Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert - E-Book

Die Erziehung der Gefühle E-Book

Gustave Flaubert

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Beschreibung

Gustave Flauberts "Die Erziehung der Gefühle" ist ein tiefgründiges Werk, das die Entwicklung menschlicher Emotionen und deren komplexe Wechselwirkungen beleuchtet. In einem literarischen Stil, der sowohl präzise als auch poetisch ist, gelingt es Flaubert, die innere Welt seiner Protagonisten meisterhaft darzustellen. Das Buch, das zur Zeit des Realismus verankert ist, setzt sich mit den Themen der Liebe, des Wunsches und der Enttäuschung auseinander und spiegelt die gesellschaftlichen Strömungen des 19. Jahrhunderts wider. Flaubert kombiniert psychologische Einsichten mit einer reichen symbolischen Bildsprache, die den Leser zum Nachdenken anregt. Gustave Flaubert, einer der bedeutendsten Romanautoren seiner Zeit, gilt als Pionier des Realismus. Seine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen der menschlichen Natur sind in die Entwicklung der Charaktere in "Die Erziehung der Gefühle" eingeflossen. Flauberts tiefgehende Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen und sein Streben nach literarischer Perfektion führten zu diesem Werk, in dem er die zeitlose Frage nach der Suche nach Glück und der menschlichen Identität behandelt. Für Leser, die sich für die komplexen Facetten der menschlichen Emotionen und die soziale Dynamik des 19. Jahrhunderts interessieren, ist "Die Erziehung der Gefühle" ein unverzichtbares Buch. Flauberts prägnante Prosa und seine psychologische Scharfsinnigkeit machen dieses Werk zu einer fesselnden Lektüre, die sowohl unterhält als auch zum Nachdenken anregt. Tauchen Sie ein in diese faszinierende Erzählung über Liebe und Selbstfindung. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Gustave Flaubert

Die Erziehung der Gefühle

Bereicherte Ausgabe. Geschichte eines jungen Mannes - Lehrjahre des Herzens
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547803300

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Autorenbiografie
Die Erziehung der Gefühle
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Die Illusion der Jugend prallt auf die Härte der Geschichte. In diesem Spannungsfeld entfaltet Die Erziehung der Gefühle eine nüchterne, zugleich tief bewegende Erkundung dessen, wie Begehren, Ehrgeiz und Zeitgeist die inneren Landschaften eines jungen Menschen formen. Der Roman zeigt, wie die Verheißungen der ersten Blicke und großen Pläne an der Trägheit gesellschaftlicher Kräfte scheuern. Er schildert nicht den Triumph einer starken Persönlichkeit, sondern die leise, hartnäckige Arbeit der Welt an einem sensiblen Bewusstsein. Flauberts Perspektive ist kühl und genau, doch gerade in dieser Distanz liegt seine menschliche Wärme: die geduldige, illusionslose Aufmerksamkeit für das, was Menschen antreibt.

Gustave Flaubert, geboren 1821 in Rouen und gestorben 1880 in Croisset, veröffentlichte den Roman 1869 in Paris. Das Werk, im französischen Original L’Éducation sentimentale. Histoire d’un jeune homme, entstand nach Madame Bovary und Salammbô und gehört zur späten Phase seines Schaffens. Flaubert arbeitete über Jahre an Stoff, Struktur und Formulierung, getrieben von seinem Ideal größter stilistischer Strenge. Die Erziehung der Gefühle fügt sich in sein Projekt einer radikal unpersönlichen Erzählhaltung und präzisen Beobachtung. Zugleich erweitert es sein Interesse an der Beziehung zwischen individuellen Leidenschaften und den unberechenbaren Strömungen der geschichtlichen Zeit.

Die Handlung setzt im Frankreich der 1840er Jahre ein und bewegt sich vornehmlich in Paris, jener Metropole, in der politisches Gerücht, wirtschaftliche Dynamik und kultureller Glanz ineinander greifen. Im Mittelpunkt steht ein junger Mann aus der Provinz, der in die Hauptstadt kommt, fasziniert von der Aussicht auf Bildung, Liebe und gesellschaftlichen Aufstieg. Er knüpft Bekanntschaften in Salons, Ateliers und Büros, blickt in das Getriebe von Presse, Kunst und Handel und entdeckt – oft staunend, oft abgelenkt – die Möglichkeiten und Zumutungen der Großstadt. Mehr sei zur Handlung nicht vorweggenommen; die Wege bleiben offen, die Entscheidungen folgen erst noch.

Thematisch kreist der Roman um Begehren und Entsagung, um Hoffnung und Ernüchterung, um die Wechselwirkungen von Geld, Gefühl und Ruhm. Flaubert zeichnet, mit einer Feinheit, die das Klingen eines Satzes und die Farbe eines Stoffes gleichermaßen ernst nimmt, die Erziehung des Herzens durch Begegnungen, Umwege und Versäumnisse. An die Stelle eines geradlinigen Bildungsweges tritt das widersprüchliche Erfahrungsgewebe der Moderne: Liebe verschränkt sich mit Besitzlogik, politisches Engagement mit Eitelkeit, Freundschaft mit Konkurrenz. Dieser Stoff wird ohne moralische Zuspitzung vorgetragen; Flaubert vertraut auf die Evidenz von Situationen, Gesten und Blicken.

Formal gilt Die Erziehung der Gefühle als Meilenstein realistischer Prosa. Flaubert entfaltet erlebte Rede, szenische Montage, präzise Beschreibungen und eine strenge, rhythmisch geschliffene Syntax zu einem Verfahren, das Nähe und Distanz raffiniert balanciert. Seine Ironie ist nicht spöttisch, sondern analytisch: Sie legt Selbsttäuschungen frei, ohne die Figuren zu verhöhnen. Der Erzähler ordnet scheinbar beiläufige Details so, dass sie soziale Milieus, Affekte und Machtverhältnisse sichtbar machen. Objekte, Räume und Körper sprechen eine stille Sprache, und die Geschichte schreitet nicht durch Deklamationen, sondern durch die unaufdringliche Logik der Dinge voran.

Als Klassiker wird dieses Buch gelesen, weil es den Roman als Kunst der unbestechlichen Aufmerksamkeit neu bestimmt. Anstelle heroischer Taten stehen Wahrnehmung, Gedächtnis und die Poetik des Augenblicks. Flaubert zeigt, wie moderne Subjektivität nicht im isolierten Ich aufgeht, sondern in Netzen von Beziehungen und Diskursen entsteht. Die Erziehung der Gefühle ist so auch ein Gegenbildungsroman: Er begleitet weniger die Vervollkommnung eines Charakters als das Ringen um Klarheit in einer Welt ohne feste Maßstäbe. Diese Verschiebung wirkt bis heute nach und macht das Werk zu einem Prüfstein literarischer Darstellungskraft.

Der Einfluss des Romans reicht weit über Frankreich hinaus. Flauberts Technik der stilistischen Unpersönlichkeit und der erlebten Rede prägte die Entwicklung des europäischen Romans und bereitete Wege für modernistische Experimente. Seine genaue, montageartige Szenenführung, die Ökonomie der Übergänge und die geduldige Beobachtung gesellschaftlicher Prozesse wurden zum Referenzpunkt für Generationen von Autorinnen und Autoren. Auch jenseits der Literatur – in Kunst, Film und Theorie – dient das Buch als Modell dafür, wie individuelle Lebensläufe in historische Konjunkturen eingewoben sind, ohne in ihnen aufzugehen.

Der Publikationskontext ist bemerkenswert: 1869 erschienen, traf der Roman auf eine Zeit politischer Nervosität und kultureller Umbrüche. Die zeitgenössische Aufnahme war zurückhaltend; die Kühnheit der Form und die Verweigerung pathetischer Zuspitzung irritierten nicht wenige. Erst im 20. Jahrhundert setzte sich zunehmend die Einschätzung durch, hier liege eines der großen Bücher über das 19. Jahrhundert vor – und zugleich ein Text, der die Moderne mitbegründet. Die spätere Kanonisierung verdankt sich nicht Skandalwert, sondern der stillen Radikalität von Flauberts Verfahren.

Inhaltlich begleitet der Roman Begegnungen in unterschiedlichen Milieus: Künstlerateliers, Druckereien, Salons, Cafés, Kontore und Wohnungen bilden eine Topografie der Wünsche. Freundschaften und Bekanntschaften werden geknüpft, Solidaritäten erprobt und wieder relativiert. Die Stadt selbst wird zur Figur: Straßen, Plätze und Interieurs strukturieren Wahrnehmung und Handlung. Zarte Schwellenmomente – ein Gespräch, ein Blick, ein zufälliges Wiedersehen – genügen, um Richtungen zu verschieben. Die Erziehung im Titel meint nicht Belehrung von außen, sondern eine allmähliche, oft schmerzlich unklare Selbstjustierung im Spiegel sozialer Situationen.

Vor dem Hintergrund der 1840er Jahre gerät das Private in die Nähe politischer Erschütterungen. Der Roman führt durch Jahre steigender Erwartungen, hitziger Debatten und eruptiver Ereignisse, ohne sie zu theoretischen Traktaten zu verdichten. Flaubert zeigt, wie politische Begriffe in Alltagsgesten umschlagen und wie Raserei und Müdigkeit einander abwechseln. Damit entsteht ein historisches Panorama, das weder Heldentum noch Zynismus sucht, sondern die Komplexität einer Generation, die zwischen Engagement und Zuschauerrolle schwankt. In dieser Spannung werden Ideale geprüft und Gefühlslagen neu kalibriert.

Warum also heute lesen? Weil das Buch eine Frage stellt, die nicht vergeht: Wie wächst ein Mensch, wenn die Versprechen seiner Zeit größer sind als ihre Erfüllungen. Die Erziehung der Gefühle zeigt Mechanismen der Aufmerksamkeit, des Begehrens und der sozialen Imitation, die auch die Gegenwart strukturieren – in Medienöffentlichkeiten, Arbeitswelten und urbanen Rhythmen. Es lehrt, im Gewimmel die stillen Impulse wahrzunehmen, die Entscheidungen lenken. Und es erinnert daran, dass Reife oft weniger in grandiosen Entschlüssen liegt als im Verstehen dessen, was einen wirklich bewegt.

