Die Farben der Schönheit – Sophias Hoffnung - Corina Bomann - E-Book
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Die Farben der Schönheit – Sophias Hoffnung E-Book

Corina Bomann

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Beschreibung

Ein unerwarteter Aufbruch Berlin, 1926. Aufgewühlt verlässt Sophia ihr Elternhaus. Ihr Vater will sie nie wiedersehen, ihre Mutter ist in Tränen aufgelöst. Erst als sie vor ihrem Geliebten steht, begreift Sophia, dass sie das gemeinsame Kind alleine aufziehen muss. Noch dazu als Unverheiratete. Verzweifelt reist sie zu einer Freundin nach Paris, wo sich ihr eine unerhörte Möglichkeit bietet. Die große Helena Rubinstein ist von Sophias Ausstrahlung und von einer ihrer selbstgemachten Cremes begeistert. Und sie bietet ihr an, in ihrem Schönheits-Imperium zu arbeiten. Sophia reist nach New York, voller Hoffnung auf ein neues Glück. "Super recherchiert, packend und sehr stimmungsvoll geschrieben - wie gut, dass noch zwei Bände folgen." Für Sie

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Die Farben der Schönheit – Sophias Hoffnung

CORINA BOMANN ist eine der erfolgreichsten deutschen Bestsellerautorinnen. Immer wieder begeistert sie ihre Leserinnen mit großen dramatischen Romanen und Heldinnen, die etwas Besonderes erreichen. Sie wohnt in einem gemütlichen Haus in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist der perfekte Ort zum Schreiben. Besuchen Sie die Autorin unter www.corina-bomann-buecher.de

Berlin, 1926. Aufgewühlt verlässt Sophia ihr Elternhaus. Ihr Vater will sie nie wiedersehen, ihre Mutter ist in Tränen aufgelöst. Erst als sie vor ihrem Geliebten steht, begreift Sophia, dass sie das gemeinsame Kind alleine aufziehen muss. Noch dazu als Unverheiratete. Verzweifelt reist sie zu einer Freundin nach Paris, wo sich ihr eine unerhörte Möglichkeit bietet. Die große Helena Rubinstein ist von Sophias Ausstrahlung und von einer ihrer selbstgemachten Cremes begeistert. Und sie bietet ihr an, in ihrem Schönheits-Imperium zu arbeiten. Sophia reist nach New York, voller Hoffnung auf ein neues Glück.

Corina Bomann

Die Farben der Schönheit – Sophias Hoffnung

Roman

Ullstein

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© 2020 Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Autorinnenfoto: © Nadja Klier Gestaltung: www.buerosued.de, München unter Verwendung eines Bildes von Maggie McCall / Trevillion Images Alle Rechte vorbehalten E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2235-3

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1. Kapitel

1. Kapitel

1926

Das Scheinwerferlicht vorbeifahrender Autos streifte mich, als ich das Haus verließ. Sofort drang die klamme Märzkühle unter meine Kleider. Schon den ganzen Tag über war die graue Wolkendecke nicht aufgebrochen. Nun begann es auch noch zu nieseln.

Obwohl es noch nicht mal fünf war, flackerten nach und nach die Straßenlampen auf. Geschäftsleute in Wollmänteln drängten an Frauen mit Regenpelerinen vorbei, Arbeiter mit Schiebermützen stapften mit hochgeschlagenen Jackenkragen nach Hause. Hin und wieder hockte eine Gestalt in abgerissenem Soldatenmantel an einer Hauswand und bettelte um Geld oder Arbeit.

Mit meinem blaugrünen Mantel und dem passenden Topfhut auf dem Kopf war ich nur eine Gestalt von vielen, die zur U‑Bahn-Station Kaiserplatz eilten.

Fröstelnd schob ich die Hände in die Manteltaschen. Mein Herz pochte laut, und trotz der Kälte klebte mir der Schweiß das Unterhemd an Rücken und Bauch. Noch immer meinte ich die fremden Hände an meinem Körper zu spüren. Niemand wusste, dass sich meine größte Befürchtung soeben bestätigt hatte.

Meine Gedanken wanderten zu Georg. Würde er kommen?

Es war riskant, außerhalb des Labors mit ihm in Kontakt zu treten. Da er mein Dozent an der Chemiefakultät war, mussten wir vorsichtig sein. Zu lange und zu häufige Konsultationen in der Universität konnten Argwohn erwecken. Unsere Korrespondenz beschränkte sich auf kleine Zettel, die von Hand zu Hand weitergereicht wurden oder über bestimmte Bücher in der Bibliothek, von denen er sicher war, dass sie niemand ausleihen würde.

Fast immer war er derjenige gewesen, der Kontakt zu mir aufnahm, wenn wir uns außerplanmäßig treffen wollten. Doch an diesem Morgen drückte ich ihm nach der Vorlesung einen Zettel in die Hand. Er blickte mich erschrocken an, aber ich musste ihn unbedingt sprechen.

Ich tauchte in das schummrige Halbdunkel der U‑Bahn-Station ein. Die Treppenstufen waren von Schmutz und Nässe glitschig. Der typische Geruch nach Öl und Zement strömte in meine Nase. Ich mochte es sehr, mit der U‑Bahn zu fahren, den morgendlichen Weg zur Friedrich-Wilhelms-Universität legte ich meist damit zurück.

Am Bahnsteig drängten sich die Leute, dazwischen pa­trouillierte ein Schaffner auf und ab. Ein lautes Rattern kündigte die Ankunft des Zuges an. Einige Passagiere machten einen Schritt nach hinten, während andere unbeirrt stehen blieben, die Hälse reckten oder sich eine Zigarette anzündeten.

Der Zug hielt, die Waggontüren wurden geöffnet, und Aussteigende mischten sich mit Hinzuströmenden. Ich suchte mir einen Platz neben der Tür, während andere den hinteren Sitzbänken zustrebten. Als die U‑Bahn anfuhr, versuchte ich, den Blicken der Mitreisenden auszuweichen, und starrte in die Schwärze vor den Fenstern.

Zwei Stationen weiter verließ ich den Zug wieder, erklomm die Treppe und folgte dem Gehsteig eine Weile, bis schließlich das Café Helene vor mir auftauchte. Nach dem Krieg hatte es die Frau eines Hauptmanns eröffnet, der von der Front nicht heimgekehrt war. Seine Pensionskasse zahlte gut, und sie schien nicht allzu traurig über dieses Schicksal zu sein. Wenn sie im Haus war, begrüßte sie fröhlich die Gäste.

Warme, nach Kaffee duftende Luft umfing mich. Augenblicklich beschlug meine Brille. Ich nahm sie ab und wischte den feinen Wasserfilm von den Gläsern. Als ich sie wieder aufsetzte, ließ ich meinen Blick über die Gäste schweifen. Die meisten Tische waren leer. Ein älteres Paar saß ganz hinten neben den Fenstern. Ein etwas derangiert aussehender junger Mann kramte mit nervösen Bewegungen in seiner Jackentasche. Erleichtert stellte ich fest, dass ich niemanden kannte.

