Die Farbe des Flieders - Elizabeth Noble - E-Book
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Die Farbe des Flieders E-Book

Elizabeth Noble

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Beschreibung

Eine für alle … Der bewegende Freundinnen-Roman »Die Farbe des Flieders« von Elizabeth Noble jetzt als eBook bei dotbooks. Zusammen ist man weniger allein: Als fünf Frauen gemeinsam einen Buchclub gründen, ahnen sie noch nicht, dass die wöchentlichen Treffen für sie schon bald zum sicheren Fels in der Brandung werden sollen: Den jede von ihnen hat ihr eigenes Päckchen zu tragen: Nicole und Harriet versuchen, das Glück in ihre Ehen zurückzuholen, Susan droht, an den Eigenheiten ihrer Familie zu verzweifeln, und während Claire tieftraurig ist, dass sich ihr Kinderwunsch immer noch nicht erfüllen will, hat sich in Pollys Haus der Storch viel zu früh eingeschlichen. Doch obwohl die Leben der fünf Freundinnen so durcheinandergewirbelt werden, knüpfen sie nach und nach ein Band, das ihnen die Kraft verleiht, selbst die dunkelsten Stürme zu überstehen … »Ein amüsanter und berührender Roman, der zum Nachdenken anregt.« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Sunday-Times-Bestseller »Die Farbe des Flieders« von Elizabeth Noble. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 786

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Über dieses Buch:

Zusammen ist man weniger allein: Als fünf Frauen gemeinsam einen Buchclub gründen, ahnen sie noch nicht, dass die wöchentlichen Treffen für sie schon bald zum sicheren Fels in der Brandung werden sollen. Den jede von ihnen hat ihr eigenes Päckchen zu tragen: Nicole und Harriet navigieren die holprigen Wege ihrer Ehen, Susan versucht, die Eigenheiten ihrer Familie zu verstehen, und während Claire tieftraurig ist, dass sich ihr Kinderwünsch immer noch nicht erfüllt hat, hat sich in Pollys Haus der Storch viel zu früh eingeschlichen. Doch obwohl die Leben der fünf Freundinnen so durcheinandergewirbelt werden, knüpfen sie nach und nach ein Band, das ihnen die Kraft verleiht, selbst den dunkelsten Sturm zu überstehen …

»Ein amüsanter und berührender Roman, der zum Nachdenken anregt.« Publishers Weekly

Über die Autorin:

Elizabeth Noble wurde 1968 in England geboren und studierte englische Literatur in Oxford. Danach arbeitete sie einige Jahre im Verlagswesen, bis sie die Liebe zum Schreiben schließlich dazu brachte, ihre eigenen Romane zu veröffentlichen, von denen viele zu internationalen Bestsellern wurden.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Romane:

»Die Farbe des Flieders«

»All die Sommer zwischen uns«

»Für immer bei dir«

»So wie es einmal war«

»Das leise Versprechen des Glücks«

***

eBook-Neuausgabe März 2023

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2003 unter dem Originaltitel »The Reading Group« bei Hodder & Stoughton, London.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2003 by Elizabeth Noble

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2004 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-547-7

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Elizabeth Noble

Die Farbe des Flieders

Roman

Aus dem Englischen von Karin Diemerling

dotbooks.

Für David und Sandy Noble, meine Eltern

»Das eigentliche, verborgene Thema in einem Lesekreis sind die Mitglieder selbst.«

Margaret Atwood

Die Bücher des Lesekreises

Januar: SodbrennenNora Ephron

Februar: Mein SommerschlossDodie Smith

März: AbbitteIan McEwan

April: Die Frau, die gegen Türen rannteRoddy Doyle

Mai: Tee mit SelmaMarika Cobbold

Juni: Meine AntoniaWilla Cather

Juli: Das Vermächtnis meiner MutterMargaret Forster

August: Verschlossenes ParadiesAnita Shreve

September: Das Urteil am KreuzwegIain Pears

Oktober: RebeccaDaphne Du Maurier

November: Der AlchimistPaulo Coelho

Dezember: Das Mädchen mit dem PerlenohrringTracy Chevalier

19.15 Uhr

Clare beobachtete die junge Frau, die im Flur an ihr vorbeiging. Eine Erstgebärende, keine Frage. Aufregung und Angst zeichneten sich auf ihrem blassen Gesicht ab, als sie in mädchenhaften Pantoffeln, die extra für den großen Tag gekauft worden waren, den Korridor entlangschlurfte und mit weichen Knien und hochgezogenen Schultern den Infusionsständer auf Rollen neben sich herschob. Ihr Seitenblick zu Clare sagte: »Hilf mir, wann wird es vorbei sein, wann wird er hier sein?« Ist wahrscheinlich mit einer Muttermunderweiterung von einem halben Zentimeter in die Klinik gekommen, nachdem sie zu Hause ein Weilchen mit dem Messgerät herumhantiert hatte, um dann ihre Mutter anzurufen und die Reisetasche mit all den winzigen weißen Strampelanzügen, Fäustlingen und Mützchen in Eierwärmergröße neu zu packen.

Die Doppeltür hinter der Frau schwang auf, und ein großer, kräftiger, dunkelhaariger Mann ging auf sie zu, nahm ihre Hand und legte ihr einen Arm um die Schultern. Er behandelte sie wie ein rohes Ei und war blasser als sie. Ein Typ X, dachte Clare. Die Männer vom Typ X waren die Tüchtigen, die Starken. Die vom Typ Y begannen meist schon bei der Epiduralanästhesie zu weinen. Sie waren ein paar Jahrzehnte zu spät dran und wären lieber mit einer Zigarre hinter jedem Ohr vor dem Kreißsaal auf und ab getigert. Clare mochte Typ Y lieber.

Elliot war vermutlich Typ X. Oder eine Hybridform: Typ Y, der sich als X ausgibt. Sie hielten ganz gut durch, solange es nicht wirklich brenzlig wurde. Ach was, wem wollte sie hier etwas vormachen – sie hatte keine Ahnung, welcher Typ er sein würde. Es war auch nicht wichtig. Nicht mehr.

Das Mädchen stöhnte und sackte vornüber. Clare eilte auf den flehenden Blick ihres Begleiters herbei. Sie konnte nie kühl und distanziert bleiben. Immer noch nicht. Jedes persönliche Drama, jedes neue Leben, das innerhalb dieser Mauern seinen Anfang nahm, ergriff sie. Immer noch.

»Okay, ganz ruhig, ich helfe Ihnen. Wie heißen Sie?«

»Lynne.«

»Gut, Lynne. Wir bringen Sie jetzt zurück auf Ihr Zimmer. Sie brauchen jetzt ein bisschen Ruhe. Wer kümmert sich um Sie?«

Eine Kollegin kam durch die Schwingtür.

»Tut mir Leid, Clare. Alles klar, Lynne, wir stützen Sie. Ich hab sie, Clare. Du hast doch Feierabend, oder?«

»Ja.«

»Schönen Abend dann.«

»Tschüss.«

Zum Glück hatte sie heute Abend einen Grund, nicht zu Hause zu sein. Elliot nicht sehen zu müssen. Sie würde bestimmt schon wieder weg sein, ehe er aus dem College kam, und er würde bereits schlafen, wenn sie sich später wohl oder übel zu ihm ins Bett legte.

Und die junge Lynne würde ihr Baby in den Armen halten.

19.20 Uhr

Wie jeden Abend stieg Harriet die Treppe mit einem wackeligen Stapel aus einzelnen Socken, liegen gelassenen Pullovern und verstreuten Spielsachen auf dem Arm hinauf – dem Treibgut des Tages. Unten gab es gewöhnlich ein bis zwei Kaffeetassen aufzusammeln, Plastikbecher, die sie unter den Betten fand, ausgelesene Zeitungen und klebrige Plastiklöffel zum Einnehmen von Medizin. Oben das bereits Erwähnte. Tja, dachte sie mit einem schiefen Lächeln, Abwechslung ist die Würze des Lebens. Ha, ha. Ihre häusliche Idylle erinnerte sie immer an einen blöden Film, den sie mal gesehen hatte – Und täglich grüßt das Murmeltier –, in dem dieser Reportertyp immer wieder denselben Tag erleben musste und nie die Frau bekam, in die er sich verliebt hatte, weil der Tag immer gleich ablief. Auf etwas höherem kulturellem Niveau gab es da noch diesen Typen aus der griechischen Mythologie – Sissi irgendwas, Sisyphus, genau –, der wegen irgendeines Vergehens von den Göttern dazu verdammt worden war, bis in alle Ewigkeit einen Felsbrocken einen Hügel hinaufzurollen, um dann zusehen zu müssen, wie er gleich wieder hinunterkullerte. Einen Felsbrocken einen Hügel hinaufzurollen wäre zumindest eine gute Übung gegen diese weichen Fledermausflügel, die sie anstelle der Oberarme bekommen hatte, sinnierte Harriet. Viermal am Tag den Küchenfußboden zu wischen, dreimal die Waschmaschine zu be- und entladen und zweiundvierzig Fragen über Dinosaurier zu beantworten, warum es sie nicht mehr gibt und wie groß ihr Aa wäre, wenn es sie noch gäbe, forderte sie offensichtlich nicht genug.

