Die Entstehung der Arten - Charles Darwin - E-Book

Die Entstehung der Arten E-Book

Charles Darwin.

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Beschreibung

Charles Darwin entwickelt in seinem bahnbrechenden Werk über »Die Entstehung der Arten« die Grundlagen der Evolutionstheorie. Darwin erklärt die Theorie anhand der Methodik der Tierzucht. Ein Züchter sorgt dafür, dass sich bestimmte Merkmale einer Tierart bevorzugt fortpflanzen. In der Natur entscheidet kein menschlicher Züchter. Ausschlaggebend für die natürliche Fortpflanzung ist die Übereinstimmung der zufälligen genetischen Eigenarten des Tieres mit den vorherrschenden Anforderungen seiner Umgebung. So bildet die natürliche Auswahl über viele Generationen hinweg jene Eigenschaften einer Art heraus, die besonders gut zur Umgebung passen. »Die Entstehung der Arten« (engl.: On the Origin of Species by Means of Natural Selection) befeuerte auch die Diskussion in den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften. Im Rahmen der Evolutionstheorie wird etwa erforscht, welche gesellschaftlichen Regelsysteme einem lebendigen Innovationsgeschehen in Technik und Wirtschaft besonders förderlich sind, so dass sich eine Gesellschaft neuen globalen Anforderungen anpassen kann.

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Die Entstehung der Arten

Die Entstehung der ArtenGeschichtliche Skizze des Fortschritts der Ansichten von der Entstehung der Arten.Einleitung.1. Kapitel. Die Abänderung unter dem Einfluss der Hauspflege.2. Kapitel. Veränderlichkeit.3. Kapitel. Der Kampf ums Dasein.4. Kapitel. Die Naturauslese oder das Überleben der Tauglichsten.5. Kapitel. Die Gesetze der Abänderung.6. Kapitel. Schwierigkeiten der Lehre.7. Kapitel. Vermischte Einwendungen gegen die Lehre von der Naturauslese.8. Kapitel. Der Naturtrieb.9. Kapitel. Bastardtum.10. Kapitel. Unvollständigkeit der geologischen Urkunde.11. Kapitel. Über die Aufeinanderfolge der organischen Wesen in den Erdschichten.12. Kapitel. Die Verteilung der organischen Wesen auf der Erdoberfläche.13. Kapitel. Die Verteilung der organischen Wesen auf der Erdoberfläche. (Fortsetzung.)14. Kapitel. Gegenseitige Verwandtschaften organischer Wesen. Das Gesetz der Form. Die Keimlehre. Verkümmerte Organe.15. Kapitel. Kurze Wiederholung der Hauptpunkte und Schluss.Impressum

Die Entstehung der Arten

Charles Darwin

Vollständige deutsche Ausgabe

Aus dem Englischen von Richard Böhme

Geschichtliche Skizze des Fortschritts der Ansichten von der Entstehung der Arten.

Eine kurze Skizze des Fortschritts der Ansichten von der Entstehung der Arten beabsichtige ich an dieser Stelle zu geben. Bis vor kurzem hielt die große Mehrzahl der Naturforscher die Arten für unveränderliche Naturerzeugnisse, von denen jede für sich geschaffen worden sei. Diese Ansicht ist von vielen Verfassern geschickt verfochten worden, während einige wenige Naturforscher annahmen, dass die Arten der Umformung unterworfen seien, und die jetzt bestehenden Lebensformen vermittelst wirklicher Zeugung von früher bestehenden herstammen. Wenn wir die Stellen übergehen, in denen die Schriftsteller des klassischen Altertums den Gegenstand streifen, so war Buffon der erste, der ihn mit wissenschaftlichem Geiste behandelt hat. Aber da seine Ansichten zu verschiedenen Zeiten sehr wechselten, und da er sich nicht mit den Ursachen oder den Mitteln der Umformung der Arten befasst, so brauche ich nicht auf Einzelheiten einzugehen.

Erst Lamarcks Schlussfolgerungen in betreff des Gegenstandes fanden allgemeinere Beachtung. Der mit Recht gefeierte Naturforscher veröffentlichte seine Ansichten im Jahre 1801 und ergänzte sie 1809 wesentlich in seiner „Zoologischen Philosophie“ und 1815 in der Einleitung zu seiner „Naturgeschichte der wirbellosen Tiere“. In diesen Werken stellt er die Lehre auf, dass die Arten, einschließlich des Menschen, von andern Arten abstammen. Sein hervorragendes Verdienst ist es, zuerst darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass jeglicher Wechsel in der organischen wie in der unorganischen Welt wahrscheinlich das Ergebnis eines Gesetzes und nicht eines wunderbaren Eingreifens ist. Zu diesem Schlusse von dem stufenweisen Wechsel der Arten scheint Lamarck hauptsächlich die Schwierigkeit der Unterscheidung von Arten und Spielarten, die fast vollständige Stufenleiter der Formen in gewissen Gruppen und die Ähnlichkeit der Erzeugnisse der Hauspflege veranlasst zu haben. Die Ursachen der Ummodelung sah er zum Teil in der unmittelbaren Wirkung der natürlichen Lebensbedingungen, zum Teil in der Kreuzung schon vorhandener Formen, größtenteils auch in der Übung und Nichtübung, d. h. in den Wirkungen der Gewohnheit. Dieser letzteren Kraft scheint er all die schönen Anpassungen zuzuweisen, die sich in der Natur finden, wie z. B. den langen Hals der Giraffe zum Abweiden der Baumzweige. Aber ebenso glaubte er an ein Gesetz der fortschreitenden Entwicklung, und da alle Lebensformen im Fortschreiten begriffen sind und so das gegenwärtige Vorhandensein einfacher Erzeugnisse erklären, so beharrt er dabei, dass solche Formen jetzt von selbst geschaffen werden. 

Geoffroy Saint-Hilaire vermutete schon 1795, wie die von seinem Sohn verfasste Lebensbeschreibung feststellt, dass unsere sogenannten Arten nur verschiedene Entwicklungszustände derselben Urform seien. Erst 1823 veröffentlichte er seine Überzeugung, dass nicht seit dem Ursprung aller Dinge die gleichen Formen sich immerwährend erhalten haben. Saint-Hilaire scheint hauptsächlich in den Lebensbedingungen oder der „umgebenden Welt“ die Ursache des Wechsels erkannt zu haben. Er war vorsichtig in seinen Schlüssen und glaubte nicht, dass die vorhandenen Arten jetzt einer Ummodelung unterworfen seien; sein Sohn fügt hinzu: „diese Aufgabe muss man ganz der Zukunft überlassen; vielleicht darf man nicht einmal annehmen, dass die Zukunft sie bewältigen wird.“ 

Im Jahre 1813 trug Dr. W. C. Wells der Königlichen Gesellschaft „einen Bericht über eine weiße Frau“ vor, „deren Haut teilweise der eines Negers gleicht“; indessen wurde diese Abhandlung erst 1818 veröffentlicht, wo seine berühmten „Zwei Versuche über Doppelt- und Einfachsehen“ erschienen. In diesen erkennt er deutlich das Grundgesetz der Naturauslese an; er hat dieses Anerkenntnis zum ersten Mal ausgesprochen, aber er wendet es nur auf die Menschenrassen und auf gewisse Merkmale an. Nachdem er angeführt hat, dass die Neger und Mulatten sich der Freiheit von gewissen tropischen Krankheiten erfreuen, bemerkt er erstens, dass alle Tiere in gewissem Grade zur Umformung neigen, und zweitens, dass die Landwirte ihre Haustiere durch Auslese veredeln, und fügt dann hinzu: „Aber was in letzterem Fall die Kunst tut, scheint ebenso wirksam, wenn auch langsamer durch die Natur zu geschehen, indem sie die Spielarten des Menschengeschlechts den Ländern anpasst, die sie bewohnen. Von den Menschenarten, welche zufällig unter den ersten wenigen und zerstreuten Einwohnern von Mittelafrika vorkamen, waren vielleicht einige besser als die andern geeignet, die Krankheiten des Landes zu ertragen. Diese Rasse musste sich also vermehren, während die andern abnahmen, nicht nur, weil sie unfähig waren, die Krankheitsanfälle auszuhalten, sondern auch weil sie ihren kräftigeren Nachbarn nicht widerstehen konnten. Nach dem, was schon gesagt worden ist, halte ich für ausgemacht, dass die Farbe dieser kräftigen Rasse dunkel sein musste. Da aber die Anlage, Spielarten zu bilden, fortbestand, musste im Laufe der Zeit eine immer dunklere Rasse entstehen, und da die dunkelste am besten für das Klima passte, musste sie zuletzt in dem Lande, in dem sie entstanden war, die vorwiegende, wenn nicht die einzige Rasse werden.“ Er wendet dann dieselben Ansichten auf die weißen Bewohner kälterer Himmelsstriche an. Ich schulde Herrn Rowley aus den Vereinigten Staaten Dank dafür, dass er durch Herrn Brace meine Aufmerksamkeit auf die erwähnte Stelle in Dr. Wells' Werk gelenkt hat. Sr. Ehrwürden Pfarrer W. Herbert, später Dechant von Manchester erklärt im vierten Bande seiner „Abhandlungen über den Gartenbau“ (1822) und in seinem Werke über die „Amaryllidaceen“ (1837, S. 19. 339), dass Gartenbauversuche unwiderleglich dargetan hätten, dass die botanischen Arten nur eine höhere und dauerndere Klasse der Spielarten seien. Die gleiche Ansicht dehnt er auf die Tiere aus und nimmt an, dass einzelne Arten einer jeden Gattung in einer ursprünglich vollkommenen Ausgestaltung geschaffen worden seien, und dass diese hauptsächlich durch Kreuzung, ebenso aber auch durch Abändern alle jetzt vorhandenen Arten hervorgebracht haben.

1826 spricht Professor Grant im Schlussabsatz seines wohlbekannten Aufsatzes über die Spongillen im 14. Bande des “Edinburgh Philosophical Journal“ S. 283 deutlich seine Ansicht aus, dass die Arten von andern Arten abstammen, und dass sie sich auf dem Wege der Ummodelung vervollkommnen. Die gleiche Ansicht fand sich in seiner 55. Vorlesung, die er 1834 im „Lancet“ veröffentlichte.

1831 gab Patrick Matthew sein Werk über „Schiffbauholz und Baumpflege“ heraus, in dem er klar dieselbe Meinung über den Ursprung der Arten vertritt, die (um hier darauf hinzuweisen) Prof. Wallace und ich im “Linnean Journal“ vorgetragen haben, und die das vorliegende Buch in erweiterter Form enthält. Leider hatte Matthew seine Ansicht sehr kurz an zerstreuten Stellen im Anhange zu einem Werk ganz andrer Art veröffentlicht; sie blieb daher unbeachtet, bis er selbst im Jahre 1860 in der Aprilnummer von “Gardner's Chronicle“ die Aufmerksamkeit darauf lenkte. Die Unterschiede zwischen Matthews und meiner Ansicht sind von untergeordneter Bedeutung; er scheint anzunehmen, dass die Welt in aufeinanderfolgenden Zeiträumen einmal beinahe entvölkert war, und dann wieder ihre Bewohnerschaft erhielt, und er lässt es als eine Möglichkeit zu, dass neue Formen erschaffen werden können „ohne das Vorhandensein irgend eines Stoffes oder Keims früherer Bildungen“.