Georg und ich würden ungestört reden können.

Ich wählte eine Sitzecke an der Wand. Hier wurde man nur gesehen, wenn man etwas tiefer in das Café hineinging. Ich zog mir den Hut vom Kopf, richtete nervös den Knoten in meinem Nacken und schälte mich aus dem Mantel. Dann blickte ich auf meine Armbanduhr. Vater hatte sie mir zu meinem zwanzigsten Geburtstag im vergangenen August geschenkt. Er war so unheimlich stolz auf mich, besonders jetzt, wo mein Chemiestudium so gut voranschritt. Er träumte davon, dass ich in naher Zukunft sein Drogeriegeschäft übernehmen würde. Ich hatte das Studium eher mit dem Gedanken begonnen, eines Tages selbst Kosmetik herzustellen.

Die Zeiger rückten auf fünf Uhr.

Für gewöhnlich war Georg sehr pünktlich, doch mir war klar, dass es viele Gründe gab, die ihn aufhalten konnten: eine Nachricht seiner Frau, von der er getrennt lebte, seit sie die Scheidung eingereicht hatte, eine Erkrankung seines Sohnes, ein unverhofftes Treffen mit Kollegen oder ein abendliches Gespräch mit dem Dekan.

»Na, was kann ich denn für Sie tun, Frollein?«, riss mich eine Frauenstimme aus meinen Gedanken.

Hilde, die Schwester der Inhaberin, betätigte sich heute als Kellnerin. Sie trug stets einen kleinen Notizblock und einen Bleistift bei sich, doch ich hatte noch nie erlebt, dass sie etwas aufgeschrieben hätte.

»Einen Kaffee bitte. Und ein Glas Wasser«, antwortete ich. Hunger hatte ich nicht, und eigentlich war ich so aufgeregt, dass ich auch keinen Kaffee nötig gehabt hätte. Doch ich wusste, dass Hilde es nicht gern sah, wenn man hier nur die Zeit vertrödelte.

»Keinen Streuselkuchen?«, hakte sie nach, aber allein der Gedanke an etwas Essbares schnürte mir die Kehle zu.

»Heute nicht, danke«, entgegnete ich.

Hilde musterte mich kurz, dann sagte sie: »Sie sind doch schon so ein dürres Ding, das könnten Sie sich doch leisten!«

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ein anderes Mal.«

Hilde nickte und wandte sich um.

Ich lehnte mich zurück und schloss kurz die Augen. Mir kam wieder in den Sinn, wie groß meine Angst war, als ich Vater von meinem Ansinnen, ein Studium zu beginnen, erzählen wollte. Er war gemeinhin sehr streng und pflichtbewusst, und ich befürchtete, dass er ablehnen würde. Doch wider Erwarten freute er sich.

»Eines Tages wirst du die Chefin des Krohn-Drogerie-Imperiums sein!«, rief er und zog mich, was nur sehr selten geschah, in seine Arme.

Vielleicht machte ich mich auch hierbei nur verrückt …

Die Türglocke des Cafés erklang. Ich zuckte zusammen und öffnete die Augen wieder. Mein Puls beschleunigte sich, als ein Mann in braunem Tweedmantel eintrat. Als er den Hut vom Kopf zog, erblickte ich jedoch das Gesicht eines Fremden. Er setzte sich an einen Tisch neben einem der Fenster. Ich atmete auf. Unser Gespräch war nicht zu vermeiden, aber ich war froh, noch ein paar Augenblicke für mich zu haben.

Zu Beginn des vergangenen Semesters hatte sich Dr. Georg Wallner uns in der Vorlesung vorgestellt, als Ersatz für einen alten Professor, der in den Ruhestand gegangen war. Er war für einen Dozenten noch recht jung, wenngleich er achtzehn Jahre älter war als ich. Er unterrichtete und arbeitete gleichzeitig an seiner Habilitation. Das hatte mich sehr beeindruckt.

Als wäre es gestern gewesen, erinnerte ich mich, dass sein Blick über die Bankreihen des Hörsaals gewandert war und bei mir einen Moment länger als bei den anderen verweilt hatte. In meinem Jahrgang hatten sich nur sehr wenige Mädchen eingeschrieben, obwohl die Zahl der Studentinnen an der Universität von Jahr zu Jahr zunahm. Der Grund dafür war, dass es hier so viele weibliche Lehrkräfte gab wie sonst nirgends.

Mein Anblick schien Georg Wallner zu überraschen. Ich wurde rot und senkte beschämt meinen Blick. Eine Erklärung dafür, warum mein Herz auf einmal wie wild pochte, hatte ich nicht.

Ich beeilte mich, mir Notizen zu machen, doch immer wieder wanderte mein Blick zu ihm. Er war ganz anders als die anderen Professoren, die meist alt genug waren, um meine Großväter zu sein. Gefühle übermannten mich, die ich bis dahin noch nicht gekannt hatte. Ich gehörte nicht zu den Mädchen, die von jungen Männern umschwärmt wurden. Meine Nickelbrille schien mich unsichtbar zu machen. Mein Vater behauptete immer, dass sie mich klug aussehen ließ, aber wer wollte schon eine kluge Frau, wenn er eine schöne haben konnte?

Über die Wochen trafen sich Georgs und meine Blicke immer wieder. Ich wagte kaum, mich zu Wort zu melden, denn ich fürchtete, dass alles, was ich sagte, in seinen Ohren dumm und einfältig klingen würde.

Dann kam der Tag, an dem er mich zu einer Konsultation bat. Es war kurz vor den Semesterprüfungen, und ich hatte im Seminar einen meiner männlichen Kommilitonen ausgestochen, indem ich die Versuchsreihe schneller beenden konnte.

»Sie haben ein sehr großes Talent für die Chemie«, sagte er, während er sich lässig an seinen Schreibtisch lehnte. »Haben Sie vor, nach Ihrem Studium wissenschaftlich zu arbeiten?«

»Nein«, platzte es aus mir heraus.

Dr. Wallner zog die Augenbrauen hoch. »So? Das ist erstaunlich, wo man hier doch den Eindruck gewinnt, dass jeder Studierende gern dem Lehrkörper beitreten würde.«

»Ich … ich möchte …« Meine Stimme hörte sich auf einmal ganz rau an, so als würde ich Halsschmerzen bekommen. »Ich möchte eher herstellen. Drogeriebedarf.« Es klang alles so ungelenk, doch er lächelte.

»Sie wollen in einer Chemiefabrik arbeiten? Glauben Sie wirklich, dass sich eine Frau wie Sie bei Hoechst und Konsorten betätigen sollte?«

»Kosmetik«, korrigierte ich ihn. »Ich würde gern Kosmetik herstellen. Mein Vater hat einen Drogerieladen. Wenn ich die Dinge dort kennen und herstellen möchte, muss ich doch wissen, wie sie beschaffen sind, nicht wahr?«

Das schien er nicht von mir zu erwarten.