Oben war alles ruhig, zum ersten Mal seit sechs Uhr früh. Harriet folgte dem Klang von Tims Stimme in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Er saß auf dem Sofa unter dem Fenster, und seine Kidnapper hatten ihm immerhin gestattet, Schuhe und Jackett auszuziehen und seine Krawatte zu lockern. Die Kinder, noch feucht und glänzend von ihrem Bad, hatten sich zu beiden Seiten in seine Arme geschmiegt und lauschten der Geschichte. Tim las langsam, verlieh jeder Figur die richtige Sprechweise und gestikulierte manchmal angeregt. Harriet spürte wie immer einen Anflug von schlechtem Gewissen. Sie suchte meistens die kürzeste Geschichte aus, die sie dann im Eiltempo herunterlas, und bei der Mühe, die sie sich mit Aussprache und Dialekt gab, konnte es ihren Kindern niemand vorwerfen, wenn sie glaubten, jeder Charakter in der Literatur sei in der Mittelschicht Südenglands aufgewachsen. Aber er hatte es auch einfacher, oder? Er kam erst abends nach Hause, wenn der Rotz, die Spaghettisoße und die Tränen schon abgewischt worden waren, wenn das Gezeter um das Zähneputzen sich erledigt und sie die Spielsachen in zu kleine Schränke zurückgestopft hatte. Dann fiel es leicht, die überschwängliche Begrüßung mit liebevoller Zuwendung und rundfunkreifer Lesestunde zu belohnen. Die Kleinen hatten ihre Energie während des langen Tages bei Harriet ausgetobt und waren jetzt nicht mehr aufsässig und ungebärdig, sondern sanft und friedlich. Und sie war am Ende ihrer Kräfte.

Harriet blieb an der Tür stehen, weil sie dieses perfekte Bild des treusorgenden Vaters mit seinen Kindern nicht stören wollte. Irgendwie gehörte sie nicht dazu in diesen Momenten. Sie legte ihr Bündel von Krimskrams auf dem Gästebett ab und ging ins Bad. Dort übersah sie geflissentlich den Schaumrand in der Wanne und die achtlos über den Wasserhahn des Waschbeckens gespritzte Zahncreme, zupfte ergebnislos vor dem Spiegel an ihren wirren Haaren und bestäubte Nase und Kinn schnell mit etwas Puder. Sie zog hastig den Lippenstift über die Oberlippe und presste beide Lippen konzentriert aufeinander. (Keine Zeit für diese Prozedur von Konturieren, Kolorieren, Nachtupfen, wie es ihr von den Frauenzeitschriften alle drei Monate mal beim Frisör nahe gelegt wurde.)

Tim erschien mit einer schläfrigen Chloe auf dem Arm in der Tür. »Sag Mummy gute Nacht.« Den Daumen fest im Mund, winkte Chloe stumm mit ihrer Schnabeltasse voll warmer Milch in Harriets Richtung. »Gute Nacht, mein Schatz, schlaf schön.«

Hinter Tim ließ sich Josh vernehmen: »Gehst du weg, Mummy?«

»Ja, Josh, Daddy wird auf euch aufpassen, bis ich wieder zurück bin.«

»Kommst du rein und deckst mich zu, wenn du zurück bist? Auch wenn es schon richtig spät ist? Versprichst du’s mir?«

»Natürlich, Liebling. Gib mir einen Kuss, bevor ich gehe.«

Harriet brachte ihren Sohn in sein Zimmer und wartete, bis er in sein niedriges Bettchen gekrabbelt war.

»Daddy kommt noch mal, Mum. Mach das Licht nicht aus. Er hat versprochen, mir noch ein Kapitel Harry Potter vorzulesen, wenn Chloe im Bett ist.«

»So, hat er das? Zwei Geschichten an einem Abend? Daddy will mich wohl ausstechen.«

Sie sagte es leichthin.

Auf einmal stand Tim hinter ihr. »Würde mir doch nie gelingen«, sagte er grinsend und küsste sie im Vorbeigehen auf die Wange. »So, jetzt sag mir, wo wir stehen geblieben waren, Josh.«

Bald waren sie wieder ganz in ihre Geschichte vertieft. Tim sah noch einmal vom Buch auf, als er sie gehen hörte, und zwinkerte ihr zum Abschied zu.

Harriets Schritte auf der Treppe waren schwer. Es ist alles so verdammt perfekt, dachte sie. Nur glaube ich wirklich, dass ich ihn nicht mehr liebe. Falls ich es je getan habe.

19.25 Uhr

Das Gefühl ballte sich genau unter Nicoles Brustkorb zusammen, schien ihre Lungenflügel einzuengen und sich bis hinauf in ihre Kehle zu pressen. Es war ein hochprozentiger und gehaltvoller emotionaler Cocktail, bestehend aus Wut, Verletztheit, Frustration, Demütigung und, immer noch, einem Schuss erstickender Liebe. Mit den Jahren hatten sich die Anteile verändert, aber das Ergebnis blieb stets dasselbe. Eine lähmende Benommenheit.

Sie hatte den ganzen Tag in diesem seltsamen, von sich selbst abgetrennten Zustand verbracht, den sie perfektioniert hatte, indem sie das Gefühl in eine bestimmte, mit einem Vorhängeschloss gesicherte Kammer ihres Kopfes sperrte und sich nicht in seine Nähe begab. Es herauszulassen und sich den Empfindungen zu überlassen würde es ihr unmöglich machen, wie gewohnt zu funktionieren. In ihrem abgetrennten Zustand war sie ein Derwisch an straffer Organisation und Tüchtigkeit. Kleider wurden zur Reinigung und Schuhe zum Schuster gebracht, Schmortöpfe mit raffinierten Kräutern wurden zum langsamen Garen in den Ofen gestellt, lehrreiche Spiele mit den Kindern gespielt und Cecile, dem Aupairmädchen, präzise Anweisungen gegeben.

Obendrein sah sie toll aus. Frisur, Make-up, Figur, Kleidung, alles tipptopp wie immer. Andere Frauen mochten sich in Krisensituationen vor Verzweiflung die Haare ausreißen – Nicole föhnte ihre zu schwungvollen Wellen. Nur ihr Herzschlag verriet sie, wie in der Erzählung von Edgar Allan Poe, und sie war sicher, dass alle, denen sie mit ihrem gewohnt charmanten Lächeln begegnete, ihr Herz hörten, wie es lauter und lauter schlug und ihr fast aus der Brust sprang.

Sie stellte die Platte mit Crostini auf dem Tisch in der Diele ab und sah in den Spiegel. Hier unten war es ruhig. Ein Stockwerk darüber schliefen Will, George und Martha schon tief und fest, erschöpft vom Schwimmen und Spielen. Aus dem obersten Stock, wo Cecile schlief, konnte Nicole das leise Hämmern von Garage-Rock hinter einer geschlossenen Zimmertür hören, akzentuiert von aufgeregtem Französisch. Sie telefonierte wahrscheinlich, was sonst, mit einem anderen Mitglied der Aupairmafia, erzählte quietschend von den Abenteuern der letzten Nacht oder plante neue für morgen. Heutzutage passten die Aupairmädchen abends auf die Kinder auf und gingen dann weg, wenn die Eltern nach Hause kamen – »Aber nein, Mrs. Thomas, vor Mitternacht ist dort über’aupt nischts los.« Sie konnten bis vier Uhr morgens tanzen, vierzig Zigaretten rauchen, zwei Stunden schlafen und trotzdem am nächsten Tag um sieben lächelnd Tierfiguren aus Getreidepops legen, um unwillige Esser zum Frühstücken zu überreden. Nicole fühlte sich manchmal wie hundert, wenn sie das sah. Aber sie mochte Cecile, weil sie freundlich im Umgang war und sie ihr nicht alles erklären musste. Außerdem schien sie bewusst immun gegen Gavins Charme zu sein, gerade jetzt ein nicht zu verachtender Vorzug.

Sie erstarrte, als sie seinen Wagen draußen hörte, und wartete auf das Geräusch des Schlüssels im Schloss. Was sollte sie sagen? Sie hatte die verschiedenen Ansätze vorhin unter der Dusche geübt, hatte sich ausgemalt, einmal so zu reagieren, wie andere Frauen es tun würden. Auch wenn sie wusste, dass sie sich verhalten würde wie immer, wenn sie ihm gegenüberstand. Wie seltsam, dass es zur Gewohnheit geworden war, zu einem Teil ihres gemeinsamen Lebens. Nie hätte sie gedacht, dass alles sich so entwickeln würde. Dass sie sich so entwickeln würde.

Oh Gott, was sah er gut aus. Diese großen, leuchtenden Augen, wie sollten sie nicht seine Geheimnisse preisgeben?

Er lächelte, dann bemerkte er die Platte mit den Häppchen und seine Frau in Schal und Mantel. »Hallo, Schatz. Entschuldige, dass ich ein bisschen spät dran bin. War ein höllischer Tag. Was hast du da? Wo willst du hin?« Er beugte sich vor, um ihr einen Kuss zu geben.

Nicole wich aus und ließ ihn ins Leere küssen. »Ich bin bei Susan, Liebling.« Sie fauchte das letzte Wort, Sarkasmus hing schwer in der Luft. Das war das Höchste, was sie zustande brachte. Das und ein trotziges Zuschlagen der Tür. Aber schnell. Sie wollte nicht, dass er sah, wie ihre Hände zitterten und die Häppchen auf der Platte bebten.