Zeitlos ist dieses Buch durch seine formale Disziplin, seine psychologische Feinfühligkeit und die ethische Haltung der genauen Beschreibung. Es lädt dazu ein, die eigenen Erwartungen gegen die Geduld der Wirklichkeit zu prüfen, und es bietet eine Sprache, die Klarheit ohne Härte sucht. Als nüchterner, dennoch poetischer Roman über Wunsch, Zeit und Gesellschaft bleibt Die Erziehung der Gefühle ein Maßstab. Wer es liest, begegnet nicht nur einer Epoche, sondern einem Verfahren des Sehens. Darin liegt seine anhaltende Gegenwart: in der Kunst, ohne Illusionen zu schauen und dennoch die Intensität des Lebens zu bewahren.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Der junge Provinzler Frédéric Moreau reist nach Paris, um zu studieren, und begegnet auf einer Dampfschifffahrt einer Frau, die sein Gefühl und seine Vorstellungskraft für Jahre prägen wird: Madame Arnoux. In seinem Blick wird sie zum Inbegriff einer höheren, reinen Liebe, die ihn zugleich beflügelt und bindet. Paris erscheint ihm als Bühne grenzenloser Möglichkeiten, die ihn vom nüchternen Jurastudium ablenkt. Erste Eindrücke von Eleganz und Elend der Hauptstadt verschränken sich mit der Entdeckung gesellschaftlicher Kreise, in die er nur zögerlich vordringt. Der Roman setzt damit den Grundkonflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Sehnsucht und Lebenspraxis.

Über Madame Arnoux findet Frédéric Zugang zu ihrem Ehemann, einem Unternehmer der Kunst- und Pressewelt, und zu einem Milieu aus Künstlern, Journalisten und Spekulanten. Sein alter Schulfreund Deslauriers, ehrgeizig und rational, bleibt sein Korrektiv, drängt ihn zu Tatkraft und Karriereplänen. Frédéric hingegen betrachtet, schwärmt und verschiebt Entscheidungen. Besuch um Besuch vertieft die Verehrung für Madame Arnoux, die ihn freundlich, aber distanziert aufnimmt. Die Spannungen in der Ehe der Arnoux, finanziell und emotional, blitzen auf und lassen Frédérics moralische Skrupel wachsen. Der Roman zeichnet die Anziehungskraft der Salons, in denen Schöngeist und Kalkül untrennbar verschmelzen.

Ein erhofftes Vermögen eröffnet Frédéric neue Spielräume, die er zwischen großzügigen Gesten, kostspieligen Vergnügungen und halbherzigen Plänen verstreut. Sein Weg kreuzt sich mit Rosanette, einer unabhängigen Frau aus der Halbwelt, deren Leichtigkeit ihn aus dem Bann des Unerreichbaren zu lösen scheint. Gleichzeitig verschärfen sich die geschäftlichen Schwierigkeiten bei Arnoux, deren Folgen alle Beteiligten treffen. Frédéric laviert zwischen Hilfsbereitschaft und Eigeninteresse, zwischen Treue zu seinem Ideal und dem Reiz des unmittelbar Verfügbaren. So wird seine Gefühlsbildung zu einer Abfolge vertaner Chancen und ambivalenter Bindungen, die seine Stellung in der Pariser Gesellschaft zugleich festigt und prekär macht.

Im Hintergrund verdichten sich politische Spannungen, die in Debatten der Cafés und Redaktionen vorweggenommen werden. Verschiedene Bekannte propagieren gegensätzliche Lehren, von liberaler Reform bis zu radikalem Umsturz. Frédéric nimmt an Versammlungen teil, lässt sich von großen Worten bewegen, bleibt jedoch handlungsarm. Die aufkommende Revolution bringt die Hierarchien ins Wanken, öffnet Türen und schließt andere. Die rasch wechselnden Loyalitäten zeigen, wie sehr öffentliche Ereignisse private Gefühle modulieren. Begeisterung, Angst und Opportunismus überlagern sich, und Frédéric ertappt sich dabei, politische Haltungen wie Rollen anzuprobieren, ohne zur eigenen Linie zu finden. Gefühle und Geschichte geraten in eine unübersichtliche Wechselwirkung.

In dieser Gemengelage häufen sich Missverständnisse und Konflikte. Ein provokanter Aristokrat aus dem Bekanntenkreis führt zu einer Auseinandersetzung, die in einen Ehrenstreit mündet und Frédérics Selbstbild als Mann von Welt auf eine Probe stellt. Parallel verfestigt sich sein Verhältnis zu Rosanette, während die Begegnungen mit Madame Arnoux weiterhin den Maßstab für seine Vorstellungen von Reinheit und Erfüllung bilden. Die ökonomischen Nöte der Arnoux eskalieren, wodurch Frédéric zwischen Loyalität und Vorteilssuche entscheiden müsste. Stattdessen eröffnet der Roman immer neue Winkelzüge und Verwicklungen, in denen die Figuren ihre Berechnungen korrigieren und Frédéric die Konsequenzen seines Zauderns auslotet.

Die Bekanntschaft mit einem einflussreichen Bankhaus erweitert Frédérics Horizont um die Welt des großen Geldes. Die Praktiken der Börse, der politischen Protektion und des gesellschaftlichen Aufstiegs zeigen ihm alternative Wege zu Macht und Ansehen. Eine Dame aus diesem Umkreis, geübt in den Codes der Salons, interessiert sich für ihn und macht ihm den Reiz einer nüchternen, ambitionierten Verbindung spürbar. Während auf den Straßen Barrikaden entstehen, verlagern sich in den Salons die Allianzen. Frédéric steht an Kreuzungen, von denen jede zu einer anderen Zukunft führen könnte. Doch die Bewegung der Ereignisse überholt seine Entscheidungen, und Chancen entgleiten.

Nach den politischen Erschütterungen versucht Frédéric, sein Leben zu ordnen. Geldgewinne und -verluste, Versprechen und Rückzüge hinterlassen ein unstetes Muster. Deslauriers, der seinen eigenen Weg energisch verfolgt, verlangt Klarheit und Opferbereitschaft, was die Freundschaft belastet. Frédéric schwankt zwischen der Sicherheit einer gesellschaftlich vorteilhaften Verbindung und der Treue zu seinem inneren Ideal. Beziehungen, die Aufstieg versprechen, verlangen Anpassung; jene, die das Herz bewegen, sind von Unwägbarkeit gezeichnet. Der Roman zeigt, wie ökonomische Rahmenbedingungen Entscheidungen einfärben und wie leicht hohe Vorsätze in Gewohnheit oder Bequemlichkeit verdampfen, ohne dass ein endgültiger Bruch sichtbar würde.

Eine spätere Begegnung mit Madame Arnoux ruft die Anfänge in Erinnerung und legt die Zeit über das frühere Verlangen. Worte, Gesten und Blicke tragen die Schwere verpasster Möglichkeiten und die Milde gereifter Einsicht. Ohne pathetisches Finale macht der Roman spürbar, wie Erinnerung ein Leben ordnen und zugleich verklären kann. Frédéric erkennt in der Nähe des Ideals die Grenzen seines Handelns, und die Getrenntheit von Gefühl und Konsequenz wird greifbar. Was einst als strahlende Verheißung begann, erscheint nun als Schule der Entsagung, der Nuancierung und des Selbstwissens, deren Lektionen erst spät zu deuten sind.

Die Erziehung der Gefühle entfaltet eine präzise Studie der bürgerlichen Gesellschaft, in der Geld, Ansehen und Politik die inneren Bewegungen lenken. Flaubert zeigt die Bildung des Herzens als Prozess der Ernüchterung: Nicht große Taten, sondern Umwege, Verzögerungen und Zufälle prägen den Charakter. Die zentrale Frage, ob romantische Ideale im modernen Leben Bestand haben, bleibt absichtsvoll offen, doch ihr Nachhall verleiht der Geschichte Dauer. Der Roman wird zum Panorama gescheiterter Entschlüsse und zarter Wahrheiten, das über seine Zeit hinausweist. Sein nachhaltiger Sinn liegt in der nüchternen Einsicht, dass Empfindungen geschult werden – durch Irrtum, Beobachtung und Verzicht.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Die Erziehung der Gefühle spielt vor dem Hintergrund Frankreichs zwischen der Julimonarchie und dem Zweiten Kaiserreich. In den 1840er Jahren regierte Louis-Philippe als König der Franzosen; die politischen Institutionen stützten sich auf eine Zensuswahl, die Besitz und Steuerleistung privilegierte. Der Einfluss der katholischen Kirche blieb spürbar, doch die bürgerliche Klasse dominierte städtische Wirtschaft und Verwaltung. Paris fungierte als politisches und kulturelles Zentrum, während die Provinz vom Rhythmus der Hauptstadt abhängig war. In diesem Rahmen verdichtet Flaubert die Spannungen zwischen monarchischer Ordnung, bürgerlichem Aufstieg und republikanischen Hoffnungen, die das Selbstverständnis einer Generation jugendlicher Städter und Provinzler prägten.

Das Paris jener Jahre war bereits eine Metropole der Übergänge. Noch vor der großen Stadterneuerung standen enge Gassen, Vorstädte und der studentische Süden dem repräsentativen Zentrum gegenüber. Neue Verkehrswege beschleunigten die Mobilität: Zwischen Paris und Rouen wurde 1843 eine Eisenbahnlinie eröffnet, die Reisen und soziale Kontakte verdichtete. Kaffeehäuser, Lesesäle und Mietwohnungen bildeten verdichtete Räume des Austauschs. Für junge Männer aus der Provinz bedeutete die Hauptstadt einen magnetischen Sog, in dem Bildungsambitionen, künstlerische Träume und ökonomische Kalküle aufeinanderprallten. Flaubert nutzt dieses urbane Gefüge, um die Zusammenstöße zwischen Milieus, Moralvorstellungen und Karrieren realistisch und zugleich illusionskritisch zu zeigen.

Literarisch markiert die Epoche den Übergang von der Spätromantik zu einem nüchternen Realismus. Feuilletons und Fortsetzungsromane prägten den Lesemarkt; Debatten in Salons, Redaktionen und Theatern verliehen Stoffen öffentliche Resonanz. Flaubert, 1821 in Rouen geboren, stellte dem pathetischen Ton vieler Zeitgenossen bewusst eine strenge, unpersönliche Erzählweise entgegen. Seine Suche nach dem mot juste zielte auf analytische Genauigkeit statt moralisierender Botschaft. Als Die Erziehung der Gefühle 1869 erschien, verband der Autor eine stilistische Strenge mit einem weitgespannten historischen Panorama. Das Werk blickt dabei zurück auf die 1840er Jahre und entfaltet eine Studie der Entzauberung, die aus konkreten Zeitumständen heraus verständlich wird.