Ich bin bei einigen Stellen nicht sicher, ob ich sie verstehe; aber, wie es scheint, weist er der unmittelbaren Wirksamkeit der Lebensbedingungen einen großen Einfluss zu. Indessen erkannte er deutlich das Grundgesetz der Naturauslese in seiner ganzen Kraft.

Der berühmte Geologe und Naturforscher von Buch spricht in seiner ausgezeichneten „Naturbeschreibung der kanarischen Inseln“ (1836, S. 147) den Glauben aus, dass Spielarten allmählich zu beständigen Arten werden, zwischen denen keine Kreuzung mehr möglich ist.

Rafinesque schrieb in seiner 1836 veröffentlichten „Neuen Flora von Nordamerika“ Folgendes (S. 6): „Alle Arten mögen einst Spielarten gewesen sein, und manche Spielarten werden allmählich Arten, indem sie beständige und eigentümliche Merkmale annehmen“; aber später (S. 18) fügt er hinzu: „außer den Urformen oder Vorfahren des Geschlechts.“

Im Jahre 1843-44 hat Professor Haldeman (Boston Journal of Nat. Hist. U. States IV, S. 468) geschickt die Beweise für und gegen die Annahme der Entwicklung und Ummodelung der Arten dargestellt; er scheint sich nach der Seite der Veränderung zu neigen.

Die „Spuren der Schöpfung“ erschienen 1844. In der zehnten sehr verbesserten Auflage vom Jahre 1853 sagt der ungenannte Verfasser (S. 155): „Nach reiflicher Überlegung habe ich mich zu der Behauptung entschlossen, dass die verschiedenen Klassen belebter Wesen von den einfachsten und ältesten bis zu den höchsten und neusten unter der Vorsehung Gottes hervorgebracht worden sind, erstens, durch einen Stoß, der den Lebensformen mitgeteilt worden ist und sie in bestimmten Zeitabschnitten durch Zeugung hat verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen lassen, bis sie schließlich zu den höchsten Dikotyledonen und Wirbeltieren wurden. Die Entwicklungsstufen waren gering an Zahl und kennzeichnen sich gewöhnlich durch Lücken in den organischen Merkmalen, die uns bei der Feststellung von Verwandtschaften Schwierigkeiten machen. Zweitens war ein neuer mit der Lebenskraft zusammenhängender Antrieb darauf gerichtet, in der Aufeinanderfolge von Geschlechtern den Bau der Organe nach äußeren Umständen, wie Nahrung, Art des Wohnplatzes und Witterungseinflüssen abzuändern; dies sind die sogenannten „Anpassungen“ des „Vertreters der Naturreligion.“ Der Verfasser glaubt augenscheinlich, dass die Entwicklung sprungweise vorschreitet, während die von den Lebensbedingungen hervorgebrachten Wirkungen allmähliche sind. Er beweist mit großem Nachdruck aus allgemeinen Gründen, dass die Arten keine unveränderlichen Erzeugnisse sind. Aber ich vermag nicht einzusehen, wie die beiden „Stöße“ in wissenschaftlichem Sinne die zahlreichen und schönen Anpassungen erklären sollen, die wir überall in der Natur finden; ich verstehe nicht, dass wir so einen Einblick gewinnen, wie z. B. der Specht seine Besonderen Lebensgewohnheiten angenommen hat. Das Werk fand wegen seines kräftigen und glänzenden Stiles sogleich eine sehr weite Verbreitung, obgleich es in den ersten Auflagen wenig genaue Kenntnisse und einen großen Mangel an wissenschaftlicher Vorsicht zeigte. Nach meiner Meinung besteht sein großes Verdienst darin, dass es die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand gelenkt, Vorurteile weggeräumt und so den Boden für die Aufnahme ähnlicher Ansichten vorbereitet hat.

1846 veröffentlichte der Altmeister der Geologie M. J. d'Omalius d'Halloy in einem vorzüglichen, wenn auch kurzen Aufsatz (Bulletins de l'acad. roy. Brüssel, Bd. XIII, S. 581) seine Ansicht, dass es wahrscheinlicher sei, dass neue Arten dadurch hervorgebracht worden seien, dass frühere sich ummodelten, als dass sie gesondert für sich erschaffen worden seien; im Jahre 1831 war der Verfasser zum ersten Mal mit dieser Ansicht hervorgetreten.

Professor Owen schrieb 1849 auf Seite 86 seiner „Natur der Glieder“, wie folgt:

„Der urbildliche Entwurf wurde unter verschiedenen derartigen Ummodelungen zu Fleisch, auf unserm Planeten, lange vor dem Vorhandensein der tierischen Arten, die ihn gegenwärtig verkörpern. Welchen Naturgesetzen oder Folgeursachen das regelmäßige Aufeinanderfolgen und Fortschreiten solcher organischen Erscheinungen zuzuschreiben ist, wissen wir bis jetzt noch nicht.“ Und in seiner Ansprache an die „Britische Gesellschaft“ im Jahre 1858 spricht er von „dem Grundgesetz der beständigen Wirksamkeit der schöpferischen Macht oder des geordneten Entstehens lebender Wesen“ (S. LI). Weiterhin (S. XC) fügt er nach seinem Bericht über die Verteilung der Tiere auf der Erde hinzu: „Diese Erscheinungen erschüttern unser Vertrauen in den Schluss, dass der Kiwi in Neuseeland und das rote Haselhuhn in England besondere Schöpfungen gerade in und für diese Inselländer seien. Überall muss man im Auge behalten, dass der Zoologe unter dem Wort „Schöpfung“ einen ihm „unverständlichen Vorgang“ versteht.“ Diesen Gedanken führt er folgendermaßen weiter aus: wenn solche Fälle wie die des roten Haselhuhns „der Zoologe als Beweis für die besondere Erschaffung des Vogels in und für diese Inselländer anführt, so will er damit hauptsächlich seine Unkenntnis ausdrücken, wieso es kommt, dass das rote Haselhuhn gerade hier und nur hier vorhanden ist, und hierdurch zugleich seinen Glauben zu erkennen geben, dass der Vogel wie das Inselland ihre Entstehung einer großen ersten schöpferischen Ursache zu verdanken hatten.“ Wenn wir die in der Ansprache ausgesprochenen Sätze durch einander erläutern, so scheint dieser hervorragende Philosoph 1858 gefühlt zu haben, wie sein Glauben, dass der Kiwi und das rote Haselhuhn zuerst in ihrer späteren ausschließlichen Heimat aufgetreten seien, „er wusste nicht wie“, oder durch einen Vorgang, „er wusste nicht, welcher Art“ ins Schwanken geriet.

Diese Ansprache wurde nach den Abhandlungen gehalten, die Prof. Wallace und ich über den Ursprung der Arten, um hier daran zu erinnern, der Linné-Gesellschaft vorgelegt hatten. Als die erste Ausgabe dieses Werkes erschien, ließ ich mich, wie so manche andere, durch Ausdrücke wie „die beständige Wirksamkeit der schöpferischen Macht“ so völlig täuschen, dass ich Prof. Owen ebenso wie andere Paläontologen für fest von der Unveränderlichkeit der Arten überzeugt ansah; aber es ist offenbar, dass dies auf meiner Seite ein abgeschmackter Irrtum war (Anatomie der Wirbeltiere Bd. III. S. 796). In der letzten Ausgabe schloss ich – und dieser Schluss scheint mir noch ganz richtig – aus einer Stelle, die mit den Worten beginnt: „Zweifellos ist die Urform“ (ebenda Bd. I. S. XXXV.), dass Prof. Owen zugebe, dass die Naturauslese manches zur Bildung einer neuen Art beigetragen haben kann, aber dies, wie es scheint, unsicher und unbeweisbar sei (ebenda Bd. III, S. 798). Ebenso gab ich Auszüge aus einem Briefwechsel zwischen Prof. Owen und dem Herausgeber der “London Review“, aus dem für letzteren wie für mich deutlich hervorzugehen schien, dass Owen das Verdienst für sich in Anspruch nahm, die Lehre von der Naturauslese vor mir verbreitet zu haben. Ich drückte meine Überraschung und Genugtuung über diese Anzeige aus. Aber soweit ich gewisse, eben veröffentlichte Stellen verstehen kann (ebenda Bd. III, S. 798), bin ich wieder teilweise oder ganz in einen Irrtum verfallen. Es tröstet mich indessen, dass andere es für ebenso schwer halten wie ich, Prof. Owens Streitschriften zu verstehen und mit einander in Einklang zu bringen. Soweit es sich um die bloße Aufstellung des Gesetzes der Naturauslese handelt, ist es überhaupt gegenstandslos, ob Prof. Owen mein Vorgänger war oder nicht, da uns beiden, wie ich in dieser geschichtlichen Skizze gezeigt habe, Wells und Matthews längst vorausgegangen sind.

Isidor Geoffroy Saint-Hilaire gibt in seinen 1850 gehaltenen Vorlesungen, von denen ein Auszug in “Revue et Magasin de Zoologie“, Januar 1851 erschien, kurz die Gründe für seine Ansicht an, dass die eigentümlichen Kennzeichen „für eine jede Art beharren, solange als sie sich unter denselben Umständen fortpflanzt; sie modeln sich, wenn die umgebenden Umstände sich zu ändern beginnen.“ „Kurz, die Beobachtung der wilden Tiere zeigt schon die begrenzte Veränderlichkeit der Arten. Die Erfahrungen an den ungezähmten Tieren, die ins Haus genommen sind, und an den Haustieren, die wieder verwildert sind, zeigen sie noch klarer. Diese selben Erfahrungen beweisen ferner, dass die hervorgebrachten Unterschiede von Gattungswert sein können.“  In seiner „Allgemeinen Naturgeschichte“ (Teil II, S. 430; 1859) führt er ähnliche Schlüsse weiter aus.

Aus einem kürzlich versandten Rundschreiben ergibt sich, dass Dr. Freke 1851 in der „Dubliner medizinischen Presse“ die Lehre aufgestellt hat, dass alle organischen Wesen aus einer Urform herstammen. Die Gründe seiner Meinung und die Behandlung des Gegenstandes sind von meinen völlig verschieden; aber da Dr. Freke jetzt (1861) seine Abhandlung „über die Entstehung der Arten auf dem Wege organischer Verwandtschaft“ veröffentlicht hat, wäre der schwierige Versuch, eine Vorstellung von seinen Ansichten zu geben, meinerseits überflüssig.

Herbert Spencer hat in einem Aufsatz, der ursprünglich in dem „Leader“ im März 1852 veröffentlicht wurde und in seinen „Aufsätzen“ 1858 wieder abgedruckt ist, die Lehren von der Schöpfung und der Entwicklung organischer Wesen mit hervorragender Gewandtheit und großem Nachdruck einander gegenübergestellt. Er schließt aus der Ähnlichkeit der Erzeugnisse der Hauspflege, aus den Veränderungen, welchen die Keime mancher Arten unterliegen, aus der Schwierigkeit, Arten und Spielarten zu unterscheiden und aus dem Grundgesetz des stufenweisen Fortschritts, dass die Arten umgemodelt worden sind, und er schreibt die Ummodelung dem Wechsel der Umstände zu. Der Schriftsteller hat (1855) auch die Psychologie nach dem Grundsatz behandelt, dass zur Erwerbung jeder geistigen Kraft und Fähigkeit stufenweiser Fortschritt nötig ist.