19.30 Uhr

Der Ring war geradezu perfekt. Groß genug, aber nicht angeberisch – manche waren ja so auffällig, dass die Trägerin sich ebenso gut eine Kopie der schwarzen AmEx-Karte ihres Verlobten über die linke Hand kleben konnte. Eine moderne Fassung, aber nicht so modisch, dass sie in zehn Jahren die avocadofarbene Badgarnitur des Schmucks sein würde (vorausgesetzt, dass man ihn gegen alle Wahrscheinlichkeit dann noch trug). Es war sogar der richtige Stein für sie, ein Rubin, also genau das, was sie selbst ausgesucht hätte, wenn sie gefragt worden wäre. Was sie total umgehauen hätte, zumal schon der Antrag aus heiterem Himmel gekommen war. Und peinlich hätte es werden können, stellte sich Polly vor, wenn man zum Beispiel vor einem Schaufenster stand und sich in den Ring für fünftausend Pfund verliebte, während er den für fünfhundert im Auge hatte.

Die Frage war: Machte der richtige Ring den Mann zum richtigen Partner? War es ein Zeichen? Oder nur gute Beobachtungsgabe und guter Geschmack? Ob er jemanden um Rat gefragt hatte? Cressida, Suze? Das hielt sie für unwahrscheinlich, es war nicht Jacks Stil. Außerdem hätten die beiden sie vorgewarnt, das wollte sie zumindest schwer hoffen. Aber möglicherweise auch nicht, man wusste nie.

Er sah hübsch aus an ihrem Finger. Sie hielt die Hand ausgestreckt von sich und ließ den Edelstein im Licht funkeln. Dann kicherte sie abfällig über ihr eigenes Bild im Spiegel der Frisierkommode, zog den Ring ab, steckte ihn wieder in das Samtpolster und klappte das Kästchen mit Daumen und Zeigefinger zu. Sie schob es in die Schublade mit ihrer Unterwäsche, wo es zwischen Reizwäsche und Monatshöschen verschwand.

Dann ging sie zum Kleiderschrank und suchte zerstreut nach einem alten, gemütlichen Pullover, den sie glaubte, dort irgendwo hineingestopft zu haben. Ach ja, ihre schizophrene Garderobe – die rechte Seite sauber und ordentlich, ganz der Rechtsassistentinnenschick, wie sie es nannte. Knielange dunkle Kostüme und flache Pumps, eben das, was den Partnern bei Smith, March und May gefiel. Die linke Seite dagegen wie eine Installation von Tracey Emin.

Was würde sie wohl für eine Braut abgeben? Sie hatte eine Schwäche für Rot und tiefe Ausschnitte, aber das konnte man auf jeder x-beliebigen Weihnachtsfeier tragen, während der Unschuldslook in weißer Spitze etwas war, mit dem man nicht allzu oft durchkam. Falls sie im Winter vor den Traualtar traten, wie wäre es mit weißer Spitze und einem dieser tollen Samtcapes darüber, vielleicht in Rot oder einem dunklen Tannengrün? Oh, und perlenbestickte Schuhe!

Meine Güte, Polly, bist du nicht ein bisschen zu alt für diese Tagträumereien? Vor allem, solltest du nicht ein bisschen klüger sein mittlerweile? Ein Ring und ein Heiratsantrag, und schon benimmst du dich wie sechzehn.

»Mum?« Polly schnappte sich den gesuchten, leicht mottenzerfressenen Pullover und zog ihn über den Kopf, während sie hinaus auf den Treppenabsatz ging.

»Mum? Ist das für mich?« Es war Daniel, gerade zurück vom Fußballtraining, ein verschwitzter, pickliger, ausgehungerter Fünfzehnjähriger auf der Suche nach Essen.

»Ja, mein Schatz, tu es in die Mikrowelle, zwei Minuten auf höchster Stufe. Es gibt noch Weihnachtsfrüchtekuchen und Mince Pies zum Nachtisch.«

Polly steckte den Kopf ins Wohnzimmer. Ihre Tochter Cressida saß vor dem Fernseher, die Arme um die hochgezogenen Knie gelegt, den Kopf gegen das Sofapolster gelehnt, und war völlig vertieft in Eastenders.

»Cress, Liebling, ich gehe zu Susan, du weißt doch noch? Ich komme aber bestimmt nicht spät zurück.«

»Okay.«

Wie freundlich, dachte Polly. Dieses Mädchen wird immer mürrischer. Was habe ich mir bloß eingebildet, dort oben die Braut zu spielen, während diese beiden Herzchen hier unten sitzen und mich regelmäßig daran erinnern, wer ich bin, was ich war und wofür ich kein Talent habe?

Was sollte sie sagen? Was ihm antworten? Ja? Nein? Würde er sich mit einem »vielleicht« zufrieden geben?

19.35 Uhr

Fünf Minuten später hockte Cressida im Bad, hatte die Augen zusammengekniffen und verhandelte mit Gott. Sie glaubte zwar nicht an Gott, aber sei’s drum. Sie würde an ihn glauben, wenn er das Ergebnis nur negativ ausfallen ließ.

Wie zum Teufel hatte sie sich nur in diesen Schlamassel reingeritten?

Wenn Cressida eines hasste, dann waren es Stereotypen und Klischees. Hier saß sie, zwanzig Jahre alt, kurz davor, ihren Vorbereitungskurs für die Uni mit Bravour abzuschließen und sich ihren Studienplatz aussuchen zu können. Was ihr sämtliche Türen zu ihrem Traumberuf öffnen würde, zu interessanten Leuten, Freiheit und einem Leben, nach dem sie sich gesehnt hatte, seit sie denken konnte. Doch nun bestand die Gefahr, dass alles im billigsten Klischee endete und sie wie eine von diesen bescheuerten Heldinnen in den Büchern von Catherine Cookson dastand, die sich mit Schimpf und Schande bedeckten. Das durfte nicht passieren. Auf keinen Fall.

Neunundneunzigprozentige Sicherheit innerhalb einer Minute. Sie las die Gebrauchsanweisung. Die Marketingsprache war sehr präzise und ausgewogen, um die gegensätzlichen Hoffnungen beim Test zu berücksichtigen. Manche wünschten sich nichts sehnlicher, als den blauen Streifen zu sehen, während andere eine Niere für ein leeres Fensterchen geben würden. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es sein mochte, ein positives Ergebnis zu wollen, aber es fiel ihr zu schwer. Alles, wirklich alles würde anders werden. Sie selbst würde anders werden: eine viel, viel ältere Cressida, die ihre langen Haare zu einem vernünftigen Bob gekürzt und ihre modisch geschnittene Jeans mit braver Erwachsenenkleidung vertauscht hatte. Die von Zigaretten und Wodka nur noch träumen konnte, ebenso wie von einem Lebenslauf, der nicht mit dem Abitur und einem Jahr Praktikum im Gartencenter endete. Außerdem würde sie einen Ehemann brauchen. In dieser Hinsicht war Cressida merkwürdig altmodisch. Aber im Moment war daran nicht zu denken. Vor allem jedoch nicht an Zigaretten und Wodka, sagte sie sich in Erinnerung an den Neujahrstag, als sie beim Aufwachen nicht gewusst hatte, ob der Schmerz in ihrem Kopf oder der in ihrer Kehle sie umbringen würde, und sie nur gehofft hatte, es möge bald geschehen. Wenn sie wirklich ein Baby bekam, würde es bestimmt zwei Köpfe haben oder so etwas. Verdammter Mist.

Dabei waren sie immer unheimlich vorsichtig gewesen, auch wenn Verhütung nicht an erster Stelle ihrer Prioritätenliste gestanden hatte. Sie war schließlich in den Achtzigern geboren, im Jahrzehnt von AIDS. Obendrein war er der Erste gewesen – ging es tragischer? Mit zwanzig noch Jungfrau.

Andererseits hatte sie ihre Unschuld im Gegensatz zu ihren Freundinnen nie sonderlich belastet. Manche von ihnen schienen ihre Geburtstage als zwingende Termine angesehen zu haben: mit sechzehn die mittlere Reife, mit siebzehn den vorläufigen Führerschein, mit achtzehn zum ersten Mal wählen und irgendwann dazwischen der erste Sex, mit dem nächst verfügbaren, nicht allzu abstoßenden männlichen Wesen. Nicht dass sie eine von diesen Jesusfreaks gewesen wäre, die gelobten, als Jungfrau in die Ehe zu gehen. Sie dachte manchmal, dass ihr einfach keiner gut genug gefallen hatte, oder vielleicht hatte sie sich auch nicht sicher genug gefühlt bei den Jungs, mit denen sie ausgegangen war. Ein psychologischer Berater würde es bestimmt auf ihren Vater schieben und behaupten, ihr Vertrauen zu Männern habe einen Knacks bekommen, als er ihre Mutter verließ. Was natürlich Quatsch war, da die beiden sich mehr oder weniger gegenseitig verlassen hatten.