»Nun, Sie denken praktisch. Das ist nicht unbedingt verkehrt. Aber Sie sollten eine Karriere an der Universität nicht von vornherein ausschließen.« Er machte eine kurze Pause und musterte mich auf eine Weise, die meinen ganzen Körper prickeln ließ. »Wie wäre es, wenn Sie mir assistierten? Sie wissen ja, ich arbeite gerade an meiner Habilitation, da könnte ich einen hellen Kopf an meiner Seite gebrauchen. Hätten Sie dazu nicht Lust?«

Ich zögerte, obwohl mein Verstand laut »Ja!« rief. Aber ich wusste auch, was mein Vater dazu sagen würde. Dass er mich warnen würde, mich nicht ausnutzen zu lassen. Heinrich Krohn sah in allem erst einmal eine Bedrohung.

Doch Dr. Wallner entfachte Gefühle in mir, die ich so noch nie gespürt hatte. Wenn ich nachts in meinem Bett lag, dachte ich an ihn. Manchmal fantasierte ich mir zufällige Treffen zusammen, heimliche Berührungen, und manchmal waren es auch Dinge, die mir die Schamröte ins Gesicht trieben. Meine Freundin Henny, die in einer Revue als Nackttänzerin arbeitete, würde darüber lachen.

Dann wiederum sagte ich mir, dass es verboten war. Es war allgemein bekannt, dass er eine Ehefrau hatte. Gewiss war sein Interesse lediglich beruflicher Natur. Meine Gefühle musste ich zurückhalten.

»Was müsste ich denn da tun?«, fragte ich schließlich. »Und wann?«

»Wir treffen uns einmal die Woche, sagen wir am Donnerstag, da ist mein Tag an der Universität kurz. Sie arbeiten mir zu, recherchieren für mich und unterstützen mich bei meinen Versuchsreihen. Natürlich nur, wenn es Sie nicht von Ihren eigenen Studien ablenkt.«

Mein Herz flatterte wie ein Schmetterling. Wie gern hätte ich ihm gesagt, dass er mich jederzeit ablenken dürfte. Aber diese Worte blieben in meinem Kopf und ließen meine Wangen glühen.

»Das kriege ich schon hin«, hörte ich mich sagen.

Ein Lächeln flammte auf Dr. Wallners Gesicht auf. »Also werden Sie meine Assistentin?«

»Ja … sehr gern.« Ich lächelte zurück und senkte dann verlegen den Blick.

Als ich zum ersten Mal sein Labor betrat, war ich fasziniert von der schlichten Einrichtung und der Ausrüstung, die wesentlich moderner war als das, was uns in der Universität zur Verfügung stand. Georg forschte auf dem Gebiet der Thermochemie und erzählte mir von den legendären Chemikern van ’t Hoff und Walther Nernst, außerdem war er befreundet mit Otto Hahn, der als zweiter Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Dahlem arbeitete.

Ich hatte das Gefühl, erst in seinem Labor richtig atmen zu können, und obwohl ich später etwas ganz anderes tun wollte, beflügelte mich die Arbeit mit ihm und für ihn.

Eines Tages, ich kann nicht mehr sagen, wann genau, änderte sich die Stimmung im Labor. Gingen wir zunächst sehr professionell miteinander um, wurden unsere Gespräche immer vertrauter.

So erzählte er mir von den Schwierigkeiten, die es mit seiner Ehefrau gab. Ich errötete angesichts dieser Offenbarung, denn mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass er unglücklich sein könnte. Als er eines Tages davon berichtete, dass seine Frau die Scheidung eingereicht habe, weinte ich mit ihm.

Kurz darauf begann er, mir Komplimente für den Karamellton meiner Haare zu machen, der mir bis dahin selbst noch nie aufgefallen war. Er lobte meine goldbraunen Augen, die ich von meiner Großmutter, die ich nie kennengelernt hatte, geerbt hatte. Er gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, obwohl ich mich selbst nicht als das sah.

Und es verwirrte mich, dass er meine Schwärmerei für ihn erkannte und darauf reagierte. Eines Abends, beim Abschied, zog er mich an sich und küsste mich. Ich wusste, dass ich hätte empört sein sollen, aber ich war es nicht. Wie von selbst schmiegte sich mein Körper an ihn.

Doch wir waren nicht unvernünftig. Die Zärtlichkeiten, die wir austauschten, waren harmlos. Es gefiel ihm, dass ich ihn tröstete, nachdem es wieder Ärger mit seiner Frau gegeben hatte.

Dann, als er wieder einmal traurig und mitgenommen im Labor erschienen war, fragte er: »Was denkst du? Könntest du dir vorstellen, meine Frau zu werden? Wenn das alles vorbei ist?«

Ich konnte, denn inzwischen brannte mein Herz vollkommen für ihn.

Nur wenige Minuten später fanden wir uns auf dem Sofa wieder, auf dem er manchmal schlief, wenn er im Labor übernachtete.

Er versprach, vorsichtig zu sein und nichts zu tun, was ich nicht wollte. Doch ich wollte ihn. Und wenn es nur das eine Mal war, ehe er die Scheidung hinter sich gebracht hatte und endlich zu mir stehen konnte.

Ich genoss seine Berührungen und Küsse, seine Worte, mit denen er mir erklärte, welche Leidenschaft er für mich empfand. Der Reiz des Verbotenen kitzelte mich, und so ließ ich zu, dass er mich aus meinen Kleidern schälte. Als er in mich eindrang, war ich trotz des kurzen Schmerzes im Himmel. Er liebte mich so rücksichtsvoll, dass ich es gar nicht abwarten konnte, mehr zu bekommen. Als ich nach Hause ging, peinlich darauf bedacht, dass er keine Spuren hinterließ, träumte ich zum ersten Mal in meinem Leben von Hochzeit.

Das war Mitte Dezember des vergangenen Jahres. Seitdem hatten wir nicht mehr miteinander geschlafen, denn es gab andere Wege, uns Befriedigung zu verschaffen. Er sprach immer seltener von seiner Frau, was ich als gutes Zeichen deutete, dass die Scheidung bald vollzogen sein würde. Doch dann wurde alles anders.

»Ihr Kaffee!« Hilda stellte das Gedeck und das Wasserglas vor mir ab. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie es sich mit dem Streuselkuchen überlegen. Der bleibt nicht immer frisch.«

Wahrscheinlich war er auch jetzt schon nicht mehr frisch, denn der Bäcker zog die Bleche bereits in aller Frühe aus dem Ofen. Mittlerweile war es Viertel nach fünf, der Kuchen hatte also bereits mehr als einen halben Tag hinter sich.