Im Jahre 1852 hat Naudin, ein hervorragender Botaniker, in einer bewundernswerten Abhandlung über die Entstehung der Arten in der “Revue horticole“ S. 102, die seitdem teilweise in den “Nouvelles Archives“ du Muséum Bd. I, S. 171 wieder abgedruckt ist, ausdrücklich erklärt, dass nach seiner Meinung die Arten in ähnlicher Weise gebildet werden, wie es die Spielarten unter dem Einflüsse der Zucht werden; und letzteren Vorgang weist er dem menschlichen Vermögen der Auslese zu. Aber er zeigt nicht, wie die Auslese in der freien Natur wirkt, er glaubt, ähnlich wie der Dechant Herbert, dass die Arten bei ihrer Entstehung bildsamer waren als gegenwärtig. Er legt Gewicht auf das, was er das Grundgesetz der Zweckmäßigkeit nennt, „eine geheimnisvolle, unbegrenzte Macht, Verhängnis für die einen, vorsehender Wille für die andern, deren unaufhörliche Wirksamkeit auf die lebenden Wesen in allen Zeiten des Weltdaseins Form, Inhalt und Bestand eines jeden von ihnen festsetzt nach seiner Bestimmung in der Ordnung der Dinge, von dem es selbst einen Teil ausmacht. Diese Macht bringt ein jedes Glied mit dem Ganzen in Übereinstimmung, indem sie es für die Tätigkeit geeignet macht, die es in dem allgemeinen Organismus der Natur ausüben soll, eine Tätigkeit, die sein Daseinsrecht bedeutet.“ 

Gleiche Ansichten hat, wie wohlbekannt ist, Oken in seiner mystischen „Naturphilosophie“ aufgestellt. Aus anderen Anführungen in Godrons Werk „Über die Art“ sieht man, dass Bory St.-Vincent, Burdach, Poiret und Fries zugestanden haben, dass fortwährend neue Arten entstehen.

Ich kann hinzufügen, dass von den 34 in dieser geschichtlichen Skizze genannten Verfassern, die an die Ummodelung der Arten glauben oder wenigstens getrennte Schöpfungsakte verwerfen, 27 über besondere Zweige der Naturgeschichte oder Geologie geschrieben haben

Im Jahre 1853 sprach der berühmte Geologe Graf Kayserling (Bull. de la Soc. géol. 2. Folge, X. Bd. S. 357) die Vermutung aus, dass, wie neue Krankheiten, deren Ursache man in irgend einer Ansteckung sieht, entstanden sind und sich über die Welt verbreitet haben, in gewissen Zeiträumen die Keime der bestehenden Arten von den sie umgebenden Molekülen von besonderer Natur chemisch beeinflusst worden sind und so neuen Formen ihre Entstehung gegeben haben.

Im gleichen Jahre veröffentlichte Dr. Schaaffhausen in den „Verhandlungen des Naturhistor. Vereins der preußischen Rheinlande“ eine ausgezeichnete Streitschrift, in der er die Entwicklung der organischen Formen auf der Erde aufrecht hält. Er schließt, dass manche Arten sich lange Zeiträume hindurch rein erhalten haben, während andere umgemodelt worden sind. Die Getrenntheit der Arten erklärt er aus dem Untergang der Zwischenstufen. „So sind lebende Pflanzen und Tiere von den erloschenen nicht durch neue Schöpfung getrennt, sondern müssen als deren Abkömmlinge durch fortgesetzte Zeugung betrachtet werden.“

Der wohlbekannte französische Botaniker Lecoq schreibt 1854 (Etudes sur géogr. botanique I. 250): „Man sieht, dass unsere Untersuchungen über die Beständigkeit oder die Abänderung der Art uns geradewegs zu den Gedanken führen, die zwei mit Recht berühmte Männer, Geoffroy Saint-Hilaire und Goethe, ausgesprochen haben.“ Einige andere in Lecoq's großem Werke zerstreute Stellen machen es einigermaßen zweifelhaft, wie weit er seine Ansichten über die Ummodelung der Arten ausdehnt.

Die „Philosophie der Schöpfung“ ist von dem Pfarrer Baden Powell in seinen „Aufsätzen über die Einheit der Welten“ (1855) meisterhaft behandelt worden. Nichts kann schlagender sein, als die Art, in der er zeigt, dass die Einführung neuer Arten eine regelmäßige, keine zufällige Erscheinung ist oder, wie John Herschel es ausdrückt, „ein natürlicher Vorgang im Gegensatz zu einem wunderbaren“.

Der dritte Band der „Zeitschrift der Linné-Gesellschaft“ enthält am 1. Juli 1858 vorgelesene Abhandlungen von Wallace und mir, in denen, wie in der Einleitung dieses Bandes festgestellt ist, die Lehre von der Naturauslese von Wallace mit großem Nachdruck und bewunderungswürdiger Klarheit ausgesprochen ist. Von Baer, vor dem alle Zoologen eine so große Hochachtung empfinden, sprach um das Jahr 1859 (vergl. Rudolf Wagner, Zoologe.-anthropolog. Untersuchung, 1861 S. 51) seine hauptsächlich auf die Gesetze der geographischen Verbreitung gegründete Überzeugung aus, dass Formen, die jetzt vollkommen getrennt sind, von einer einzigen Mutterform herstammen.

Professor Huxley hielt im Juni 1859 vor dem Königl. Institut einen Vortrag über „die dauernden Typen des tierischen Lebens“. Indem er auf solche Fälle hinweist, bemerkt er: „Es ist schwer, die Bedeutung solcher Tatsachen zu verstehen, wenn wir annehmen, dass jede Tier- oder Pflanzenart oder jeder große Typus der Körperbildung in langen Zwischenräumen durch eine besondere Handlung der Schöpferkraft gestaltet und auf die Erdoberfläche gestellt worden ist, und man tut gut, sich zu erinnern, dass eine solche Annahme durch die Überlieferung und Offenbarung nicht gestützt wird und dabei dem allgemein Naturgemäßen widerspricht. Wenn wir andererseits die Bedeutung „dauernder Typen“ für die Annahme betrachten, welche voraussetzt, dass die zu irgend einer Zeit lebenden Arten das Ergebnis der stufenweisen Ummodelung der vorher bestehenden Arten sind, eine Annahme, die, obgleich unbewiesen und traurig geschädigt durch einige ihrer Vertreter, doch die einzige ist, der die Physiologie einigen Halt verleiht, so scheint ihr Dasein zu zeigen, dass die ganze Ummodelung, der die lebenden Wesen während der Bildungszeit der Erde unterworfen gewesen sind, nur sehr klein ist im Verhältnis zu der ganzen Reihe von Veränderungen, die sie erlitten haben.“

Im Dezember 1859 veröffentlichte Dr. Hooker seine „Einführung in die australische Flora.“ Im ersten Teil seines großen Werkes gibt er die Richtigkeit der Stammreihe und Ummodelung der Arten zu und unterstützt diese Lehre durch viele eigene Beobachtungen.

Die erste Auflage des vorliegenden Werkes wurde, am 24. November 1859, die zweite am 7. Januar 1860 herausgegeben.

Einleitung.

 Während ich als Naturforscher an Bord von Ihrer Majestät Schiff „Spürhund“ war, wurde ich durch gewisse Vorkommnisse in der Verteilung des organischen Lebens in Südamerika und in den geologischen Beziehungen der gegenwärtigen Bewohnerschaft dieses Erdteils zu der vergangenen sehr in Erstaunen gesetzt. Ich hatte den Eindruck, als ob diese Vorkommnisse, wie sich in den späteren Kapiteln des Bandes zeigen wird, einiges Licht werfen könnten auf den Ursprung der Arten, dies Geheimnis der Geheimnisse, wie es einer unserer größten Philosophen genannt hat. Nach meiner Heimkehr im Jahre 1837 kam ich auf den Gedanken, dass man durch andauerndes Zusammentragen und Beobachten aller Arten von Tatsachen, die vielleicht eine Bedeutung hierfür hätten, zu einigen Ergebnissen in dieser Frage kommen könnte. Nach fünfjähriger Arbeit ging ich daran, über den Gegenstand Betrachtungen anzustellen, und entwarf einige kurze Aufzeichnungen; diese erweiterte ich im Jahre 1844 zu einer Reihe von Schlüssen, die mir damals beweisbar schienen. Von jener Zeit bis auf den heutigen Tag habe ich diesen Gegenstand stets im Auge behalten. Ich rechne auf Entschuldigung für die Anführung dieser persönlichen Einzelheiten, da sie nur dartun sollen, dass ich nicht übereilt eine Entscheidung getroffen habe.

Mein Werk ist jetzt (1859) nahezu beendigt; aber da es mich noch mehrere Jahre kosten wird, es ganz zu vollenden, und da meine Gesundheit nicht eben die festeste ist, so bin ich genötigt, diesen Abriss zu veröffentlichen. Dazu kommt für mich noch der besondere Anlass, dass Prof. Wallace bei seiner Durchforschung der Naturgeschichte des malaysischen Inselmeers fast genau zu denselben allgemeinen Schlüssen über den Ursprung der Arten gelangt ist, wie ich. Im Jahre 1858 sendete er mir eine Abhandlung über diesen Gegenstand, mit der Bitte, sie an Sir Charles Lyell zu befördern. Dieser schickte sie an die Linné-Gesellschaft, die sie im dritten Bande ihrer Zeitschrift veröffentlichte. Lyell und Dr. Hooker, die beide mein Werk kannten – der letztere hatte meine Skizze von 1844 gelesen – erwiesen mir die Ehre, zugleich mit Wallaces ausgezeichneter Abhandlung einige kurze Auszüge aus meinen Manuskripten zu veröffentlichen.

Der gegenwärtige Abriss muss notwendig unvollständig sein. Ich kann hier für meine verschiedenen Berichte nicht Nachweise geben oder Gewährsmänner anführen, sondern muss den Leser ersuchen, sich einigermaßen auf meine Genauigkeit zu verlassen. Zweifellos werden sich Irrtümer eingeschlichen haben, wenn ich auch hoffe, dass ich in allen Fällen, wo ich mich bloß auf gute Gewährsmänner verlassen musste, die nötige Vorsicht habe walten lassen. Ich kann hier nur die allgemeinen Schlüsse geben, zu denen ich gelangt bin, und sie durch eine geringe Anzahl von Tatsachen verdeutlichen, die indessen in den meisten Fällen genügen dürften. Niemand kann tiefer als ich von der Notwendigkeit durchdrungen sein, darnach im einzelnen alle Tatsachen, auf denen meine Schlüsse beruhen, mit Nachweisen zu veröffentlichen, und ich hoffe, dies in einem späteren Werk zu tun. Denn ich weiß wohl, dass in diesem Bande kaum ein Punkt behandelt wird, für den man nicht Tatsachen anführen kann, die oft anscheinend gerade zu den entgegengesetzten Schlüssen führen. Ein klares Ergebnis kann man nur erlangen, wenn man sämtliche Tatsachen und Gründe anführt und sie nach den beiden Seiten einer jeden Frage abwägt; das ist aber hier unmöglich.