In der Julimonarchie verschärften die Septembergesetze von 1835 nach einem Attentat die Presse- und Meinungsfreiheit. Politische Mobilisierung wich deshalb oft in halbprivate Räume aus, etwa in die berühmte Bankettkampagne von 1847, in der Reformkräfte Redefreiheit und Wahlrechtsausweitung forderten. Zugleich erschütterten Missernten und Finanzkrisen 1846–1847 Handel und Beschäftigung. Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und wachsende soziale Gegensätze verschärften den Unmut in Städten wie Paris. Flauberts Roman spiegelt die Verdichtung von politischer Rhetorik, geselligen Ritualen und materieller Unsicherheit, die den Alltag vieler Studierender, Literaten und Kleinunternehmer bestimmte und die Voraussetzungen für den revolutionären Umbruch schuf.

Im Februar 1848 stürzte eine Welle von Demonstrationen und Barrikaden den Thron Louis-Philippes; die Zweite Republik wurde proklamiert. Ein allgemeines Männerwahlrecht ersetzte das Zensuswahlrecht und erweiterte die politische Öffentlichkeit dramatisch. Politische Clubs, Zeitungen und Versammlungen schossen hervor, Ideenwelten von Republikanern, Sozialisten und gemäßigten Ordnungsparteien konkurrierten um Deutungshoheit. Das Projekt nationaler Ateliers, inspiriert von sozialpolitischen Konzepten etwa Louis Blancs, sollte Beschäftigung sichern, blieb jedoch umstritten finanziert und organisatorisch prekär. Flauberts Darstellung nimmt die euphorische Aufbruchsstimmung ebenso wahr wie die Zwiespalte, in denen private Ambitionen und öffentliche Ideale sich gegenseitig untergraben.

Die Juniaufstände von 1848 markierten den blutigen Gegenpol zur Februarbegeisterung. Nach der Schließung der Nationalwerkstätten erhoben sich Arbeiter in Paris; General Cavaignac ließ die Erhebung mit massiver Gewalt niederschlagen. Tausende Tote und Verhaftungen hinterließen eine tiefe gesellschaftliche Narbe und beförderten ein Klima der Ordnungspolitik. Diese Ereignisse veränderten Gesprächston und Freundschaften in den bürgerlichen Kreisen, die Flaubert schildert: misstrauische Distanz, ideologische Polarisierung, aber auch rascher Gesinnungswechsel wurden Teil des Alltags. Der Roman verweist diskret auf Barrikaden, Patrouillen und die Verlagerung privater Begegnungen, ohne die politischen Vorgänge zum alleinigen Sujet zu machen.

Im Dezember 1848 gewann Louis-Napoléon Bonaparte die Präsidentschaftswahl mit breiter Mehrheit. Der Konflikt zwischen Exekutive und Nationalversammlung mündete am 2. Dezember 1851 in den Staatsstreich, der 1852 im Zweiten Kaiserreich unter Napoleon III. institutionalisiert wurde. Plebiszite bestätigten den Machtwechsel, während Verwaltung, Polizei und Zensur die öffentliche Sphäre disziplinierten. Für die urbane Gesellschaft bedeutete dies eine Verlagerung politischer Energie in halbprivate Räume: Clubs verschwanden, Salons und geschäftliche Netzwerke gewannen an Bedeutung. Flauberts Milieustudien zeigen, wie Anpassung, Opportunismus und die Suche nach stillen Karrierewegen in einer autoritär stabilisierten Ordnung an Gewicht gewannen.

Das Zweite Kaiserreich setzte zugleich auf Modernisierung. Das Schienennetz wurde verdichtet, neue Bahnhöfe verbanden Provinz und Hauptstadt. Ab 1853 leitete Baron Haussmann die umfassende Umgestaltung von Paris: breite Boulevards, neue Plätze, Kanalisierung und Parks verliehen der Stadt repräsentative Monumentalität und erleichterten Truppenbewegungen. Banken wie das 1852 gegründete Crédit Mobilier der Brüder Pereire finanzierten Infrastruktur, Industrie und Immobilien. Großkaufhäuser und Passagen etablierten neue Konsumformen. In dieser Kulisse angesiedelte Salons, Cafés und Wohnungen sind im Roman nicht bloß Dekor, sondern Chiffren für beschleunigte Lebensweisen, in denen Privates, Geld und Politik in einander verschlungene Versuchungen verwandelt werden.

Die wirtschaftliche Dynamik nährte eine Kultur der Spekulation. Aktien der Eisenbahnen, Industriebeteiligungen und Immobilienprojekte lockten mit schnellen Gewinnen, die Pariser Börse wurde zum sozialen Schauplatz. Die Gesetzgebung über Kapitalgesellschaften wurde in den 1860er Jahren liberalisiert, insbesondere durch das Handelsgesetz von 1867, was die Gründung von sociétés anonymes erleichterte. Solche Rahmenbedingungen förderten Blasen und spektakuläre Zusammenbrüche. Flaubert verknüpft diesen Hintergrund mit Figuren, die zwischen unternehmerischem Wagemut, Leichtsinn und moralischer Indifferenz oszillieren. Damit zeichnet das Buch weniger Heldentum als die diffuse Anziehungskraft des Geldes und die Zerstreuung von Überzeugungen in einer Ökonomie des Möglichen.

Gesellschaftlich blieb das bürgerliche Familienmodell normsetzend. Heirat, Mitgift und Patronage entschieden oft stärker über Status als Bildungserfolge. Der Code civil beschränkte die Rechtsstellung verheirateter Frauen; ökonomische Selbständigkeit war rechtlich und sozial erschwert. Gleichzeitig prägte die Halbwelt des Zweiten Kaiserreichs das Großstadtleben: Kurtisanen, Theaterdiven und elegante Etablissements wurden zu sichtbaren Orten der Repräsentation und des Austauschs zwischen Geld, Kunst und Politik. Flaubert nutzt diese Konstellationen, um Begehren, Kalkül und Respektabilität als bewegliche Größen zu zeigen, die Karrieren ermöglichen und zugleich kompromittieren. So verschränken sich intime Entscheidungen mit Klassenambitionen und öffentlicher Wahrnehmung.

Der Bildungsrahmen formte Erwartungen und Lebenswege. Das Gesetz von 1833 unter Guizot hatte das Grundschulwesen ausgebaut, doch die eigentlich prestigeträchtigen Wege führten über Gymnasium, Baccalauréat und juristische oder medizinische Fakultäten. Im Pariser Quartier Latin konzentrierten sich Studentenwohnungen, Buchhandlungen, Repetitorien und Debattierzirkel; dort mischten sich Lernalltag, Politik und Bohème. Die Stadt erzeugte eine meritokratische Erzählung, zugleich blieben Karrieren von Beziehungen, Vermögen und Zufall abhängig. Flauberts Titel spielt mit dieser Spannung: Die Erziehung meint weniger schulische Bildung als die schmerzhafte Sozialisation in den Codes einer Gesellschaft, die ihre Versprechen permanent relativiert.

Im ideellen Feld konkurrierten Programme, die von christlichem Sozialismus bis zu radikalem Eigentumsskeptizismus reichten. Saint-Simonisten propagierten industrielle Modernität und Kreditreformen, Fourieristen entwarfen phalanstères, Proudhon stellte Eigentum radikal zur Diskussion. Republikanische, legitimistische und bonapartistische Lager überlagerten sich mit ökonomischen Schulen und moralischen Projekten. In den Vereinslokalen der Jahre 1848–1849 wurden diese Strömungen mit großer Verve verhandelt. Flaubert, misstrauisch gegenüber Schlagwörtern, zeichnet die Faszination dieser Ideen nach, ohne ihnen prophetische Weihe zu geben. Sein Roman beobachtet, wie Ideologien zu Moden werden, wie sie Karrieren öffnen, Freundschaften prägen und, kaum erprobt, schon wieder verblassen.

Auch in den Künsten verschoben sich Maßstäbe. Während akademische Gremien klassizistische Ideale pflegten, behauptete sich mit Courbet ein selbstbewusster Realismus, der Alltägliches würdigte und politisch deutbar war. Baudelaire reflektierte das moderne Großstadterlebnis, Künstlerzirkel diskutierten neue Stoffe und Formen. 1863 markierte das Salon des Refusés den Konflikt zwischen Jury und Avantgarde. Diese ästhetischen Bruchlinien durchziehen die Kreise von Literaten, Malern und Sammlern, die Flaubert abbildet: Kunst als Ware, als Statussymbol und als Projekt geistiger Autonomie. Der Roman zeigt, wie ästhetische Debatten mit finanziellen Interessen und gesellschaftlicher Repräsentation eng verwoben sind.

Technik und Medien veränderten Wahrnehmung und Öffentlichkeit. Telegraphie verkürzte Nachrichtenwege, Fotografie und Lithographie verbreiteten Bilder in Zeitungen und Alben. Die Presse expandierte, blieb aber unter dem Zweiten Kaiserreich lange reglementiert; Kautionen, Vorzensur und Warnungen steuerten die Publizistik. Flauberts eigener Prozess wegen Madame Bovary 1857 illustriert die enge Überwachung moralischer Normen, auch wenn er freigesprochen wurde. In den 1860er Jahren lockerte das Regime schrittweise die Kontrolle, was Debatten intensivierte. Als Die Erziehung der Gefühle 1869 erscheint, trifft es auf eine Öffentlichkeit, die zwischen Sensationshunger, politischer Vorsicht und wachsender Kritikfähigkeit oszilliert.

Internationale Ereignisse wirkten auf die innere Verfassung zurück. Der Krimkrieg, der Italienfeldzug von 1859 und das mexikanische Abenteuer beanspruchten Ressourcen und lieferten Stoff für patriotische und skeptische Kommentare. Die Weltausstellung von 1867 präsentierte Paris als Schaufenster der Moderne, doch zeitgleich gerieten prestigeträchtige Finanzkonstruktionen wie das Crédit Mobilier in Schwierigkeiten. Die Mischung aus Glanz und Brüchigkeit nährte ein Klima zwischen Fortschrittsglauben und latenter Unsicherheit. Flauberts Roman, mit seinem langen Atem durch zwei Jahrzehnte, registriert diese Spannung: die Behauptung unaufhaltsamer Moderne und die Erfahrung von Rückschlägen, die Karrieren und Ideale entwerten.