»Danke«, sagte ich nur und beobachtete, wie sie sich dem neuen Gast zuwandte, der die Nase sogleich in die Zeitung gesteckt hatte.

Die Türglocke ertönte erneut, und jemand trat sich geräuschvoll den Schmutz auf der Fußmatte ab. Dabei gab er ein leichtes Schnaufen von sich. Als ich den Kopf zur Seite wandte, erkannte ich Georg. Er trug einen beigefarbenen Trenchcoat, und ich fragte mich, wie ich ihn nur mit dem anderen Mann hatte verwechseln können. Georg besaß eine gewisse Aura, die sofort jeden Raum erfüllte, den er betrat. Ich spürte ihn schon, wenn er am Ende eines Ganges auftauchte, den ich gerade beschritten hatte. Mein Herz klopfte so laut, dass ich kaum noch etwas anderes hören konnte.

Nachdem er seinen Schirm ausgeschüttelt und in den dafür vorgesehenen Ständer gestellt hatte, blickte er sich suchend um. Meine Hand wollte schon hochzucken, um ihm zu winken, aber natürlich entdeckte er mich sofort und kam auf mich zu.

»Entschuldige, dass ich mich verspätet habe«, sagte er und umarmte mich kurz. Obwohl uns hier niemand kannte, hielt er unseren Kontakt in der Öffentlichkeit immer sehr unverbindlich. Die Leidenschaft hob er sich für später auf.

»Was ist mit dir?«, fragte er, denn er spürte, dass ich zitterte. »Du bist so blass, ist irgendwas passiert?«

Wie gern hätte ich ihm jetzt geantwortet, dass ich einfach nur Sehnsucht nach ihm hatte …

»Setz dich bitte«, sagte ich und legte meine Hände um die Kaffeetasse.

»Du klingst so ernst.« Zwischen seinen Augenbrauen erschien eine Sorgenfalte. »Ist deinen Eltern etwas zugestoßen?«

»Nein, es ist etwas anderes …« Ich hielt inne und sah ihm ins Gesicht, als wollte ich mir jede noch so vertraute Einzelheit erneut einprägen: seine dunkelblaue Augen, der immer etwas wirre dichte braune Haarschopf, die leicht gebogene Nase, der sinnliche Mund, den stets ein feiner Bartschatten umgab.

»Ich war bei Dr. Sahler.« Ich erkannte sofort, dass der Name ihm nichts sagte. Bevor ich ihre Nummer im Telefonbuch gefunden hatte, wäre es mir genauso ergangen.

»Und wer ist das? Ein Kollege?«, fragte er ein wenig begriffsstutzig.

Ich schüttelte den Kopf. »Eine Gynäkologin.« Obwohl sie mich sehr vorsichtig untersucht hatte, dachte ich mit Schaudern an ihre tastenden Finger.

Ich versuchte mich zu sammeln, blickte zu dem Fremden hinüber, der immer noch hinter seiner Zeitung steckte, und fragte mich, wie gut seine Ohren waren.

Dann beugte ich mich vor und flüsterte: »Ich bin schwanger.«

Georg starrte mich ungläubig an. »Das ist nicht möglich. Wir haben doch nur einmal …«

»Offenbar war dieses eine Mal ausreichend«, antwortete ich und senkte dann meine Stimme wieder. »Sie hat mich gründlich untersucht. Und meine … Periode … ist schon seit zwei Monaten überfällig …«

Georg hob die Hand und wischte sich übers Gesicht. »Und warum bist du nicht eher zu ihr gegangen?«

Ich blickte ihn verdutzt an. Was hätte das geändert? Außerdem bezweifelte ich, dass sie zu dem Zeitpunkt schon eine Schwangerschaft hätte feststellen können.

»Ich dachte … Wir waren doch vorsichtig. Und manchmal kommt es bei mir … unregelmäßig.«

Mein Gesicht glühte. Normalerweise redete ich über solche Dinge nicht, nicht einmal mit meiner Mutter. Aber Georg wusste mehr über meinen Körper als sie. Sie mochte mich geboren haben, doch er hatte mich die Leidenschaft gelehrt.

Ich versuchte erneut, seine Gedanken von seinem Gesicht abzulesen. Sein Blick war glasig, in sich gekehrt. Wahrscheinlich bemühte er sich, seine Optionen wissenschaftlich abzuwägen.

»Ich könnte dir die Adresse eines Arztes geben, der sich dieses … Problems annimmt«, sagte er.

Ich legte den Kopf schief, dann dämmerte mir, worauf er hinauswollte.

»Du willst, dass ich zu einem Engelmacher gehe?« Alarmiert blickte ich zur Seite. Der Fremde hatte die Zeitung heruntergenommen. Konnte er doch hören, worüber wir sprachen? »Aber du … ich meine, du lebst doch in Scheidung, wir könnten …«

Georg schnaufte. »Es ist kompliziert.«

»Wie bitte?« Ich konnte nicht glauben, was ich soeben gehört hatte.

»Brunhilde hat die Scheidung zurückgezogen. Sie hat Angst vor einem Skandal …« Er blickte mich an. »Deshalb habe ich danach nicht mehr mit dir …« Sein Kopf rötete sich. Ich versuchte zu begreifen, was er mir sagen wollte.

Eine ganze Weile war ich nicht imstande, etwas zu sagen. Ich fühlte mich, als würde ich auf einem Drahtseil stehen und jeden Augenblick fallen.

»Warst du denn mit ihrem Ansinnen, sich scheiden zu lassen, einverstanden?«, brachte ich schließlich hervor.

»Ja, ich … das heißt … ich hätte keine andere Wahl gehabt, nicht wahr? Wir haben uns auseinandergelebt, aber … ich habe einen Sohn. Ich muss an ihn denken. Und jetzt, wo die Dinge zwischen mir und Brunhilde wieder besser werden …«

Auf einmal wurde mir kalt. Mein Herz fühlte sich an, als würde es langsam von einer Eisschicht überzogen. Noch immer suchte mein Verstand nach einer Möglichkeit zu verstehen, was er da sagte. Nach einer Möglichkeit zu begreifen, was die jetzige Situation für mich bedeutete.

Er musste an seinen Sohn denken. »Und was ist mit meinem Kind?«, sprach ich den nächsten Gedanken laut aus. »Willst du daran nicht denken?«

Allmählich wurde mir klar, dass das Café der schlechteste Ort war, um mit ihm zu reden.

»Wenn du es deiner Frau sagen würdest … Sie würde auf der Scheidung beharren.«

»Und wie stünde ich dann da?«, gab er unwirsch zurück. »Wie ein Ehebrecher. Meine Karriere wäre vorbei. Ich wäre ruiniert!«

Und was war mit mir?

Ich blickte in seine Augen und erkannte ihn nicht wieder. Das konnte unmöglich der Mann sein, der mir vor Monaten noch sein Leid über seine lieblose Ehe geklagt hatte.

Die nächste Erkenntnis traf mich wie ein Schlag.