Lebhaft bedaure ich, dass ich durch Raummangel gehindert werde, für die liebenswürdige Unterstützung zu danken, die mir eine große Zahl zum Teil mir persönlich unbekannter Naturforscher haben zu Teil werden lassen. Ich kann indessen diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne Dr. Hooker verbindlichst zu danken, der mich in den letzten fünfzehn Jahren auf jede mögliche Weise durch seinen reichen Wissensschatz und sein ausgezeichnetes Urteil unterstützt hat.

Wenn man den Ursprung der Arten betrachtet, ist es ganz begreiflich, dass ein Naturforscher, der die gegenseitigen Verwandtschaften der organischen Wesen, ihre Verhältnisse im Keimzustande, ihre Verteilung über die Erde und ihre Aufeinanderfolge während der Erdschichtenbildung, sowie ähnliche Tatsachen, in Erwägung zieht, zu dem Schluss kommen kann, dass die Arten nicht unabhängig voneinander geschaffen sind, sondern, ebenso wie die Spielarten, eine Art aus der andern herstammt. Indessen würde ein solcher Schluss, selbst wenn er gut begründet wäre, so lange nicht genügen, wie man nicht zeigen kann, auf welche Weise die unzähligen Arten, die die Welt bewohnen, soweit umgemodelt sind, bis sie jene Vollkommenheit im Bau und in der Anpassungsfähigkeit erreicht haben, die mit Recht unsere Bewunderung erregt. Die Naturforscher führen beständig äußere Bedingungen, z. B. Klima, Futter u. s. w., als den einzigen möglichen Grund des Abänderns an. In beschränktem Sinne kann dies, wie wir später sehen werden, richtig sein; aber es ist verkehrt, rein äußerlichen Bedingungen z. B. den Körperbau des Spechtes zuzuschreiben, mit seinen Füßen, seinem Schwanz, seinem Schnabel und seiner Zunge, die so wunderbar zum Fangen von Kerbtieren geeignet ist. Bei der Mistel, die ihre Nahrung aus gewissen Bäumen zieht, deren Samen von gewissen Vögeln fortgetragen werden muss, und bei deren Blüten die Geschlechter getrennt sind und durchaus die Tätigkeit gewisser Kerbtiere verlangen, um den Blütenstaub der einen Blüte zu einer andern zu bringen, ist es ebenso verkehrt, den Bau dieser Schmarotzerpflanze, mit ihren Beziehungen zu mannigfachen ganz verschiedenen organischen Wesen, von den Wirkungen äußerer Bedingungen, von der Gewohnheit oder dem Willen der Pflanze selbst abhängig zu machen.

Es ist deshalb von höchster Wichtigkeit, eine klare Einsicht in die Mittel der Ummodelung und Anpassung zu gewinnen. Zu Anfang meiner Beobachtungen schien es mir wahrscheinlich, dass eine sorgsame Betrachtung der im Hause gehaltenen Tiere und der gezüchteten Pflanzen die beste Aussicht bieten würde, diese dunkle Frage zu lösen. Und ich habe mich darin nicht getäuscht; in diesen und in allen andern überraschenden Fällen habe ich stets gefunden, dass unsere Kenntnis vom Abändern unter dem Einflüsse der Hauspflege, wie unvollkommen sie auch ist, den besten und sichersten Leitfaden gewährt. Ich wage es, meine Überzeugung von dem hohen Wert solcher Untersuchungen auszusprechen, obwohl sie gemeinhin von den Naturforschern vernachlässigt worden sind.

Aus diesen Gründen werde ich das erste Kapitel dieses Abrisses der Abänderung unter dem Einfluss der Hauspflege widmen. Wir werden so erkennen, dass ein hohes Maß erblicher Ummodelung wenigstens möglich ist, und, was ebenso wichtig oder wichtiger ist, wie groß das Vermögen des Menschen ist, durch seine Auslese unbedeutende Abänderungen anzuhäufen. Ich will dann zu der Veränderlichkeit der Arten im Naturzustande übergehen, werde aber leider gezwungen sein, dies Kapitel viel zu kurz zu behandeln, da es nur angemessen behandelt werden kann, indem man lange Aufzählungen von Tatsachen gibt. Wir werden jedoch erörtern können, welche Umstände der Abänderung am günstigsten sind. Im folgenden Kapitel soll der Kampf ums Dasein betrachtet werden, der zwischen allen organischen Wesen in der ganzen Welt herrscht und aus dem hohen Prozentsatz ihrer Vermehrung folgt. Das ist die auf das ganze Tier- und Pflanzenreich angewandte Malthussche Lehre. Da viel mehr Geschöpfe jeder Art geboren werden, als am Leben bleiben können, und da folglich ein häufig wiederkehrender Kampf ums Dasein besteht, so folgt, dass jedes Wesen, das sich, wie geringfügig es auch sei, in einer ihm vorteilhaften Weise abändert, unter den verwickelten und manchmal wechselnden Lebensbedingungen bessere Aussicht haben wird, am Leben zu bleiben und so von der Natur ausgelesen zu werden. Nach dem starken Grundgesetz der Erblichkeit wird jede ausgelesene Spielart streben, ihre neue und umgemodelte Form fortzupflanzen.

Dieser Hauptgegenstand der Naturauslese wird im vierten Kapitel ziemlich ausführlich behandelt werden, und wir werden dann sehen, wie die Naturauslese fast unvermeidlich die Vernichtung der weniger vollkommen Lebensformen verursacht und zu dem führt, was ich das Auseinandergehen der Merkmale genannt habe. Im folgenden Kapitel werde ich die verwickelten und wenig bekannten Gesetze der Abänderung erörtern. In den fünf weiteren Kapiteln werde ich die hervorstechendsten und größten Schwierigkeiten, die sich der Annahme der Lehre entgegenstellen, durchgehen, nämlich: 1. die Schwierigkeiten der Übergänge, d. h. wie sich ein einfaches Wesen oder ein einfaches Glied in ein hochentwickeltes Wesen oder ein kunstreich zusammengesetztes Glied wandeln oder vervollkommnen kann; 2. den Gegenstand des Naturtriebs oder die geistigen Kräfte der Tiere; 3. das Bastardtum, d. h. die Unfruchtbarkeit der Arten und die Fruchtbarkeit der Spielarten bei der Kreuzung; und 4. die Unvollständigkeit der geologischen Urkunde. Im nächsten Kapitel werde ich die zeitliche Aufeinanderfolge der organischen Wesen in den Erdschichten betrachten, im 12. und 13. ihre räumliche Verteilung auf der Erdoberfläche, im 14. ihre Einteilung und ihre Verwandtschaft sowohl im Reifezustande, wie während der Zeit des Keimens. Im letzten Kapitel werde ich eine kurze Zusammenfassung des ganzen Werkes und einige Schlussbemerkungen geben.

Niemand darf davon überrascht sein, dass jetzt noch vieles in Bezug auf die Entstehung der Arten und Spielarten unerklärt bleibt, wenn er die tiefe Unkenntnis der wechselseitigen Beziehungen gewisser Wesen, die um uns leben, richtig in Anschlag bringt. Wer kann erklären, warum eine Art weit verbreitet und sehr zahlreich ist, und eine andere verwandte nur auf einem engen Gebiete vorkommt und wenige Vertreter zählt? Und doch sind diese Beziehungen von der höchsten Bedeutung, denn sie bedingen die gegenwärtige Wohlfahrt und, wie ich glaube, die zukünftige günstige Lage und Ummodelung eines jeden Bewohners dieser Welt. Noch weniger wissen wir von den gegenseitigen Beziehungen der unzählbaren Bewohner der Welt während der langen, bei der Schichtenbildung vergangenen Zeiträume. Obwohl vieles dunkel bleibt und noch lange dunkel bleiben wird, so kann ich doch nach dem allerbesonnensten Forschen und dem unbefangensten Urteil, dessen ich fähig bin, keinen Zweifel hegen, dass die Ansicht, die die meisten Naturforscher bis vor kurzem vertraten, und die ich selbst früher vertreten habe, – nämlich, dass jede Art unabhängig für sich selbst erschaffen worden sei, – irrig ist. Ich bin völlig überzeugt, dass die Arten nicht unwandelbar sind, sondern dass diejenigen, die zu den sogenannten gleichen Gattungen gehören, die geraden Abkömmlinge irgend einer anderen, im allgemeinen erloschenen Art sind, ebenso wie die unbekannten Spielarten einer Art die Abkömmlinge dieser Art sind. Ferner bin ich überzeugt, dass die Naturauslese das wichtigste, aber nicht das ausschließliche Mittel der Ummodelung gewesen ist.

1. Kapitel. Die Abänderung unter dem Einfluss der Hauspflege.

Die Ursachen der Veränderlichkeit. Die Wirkungen der Gewohnheit und des Gebrauches oder Nichtgebrauches der Körperteile. Die gegenseitige Beziehung der Abänderungen. Die Vererbung. Die Kennzeichen der im Hause erzeugten Spielarten. Die Schwierigkeit, Spielarten und Arten zu unterscheiden. Entstehung der vom Menschen gezogenen Spielarten aus einer oder mehreren Arten. Haustauben, ihre Unterschiede und Entstehung. Die Grundgesetze der von alters her befolgten Auslese und ihre Wirkungen. Planmäßig betriebene und unbewusste Auslese. Der unbekannte Ursprung der Erzeugnisse der Hauspflege. Umstände, die das Vermögen des Menschen, eine Auslese zu treffen, begünstigen.

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Die Ursachen der Veränderlichkeit.

Betrachten wir die einzelnen Vertreter einer und derselben Spielart oder Teilspielart von Pflanzen, die wir seit langem angebaut, oder von Tieren, die wir längst gezüchtet haben, so fällt uns vor allem auf, dass sie im allgemeinen mehr voneinander sich unterscheiden, als die einzelnen Vertreter einer Art oder Spielart im Naturzustande. Und wenn wir auf die große Verschiedenheit der Pflanzen und Tiere blicken, welche gezüchtet worden sind, und die Jahrhunderte hindurch unter den verschiedensten Himmelsstrichen und der verschiedensten Behandlung sich abgeändert haben, so fühlen wir uns veranlasst zu schließen, dass diese große Veränderlichkeit eine Folge davon ist, dass die Erzeugnisse unserer Hauspflege unter nicht so einförmigen und etwas anderen Lebensbedingungen aufgewachsen sind, als diejenigen waren, denen die Elternart im Naturzustande ausgesetzt war. Es ist auch einige Wahrscheinlichkeit in der von Andrew Knight vertretenen Ansicht, dass diese Veränderlichkeit zum Teil mit einem Übermaß von Nahrung zusammenhängt. Es ist klar, dass organische Wesen während mehrerer Geschlechter neuen Bedingungen ausgesetzt sein müssen, ehe eine größere Abänderung bewirkt wird, und dass, wenn die Körperbildung einmal begonnen hat sich abzuändern, sie gewöhnlich in mehreren Geschlechtern damit fortfährt. Es wird über keinen Fall berichtet, in dem ein Tier oder eine Pflanze in der Pflege des Menschen aufhörte, sich abzuändern. Unsere am längsten angebauten Pflanzen, wie Weizen, geben noch neue Spielarten, unsere ältesten Haustiere sind noch rascher Veredlung und Ummodelung fähig.