Flaubert verarbeitete die Epoche mit zeitlicher Distanz. Bereits Mitte der 1840er hatte er an einer frühen Version des Stoffes gearbeitet, griff das Projekt nach den revolutionären Erfahrungen erneut auf und arbeitete in den 1860er Jahren daran. Von seinem Haus in Croisset aus sammelte er Erinnerungen, Berichte und Dokumente über die Pariser Milieus, die er gut kannte. 1869 veröffentlichte der Verlag Michel Lévy frères Die Erziehung der Gefühle. Die zeitgenössische Aufnahme blieb zurückhaltend; manche empfanden die Kühle der Darstellung als irritierend. Das Buch erschien unmittelbar vor den Erschütterungen von 1870–1871 und fand seine Anerkennung stärker in der Nachwelt.

Im historischen Spiegel dieser Konjunkturen kommentiert der Roman seine Zeit, ohne sie zu verklären. Er zeigt, wie die Revolutionshoffnung von 1848, die Versprechen von Bildung, Liebe und Fortschritt und die ökonomischen Chancen der Moderne ineinander greifen und sich doch gegenseitig entleeren können. Indem Flaubert politische Mythen, bürgerliche Selbstgewissheit und individuelle Sehnsucht gleichermaßen unpathetisch betrachtet, legt er eine Kritik der modernen Erfahrung vor: weniger Anklage als präzise Diagnose. Die Erziehung der Gefühle liest sich so als Bilanz einer Generation, deren Gefühle an Institutionen, Geld und Geschichte geschult werden und dabei an Schärfe, nicht an Trost gewinnen.

Autorenbiografie

Inhaltsverzeichnis

Gustave Flaubert (1821–1880) gilt als eine Schlüsselfigur des französischen 19. Jahrhunderts und als prägende Stimme des literarischen Realismus. Zwischen Monarchie, Zweitem Kaiserreich und früher Dritter Republik schuf er Romane und Erzählungen, die präzise Beobachtung mit rigoroser Stilkunst verbinden. Sein Name ist eng mit einer Ästhetik der Impersonalität und dem Streben nach dem „mot juste“ verknüpft. Flaubert arbeitete langsam, überarbeitete ausdauernd und prägte Verfahren, die die moderne Erzählprosa nachhaltig beeinflussten. Zu seinen am breitesten rezipierten Werken zählen Madame Bovary, Salammbô, L’Éducation sentimentale, La Tentation de saint Antoine, die Trois Contes sowie das unvollendete Bouvard et Pécuchet.

Aufgewachsen in der Normandie, erhielt Flaubert seine Schulbildung in Rouen und begann Anfang der 1840er-Jahre ein Jurastudium in Paris. Gesundheitliche Krisen veranlassten ihn, diese Laufbahn aufzugeben und sich dauerhaft in Croisset nahe Rouen dem Schreiben zu widmen. Literarisch stand er zwischen der Spätromantik und dem aufkommenden Realismus; als prägende Lektüren gelten unter anderem Victor Hugo, Balzac und Stendhal, daneben die französischen Klassiker wegen ihrer stilistischen Strenge. Freundschaften und Debatten im Pariser Milieu schärften seine Poetik. Berühmt wurde seine Praxis des lauten Vorlesens, das „gueuloir“, mit dem er Rhythmus, Ton und Genauigkeit der Sätze prüfte.

Nach frühen Versuchen, darunter Fassungen der Versuchung des heiligen Antonius, etablierte Flaubert eine Arbeitsroutine aus intensiver Recherche und minutiöser Komposition. Von 1849 bis 1851 unternahm er mit Maxime Du Camp eine ausgedehnte Reise in den Nahen Osten, die ihn nach Ägypten, Palästina, Syrien, Kleinasien und Griechenland führte. Die Eindrücke, Notate und Studien dieser Reise vertieften sein Interesse an historischen Stoffen und fremden Schauplätzen. Zurück in Croisset konzentrierte er sich auf Prosa von großer formaler Geschlossenheit. Die wiederholte Umarbeitung der Saint-Antoine-Stoffe zeigt sein Ringen um Form, das erst mit der späten Buchfassung abschließend befriedigt war.

Seinen Ruhm begründete Madame Bovary, an dem Flaubert über Jahre arbeitete und das 1856 zuerst in einer Zeitschrift erschien. 1857 sah er sich wegen angeblicher Sittenverletzung vor Gericht; der Freispruch machte das Buch noch bekannter. Der Roman zeigt nüchterne Milieuschilderung, psychologische Genauigkeit und eine Erzählhaltung, die Autorensicht und Figurenwahrnehmung kunstvoll verschränkt. Flaubert vermied offen moralische Kommentare und setzte stattdessen auf Struktur, Symbol und Detail. Die Debatte um das Werk markierte einen Wendepunkt im Verständnis literarischer Darstellung des Alltäglichen und verankerte Flauberts Ideal strenger Form im Zentrum der französischen und europäischen Romantradition.

Mit Salammbô wandte sich Flaubert 1862 der Antike zu und schuf einen Historienroman, der auf intensiver Dokumentation und Reisen basiert, darunter Studien in Nordafrika. Das Werk verband archäologische Genauigkeit mit bildkräftiger Sprache und prägte Debatten über Realismus und Exotik. 1869 folgte L’Éducation sentimentale, eine groß angelegte Darstellung von Generationserfahrungen und Desillusionierung im Paris des 19. Jahrhunderts. Beide Bücher festigten seinen Ruf als kompromissloser Stilist. Zeitgenössische Reaktionen schwankten; später erkannten Kritiker die formale Kühnheit und die präzise Beobachtung sozialer Triebkräfte, die sein Schreiben auszeichnen, ohne je in offenes Pamphlet oder moralische Programmatik umzuschlagen.

In den 1870er-Jahren veröffentlichte Flaubert die Trois Contes, drei unterschiedlich gefasste Erzählungen, die seine Meisterschaft in Verdichtung, Struktur und Ton zeigen. Zugleich arbeitete er an Bouvard et Pécuchet, einem satirischen Romanprojekt über Wissenssysteme und moderne Oberflächlichkeit, das unvollendet blieb und nach seinem Tod erschien. Die politischen Erschütterungen des Jahrzehnts und familiär bedingte finanzielle Belastungen änderten wenig an seiner ästhetischen Strenge. Im intellektuellen Austausch stand er mit Autorinnen und Autoren wie George Sand, Iwan Turgenew und Émile Zola. Er beharrte auf einer Kunst ohne Botschaft, die durch Form und Genauigkeit ihre Wirkung entfalten sollte.

Flaubert starb 1880 in Croisset. Sein Nachruhm gründet sich auf die Verbindung von stilistischer Disziplin, genauer Darstellung sozialer Dynamiken und einer Erzählkunst, die das sogenannte freie indirekte Erzählen entscheidend profilierte. Nachfolgende Generationen sahen in ihm einen Wegbereiter moderner Prosa; Naturalisten wie Zola und spätere Romanciers bis hin zu Proust oder Joyce erkannten seine Bedeutung. Seine großen Bücher gehören zum festen Kanon, werden fortlaufend neu übersetzt und interpretiert und inspirieren Adaptationen für Bühne und Film. Flauberts Vermächtnis ist eine Poetik der Genauigkeit, die das Ethos der literarischen Form als Erkenntnismittel behauptet.

Die Erziehung der Gefühle

Hauptinhaltsverzeichnis
Erster Teil
1
2
3
4
5
6
Zweiter Teil
1
2
3
4
5
6
Dritter Teil
1
2
3
4
5
6
7

Erster Teil

Inhaltsverzeichnis

1

Inhaltsverzeichnis

Von »der Ville de Montereau«, die am 15. September 1840 gegen sechs Uhr morgens zur Abfahrt bereit vor dem Quai-Bernard lag, wirbelte dichter Dampf auf.

Atemlos eilten Leute herbei; Fässer, Taue, Wäschekörbe hinderten den Verkehr. Die Matrosen gaben niemand eine Antwort. Man stieß sich; die Gepäckstücke häuften sich zwischen den beiden Luken, und der Lärm verlor sich in dem Zischen des entweichenden Dampfes, der alles in eine weißliche Wolke hüllte, während die Glocke vorn am Bug unablässig läutete.

Endlich stieß das Schiff ab, und die beiden Ufer, durch Lagerhäuser, Werften und Hüttenwerke belebt, glitten vorüber wie zwei breite Bänder, die man aufrollt.

Ein junger Mann von achtzehn Jahren mit langem Haar und einen Album unter dem Arm stand unbeweglich am Steuerrad. Durch den Nebel blickte er auf Kirchtürme und Gebäude, deren Namen er nicht kannte; dann warf er einen letzten Blick auf die Insel Saint-Louis, die Stadt, Notre-Dame, und stieß einen tiefen Seufzer aus, als Paris bald darauf verschwand.

Frédéric Moreau kehrte, nachdem er kürzlich das Baccalaureat[1] erhalten hatte, nach Nogent-sur-Seine zurück, wo er zwei Monate schmachten sollte, ehe er seine Rechtsstudien in Angriff nahm. Seine Mutter hatte ihn, mit den notwendigen Mitteln versehen, zum Besuch eines Oheims nach Havre geschickt, auf dessen Erbschaft sie für ihn hoffte. Er war am vorhergehenden Abend von dort zurückgekehrt; und da er nicht in der Hauptstadt bleiben konnte, entschädigte er sich, indem er auf einem Umwege heimkehrte.

Der Tumult legte sich, alle hatten ihre Plätze eingenommen; einige wärmten sich an der Maschine, und der Schornstein spie mit langsam rhythmischem Stöhnen den schwarzen Rauch aus wie einen Federbusch. Über die Messingbeschläge rannen kleine Tautröpfchen; das Deck erzitterte unter einer leisen inneren Erschütterung, und in rapider Drehung schlugen die beiden Räder das Wasser.

Der Fluß war von flachen, sandigen Ufern begrenzt. Man begegnete Holzflößen, die durch die Wellen des Kielwassers ins Schwanken gerieten, oder einem Boot ohne Segel, in dem ein Mann saß und fischte. Dann zerteilte sich der weichende Nebel, die Sonne kam hervor; die Hügelkette, die sich am rechten Ufer der Seine hinzog, senkte sich allmählich, und eine andere tauchte ganz nah am gegenüberliegenden Ufer auf.

