4,99 €
Nach der Zerstörung ihrer Heimat haben die Siedler in dem Rebellendorf Rooksville eine Zuflucht gefunden. Dort herrscht ein beinahe idyllischer Friede, der dem IT-Spezialisten BJ merkwürdig vorkommt. Doch nur ihm scheint aufzufallen, dass in dem Dorf nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Verrennt er sich in seiner Skepsis? Gleichzeitig kämpft die junge Heilsanwärterin Ida im Zentrum gegen ihre unberechtigte Degradierung. Was sie nicht weiß: Sie steht unter ständiger Beobachtung und ihre Handlungen beeinflussen nicht nur ihr eigenes Schicksal. Werden die Siedler ihre Freiheit bewahren können, oder werden auch sie zu Marionetten im Spiel des Ältesten? Die Erben des Lichtervolks - Eine fesselnde Geschichte über Verrat, Loyalität und den unaufhörlichen Kampf um Freiheit.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 900
Veröffentlichungsjahr: 2024
Die Erben des
Lichtervolks
Der Marionettenmacher
Sabrina Schluer
Content Notes umseitig
Content Notes - Diskriminierung und Verfolgung aufgrund von Andersartigkeit - Blut - Nahtoderfahrung - Verwesung - körperliche Gewalt - Freiheitsberaubung, physisch und psychisch - Kriegshandlung - Erbrechen - Alkoholkonsum
Für uns, weil es weiter ging, als gedacht.
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
Originalcopyright: © Sabrina Schluer, 2024 - alle Rechte vorbehalten.
Kontakt: Sabrina Schluer, Wiesengrund 10, 33181 Bad Wünnenberg
Instagram: @die_schreibende_schluer
Umschlagillustration & -gestaltung: © Leisha Winter, É.R.Aranyos
Lektorat: Petra Hoberg
Klappentextlektorat: Lia Nilges
1. Auflage
ISBN: 978-3-384-30338-7
Es war beruhigend für den Ältesten, sich die Aufzeichnungen der Gefangennahme noch einmal ganz genau anzuschauen. Dabei konnte er dieses schreckliche Gefühl des drohenden Scheiterns besser verarbeiten. Die erste Phase seines Plans war mehr als heikel verlaufen. Sie hatte weitaus länger gedauert und war auch deutlich komplizierter vonstattengegangen als beabsichtigt, aber letztlich hatte sich das Warten doch ausgezahlt. Ein leises Klopfen ertönte, dann kam Ejon, der oberste Diener herein.
»Sir, alles ist reibungslos verlaufen. Sie ist auf dem Weg in ihre … Unterkunft«, schnarrte er ohne weitere Begrüßung und ohne den Ältesten anzuschauen. Er hatte seine Brille so weit nach unten über die Nasenspitze geschoben, dass man meinen konnte, sie müsse jeden Moment herunterfallen.
»Gut.« Der Älteste fixierte den drahtigen Mann, auf dessen blassen Wangen kleine rosa Flecken erschienen. Ejon hielt den Blick gesenkt, wie es sich gehörte. Nur sehr selten erhielt er noch die Erlaubnis, den Blickkontakt aufzunehmen. »Und weiter?«
»Was die andere Angelegenheit betrifft, da gibt es noch keine neuen Erkenntnisse.«
Ejons Lippen waren nur noch ein schmaler Strich. Der Älteste wusste, dass der O.D. unzufrieden mit seiner Arbeit war, die tatsächlich in letzter Zeit zu wünschen übrigließ. Immer wieder war ihm das Ziel durch die spinnenartigen Finger geglitten, nachdem er seinen ersten und letzten Alleingang gewagt und die kleine Gruppe von Abtrünnigen angegriffen hatte. Mit der Aktion hatte er den Zeitplan gesprengt und der Älteste konnte nur hoffen, dass dies keine langfristigen Auswirkungen haben würde. Auch ansonsten war Ejon ungewöhnlich schlecht informiert gewesen, was gewisse Details betraf. Dass Edda noch zu krank gewesen war um ins Zentrum überführt zu werden, war allein Ejons mangelhaftem Zeitmanagement zuzuschreiben. Er hatte den Transport um beinahe zwei Wochen verzögern müssen.
Dennoch hatte Ejon es geschafft, sich ein Stück seiner Gunst zurück zu erwerben, indem er dem Ältesten ein wirklich reizendes Geschenk präsentiert hatte. Der hatte nicht damit gerechnet, das alte Schmuckstück seiner Mutter noch einmal wiederzusehen. Ejon hatte natürlich keine Ahnung, was es mit der Kette auf sich hatte und der Älteste hatte sich nicht die Mühe gemacht, es ihm zu erklären.
»Wie sieht es in der Vorstadt aus?«, fragte der Älteste, seine Missbilligung über Ejons mangelnde Fortschritte, was das Mädchen anging, mühsam zurückhaltend.
»Dem Transport steht nichts im Wege, wie mir die leitende Oberärztin mitteilt.«
»Nun, dann veranlassen Sie alles Weitere!« Die Ungeduld ließ die Stimme des Ältesten Beben.
»Sehr wohl«, hauchte Ejon, was wegen seiner knarzigen Stimme eher wie ein Fauchen klang, und verneigte sich einmal kurz. Er ließ sich seine Erleichterung darüber, ohne erneute Strafe davongekommen zu sein, kaum anmerken. Die letzte Bestrafung hatte er anscheinend noch nicht ganz verwunden, seine Bewegungen sahen steifer aus als es ohnehin immer der Fall war.
»Ach, da wäre noch etwas, Carter.«
»Sir?« Ejon drehte sich noch einmal um und neigte den Kopf, um Aufmerksamkeit zu signalisieren.
»Ich denke, ich werde selbst in die Zone reisen und mich um den Partner kümmern. Wir haben ja inzwischen festgestellt, dass es nicht gut ist, wenn Sie das Kommando übernehmen, nicht wahr?« Er konnte es sich nicht verkneifen, seinen zerknirscht wirkenden O.D. gehässig anzugrinsen. »Natürlich werden Ihre Wünsche, was die Bestrafung angeht, dabei berücksichtigt, Ejon«, fügte er gönnerhaft hinzu. »Lassen Sie sie nicht aus den Augen, während ich fort bin. Und tun Sie alles, was getan werden muss. Wir müssen es nun endlich zu Ende bringen.«
»Selbstverständlich, Sir.« Ejon ließ sich sein Befremden über die Großzügigkeit, seine Rachegelüste betreffend, kaum anmerken. Kein Grund für den Ältesten ihm Respekt entgegenzubringen. Doch die Entscheidung, ihn zum Obersten Diener zu erklären, war gut gewesen, das konnte er nicht leugnen. Es bestätigte sich immer wieder aufs Neue, was zeigte, welch brillanter Verstand ihm gegeben war. Gleichwohl Carter zuweilen mit seinen Hirngespinsten und wirren Warnungen nerven konnte. Wenigstens dachte er in der Regel mit, was der Älteste sonst nur von den Generälen erwarten konnte. Gut, bei seinem Alleingang hatte Ejon offenbar sein Gehirn samt Premium-Zwölfer in Stand-by versetzt, aber ansonsten konnte man ihm durchaus eine gewisse Intelligenz zugestehen. Dass er mit seinem Vorstoß auf diesen kleinen Hundestall im Wald eine herbe Niederlage hatte kassieren müssen, hatte ihm einen ordentlichen Dämpfer versetzt. Doch nicht nur deswegen brauchte er einen kleinen Motivationsschub. Die Tatsache, dass es dem Ältesten in Wahrheit um das Mädchen und nicht um den Soldaten gegangen war, hatte Ejons Einsatzbereitschaft zusätzlich schwer erschüttert. Nach einer weiteren zackigen Verbeugung verließ der O.D. das große Arbeitszimmer und ein sehr leises Klicken der Tür ließ die Schlussfolgerung zu, dass er nicht recht in Form war. Normalerweise musste der Älteste sich immer rückversichern, ob er wirklich allein war, nachdem er Ejon entlassen hatte. Er schmunzelte und widmete sich einer seiner teuren Zigarren. Die erste Phase des langwierigen Plans war endlich abgeschlossen und alles Weitere musste nun die zweite Phase bringen.
Er würde sich erneut in Geduld üben müssen und die Zeit für sich arbeiten lassen. Inzwischen wusste er, wie er es bewerkstelligen konnte, seine Ungeduld im Zaum zu halten, und er würde es wieder schaffen. Den Blick aus dem Fenster richtend und die Zigarre anzündend, dachte er über seine jüngsten Erkenntnisse nach.
Der Nebel in Jasons Kopf wollte nicht mehr verschwinden. Aufgezogen war er, als Chris mit der schlimmsten Nachricht von allen nach Hause gekommen und er, Jason, ohnmächtig auf dem Teppich zusammengebrochen war. Verdichtet hatte er sich, als Jason gemeinsam mit einigen ausgewählten Begleitern in den Wald gegangen war, um die Stelle aufzusuchen, an der seine Tochter gestorben war. Das Geschütz, welches sie erschossen hatte, war entfernt und durch ein neues, etwa fünf Kilometer weiter östlich, ersetzt worden. Kein umgeknickter Ast, keine zerbröselten Blätter oder zertretenes Moos zeugten von dem Grauen, dass sich hier nur zwei Tage zuvor ereignet hatte. Roland und Mike hatten Jason auf dem gesamten Rückweg ins Dorf stützen müssen, so schwach war er angesichts seines Verlusts gewesen.
