschten die zwei unter die Bettdecke, um auf Thea und Leo zu warten.

Aber statt der elterlichen Schritte Richtung Zimmertür, hörten sie entfernt das leise Weinen von Greta. Es wurde immer lauter und jämmerlicher. Das war merkwürdig: Eigentlich weinte Greta so gut wie nie. Sie kam einfach nicht dazu, weil sämtliche Familienmitglieder sich beeilten, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Ein ungutes Gefühl machte sich bei den Zwillingen breit.

»Was hat Greta bloß?«, fragte Agatha. »Warum sehen Mama oder Papa nicht nach ihr?«

Arnold zuckte mit den Schultern. »Vermutlich sind die beiden so mit dem Aufbau des Geburtstagstischs beschäftigt, dass sie Greta gar nicht hören.«

»Dann hol ich sie eben zu uns ins Bett«, beschloss Agatha.

Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe hoch ins Elternschlafzimmer, öffnete die Tür und tatsächlich: Da lag Greta heftig weinend mitten im Doppelbett der Eltern. Ihre Nase war schon ganz rot, ihre Augen waren ganz klein!

»Mama, Papa, weg«, klagte Greta und ließ sich von Agatha auf den Arm nehmen. »Mama, Papa, aua.«

»Mama und Papa sind unten«, sagte Agatha. »Sie haben dich nicht gehört. Arme Greta-Maus. Du kommst jetzt mit zu uns ins Bett.«

Doch Greta ließ sich nicht so einfach wegtragen, sie strampelte mit aller Kraft. »Mama, Papa, aua!«, wiederholte Greta und zeigte auf das Bett.

Agatha warf einen Blick über ihre Schulter. Was sie sah, ließ sie erstarren. Auf dem Bettlaken waren Flecken. Rote Flecken. Wie hatte sie die übersehen können?

Mit schnellen Schritten ging sie zurück und beugte sich über die Matratze. »Das ist ja … das ist ja Blut«, flüsterte Agatha. Ihr Herz schlug schneller. Nun sah Agatha auch, dass das Schlafzimmer der Eltern völlig durcheinandergeraten war: Kissen und Decken lagen auf dem Fußboden. Eine Nachttischlampe war zerbrochen, die Scherben verteilten sich im ganzen Zimmer. Die Tür des Kleiderschranks war halb aus den Angeln gerissen. Der Spiegel auf Theas Kosmetiktisch war zerschmettert. Agatha nahm einen ekelhaften Geruch wahr, der ihr merkwürdig vertraut vorkam. Um nicht würgen zu müssen, hielt sie die Luft an. Ihr Magen verkrampfte sich.

Sie befürchtete einen Einbruch, einen Überfall! Ja, sogar einen Mord. Einen Doppelmord! Agatha zwang sich, ruhig zu atmen. Auf keinen Fall wollte sie Greta weiter verunsichern.

Doch dann brach es aus ihr heraus: »Mama! Papa!«, schrie sie. »Mama, Papa, wo seid ihr?«

Panik überfiel Agatha, Sie rannte, immer zwei Stufen auf einmal, die Treppe hinunter ins Zimmer ihres Bruders. Atemlos erzählte Agatha ihm von dem verwüsteten Zimmer, dem Blut und ihrer schrecklichen Theorie.

Arnold setzte sich im Bett auf und fuhr sich durch die Haare. »Jetzt mal langsam.« Es schien, als wolle er sich selbst beruhigen. »Irgendwo werden die beiden schon stecken«, sagte er betont gelassen. »Wir können nachsehen!«

Nachdem die Geschwister Haus und Garten erfolglos abgesucht hatten, waren sie ziemlich erschöpft. Nur Herr Schmidt wurde von Minute zu Minute munterer. Bei aller Sorge um Leo und Thea, war er doch glücklich: Endlich gab es mal eine Aufgabe für den Spürhund in ihm. Ach was, Spürhund! Ein richtiger Jagdhund war er! Er versuchte, sich seine Freunde nicht anmerken zu lassen und richtete seine Schnauze besorgt Richtung Boden. Doch innerlich hüpfte sein Dackelherz! Agatha seufzte schwer. Es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als die Polizei einzuschalten.