Soweit ich den Gegenstand, mit dem ich mich lange beschäftigt habe, beurteilen kann, wirken die Lebensbedingungen in zweierlei Art, unmittelbar auf die ganze Körperbildung oder nur auf einzelne Teile und mittelbar, indem sie die Fortpflanzung beeinflussen. In betreff der unmittelbaren Wirkung müssen wir uns erinnern, dass es, wie Professor Weismann kürzlich hervorgehoben hat, und wie ich in meinem Werk über die Abänderung unter dem Einfluss der Hauspflege beiläufig gezeigt habe, in jedem Fall auf zweierlei, die Natur des lebenden Wesens und die Natur der Bedingungen, ankommt. Die erstere scheint viel wichtiger zu sein; denn beinahe gleiche Abänderungen entstehen manchmal unter wenigstens nach unserm Urteil ungleichen Bedingungen, und andrerseits entstehen ungleiche Abänderungen unter Bedingungen, die fast gleich zu sein scheinen. Die Wirkungen auf die Nachkommenschaft sind entweder endgültig oder nicht endgültig. Man kann sie als endgültig betrachten, wenn alle oder beinahe alle einzelnen Nachkommen, die während mehrerer Geschlechter unter gewissen Bedingungen leben, in gleicher Weise umgemodelt werden. Es ist außerordentlich schwer in Bezug auf die Ausdehnung der endgültig herbeigeführten Veränderungen zu einer Entscheidung zu kommen. Es gibt indes kaum einen Zweifel über viele unbedeutende Veränderungen, wie die der Größe durch die Menge der Nahrung, der Farbe durch die Art der Nahrung, der Dicke der Haut und des Haares durch das Klima u. s. f. Jede der zahllosen Abänderungen, die wir an dem Gefieder unseres Geflügels sehen, muss irgend eine wirksame Ursache gehabt haben, und wenn dieselbe Ursache während einer langen Reihe von Geschlechtern gleichmäßig auf viele Einzelwesen wirkte, würden wahrscheinlich alle in derselben Weise umgemodelt werden. Solche Tatsachen wie die zusammengesetzten und merkwürdigen Auswüchse, welche ein Galle hervorbringendes Kerbtier durch die Einträufeluug eines ganz kleinen Gifttropfens hervorruft, zeigen, was für eigentümliche Ummodelungen sich bei Pflanzen aus einer chemischen Veränderung des Saftes ergeben würden.

Nicht endgültige Veränderlichkeit ist ein viel gewöhnlicheres Ergebnis veränderter Bedingungen als endgültige Veränderlichkeit und hat wahrscheinlich in der Bildung unserer Haustierrassen eine viel wichtigere Rolle gespielt. Wir erkennen nicht endgültige Veränderlichkeit in den zahllosen kleinen Besonderheiten, welche die Einzelwesen derselben Art unterscheiden, und die weder durch Ererbung von den Eltern, noch von einem früheren Vorfahren erklärt werden können. Selbst stark hervortretende Unterschiede zeigen sich manchmal zwischen den Jungen desselben Wurfes oder bei jungen Pflänzchen aus derselben Samenkapsel. In langen Zwischenräumen entstehen unter Millionen von Einzelwesen, die in demselben Lande aufwachsen und von fast derselben Nahrung leben, Abweichungen des Baues, die so stark ausgesprochen sind, dass man sie Ungeheuerlichkeiten nennen könnte. Aber man kann sie nicht durch eine bestimmte Linie von den unbedeutenderen Abänderungen trennen. All solche Veränderungen des Baues, ob sie nun äußerst gering oder stark hervortretend sind, die sich unter vielen zusammenlebenden Einzelwesen zeigen, sind als die nicht endgültigen Wirkungen der Lebensbedingungen auf jedes Einzelwesen zu betrachten, fast in derselben Art wie die Kälte auf verschiedene Menschen nach ihrem Gesundheitszustande oder ihrer Körperbeschaffenheit verschieden wirkt, indem sie Husten oder Erkältungen, Rheumatismus oder Entzündung verschiedener Organe veranlasst.

Hinsichtlich dessen, was ich die mittelbare Wirkung veränderter Bedingungen genannt habe, diejenige welche durch Einfluss auf das Fortpflanzungssystem hervorgerufen wird, können wir schließen, dass die Veränderlichkeit teils durch die außerordentliche Empfindlichkeit dieses Systems gegen jeden Wechsel der Lebensbedingungen herbeigeführt wird, teils, wie Kölreuter und andere bemerkt haben, durch die Ähnlichkeit zwischen der Veränderlichkeit, die aus dem Kreuzen verschiedener Arten folgt, und derjenigen, die man bei den unter neuen oder unnatürlichen Bedingungen aufgezogenen Pflanzen und Tieren beobachten kann. Viele Tatsachen zeigen deutlich, wie außerordentlich empfindlich das Fortpflanzungssystem für sehr geringe Veränderungen in den umgebenden Bedingungen ist. Nichts ist leichter, als ein Tier zu zähmen, und wenige Dinge schwerer; als es in der Gefangenschaft dazu zu bringen, sich aus freien Stücken zu vermehren, selbst wenn das Männchen und Weibchen sich vereinigen. Wie viele Tiere vermehren sich nicht, obgleich sie in ihrem Vaterlande in beinahe freiem Zustande gehalten werden. Man schreibt dies allgemein, aber irrtümlich, der Entkräftung der Naturtriebe zu. Manche angebaute Pflanzen entfalten die äußerste Lebenskraft und tragen doch selten oder niemals Samen. In einigen wenigen Fällen hat man entdeckt, dass ein ganz geringfügiger Wechsel, z. B. etwas mehr oder weniger Wasser während eines besonderen Zeitabschnitts des Wachstums, den Ausschlag gibt, ob eine Pflanze Samen hervorbringen wird oder nicht. Ich kann hier nicht die Einzelheiten geben, die ich gesammelt und an einer andern Stelle über diesen sonderbaren Gegenstand veröffentlicht habe; aber um zu zeigen, wie eigentümlich die Gesetze sind, welche die Fortpflanzung der Tiere in der Gefangenschaft bestimmen, will ich erwähnen, dass fleischfressende Tiere, sogar aus den Tropen, in unsern Gegenden ziemlich aus freien Stücken in der Gefangenschaft gebären, mit Ausnahme der Sohlengänger oder der Bärenfamilie, die selten Junge hervorbringt, während die fleischfressenden Vögel, mit den seltensten Ausnahmen, kaum jemals befruchtete Eier legen. Viele ausländische Pflanzen haben einen völlig wertlosen Blütenstaub, ganz ebenso wie die unfruchtbarsten Bastardpflanzen. Wenn wir sehen, dass auf der einen Seite vom Menschen gezüchtete Tiere und Pflanzen, obwohl schwach und krank, freiwillig in der Gefangenschaft sich fortpflanzen, dass andererseits bei Geschöpfen, die in frühester Jugend dem Naturzustande entzogen und völlig gezähmt, die langlebig und gesund sind (wovon ich zahlreiche Beispiele geben könnte), das Fortpflanzungssystem durch unbegreifliche Ursachen so ernstlich beeinflusst ist, dass sie es zu benutzen unterlassen, so dürfen wir uns nicht wundern, dass dies System, wenn es in der Gefangenschaft sich betätigt, sich unregelmäßig betätigt und Sprösslinge hervorbringt, die ihren Eltern etwas unähnlich sind. Ich kann hinzufügen, dass ebenso wie manche Tiere auch unter den unnatürlichsten Bedingungen zeugen (z. B. Kaninchen und Frettchen, die in Kasten gehalten werden) und damit beweisen, dass ihre Fortpflanzungsorgane nicht leicht beeinflusst werden, manche Tiere und Pflanzen der Hauspflege oder Züchtung widerstehen und sich sehr unbedeutend, vielleicht kaum mehr als im Naturzustande abändern werden.

Einige Naturforscher haben die Meinung vertreten, dass alle Abänderungen mit dem Vorgange der geschlechtlichen Fortpflanzung verknüpft seien; aber das ist sicherlich ein Irrtum. Ich habe nämlich in einem andern Werke ein langes Verzeichnis von „Spielpflanzen“ aufgestellt, wie sie die Gärtner nennen, d. h. von Pflanzen, die plötzlich eine einzelne Knospe von neuer Art hervorbringen, die von den übrigen Knospen derselben Pflanze ganz verschieden ist. Die Knospen-Abänderungen, wie sie heißen mögen, können durch Pfropfreiser, durch Setzlinge und manchmal durch den Samen fortgepflanzt werden. Sie kommen im Naturzustande selten vor, sind aber unter dem Einfluss der Züchtung durchaus nicht selten. Wie man an einer einzelnen Knospe unter vielen tausenden, die Jahr für Jahr unter gleichförmigen Bedingungen hervorgebracht werden, plötzlich erkennt, dass sie ein anderes Wesen annimmt, und wie die Knospen an verschiedenen Bäumen, die nicht unter gleichen Bedingungen wachsen, zuweilen fast die gleiche Spielart liefern, z. B. Knospen auf Pfirsichbäumen, die Aprikosen, und Knospen an gemeinen Rosen, die Moosrosen hervorbringen, so sehen wir deutlich, dass für die Bestimmung einer jeden Besonderen Form die Abänderung der äußeren Bedingungen der Lebensform gegenüber von untergeordneter Wichtigkeit sind, vielleicht von keiner größeren, als die Art des Funkens, mit dem eine brennbare Masse angezündet wird, für die Bestimmung der Art der Flammen ist.

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Wirkungen der Gewohnheit und des Gebrauches oder Nichtgebrauches von Körperteilen. Die gegenseitige Beziehung der Abänderungen. Die Vererbung.

Veränderte Gewohnheiten bringen eine sich vererbende Wirkung hervor, so z. B. die Versetzung von Pflanzen aus einem Himmelsstrich in einen andern während ihrer Blütezeit. Bei Tieren hat der wachsende Gebrauch oder Nichtgebrauch der Körperteile einen merklichen Einfluss ausgeübt. So finde ich, dass bei der zahmen Ente im Verhältnis zum ganzen Knochengerüst die Flügelknochen weniger, die Fußknochen mehr wiegen als die gleichen Knochen bei der Wildente. Und diesen Wechsel kann man sicherlich dem zuschreiben, dass die zahme Ente weit weniger fliegt und mehr geht als ihre wilden Eltern. Die große und ererbte Entwickelung der Euter bei den Kühen und Ziegen in Gegenden, wo sie gewohnheitsmäßig gemolken werden, im Vergleich mit diesem Körperglied in anderen Gegenden ist wahrscheinlich ein zweites Beispiel der Wirkungen des Gebrauchs. Man kann keins von unsern Haustieren anführen, das nicht in irgend einer Gegend Hängeohren hätte; und die Vermutung, dass das Hängen der Ohren durch den Nichtgebrauch der Ohrmuskeln infolge der seltenen Beunruhigung der Tiere veranlasst sei, entbehrt nicht der Wahrscheinlichkeit.