Seither hatten ihn die undurchdringlichen Schleier der Trauer und der nagenden Schuld fest im Griff, hielten ihn gefangen in einem finsteren Abgrund, aus dem es kein Entkommen zu geben schien. Seit seinem Auszug aus dem Siedlerhaus wurde es etwas besser. Wenn er jedoch an die ersten Wochen zurückdachte, zog sich sein Magen krampfend zusammen. Damals war es am schlimmsten gewesen. Jason hatte es nicht übers Herz gebracht, sein altes Schlafzimmer zu betreten und Majas persönliche Sachen zu sortieren. Dass er sie tatsächlich die letzten Nächte aus ihrem Bett verbannt, dass er sie nicht in seiner Nähe gehalten hatte, so wie es sich für einen verantwortungsvollen Vater gehörte, raubte ihm schier den Verstand. Wie kleinlich er sich aufgeführt hatte! Es war erbärmlich gewesen.
Janosh und Anita hatten es übernommen, Majas Hab und Gut zusammenzupacken. Die große Umhängetasche, in der seine Tochter die wenigen übriggebliebenen Habseligkeiten aus der zerstörten Siedlung verwahrt hatte, lag nun nebenan in dem unmöblierten Schlafzimmer seiner kleinen Wohnung. Jason betrat diesen Raum nicht. Er hatte seine Matratze aus dem Siedlerhaus mitgenommen und sie einfach hier mitten in die Küche gelegt. Und da lag sie nun und auf ihr lag er. Wie immer in letzter Zeit.
Jason sah keinen Sinn mehr in diesem Leben, das er doch einzig und allein der Aufgabe gewidmet hatte, Maja zu beschützen. Seine unglaubliche, mutige Tochter, die das Schicksal ihm geschenkt und die er, wie so viele vor ihr, an das Zentrum verloren hatte. Er war seiner Aufgabe nicht nachgekommen, hatte versagt und nun war sie tot. Sie war gestorben, bevor Jason sich mit ihr versöhnt hatte, bevor er sich hatte entschuldigen können. Immer wieder schlich dieses fiese kleine Männchen in seinem Kopf herum, das ihn anschrie und verhöhnte, weil er so stur gewesen war und es zugelassen hatte, dass sie sich ihm entzog. Mike und Janosh hatten Jason davon abgehalten, sich mit einem von Tobis Seilen im Wald zu erhängen und warfen seither ein wachsames Auge auf ihn. Wobei diese Aufgabe dann letztlich doch Mike vollständig übernommen hatte. Das mit Janosh war derzeit ein heikles Thema.
Der Mond schickte seine blassen Strahlen durch das weit geöffnete Fenster. Jason lag davon abgewandt auf seiner Matratze und vergoss bittere Tränen. Er hatte Maja mit seinem Verhalten praktisch von sich fortgetrieben. Dabei hätte er es doch besser wissen müssen und ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen sollen. Stattdessen hatte er alles daran gesetzt, sie von dem Mann, in den sie sich nun einmal verliebt hatte, fernzuhalten. Für Jason war Joe ein Eindringling gewesen – ein Zenti – und damit ein Feind. Doch inzwischen war Jason klar, dass er dem jungen Elitesoldaten, der große Gefahren auf sich genommen hatte, um in die Freiheit zu gelangen, zu Unrecht misstraut hatte. Und so kam es, dass er nicht nur den Tod seiner eigenen Tochter, sondern auch den Joes verschuldet hatte. Er hatte ihn losgeschickt, sie zu suchen, nachdem er ihm das Leben schwergemacht und ihm übel mitgespielt hatte. Er hatte ihn schikaniert, dafür, dass er sich Majas Bann nicht hatte entziehen können. Es war so schrecklich unfair von Jason gewesen. Joe hatte ihm zurecht vorgeworfen, dass er, Jason, Schuld daran trug, dass er sie nicht hatte aufspüren können, bevor er in seinen eigenen Tod gerannt war.
»Jason?«
Er schreckte auf. »Was? Wer?«
»Ich bin es.«
»Oh, hey …« Warum funkte Sigrid ihn mitten in der Nacht an? Und warum klang sie so wütend? »Ist alles in Ordnung?«
»Wo bleibst du? Du hättest schon vor einer halben Stunde hier sein sollen!«
Erst jetzt registrierte Jason, dass es um ihn herum hell war. »Ach Mist, Sigrid, entschuldige. Ich … äh …«
»Hast mal wieder die Nacht zum Tag gemacht, was?« Nun klang sie wie seine Mutter.
»Nein, es –«
»Schwing die Hufe, Jason! Du kannst mich nicht ewig hinhalten.«
»Hör mal, ich hab verschlafen und will dich nicht–« Sie hatte die Verbindung beendet.
Ein frustriertes Seufzen entfuhr Jason und er ließ sich auf die Matratze zurücksinken. Er hatte die Blutuntersuchung mal wieder vergessen. Sigrid bat ihn seit Wochen darum, morgens auf nüchternen Magen in die Krankenstation zu kommen, damit sie ihm Blut abnehmen konnte. Sie sorgte sich aus unerfindlichen Gründen um die Gesundheit der Siedler. Jason fand, dass sie es übertrieb, schließlich ging es ihnen allen gut hier. Zumindest körperlich.
Selbst Chris erholte sich langsam von seinem Zusammenbruch. Nachdem er den geschockten Siedlern alles erzählt hatte, was an diesem verhängnisvollen Tag im Wald geschehen war, hatte er sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Fünf Tage lang war er nicht herausgekommen um zu essen oder zu trinken. Alles Bitten und Flehen seiner Mutter hatte er ignoriert, sodass Sigrid schließlich Jason und Mike gebeten hatte, die Zimmertür aufzubrechen. Sie fanden Chris in katastrophalem Zustand vor. Man brachte ihn zur Krankenstation und die beiden Ärzte versorgten ihn mit den besten Medikamenten, die Rooksville zu bieten hatte.
Letztlich war es jedoch der großartigen Krankenpflegerin Olivia zu verdanken, dass Chris seinen Weg zurück ins Leben fand.
Sein jüngerer Bruder hingegen war erneut in ein tiefes Loch gefallen und das bereitete Jason enorme Sorgen. Tobi hatte Jason erzählt, was er mitbekommen hatte, bevor alles so furchtbar schiefgegangen war, und auch, was er mit Joe besprochen hatte, nachdem die Siedler in Rooksville angekommen waren. Danach hatte er dichtgemacht und Jason mit seinen nun noch schlimmer quälenden Selbstvorwürfen sich selbst überlassen. Tobi war oft im Wald unterwegs, ging alleine raus auf die Jagd oder Materialsuche für seine Netze und Lederbänder und verbrachte kaum noch Zeit mit seiner Familie oder den Jungs aus dem Dorf.
Ächzend erhob Jason sich aus seinem provisorischen Bett. Sigrids Laune wurde sicher nicht besser, wenn er sie noch länger warten ließ. Er fühlte sich steif und alt. Vor allem alt. Als er die Glieder streckte knackten die Gelenke und ihm wurde etwas schwindelig. Er schwankte leicht und war froh, als er sich an der Küchenzeile abstützen konnte. Ohne hinsehen zu müssen zog er einen Becher aus dem Regal über sich, der ihm jedoch entglitt und scheppernd auf der Arbeitsplatte landete. Das laute Klirren dröhnte in seinen Ohren und hallte in seinem Kopf nach. Er schielte zu der leeren Whiskyflasche, die neben der Matratze auf dem Boden lag.
Während er den Kaffee kochte, drifteten seine Gedanken in die dunkelsten Gefilde ab. Er erinnerte sich an Majas zornfunkelnde Augen und die Enttäuschung, die er dahinter erkannt hatte. Nachdem Jason seine Tochter mit Joe im Bett erwischt hatte, waren in ihm einige Sicherungen durchgebrannt und er hatte die unausgesprochene Grenze überschritten, die das Verhältnis von Vätern zu ihren Töchtern normalerweise schützt. Maja war damals nicht von sich aus zu ihm gekommen um das Versöhnungsgespräch zu suchen. So harmoniebedürftig sie üblicherweise war, diesmal war sie zu sauer auf Jason gewesen und das, wie er sich eingestehen musste, zu Recht. Oft dachte er, dass sie damals noch nicht wütend genug auf ihn war. Sie kannte die ganze Wahrheit und die Tragweite seines Verrats nicht einmal. Jason hatte sie in mehrfacher Hinsicht angelogen. Er hatte ihr nicht erzählt, wie das kurze Strahlen über den Körper ihrer Mutter gezogen war, als sie Maja ein einziges Mal an ihre knochige Brust gedrückt und leise ihren Namen geflüstert hatte. Mit dem matten Schein, der auf das neugeborene Kind überzugehen schien, erlosch das Leuchten ihrer Augen, die ihre kleine Tochter angeschaut hatten, ohne sie noch länger zu sehen. Jason redete sich immer wieder ein, dass er aus gutem Grund nichts gesagt hatte, versuchte, eine Rechtfertigung für seine eigene Torheit zu finden. Er hatte sich selbst all die Jahre vorgemacht, sich das sehr schwache Leuchten nur eingebildet zu haben. Und er hätte doch niemals ahnen können, dass an den Geschichten über die Auren wirklich etwas dran war!