Wie hatte ich nur so dumm sein können? Warum hatte ich nicht darauf bestanden, meine Jungfräulichkeit erst an ihn zu verlieren, wenn der Ring an meinem Finger steckte? So wirkte es, als hätte ich mich in eine Ehe gedrängt. Eine Ehe, von der Georg behauptet hatte, sie wäre am Ende, obwohl das anscheinend nicht der Fall war. Er hatte mich benutzt. Er hatte mich ausgenutzt.

Zorn wallte in mir auf, aber er war nicht stark genug, um die anderen Empfindungen zu überdecken. Angst tobte in mir. Verzweiflung. Übelkeit. Was würden meine Eltern sagen?

Ich wurde im August einundzwanzig, aber bis dahin war es noch ein halbes Jahr. Ein halbes Jahr, in dem mein Vater das Sagen hatte.

Heinrich Krohn hatte viel für mich getan, doch es gab kaum etwas, das ich mehr fürchtete als seinen Zorn und seine Reaktion auf meine Schwangerschaft und die Tatsache, dass der Kindsvater mich nicht heiraten würde.

Georg fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar. »Es tut mir leid, aber ich denke, uns bleibt unter diesen Umständen nur eine Lösung …«

»Das Kind verschwinden zu lassen?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Tränen stiegen in meine Augen. Ich hatte gewusst, dass es schwierig werden würde, aber dieses Kind zu töten hatte ich noch nicht eine Sekunde lang in Betracht gezogen.

»Siehst du einen anderen Weg?«

Ich schüttelte den Kopf. »Mein Vater wird mich rauswerfen, wenn er es erfährt«, sagte ich leise. »Ich … ich brauche jemanden, der mich unterstützt, bis ich meine Geschäfte selbst regeln kann. Und …« Ich pausierte. Nie hatte ich etwas von ihm verlangt. Er war derjenige, der mir versprochen hatte, dass wir zusammenleben und -arbeiten könnten, wenn alles vorbei war. Doch mit dem Kind, das ich in mir trug, änderte sich alles. »Ich will weiterstudieren können.«

Ich wusste, dass es vermessen klang.

»Deine Lösung heißt also Geld? Als Lohn dafür, dass du mir keinen Skandal machst?«

»Habe ich dir etwa gedroht?«, fragte ich und schüttelte den Kopf. Nein, das war wirklich nicht mehr der Mann, dem ich mich hingegeben hatte. »Alles, worum ich dich bitte, ist Hilfe! Sonst werde ich auf der Straße sitzen!« Es fiel mir schwer, meine Stimme zu zügeln. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien. »Schlimmstenfalls sorgt mein Vater dafür, dass mir das Kind weggenommen wird!«

»Das wäre doch nicht das Schlechteste.« Sein Blick wurde kalt. Ich sah ihn wie versteinert an.

In dem Augenblick tauchte Hilde auf. »Was kann ich für den Herrn tun?«, fragte sie, Zettelblock und Bleistift in der Hand.

»Nichts, danke«, sagte Georg unwirsch. »Ich wollte ohnehin gleich wieder gehen.«

Hilde betrachtete ihn zweifelnd, und fast schon rechnete ich mit einer Bemerkung, doch dann drehte sie sich schnaufend um und zog von dannen.

Ich ließ die Arme sinken. Die Angst in meinem Magen hatte sich in einen dicken Klumpen verwandelt, der sich wie ein Stein anfühlte, der mich unter Wasser zog.

»Du wirst mir also nicht helfen?«, fragte ich verzweifelt. »Und das, obwohl du mich vor einigen Wochen noch gefragt hast, ob ich dich heiraten würde, wenn die Scheidung vorbei ist?«

Natürlich konnte ich ihn zwingen. Ich konnte die ganze Sache zu einem Skandal anwachsen lassen, doch was würde das Ergebnis sein? Ich würde mein Gesicht verlieren, und wahrscheinlich würde er leugnen, der Vater zu sein. Und meine Familie würde ebenfalls in Misskredit geraten. Möglicherweise brachte es meinen Vater an den Rand des Ruins.

Ich wusste, dass ich nicht die Kraft für so einen Kampf hatte.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Georg einsilbig und erhob sich dann. »Sag niemandem etwas davon. Und erwähne die Schwangerschaft auch vor deinen Eltern nicht. Verstehst du? Sonst kannst du alles vergessen. Ich melde mich.«

Damit erhob er sich und ging.

Mit leerem Blick starrte ich ihm hinterher. Der Klumpen in meiner Brust wurde größer, er schien sich vollzusaugen wie ein Schwamm. Was hatte ich nur getan? Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und mit »Nein« antworten auf Georgs Frage, ob ich ihm assistieren wollte. Doch die Chance hatte ich vertan. Ich hatte alles verspielt.

Während mir Tränen der Scham und der Reue in die Augen schossen, sprang ich auf, warf ein paar Münzen auf den Tisch und floh aus dem Café. Doch vor mir selbst konnte ich nicht weglaufen.

2. Kapitel

Das Wohnhaus, in dem meine Eltern die erste Etage gemietet hatten, war hell erleuchtet, als ich das Treppenhaus betrat. Ich blieb stehen und lauschte nach Schritten. Unsere Nachbarn waren nicht besonders neugierig, aber sie erwarteten, dass man sich mit ihnen unterhielt, wenn man ihnen begegnete.

Auf ein »Guten Abend, Herr Kommerzienrat, wie geht es Ihrer Frau?« hatte ich in diesem Augenblick keine Lust. Lieber würde ich mich in den Keller zurückziehen, als jemanden sehen zu lassen, dass meine Augen gerötet waren von den Tränen, die ich auf dem Weg hierher vergossen hatte.

Doch es blieb still. Wer auch immer vor mir nach oben gegangen war, hatte offenbar nur vergessen, das Licht auszuschalten.

Tief durchatmend zog ich die Tür hinter mir ins Schloss.

Meine Eltern waren es durch mein Studium gewohnt, dass ich manchmal erst abends nach Hause kam. An Donnerstagen, wenn ich mit Georg arbeitete, erschien ich noch später.

Nur in der ersten Zeit waren sie deswegen ein wenig argwöhnisch gewesen. Eigentlich schickte es sich nicht, dass eine junge Dame mit ihrem Dozenten allein war. Ich hatte weitere Assistenten hinzugedichtet, ein harmloses Umfeld voller Erlenmeyerkolben, Reagenzgläser und Bunsenbrenner auf langweiligen Labortischen kreiert. Anfänglich war es das auch gewesen.

Später, nachdem wir uns auf dem Sofa geliebt hatten, hatte ich penibel darauf geachtet, dass meine Kleidung und auch mein Haar genauso saßen wie am Morgen, als ich das Haus verlassen hatte.

Ich war sicher, dass meine Eltern nichts ahnten. Doch würde ich nach allem, was heute geschehen war, den Blicken meiner Mutter standhalten können? Ihre grauen Augen gaben mir oft das Gefühl, dass sie mitten in meine Seele schauen konnten.