Doch Arnold hatte eine letzte Idee.

»Es gibt einen Ort, an dem wir noch nicht nachgesehen haben«, sagte er. »Vielleicht finden wir da eine Spur.«

Agatha sah ihn fragend an.

Arnold holte tief Luft, ehe er flüsterte: »Papas Dachkammer.«

3. Kapitel

Die Suche beginnt

Die Zwillinge wussten: Das Betreten der Dachkammer war ihnen streng verboten. Arnold und Agatha hatten nie mehr als einen kurzen Blick hineinwerfen können. Aber dies war eindeutig eine Ausnahmesituation. Da galten keine Regeln! Sie waren geradezu dazu verpflichtet, auch dort oben nach ihren Eltern zu suchen. Kein Zweifel: Wäre der Anlass ein anderer, die Zwillinge hätten sich gefreut, sich dort endlich einmal in Ruhe umsehen zu können.

Zu viert stiegen sie die Treppe zum Schlafzimmer hoch, von dem aus man die Kammer betreten konnte. Vorsichtig klopfte Arnold ein paar Mal an die kleine Tür. Keine Antwort.

»Los, mach schon auf«, sagte Agatha und schob Arnold ein Stückchen vor. Ehrfürchtig drückte er die Klinke herunter und öffnete die Tür. Langsam wurde die Sicht auf das Innere der Kammer frei.

Tageslicht drang durch das schmale Dachfenster, die ersten Sonnenstrahlen tanzten auf dem Boden.

Herr Schmidt zappelte auf Arnolds Arm, bis dieser ihn endlich auf dem Fußboden absetzte. Auch ihm war es bisher nicht erlaubt gewesen, in der Kammer herumzuschnüffeln. Das wollte er jetzt ausgiebig nachholen.

Greta folgte ihm auf allen Vieren. Da sie nicht abgeschüttelt werden wollte, schnappte sie sich seinen Schwanz und stieß schließlich einen ihrer gefürchteten Schreie aus. Da verstand der Dackel endlich und wartete auf sie.

»Mach aber bitte nichts kaputt, Greta«, sagte Agatha.

Greta überhörte den Einwurf. Kaputt machte sie sowieso nie etwas! Sie bastelte. Nahm vielleicht mal das ein oder andere Ding auseinander. Nur, um zu gucken, ob sie es wieder zusammensetzen konnte. Dass das nicht immer der Fall war, konnte man ihr nicht vorwerfen! Sie war doch noch ein Kleinkind!

Auch für den Dackel hatte Agatha eine Warnung parat:

»Wage es nicht, den Dreibeiner zu spielen und irgendwo hin zu pinkeln!«

Herr Schmidt, für den das, was Agatha geringschätzig den Dreibeiner nannte, eine schwierige Balanceübung war, nahm die Drohung gelassen entgegen. Die Schnauze dicht am Boden, den Schwanz Richtung Himmel gestreckt, versuchte er, die Spur der Vermissten aufzunehmen. Da er die letzte Nacht wegen seines leichten Schwips verpennt hatte, wollte er wenigstens jetzt sein Bestes geben. Aber auch Herr Schmidt nahm vor allem diesen ekelhaften, leicht vergorenen Geruch war. Angewidert rümpfte er die Nase. Kurz versuchte er, sich die Schnauze mit einer Pfote zuzuhalten, aber das brachte ihn nur zum Stolpern.

Greta schien der Gestank als einzige nicht zu stören. Sie wurde vom Funkeln der Sonnenstrahlen angezogen und krabbelte in die Mitte des Raumes, wo sie sich in einen hellen Lichtfleck setzte.

Arnold und Agatha standen noch immer an der Tür.

Was für ein Durcheinander hier herrschte! Was für ein Chaos!