Cressida hatte kein Verständnis für die tränenreichen Geschichten von Scheidungskindern. Sie liebte ihre Eltern beide, besonders seit sie getrennt waren. Dad war glücklich mit Tina, Mum war glücklich allein oder würde mit Jack vielleicht bald noch glücklicher sein. Schlimmere Dinge geschehen auf See, wie ihre Oma gesagt hätte. Cressida hatte keine Angst, dass ihr Herz einen Knacks weghaben könnte, denn sie hatte ja erlebt, wie es hüpfte, als sie ihm begegnete. Deshalb war sie heilfroh, mit niemand anderem zuvor diese Nähe geteilt zu haben. Es war wie ein Geschenk gewesen, das sie für ihn aufbewahrt hatte, und als sie nach dem ersten Mal neben ihm gelegen hatte, war sie überglücklich gewesen, dass er es war, und dass nichts, was in Zukunft geschehen würde, etwas daran ändern konnte. Was nicht hieß, dass sie auf rosa Wolken schwebte. Nur, dass sie froh war. Bis jetzt. Oh nein, oh nein, oh nein. Es war ein ja.

19.45 Uhr

Zufrieden und erschöpft lehnte Susan sich an den Türrahmen. Jetzt herrschte wieder Ordnung im Wohnzimmer. Meine Güte, was Weihnachten doch für ein Durcheinander verursacht, dachte sie. Während der sechs Wochen davor dreht man vollkommen durch, kauft ein wie eine Besessene und schreibt endlose, unleserliche Listen. Man plant den letzten Einkaufstrip zu Sainsbury wie eine militärische Operation, bei der es um Leben oder Tod geht – die letzten frischen Preiselbeeren erwischen, bevor die Feindin im Twinset sie sich schnappt, und noch eine Packung Luxuscracker auf den überquellenden Wagen gestapelt. Man schrubbt jede Fläche im Haus, als sollte eine Bypassoperation darauf stattfinden, und hängt dann jedes saubere Eckchen mit den geheiligten, selbst gebastelten Engeln und Kerzenhaltern voll. Man befolgt sklavisch die »Tipps für ein WIRKLICH entspanntes Weihnachten« in Zeitschriften wie Good Housekeeping, die einen natürlich fast umbringen, aber immerhin dafür sorgen, dass man sich am Heiligabend gegen halb elf mit einem Glas (selbst gemachtem, was sonst) Eierpunsch hinsetzen und zufrieden sein Werk betrachten kann. Nach drei Tagen ist alles vorbei, und zurück bleiben die Überreste von der Pute, unangerührte Christstollen und ein Chaos, als sei man von einer feindlichen Armee belagert worden. Aber ach, diese drei Tage. Sie waren die schönsten im ganzen Jahr für Susan. Sie und Roger, Alex und Ed und ihre Mutter. Nur sie fünf.

So mochte Susan ihr Haus am liebsten: Wenn ihre hübschen, wohlgeratenen Jungen in ihren alten Zimmern schliefen, in denen unverändert Flugzeugmodelle und Sporttrophäen aus der Schule zu bewundern waren. Ihre jungen, fröhlichen Freundinnen, die sie so glücklich machten, im Zimmer nebenan. Alice gut zugedeckt unter ihren eigenen Häkeldecken im alten Kinderzimmer neben dem Elternschlafzimmer. Und Roger neben ihr, der in letzter Zeit leise schnarchte. Warum beklagten sich manche Frauen nur, dass das Schnarchen ihrer Männer sie zum Wahnsinn treibe? Sie mochte dieses rhythmische Schnurren in der Stille der Nacht.

Susan verstaute den Staubsauger in einem Wandschrank in der Diele und brachte die letzte Kiste mit Weihnachtsschmuck in den ersten Stock. Sie würde Roger überreden müssen, nach der Abendsprechstunde einen Ausflug auf den Dachboden zu machen.

Ihre Mutter Alice erschien oben auf der Treppe. Sie war ihr müde vorgekommen dieses Jahr und hatte offenbar keinen rechten Appetit, wenn auch ihre Freude über das Zusammensein mit ihren geliebten Enkeln unvermindert schien. Jedenfalls war Susan froh, dass sie Alice überredet hatte, noch bis nach Neujahr bei ihnen zu bleiben. Sie solle sich mal bedienen lassen, hatte sie gescherzt, wo sie doch schon über siebzig war. Es gefiel ihr, sie hier zu haben.

»Alles in Ordnung, Mum?«

»Ja, Schatz. Ich habe nicht richtig geschlafen, weißt du, sondern mir ein Theaterstück im Radio angehört und ein wenig meine Augen ausgeruht.«

Susan lächelte. Ja, ja, das Augenausruhen der alten Leute. Genau wie Kinder wollten sie nie zugeben, dass sie müde waren.

Sie warf einen Blick auf die Stiluhr über dem Kamin im Wohnzimmer. Die anderen würden in etwa zwanzig Minuten eintreffen. Eigentlich hatte sie noch ein paar Rechnungen in ihrem Büro schreiben wollen, aber das würde warten müssen. In der Vorweihnachtszeit herrschte stets Hochbetrieb in der Werkstatt, weil alle Leute ihre Vorhänge, Decken und Kissen unbedingt »rechtzeitig zu Weihnachten« fertig haben wollten, und Susan als große Freundin von Festlichkeiten riss sich jedes Jahr ein Bein aus, um die häuslichen Träume ihrer Kundinnen wahr werden zu lassen. Der Januar gestaltete sich dagegen immer sehr ruhig, nur Rechnungen schreiben und Bankgeschäfte erledigen, ohne jedes Vergnügen.

In der Küche hatte sie den Tisch für Roger und Alice gedeckt. Ihr Abendessen war schon vorbereitet und stand neben dem Herd, säuberlich mit Plastikfolie abgedeckt und mit einem gelben Post-it-Zettel versehen, auf dem Ofentemperatur und Garzeit standen. Sie war sehr gespannt auf den Lesekreis heute Abend. Das Teffen würde eine nette Abwechslung darstellen, zumal ihre letzten Versuche, gemeinsam mit anderen die Freizeit zu gestalten, nicht von Erfolg gekrönt gewesen waren. Das Fitnesstraining mit der lächerlich sehnigen Teresa im Freizeitzentrum hatte nichts gegen ihre üppige Figur und noch weniger gegen ihren schmerzenden Rücken bewirkt. Der »Französisch für Anfänger«-Kurs an der Volkshochschule hatte sie dazu gebracht, an ihrem Hochzeitstag voll ungerechtfertigten Selbstvertrauens und übertriebener Kühnheit mit Roger nach Paris zu fahren, wo die pampigen Verkäuferinnen und unfreundlichen Kellner sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholten.

Ja, es könnte ein schöner Abend werden, und sie hatte es verdient, mal ein bisschen was für sich selbst zu tun.

19.50 Uhr

Die Stille im Haus war erdrückend. Elliot ließ die Schlüssel geräuschvoll auf den Küchentisch fallen und sah geistesabwesend die Post durch. Überwiegend Werbung, eine Gasrechnung ...

»Clare? Hallo? Ich bin zurück!«

Er wusste, dass seine Frau zu Hause war. Ihr Dienst im Krankenhaus war vor einer Stunde zu Ende gegangen, und ihr Metro stand vorm Haus.

Keine Antwort. Dann war heute also ein schlechter Tag. Resignierte Freundlichkeit zeigte einen guten Tag an, Gleichgültigkeit einen durchschnittlichen. Doch überhaupt nicht beachtet zu werden, oft gefolgt von boshafter Feindseligkeit, bedeutete einen schlechten Tag. Elliot sah sich nach einem möglichen Auslöser um, denn es gab immer einen. Er warf noch einen Blick auf die Post – eine Postkarte von den Nachbarn, die in einer Familienanlage Urlaub machten. Das könnte es gewesen sein. Halt, nein – natürlich. Eine Rechnung von Dr. Thompson, Harley Street. Der Schlussstrich unter ihren letzten Versuch. Wieder ein Fehlschlag.

Mit schwerem Schritt ging er die Treppe hinauf und wappnete sich innerlich für die Begegnung mit Clare.

»Hallo.«

Als sie ihn kommen hörte, schlug sie die Badezimmertür zu, und er erhaschte gerade noch einen Blick auf ihre nackte Schulter, ehe er ausgesperrt wurde. Sie war erst in letzter Zeit so geworden. Sicher, sie war auch anfangs scheu gewesen, als sie frisch miteinander gingen, aber damals waren sie beide erst vierzehn gewesen, und selbst wenn sie Gelegenheit gehabt hätten, einander nackt zu sehen (was sie natürlich nicht hatten), wären sie beide schüchtern gewesen, weil alles so neu war. Sie waren seit der achten Klasse zusammen – während der mittleren Reife, des Abiturs, ihrer Krankenschwesterausbildung und seines Lehrerstudiums.

All ihre Freunde hatten wechselnde Liebesgeschichten gehabt und den normalen Herzschmerz, die Demütigungen und die Dramen von Heranwachsenden durchlebt. Nicht so Clare und Elliot, Elliot und Clare, die das Herz einer lebhaften Clique von Teenagern bildeten, den festen Punkt im Reigen.