Bäume krönten sie zwischen niedrigen Häusern mit italienischen Dächern. Davor waren abschüssige Gärten, durch neue Mauern voneinander getrennt, mit Eisengittern, Rasenplätzen, Treibhäusern und in regelmäßigen Abständen Geraniumvasen auf Terrassen, wo man sich ausruhen konnte. Beim Anblick dieser koketten, friedlichen Besitzungen ersehnte mehr als einer, ihr Eigentümer zu sein und dort mit einem guten Billard, einem Boot, einer Frau oder sonst einem Traum bis ans Ende seiner Tage zu leben. Das völlig neue Vergnügen einer Wasserfahrt brachte die Leute einander näher. Die Spaßmacher begannen schon mit ihren Possen. Viele sangen; alle waren heiter. Man trank sich gegenseitig zu.

Frédéric dachte an das Zimmer, das er zu Haus bewohnen würde, an den Entwurf eines Dramas, an Sujets für Gemälde, an künftige Liebhabereien. Er fand, daß ein durch die Vortrefflichkeit seines Herzens wohl verdientes Glück allzu lange auf sich warten ließ. Er sprach Verse vor sich hin; er ging mit schnellen Schritten über das Deck, kam bis ans Ende neben die Glocke; – und in einem Kreise von Matrosen und Passagieren sah er einen Herrn, der mit einer Bäuerin schön tat, wobei er das goldene Kreuz auf ihrer Brust berührte. Es war ein lebensfroher Mensch von etwa vierzig Jahren mit krausem Haar. Seine kräftige Gestalt steckte in einer schwarzen Samtjacke, in seinem Batisthemd leuchteten zwei Smaragde, und die langen weißen Beinkleider fielen auf sonderbare rote Stiefel aus Juchtenleder mit blauen Mustern herab.

Die Anwesenheit Frédérics störte ihn nicht. Er zwinkerte ihm mehrmals zu; dann bot er allen Umstehenden Zigarren an. Allein offenbar langweilte ihn diese Gesellschaft und er entfernte sich. Frédéric folgte ihm.

Die Unterhaltung drehte sich anfangs um einige Tabaksorten, dann natürlich um die Frauen. Der Herr in den roten Stiefeln gab dem jungen Mann gute Ratschläge; er entwickelte Theorien, erzählte Anekdoten, stellte sich selbst als Beispiel auf und trug das alles in einem väterlichen Tone, mit der Naivität einer ergötzlichen Verderbtheit vor.

Er war Republikaner, war viel gereist, kannte die Theater, die Restaurants, die Journale, alle berühmten Künstler, die er vertraulich bei ihren Vornamen nannte; Frédéric vertraute ihm bald seine Pläne an und wurde von ihm ermutigt. Allein bald hielt er inne, beobachtete den Schornstein, stellte murmelnd eine lange Berechnung auf, »wieviel jeder Kolbenstoß bei so und so vielen in der Minute kostete und so weiter.« – Und als er die Summe gefunden hatte, bewunderte er eifrig die Landschaft, schätzte sich glücklich, den Geschäften entronnen zu sein.

Frédéric empfand einen gewissen Respekt vor ihm und konnte dem Wunsch nicht widerstehen, seinen Namen zu erfahren. Der Unbekannte erwiderte in einem Atemzuge:

»Jacques Arnoux, Inhaber der Kunsthandlung Boulevard Montmartre.«

Ein Diener mit goldbetreßter Mütze kam, ihn zu fragen:

»Ob der Herr herunterkommen möchte, das kleine Fräulein weine.«

Er verschwand.

Die Kunsthandlung war ein Etablissement, das die Ausgabe einer Kunstzeitschrift mit dem Verkauf von Gemälden verband. Frédéric hatte den Titel öfter in Buchhändlerauslagen seiner Heimat auf ungeheuren Prospekten gesehen, wo der Name Jacques Arnoux sich protzig breit machte.

Die Sonne warf jetzt senkrechte Strahlen, unter denen das Eisen an den Masten, die Platten der Schiffsverschanzung und die Oberfläche des Wassers hell aufleuchteten; am Bug des Schiffes teilte es sich in zwei tiefe Furchen, die sich bis zum Rande der Wiesen hinzogen. Bei jeder Biegung des Flusses erblickte man immer wieder dieselbe Wand bleicher Pappeln. Die Gegend war völlig öde. Am Himmel standen kleine weiße Wolken, – und die Langeweile, die sich verbreitete, schien die Fahrt des Schiffes zu verlangsamen und das Aussehen der Reisenden noch unbedeutender zu machen.

Außer einigen Bürgersleuten waren es meist Arbeiter und kleine Kaufleute mit ihren Frauen und Kindern. Da man sich damals auf Reisen schlecht zu kleiden pflegte, trugen fast alle alte Freiheitsmützen oder verschossene Hüte, schäbige, schwarze, im Bureau abgenutzte Anzüge oder längst ausgediente Überröcke mit durchgescheuerten Knöpfen; hier und da sah man unter einer Tuchweste ein baumwollenes Hemd mit Kaffeeflecken. Unechte Goldnadeln steckten in zerfetzten Kravatten, das Schuhzeug wurde nur noch von den Hosenstegen zusammengehalten; zwei oder drei Strolche, die Bambusstöcke mit Lederschlingen trugen, warfen verdächtige Blicke umher, und Familienväter rissen die Augen auf, wenn sie Fragen stellten. Sie plauderten oder hockten auf ihrem Gepäck, einige schliefen in den Ecken, mehrere im Stehen. Das Deck war schmutzig von Birnen-und Nußschalen, Zigarrenstummeln, Überresten der in Papier mitgebrachten Fleischwaren; drei Kunsttischler in Blusen hatten sich vor der Kantine niedergelassen, ein zerlumpter Harfenspieler ruhte, auf sein Instrument gestützt. In Zwischenräumen vernahm man das Geratter der Steinkohlen in der Maschine, Lärm von Stimmen, ein Lachen; – und der Kapitän wanderte auf der Brücke unaufhörlich von einer Luke zur andern. Frédéric stieß das Gitter zur ersten Klasse auf, um an seinen Platz zu gelangen und belästigte dabei zwei Jäger mit ihren Hunden.

Es war wie eine Erscheinung:

Sie saß mitten auf einer Bank, ganz allein; oder wenigstens konnte er, von dem Anblick geblendet, niemand weiter unterscheiden. In dem Augenblick, als er vorüberging, hob sie den Kopf; unwillkürlich verbeugte er sich; und nachdem er sich in einiger Entfernung an derselben Seite niedergelassen hatte, betrachtete er sie.

Sie trug einen großen Strohhut mit rosa Bändern, die hinter ihr im Winde flatterten. Schwarze Scheitel, die ihr Gesicht bis zu den Spitzen der langen Brauen einrahmten und sehr tief herabfielen, schienen sich zärtlich dem Oval ihres Antlitzes anzuschmiegen. Ihr helles, mit kleinen Tupfen gemustertes Musselinkleid bauschte sich in zahlreichen Falten. Sie war mit einer Stickerei beschäftigt, und ihre gerade Nase, ihr Kinn, ihre ganze Gestalt zeichnete sich scharf von der blauen Luft ab.

Da sie in derselben Stellung verharrte, ging er mehrmals links und rechts vorüber, um seine Absichten zu verbergen, stellte sich darauf dicht neben ihren Sonnenschirm, der an der Bank lehnte, und gab sich den Anschein, als beobachtete er eine Schaluppe auf dem Fluß.

Noch niemals hatte er eine so herrlich braune Hautfarbe gesehen, eine so verführerische Gestalt wie die ihre, noch nie eine solche Zartheit der Finger, durch die das Licht hindurchschimmerte. Mit Staunen, wie etwas Wunderbares, betrachtete er ihren Arbeitskorb. Wie war ihr Name, ihr Wohnort, ihr Leben, ihre Vergangenheit? Er hatte das Verlangen, die Möbel ihres Zimmers zu kennen, alle Kleider, die sie getragen, die Leute, mit denen sie umging; und selbst der Wunsch nach ihrem körperlichen Besitz wich einem viel tieferen Begehren, einer schmerzlichen Neugier, die keine Grenzen kannte.

Eine Negerin in einem seidenen Kopftuch erschien mit einem kleinen Mädchen an der Hand. Das Kind, aus dessen Augen Tränen rollten, war eben erwacht. Sie nahm es auf den Schoß. »Ein Fräulein von bald sieben Jahren und gar nicht artig; Mutter kann es nicht mehr lieb haben, die Launen werden ihm zu oft verziehen.« Und Frédéric bereitete das Anhören dieser Dinge eine Freude, als hätte er eine Entdeckung gemacht, ein Geschenk erhalten.

Er vermutete, daß sie von andalusischer Abkunft, vielleicht Kreolin war; ob sie diese Negerin von den Inseln mitgebracht hatte?

Ein langer Schal mit violetten Streifen lag hinter ihrem Rücken auf der Kupferplanke. Sie mochte sich wohl oftmals auf hoher See, an feuchten Abenden darin eingehüllt, die Füße damit bedeckt, darunter geschlafen haben! Aber von den Fransen heruntergezogen, glitt er allmählich herab, drohte ins Wasser zu fallen. Mit einem Satz fing Frédéric ihn auf.

»Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte sie.

Ihre Blicke begegneten sich.

»Frau, bist du fertig?« rief Arnoux, der unter dem Dach der Treppe erschien.

Die kleine Marthe lief ihm entgegen, umklammerte seinen Hals und zerzauste ihn am Bart. Die Töne einer Harfe erklangen, sie wollte die Musikanten sehen, und bald betrat der Spieler, von der Negerin geführt, das Deck der ersten Klasse. Arnoux erkannte ein altes Modell in ihm; er duzte ihn zur Verwunderung der Umstehenden. Endlich warf der Harfenspieler sein langes Haar über die Schulter zurück, breitete die Arme aus und begann zu spielen.

Es war eine orientalische Romanze, in der von Dolchen, Blumen und Sternen die Rede war. Der Mann in Lumpen sang sie mit schriller Stimme; die Stöße der Maschine unterbrachen die Melodie in falschem Takt, er spielte lauter: die Saiten schwirrten, und ihre metallischen Töne klangen wie ein Schluchzen, wie eine Klage stolzer, besiegter Liebe. Von den beiden Flußufern neigten sich die Wälder bis zum Rande des Wassers; ein frischer Luftzug strich vorüber; Madame Arnoux blickte ungewiß ins Weite. Als die Musik verstummte, hob sie zögernd die Lider, als erwache sie aus einem Traum. Demütig näherte sich der Harfenspieler. Während Arnoux Geld heraussuchte, streckte Frédéric die geschlossene Hand aus, öffnete sie verschämt und legte einen Louisd’or[2] in die Mütze. Nicht Eitelkeit trieb ihn dazu, vor ihr dieses Almosen zu geben, sondern das Verlangen, Wohltaten zu spenden, mit einer fast religiösen Herzensregung verbunden.