Und dann war da noch Vater. Heinrich Krohn war durch und durch Preuße: Pflichterfüllung, Sitte und Anstand sowie Ordnung gingen ihm über alles. Schon als Kind hatte ich gelernt, dass er ein liebenswerter Mensch sein konnte – wenn man tat, was er verlangte. Wenn man abwich, reagierte er jedoch mit Furcht einflößender Härte.

Bisher war es mir leichtgefallen, seine Erwartungen zu erfüllen. Doch nun? Ich hatte gegen alles verstoßen, was ihm heilig war. War unmoralisch gewesen, leichtfertig. Seine Reaktion darauf war vorhersehbar. Mir das Kind wegzunehmen war eine Möglichkeit. Mich zu enterben eine andere.

Mit dem Gefühl, dass mein Körper heute mehr wog als sonst, schleppte ich mich die Treppe hinauf. Von der Etage über uns hörte ich Beethovens »Neunte«. Der Herr Kommerzienrat war zu Hause, und offenbar hatte ihn etwas aufgewühlt, denn Beethoven kam nur dann auf sein Grammophon, wenn sein Gemüt erhitzt war. Hatte er etwas Ungeheuerliches in der Zeitung gelesen? Sich mit seiner Frau gestritten? Ich hatte noch nie gehört, dass sie sich gegenseitig anschrien, aber Beethoven dröhnte des Öfteren durch den Flur.

Die dramatischen Klänge verstärkten meine Angst nur noch.

Ich schob den Schlüssel ins Schloss. Der Geruch von gebratenem Fleisch strömte mir in die Nase. Montags gab es immer die Reste vom Sonntagsbraten, aufgewärmt und mit Mostrich auf Brot serviert. Mein Vater liebte das.

Mir lief das Wasser im Mund zusammen – nicht vor Genuss, sondern vor Abscheu. Seit mich meine Blutung das erste Mal im Stich gelassen hatte, veränderte sich mein Geschmackssinn stetig. Mutters rote Grütze schmeckte mir plötzlich nach Chlor, der Sonntagsbraten bekam eine faulige Note, Brot, das vollkommen in Ordnung war, erregte mir Übelkeit durch seinen schimmligen Beigeschmack.

»Bin zurück!«, rief ich so fest und unbeteiligt wie immer, hängte den Mantel in die Garderobe und brachte meine Tasche in mein Zimmer. Dabei fiel mein Blick auf mein Spiegelbild.

Unter der weiten dunkelblauen Schluppenbluse und dem knielangen Tweedrock war noch nichts von meinem Zustand zu sehen, doch Dr. Sahler hatte mir gesagt, dass sich das bald ändern würde.

Mein Gesicht wirkte müde, aber das war nach einem langen Tag an der Universität nichts Besonderes. Dennoch waren die Ringe unter meinen Augen bedenklich.

Ich nahm meine Brille ab, und während die Welt verschwamm, rieb ich mir mit den eiskalten Händen übers Gesicht.

Wenn doch nur das Treffen mit Georg anders verlaufen wäre! Natürlich würde ich meinen Eltern nicht einfach so sagen können, was los war. Mutter würde in Ohnmacht fallen und Vater vor Zorn explodieren.

Aber zu wissen, dass ich Rückhalt bei Georg hatte, wäre jetzt hilfreich gewesen. Ich setzte meine Brille wieder auf, prüfte den Haarknoten in meinem Nacken und straffte mich. Bis zur Nacht waren es nur ein paar Stunden, und ich konnte mich nach dem Essen sicher unter dem Vorwand, lernen zu müssen, zurückziehen. Ich würde diesen Tag überstehen, und morgen würde ein neuer anbrechen. Vielleicht hatte Georg es sich dann überlegt und würde mir helfen. Und wenn er mir nur eine Unterkunft und etwas Geld anbot.

Ich verließ mein Zimmer und ging ins Wohnzimmer, wo Vater vor seinem Radio saß. Dieses hatten wir vor zwei Jahren angeschafft, und seitdem genoss er den Abend mit Zeitung und Musik.

»Guten Abend, Papa«, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Es war Pflicht, dass ich zuerst ihn begrüßte, wenn ich nach Hause kam. »Wie war dein Tag?«

»Nun, ganz gut«, sagte er und blickte mich über den Rand seiner Brille an. Die Kurzsichtigkeit hatte ich nicht, wie die Leute glaubten, vom langen Lesen in Büchern, sie war ein Erbteil von Papas Familie. »Wie läuft es bei dir an der Universität? Das Semester ist bald vorüber, müsst ihr Prüfungen ablegen?«

»Nein, aber Hausarbeiten in den Ferien schreiben.«

»Das schaffst du doch mit links! Immerhin bist du eine Krohn!« Er legte die Zeitung auf seinem Schoß ab und tippte mit der Hand auf einen der Artikel. »Hier, nimm zum Beispiel diesen Budnikowsky mit seinem Seifenhandel in Hamburg! Hat schon die zweite Filiale eröffnet! Wenn du erst mal von der Uni bist, werden wir uns daranmachen!«

»Sicher, Papa«, sagte ich und versuchte, das Unwohlsein zu verdrängen.

»Ah, da ist ja meine Kleine!«, flötete Mutter, als sie hereinkam. »Fühlst du dich auch nicht zu erschöpft, um mir in der Küche zu helfen?«

»Du solltest ein Mädchen anstellen, Lisbeth«, brummte Vater. »Und eine Köchin. Ich verstehe nicht, warum du noch alles selbst erledigst. Wir können es uns doch leisten!«

»Weil ich fürchte, dass dir sonst das Essen nicht schmeckt«, antwortete Mutter.

»Ich helfe dir gern«, unterbrach ich die Diskussion. »Ich bin nur gerade angekommen, und Papa hat mir von diesem Budnikowsky erzählt.«

»Budni… wer? Haben wir schon wieder neue Nachbarn?«

»Nein, das ist ein Seifenhändler in Hamburg. Was der kann, können wir auch. Passt auf, innerhalb von zwei Jahren eröffnen wir eine Filiale in Potsdam!«

»Nicht lieber in einem anderen Stadtteil von Berlin?«, fragte ich. »In Friedrichshain zum Beispiel.«

»Ach was, das ist Kleinkram. Wir brauchen eine andere Stadt! Der Name Krohn muss in aller Munde sein! Und wo gerade in Babelsberg diese ganzen Filmdiven unterwegs sind und ständig irgendwelche Duftwässerchen und Schminke benötigen …«

»Das können wir nachher bereden«, sagte Mutter und legte die Hand auf meinen Arm. »Erst mal brauche ich unsere Tochter in der Küche.«

Sie zog mich mit sich in das Zentrum der Wohnung.