Er hatte seine Zweifel an der realen Existenz dieses mystischen Volkes schließlich nie verheimlicht, was schon zu Zeiten der noch jungen Siedlung so manch hitzige Diskussion mit Janosh nach sich gezogen hatte. Janosh wusste mit weitem Abstand zu allen anderen Menschen, die Jason kannte, am meisten über das Lichtervolk und den alten Glauben. Er war immer mit Feuereifer bei der Sache, wenn es darum ging ’einen Ahnungslosen zu bekehren’, wie er es einmal in einem freundschaftlichen Schlagabtausch mit Jason ausgedrückt hatte. Genau diese Zweifel, hatten ihn Janoshs Zuspruch und Freundschaft nun scheinbar endgültig beraubt.
Jason setzte sich an den Küchentisch und trank seinen Kaffee, schwarz und ungesüßt, in kleinen Schlucken. Dabei dachte er an das verhängnisvolle Gespräch, welches er mit Janosh vor einigen Wochen geführt hatte. Janosh hatte ihm endlich die berechtigten Vorwürfe entgegen geschleudert, auf die Jason schon gewartet hatte.
»Wie kommt es, dass du deinem ältesten, ehrlichsten Freund nicht mehr vertraust, Jason?« Janosh hatte nicht mal die Stimme erhoben, als er dies fragte. Dennoch war der Vorwurf unüberhörbar. Er klang vollkommen leer und erschöpft, als habe er sich selbst bereits hunderte Male diese Frage gestellt und keine Antwort gefunden.
Jason konnte nichts erwidern. Er starrte stumm auf seine Hände, die er in den Schoß gelegt hatte. Die Geste hatte beinahe einen symbolischen Charakter. Hatte er nicht zugelassen, dass die Dinge ihren fatalen Lauf nehmen konnten? Ja, er hatte die Hände in den Schoß gelegt.
»Ich habe dir gesagt, dass du ihr vertrauen sollst. Ich habe es dir immer wieder gesagt, Jason. Warum hast du nicht mit ihr geredet?« Nun war Janoshs Stimme härter und fordernd geworden. »Wenigstens mir hättest du es erlauben sollen, mit ihnen zu sprechen!«
Als Jason erneut nichts erwiderte, hielt Janosh ihm ein altes Buch unter die Nase. Jason bemühte sich, den Titel zu entziffern, doch war er nicht dazu in der Lage. »Was ist das für ein Buch?« Vor der Antwort fürchtete er sich instinktiv.
»Aurora Pax Genius. Du kennst es als APGenius.« Es war das Buch über die Auren und ihre Geschichte. Der einzige Beweis, dass es sie einstmals gab. »Ich erspare es dir, alles noch einmal selbst nachzulesen«, sagte Janosh, nun mit kalter, unversöhnlicher Stimme. »Maja ist eine Aure gewesen. Und auch wenn Joe nicht ganz ins Schema passte, so bin ich trotzdem sicher, dass er ihr Partner war.«
»Aber sie hat nicht gestrahlt. Sie kann keine vom Lichtervolk gewesen sein.« Es war Jasons schwacher Versuch, die harte Realität abzumildern.
»Dann lies es eben selbst.«
Janosh hatte Jason das Buch zugeworfen und war mit schweren Schritten und hängenden Schultern aus dem Zimmer gegangen.
Die Freundschaft zwischen Jason und Janosh schien irreparabel zerstört zu sein. Und nicht nur seinen besten Freund hatte Jason in ihm verloren, sondern auch seinen wichtigsten Berater. Janosh trauerte nicht weniger um Maja, als Jason selbst es tat, war er doch neben ihm derjenige, der sie hauptsächlich mit großgezogen hatte. Sie hatte ihn immer Onkel Josh genannt und die beiden hatten eine ganz eigene, sehr spezielle Bindung zueinander gehabt, die Jason manchmal nicht richtig verstanden hatte. Janosh hatte bereits vor vielen Jahren seine Tochter an das Zentrum verloren. Er konnte es nicht verwinden, dass Jason Maja nicht vor den Gefahren ihrer für ihn, für sie beide, inzwischen unzweifelhaften Herkunft gewarnt und geschützt hatte. Noch dazu hatte er ihr nicht dabei geholfen, ihr neues Leben richtig kennenzulernen. Für Janosh stand fest, dass Maja niemals in diese ÜSZ-Falle im Wald hätte tappen können, wenn sie schon über all ihre übersinnlichen Fähigkeiten verfügt hätte. Janosh sprach es nicht aus, doch Jason wusste auch so, dass er das dachte und ebenfalls, dass er Recht hatte. Janosh hatte bereits kurz nach Joes Auftauchen in der Siedlung Verdacht geschöpft und ihm offenbart, dass Maja eine Aure sein könnte und ihm geraten, sie nicht an die kurze Leine zu nehmen. Und Jason hatte ihm, wie üblich, für seine mahnenden, klugen Worte gedankt und dann, entgegen seiner Gewohnheit, diesen weisen Ratschlag ignoriert, mehrfach und zu Majas Nachteil. Und so hatte Jason, Janoshs Meinung nach, nicht nur zwei jungen Menschen das Leben genommen, sondern auch der Welt die Hoffnung auf eine bessere Zukunft geraubt. In den wenigen Momenten, da ihn die Wut packte, dachte Jason, dass es ungerecht von Janosh war, ihm nun die ganze Schuld in die Schuhe zu schieben. Wenn er doch so überzeugt gewesen war, warum hatte er dann nicht das Gespräch mit Maja gesucht und ihr einfach gesagt, was er glaubte, in ihr entdeckt zu haben? Doch in Wahrheit war Jason einfach wütend auf sich selbst. Vor ein paar Tagen hatte er sich nicht zurückhalten können und seiner Wut Luft gemacht. Daraufhin hatte Janosh eine weitere kleine Bombe über ihm platzen lassen.
»Sie waren bei mir. Sie haben nach Antworten gesucht, aber ich wollte das Gespräch nicht ohne dich und hinter deinem Rücken führen, Jason. Ja, ganz recht, sie ist in dem Wissen gestorben, dass du sie hintergangen hast.«
Sein einstmals bester Freund hatte es mit zorndurchtränkter Stimme geflüstert und ihm den Rücken gekehrt. Der Schock über diese Worte hatte Jason die letzten zwei Tage lang aus der Welt katapultiert. Er hatte Trost im Alkohol gesucht und Rolands großzügiges Angebot – sich einmal ausführlich mit dessen Whiskyvitrine auseinanderzusetzen – angenommen.
Janosh und Joe, sie beide hatten es Jason gesagt, es ihm, in Joes Fall laut brüllend, vorgeworfen. Sie hatten ihm nichts vorgemacht und sich als wahrhaft wertvolle Berater erwiesen, ohne dass Jason es erkannt hatte. Er schämte sich für seine blinde Naivität und seine Wut, die er nicht im Zaum zu halten vermocht hatte.
Der Bruch unter den beiden ältesten Anführern der ehemaligen Siedlung führte auch zur Auflösung der häuslichen Wohngemeinschaft, die sie, nach Majas und Joes Ermordung, nur wenige Wochen aufrechterhalten hatten. Jason lebte nun allein in diesem halbverfallenen Steinhäuschen, von denen es in Rooksville viele gab. Sie waren kaum als Häuser zu bezeichnen, da sie, wenn man mal ehrlich war, nicht viel mehr als Ruinen waren. Jasons war, im Vergleich zu anderen, beinahe luxuriös, denn es hatte immerhin zwei bewohnbare Räume und ein kleines Badezimmer. Jason hatte sich nicht die Mühe gemacht, das sehr spärliche und veraltete Mobiliar aufzustocken. Unter einem der beiden schmutzigen Fenster stand ein kleiner Elektroherd, mit dem Jason seine wenigen Mahlzeiten zubereitete. Er konnte ihn auch zum Heizen nutzen, hatte ihn jedoch noch nicht dafür gebraucht.
Schwerfällig erhob er sich schließlich vom Tisch, spülte die Tasse aus, trocknete sie sorgfältig ab und schob sie zurück aufs Regal. Es war kindisch, das Aufeinandertreffen mit Sigrid hinauszuzögern, das wusste er. Trotzdem packte ihn jedes Mal diese merkwürdige Beklommenheit, wenn er auch nur daran dachte, sie zu sehen. Mit einem Seufzen strich er sich die strohigen Haare glatt und trat auf die staubige Straße. Die drückende und schwüle Luft flimmerte, als Jason in die Ferne blickte. Die Früchte des großen Feldes und des Gewächshauses waren zu einem Drittel verdorrt, was zu strengen Rationierungen der Essensvorräte in Rooksville geführt hatte. Wie immer, wenn er draußen herumlief, hatte Jason den Eindruck, Feuer an Stelle von Luft zu atmen. Laut den Dorfbewohnern war es so trocken wie schon seit Jahren nicht mehr. Lediglich zweimal in den letzten dreieinhalb Monaten hatte sich der Himmel gnädig aufgetan und seine lebenspendenden Wassermassen über das verdorrte Land ergossen. Doch es kam wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Die knochentrockene Erde war nicht in der Lage gewesen, die dicken, schweren Regentropfen schnell genug aufzusaugen, sodass sie in vielen kleinen Rinnsalen durch das Dorf geflossen waren. Und die schwüle Luft, die sie hinterlassen hatten, hielt sich hartnäckiger als Fliegen auf einem toten Tier.