Viele Gesetze regeln die Abänderung, von denen einige wenige undeutlich erkannt werden können und später kurz besprochen werden sollen. Ich will hier nur auf das hinweisen, was man die gegenseitige Beziehung der Abänderungen nennen kann. Wichtige Wandlungen in dem Keime oder der Larve des Tieres werden wahrscheinlich Wandlungen in dem ausgebildeten Tiere veranlassen. Bei Ungeheuerlichkeiten sind die gegenseitigen Beziehungen zwischen ganz verschiedenen Teilen sehr merkwürdig, und in Geoffroy St. Hilaire's großem Werk über diesen Gegenstand sind viel solche Beispiele angeführt. Die Züchter glauben, dass lange Glieder fast immer mit einem verlängerten Kopf verbunden sind. Einige Beispiele von gegenseitiger Beziehung sind ganz launenhaft. So sind ganz weiße Katzen mit blauen Augen gewöhnlich taub, aber es ist kürzlich von Tait festgestellt worden, dass dies auf die Männchen beschränkt ist. Eine bestimmte Farbe und Eigentümlichkeiten der Körperbeschaffenheit gehören zusammen; dafür könnten merkwürdige Fälle bei Tieren und Pflanzen angeführt werden. Nach Tatsachen, die Heusinger gesammelt hat, scheinen gewisse Pflanzen weißen Schafen und Schweinen zu schaden, dunkeln aber nicht. Professor Wyman hat mir kürzlich eine gute Erklärung dieser Tatsache mitgeteilt; als er einige Pächter in Virginia fragte, wie es käme, dass alle ihre Schweine schwarz wären, teilten sie ihm mit, dass die Schweine die Farbwurzel (Lachnanthes) fräßen, die ihre Knochen rot färbte und die Ursache wäre, dass bei allen, außer den schwarzen Spielarten die Hufe abfielen. Einer der virginischen Ansiedler fügte hinzu: „Wir suchen bei jedem Wurf die schwarzen Tiere aus, um sie aufzuziehen; denn nur sie haben Aussicht, am Leben zu bleiben.“ Haarlose Hunde haben unvollständige Zähne; lang- und grobhaarige Tiere haben, wie versichert wird, gewöhnlich viele oder lange Hörner; Tauben mit federbekleideten Füßen haben eine Haut zwischen den äußeren Zehen; Tauben mit kurzen Schnäbeln haben kleine, solche mit langen Schnäbeln große Füße. Wenn daher der Mensch eine Besonderheit ausliest und so vergrößert, wird er, nach den geheimnisvollen Gesetzen der gegenseitigen Beziehung, fast sicher andere Teile des Baues unabsichtlich ummodeln.

Die Ergebnisse der mannigfaltigen, unbekannten oder nur undeutlich verstandenen Gesetze der Abänderung sind unendlich verwickelt und verschiedenartig. Es ist wohl der Mühe wert, die Abhandlungen über einige unserer seit lange angebauten Pflanzen, wie über die Hyazinthe, die Kartoffel, selbst die Georgine zu lesen. Es ist wirklich überraschend, die zahllosen Punkte in Bau und Körperbeschaffenheit anzumerken, in denen die Spielarten und Unterspielarten sich um ein Geringes voneinander unterscheiden. Die ganze Körperbildung scheint bildsam geworden zu sein und weicht ein wenig von der des elterlichen Vorbildes ab.

Eine Abänderung, die nicht ererbt ist, ist für uns unwichtig. Aber die Zahl und Verschiedenheit der erblichen Abweichungen des Baues, sowohl der von geringfügiger, als der von beträchtlicher physiologischer Wichtigkeit, ist unübersehbar. Dr. Prosper Lucas' Abhandlung in zwei großen Bänden ist die vollständigste und beste über diesen Gegenstand. Kein Züchter zweifelt an dem starken Hange zur Vererbung; dass Gleiches Gleiches hervorbringe, ist sein feststehender Glaube; Zweifel an diesem Grundgesetz sind nur von Gelehrten erhoben worden. Wenn irgend eine Abweichung im Bau oft erscheint, und wir sie beim Vater und dem Kind sehen, können wir nicht sagen, ob sie nicht durch dieselbe Ursache hervorgerufen wird, die auf beide gewirkt hat. Aber wenn unter Geschöpfen, die offenbar unter denselben Bedingungen leben, eine sehr seltene Abweichung, das Werk einer außergewöhnlichen Verbindung von Umständen, sich bei dem Vater oder der Mutter zeigt – sagen wir einmal unter mehreren Millionen Geschöpfen – und bei dem Kinde wiedererscheint, so zwingt uns die bloße Wahrscheinlichkeitslehre fast, dies Wiedererscheinen der Vererbung zuzuschreiben. Jeder muss von Albinos, von Fällen von stachliger Haut und haarigen Körpern gehört haben, die in derselben Familie bei mehreren Gliedern erscheinen. Wenn eigentümliche und seltene Abweichungen des Baues wirklich vererbt werden, so kann man gern zugeben, dass weniger sonderbare und gewöhnlichere Abweichungen vererbbar sind. Vielleicht wäre der richtige Weg, den ganzen Gegenstand zu betrachten, die Vererbung eines jeden irgendwie beschaffenen Merkmals als die Regel, die Nichtvererbung als Ausnahme anzusehen.

Die Gesetze, die die Vererbung beherrschen, sind größtenteils unbekannt. Niemand kann sagen, woher dieselbe Eigentümlichkeit in Vertretern derselben Art oder in verschiedenen Arten manchmal vererbt wird und manchmal nicht; warum bei den Kindern oft gewisse Merkmale des Großvaters oder der Großmutter oder eines noch früheren Vorfahren wieder zum Vorschein kommen; warum eine Eigentümlichkeit oft von einem Geschlecht auf beide Geschlechter oder nur auf ein Geschlecht, und zwar gewöhnlich, aber nicht ausschließlich, auf dasselbe übertragen wird. Von ziemlicher Wichtigkeit für uns ist die Tatsache, dass Eigentümlichkeiten, die bei den Männchen unserer Haustierzucht erscheinen, ausschließlich oder in einem viel höheren Grade auf die männlichen Jungen allein vererbt werden. Ein viel wichtigeres Gesetz, das man, denke ich, für ausgemacht halten kann, ist, dass eine Eigentümlichkeit zu der Lebenszeit, in der sie zum ersten Mal erscheint, bei dem Sprössling wiedererscheint, wenn auch manchmal früher. In manchen Fällen kann dies nicht anders sein; so könnten die ererbten Eigentümlichkeiten der Hörner des Rindviehs nur bei herannahender Reife in dem Sprössling erscheinen; Eigentümlichkeiten des Seidenwurms treten bekanntlich in dem entsprechender Raupen- oder Kokonzustande auf. Aber erbliche Krankheiten und einige andere Tatsachen lassen mich glauben, dass das Gesetz eine weitere Ausdehnung hat, und dass, wenn es keinen augenscheinlichen Grund gibt, warum eine Eigentümlichkeit in einem bestimmten Alter erscheint, sie doch das Streben hat, bei dem Sprössling zu derselben Zeit zu erscheinen, zu der sie zuerst bei den Eltern erschien. Ich glaube, diese Regel ist von der höchsten Wichtigkeit zur Erklärung der Gesetze der Keimlehre. Diese Bemerkungen beziehen sich natürlich nur auf das erste Erscheinen der Eigentümlichkeit und nicht auf ihre Grundursache, die auf die Samenknospen oder das männliche Glied gewirkt haben kann; beinahe ebenso wie die größere Länge der Hörner beim Sprössling einer kurzgehörnten Kuh und eines langgehörnten Bullen, wenn sie auch spät im Leben erscheint, doch deutlich von dem männlichen Gliede stammt.

Da ich auf das Wiederauftreten verlorener Merkmale hingewiesen habe, kann ich mich hier auf eine Behauptung beziehen, die von Naturforschern oft aufgestellt worden ist, dass nämlich die Spielarten unserer Hauserzeugnisse, wenn sie wild werden, allmählich, aber sicher das Wesen ihrer ursprünglichen Stämme wieder annehmen. Daraus hat man gefolgert, dass von den Arten der Hauserzeugnisse keine Schlüsse für die Arten im Naturzustande gezogen werden können. Ich habe mich vergebens bemüht, zu entdecken, auf Grund welcher entscheidenden Tatsachen die obenerwähnte Behauptung so oft und so kühn ausgesprochen worden ist. Es würde sehr schwer sein, ihre Wahrheit zu beweisen. Wir können sicher schließen, dass sehr viele der hervorstechendsten Hausspielarten nicht im wilden Zustande leben könnten. In vielen Fällen wissen wir nicht, welcher der Ursprungsstamm war, und können also nicht sagen, ob ein beinahe vollkommenes Wiederauftreten der Merkmale eingetreten ist oder nicht. Um die Wirkungen der Kreuzung zu verhindern, hätte man nur eine einzige Spielart in ihrer neuen Heimat frei werden lassen dürfen. Nichtsdestoweniger scheint es mir, da unsere Spielarten sicherlich zuweilen in einigen ihrer Merkmale zur Elternform zurückkehren, nicht unwahrscheinlich, dass, wenn es uns gelänge, während vieler Geschlechter die verschiedenen Arten des Kohls z. B., heimisch zu machen oder in sehr magerem Boden anzubauen (in welchem Falle jedoch etwas der endgültigenWirksamkeit des mageren Boden zuzuschreiben wäre) sie in großem Maße oder sogar gänzlich zu dem wilden ursprünglichen Stamm zurückkehren würden. Ob der Versuch gelingen würde oder nicht, ist für unsere Beweisführung nicht von großer Wichtigkeit, denn durch den Versuch selbst werden die Lebensbedingungen geändert. Wenn man zeigen könnte, dass unsere Hausspielarten eine starke Neigung bekunden, die alten Merkmale wieder anzunehmen, d. h. ihr erworbenes Wesen zu verlieren, während sie unter gleichen Bedingungen und in beträchtlicher Menge gehalten werden, so dass die freie Kreuzung, indem sie sie zusammen mischt, unbedeutende Abweichungen in ihrem Bau ausgleichen könnte, in diesem Falle gäbe ich zu, dass wir von den Hausspielarten nichts in Bezug auf die Arten ableiten könnten. Aber es gibt nicht den Schatten eines Beweises dieser Ansicht; es würde aller Erfahrung entgegengesetzt sein, zu bestreiten, dass wir unsere Zug- und Rassepferde, lang- und kurzgehörntes Rindvieh und Federvieh von verschiedener Zucht und essbare Gemüse eine unbegrenzte Reihe von Geschlechtern hindurch züchten können.

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Die Kennzeichen der im Hause erzeugten Spielarten. Die Schwierigkeit, Spielarten und Arten zu unterscheiden. Entstehung der vom Menschen gezogenen Spielarten aus einer oder mehreren Arten.