Als Kind hatte ich stundenlang in der Küche gesessen. Damals, als Vater mit seinem ersten Laden angefangen hatte, hatten wir noch in einer weniger noblen Wohnung im dritten Stock gewohnt. Vom Küchenfenster aus hatte ich einen guten Überblick über den gesamten Hinterhof. Ich sah, wann die anderen Kinder draußen waren, besonders Henny, die ich schon von Kindesbeinen an kannte. Im Winter war es am Herd am wärmsten. Von den Gerüchen, die hier herumschwirrten, hatte ich nicht genug kriegen können.

Das hatte sich durch meine Schwangerschaft drastisch geändert.

»Hier, schneide das Fleisch in Scheiben«, sagte Mutter und reichte mir das Messer. »Du hast immer so ein gutes Augenmaß.«

Wieder sammelte sich Speichel in meinem Mund. Ein Kommilitone aus meinem Jahrgang, der Vegetarier war und dafür meist von den anderen ausgelacht wurde, behauptete, dass es sich bei geschlachteten Tieren um Leichen handelte, die man verspeiste. Genauso gut könnte man auch einen Menschen essen. Außerdem wären in den Schlachthöfen Menschen angestellt, die Maden aus dem Fleisch pulten, damit es noch verkauft werden konnte.

Warum kam mir dieses Gerede gerade jetzt in den Sinn? Mir wurde nicht nur schlecht, sondern auch schwindelig. All meine Willensstärke nützte nichts. Mutters Worte verschwammen in dem Rauschen. Die Welt begann vor meinen Augen zu schwanken wie ein Ausflugsdampfer, der in einen Sturm geriet. Ich versuchte, mich an der Tischkante festzuhalten, dann wurde ich zur Seite gerissen, und die Welt verdunkelte sich.

Als ich die Augen aufschlug, glaubte ich, dass es Morgen war und ich noch im Bett lag. Ich musste verschlafen haben, denn über mir erkannte ich das verschwommene Gesicht meines Vaters. Wenig später fühlte ich etwas an meiner Wange. Versuchte er, mich wach zu rütteln?

Da spürte ich, dass es kein Rütteln war, sondern leichte Schläge.

»Lisbeth, sie ist wieder wach!«, hörte ich Vater sagen. »Hast du Dr. Meyerhoff erreicht?«

»Ja, er müsste gleich da sein!«, rief meine Mutter aus dem Hintergrund.

Dr. Meyerhoff? Was wollte er hier?

Seltsamerweise kam mir als Nächstes das Telefon in den Sinn, das wir vor einem Jahr angeschafft hatten. Mutter hatte Dr. Meyerhoff anscheinend angerufen.

Ich langte zur Seite, wollte nach meiner Brille greifen, doch sie lag nicht an ihrem Platz.

»Hier«, sagte mein Vater fürsorglich, holte die Brille aus seiner Westentasche und setzte sie mir wieder auf. »Zum Glück ist sie nicht kaputtgegangen.«

Meine Welt wurde nun wieder klar, und ich bemerkte, dass ich nicht im Bett lag, sondern auf dem Boden. Dem Küchenboden, dem Wachstuch auf dem Tisch neben mir nach zu urteilen.

»Was ist passiert?«, fragte ich. Meine Zunge bewegte sich träge in meinem Mund.

»Warte, ich bringe dich in dein Zimmer«, sagte Vater, ohne meine Frage zu beachten, und hob mich auf seine Arme, wie damals, als ich noch ein kleines Kind war. In meinem Zimmer legte er mich vorsichtig auf dem Bett ab. So kannte ich ihn nur dann, wenn ich krank war.

»Du arbeitest zu viel«, sagte er und strich mir übers Haar. »Achtest du wenigstens auf die Pausen zwischendurch?«

»Ja, Papa«, antwortete ich schwach. Gleichzeitig krampfte sich mein Magen zusammen, denn mir wurde klar, dass mein Zustand schuld daran war und keine Überarbeitung.

»Sie isst auch viel zu wenig«, tönte meine Mutter, die uns ins Zimmer gefolgt war. »Hast du gehört, Sophia, du musst mehr essen!«

»Am Essen liegt es nicht, Mama!« Das Blut pulsierte in meinen Schläfen. Ja, ich hatte in den vergangenen Tagen wenig gegessen, was meinem aus der Bahn geratenen Geschmackssinn geschuldet war.

Am liebsten hätte ich meinen Eltern gesagt, dass sie mich einfach nur ruhig liegen lassen sollten, aber das wäre vergebens gewesen. Bis zum Erscheinen von Dr. Meyerhoff blieb entweder der eine oder die andere bei mir, redete auf mich ein und streichelte mein Haar, als wäre ich noch ein kleines Mädchen. Mutter holte eine Decke, damit ich mich nicht verkühlte, obwohl es doch warm in meinem Zimmer war.

Als es an der Tür klingelte, ging mein Vater, um zu öffnen. Wenig später kehrte er mit dem Arzt in mein Zimmer zurück.

Dr. Meyerhoff kümmerte sich bereits seit vielen Jahren um unsere Familie. Er hatte mich schon als Kind untersucht, wenn ich wieder einmal Bauchschmerzen oder eine Mandelentzündung hatte. Der Mann mit dem buschigen schwarzen Bart flößte mir damals oft Angst ein.

Mittlerweile war er ergraut und erschien mir wie ein milder Großvater. »Guten Abend, Fräulein Sophia, was fehlt uns denn?«

Dass er »uns« sagte, erheiterte mich. Ihm fehlte sicher nichts und mir auch nicht.

»Sie ist plötzlich in der Küche umgefallen«, erklärte meine Mutter, während sich mein Vater diskret zurückzog, denn es stand zu erwarten, dass ich mich frei machen musste. »Sie sind gerade von der Universität gekommen, nicht wahr, Sophia?«

Ich nickte ergeben, obwohl die Aussage nur bedingt stimmte.

»Dann wollen wir doch mal schauen.«

Der Arzt öffnete seine Tasche, holte Stethoskop und Blutdruckmesser heraus. Er beugte sich über mich, leuchtete mir mit einem kleinen Lämpchen in die Augen, prüfte meinen Puls.

»Wenn Sie bitte hinausgehen würden, Frau Krohn?«, wandte er sich an meine Mutter. »Ihre Tochter ist kein kleines Kind mehr und könnte es als peinlich empfinden, sich in Ihrem Beisein zu entblößen.«

Mutter nickte und wandte sich um. Wenig später war ich mit dem Arzt allein.

»Sie ahnen schon, um was ich Sie jetzt bitten muss«, sagte er und wandte sich erneut seinem Koffer zu. »Unterhemd und Unterhose können Sie anbehalten.«

Ich erhob mich, schälte mich aus meiner Bluse und stieg aus meinem Rock. Vorsichtshalber stützte ich mich am Bettpfosten ab. Noch immer hatte ich ein wackliges Gefühl in den Knien.