Jasons Magen knurrte. Das überraschte ihn, denn es kam nicht besonders oft vor, dass sein Körper sich ihm mitteilte. Zumindest schien es, als habe er in kürzester Zeit eine andere, ihm unbekannte Sprache gelernt. Alltägliche und elementare Empfindungen wie Hunger, Durst oder Müdigkeit schienen nicht mehr groß in Mode zu sein. Dafür aber so lustige Sachen wie stundenlanges Grübeln über die negativsten Gedanken, nicht schlafen können und an den Fingernägeln kauen.
Ganz in seine Überlegungen vertieft, was er nach der Blutentnahme essen könnte, übersah er beinahe Ava, die biestige kleine Kommandantin, die mit ihrem schwerkranken Sohn spazieren ging. Bode sollte in vier Wochen seinen sechsten Geburtstag feiern. Doch bei seinem Anblick fürchtete Jason, dass der kleine Kämpfer diesen, für ihn sehr aufregenden, Tag nicht mehr erleben würde. Ava bemerkte Jason nicht, der stehen geblieben war und die beiden betrachtete. Sie sah arg mitgenommen aus. Kein Wunder, da es Bode doch immer schlechter zu gehen schien. Sie konnte ihn nicht mehr in die Schule bringen, weil er sich nicht längere Zeit aufrecht am Tisch zu halten vermochte. Er wurde sogar von den Ärzten zu Hause betreut, damit Ava ihm den Weg zur Krankenstation ersparen konnte. Ava musste ihren kleinen Sohn auf dem recht kurzen Weg zurück in ihr Haus stützen, was absolut falsch aussah. Noch grotesker jedoch war es, zu sehen, wie das Kind seine Gliedmaßen bewegte. Stockend, ganz langsam setzte er einen Fuß vor den anderen und es wirkte so, als koste es ihn all seine Willenskraft. Wenige Schritte von der Haustür entfernt blieben sie stehen. Bode schüttelte den Kopf, da knickten ihm auch schon die Beine ein.
»Du meine Güte!« Jason rannte über die Straße und wollte Ava helfen, Bode wieder aufzurichten, aber der Junge war bereits bewusstlos.
»Alles okay, ich mach das schon«, sagte Ava und unterdrückte ein Schluchzen.
»Ich trage ihn rein.« Jasons sicheres Auftreten ließ keine Widerworte zu. Er hob das viel zu leichte Kind auf und trug es in das winzige Wohnzimmer. Ein Krankenbett anstelle eines Sofas stand mitten im Raum. Vorsichtig legte Jason seine zerbrechliche Fracht darauf ab.
»Danke. Das wäre nicht … Ich hätte ihn tragen können.« Ava mied Jasons Blick, strich sich verlegen ein paar Strähnen glanzloser, strohiger Haare hinters Ohr und trat an das Bett, auf dem Bode nun lag, beinahe so bleich wie das Laken unter ihm.
Der Nebel in Jasons Kopf lichtete sich in diesem Moment ein wenig und er konnte das ganze Ausmaß der Traurigkeit dieser Mutter erfassen. Er empfand es als gerechte Strafe für seine eigenen Versäumnisse als Vater; mit ansehen zu müssen, wie das Kind einer anderen stirbt und nichts dagegen unternehmen zu können.
»Ich gehe dann mal«, sagte er und machte eine unbeholfene Geste mit der Hand, unsicher, ob er Ava trösten sollte oder nicht. Sie nickte dankbar, wandte sich dann von ihm ab und deckte Bode zärtlich zu.
Zurück auf der Straße musste Jason erst einmal tief durchatmen. Er überlegte, später Mike anzufunken. Dieser war eine wichtige Stütze für Jason geworden. Der Verlust seiner eigenen Tochter, und wenig später auch noch seiner Frau, hatte Mike stark sensibilisiert, wobei er ohnehin schon immer ein gutes Gespür für seine Mitmenschen bewies. Nicht ohne Grund war er der tonangebende Stratege der Siedlergemeinschaft. Jason hätte es niemals für möglich gehalten, sich auf einer solch tiefen Ebene mit Mike zu verstehen, wie ihre Freundschaft sie inzwischen erreicht hatte. Müsste er es beschreiben fiele ihm dies schwer. Vor dem Ende der Freundschaft mit Janosh hatte Jason unbewusst gedacht, oder gehofft, sie beide würden durch das gemeinsame Schicksal des Verlusts eines Kindes noch enger zusammenrücken. Doch da hatte er sich gründlich geirrt, weswegen es ihn umso mehr tröstete, Mike an seiner Seite zu wissen.
Jason mochte es nicht, im Dorf unterwegs zu sein, weil es beinahe unmöglich war, den Friedhof zu umgehen. An diesen Ort brachten ihn keine zehn Pferde und so nahm er einen großen Umweg zur Krankenstation in Kauf. Roland hatte darauf bestanden, Maja und Joe einen gemeinsamen Grabstein auf Rooksvilles Friedhof zu setzen. Und das, obwohl sie offiziell nicht in die Dorfgemeinschaft eingeführt worden waren. Jason empfand diese Geste allerdings als sehr großzügig und tröstlich.
Die vertraute Stimme Gemmas drang an Jasons Ohren.
»… wisst ihr genau. Also, oh- Hallo Jason.« Augenblicklich setzte sie ein strahlendes Lächeln auf. Ihr zu begegnen rief jedes Mal sehr gemischte Gefühle in Jason wach. Er erinnerte sich an das Verhör, welches Roland, ihr Vater, damals nach dem Unglückstag persönlich geführt hatte. Jason hatte dabeigesessen und sich, innerlich vollkommen leer, Gemmas Geschichte angehört. Sie hatte geweint und erklärt, dass sie nicht gewusst hätte, dass das Safety defekt war. Wegen dieser kaputten Sicherheitsbrille war Maja damals in die Falle geraten und erschossen worden. Gemma beteuerte, dass sie niemals gewollt hätte, dass so etwas Schreckliches passierte und drückte ihre tiefe Reue und ihr Mitgefühl für Jason und alle Siedler aus. Es kam nicht zu einer Anklage, da es sich offensichtlich um einen tragischen Unfall gehandelt hatte. So sehr Jason sah durchaus ein, dass Gemma nicht bestraft wurde. Mit dem Wissen, dass sie den entscheidenden Fehler gemacht hatte, war sie vermutlich gestraft genug. Sie hatte Maja damals das defekte Safety mitgegeben und sie im Wald alleine gelassen. Trotzdem wünschte Jason sich oft, dass er jemand anderem außer sich selbst die Schuld geben könnte.
»Hallo«, grüßte Jason sie flüchtig und ging weiter. Er wollte sich nicht in ein Gespräch verwickeln lassen. Etwas an dieser Frau war merkwürdig. Sie war die Tochter des Anführers, weshalb er sich mit Kritik an ihr zurückhielt. Außerdem konnte er nicht beschreiben, was so merkwürdig an Gemma war.
»Warte mal kurz«, rief sie ihm nach.
Jason verdrehte die Augen, blieb aber stehen. »Was gibt’s?«
Sie kam auf ihn zu, noch immer auf diese übertrieben freundliche Art strahlend. »Habt ihr nochmal über Vaters Angebot nachgedacht?«
Schon vor einer Weile hatte Roland den Siedlern die Möglichkeit geboten, sich der Dorfgemeinschaft offiziell anzuschließen. Er wollte ihnen eine neue Heimat geben. Doch die Siedler hatten es abgelehnt. Das Gefühl, eine echte Heimat zu haben, das konnte Roland natürlich nicht wissen, würde sich niemals wieder unter ihnen einstellen. Es war auf so elementare Weise mit Maja verknüpft, dass es mit ihr gestorben war.
»Wir äh … überlegen noch«, antwortete Jason ausweichend.
»Lasst euch Zeit. Es ist keine leichte Entscheidung, das weiß ich.« Gemma legte Jason eine Hand auf den Arm und blickte mit ihren verwirrend dunklen Augen zu ihm auf. »Wir würden uns wirklich freuen, wenn ihr euch unserer Gemeinschaft anschließt.« Etwas in ihrem Tonfall sagte Jason, dass sie log. Doch vielleicht irrte er sich auch. Was wusste er schon? Er verabschiedete sich und ging nun zügig die letzten Meter zur Krankenstation. Für seinen Geschmack waren das mehr als genug soziale Interaktionen innerhalb weniger als einer Stunde.
Ob er noch einmal mit den Siedlern reden sollte? Noch immer lebten sie alle eng beieinander, bildeten sozusagen ihren eigenen kleinen Straßenzug, die Siedlerstraße. Man hatte sie alle mit Armbändern ausgestattet, damit sie Kontakt zu den Dörflern aufnehmen konnten, ihnen die Nutzung jedoch freigestellt. Nur wenige verwendeten die Bänder und wenn, dann immer nur für kurze Zeit. Zusätzliche Technik war ihnen einfach nicht geheuer und so verließen sie sich, wie sie es gewohnt waren, lieber auf ihre Füße und die Kommus ihrer Stecker, wenn sie sich mit neuen Bekannten und alten Freunden treffen wollten. Jason hatte sein Armband noch nicht einmal benutzt und wusste auch gar nicht, wo er es hingelegt hatte. Gut möglich, dass er es im Suff weggeworfen hatte. Er fand es ohnehin überflüssig, sich allzu häufig in die Gesellschaft einzufügen. Seine eigene Gesellschaft war für ihn erdrückend genug.