Wenn wir die erblichen Spielarten oder Rassen unserer Haustiere und -pflanzen betrachten und sie mit nah verwandten Arten vergleichen, so erkennen wir, wie schon bemerkt, bei jeder Hausrasse weniger Gleichartigkeit des Wesens als in den wahren Arten. Hausrassen haben oft etwas Ungeheuerliches; damit meine ich, dass sie, obgleich sie sich voneinander und von andern Arten derselben Gattung nur in verschiedenen Kleinigkeiten unterscheiden, oft an einem Teil einen außerordentlich großen Unterschied zeigen, sowohl wenn man sie mit einander als besonders wenn man sie mit den wilden Arten vergleicht, mit denen sie am nächsten verwandt sind. Mit diesen Ausnahmen (und mit der vollkommenen Fruchtbarkeit der Spielarten, wenn sie sich kreuzen, – ein Gegenstand, der nachher behandelt werden soll) unterscheiden sich Hausrassen derselben Art von einander ebenso wie die nah verwandten Arten derselben Gattung im Naturzustande, aber die Unterschiede sind in den meisten Fällen weniger groß. Das muss als wahr zugegeben werden; denn die Hausrassen vieler Tiere und Pflanzen sind von einigen sachverständigen Beurteilern als Abkömmlinge ursprünglich verschiedener Arten und von andern sachverständigen Beurteilern als bloße Spielarten angesetzt worden. Wenn es irgendeinen deutlichen Unterschied zwischen einer Hausrasse und einer Art gäbe, würde diese Quelle des Zweifels nicht so fortwährend fließen. Es ist oft behauptet worden, dass Hausrassen sich von einander nicht in Merkmalen unterscheiden, die für die Einreihung in eine Gattung von Bedeutung sind. Es kann gezeigt werden, dass diese Behauptung nicht richtig ist; aber die Naturforscher gehen in der Bestimmung der Merkmale, die für die Gattungseinteilung von Bedeutung sind, sehr auseinander, da alle diese Wertbestimmungen jetzt aus der Erfahrung stammen. Wenn erklärt ist, wie die Gattungen im Naturzustande entstehen, wird man sehen, dass man bei unseren Hausrassen keine großen Gattungsunterschiede erwarten darf.

Wenn wir versuchen, den ganzen Unterschied im Körperbau zwischen verwandten Hausrassen zu schätzen, werden wir bald in Zweifel verwickelt, weil wir nicht wissen, ob sie von einer oder mehreren Elternarten herstammen. Die Aufklärung dieses Punktes würde von Interesse sein; wenn man z. B. zeigen könnte, dass das Windspiel, der Schweißhund, der Dachshund, der Hühnerhund und die Bulldogge, welche, wie wir alle wissen, ihr Geschlecht rein fortpflanzen. die Nachkommen einer einzigen Art sind, dann würden solche Tatsachen großes Gewicht haben und uns an der Unveränderlichkeit der vielen nahe verwandten natürlichen Arten – z. B. der vielen Füchse –, die verschiedene Teile der Welt bewohnen, zweifeln lassen. Ich glaube nicht, wie wir gleich sehen werden, dass der ganze Unterschied zwischen den verschiedenen Hunderassen durch die Zucht hervorgebracht worden ist, ich glaube, dass ein kleiner Teil des Unterschiedes sich davon herschreibt, dass sie von verschiedenen Arten abstammen. Bei stark ausgeprägten Rassen einiger anderer gezüchteter Arten ist zu vermuten oder sogar zu beweisen, dass alle von einem einzigen wilden Stamm herkommen.

Es ist oft angenommen worden, dass der Mensch Tiere und Pflanzen zur Zucht gewählt hat, die eine außerordentliche Neigung haben, sich abzuändern und auch unter verschiedenen Himmelsstrichen auszudauern. Ich bestreite nicht, dass diese Fähigkeiten den Wert der meisten unserer Zuchterzeugnisse sehr gesteigert haben. Aber konnte ein Wilder etwa wissen, als er zum ersten Mal ein Tier zähmte, ob es sich in den folgenden Geschlechtern abändern und unter andern Himmelsstrichen dauern würde? Hat die geringe Veränderlichkeit des Esels und der Gans oder die geringe Fähigkeit des Renntiers, Wärme, oder des Kamels, Kälte auszuhalten, ihre Zucht verhindert? Ich zweifle nicht, dass, wenn andere Tiere und Pflanzen, die an Zahl unsern Zuchterzeugnissen gleich wären und zu gleich verschiedenen Klassen und Gegenden gehörten, aus dem Naturzustande genommen und während einer gleichen Zahl von Geschlechtern gezüchtet werden könnten, sie im Durchschnitt sich ebenso sehr abändern würden, wie es die Elternarten unserer jetzigen Zuchterzeugnisse getan haben.

Bei den meisten unserer von alters her gezüchteten Tiere und Pflanzen ist es unmöglich, endgültig zu entscheiden, ob sie von einer oder mehreren wilden Arten stammen. Der Beweis, auf den sich diejenigen hauptsächlich verlassen, die an mehrfachen Ursprung unserer Haustiere glauben, ist, dass wir in den ältesten Zeiten auf den ägyptischen Denkmälern und in den schweizerischen Pfahlbauten viel Verschiedenheit in den Rassen finden, und dass einige dieser alten Rassen den noch vorhandenen sehr ähneln oder sogar ganz mit ihnen übereinstimmen. Aber das schiebt die Geschichte der Zivilisation nur weit zurück und zeigt, dass viel früher Tiere gezüchtet worden sind, als man bisher annahm. Die schweizerischen Pfahlbauer bauten mehrere Arten Weizen und Gerste, die Erbse, des Öls wegen den Mohn und Flachs, und sie besaßen mehrere Haustiere. Sie trieben auch Handel mit andern Völkern. All dies zeigt deutlich, wie Heer bemerkt hat, dass sie in dieser frühen Zeit weit vorgeschritten waren, und dies schließt wieder einen langdauernden vorhergehenden Zeitraum weniger fortgeschrittener Zivilisation ein, während welcher die von verschiedenen Stämmen in verschiedenen Gegenden gehaltenen Haustiere sich abgeändert und verschiedene Rassen hervorgebracht haben können. Seit der Auffindung von Feuersteinwerkzeugen in den Schichten vieler Teile der Erde glauben alle Geologen, dass das Zeitalter der Barbarei außerordentlich weit zurück liegt, und wir wissen, dass heute kaum ein Volksstamm auf einer so niedrigen Stufe steht, dass er nicht wenigstens den Hund gezüchtet hat.

Der Ursprung der meisten unserer Haustiere wird wahrscheinlich für immer unsicher bleiben. Aber ich kann hier in Bezug auf die Haushunde der ganzen Welt feststellen, dass ich nach einer mühsamen Sammlung aller bekannten Tatsachen zu dem Schluss gekommen bin, dass verschiedene wilde Arten von Canidae gezähmt worden sind, und dass ihr Blut, in manchen Fällen gemischt, in den Adern unserer Hausrassen fließt. Über die Schafe und Ziegen kann ich keine bestimmte Meinung aussprechen. Nach Tatsachen, die mir Blyth über die Gewohnheiten, Stimme, Körperbeschaffenheit und -bau des indischen Buckelrindviehs mitgeteilt hat, ist es beinahe sicher, dass es von einem andern Urstamm herkommt als unser europäisches Rindvieh, und einige Sachverständige glauben, dass dieses letztere zwei oder drei wilde Vorfahren gehabt hat, mögen diese nun den Namen Arten verdienen oder nicht. Diese Entscheidung sowohl wie die der Artverschiedenheit zwischen dem Buckel- und dem gewöhnlichen Rindvieh kann in der Tat durch die bewundernswerten Untersuchungen von Prof. Rütimeyer als gesichert betrachtet werden. Was die Pferde anbetrifft, so bin ich aus Gründen, die ich hier nicht anführen kann, im Gegensatz zu mehreren Schriftstellern, halb und halb geneigt, zu glauben, dass alle Rassen zu derselben Art gehören. Nachdem ich beinahe alle vorhandenen englischen Hühnerrassen gehalten, aufgezogen, gekreuzt und ihr Knochengerüst untersucht habe, scheint es mir fast gewiss, dass alle von dem wilden indischen Bankivahuhn stammen, und das ist auch der Schluss von Blyth und andern, die über diesen Vogel Untersuchungen angestellt haben. Bei den Enten und Kaninchen, von denen einige Rassen sehr voneinander abweichen, ist klar bewiesen, dass sie alle von der gemeinen wilden Ente und dem gemeinen wilden Kaninchen herstammen.

Die Lehre vom Ursprung unserer verschiedenen Hausrassen aus mehreren Urstämmen ist von einigen Schriftstellern bis zu einem lächerlichen Übermaß getrieben worden. Sie glauben, dass jede Rasse, welche sich rein fortpflanzt, mögen die unterscheidenden Merkmale auch noch so unbedeutend sein, ihre wilde Urform gehabt hat. Auf diese Weise müssen wenigstens zwanzig Arten von wildem Rindvieh, ebenso viel Arten Schafe und mehrere Arten Ziegen allein in Europa vorhanden gewesen sein, und mehrere sogar in Großbritannien. Ein Schriftsteller glaubt, dass Großbritannien früher elf wilde Arten Schafe für sich aufzuweisen hatte! Wenn wir uns nun erinnern, dass England jetzt nicht ein ihm eigentümliches Säugetier und Frankreich nur wenige hat, die von denen in Deutschland verschieden sind, und dass es so mit Ungarn und Spanien steht, aber dass jedes dieser Reiche mehre besondere Rassen Rindvieh, Schafe u.s.w. besitzt, so müssen wir zugeben, dass viele Hausrassen in Europa entstanden sein müssen; von woher hätten sie sonst kommen sollen? So ist es auch in Indien. Sogar bei den Rassen des Haushundes in der ganzen Welt, die, wie ich zugebe, von mehreren wilden Arten stammen, kann man nicht zweifeln, dass sie das Ergebnis einer ungeheuren Anhäufung ererbter Abänderung sind. Denn wer wird glauben, dass Tiere, die genau dem italienischen Windspiel, dem Schweißhund, der Bulldogge, dem Mopshund oder dem Blenheim-Wachtelhund gleichen, die allen wilden Canidae so unähnlich sind, jemals im Naturzustande vorhanden waren. Es ist oft so hingesprochen worden, dass alle unsre Hunderassen durch die Kreuzung einiger wilder Arten hervorgebracht worden seien. Aber durch Kreuzung können wir nur Formen erhalten, die einigermaßen die Mittelstufe zwischen dem Elternpaar bilden, und wenn wir unsere verschiedenen Hausrassen durch diesen Vorgang erklären, müssen wir das frühere Vorhandensein der ausgesprochensten Formen, nämlich des italienischen Windspiels, des Schweißhundes, der Bulldogge u.s.w. im Naturzustande zugeben. Überdies ist die Möglichkeit, durch Kreuzung verschieden Rassen zu bilden, sehr übertrieben worden. Es wird über viele Fälle berichtet, die zeigen, dass eine Rasse durch gelegentliche Kreuzung umgemodelt werden kann, wenn man durch sorgfältige Auslese des Vertreters, der das gewünschte Merkmal trägt, nachhilft; aber eine Rasse zu erhalten, die zwischen zwei ganz verschiedenen Rassen die Mitte hält, würde sehr schwierig sein. Sir J. Sebright machte ausdrücklich einen Versuch mit diesem Gegenstand und scheiterte. Die Nachkommenschaft der ersten Kreuzung zwischen zwei reinen Rassen ist ziemlich und manchmal, wie ich bei Tauben gefunden habe, ganz gleich im Wesen, und alles scheint einfach genug. Aber wenn diese Mischlinge mehrere Geschlechter hindurch mit einander gekreuzt werden, sind kaum zwei von ihnen gleich, und dann wird die Schwierigkeit der Aufgabe offenbar.