Fassungslos schüttelte Arnold den Kopf. »Kein Wunder, dass wir hier nie rein dürfen«, meinte er zu seiner Schwester. »Wie sollte Papa jemals wieder von uns verlangen, dass wir unsere Zimmer aufräumen?«

Tatsächlich war das kleine Zimmer vollgestopft mit allen möglichen Dingen. Direkt am Fenster stand ein völlig verstaubter Holzschreibtisch. Darauf lagen in wildem Durcheinander unzählige Ordner und Alben, Bücher, leere Chipstüten, Kekspackungen, Fotos und Berge von beschriebenem Papier.

Links neben dem Schreibtisch befand sich eine hüfthohe, ausgesprochen merkwürdige Maschine. Ihr Fuß bestand aus einer kreisrunden, silbrig glänzenden Platte. Daraus ragten mehrere Hundert feine Drähte nach oben. Jeder noch so kleine Lufthauch brachte die Drähte in Schwingung. Sie gaben leise Klänge von sich, begannen zu leuchten. Manche strahlten rosa, andere himmelblau, einige glitzerten smaragdgrün und ganz wenige funkelten goldgelb.

Daneben thronte ein uralter Schrank aus Eichenholz, dessen Türen Einkerbungen und Kratzer aufwiesen. Als hätte jemand ... etwas ... seinen riesigen Schnabel daran gewetzt, dachte Agatha und erschauerte. Oder waren das Bissspuren? Agatha schüttelte sich. Was sie sich nur wieder alles einbildete! Als ihr auffiel, dass das schwere Metallschloss des Schranks durch eine massive Eisenkette mit einem noch massiverem Schloss gesichert war, wandte sie ihren Blick ab und sah aus dem Fenster.

Sie erschrak. Was war das?

Eine riesige Vogelkralle griff nach ihr! Agatha wollte schreien, aber da war die Kralle auch schon wieder verschwunden. In grauem Nebel löste sie sich spurlos auf.

Langsam wurde Agathas Herzschlag wieder ruhiger. Sie atmete tief durch. Alles Einbildung, nichts weiter. Um sich abzulenken, betrachtete sie das Regal an der gegenüberliegenden Wand. Es war vollgepackt mit Büchern und Fotoalben. In den Fächern standen auch Maschinen, in unterschiedlichen Größen, Formen und Farben. Da gab es erdbeerrote und limonadengelbe, schwarze mit weißen Punkten, goldfarbene und grüne, außerdem schokobraune mit türkisfarbenen Streifen. Manche standen auf Füßchen, andere hatte eine Bodenplatte, einige schwebten einfach so in der Luft herum. Die meisten Apparate waren kreisrund, die wenigsten waren eckig – aber sie alle waren zart, fast wie mit Samt überzogen. Freundlich sahen sie aus. Und etwas Aufmunterndes konnten die Geschwister nun wirklich gebrauchen.

»Guck mal, was ich gefunden habe« Arnold deutete auf den Aktenordner in seiner Hand. Roboter-Gebrauchsanleitungen stand darauf. Darin fand er säuberlich geordnet die Bedienungsanweisung für jede einzelne Maschine. Einen Tür-und-Tor-Roboter gab es da. ( »Ihr persönlicher Schlüsseldienst«) und, noch besser, einen Fünf-Sterne-Koch-Roboter – mit mindestens zehn Greifarmen an der Seite.

»Ha!«, rief Arnold. »Jetzt wissen wir auch, warum Papa so gut kochen kann.« Laut las er vor: »Schnellanleitung. Stellen Sie den Roboter in die Nähe einer Küche. Geben Sie das gewünschte Gericht über die Tastatur ein. Falls alle nötigen Zutaten im näheren Umkreis vorhanden sind, wird das Gericht umgehend bereitgestellt.«

Arnold spürte plötzlich, wie hungrig er war. Seit dem Aufwachen war schon einige Zeit vergangen und er hatte noch nichts gegessen. Schnell gab er ein: Brötchen, Rühreier, Speck, Käseplatte, heißen Kakao und eine Tafel Nussschokolade. Er drehte sich zu Agatha um: »Willst du auch was? Schokomüsli?«

»Dafür haben wir keine Zeit!« Agatha schüttelte den Kopf. Ehe ihr Bruder sich versah, hatte sie auch schon die Löschtaste gedrückt.