BJ lag auf seinem Bett und starrte die mit Holzornamenten verzierte Zimmerdecke an. Wenn er an die letzten Monate zurückdachte, musste er sich jedes Mal schnell eine Ablenkung suchen, um nicht alles kurz und klein zu schlagen, was sich in seiner Reichweite befand. Eliza hatte sich von ihm distanziert, weil er grob und abweisend war, und dass sie ihm nun aus dem Weg ging war ihm eigentlich ganz recht. Wobei, wenn er ehrlich war, dann war eher er es, der ihr aus dem Weg ging. Genau genommen ging er allen aus dem Weg. Er konnte im Moment einfach niemanden um sich herum ertragen, der ihm, wie sein rührseliger Vater, damit in den Ohren lag, dass er auf andere Gedanken kommen und einfach mal reden müsste. Na klar, als ob das schon jemals irgendetwas gebracht hätte, über den ganzen Megascheißkram auch noch zu reden, der in seinem verkorksten Leben abging.
Okay, los, sprechen wir darüber, dass all die Programmierungen, die Updates und die Forschungen umsonst gewesen waren, weil er sich ein Bein ausreißen und sie trotzdem nicht hätte aufspüren können. Reden wir darüber, dass der Boss ihnen verheimlicht hatte, dass sie und er offenbar ein Aurenpaar waren und dass es nun keinen Weg aus dieser Scheiße gab, weil sie ihrer Bestimmung nicht folgen konnten. Dass Janosh nicht mehr mit Jason sprach geschah diesem, BJs Meinung nach, ganz recht. Ginge es nach ihm, säße der Boss längst in einer der kleinen widerlichen Zellen hier in Rooksville. Verdient hätte er es. Bisher hatte BJ nie wirklich an diesen ganzen Aurenkram geglaubt, doch er konnte nicht umhin, ihn jetzt zu glauben. Er wusste einfach, dass es stimmte, dass sie und Joe vom Lichtervolk gewesen waren und dass es nur Jasons und vielleicht auch ein bisschen Janoshs, Schuld war, dass sie nun tot waren. Warum sprach eigentlich niemand darüber? Oder noch wichtiger: warum besprachen sie nicht, dass sie hier alle in einem riesigen Käfig saßen, aus dem sie wohl nicht mehr lebend herauskommen würden?
Zorn durchtränkte seinen Geist und er konnte nicht ruhig liegen bleiben. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und öffnete, wieder einmal, die MJ-Datei. Etwa zwei Wochen nach der Trauerfeier hatten Max und Ritch BJ dazu aufgefordert, sich alles aus der Schildkröte – der Sicherheitszentrale von Rooksville – zu nehmen, was nicht mehr dringend gebraucht wurde. BJ dufte nicht an den Tag denken, an dem sie dem windschiefen Gebäude, dessen innere Deckenstruktur sie an einen umgestülpten Schildkrötenpanzer erinnerte, seinen Namen gegeben hatte.
Die beiden angeblichen Sicherheitschefs hatten eine großangelegte Aufräumaktion geplant und fanden es zu schade, die ganzen noch funktionsfähigen Gerätschaften und Ausrüstungen einfach in den Müll zu werfen. Die beiden hatten sich überlegt, dass es BJ vielleicht guttat, sich wieder auf sein altes Zwölferprojekt zu konzentrieren, und ihm sogar eine kleine Labor-Grundausstattung zur Verfügung gestellt. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte sich BJs Denken grundlegend verändert und er misstraute den beiden Sicherheitskröten, wie er sie in Anlehnung an ihren Arbeitsplatz inzwischen nannte. Er hatte selbst nicht verstanden, warum er ihnen nicht traute, doch das sollte sich schnell ändern.
Er hatte alles, was er brauchte, eingesammelt und sich sein neues Klohäuschen in seinem Zimmer eingerichtet. Das war dann auch ungefähr der Zeitpunkt, ab dem man ihn praktisch nicht mehr außerhalb dieses Zimmers angetroffen hatte. Es war unwesentlich größer als sein Schuppen, das ursprüngliche Klohäuschen, welches in der in die Luft gegangenen Siedlung gestanden hatte. Und durch das ganze technische Equipment war es darin auch beinahe genauso warm. Es tat BJ auf einer unbewussten Ebene gut, sich in sein Nest zurückziehen zu können. Es war das bisschen Heimat, welches ihm noch geblieben war.
Seither hatte er seine ganze Aufmerksamkeit der Frage gewidmet, wie es zu diesem Megascheißkram hatte kommen können. Und um der Sache auf den Grund zu gehen, hatte er an dem Tag der Tage, dem Megascheißtag, begonnen. Auch jetzt noch fiel es ihm schwer zu glauben, dass ihre Stecker anders funktionierten als die der anderen. Doch die Zahlen logen nicht. Es hatte wirklich keinen Weg gegeben, sie rechtzeitig zu warnen.
Ihm kam der Tag des Willkommensfestes in den Sinn. Damals hatte sie ein Problem mit ihrem Stecker gehabt. Eine Störfrequenz hatte das Mikrofon lahmgelegt. Zu dem Zeitpunkt war das BJ überhaupt nicht seltsam vorgekommen, obwohl so etwas noch nie vorher passiert war. Auch hatte er sich damals, als Joe ihm gesagt hatte, dass er sie nicht erreichen konnte, nicht weiter mit dem Problem befasst. Erst als sie ihn dazu gedrängt hatte, war er der Sache nachgegangen. Er knöpfte sich ihre Daten noch einmal genauestens vor. Mittlerweile forderte sein Magen keine dringende Notentleerung mehr, wenn er sich mit ihren Steckerdaten befasste. Aber schlecht wurde ihm immer noch. Die Besonderheiten ihres Steckers, waren ihr zum Verhängnis geworden. Man hatte versucht, ein Programm auf ihrem Stecker zu installieren, das es ermöglichen sollte, auf denselben zuzugreifen. Der Stecker jedoch hatte schlicht auf stur geschaltet, die Störfrequenz ausgelöst und das Programm somit an der Installation gehindert. BJ vermutete, dass man deswegen beschlossen hatte, sie aus dem Weg zu schaffen. Der Schutzmechanismus des Steckers hatte ebenso zur Folge gehabt, dass das Kommu, das Kommunikationsmodul, nicht funktionierte. Obwohl BJ dieses nicht Problem beheben konnte, hatte der Stecker das Programm blockiert. BJ fand keine zufriedenstellende Erklärung, kein passendes Wort für das, was dieser Stecker getan hatte. Als ob das Ding selbst denken konnte und seine Wirtin beschützt hätte. Seine, BJs, Manipulation hätte eigentlich nicht funktionieren dürfen; diese hatte der Stecker jedoch zugelassen.
BJ schloss die Dateien wieder, schaltete den Bildschirm aus und starrte in die matte Schwärze. Zwei Fragen drängten sich ihm immer wieder auf. Erstens: Wie war das möglich? Zweitens: Warum wollten sie auf ihrenStecker zugreifen?
Die erste Frage konnte er nicht beantworten, was er dem Aurending zuschrieb. Zwar konnte er die ganzen Daten nachverfolgen, sie ergaben jedoch keinen Sinn für ihn. Die zweite Frage allerdings schien durchaus lösbar zu sein. Denn: Wenn sie auf ihren Stecker hatten zugreifen wollen, was war dann mit den übrigen Steckern? Mit denen der Siedler? Es musste andere Spuren, weitere Dateien oder Anhaltspunkte geben. Er schaltete den Bildschirm wieder ein und versuchte, sich in die Sicherheitsserver von Rooksville zu hacken. In seinem jugendlichen Leichtsinn glaubte er, es sollte nicht so schwer sein, sich Zugang zu verschaffen. Er war ja nicht auf den Kopf gefallen.
Eine Stunde später, und noch frustrierter als zuvor, kam er zu dem Schluss, dass er sich im Dorf umschauen musste. Vielleicht gab es externe Zugänge zu den Systemen? Das Sicherheitskraftfeld rund um Rooksville musste ja auch irgendwie gesteuert werden. Dieses Kraftfeld verbarg das Dorf und seine Bewohner vor ungewollten Blicken. Als die Siedler damals angekommen waren, wirkte das Dorf wie eine verlassene Ruinenstadt. Seine Suche nach einem Zugriffspunkt blieb jedoch ergebnislos. Es gab schlicht und einfach keine externen Zugänge. Das bedeutete, dass man das System nicht einmal im absoluten Notfall ausschalten konnte. BJ schaute sich auch die ganzen Rooks genauer an und stellte fest, dass die meisten nicht gerade gesund aussahen. Warum ihm das vorher nicht aufgefallen war, war ihm ein Rätsel. Zurück in seinem Klohäuschen setzte er sich wieder an seinen Rechner und beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
Es bedurfte beinahe eines Monats intensiver Forschungen und einiger nicht ganz ungefährlicher Hackerangriffe, da fand er schließlich die Antwort auf seine Frage. Dieses Dorf war kein Rebellendorf. Das Sicherheitssystem war in Wirklichkeit ein großes Gefängnis, das die augenscheinlichen Rebellen nicht vor dem ÜSZ verbarg, sondern sie in Rooksville einsperrte. Man konnte weder innerhalb Rooksvilles auf das Kraftfeld zugreifen, noch gab es erkennbare Anschlussoptionen außerhalb des Dorfes. BJ hatte es eingehend überprüft und sich dafür eines seiner Safetys zunutze gemacht.