Niemand hätte gedacht, dass es so enden würde, in einer unfruchtbaren, leeren, kinderlosen Ehe. Fünf Jahre lang versuchten sie es jetzt schon. Anfangs war es toll und besonders erotisch gewesen, sich mit dem Gedanken an ein Kind zu lieben; er hatte sich großartig gefühlt, wenn er hinterher neben Clare lag, eine Hand auf ihrem Bauch, und sich fragte, ob sie etwas Neues begonnen hatten, einen neuen Menschen. Er hatte sie viele Jahre für sich allein gehabt und war nun bereit, sie mit einem Kind zu teilen. Sie waren beide ganz aufgeregt gewesen, und es hatte nicht lange gedauert, bis sie zum ersten Mal schwanger wurde. Doch dann, nach ein paar Wochen, kam es zu einer schmerzlichen, blutigen Fehlgeburt. Das sei nicht so schlimm, hatten alle gesagt. »Natürlich seid ihr traurig, aber das passiert häufig, und beim nächsten Mal klappt es bestimmt.« Sie waren jung, sie weinten gemeinsam um das Baby, das zu Weihnachten hätte geboren werden sollen, und blickten nach vorn. Sie machten weiter, immer weiter, bis sie das Paar, das sie einmal gewesen waren, nicht mehr in sich wiedererkennen konnten. Sechzig Monate, fünf Fehlgeburten (vielleicht sogar mehr), Dutzende von Tests, eine scheinbar endlose Abfolge von Ärzten, Gynäkologen, Spezialisten. Ein Kalender voller Geburtstermine, die nie zu einem Geburtstag wurden und die doch keiner von ihnen beiden vergessen konnte.

Manchmal glaubte Elliot, dass Clare ihn beinahe genauso hasste wie sich selbst. Vielleicht sogar mehr, als sie ihn je geliebt hatte.

Clare kam aus dem Bad, fest in ihren Frotteebademantel gewickelt, obwohl es erst acht Uhr abends war. Sie lächelte Elliot schwach an, worauf er sie in die Arme nahm, eine Berührung, die er so auszuführen gelernt hatte, dass nichts Sexuelles, Bedrohliches daran war. Wie er es hasste, wenn sie seine Hand wegstieß, weil sie ihre Brust gestreift hatte oder auf der Wölbung ihres Hinterns ruhte, so als sei sie glühend heiß oder als sei er ein Vergewaltiger. Sie ließ sich von ihm anfassen, zeigte aber keinerlei Entgegenkommen.

Seit kurz vor Weihnachten hatten sie sich nicht mehr richtig geküsst. Weihnachten war immer die schlimmste Zeit, der Nicht-Geburtstag des ersten Nicht-Babys. Die Zeit des trauten Beisammenseins in der Familie. Dieses Jahr hatte Clare das unpersönliche Hemd und die Krawatte für ihn noch nicht einmal in Geschenkpapier eingepackt und einfach Lachs als Weihnachtsessen aufgetischt. Elliots hübsch verpacktes und mit einer Schleife versehenes Schmuckkästchen hatte wie ein Vorwurf neben dem Kamin gelegen. Er war nicht sicher, ob sie das Armband überhaupt richtig bemerkt hatte, als sie es auspackte. Sie hatte es nie getragen.

Aber er gab nicht auf.

»Schweren Tag gehabt, Schatz?«

»Nein, war nicht so schlimm. Drei normale Geburten, nur ein Kaiserschnitt. Drei Mädchen, ein Junge. Chloe, Victoria, Liam, und der vierte Name stand noch nicht fest. Eine Nervensäge von einer jungen Frau, die am Montag geboren hat, meinte, alle fünf Minuten klingeln zu müssen, damit jemand ihr Baby abholt. Und dieser hochnäsige Stationsarzt ist endlich im Urlaub.« Sie berichtete diese Einzelheiten ihres Tages mit ausdrucksloser Stimme und ohne Augenkontakt. Als ob ich mich einen Dreck dafür interessiere, dachte Elliot. Sie versteckt sich hinter ihrem Tagesablauf, damit wir um Himmels willen nicht über etwas wirklich Wichtiges reden müssen.

Laut sagte er: »Apropos Urlaub, Midge und Pauls Ansichtskarte hat mich daran erinnert, dass wir auch mal wieder wegfahren könnten. Es ist schon eine Weile her seit der Dordogne.« Eine einzige Katastrophe, dieser Urlaub. Er hatte ihn als Überraschungstrip gebucht und nicht richtig auf den Kalender geguckt, und prompt war einer von den schwarzen Tagen mitten in die erste Woche gefallen. Allerdings wurde es langsam ziemlich schwierig, vierzehn Tage zu finden, in denen es keinen schwarzen Tag gab.

Clare drehte sich zu ihm um, und er sah, dass sie rote Augen hatte.

»Mal sehen.«

»Vielleicht bekommen wir ein günstiges Angebot über Ostern in irgendeinem Skiort. In Österreich oder so. Davon haben wir doch schon lange geredet.«

Sie waren noch nie Skifahren gewesen. Anfangs hatten sie kein Geld dafür gehabt, und in den letzten Jahren war Clare zu besorgt wegen eines möglichen Sturzes gewesen – schwanger, nicht schwanger ... Sie hatte sich in ihr eigenes, unsichtbares Reagenzglas verkrochen.

»Oh ja, tolle Idee. Wir können kein Kind bekommen, dann lass uns doch ein paar Hänge runterwedeln. Ist ja fast genauso gut, so ein Urlaub.« Sie sah ihn nicht an, während sie wütend Unterwäsche aus ihren Schubladen zerrte. Mit dem Rücken zu ihm zog sie einen Slip an, ohne den Bademantel abzulegen. Zur Strafe.

»Ich lass mir mal einen Katalog geben in der Stadt und guck auf die Internetseite mit den Last-Minute-Angeboten.« Das war Elliots neue Taktik, einfach so zu tun, als wären ihre Antworten freundlich und interessiert. Als könnte er sie dazu bringen, ihre Vendetta gegen ihn aufzugeben, wenn er einfach unbeeindruckt weitermachte. Und weil Clare nicht die Energie hatte, ihn zu beschimpfen, zumindest heute nicht, ließ sie ihn reden. In beider Köpfe gab es immer noch einen kleinen Winkel, der sich Ferien herbeifantasieren wollte wie die, die sie früher zusammen gemacht hatten. Es waren immer ziemlich billige Pauschalreisen an irgendwelche drittklassigen Badeorte am Mittelmeer gewesen, aber sie hatten ihren Spaß gehabt und sich geliebt. Elliot und Clare, knackig braun von den Nachmittagen in der Sonne, müde vom morgendlichen Sex, immer morgens, wenn die Helligkeit die Intimität noch schöner machte, wenn sie mit offenen Augen miteinander schliefen, sich verzückt ansahen und die Reaktionen und Wünsche des anderen genau registrierten. Clare und Elliot, kichernd bei der Erinnerung an beschwipste Abende im Ort, wo die Leute zu ihnen herübersahen. Leute, die nicht so glücklich, nicht so verliebt waren wie sie. Die Bilder liefen ab wie ein Achtmillimeterfilm, hörten dann abrupt auf und entließen sie in die Wirklichkeit. Sie hatten seit vier Jahren keinen solchen Urlaub mehr gemacht und würden es auch nie wieder tun.

»Ich gehe heute Abend weg, steht im Kalender. Im Schrank ist Pasta und im Gefrierfach Reste der Bolognesesoße vom Wochenende. Brauchst du nur in der Mikrowelle aufzutauen.«

»Ach ja, diese Sache mit dem Lesekreis, stimmt’s? Hast du das Buch gelesen?«

»Ja, klar, sonst hätte es nicht viel Sinn hinzugehen, oder?«

»Taugt es was?«

Clare sah auf und dachte nach. Sowohl über die Frage als auch über Elliots Interesse. Das Buch war tatsächlich gut, sehr gut sogar, und sie hatte es an drei Abenden verschlungen, war völlig in den erfundenen Schicksalen der erfundenen Leute aufgegangen. Doch Elliots Gesicht, das hübsche Gesicht, das sie schon über die Hälfte ihres Lebens kannte, zeigte nur ein partielles Interesse. Er versuchte so ernsthaft, so verzweifelt, an sie heranzukommen, die Harmonie zu wahren, das Richtige zu sagen. Und sie fühlte sich schuldig und gereizt und vollkommen hoffnungslos.

Es war, als lägen große Trümmerhaufen in dem Niemandsland zwischen ihnen, die Überbleibsel vorausgegangener Kämpfe, und als hätte sie nicht die Kraft, über sie hinwegzuklettern und die weiße Fahne zu schwingen. Sie hatte sie zwar gehisst, genau wie er, aber sie flatterte auf dem Grund des Schützengrabens, sodass er sie nicht sehen konnte.