Arnoux forderte ihn freundlich auf, mit hinunterzugehen, indem et ihm den Weg zeigte. Frédéric versicherte, er komme eben vom Frühstück, dabei verging er vor Hunger; und er hatte keinen Pfennig mehr in der Börse.

Dann sagte er sich, daß er wie jedermann das Recht hatte, sich im Salon aufzuhalten.

Es wurde an runden Tischen gespeist, ein Kellner ging hin und her; Monsieur und Madame Arnoux saßen rechts im Hintergrund; er setzte sich auf die lange Samtpolsterbank, nachdem er eine Zeitung aufgenommen hatte, die dort lag.

Sie wollten in Montereau die Post nach Châlons nehmen. Ihre Reise in die Schweiz sollte einen Monat währen. Madame Arnoux machte ihrem Gatten Vorwürfe über seine Schwäche gegen das Kind. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr, eine Liebenswürdigkeit offenbar, denn sie lächelte. Darauf bemühte er sich, den Fenstervorhang hinter ihr zu schließen.

Die niedrige, ganz weiße Decke warf das Licht grell zurück. Frédéric konnte von gegenüber den Schatten ihrer Wimpern unterscheiden. Sie nippte an ihrem Glase und zerkrümelte Brotkruste zwischen den Fingern; zuweilen schlug das Medaillon von Lapislazuli, das mit einer Goldkette an ihrem Handgelenk befestigt war, gegen ihren Teller. Die anderen alle schienen sie gar nicht zu bemerken.

Zuweilen sah man durch die Fensterluken eine Barke vorübergleiten, die das Schiff anlief, um Reisende aufzunehmen oder abzusetzen. Die Leute an den Tischen neigten sich aus den Öffnungen und nannten die Namen der Ortschaften am Fluß.

Arnoux beklagte sich über die Küche; er beschwerte sich laut über die Rechnung und ließ sie kürzen. Dann führte er den jungen Mann vorn auf das Schiff, um dort Grog zu trinken. Aber Frédéric kehrte bald unter das Zelt zurück, wo Madame Arnoux sich niedergelassen hatte. Sie las in einem winzigen Bändchen in grauem Einband. Ihre beiden Mundwinkel zogen sich mitunter empor, und ein Strahl von Heiterkeit erhellte ihre Stirn. Er war eifersüchtig auf denjenigen, der die Dinge erdacht hatte, mit denen sie beschäftigt schien. Je länger er sie betrachtete, desto mehr empfand er, wie die Kluft zwischen ihm und ihr sich vertiefte. Er dachte daran, daß er sie bald verlassen mußte, unwiderruflich, ohne ihr ein Wort entlockt zu haben, selbst ohne ihr eine Erinnerung zu lassen!

Zur Rechten dehnte sich eine Ebene, links stiegen Weideplätze die Hügel hinan, auf denen man Weingelände, Nußbäume, eine Mühle im Grünen bemerkte, und von dort aus kleine Pfade, die im Zickzack über den weißen Felsen führten, der zum Himmelsrand emporragte. Welch ein Glück mußte es sein, Seite an Seite mit ihr, den Arm um sie geschlungen, dort hinaufzusteigen und, während ihr Kleid über die vergilbten Blätter fegte, unter dem Leuchten ihrer Augen ihrer Stimme zu lauschen! Das Boot konnte anhalten, sie brauchten nur auszusteigen; und dennoch war diese einfache Sache nicht leichter, als die Sonne zu bewegen!

Etwas weiterhin entdeckte man ein Schloß mit spitzem Dach und eckigen Türmen. Ein Blumengarten dehnte sich vor der Fassade; und unter den hohen Linden vertieften die Alleen sich wie dunkle Gewölbe. Er dachte sie sich an der Weißbuchenhecke vorübergehend. In diesem Augenblick sah man eine junge Dame und einen jungen Mann auf dem Altan zwischen den Orangekübeln. Dann verschwand alles.

Das kleine Mädchen spielte neben ihm. Frédéric wollte es küssen. Es verbarg sich hinter seiner Wärterin; und die Mutter schalt, daß es unfreundlich gegen den Herrn sei, der ihren Schal gerettet habe. War das eine indirekte Einleitung?

»Wird sie mich endlich ansprechen?« fragte er sich.

Die Zeit drängte. Wie war eine Einladung zu Arnoux zu erlangen? Ihm fiel nichts Besseres ein, als ihn auf die Farbe des Herbstes aufmerksam zu machen und hinzuzufügen:

»Bald kommt der Winter, die Zeit der Bälle und Diners!«

Arnoux jedoch war vollauf mit seinem Gepäck beschäftigt. Die Küste von Surville wurde sichtbar, die beiden Brücken näherten sich, sie kamen an einer Seilerei vorüber, darauf an einer Reihe niedriger Häuser; weiter unten sah man Teerkessel, Holzspähne und Gassenbuben, die im Sande Rad schlugen. Frédéric erkannte einen Mann in einem Wams und rief ihm zu:

»Beeile dich!«

Sie landeten. Mit Mühe fand er Arnoux in der Menge der Passagiere, und dieser erwiderte, ihm die Hand schüttelnd:

»Viel Vergnügen, mein Lieber!«

Auf dem Quai angelangt, drehte Frédéric sich um. Sie stand dicht am Steuerrad. Er sandte ihr einen Blick, in den er seine ganze Seele zu legen versuchte; sie blieb unbeweglich, als wäre nichts geschehen. Dann rief er, ohne den Gruß seines Dieners zu beachten:

»Warum hast du den Wagen nicht bis hierher gebracht?«

Der Mann entschuldigte sich.

»Welche Ungeschicklichkeit: Gib mir etwas Geld!«

Und er ging in ein Gasthaus, um zu essen. Eine Viertelstunde darauf verspürte er Lust, wie zufällig in den Posthof einzutreten. Ob er sie noch sehen würde?

»Doch wozu?« sagte er sich.

Und der Wagen fuhr mit ihm davon. Die beiden Pferde gehörten nicht seiner Mutter. Sie hatte sie von Monsieur Chambrion, dem Steuereinnehmer, geliehen, um sie dem eignen Wagen vorzuspannen. Isidore, der Tags zuvor aufgebrochen war, hatte bis zum Abend in Bray gerastet und in Montereau übernachtet, so daß die erfrischten Tiere flink dahintrabten.

Abgemähte Felder zogen sich endlos bin. Zwei Reihen Bäume säumten den Weg ein, wo Kieselsteinhaufen sich aneinander reihten; und nach und nach kam er an Villeneuve-Saint-Georges, Ablon, Châtillon, Corbeil und den übrigen Ortschaften vorüber. Seine ganze Reise kam ihm so deutlich wieder in Erinnerung, daß er jetzt ganz neue Details und intimere Einzelheiten entdeckte. Unter dem letzten Volant ihres Kleides lugte ihr Fuß in winzigen, kastanienbraunen Seidenstiefelchen hervor; das Segeltuchzelt bildete einen Baldachin über ihrem Kopf, und die kleinen roten Quasten der Bordüre zitterten unaufhörlich im Winde.

Sie glich den Frauen aus romantischen Büchern[1q]. Er hätte ihrer Person nichts zufügen, nichts von ihr fortlassen mögen. Das Weltall hatte sich plötzlich erweitert. Sie war der Glanzpunkt, in dem alle Dinge zusammenflossen; – und von dem Schwanken des Wagens eingewiegt, die Lider halb geschlossen, den Blick in den Wolken, überließ er sich einer träumerischen, schrankenlosen Freude.

In Bray wartete er nicht, bis die Pferde Hafer bekommen hatten, er ging voraus, die Landstraße hinauf, ganz allein. Arnoux hatte sie »Marie!« genannt. Er rief ganz laut »Marie!« Seine Stimme verhallte in der Luft.

Tiefe Purpurfarbe flammte am westlichen Himmel auf. Hohe Kornschober, die sich mitten in den Stoppelfeldern erhoben, warfen riesenhafte Schatten. Fernab in einem Hof fing ein Hund an zu bellen. Von einer grundlosen Unruhe erfaßt, erschauerte er.

Als Isidore ihn eingeholt hatte, setzte er sich auf den Bock, um zu kutschieren. Seine Schwäche war vorüber. Er war fest entschlossen, sich auf irgendeine Art bei Arnoux einzuführen, in Verkehr mit ihnen zu kommen. Sie führten wohl ein angenehmes Haus, ihm gefiel Arnoux; und dann, wer konnte wissen? Eine Blutwelle stieg ihm ins Gesicht: seine Schläfen hämmerten, er ließ die Peitsche knallen, riß an den Zügeln und trieb die Pferde zu einer solchen Gangart an, daß der alte Kutscher wiederholt ausrief:

»Langsam! aber langsam! Sie kommen außer Atem!«

Allmählich beruhigte sich Frédéric und hörte dem Plaudern des Dieners zu.

Man erwartete den jungen Herrn mit großer Ungeduld. Mademoiselle Louise hatte geweint, weil sie nicht mitfahren durfte.

»Wer ist Mademoiselle Louise?«

»Die Kleine von Monsieur Rogue, Sie wissen doch?«

»Ah! Ich vergaß!« erwiderte Frédéric nachlässig.

Allein die Pferde konnten nicht weiter. Sie hinkten alle beide, und es schlug neun Uhr von Saint-Laurent, als sie auf der Place d’Armes vor dem Hause seiner Mutter anlangten.

Dieses geräumige Haus mit dem nach der Landseite gelegenen Garten erhöhte noch das Ansehen von Madame Moreau, die die geachtetste Persönlichkeit in der Gegend war.