Nachdem er diese vielen Informationen in erneuter, tagelanger und mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen, katalogisiert und größtenteils ausgewertet hatte, fand er heraus, dass das ganze System ausgerechnet von der Schildkröte aus am Laufen gehalten wurde. Max und Ritch hatten diesen Käfig nicht installiert, wie BJ mit grimmigem Missfallen klar wurde, sie waren nur so etwas wie die Hausmeister. Sie hielten lediglich ihr eigenes Gefängnis in Stand und schienen das auch zu wissen. Dass er wiederum es nun wusste, zerstörte BJs letzte Sympathien für die beiden Sicherheitschefs, insbesondere die für Max, nachhaltig. Verdammte Kröten!
Auf die Frage, warum sie es machten, konnte BJ allerdings beim besten Willen keine Antwort finden. Soweit er es im Vorfeld gelernt hatte, konnte man mit den Armbändern nicht auf die Sinne der Menschen zugreifen und somit auch keine entsprechenden Manipulationen durchführen, die Max’ und Ritchs Handeln vielleicht erklärt hätten. Und tatsächlich schien es so zu sein, dass die Armbänder eine Erfindung von Max waren, die er erst gemacht hatte, als er bereits zwei Jahre in Rooksville war. Das alles war äußerst verwirrend und wollte sich BJ einfach nicht erschließen.
Er fand nun auch sämtliche Akten aller Dorfbewohner sowie die der Siedler, dazugehörige Zahlencodes und, ähnlich den Emotionsdiagrammen der Zwölfer, eine Farbmarkierung hinter den fünfstelligen Zahlen. Die Zahlen waren vermutlich Links, die BJ jedoch nicht öffnen konnte, und die Farben schienen vollkommen unwillkürlich ausgewählt zu sein.
BJ verstand, je mehr er wusste, umso weniger, was hinter all dem steckte. Nur so viel begriff er beinahe sofort: Dass sie und Joe getötet worden waren, war kein Unfall gewesen. Und ihm wurde auch klar, dass man sie alle gewaltig an der Nase herumführte, und das seit Monaten. Nun, zumindest BJ wurde nicht mehr verarscht. An seiner Fassungslosigkeit änderte das nichts.
Als die Siedler damals das Dorf betreten hatten, waren sämtliche Daten ihrer Stecker vom Kraftfeld erfasst und ausgewertet worden. Das war nicht weiter tragisch. Es war sogar notwendig, um das Dorf für die Siedler sichtbar zu machen. Während ihrer Nacht in den Zellen allerdings war, von allen unbemerkt, ein Sympathieprogramm auf die Stecker aufgespielt worden. Innerhalb von achtundvierzig Stunden war es installiert und einsatzbereit gewesen. Außer bei ihr hatte es bei allen Siedlern, inklusive Joe, funktioniert. BJ konnte nachvollziehen, dass es mindestens drei Versuche gegeben hatte, das Programm auf ihren Stecker zu laden, doch nie hatte es sich installieren können. Es musste dieses Programm gewesen sein, das die Störfrequenzen auf ihrem Stecker hervorgerufen hatte. Bei Joe war das Programm zwar installiert worden, es hatte aber immer wieder kleinere Störungen gegeben. Erst an dem Megascheißtag war es endgültig deaktiviert worden, doch BJ konnte nicht herausfinden, auf welche Weise dies passiert war. Denn es war erst geschehen, als Joe bereits im Wald war, auf seiner sinnlosen Hetzjagd gegen die Zeit. BJ graute es bei dem Gedanken, dass man sie und Joe bewusst in eine Falle gelockt haben könnte, um sie und ihre nicht zu manipulierenden Gedanken und Handlungen aus dem Weg zu schaffen. Doch er konnte keinerlei Beweise dafür finden, dass Max oder Ritch hinter der Sache steckten, sosehr er sich auch wünschte, einen Täter zu ermitteln.
Zum gefühlt hundertsten Mal forschte er bei Gemma nach, die, wie er wusste, einen Hass auf sie gehabt hatte. Doch auch bei ihren Daten erhielt BJ keine aufschlussreichen Informationen. Die einzigen Dateien, die er nicht einsehen konnte, waren die Rolands, die in mehrfacher Hinsicht besonderen Schutz erhielten. Zwar war das durchaus logisch, schließlich war er der Anführer von Rooksville, dennoch befeuerte es BJs Misstrauen gegen den augenscheinlich sanften Riesen mit der seltsamen Art, seine Worte zu betonen. Es klang gestelzt, wenn er sprach, sehr künstlich und theatralisch – ein Umstand, der ihn noch weniger für BJ einnahm. Und so fragte er sich permanent, wie diese ganzen Puzzleteile zueinander passten und was hinter all dem steckte, was er herausgefunden hatte. Wussten Roland und Gemma, dass auch sie hier in einem Gefängnis saßen? Wer spielte hier eigentlich mit wem? Und wie waren die Spielregeln?
BJ behielt seine grausigen Entdeckungen für sich, da er bislang keinen Einfluss auf die Manipulationen der anderen Siedler nehmen konnte. Um etwas unternehmen zu können hätte er den Quellcode des Sympathieprogramms gebraucht. Der war jedoch so gut versteckt, dass BJ ihn nicht aufspüren konnte, wie sehr er sich auch bemühte. Er begann, ernsthaft an seinen Fähigkeiten zu zweifeln. Außerdem schwankte er zwischen Mitleid und Missachtung für seine Familie, wusste er doch, dass sie nichts für ihre Blindheit konnten. Warum er selbst nun die Dinge so klar sah, verstand er nicht. Vermutlich war bei ihm irgendetwas schiefgelaufen. Seine negativen Empfindungen gegenüber seinem neuen Zuhause, die er seit ihrem Tod empfand, waren geblieben. Sie hatten ihn letztlich dazu angetrieben, sich überhaupt erst mit diesem fadenscheinigen Rebellendorf zu befassen. Er schrieb dem Bug, oder was dieser Programmfehler bei ihm auch immer sein mochte, auch seine Beobachtungen bezüglich der schlechten Gesundheit der Dorfbewohner zu. Die Siedler ihrerseits, wie BJ erleichtert feststellte, litten offenbar nicht unter irgendwelchen mysteriösen Krankheiten und schienen insgesamt bei guter körperlicher Verfassung zu sein.
Das neue Leben der ehemaligen Siedler in Rooksville hatte in den letzten Monaten nur geringfügig an Fahrt aufgenommen. Trotz der umfassenden Manipulationen verfügten die Siedler scheinbar noch über ihre eigenen Gefühle, weshalb sie alle lange trauerten. Eine neue Perspektive zu finden war schon unter den gegebenen, bekannten Umständen schwer genug, da wurde es durch irreführende Sinnesmanipulationen nicht leichter.
Als einzige der ursprünglichen Siedler-WG waren Kim und Katy bei Mike und BJ in dem großen Haus wohnen geblieben. Alle anderen hatten die kleineren, halb zerfallenen Steinbauten in der Nachbarschaft bezogen und richteten sich dort nach und nach häuslich ein.
BJ hatte, schon kurz nach der Trauerfeier für sie und Joe, beschlossen, dass er sich ab sofort nie wieder mit jemandem anfreunden würde, komme, was wolle. Es war geradezu unerträglich, sie verloren zu haben. BJ wollte es nicht riskieren, womöglich sein Herz zu verschenken und dann einen noch größeren Verlust zu erleben. Ebenso schrecklich wie diese Vorstellung war die Tatsache, dass auch Joe gestorben war, in dem BJ einen guten Freund gefunden hatte. Zwar war Joe ein bisschen spooky gewesen, mit seinen Scanneraugen und dieser komischen Ausstrahlung – inzwischen wusste BJ ja, was es damit auf sich hatte – aber er hatte sich so ehrlich für BJs ganzen Technikkram interessiert. Und Joe hatte ihn immer und ohne Weiteres verstanden hatte. Jason und Mike musste er oft alles erklären, als wären die beiden Kleinkinder. Na gut, bei Mike ging es eigentlich, er war eher ein Abschlussschüler. Was sie wohl sagen würden, wenn sie erfuhren, dass Roland sie alle in einen goldenen Käfig gesperrt hatte? Die Siedler waren mehr oder weniger in das Dorfleben integriert worden und ahnten nichts von den wahren Machenschaften ihrer Gastgeber. Zumindest wirkten sie alle einigermaßen zufrieden, abgesehen von der nicht enden wollenden Trauer um ihre vielen verlorenen Seelen.
Doch weil sie alle gelernt hatten mit Leid und Schmerz umzugehen, und da ihre Programmierungen es ihnen vorgaben, zog eine gewisse Routine unter den Siedlern ein, und sie begannen, sich ein neues Leben aufzubauen. BJ versuchte herauszufinden, wie umfangreich die Manipulationen genau waren, und er fragte sich, inwieweit auch die Dorfbewohner bearbeitet wurden. Inzwischen wartete er jeden Tag darauf, dass irgendetwas Seltsames passieren würde, obwohl er nicht wusste, wonach er eigentlich Ausschau hielt. Dazu kam, dass er sich nur sehr ungern außerhalb seiner vier Wände aufhielt, deswegen beschränkte er sich häufig auf belauschte Gespräche aus dem Wohnzimmer. Er hatte schon vor knapp drei Monaten die Überwachungskameras und dazugehörende Abhöreinrichtungen im ehemaligen Siedlerhaus reaktiviert. Ritch hatte damals nicht gelogen, als er ihr sagte, man habe sie nicht abgehört. Es gab ein paar alte Videoaufnahmen, sämtlich ohne Ton.