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Die Rassen der Haustauben, ihre Unterschiede und ihre Entstehung.

In der Meinung, dass es immer am besten ist, an irgend einer Besonderen Gruppe seine Untersuchungen anzustellen, habe ich mich, nach reiflicher Überlegung, mit den Haustauben befasst. Ich habe jede Rasse gehalten, die ich kaufen oder anders bekommen konnte, und bin aufs freundlichste mit Bälgen aus verschiedenen Weltgegenden versorgt worden, besonders von Herrn W. Elliot aus Indien und Herrn C. Murray aus Persien. Viele Abhandlungen in verschiedenen Sprachen sind schon über die Tauben veröffentlicht worden, von denen einige sehr wichtig sind, da sie aus beträchtlich alter Zeit stammen. Ich bin in Beziehung getreten zu mehreren hervorragenden Züchtern und habe den Zutritt zu zwei Londoner Vereinen für Taubenzucht erlangt. Der Unterschied der Rassen ist einigermaßen erstaunlich. Man vergleiche die englische Brieftaube und den kurzgesichtigen Tummler und achte auf den wunderbaren Unterschied ihres Schnabels, der entsprechende Unterschiede in ihren Kröpfen nötig macht. Die Brieftaube, besonders der männliche Vogel, ist dazu noch bemerkenswert wegen der wunderbaren Entwicklung des fleischigen Auswuchses der Haut am Kopf; dem gesellen sich sehr lange Augenlider, sehr große äußere Öffnungen zu den Nasenlöchern und eine weite Mundspalte zu. Der kurzgesichtige Tummler hat einen Schnabel, der in seinen äußeren Linien dem des Finken fast gleicht; der gemeine Tummler hat die besondere ererbte Gewohnheit, in großer Höhe in dichtem Schwarm zu fliegen und in der Luft Hals über Kopf sich zu tummeln. Die spanische Taube ist ein Vogel von großem Umfange mit langem, festem Schnabel und breiten Füßen; einige Unterrassen der spanischen Taube haben einen sehr langen Hals, andere sehr lange Flügel und einen sehr langen Steiß, wieder andere einen ausnehmend kurzen Steiß. Die numidische Taube ist der Brieftaube verwandt, aber anstatt des langen Schnabels hat sie einen sehr kurzen und breiten. Die Kropftaube hat einen sehr langen Körper, lange Flügel und Füße, und ihr ungeheuerlich entwickelter Kropf, den sie prahlend aufbläht, kann wohl Erstaunen und Gelächter erregen. Die Ringeltaube hat einen kurzen kegelförmigen Schnabel und eine Reihe umgekehrt stehender Federn bis zur Brust hinab; sie hat die Gewohnheit, den oberen Teil des Schlundes beständig ein wenig auszudehnen. Bei der Schleiertaube stehen die Federn an der Hinterseite des Halses so umgekehrt, dass sie eine Art Haube bilden; sie hat ihrer Größe gemäß lange Flügel- und Steißfedern. Die Trompeter- und Lachtaube stoßen, wie schon ihr Name andeutet, einen von dem der andern Rassen ganz verschiedenen Laut aus. Die Pfautaube hat dreißig oder sogar vierzig Schwanzfedern, statt zwölf oder vierzehn, der gewöhnlichen Zahl bei allen Mitgliedern der großen Taubenfamilie; diese Federn werden ausgebreitet gehalten und so aufrecht getragen, dass bei kräftigen Vögeln Kopf und Schwanz sich berühren; die Öldrüse ist ganz missbeschaffen. Manche andre weniger hervorstechende Arten könnte man noch schildern.

Im Knochengerüst mehrerer Rassen unterscheidet sich die Entwickelung der Gesichtsknochen nach Länge, Breite und Krümmung außerordentlich. Die Gestalt wie die Breite und Länge des Ramus des Unterkiefers schwankt in höchst bemerkenswerter Weise. Die Schwanz- und Sakralwirbel schwanken in ihrer Zahl; bei den Rippen erstreckt sich dies Schwanken auch auf ihre Breite und das Vorhandensein der Fortsätze. Die Größe und Gestalt der Öffnungen im Brustbein ist höchst veränderlich, ebenso der Grad des Unterschiedes und der bezüglichen Größe der Schlüsselbeine. Die Weite der Mundspalte, die Länge der Augenlider, der Öffnung der Nasenlöcher, der Zunge (die nicht immer in genauem Verhältnis zur Länge des Schnabels steht), die Größe des Kropfes und des oberen Teils des Schlundes, die Entwicklung und Missbildung der Öldrüse, die Anzahl der Hauptflügel- und Schwanzfedern, das Verhältnis der Länge des Flügels und Schwanzes zu einander und zum ganzen Körper, das Verhältnis der Länge von Bein und Fuß, die Anzahl der Plättchen auf den Zehen, die Entwicklung der Haut zwischen den Zehen sind alles Punkte, in denen der Körperbau veränderlich ist. Die Zeit, zu der das vollständige Gefieder erlangt wird, schwankt ebenso wie der Zustand der Flaumfedern, mit denen die Nestlinge beim Auskriechen bekleidet sind. Die Gestalt und Größe der Eier ist verschieden. Die Art des Fluges und bei einigen Rassen die Stimme und Anlage weicht merklich voneinander ab. Schließlich hat sich bei gewissen Rassen eine leichte Verschiedenheit zwischen Männchen und Weibchen entwickelt.

Im Ganzen könnten wenigstens an zwanzig Tauben ausgewählt werden, die jeder Ornithologe, wenn man sie ihm zeigte und für wilde ausgäbe, gewiss als genau bestimmte Arten ansetzen würde. Überdies glaube ich nicht, dass irgend ein Ornithologe in diesem Fall die Brieftaube, den kurzgesichtigen Tummler, die spanische, die numidische Taube, die Kropf- und die Pfautaube derselben Gattung zuweisen würde, besonders da man in jeder dieser Rassen ihm mehrere echte Unterrassen oder Arten, wie er sie nennen würde, zeigen könnte.

So groß auch die Unterschiede zwischen den Taubenrassen sind, so bin ich doch vollständig davon überzeugt, dass die gewöhnliche Meinung der Naturforscher richtig ist, dass sie sämtlich von der Felsentaube (Columba livia) abstammen, wenn man in diesen Namen mehrere geographische Unterarten einbezieht, die sich in geringfügigen Kleinigkeiten voneinander unterscheiden. Da einige der Gründe, welche mich zu diesem Glauben gebracht haben, auch auf andere Fälle einigermaßen anwendbar sind, will ich sie hier kurz darlegen. Wenn die verschiedenen Rassen keine Spielarten sind und nicht von der Felsentaube herkommen, müssen sie Sprösslinge von wenigstens sieben oder acht Urstämmen sein; denn es ist unmöglich, die gegenwärtigen Hausrassen durch die Kreuzung einer geringeren Anzahl zu erzeugen. Wie könnte z. B. eine Kropftaube durch Kreuzung zweier Rassen hervorgebracht werden, wenn nicht wenigstens einer der Elternstämme den kennzeichnenden ungeheuren Kropf besäße? Die angenommenen Urstämme müssten alle Felsentauben gewesen sein, d. h. sie brüteten nicht auf Bäumen, noch setzten sie sich aus freien Stücken auf diese. Aber außer der Columba livia mit ihren geographischen Unterarten sind nur zwei oder drei Arten von Felsentauben bekannt, und diese haben keines der Merkmale der Hausrassen. Daher müssen die angenommenen Urstämme in den Gegenden, in denen sie ursprünglich gezüchtet wurden, noch vorhanden und doch den Ornithologen unbekannt sein. Dies scheint aber, wenn man ihre Größe, Gewohnheiten und hervorstechenden Kennzeichen betrachtet, unwahrscheinlich. Oder sie müssen in wildem Zustande ausgerottet sein. Aber man kann nicht voraussetzen, dass Vögel, die über Abgründen brüteten und gute Flieger waren, ausgerottet worden sind. Selbst die gemeine Felsentaube, die dieselben Gewohnheiten wie die Hausrassen hat, ist sogar auf einigen der kleinsten britischen Inseln und an den Küsten des mittelländischen Meeres nicht ausgerottet worden. Daher scheint die angenommene Ausrottung so vieler Arten, die ähnliche Gewohnheiten hatten wie die Felsentaube, eine sehr voreilige Annahme. Dazu sind verschiedene der oben genannten Hausrassen nach allen Teilen der Welt gebracht worden, und einige von ihnen müssten daher in ihre Heimat zurückgelangt sein; aber keine von ihnen ist in den wilden und raublustigen Zustand zurückverfallen, während doch die Haustaube, die ein wenig verändertes Abbild der Felsentaube ist, an verschiedenen Stellen raublustig geworden ist. Jede neue Erfahrung zeigt, wie schwer es zu erreichen ist, dass wilde Tiere unter dem Zwange der Hauspflege aus freien Stücken brüten. Nehmen wir indessen an, dass unsere Tauben von mehreren Arten herstammen, so müssten mindestens sieben oder acht Arten in alter Zeit durch den halbzivilisierten Menschen so gezähmt worden sein, dass sie auch in der Gefangenschaft unbeschränkt Nachkommenschaft hervorbrachten.

Ein Beweisgrund von großem Gewicht, den man auch in mehreren andern Fällen anwenden kann, ist der, dass die oben geschilderten Rassen, obwohl sie im allgemeinen mit der wilden Felsentaube in Körperbeschaffenheit, Gewohnheiten, Stimme, Färbung und in den meisten Teilen ihres Körperbaues übereinstimmen, doch in andern Teilen gewiss in hohem Grade von ihr abweichen. Wir würden uns in der ganzen großen Familie der taubenartigen Vögel vergeblich nach einem Schnabel umsehen, der dem der englischen Brieftaube oder des kurzgesichtigen Tummlers oder der numidischen Taube gleich wäre, nach umgekehrt stehenden Federn wie bei der Schleiertaube, nach einem Kropf wie bei der Kropftaube, nach einem Schwanz wie bei der Pfautaube. Daher müsste man annehmen, dass es dem halbzivilisierten Menschen nicht nur gelungen ist, verschiedene Arten gänzlich zu zähmen, sondern auch, dass er mit Absicht oder durch Zufall einige besonders abweichende Arten ausgelesen hat, und ferner, dass diese echten Arten seitdem alle vernichtet oder unbekannt geworden sind. Das Zusammentreffen so vieler sonderbarer Zufälligkeiten ist im höchsten Grade unwahrscheinlich.