Arnold wollte gerade protestieren, als ein eng beschriebenes Blatt Papier ihn davon abhielt. Er hätte schwören können, dass ihm das Papier geradewegs in die Hand gehüpft war.

»Kannst du das lesen?«, flüsterte Arnold und deutete auf die merkwürdigen Zeichen darauf.

Agatha schüttelte den Kopf. Diese Schrift hatte sie noch nie gesehen. »Huch!«, machte sie, als das aufdringliche Blatt nun in ihre Hand sprang.

Sie zog die Augenbrauen zusammen. Das Papier fühlte sich zunehmend heiß an. Da stieg doch tatsächlich etwas Rauch auf . Am Rand glomm das Blatt bereits!

»Autsch!« Agatha ließ das Blatt fallen. Im gleichen Moment erstarben die Flammen.

Arnold hatte eine Metallzange entdeckt, mit der er das Papier hochhob. In welche Richtung er es auch drehte, die Zeichen ergaben keinen Sinn. Schlimmer noch: Er hatte den Eindruck, dass die Buchstaben sich ständig veränderten, einen neuen Platz, eine neue Form oder eine andere Größe annahmen. Er wurde einfach nicht schlau daraus und ließ von dem Blatt ab, um sich noch ein bisschen umzusehen.

Flugtechniken mit und ohne Hilfsmittel, lautete der Titel des dicksten Buches im Regal. Links und rechts daneben standen Unmögliche Bauten leichtgemacht, Wünsche als strategische Waffe und Personenbeförderung durch flexible Aufzugsysteme. Außerdem entdeckte Arnold ein Buch, das Tierstimmen verstehen und imitieren hieß, die Kleine Kulturgeschichte Miradas, eine zerfledderte Abhandlung über Briefmarken als Landkarten und andere Nachrichtenwege. So ging es immer weiter, das ganze Regal entlang.

Staunend drehten sich die Zwillinge in der Mitte des Zimmers im Kreis. Was hatte all das zu bedeuten? War ihr Vater ein heimlicher Bastler, ein Erfinder? Oder ein Historiker, der unbekannte Sprachen erforschte? Ein Sammler unbrauchbaren, alten Zeugs? Ein Zauberer? Oder einfach nur ein armer, alter Spinner?

In der Zwischenzeit hatte Greta sich auf den Weg zum Schrank gemacht. Sie rüttelte an der Eisenkette. Wie lustig das rasselte! Und es übertönte das Pfeifen, das seit letzter Nacht beinahe schmerzhaft in ihren Ohren klang ... Wie gut, dass sie nun nicht mehr allein war. Ihre Geschwister würden sich schon um alles kümmern. Sonst gab es ja auch noch ihren Herr Schmidt, der ihr auch jetzt eifrig half. Wie es sich gehörte! Greta wusste, dass der Dackel sie besonders gern mochte. Immerhin war sie die Einzige, die ihn wirklich verstand. Manchmal versuchte sie für ihn sogar zu bellen. Mit seinen kleinen Zähnen zog Herr Schmidt an der Eisenkette. Dafür musste er sich auf die Hinterbeine stellen. Unpraktischerweise war er als Zwergdackel nicht groß genug, um problemlos an die Kette zu gelangen. »Was soll das?«, rief Agatha. »Wir lassen den Schrank lieber zu.«

Arnold ignorierte den Einwand. Er begann ebenfalls an der Schranktür zu rütteln. »Geh schon auf, du blödes Ding«, murmelte er. Fast hätte er dagegentreten, als ihm etwas einfiel. Er hatte doch eben etwas von einem Schlüsseldienst-Roboter gelesen! Schnell griff er den Ordner und blätterte zur richtigen Stelle. Ja, genau. Wenn ihn nicht alles täuschte, ließ sich mit der goldgelben Maschine ganz oben im Regal problemlos jedes Schloss öffnen. Auch wenn das kaum zu glauben war: Die Maschine hatte eher Ähnlichkeit mit einer fliegenden Taschenlampe. Ohne lange zu überlegen, drückte Arnold den grünen Knopf an ihrem Schaft. Ein Lichtstrahl schoss hervor, strahlte durch das Zimmer und traf mitten auf das Schloss. Es zerschmolz wie Blei an Silvester.