Es kam inzwischen selten vor, dass BJ Einladungen bekam, geschweige denn, dass er sie annahm. Aber dann und wann konnte er es nicht vermeiden. Am Morgen hatte Max BJ eine Nachricht über Mike zukommen lassen, dass er einen neuen Zwölfer für ihn zum Tüfteln hätte. Da BJ sich offiziell mit seinem Zwölferprojekt befasste war es klüger, die Einladung anzunehmen. Als er am Nachmittag die Schildkröte betrat, war der schwere dunkelrote Samtvorhang, hinter dem sein früheres Nerdparadies lag, mehr oder weniger verschlossen und BJ hörte die beiden Kröten streiten.
»Und was, wenn wir uns einfach weigern? Wir hatten doch einen Deal, oder nicht?« Max war offensichtlich sehr aufgebracht. BJ hielt inne und lauschte dem hitzigen Gespräch. Es hörte sich so an, als ob es um etwas Wichtiges ging.
»Schon, aber du weißt doch … wie das ist. Nur weil sie etwas sagen … hei…heißt das noch lange nicht, dass sie es dann auch machen.« Ritchs Stimme zitterte mehr als üblich. Wenn er sprach bekam er einfach die Zähne nicht auseinander. Als ob er Angst hätte, eine Fliege würde auf seiner Zunge landen, wenn er den Mund öffnete. In seinem Reich war er normalerweise nicht so nervös.
Irgendetwas Hartes wurde auf den Tisch geschleudert. Das musste wohl Max getan haben, denn schon im nächsten Moment stöhnte er frustriert auf. »Verdammter Mist! Ich will das nicht weiter machen. Ich meine, reicht es nicht, dass Maja und Joe gestorben sind? Was sollen diese Siedler denn noch alles durchmachen?«
Beim Klang ihres Namens krampfte sich BJs Magen wie ein Stein zusammen und ein noch leises, aber stetig anschwellendes Rauschen begann in seinen Ohren zu tosen. Es fiel ihm schwer, Ritchs nächste Worte genau zu verstehen. Nicht zuletzt, weil der alte Geier grundsätzlich sehr leise sprach. »Wenn wir … nicht tun, was die sagen, dann … werden wir alle die Konsequenzen zu spüren bekommen.«
»Scheiß auf die!«, blaffte Max und wurde von einem wütenden Zischen Ritchs zum Schweigen gebracht. Deutlich leiser fuhr er fort: »Ich mach da nicht mehr mit. Sollen sie mich von mir aus zurückversetzen. Dann kann ich wenigstens bei Maggie sein.« Wer bitte war Maggie? BJ nahm sich vor, in den Datenbanken nach ihrem Namen zu suchen. Hatte er sie übersehen?
»Sag so etwas nicht!«, fauchte Ritch, nun wieder deutlich bestimmter, allerdings auch umso leiser. »Du weißt was passieren kann, wenn du nicht tust, was man von dir verlangt.«
Daraufhin herrschte eine Weile Stille. BJ spähte vorsichtig durch einen kleinen Spalt neben dem Vorhang. Er konnte so gerade eben Max’ Hinterkopf erkennen, den dieser in seine Hände gelegt hatte. Er raufte sich die Haare, wodurch sich die unterschiedlichen Färbungen der Haarspitzen miteinander vermischten. Diese lächerliche Frisur ließ ihn wie einen schlecht getarnten Igel aussehen. Ritch, mit seinem knallroten Topfschnitt, sah noch ulkiger aus; wie ein gestutzter Aasgeier.
»Wenn du eine Pause brauchst, bitteschön. A…aber wir werden tun müssen, was von uns … verlangt wird. Ende … der … Diskussion« Ritchs Schlusspunkt wurde von seiner Verzagtheit entkräftet. Das erneute leichte Zittern übertönte seine Bitterkeit nicht, die näherkommenden Schritte jedoch schon. BJ musste schnell hinter einer ausladenden Falte des Vorhangs in Deckung gehen, damit Max ihn nicht auf frischer Tat beim Lauschen ertappte. Dieser war nämlich soeben vom Stuhl aufgesprungen und stürzte, ohne ein weiteres Wort, wutentbrannt hinaus.
Nachdem BJ dieses Gespräch eher unfreiwillig mitgehört hatte, konnte er den Kröten endgültig nicht mehr in die Augen sehen. Er trabte unverrichteter Dinge zurück zum Haus und ließ über Mike ausrichten, dass er mit dem aktuellen Zwölfer noch eine Weile beschäftigt sein würde.
»Ist nett von Max, aber ich brauch noch keinen neuen. Kannst ihm sagen, dass ich mich melde, wenn’s so weit ist.« Ab da igelte er sich daheim ein und vermied es tunlichst, das Haus zu verlassen.
Was, bei allen guten Mächten, verheimlichten diese Rooks den Siedlern, dass sie Deals eingehen mussten? Es hatte so geklungen, als ginge es darum, ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. BJs Forschungen zu diesem Thema führten, wie diejenigen über das Sympathieprogramm, einmal mehr ins Nichts. Auch eine Maggie konnte er nicht entdecken. All seine Bemühungen diesbezüglich verliefen im Sand. Das war ein Problem und es bereitete ihm arges Kopfzerbrechen. Insbesondere die Tatsache, dass er nicht, wie normalerweise üblich, ignorieren konnte, dass es ein Problem war. Ein Megascheißproblem sogar, um im Fachterminus zu bleiben.
»Hey Kleiner, würde es dir was ausmachen, Katy eine Weile zu nehmen?« Kims Stimme, durch die geschlossene Zimmertür gedämpft, riss BJ aus seinen Grübeleien.
»Keine Zeit«, brummte BJ laut genug zurück und drehte sich auf die Seite. Er lag mal wieder auf dem Bett und dachte nach. Viel mehr hatte er heute den ganzen Tag über noch nicht getan. Das wirkliche Megascheißproblem war, dass er nichts machen konnte. Zum allerersten Mal in seinem Leben hatte er keine Lösungen parat. Ihm fielen keine Antworten auf technische Fragen ein und das nagte an ihm, wie ein Hund an seinem Knochen.
»Ich weiß, dass du Löcher in die Decke starrst.« BJ konnte Kims teuflisch wissendes Grinsen geradezu hören. Sie war tatsächlich die Einzige, die ihn dazu bringen konnte, seine Höhle zu verlassen.
»Du nervst.« Er erhob sich schwerfällig, seufzte einmal leise, dann schlurfte er zur Tür.
»Du auch, Kleiner«, entgegnete Kim lächelnd, sobald er ihr geöffnet hatte, und drückte ihm Katy in die Arme. »Ihre Flasche steht unten, schon vorbereitet. Du kannst sie ihr in einer halben Stunde geben und sie dann hinlegen. Ich bin vor dem Abendessen zurück.« Sie hängte eine große, schwere Tasche über BJs freie Schulter und legte noch ein Schnuffeltuch über den Tragegurt, der schmerzhaft in die Muskeln einschnitt. Ihre Anweisungen waren so schnell durch BJs Synapsen gefegt, dass er sie beinahe nicht aufnehmen konnte. Schon war sie herumgewirbelt und eilte die Treppe herunter. »Bin dann weg«, rief sie noch und ließ BJ vollkommen verdattert, mit der Kleinen auf dem Arm, vor seinem Zimmer zurück.
»Wohin willst du?« Kim hatte die Tür schon hinter sich zugeschlagen und hörte seinen hilflosen Ruf nicht mehr.
Er vermutete, dass sie zu Ava ging, um ihr bei der Pflege ihres kranken Sohns zu helfen. »Na Katy, dann sind wir beide wohl mal wieder allein zu Hause, was?«, sagte BJ und rückte die schwere Tasche zurecht. Dann ging er nach unten.
Sein Blick fiel auf den Wohnzimmertisch, auf dem die Überreste von Kims aktuellem Trauerbewältigungsprojekt lagen. Sie hatte damit angefangen, Windspiele herzustellen, nachdem sie erfahren hatte, was es mit ihr und Joe auf sich gehabt hatte. Mittlerweile hatte sie ein halbes Dutzend Mobiles gebastelt und sie wurde dabei tatkräftig von Anita unterstützt. Zwei der Windspiele hingen auf der Veranda, die übrigen hatten ihre Plätze an den neuen Wohnhäusern der Siedler bekommen. Die Rooks hielten die Windspiele für eine hübsche Eigenheit der Siedler ohne tieferen Sinn. Sie fanden es eine schöne Dekoration und, soweit BJ es mitbekommen hatte, es gab sogar schon Bestellungen. Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, aber er mischte sich nicht ein. Seitdem Kim die Windspiele bastelte schien es ihr besser zu gehen. Anita hatte ihre Kraft ja schon immer aus ihrem Glauben gezogen. Das war etwas, das BJ respektierte. Der Großteil seiner Siedlerfamilie glaubte vermutlich, dass er vor nichts und niemandem Respekt hätte, doch das stimmte nicht. Er zeigte es nur nicht allzu häufig und mischte sich bei bestimmten Themen einfach nicht ein.