»Es ist ganz gut, aber ich habe es wahrscheinlich nicht richtig verstanden. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich mich darauf eingelassen habe. Die anderen waren bestimmt alle auf der Uni und haben sich eifrig Notizen gemacht. Bestimmt werde ich mir dumm vorkommen und nicht wieder hingehen.«

»Du bist überhaupt nicht dumm. Es wird dir sicher Spaß machen. Wer kommt denn noch?«

»Du kennst sie nicht. Es findet bei einer gewissen Susan statt, für die Mum die Vorhänge genäht hat, sie wohnt oben auf dem Hügel. Dann eine Freundin von ihr namens Nicole. Außerdem Harriet und vielleicht noch ein paar andere.«

»Ach, das wird bestimmt lustig. Ein Haufen Frauen und ein paar Flaschen Wein – ich wette, ihr werdet euch gar nicht dem Buch widmen, sondern eher dem guten alten Klatsch.«

Es war Clares Mutter, Mary, die den Vorschlag gemacht und Susan gebeten hatte, Clare ebenfalls einzuladen. Sie meinte, es könne ihr helfen. Ungefähr so, als würde man ein Pflaster auf eine klaffende Wunde kleben, fand Elliot, aber er hatte es aufgegeben, seine Meinung zu äußern. Mary und er trafen sich etwa einmal die Woche auf einen Kaffee, und es war merkwürdig festzustellen, wie sehr sich diese Treffen im Laufe der Monate und Jahre verändert hatten. Zuerst waren sie zusammengekommen, weil sie sich beide Sorgen um Clare machten, nach Wegen suchten, um ihr zu helfen, und in erster Linie an sie dachten. Doch Elliot wusste, dass Mary inzwischen Angst um sie beide hatte, um Clare und ihn. Marys offen geäußerte Befürchtungen wegen ihrer Ehe hatten ihn erstmals auf den Gedanken gebracht, dass sie es vielleicht nicht schaffen würden, diese Krise nicht überwinden könnten. Elliot war überzeugt, dass Mary sich mittlerweile vor allem mit ihm traf, um sicherzugehen, dass er noch da war. Als könnten ihr mütterlicher Wille und ihre Stärke bei einem großen Milchkaffee und einem englischen Frühstück so viel Einfluss ausüben, dass sie zusammenblieben, dass Elliot Clare weiterhin liebte, dass er noch acht Tage blieb, eine Woche nach der anderen. Auf diese Weise war Mary selbst zu einem Teil des Übels geworden, statt Heilung zu bringen. Sie trug dazu bei, Elliot zu ersticken.

Elliot stand vom Bett auf. Wo Clare heute Abend auch hinging, die Erleichterung über ihre Abwesenheit würde kommen, sobald sich die Tür hinter ihr schloss. Er würde die Anlage aufdrehen, irgendetwas Lautes, Betäubendes hören und sich einen großen Drink einschenken. Und er würde jemanden anrufen, der ihm ein gutes Gefühl gab.

»Na, ich wünsch dir jedenfalls viel Spaß, Clare.«

JANUAR

Sodbrennen

Nora Ephron

»Der Kuchen, mit dem ich nach Mark warf, machte eine schreckliche Sauerei, aber ein Blaubeerkuchen wäre noch besser gewesen, denn er hätte seinen neuen Blazer für immer ruiniert, den Blazer, den er mit Thelma gekauft hatte.«

Rachel Samstat ist clever, erfolgreich, mit einem gefeierten Washingtoner Journalisten verheiratet ... und am Boden zerstört. Sie hat herausgefunden, dass ihr Mann sie mit der schlaksigen Thelma betrügt.

Dieser köstliche Roman, übersprudelnd vor boshaftem Witz und gespickt mit Rezepten, ist eine Achterbahnfahrt zwischen Liebe, schmerzlichem Verlust und – höchst befriedigender – Rache.

»Sag mal, hast du dieses Buch ausgesucht, weil es so schön dünn ist, gerade mal hundertachtundsiebzig Seiten, oder weil du den Film gesehen hast?«

»Es ist verfilmt worden?«

»Ja, ganz toll, mit Jack Nicholson und Meryl Streep. Furchtbar traurig.«

»Das ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Einer, den ich auf die einsame Insel mitnehmen würde.«

»Weder noch, um deine unverschämte Frage zu beantworten. Ehrlich gesagt waren es die Rezepte, die es mir angetan hatten. Ich finde es großartig, wie sie in die Geschichte eingestreut sind und Rachel all diese köstlichen Sachen kocht, während ihre Ehe den Bach runtergeht. Letzte Woche habe ich sogar eins nachgekocht, den Limonenkuchen, war superlecker. Aber ich glaube, hinter dieser ganzen Kocherei steckt auch viel Symbolik. Ich meine, obwohl sie selbst eine erfolgreiche Karrierefrau ist, ist es im Grunde das Kochen, der Fütterungsinstinkt, diese ureigene weibliche Aufgabe, mit der sie die Kontrolle über ihr Leben behält.«

»Ja, Kontrolle ist ihr sehr wichtig, nicht? Sie schreibt ja auch an einer Stelle, dass sie über all das Witze machen und es zu einer Geschichte verarbeiten muss, damit sie die Kontrolle behalten kann. Ich nehme an, sie meint die Kontrolle darüber, wie viel sie von ihrem Schmerz zeigt.«

»Und sie macht aus dieser zentralen Szene, wo sie den Kuchen wirft, eine richtige Show, ein Exempel dafür, wie man Kontrolle in der Öffentlichkeit ausübt.«

»Ja, aber im Prinzip ist sie trotzdem machtlos, oder? Er hatte eine Affäre mit einer anderen, hat sie immer noch, und das kann sie nicht kontrollieren.«

»Ich finde ja, dass sie ein Schwächling ist. All diese witzigironischen Bemerkungen und cleveren Beobachtungen ändern nichts an der Tatsache, dass sie bei ihm bleibt, dass sie ihn nicht verlassen kann. Selbst als sie mal abhaut – ausgerechnet zu ihrem Vater, davon kann man ja auch halten, was man will –, lässt sie sich von ihrem Mann wieder nach Hause holen, lammfromm. Die Alarmglocken läuten bei ihr nicht mal an der Stelle, als er ihr Ticket im Flugzeug nicht bezahlt. Er ist echt ein Schwein.«

»Sie ist schwanger und hält sich meistens in der Küche auf, das stimmt. Oh, ist das nicht traurig, als sie das Baby bekommt?«

»Ja, als sie sagt, erzähl mir davon, wie unser Erstgeborener – wie heißt er doch gleich? – auf die Welt kam. Und dann, als Nathaniel zu früh geboren wird, sagt sie, dass sie ihm das nicht verübeln kann.«

»Genau, sie schreibt: ›Etwas in mir starb und er musste raus‹.«

»Ich habe geweint an der Stelle.«

»Aber sie liebt ihn eben, da kann man nichts machen.«

»Natürlich kann man da was machen. Man kann sich emotional distanzieren, sich Heilungschancen eröffnen. Ist es nicht so, dass man sich selbst am meisten lieben sollte?«

»Sie liebt ihre Kinder am meisten. Vielleicht bleibt sie deswegen bei ihm.«

»Nein, das kauf ich ihr nicht ab. Meine Güte, die Geschichte spielt in Amerika in den Siebzigern. Da gab es schon massenhaft geschiedene Leute. Es war kein gesellschaftliches Stigma für die Kinder mehr.«

»Vielleicht kein Stigma, aber immer noch ein Trauma.«

»Ich glaube nicht, dass sie wegen der Kinder bleibt. Sie will ihre Ehe retten.«

»Da gibt es einen merkwürdigen Widerspruch, findet ihr nicht? Einerseits will sie wirklich, dass er sie liebt, andererseits denkt sie nicht daran, sich zu verändern, damit er sie wieder liebt.«

»Sie versteht jedoch erst in der Kuchen-Szene richtig, dass keine Veränderung ihn dazu bringen könnte, sie zu lieben.«

»Ich bin übrigens nicht mit dieser Zusammenfassung auf dem Einband einverstanden, wo es heißt, dass es um Rache geht. Sie ist nicht auf Rache aus, und sie bekommt auch keine. In der Szene, wo sie den Kuchen wirft, geht es doch eher darum, einen Strich unter alles zu ziehen. Als würde sie endlich ihre Naivität abschütteln. Es ist ein Akt der Selbstbefreiung. Das ist das Entscheidende: Sie wird endlich selbst aktiv, ist nicht mehr passiv. Das ist eine Form von Kontrolle. Aber keine Rache.«

»Hat Nora Ephron nicht auch Schlaflos in Seattle geschrieben?«

»Erstaunlich, dass sie immer noch genug an die Liebe glaubt, um so etwas Schmalziges, Unkompliziertes zu schreiben.«

»Aber meint ihr nicht, es ist Rachels Stärke, dass sie nach wie vor an die Liebe glaubt?«

»Ich finde, Rachels Stärke liegt darin zu erkennen, dass Mark sie nicht liebt, und einen Neuanfang zu machen, obwohl sie ihn immer noch liebt.«

»Ja, sie ist zum Schluss richtig optimistisch, als sie geht. Sie ist sehr traurig und fühlt sich gedemütigt und all das, aber sie glaubt trotzdem an die Zukunft. Hier ist diese Stelle, wo sie sagt: »›Und dann zerplatzt der Traum in eine Million winzige Teile. Der Traum stirbt. Und dann bleibt einem nur übrig zu wählen: Man kann sich mit der Realität abfinden, oder man kann wie ein Idiot von vorn anfangen und einen neuen Traum träumen.‹«

Nicole

Der Strauß war so groß, dass Nicole den Überbringer dahinter nicht erkennen konnte. Auf der dazugehörigen Karte standen nur zwei Worte, aber auch die waren groß genug, um schon an der Türschwelle entzifferbar zu sein: »Verzeih mir.« Ganz harmlos steckten sie mitten in den Rosen der Sorte »American Beauty«. Sie nahm dem ahnungslosen jungen Mann grob die Blumen ab und schloss mit einem knappen »Danke« die Tür hinter sich. Der Junge blieb verdutzt noch einen Moment davor stehen. Er war neu und an solches Verhalten nicht gewöhnt. Waren Frauen nicht ganz scharf darauf, Blumen zu kriegen? Er schüttelte den Kopf, pfiff sich eins und ging. Drinnen lehnte Nicole sich gegen die Haustür, während ein kleiner, erschöpfter Schluchzer in ihr aufstieg. Sie ließ den Kopf gegen das harte Holz sinken, schloss die Augen und atmete den Duft der Rosen in ihren Armen ein. Gestattete sich vorübergehend die Fantasie, dass es keine »Verzeih mir«-Rosen waren. Aber nur ganz kurz.