Knarrend öffnete sich der Schrank und gab den Blick auf sein Innenleben frei. Arnold rang nach Luft. Was er da sah, verwirrte ihn völlig. Mal ehrlich: All die Apparate in Leos Kämmerlein waren letztendlich nicht mehr als die Arbeiten eines verrückten Bastlers. Irgendwie süß, aber harmlos. Doch das, was sich da im Schrank befand, das war etwas völlig anderes: Wie von Geisterhand schob sich eine hochmoderne Steuerungszentrale in den Raum; ein blank polierter Metalltisch, der mit kleinen Lämpchen versehen war. Dazwischen befanden sich hauchdünne Bildschirme, auf denen Zahlenreihen und bunte Kurven aufleuchteten. Es summte und piepste, dann begann eine freundliche Computerstimme in unverständlicher Sprache zu reden.

Vorsichtig näherte Agatha sich ihrem Bruder, der seinen Blick nicht von der Konsole wenden konnte.

Die Lämpchen begannen hektisch zu blinken. Die Oberflächen auf den Bildschirmen wechselten immer schneller. Jetzt waren auch Satellitenaufnahmen und eine Art Radar zu sehen. Herr Schmidt, dem das Ganze gar nicht gefiel, bellte aufgeregt.

»Meine Güte, Agatha! Was treibt Papa da bloß?«, rief Arnold. Schnell schob er den Tisch samt aller Geräte in den Schrank zurück. Die immer drängender werdende Computerstimme brachte ihn dazu, auch die Schranktür zuzuwerfen.

Da kam auch schon die goldgelbe Maschine angeflogen. Zielgenau richtete sie ihren Lichtstrahl auf die Eisenkette. Die Kette bog sich fast anmutig und fügte sich zusammen. Damit war die Tür gesichert.

Nachdem Arnold sich die Schweißperlen von der Stirn gewischt hatte, drehte er sich nach Greta um. Laut lachend schwenkte sie einen Briefumschlag in der Hand, um Herrn Schmidt damit zu ärgern. Der Dackel spielte gutmütig mit, schließlich war es seine geliebte Greta, die ihm da mit dem Umschlag auf den Kopf patschte. Brav versuchte er, danach zu schnappen. Ehrensache, dass er Greta gewinnen ließ.

»Gib her«, verlangte Agatha. »Das ist doch der Brief, der mitten in der Nacht bei uns angekommen ist!« Agatha zögerte nur eine Sekunde, dann hatte sie den Umschlag auch schon aufgerissen. »Lieber Leo, liebe Thea«, las sie vor, »wie üblich findet unser Geheimtreffen am dritten April statt. Diesmal bei Agentin Alberta. Ihr kennt die Adresse und die erschwerten Umstände. Ich freue mich, Euch bald begrüßen zu dürfen. Viel Glück bis dahin und haltet durch. Es sind schwere Zeiten für uns alle.«

Eine Unterschrift fehlte. Ratlos schaute Agatha ihren Bruder an. Der dritte April? Das war doch gestern gewesen – was hatte das zu bedeuten?

Ein lautes Poltern ließ die Zwillinge zusammenschrecken. Sie zogen sie die Köpfe ein und hielten sich die Ohren zu. Sicherlich war auch das nächtliche Geschrei gleich zu hören, das schaurige Peitschenknallen ...

Aber es waren nur Herr Schmidt und Greta, die diesen ohrenbetäubenden Lärm veranstalteten. Etwas peinlich berührt wechselten die Zwillinge einen schnellen Blick.