Sie entstammte einer alten, jetzt erloschenen Adelsfamilie. Ihr Mann, ein Bürgerlicher, mit dem ihre Eltern sie verheiratet hatten, war infolge eines Degenstoßes während ihrer Schwangerschaft gestorben und hatte sie in unsicheren Vermögensverhältnissen zurückgelassen. Dreimal wöchentlich empfing sie Gäste und gab von Zeit zu Zeit ein gutes Diner. Doch die Zahl der Kerzen wurde vorher berechnet, und sie erwartete mit Ungeduld ihren Pachtzins. Diese Geldverlegenheiten, die sie wie ein Laster verheimlichte, machten sie ernst. Indessen übte sie Wohltätigkeit ohne jede Bitterkeit. Ihre geringsten Almosen waren wie große Spenden. Man zog sie bei der Wahl der Dienstboten zu Rate, bei der Erziehung der jungen Mädchen, der Kunst des Einmachens, und Hochwürden stieg auf seinen bischöflichen Reisen bei ihr ab.

Madame Moreau hegte großen Ehrgeiz für ihren Sohn. In einer Art voraussehender Klugheit liebte sie es nicht, die Regierung tadeln zu hören. Anfangs würde er Protektion brauchen; dann aber dank seiner Fähigkeiten Staatsrat, Botschafter, Minister werden. Seine Erfolge auf dem Gymnasium rechtfertigten diesen Stolz; er hatte den Ehrenpreis davongetragen.

Als er in den Salon trat, erhoben sich alle sehr geräuschvoll; sie umarmten ihn, und dann bildete sich mit Sesseln und Stühlen ein großer Kreis um den Kamin. Monsieur Gamblin fragte ihn sofort um seine Meinung über Madame Lasarge. Dieser Prozeß, die Sensation der damaligen Zeit, verfehlte nicht, eine heftige Diskussion herbeizuführen. Madame Moreau unterbrach sie jedoch zum Bedauern von Monsieur Gamblin; er hielt sie für den jungen Mann in seiner Eigenschaft als zukünftigen Juristen sehr nützlich und verließ gekränkt den Salon.

Von einem Freunde des Vater Roque konnte nichts überraschen! Von diesem übrigens kam die Rede auf Monsieur Dambreuse, der soeben die Domaine de la Fortelle erworben hatte. Aber der Steuereinnehmer hatte Frédéric beiseite gezogen, um zu hören, was er von Monsieur Guizets letztem Werk halte. Alle wünschten Einblick in seine Angelegenheiten; Madame Benoit wandte sich direkt an ihn und erkundigte sich nach seinem Oheim. Wie ging es diesem guten Verwandten? Er ließ nichts mehr von sich hören. Hatte er nicht einen jungen Neffen in Amerika?

Die Köchin meldete, daß das Essen für den jungen Herrn aufgetragen sei. Rücksichtsvoll entfernten sich alle. Als sie allein waren, fragte die Mutter mit leiser Stimme:

»Nun?«

Der alte Mann hatte ihn sehr herzlich empfangen, aber ohne ihm seine Absichten zu offenbaren.

Madame Moreau seufzte.

»Wo mag sie jetzt sein?« träumte er.

Der Postwagen rollte weiter, und in ihren Schal gehüllt, lehnte sie wohl schlummernd ihren schönen Kopf gegen das Wagenpolster.

Als sie in ihr Zimmer hinaufgingen, brachte ein Bursche aus dem Cygne de la Croix ein Billet.

»Von wem ist das?«

»Deslauriers wünscht mich zu sprechen,« sagte er.

»Ah, dein Kamerad!« sagte Madame Moreau mit verächtlichem Lächeln. »Die Stunde ist gut gewählt, wahrlich!«

Frédéric zögerte. Aber die Freundschaft war stärker. Er nahm seinen Hut.

»Bleibe wenigstens nicht lange!« sagte die Mutter.

2

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Charles Deslauriers’ Vater, ein alter, 1818 abgedankter Hauptmann der Linie, war nach Nogent zurückgekommen, um sich zu verheiraten, und hatte die Mitgift dazu benutzt, das Amt eines Gerichtsvollziehers zu erwerben, das kaum für seinen Lebensunterhalt genügte. Verbittert durch lange Ungerechtigkeiten, an seinen alten Wunden leidend und in Trauer um den Kaiser[3], ließ er seinen Zorn, an dem er zu ersticken drohte, an seiner Umgebung aus. Wenige Kinder wurden mehr geprügelt als sein Sohn. Der Junge fügte sich nicht, trotz der Schläge. Seine Mutter wurde, wenn sie versuchte, sich einzumischen, angefahren wie er. Schließlich steckte er ihn in seine Schreibstube und ließ ihn den lieben langen Tag, über das Pult gebeugt, Akten abschreiben, wodurch seine rechte Schulter sichtlich stärker hervortrat als die linke.

Im Jahre 1833 gab der Hauptmann, der Aufforderung des Präsidenten folgend, sein Amt auf. Seine Frau war am Krebs gestorben. Er siedelte nach Dijon über. Dann ließ er sich als Seelenverkäufer in Troyes nieder, und nachdem er für Charles eine halbe Freistelle erhalten hatte, brachte er ihn auf das Gymnasium zu Sens, wo Frédéric ihn kennen lernte. Aber der eine war zwölf Jahre alt, der andere fünfzehn; überdies trennten sie tausend Verschiedenheiten des Charakters und der Herkunft.

Frédéric besaß in seiner Kommode allerlei Schätze, zum Beispiel ein Toiletten-Necessaire. Er liebte es, morgens lange zu schlafen, die Schwalben zu beobachten, Theaterstücke zu lesen, und ohne die Annehmlichkeiten des Elternhauses fand er das Schulleben hart.

Der Sohn des Beamten fand es schön. Er lernte so gut, daß er bereits am Ende des zweiten Jahres in die dritte Klasse kam. Doch seiner Armut oder seiner Streitsucht wegen waren alle feindlich gegen ihn gesinnt. Als ihn aber ein Diener einmal aus offenem Schulhof einen Betteljungen nannte, sprang er ihm an die Kehle und hätte ihn getötet, wenn nicht drei Lehrer dazugekommen wären. Von Bewunderung hingerissen, schloß Frédéric ihn in die Arme Von diesem Tage an war die Vertrautheit vollkommen. Die Zuneigung eines Großen schmeichelte dem Kleinen offenbar, und der andere nahm die ihm dargebotene Freundschaft wie ein Glück an.

Sein Vater ließ ihn während der Ferien in der Schule. Eine zufällig offen daliegende Übersetzung des Plato begeisterte ihn. Er vertiefte sich in metaphysische Studien und machte schnelle Fortschritte, denn er widmete sich ihnen mit dem Enthusiasmus der Jugend und einem Verständnis, das ihn stolz machte; Jouffroy, Cousin, Laromiguére, Malebranche, die Schotten, alles, was die Bibliothek enthielt, kam heran. Er hatte den Schlüssel stehlen müssen, um sich die Bücher zu verschaffen.

Frédérics Zerstreuungen waren nicht so ernster Art. Er zeichnete die Stammtafel Christi, die an einem Pfosten in der Rue Trois-Rois in Holz geschnitzt war, und darauf das Portal der Kathedrale. Von den Dramen des Mittelalters ging er zu den Memoiren über: Froissart, Comines. Pierre d’Estoile, Brantôme.

Die Bilder, die sich seinem Geist durch diese Lektüre aufdrängten, beschäftigten ihn so stark, daß er das Bedürfnis empfand, sie wiederzugeben. Er strebte danach, einst der Walter Scott Frankreichs zu werden. Deslauriers ersann ein umfassendes System der Philosophie, das die ausgedehnteste Anwendung finden sollte.

Sie plauderten von alledem während der Pausen auf dem Hof, angesichts der gemalten moralischen Inschrift unter der Uhr, flüsterten davon in der Kapelle des heiligen Ludwig mit dem Bart, und träumten davon im Schlafraum. Auf den Spaziergängen richteten sie es so ein, daß sie hinter den andern gingen und redeten ohne Ende.

Sie sprachen von dem, was sie später tun wollten, wenn sie das Gymnasium verlassen haben würden. Für das erste nahmen sie sich vor, mit dem Gelde, das Frédéric bei seiner Großjährigkeit von seinem Vermögen erhalten sollte, eine große Reise zu machen, darauf nach Paris zurückzukehren, zusammen zu arbeiten und sich niemals zu trennen; – und zur Erholung von ihrer Arbeit würden sie Liebschaften mit Prinzessinnen in seidenen Boudoirs haben oder glänzende Orgien mit berühmten Kurtisanen feiern. Dem Ungestüm ihrer Hoffnungen folgten Zweifel. Nach Krisen wortreicher Fröhlichkeit verfielen sie in tiefes Schweigen.

An Sommerabenden, nachdem sie lange auf steinigen Wegen am Rande von Weingärten oder auf der Landstraße mitten durchs freie Feld gegangen waren, wenn das Korn in der Sonne wogte, während himmlische Düfte die Luft durchzogen, überfiel sie eine Art Beklemmung, und sie streckten sich trunken, wie betäubt, auf dem Rücken aus. Die anderen turnten in Hemdärmeln am Barren oder ließen Drachen steigen. Der beaufsichtigende Lehrer rief sie heran und sie kehrten zurück, an Gärten vorüber, durch die kleine Bäche rieselten, dann die von alten Gemäuern beschatteten Boulevards entlang; in den öden Straßen hallten ihre Schritte wider; das Gitter öffnete sich, sie stiegen die Treppe hinauf und waren niedergedrückt, wie nach großen Ausschweifungen.

Der Inspektor behauptete, daß sie sich gegenseitig exaltierten. Doch wenn Frédéric in den oberen Klassen arbeitete, so geschah es infolge der Ermahnungen seines Freundes; und in den Ferien 1837 nahm er ihn zu seiner Mutter mit.

Der junge Mann mißfiel Madame Moreau. Er aß außergewöhnlich viel, weigerte sich, Sonntags dem Gottesdienst beizuwohnen, und hielt republikanische Reden; endlich glaubte sie zu wissen, daß er ihren Sohn in verrufene Häuser führte. Ihr Verkehr wurde bewacht. Sie liebten sich infolgedessen umso mehr, und es war ein schmerzlicher Abschied, als Deslauriers im folgenden Jahr das Gymnasium verließ, um in Paris die Rechte zu studieren.

Frédéric rechnete darauf, sich dort wieder mit ihm zu vereinigen. Sie hatten sich seit zwei Jahren nicht gesehen, und nach langer Umarmung gingen sie auf die Brücken, um ungezwungener plaudern zu können.