Dann machte sie sich in ihrer hellen Küche zu schaffen, die so blitzblank war wie im Fernsehspot, schnitt die Rosen fachgerecht an, übergoss die Stiele mit kochendem Wasser aus dem Kessel und fügte dem Wasser in den drei Vasen, die sie für die Blumen brauchte, einen Tropfen Spülmittel hinzu. Vasen wurden aus einem Schrank genommen, die abgeschnittenen Stiele in einen diskret verborgenen Mülleimer entsorgt und Glasuntersetzer aus einer Schublade hervorgeholt, um die auf Hochglanz polierten edlen Holzoberflächen vor Wasserringen zu schützen. Eine Vase auf den runden Tisch in der galerieartigen Diele, eine zweite auf den Esszimmertisch. Die dritte ins Wohnzimmer, neben die silbergerahmten Fotos, die ihr Leben dokumentierten. Ihre Eltern in Schwarzweiß, die Zwillinge mit Sonnenhütchen und Eiskrembärten, Martha als Neugeborene, wie sie quer über den pummeligen Kleinkinderbeinen ihrer Brüder lag, den Mund zum Protest aufgesperrt. Sie und Gavin an ihrem Hochzeitstag. Sie stellte die Vase direkt neben dieses Bild. Der verdammte Mistkerl.

Mai 1992. Eine angemessen malerische Dorfkirche im Hintergrund, das Portal mit Blumengirlanden geschmückt. Die Braut wunderhübsch und außer sich vor Freude in Amanda Wakely; der Bräutigam hoch gewachsen und stolz im allgegenwärtigen Cut. Oh, mit was für einem Blick sie ihn ansieht: ein Strahlen, das blendet in seiner bedingungslosen Liebe. Prinzessin Dianas Kuhaugen. Ein Lächeln, bei dem sie sich das Gesicht verrenkt haben muss.

Das Foto ließ Nicole urplötzlich innehalten. Wie bei einem billigen Spezialeffekt drehte sich das Wohnzimmer in seiner schick möblierten Vertrautheit um sie und trat in den Hintergrund, und die Erinnerung an jenen Tag mit all seinen Gefühlen stand klar und deutlich vor ihr. Sie konnte sich und ihn beinahe riechen, von der Sonne gewärmt, nervös und parfümiert vor dieser Kirchentür. Sie hatte ihn wie verrückt geliebt an diesem Tag. Auf der Fahrt zur Kirche hatte sie neben ihrem Vater im Mercedes gesessen. Er hatte ihre Hand genommen und sehr ernst gesagt: »Ich möchte, dass du weißt, mein Schatz, wenn du dir nicht ganz sicher bist, wenn du auch nur den geringsten Zweifel hast ...« Sie hatte ihn halb lachend, halb weinend und vollkommen verständnislos angesehen. Sie konnte sich kein Leben ohne Gavin vorstellen. Seine Frau zu sein, ihn zu heiraten, war alles, was sie auf der Welt wollte, das Einzige, was sie tun konnte.

Er war der erste Mann, in den sie sich richtig verliebt hatte. Ihre Jugend war eine herrliche, sorglose Zeit für Nicole gewesen. Sie war zwar nicht die größte Schönheit weit und breit, aber sie hatte die reine Haut, die ebenmäßigen Züge, die schönen Augen und welligen Haare eines von Natur aus hübschen Mädchens, das beim Frühstück genauso gut aussieht, wie es beim Abendessen ausgesehen hat. Dazu kamen eine Neigung zum Flirten und eine ungezwungene, sprühende Art – das gewisse Etwas, das sie zu einer begehrten Trophäe an der Universität machte. Bis zu ihrem BA-Abschluss, für den sie nicht besonders hart arbeitete, hatte sie jedes Jahr einen neuen Freund, plus den einen oder anderen Lückenbüßer in den Semesterferien und ein paar One-Night-Stands. Die meisten Jungs machten sich mehr aus ihr als sie sich aus ihnen. Sie war zwar nie absichtlich grausam, aber sie hatte die freizügige Einstellung der Umschwärmten, eines Mädchens, das nie um eine Verabredung für den nächsten Freitagabend bangen musste.

Und so war sie nach London gekommen, bewaffnet mit einem anständigen Universitätsabschluss, einem klugen Kopf, viel Schulden und dem neu gefassten Entschluss, Karriere zu machen. Es fiel ihr ziemlich leicht, sich in der Schreibzentrale des großen Verlagshauses hervorzutun, umgeben von den stereotypen braven Mädchen mit Haarreifen aus Surrey, die dort ihre Zeit absaßen und auf Ehemänner warteten (die hübschen) oder auf lohnenswerte Buchprojekte (die weniger hübschen). Innerhalb von vier oder fünf Jahren war sie zur Marketingmitarbeiterin aufgestiegen und bekam ein Gehalt, von dem sie sich zusammen mit zwei Freundinnen eine hübsche Wohnung in Battersea leisten konnte, dazu Kostüme aus den besseren Boutiquen (sogar das eine oder andere Designerteil im Schlussverkauf) und ihre geliebte lavendelblaue Ente, zu der ihre Eltern etwas beigesteuert hatten. Sie war in ihrem Element. Die Arbeit setzte ganz andere Energien in ihr frei als das akademische Leben, und sie machte ihren Job ausgezeichnet. Gefördert von der Geschäftsleitung, die in ihr die besondere Mischung aus Befähigung, Ehrgeiz und Charme erkannte, welche die vielversprechende Nachwuchsmanagerin kennzeichnet, übernahm sie mit Begeisterung neue, verantwortungsvolle Aufgaben. Wenn sie sich frühmorgens in der verspiegelten Wandverkleidung neben der Rolltreppe der Northern Line erblickte, war sie sehr zufrieden mit der Frau, die sie da sah.

Und dann, eines Morgens, traf sie auf Gavin Thomas.

Trotz ihrer sechsundzwanzig Jahre hatte sie sich noch nie Hals über Kopf verliebt und war daher mehr als reif für das, was passierte. Gavin saß zwischen zwei Kollegen im Konferenzzimmer, das Nicole an diesem Mittwoch rückwärts und die Tür mit dem Hintern aufstoßend betrat, weil sie die Hände voller Unterlagen hatte. Er war bei einer großen Werbeagentur angestellt, die sich um die Kampagne für eine äußerst erfolgreiche, äußerst komplizierte, auf Sex und Shopping spezialisierte Autorin bewarb; ihr neuer Roman war die wichtigste Veröffentlichung für Nicole in diesem Jahr. Doch als sie Gavin erblickte, wurde es um ihn herum genauso leer wie in ihrem Kopf, und sie hatte nur noch Augen für ihn.

Sie hatte zweifellos schon ganz andere Beaus gehabt und trieb sich zu dieser Zeit gerade mit einem sonnengebräunten jungen Reiseschriftsteller herum, bei dessen Anblick ihre Mitbewohnerinnen beinahe in Ohnmacht gefallen wären. Aber es hat keinen Zweck zu analysieren, weshalb ein Mensch dem Zauber eines anderen verfällt. Sicher, Gavin sah gut aus, war schick angezogen, hatte große, gepflegte Hände und volles Haar, das sich auf aparte Weise in seine Stirn lockte. Vielleicht lag es am lüsternen Zwinkern in seinen Augen, wer weiß? Was es auch war, es wirkte bei ihr auf der Stelle und wie noch nie etwas zuvor.

Nicole konnte sich hinterher nicht mehr daran erinnern, was bei dem Meeting besprochen worden war, aber der Etat gehörte praktisch vom ersten Moment an Gavins Agentur, so viel stand fest. Sie wusste noch nicht einmal, wie sie später am Abend mit ihm auf einem der abgenutzten Samtsofas in der oberen Etage von »Darcy’s« gelandet war, wo sie immer betrunkener wurden von dem Rotwein in Gläsern so groß wie Goldfischkugeln und redeten, redeten, redeten, sich immer näher einander zubeugend. Irgendwann ging sie leicht schwankend auf die Toilette, und die Frau im Spiegel sah plötzlich ganz anders aus.

Sie erinnerte sich jedoch noch gut daran, wie sie ihn später mit zurück in ihr Büro nahm, wie sie beide verschwörerisch kicherten, als sie den Sicherheitscode in die Tür des Hintereingangs eintippte, und auf einmal ernst wurden, als er sie gegen die Wand drückte und auf die Nase küsste. Dann wurden die Rotationskartei und die Ablage für Eingänge auf ihrem Schreibtisch heruntergefegt (sie fühlte sich wie in 9 1/2 Wochen) und mit ihrer Strumpfhose gekämpft. Er in ihr. Später hatte er sie in ein Taxi gesetzt, dem Fahrer zehn Pfund gegeben und sie wieder auf die Nase geküsst, was sie unglaublich zärtlich und romantisch fand. Das Leben der Nicole Ellis hatte sich für immer verändert.