Greta hatte ein loses Brett in der Wand entdeckt. Unter dem Einsatz ihrer ganzen Kraft und mit Herrn Schmidts Hilfe hatte sie es zur Seite geschoben. Seit einiger Zeit spielte sie am liebsten Verstecken und vielleicht war dahinter ja ein geeignetes Schlupfloch! Mit einem letzten Ruck war das Brett auf dem Boden gelandet und Greta auf ihrem gepolsterten Hintern.

In der Wand war ein Loch zu sehen. Dahinter lag eine Art Hohlraum. Wie Greta gehofft hatte: Ein prima Versteck! Sie wollte schon durchkrabbeln, aber im letzten Moment hielt Arnold sie an der Windel zurück. Er entfernte ein zweites und ein drittes Brett und steckte selbst den Kopf durch die Öffnung.

Greta drehte sich beleidigt um: Das war ihr Versteck! Aber Arnold bemerkte es nicht einmal.

»Ich kann gar nichts sehen. Alles dunkel hier«, meinte er mit dumpfer Stimme.

Agatha wurde ungeduldig. Sie schob ihren Kopf an Arnold vorbei, zwängte ihren rechten Arm hinterher. Schon hatte sie einen Lichtschalter ertastet. Als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, staunten die Zwillinge nicht schlecht:

Da, direkt vor ihnen, lag eine Wendeltreppe.

4. Kapitel

Gefahr im eigenen Haus

Die Treppe sah nicht stabil aus. Sie führte steil hinab und es war nicht zu erkennen, wo sie endete. Agatha wollte es trotzdem darauf ankommen lassen: »Worauf warten wir noch?«, fragte sie.

Ihr Bruder zögerte kurz, dann hievte er sich Greta auf den Rücken, die vor Aufregung auf seinen Kopf trommelte. Herr Schmidt kläffte ungeduldig im Takt dazu.

Als erstes kletterte Agatha durch die Öffnung. Stufe um Stufe stieg sie nach unten, dicht gefolgt von den anderen. An der weiß getünchten Wand neben ihr hingen Fotografien in großen dunklen Rahmen. Auf einem der Fotos waren zwei große Männer mit zotteligem Haar zu sehen. Sie hielten zwei Babys in ihren Armen. Kein Zweifel: Das waren Agatha und Arnold mit ihren Patenonkeln Jamir und Jona! Ihre Eltern hatten ihnen oft erzählt, wie sie bei einem Besuch bei den beiden in den Bergen Kashondas geboren worden waren. Agatha spürte, wie sich das Amulett, das sie von Jamir und Jona zur Geburt bekommen hatte, an ihrem Handgelenk erwärmte. Sie blickte auf den grünen Turmalin, der von innen heraus leuchtete. Die fremden Schriftzeichen hoben sich deutlich hervor.

Ein anderes Bild lenkte sie ab: Es zeigte Thea und Tante Cleo, wie sie sich voreinander verbeugten. Beide trugen schwarze Stoffanzüge, die an asiatische Kampfkleidung erinnerten. Das Foto daneben interessierte vor allem Arnold: eine Unterwasserlandschaft, in der gestreifte Fische schwammen.

Auf den übrigen Bildern waren den Zwillingen unbekannte Menschen, Landschaften und Städte zu sehen. Beide waren fasziniert von der Aufnahme eines Waldes mit riesigen Bäumen. Direkt daneben hing eine scheinbar unendliche Wüstenlandschaft, in der sich ein Sturm zusammenbraute.

Die Zwillinge konnten sich kaum satt sehen. Aber sie mussten weiter, durch die Eisentür, die sie am Ende der Treppe erwartete. Die schwere Tür ließ sich erst bewegen, als sie sich alle gemeinsam dagegen stemmten.