Der Hauptmann, jetzt Inhaber eines Cafés in Villenauxe, war wütend geworden, als sein Sohn die Vormundschaftsabrechnung verlangte, und hatte ihm einfach jede Unterstützung verweigert. Aber da er sich später um eine Professur an der Hochschule bewerben wollte und kein Geld hatte, nahm Deslauriers die Stelle eines Gehilfen bei einem Anwalt in Troyes an. Durch Einschränkungen wollte er viertausend Francs sparen, und wenn er das mütterliche Erbteil nicht anrührte, würde er immer etwas haben, um drei Jahre frei arbeiten zu können, während er auf eine Anstellung wartete. Sie mußten also ihren alten Plan, in der Hauptstadt zusammen zu leben, für jetzt wenigstens, aufgeben.

Frédéric senkte den Kopf; das war der erste seiner Träume, der zusammenstürzte.

»Tröste dich,« sagte der Sohn des Hauptmanns, »das Leben ist lang, und wir sind jung. Ich komme dir nach! Denke nicht mehr daran.«

Sie schüttelten sich die Hände, und um ihn abzulenken, fragte er ihn nach seiner Reise.

Frédéric hatte nicht viel zu erzählen. Aber bei der Erinnerung an Madame Arnoux schwand sein Kummer. Durch Scheu zurückgehalten, sprach er nicht von ihr. Dagegen breitete er sich weitläufig über Arnoux aus, erzählte von seinen Reden, seinen Manieren, seinen Verbindungen; und Deslauriers riet ihm nachdrücklich, diese Bekanntschaft zu pflegen.

Frédéric hatte in der letzten Zeit nichts geschrieben. Seine literarischen Ansichten hatten sich geändert, er schwärmte jetzt vor allem für die leidenschaftlichen Charaktere; Werther, René, Franck, Lélia, Lara und andere mittelmäßigere begeisterten ihn fast in gleicher Weise. Zuweilen schien ihm die Musik allein im stande, seinen inneren Aufruhr auszudrücken; dann träumte er von Symphonien; oder die äußere Erscheinung der Dinge fesselte ihn, und er wollte malen. Er hatte auch Verse gemacht; Deslauriers fand sie sehr schön, ohne jedoch um eine zweite Probe zu bitten.

Er selbst gab sich nicht mehr mit Metaphysik ab. Nationalökonomie und die französische Revolution nahmen ihn ganz in Anspruch. Er war jetzt ein langer hagerer Bursche von zweiundzwanzig Jahren mit großem Mund und entschlossener Miene. An diesem Abend trug er einen schlechten Lasting-Paletot, und seine Stiefel waren weiß von Staub, denn er hatte den Weg von Villenauxe zu Fuß gemacht, um Frédéric noch zu sehen.

Isidore näherte sich ihnen, Madame lasse den jungen Herrn bitten, nach Haus zu kommen, und in der Furcht, er könne sich erkälten, schicke sie ihm seinen Mantel.

»Bleibe doch!« sagte Deslauriers.

Und sie gingen weiter, von einem Ende zum andern der beiden Brücken, die sich auf die schmale, von dem Kanal und dem Fluß gebildete Insel stützten.

Wenn sie an der Seite von Nogent gingen, hatten sie eine Gruppe von Häusern vor sich; rechts sah man die Kirche hinter den Sägemühlen, deren Schleusen gesperrt waren; und links, längs des Flusses, umsäumten Sträucherhecken die Gärten, die kaum zu unterscheiden waren. Aber nach Paris zu führte die Landstraße abwärts in gerader Linie, und in der Ferne verloren sich die Wiesen im nächtlichen Dunst. Die Nacht war still und von weißlicher Klarheit. Der Geruch feuchten Laubes stieg zu ihnen empor, und nur das Plätschern der Brunnen hundert Schritt weiter war wie das dumpfe Geräusch von Wellen im Dunkeln.

Deslauriers blieb stehen und sagte:

»Wie die guten Leute ruhig, schlafen, es ist seltsam! Aber Geduld! Ein neues 89 bereitet sich vor! Man ist der Konstitution, der Verfassungsurkunden, der Spitzfindigleiten und Lügen müde! Ah! hätte ich ein Blatt oder eine Tribüne, wie wollte ich das alles durcheinanderrütteln! Allein um etwas zu unternehmen, was es auch sei, ist Geld nötig! Es ist ein Fluch, der Sohn eines Schankwirts zu sein und seine Jugend auf der Suche nach Brot zu vergeuden!«

Er senkte den Kopf, biß sich auf die Lippen und zitterte vor Kälte in seinen dünnen Kleidern.

Frédéric warf ihm die Hälfte seines Mantels um die Schultern. Sie wickelten sich beide hinein und wandelten, einander umfassend, Seite an Seite weiter.

»Wie soll ich ohne dich dort leben?« sagte Frédéric, den die Bitterkeit seines Freundes ebenfalls traurig stimmte. »Mit einer Frau, die mich liebt, würde ich etwas erreichen können … Warum lachst du? Die Liebe ist die Nahrung und gleichsam die Atmosphäre des Genies. Außerordentliche Erschütterungen bringen erhabene Werke hervor. Ich verzichte übrigens auf die Mühe, eine nach meinem Geschmack zu suchen! Und wenn ich sie je fände, sie stieße mich zurück! Ich gehöre zu dem Stamme der Enterbten und werde als König oder Bettler enden, was weiß ich.«

Ein Schatten reckte sich auf das Pflaster und gleichzeitig vernahmen sie die Worte:

»Ihr Diener, meine Herren!«

Der sie ansprach, war ein kleiner Mann mit einem weiten braunen Überrock und einer Mütze, unter deren Schirm eine spitze Nase hervorsah.

»Monsieur Roque?« sagte Frédéric.

»Der bin ich,« erwiderte die Stimme.

Er rechtfertigte seine Anwesenheit mit der Bemerkung, daß er von einer Besichtigung seiner Wolfseisen in seinem Garten am Ufer komme.

»Und Sie sind wieder zu uns zurückgekehrt? Sehr schön! ich habe es von meinem Töchterchen gehört. Mit Ihrer Gesundheit geht es gut, hoffe ich? Sie reisen doch noch nicht ab?«

Und er ging, augenscheinlich durch Frédérics Empfang zurückgeschreckt.

Madame Moreau verkehrte allerdings nicht mit ihm; Vater Roque lebte mit seiner Haushälterin im Konkubinat und war wenig geachtet, obwohl er Wahlmann und Verwalter von Monsieur Dambreuse war.

»Des Bankiers in der Rue d’Anjou?« begann Deslauriers wieder, »weißt du, was du tun müßtest, mein Guter?«

Isidore unterbrach sie nochmals. Er hatte den Auftrag, Frédéric endlich mitzubringen. Madame beunruhigte sich wegen seines Ausbleibens.

»Gut! gut! er kommt gleich,« sagte Deslauriers, »er wird nicht draußen schlafen.«

Und nachdem der Diener gegangen war:

»Du solltest den Alten bitten, dich bei Dambreuse einzuführen. Nichts ist nützlicher, als in einem reichen Hause zu verkehren. Da du einen schwarzen Anzug und weiße Handschuhe hast, nutze sie aus! Du mußt zu diesen Leuten gehen! Später führst du mich dann ein! Ein Millionär, bedenke! Sieh zu, ihm zu gefallen und seiner Frau ebenfalls. Werde ihr Geliebter!«

Frédéric wehrte lebhaft ab.

»Aber es gibt klassische Beispiele dafür, sage ich dir. Denke an Rastignac in der Comédie humaine! Du wirst sicher Erfolg haben!«

Frédéric hatte so großes Vertrauen zu Deslauriers, daß er schwankend wurde, und indem er Madame Arnoux vergaß oder sie in die auf die andere gemünzte Prophezeiung miteinschloß, konnte er sich eines Lächelns nicht erwehren.

Der Schreiber fügte hinzu:

»Der letzte Rat: Mache deine Examina! Ein Titel ist immer gut; und geh mir mit deinen katholischen und satanischen Poeten, die in der Philosophie ebenso vorgeschritten sind, wie man im XII. Jahrhundert war. Deine Verzweiflung ist albern. Männer von Bedeutung haben einen schwierigeren Anfang gehabt, um mit Mirabeau zu beginnen. Überdies, unsere Trennung wird nicht so lange dauern. Ich werde meinem Gauner von Vater an die Kehle müssen. Es ist Zeit, daß ich zurückkehre, adieu! Hast du fünf Francs, mein Mittagessen zu bezahlen?«

Frédéric gab ihm zehn Francs, den Rest der am Morgen von Isidore entnommenen Summe.

Zwanzig Schritt hinter den Brücken, am linken Ufer, glänzte in dem Dachstübchen eines niedrigen Hauses Licht.

Deslauriers bemerkte es. Da rief er emphatisch, indem er seinen Hut zog:

»Venus, Himmelskönigin, sei gegrüßt! Aber die Not ist die Mutter der Weisheit! Hat man uns deswegen nicht genug verlästert, daß Gott erbarm!«

Diese Anspielung auf ein gemeinsames Abenteuer stimmte sie froh! Sie lachten laut auf der Straße.

Dann, nachdem er seine Rechnung im Gasthaus berichtigt hatte, begleitete Deslauriers Frédéric bis zur nächsten Ecke: – und nach einer langen Umarmung trennten sich die Freunde.

3

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Zwei Monate später beschloß Frédéric, der eines Morgens in der Rue Coq-Héron gelandet war, sogleich seinen großen Besuch zu machen.

Der Zufall war ihm günstig gewesen. Vater Roque hatte ihm eine Rolle Papiere gebracht und ihn gebeten, sie selbst bei Monsieur Dambreuse abzugeben; und er fügte der Sendung ein versiegeltes Schreiben bei, in dem er seinen jungen Landsmann empfahl.

Madame Moreau schien dieser Schritt zu überraschen. Frédéric verbarg seine Freude darüber.

Monsieur Dambreuse hieß eigentlich Graf d’Ambreuse; allein, seit 1825, nachdem er mit der Zeit seinen Adel und seine Partei aufgegeben, hatte er sich der Industrie zugewandt; und unterrichtet über alle Ereignisse, beteiligt an allen Unternehmungen, bei allen guten Gelegenheiten auf der Lauer, verschlagen wie ein Grieche und arbeitsam wie ein Auvergnat, hatte er ein Vermögen angesammelt, das beträchtlich sein sollte; außerdem war er Offizier der Ehrenlegion, Mitglied des Generalrats der Aube, Deputierter, nächstens Pair von Frankreich[4]