Oben in ihrem Schlafzimmer nahm Nicole ein elegantes, schlichtes Hemdkleid von der Schranktür, wo es über Nacht zum Auslüften gehangen hatte, und tat es wieder in die Kleiderhülle zurück. Diese hängte sie in den Schrank neben die anderen, die ihre repräsentativen Ehegattinnenkleider enthielten. Die Kostüme von Kaufhausmarken waren längst Vergangenheit und Designerstücke das Alltägliche. Ihr Schrank enthielt die richtigen Namen, dazu perfekte Accessoires und traumhafte Schuhe. Alles vom Neuesten und Feinsten und in der Modelgröße 38 (die sie mit täglicher Disziplin erhielt). Alles sauber und gebügelt und leicht nach ihrem persönlichen Parfum duftend. Nicht zu vergessen ihr tadellos zurechtgemachtes Gesicht, die blonden Strähnen vom Starfrisör in Mayfair und die modische French Manicure, die sie mit Inbrunst pflegte. Der Traum einer jeden Frau. Sie dachte an einen alten Schwarzweißfilm, den sie mal gesehen hatte und in dem eine verzweifelte junge Frau vor ihrem Dienstmädchen weinte, während sie einen Pelzmantel nach dem anderen über ein seidenbezogenes Sofa warf. »Das ist alles, was mir bleibt, Mummy, das ist alles, was mir bleibt.«

Ein Telefonanruf rief sie in die Gegenwart zurück. Sie sah an der Digitalanzeige, dass es Harriet war, sonst hätte sie es klingeln lassen. Ihre beste Freundin war vermutlich der einzige Mensch auf der Welt, mit dem sie sprechen wollte, wenn sie in dieser Stimmung war.

»Hallo.«

»Hey, was hast du?« Harriet besaß feine Antennen. Ein einziges Wort oder vielmehr der Ton, in dem es gesprochen wurde, genügte ihr, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte. Vielleicht lag es auch daran, dachte Nicole niedergeschlagen, dass in letzter Zeit ständig etwas bei ihr nicht in Ordnung war.

»War es so schlimm in der Oper?«, scherzte Harriet. Gavin hatte vorgestern gegen Mittag angerufen, um sie daran »zu erinnern« – eigentlich, sie zum ersten Mal davon in Kenntnis zu setzen, dafür war er berüchtigt –, dass sie um 19.00 Uhr an diesem Abend charmant und strahlend in der Loge seiner Firma in Covent Garden zu erscheinen hatte, zur Aufführung von irgendeinem grässlichen Wagnerzeugs mit ein paar tödlich langweiligen Rechtsanwälten. Folglich hatte sie hektisch nach einem Babysitter – Harriet – herumtelefonieren und gegen den höllischen Berufsverkehr ankämpfen müssen, und nun würden sie beide so tun, als wäre es das, womit sie sich die »Verzeih mir«-Rosen verdient hatte. Nichts wünschte sie sich sehnlicher – wäre er doch ein hoffnungslos chaotischer Ehemann, der seine stets patente Frau für ihre Geduld belohnt. Aber natürlich wussten sie beide, dass die Entschuldigungsblumen für etwas ganz anderes gedacht waren.

»Die Oper war so grässlich, wie ich befürchtet hatte, sogar das Bühnenbild war ein Trauerspiel, alles grau und kreidebleich. Ich wollte mich hinten in der Loge zum Sterben hinlegen.« Sie lachten. Beide hatten sie ganz andere Vorstellungen von einem schönen Abend, und es gehörte zu ihren verbindenden Ritualen, sich gegenseitig wegen der beruflichen Pflichtveranstaltungen ihrer Ehemänner zu bedauern.

»Trotzdem, Nic, ich schätze, Wagner ist nicht der einzige Kerl, der dir den Abend verdorben hat. Wo drückt der Schuh? Hast du den falschen Nagellack aufgetragen?«

Niemand außer Harriet durfte sich solche Unverschämtheiten über Gavin herausnehmen. Sie waren erst ein knappes Jahr befreundet gewesen, als sie die rücksichtsvolle Höflichkeit über Bord warfen, und Harriet eines Abends, benommen von Schlaflosigkeit wegen des Babys und einiger Bacardi Breezer, damit herausrückte, dass sie Nicoles großen, gut aussehenden Ehemann nicht ausstehen konnte. Noch während sie tief durchatmete und ihre Freundin verblüfft ansah, fragte sich Nicole, warum sie nicht empört reagierte und wie üblich vollkommen dichtmachte. Aber so war Harriet nun mal, und es bedeutete eine große Befreiung, sie zu kennen. Inzwischen war sie zu der einen Adresse geworden, bei der Nicole ihr Elend abladen konnte.

»Ich habe ›die andere‹ gesehen. Die neueste andere.«

»In der Oper? Wer ist sie?«

»Charlotte Charles, eine von den im letzten Jahr neu eingestellten Uniabsolventen. Ich habe sie bei der Weihnachtsfeier kennen gelernt. Gavins übliches Beuteschema: groß, Beine bis zum Hals, lange Mähne, mit der sie dauernd um sich wirft, große Titten, große Zähne, großes Maul.«

Nicole war gerade noch pünktlich in der Loge eingetroffen, hatte an der Tür Atem geschöpft und ihr breites Gesellschaftslächeln aufgesetzt. Als sie hereinkam, stand er in einer Ecke, hatte seinen Arm über dem Kopf gegen die Wand gestützt und beugte sich über Charlotte Charles. Die ihn ihrerseits unverschämt anlächelte, mit kaum merklich wogendem Busen und leicht geöffneten, feuchten Lippen. Eine Pose, die den meisten wahrscheinlich sagte: kleiner harmloser Flirt unter Kollegen. Während Nicole unweigerlich schloss, dass es sich hier um Gavins neuesten Fick handelte. Sie waren sich alle ziemlich ähnlich. So frisch und aus jeder Pore nach Ehrgeiz, Erfolg und Grips riechend, eine Duftmischung, die ihn unweigerlich anzog. Genau wie bei ihr damals.

»Das Schwein. Bist du sicher?«

»Ja, keine Frage. Ist nicht schwer zu durchschauen, mein Angetrauter. Ich weiß es immer auf den ersten Blick, und dann denke ich an seine langen Abende im Büro, die durchgearbeiteten Nächte. Und falls es noch irgendeinen Zweifel gäbe, würde ihn das Meer von Rosen ausräumen, auf das ich gerade starre ...«

»Willst du ihn verlassen? Soll ich das Gästezimmer zurechtmachen?« Das war ein Standardwitz zwischen ihnen, den sie im Laufe der vergangenen zwei, drei Jahre schon oft gemacht hatten. Aber sie kannten beide die Antwort. Nicole wollte ihn nicht verlassen. Sie wollte, dass alles anders würde. Verflucht, sie liebte ihn immer noch wie am ersten Tag. Harriet hatte es mittlerweile aufgegeben zu predigen und sich damit abgefunden, zuzuhören, zu trösten und so viel herunterzuschlucken, wie sie konnte.

»Nein, aber eine Flasche Wein und ein Gespräch unter uns Mädels kämen mir gerade recht. Soll der Scheißkerl sich doch selbst sein Abendessen machen und die Kinder ins Bett bringen. Das ist für ihn schon Strafe genug.«

»Sehr gut! Kommst du so gegen acht? Ich schicke Tim in den Pub oder auf den Golfplatz oder so was.«

»Ja, vielen Dank.«

»Nic? Ich lieb dich.«

Schon kamen ihr die Tränen, wie immer, wenn jemand freundlich zu ihr war. Sie hatte versucht, zornig zu klingen, und strengte sich an, echte Wut zu empfinden, weil sie es selbst satt hatte, sich wie ein armseliger Fußabtreter anzuhören. Aber allein, in der Stille bevor das Aupairmädchen die Kinder nach Hause brachte, verspürte sie keine Wut.

Harriet

Harriet legte den Hörer auf. Sie stand in der Diele und betrachtete eine der Fotocollagen, die sie gerahmt entlang der Treppe aufgehängt hatte (So lässt es sich besser glückliche Familie spielen, nicht wahr, meine Liebe?). Eines der Fotos zeigte ihre und Nicoles Familie im gemeinsamen Sommerurlaub nach der Geburt der ersten Kinder. Josh und die Zwillinge William und George. Sie waren nach Cornwall gefahren, hatten ein großes, weiß gekalktes Cottage am Meer gemietet und unglaubliches Glück mit dem Wetter gehabt (es war ein schöner Sommer, perfekt für das Leben mit Neugeborenen, die man um sechs Uhr morgens bei offenem Fenster stillen und mit nackten Ärmchen und Beinchen in die Babywippe legen konnte). Sie sahen alle auf eine dumme, schläfrige Weise glücklich und stolz aus, umgeben von dem ausufernden Schnickschnack wohlhabender junger Eltern. Es war eine wunderbare Woche gewesen, mit viel Rotwein, gemeinsam gekochten Pastagerichten und nachmittäglichen Nickerchen. Wir haben geglaubt, uns so gut zu kennen, grübelte Harriet. Sie wusste noch, wie sie sich eines Abends im Kreis von Tim, Nicole und Gavin umgesehen und träumerisch gedacht hatte, dass sie das in den kommenden Jahren noch sehr oft machen würden, an anderen Orten und hoffentlich mit noch mehr Kindern, aber immer sie vier, als gute Freunde.