Der Raum dahinter war ziemlich groß und roch nach Turnhalle. Der Boden war mit blauen Trainingsmatten ausgelegt. In einer Ecke standen Fitnessgeräte, ein Rudergerät und ein Laufband. Daneben lagen jede Menge Hanteln. In der Mitte des Raumes hing ein Boxsack, die Handschuhe hatte jemand achtlos auf den Boden geworfen. Am auffälligsten waren aber die Schwerter, die an einer der Wände hingen. Arnold nahm eines in die Hand und sackte sofort in den Knien ein, so schwer war es. Gegenüber befand sich eine ganze Kollektion an Messern und Dolchen, aber auch Pfeil und Bogen und merkwürdige, bunt verzierte Holzstäbe.

»Ähm, denkst du, was ich denke?«, fragte Arnold.

Agatha nickte. Ihre Eltern hatten sie immer vor Waffen jeglicher Art gewarnt. Agatha hatte ja nicht mal eine Spielzeugpistole bekommen, als sie vor Jahren an Karneval als Cowboy verkleidet hatte. Und jetzt das hier?

Herr Schmidt beschnüffelte aufmerksam den Raum. Ihm gefiel es hier. Außer nach Turnhalle roch es nach Thea und das war, gleich nach Greta, sein Lieblingsgeruch. Vor lauter Begeisterung achtete Herr Schmidt nicht darauf, wo er hinlief. So stolperte er über ein Seil, das den Boden entlang gespannt war. Entrüstet über das Hindernis, schnappte er zu. Mit aller Kraft begann Herr Schmidt an dem Seil zu ziehen.

Plötzlich gab es einen lauten Knall. Ehe die Zwillinge sich versahen, steuerte ein übergroßer Roboter direkt auf sie zu. Es schien, als hätte er hinter dem Laufband gelauert und auf den richtigen Moment des Angriffs gewartet. Sein Metallkopf drehte sich um 360 Grad, wie ein Überwachungsgerät. In seinen Augen blitzten Leuchtdioden auf. Als sich sein Blick auf die Kinder fokussierte, fuhren acht Arme aus seinem Metallkörper. Damit schlug und boxte er in alle Richtungen. Die Kinder waren einen Moment starr vor Schreck. Dann setzten ihre Reflexe ein.

»Pass auf, Agatha«, schrie Arnold.

Agatha duckte sich im letzten Moment, sonst hätte sie eine gewaltige Faust abbekommen.

»Er hat es auf Greta abgesehen«, rief sie und war schon wieder aufgesprungen.

Tatsächlich, der Roboter hatte sich um seine Achse gedreht und rollte brummend in die Mitte des Raumes. Dort saß Greta, völlig ungeschützt. Agatha konnte es kaum fassen: Dieser Roboter war feige. Er nahm sich tatsächlich die Kleinste vor! Agatha wurde wütend, so wütend wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Mit ihrer Wut spürte sie eine unglaubliche Kraft. Beinahe unbesiegbar fühlte sie sich! Mit hochrotem Kopf und lautem Gebrüll rannte sie auf den Roboter zu. So schnell, dass sie kaum noch zu sehen war. Mit voller Wucht stieß sie ihm in den harten Bauch. Der Roboter fiel hinten über – samt Agatha. Sie setzte sich auf seine Brust, wo die Schaltzentrale blinkte. Mit bloßer Faust hieb Agatha auf die Lichter und Schalter ein, in alle Richtungen stieben Funken davon. Kamen die von der Elektronik des Roboters oder ... aus Agatha selbst?! Es kümmerte sie kein bisschen. Agatha war ganz damit beschäftigt, das Metall zu zerbeulen. Bald stieg Rauch aus dem Roboterkopf empor. Es piepste ein paar Mal, dann breitete sich eine beruhigende Stille aus.

»Den hast du erledigt«, stellte Arnold fest und schluckte. Es war das erste Mal, dass er seine Schwester so gesehen hatte. So schnell, so stark. Fast wie eine Superheldin.