Katy zappelte munter mit den Beinchen, während sie an einem blank polierten Holzring knabberte und lutschte. BJ erkannte Chris’ feine Handarbeit darin und dachte an ihn, der erst seit wenigen Wochen wieder zu seiner alten Form zurückfand. BJ konnte sich kaum vorstellen, wie schrecklich es gewesen sein musste, sie sterben zu sehen, und konnte es gut nachvollziehen, dass für Chris die Welt zusammengebrochen war. Ihm selbst ging es schließlich kaum besser, obwohl er die ganze Geschichte nur über Funk miterlebt hatte. Es bedurfte nur eines Bruchteils seiner Fantasie, um sich die schrecklichen Szenen im Wald von Rooksville vorstellen zu können. Er vermied es nach Kräften, sich dieses Grauen in Erinnerung zu rufen.
Katy war ein sehr genügsames Baby. Sie war vollkommen zufrieden damit, auf einer Decke im Wohnzimmer zu liegen und mit dem Holzring zu spielen. Eine Rassel und ein knuddeliger Teddybär waren die einzigen zusätzlichen Spielzeuge, die sie besaß. Tobi hatte ein hübsches Armband für sie geflochten. Es bestand aus feinen Lederschnüren, die braun und grün eingefärbt waren. Beim Gedanken an Tobi spürte BJ wieder die Gewissensbisse, die ihn plagten, weil er einem seiner besten Freunde seit Wochen aus dem Weg ging.
Während Katy vergnügt quietschend und brabbelnd auf ihrer Decke akrobatische Übungen vollführte, indem sie ihre Zehen knetete und abwechselnd in ihren Mund schob, machte sich BJ daran, sein provisorisches Forschungslabor auf dem Esstisch einzurichten. Die Kleine hatte ganz artig auf ihn gehört, als er ihr gesagt hatte, sie solle sich nicht vom Fleck rühren, während er kurz nach oben gerannt war, um das Tablet zu holen. Er konnte sich dadurch mit dem Rechner in seinem Zimmer verbinden. Mehr brauchte er, genau genommen, nicht.
»Bist ein braves Mädchen, Katymaus.« Er kniete sich einen Augenblick zu ihr und streichelte ihr warmes, flaumiges Köpfchen. Es schien, als bekäme Katy die gleichen, tiefschwarzen Haare wie ihre Mutter und mit ihren dunkelblauen Augen sah sie unheimlich hübsch aus. Selbst die kleinen Bläschen, die sie immer mit ihrer Spucke machte, ließen sie niedlicher aussehen. »Du bist so ein Zuckerstückchen, ich könnte dich anknabbern!« BJ drückte Katys kleine Füßchen an seine Lippen. Dabei pustete er kräftig die Luft aus und die Kleine lachte glucksend auf. Er hörte es gerne, wenn Katy lachte. Dann konnte er für einen Augenblick seine eigene Traurigkeit und den unbändigen Zorn ertragen. Sie taten dann nicht so schrecklich weh. Und außerdem hatte er das Gefühl, Katy sei gerade die Einzige, der man vorbehaltlos vertrauen konnte. Es klang vielleicht seltsam, aber sie war durch ihr junges Alter vor jeglichen Manipulationen geschützt. All ihre Empfindungen und kindlichen Gedanken waren ehrlich und ihre eigenen. Ihre Zuneigung war genauso rein wie das markerschütternde Brüllen verzweifelt, wenn sie nicht schlafen konnte, oder wollte.
BJ dachte an Ben, Katys Vater, der bei dem Angriff auf das ehemalige Zuhause der Siedler ums Leben gekommen war. Er war manchmal mit ihm zum Angeln nach draußen gegangen, damals, als die Welt noch in Ordnung war. Ben war immer der Einzige gewesen, der nichts gegen BJs Rucksack mit den orangenen Streifen gesagt hatte. »Die Fische wirst du damit schon nicht verscheuchen«, hatte er mal gesagt, als BJ mit ihm über die Frotzeleien der anderen gesprochen hatte, weil die ihn insgeheim nervten. Er vermisste Ben und glaubte, in Katys Gesicht dessen Ebenbild zu erkennen, obwohl sie ihre Haare und die schon jetzt recht langen und feingliedrigen Finger und Zehen eindeutig von ihrer Mutter hatte.
»Onkel BJ geht jetzt ein bisschen arbeiten und du spielst schön, ja?«
Katy nahm den Ring in den Mund, versuchte noch einen ihrer Füße hinzuzufügen und schien damit vollauf beschäftigt zu sein.
»Läuft bei dir.« BJ zwinkerte ihr zu und setzte sich an den Esstisch. Er nahm sich noch einmal die Daten des Kraftfelds vor und versuchte, in die Grundprogrammierung einzudringen. Das war sein neuester Versuch, sich in die Angelegenheiten Rooksvilles einzumischen. Bisher hatte er, wie nicht anders erwartet, keinen Erfolg vorzuweisen. Er war ganz mit den Zahlen, die wiederum überhaupt nicht zielführend zu sein schienen, beschäftigt, als sich die Haustür öffnete.
»Hallo?« Mike trat ins Wohnzimmer. Er hockte sich zu Katy, die ihm ihre kleinen Händchen entgegenstreckte und ihn fröhlich anquietschte. »Na, du Mäuschen, solltest du nicht längst deinen Mittagschlaf halten?«, fragte er, nahm Katy auf den Arm und richtete sich mit ihr auf.
BJ fielen schlagartig alle seine Sünden wieder ein. Er legte das Tablet zur Seite und eilte in die Küche, um Katys Flasche noch einmal aufzuwärmen. Er hatte eine ganze Stunde verplempert. Mike kam ihm hinterher und BJ spürte schon, dass er wieder einmal mit ihm reden wollte.
»Hör mal BJ, ich kann ja verstehen, dass du dich lieber mit deinem Computer als mit Katy beschäftigst, aber es ist wichtig, dass sie ihre tägliche Routine bekommt«, sagte er streng und BJ wusste, dass er zum Teil Recht hatte. Doch sein rebellisches und zu oft gebrochenes Teenagerherz hatte sich schon zu lange für seinen Vater verschlossen, als dass er ihm gegenüber seinen Fehler hätte eingestehen können.
»Ich beschäftige mich nicht lieber mit meinem Computer«, sagte er in ätzendem Tonfall. Genaugenommen, hatte er gerade ja auch ein Tablet benutzt, aber das sagte er nicht. BJ mochte es nicht, wenn Mike dieses Wort – Computer – benutzte. Es war ein Rechner! Warum kapierte er das nicht? Auch Jason mit seiner Klimperkiste war nicht viel besser, aber das Wort war wenigstens noch annähernd lustig. BJ benutzte es selbst manchmal, wenn auch eher in Gedanken.
»Aber sie sollte ihr Fläschchen schon vor mindestens einer halben Stunde bekommen haben.« Mike schickte sich offenbar an, einen Vortrag zu halten.
»Sie war doch zufrieden, oder nicht?«, murrte BJ, ohne sich zu Mike umzudrehen. Echt mies, dass Mike und Kim sich immer abstimmten, was Katys Betreuung anging. Ein leises Seufzen war zu hören und Katys munteres Gebrabbel entfernte sich wieder. BJ wusste, dass er nur ein paar Minuten gewonnen hatte. Wenn Mike geahnt hätte, womit genau sich BJ da die ganze Zeit befasste, hätte er bestimmt nicht darüber gemeckert, dass Katy ihre Flasche nicht rechtzeitig bekommen hatte. Doch natürlich konnte BJ es ihm nicht sagen. Mike hätte ihm ohnehin nicht geglaubt, weil die Programmierung seines Steckers es nicht zugelassen hätte.
»Max hat nach dir gefragt«, sagte er, als BJ ihm Katy abnahm, um ihr die Flasche zu geben.
»Ach ja?« BJ versuchte, sich auf Katys schöne, große und noch viel zu wache Augen zu konzentrieren und nicht auf den Hass, der mal wieder in ihm aufstieg.
»Ja, er meinte du seist schon länger nicht mehr da gewesen. Er macht sich Sorgen um dich.«
Sorgen, dass ich nicht lache, dachte BJ bitter und gab keine Antwort.
»Er ist nicht der Einzige, BJ«, sagte Mike nun lauter und nachdrücklicher. Es schien, als sollte BJ dem Gespräch heute nicht entkommen können. Doch versuchen konnte er es sehr wohl.
»Der Einzige was?«, ranzte er zurück und schaute seinem Vater kurz in die verhärmten Augen.
»Der sich Sorgen um dich macht.« Mikes Gesicht nahm nun weichere Züge an und BJ schaute schnell wieder weg, um sich nicht auf die Gefühlstour einlassen zu müssen.
»Mir geht’s gut, danke«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Warum konnte Mike ihn nicht einfach in Ruhe lassen und sich um seine eigenen Sorgen kümmern? Auf Katys Stirn bildeten sich kleine Fältchen und in ihren Augen lag ein strenger Ausdruck. BJ bemühte sich, für sie zu lächeln, und hielt die Flasche ein wenig schräger, damit sie sich nicht so anstrengen musste. Mike setzte sich in den anderen der beiden Sessel, legte die Fingerspitzen aneinander und diese dann an den Mund. Er schien BJ diesmal nicht vom Haken lassen zu wollen.
»Seit Maja gestorben ist –«