»Hast du dir weh getan?«

Agatha zuckte mit den Schultern. Vorsichtig tastete sie ihren Kopf nach Verletzungen ab. Es schien alles in Ordnung zu sein. Nur ihre Hände, die schmerzten höllisch! Vorsichtig beugte und streckte sie ihre Finger. Zum Glück hatte sie sich nichts gebrochen! Knöchelbrüche waren eine langwierige Sache ...

Erschöpft ließ Agatha sich auf den Boden sinken.

Herr Schmidt, der sie mit seinem Bellen die ganze Zeit über angefeuert hatte und der Meinung war, damit auch einen wichtigen Beitrag geleistet zu haben, rannte zu ihr. Mit seiner langen Zunge leckte er über ihr Gesicht. Sie waren wirklich ein gutes Team! Hätte er mehr Zeit gehabt, er hätte richtig mitgemischt! Ausnahmsweise schrie Agatha beim Anblick seiner Zunge nicht sofort los – das musste er ausnutzen …

Arnold legte sich neben seine Schwester auf den Rücken und schloss die Augen. Auch er war von dem Schreck ziemlich mitgenommen. Die Zwillinge hätten absolut nichts dagegen gehabt, sich einen Moment einfach nur auszuruhen. Aber Greta, die den Kampf wie ein lustiges Schauspiel verfolgt hatte, machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Sie hatte den überdimensionalen Bildschirm entdeckt, der direkt über ihnen an der Decke befestigt war.

»Schauen«, verlangte sie. Offenbar hielt sie das Gerät für einen Fernseher. »Schauen. Schauen.« Das konnte Stunden so weitergehen. Wenn Greta sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie hartnäckig.

Widerwillig öffnete Arnold die Augen. »Agatha«, sagte er langsam und deutete nach oben. »Guck dir das an.«

Der Bildschirm war in zahlreiche kleine Felder unterteilt. Jedes zeigte eine Aufnahme aus dem Haus. Sie erkannten das Schlafzimmer ihrer Eltern, ihre Küche und ihr Wohnzimmer! Außerdem Übertragungen aus einem anderen Wohnzimmer. Das ihnen ebenfalls bekannt vorkam.

Es dauerte einen Moment, bis Agatha es zuordnen konnte. »Das ist doch das Wohnzimmer von Tante Cleo! « Sie setzte sich auf. »Ich erkenne ihr Sofa. »Und schau mal da! Das ist ihr Schlafzimmer. Sie liegt im Bett und schnarcht!«

Aufgeregt betrachteten sie die Ausschnitte. Da war die Eingangstür von Tante Cleos Haus zu sehen, ihr Badezimmer, die Küche sowie jeder andere Raum. Nach wenigen Sekunden wechselte die Kameraeinstellung automatisch.

»Warum wird unser Haus überwacht?«, fragte Arnold. »Und das von Tante Cleo gleich mit? «

Agatha stand auf.

»Das fragen wir sie am besten selbst«, schlug sie vor. »Und zwar so schnell wie möglich.«

5. Kapitel

Tante Cleo verheimlicht etwas

Agathas Fahrrad hatte seit Monaten einen Platten. Es blieb den Kindern nichts anderes übrig, als sich auf Arnolds Rad zu verteilen. Ein Zwilling saß auf dem Sattel, der andere auf dem Gepäckträger mit Greta auf dem Arm. Herr Schmidt wurde in das Körbchen am Lenker verfrachtet. Er versuchte sich einzureden, dass das der beste Platz sei. Tatsächlich aber befürchtete er starken Fahrtwind, der seinem Fell – offiziell saufarben, aber er nannte es lieber grau meliert – nicht gut bekommen würde.

Sie wollten gerade losfahren, da entdeckten sie ihren Freund Moritz. Er wohnte im Haus gegenüber und saß wie immer auf dem Fensterbrett seines Zimmers. Von dort beobachtete er Amseln, Dompfaffen und anderes Federvieh. Seine absolute Lieblingsbeschäftigung.

»Happy Birthday!«, rief Moritz den Zwillingen zu, ohne sie auch nur anzusehen. Mit seinem Fernglas suchte er den Himmel ab.