Dr. Meyerhoff schob sich das Stethoskop in die Ohren und legte mir die Blutdruckmanschette an.

»Heben Sie das Hemd bitte hinten an«, verlangte er schließlich.

Ich beugte mich vornüber und zuckte zusammen, als das kalte Metall meine Haut berührte.

»Haben Sie sich in den letzten Tagen unwohl gefühlt oder irgendwelche Veränderungen verspürt?«, fragte er leise, während er meinen Rücken abhorchte.

Ich atmete zitternd durch. Sicher würde er herausfinden, was los war. Wenn er es nicht bereits vermutete …

»Legen Sie sich bitte auf den Rücken, ich möchte Ihren Bauch abhören.«

Ich tat, was er verlangte, und versuchte die Erinnerung zu verdrängen, wie Georg sich über mich gebeugt hatte.

»Ich habe meine Periode nicht bekommen«, platzte es aus mir heraus.

Dr. Meyerhoff hielt inne. »Sie …«

Ich richtete mich wieder auf. Mittlerweile war ich sicher, dass die Ohnmacht von meinem Zustand herrührte. Dr. Meyerhoff würde zu demselben Ergebnis kommen, wenn er seine Untersuchung fortsetzte.

»Ich bin schwanger«, sagte ich leise und senkte den Blick.

»Aber warum hat Ihre Mutter nicht …« Er stockte, schüttelte verständnislos den Kopf.

»Meine Eltern wissen noch nichts davon. Ich war heute Nachmittag bei Dr. Sahler, sie meinte, dass ich vielleicht schon im zweiten oder dritten Monat bin.«

Der Arzt starrte mich überrascht an. Hinter seiner Stirn ratterten die Gedanken. »Und der Vater?«, fragte er schließlich. »Wer ist er?«

»Das möchte ich für mich behalten«, gab ich zurück. »Aber er weiß es.«

»Hat denn Konsens zwischen Ihnen beiden bestanden?«

Als ob es meine Lage ändern würde, wenn es anders gewesen wäre!

»Ja, das hat es. Er hat mir keine Gewalt angetan. Es war … unglücklich …« War es das wirklich? Wir hatten einen wunderbaren Abend verbracht, von dem ich glaubte, dass er uns glücklich machen würde. Aber offenbar zahlte man für alles einen Preis.

Dr. Meyerhoff überlegte. »Wenn Sie wünschen, sage ich Ihren Eltern nichts«, erklärte er dann. »Sie sind zwar noch nicht volljährig, aber in diesem Fall würde ich eine Ausnahme machen. Allerdings wird Ihr Zustand nicht auf ewig zu verheimlichen sein.«

Ich war hin- und hergerissen. Wenn er es für sich behielt, würde ich wie lange sicher sein? Noch einen Monat? Zwei? Der Zorn meines Vaters würde über mich hereinbrechen, so oder so. Den Unterschied konnte allein Georg machen.

»Ich weiß«, sagte ich schließlich, dann sah ich ihn an. In seinen Augen lag Bedauern, so als hätte er eine schlimme Krankheit bei mir festgestellt. Und so fühlte ich mich auch. Mein Magen brannte, und mein Herz raste. Die Angst wuchs und wuchs. Würde ich sie noch einen weiteren Monat aushalten können? Konnte ich warten, bis Georg auf mich zukam? Würde er es tun? Ich konnte nicht beweisen, dass es sein Kind war. Wie leicht würde man mir unterstellen können, dass ich nur einen Vorteil herausschlagen wollte …

Ich blickte auf meine Hände, die ich so fest zu Fäusten geballt hatte, dass die Knöchel schneeweiß hervortraten. »Sagen Sie es ihnen.«

»Sind Sie sicher?«

»Es wird nicht besser, wenn ich warte«, gab ich mit grimmiger Entschlossenheit zurück.

Der Arzt legte die Hand mitfühlend auf meinen Arm und nickte. »Sie müssen ab sofort gut auf sich achtgeben und genügend essen«, sagte er sanft. »Haben Sie sehr unter Übelkeit zu leiden?«

»Mein Geschmackssinn ist nicht mehr derselbe, und meine Nase ist viel zu empfindlich. Aber die Übelkeit ist noch erträglich.«

Damit schien Dr. Meyerhoff alles zu wissen, was er wissen wollte. Er packte sein Stethoskop in die Tasche zurück. »Gut. Ich verschreibe Ihnen etwas für den Fall, dass es schlimmer wird.«

Ich nickte, griff nach meinem Rock, zog ihn an meinen Hüften hoch. Dann warf ich mir die Bluse über.

Dr. Meyerhoff verließ das Zimmer.

Ich schloss die Augen. Die Zeit schien stehen zu bleiben.

Erst Mutters kummervolles Aufheulen brachte mich in die Wirklichkeit zurück.

»Bitte beruhigen Sie sich!«, redete Dr. Meyerhoff beschwichtigend auf sie ein. »Das ist nicht das Ende der Welt. Eigentlich ist es ein freudiger Anlass.«

»Freudig?«, peitschte die Stimme meines Vaters.

Im nächsten Augenblick stürzte er zur Tür herein. Dieselben Hände, die mich aus der Küche getragen und vorsichtig auf mein Bett gelegt hatten, packten nun grob meine Schultern und schüttelten mich.

»Was hast du dir dabei gedacht!«, schrie er mich an. »Was hast du dir gedacht? Wer ist dieser Kerl? Sag es mir!«

»Herr Krohn, bitte!«, kam mir der Arzt zu Hilfe und fasste Vater bei den Armen. »Sie dürfen Ihre Tochter nicht so anpacken.«

Er ließ mich los und trat einen Schritt zurück. Ich wich in Richtung Fenster aus. Die Abdrücke seiner Finger pochten schmerzvoll.

»Wer hat dich geschwängert?«, fuhr Vater mich an. »Ich bringe den Kerl um! War es einer aus deinem Jahrgang? Nenn mir den Namen des Hallodris!«

Vaters Augen waren dunkel wie Kohlen und schienen gleichzeitig zu brennen. Im Hintergrund hörte ich Mutter noch immer weinen.

Ich brachte keinen Ton hervor.

»Herr Krohn«, meldete sich Dr. Meyerhoff zu Wort. »Bitte versuchen Sie, die Sache rational zu betrachten. Es sind natürliche Vorgänge.«

»Natürliche Vorgänge?«, echote mein Vater wütend und wirbelte herum. »Sie gehen jetzt besser! Das ist eine Sache zwischen mir und meiner Tochter!«

Dr. Meyerhoff rang mit sich, nickte aber schließlich.

»Ich lasse Ihnen wie besprochen ein Medikament gegen die Übelkeit schicken«, sagte er an mich gewandt. Dann verließ er die Wohnung.

Vater blieb wutschnaubend vor meiner Zimmertür stehen, wie ein Wächter, der sicherstellen wollte, dass ich nicht entwich. Eine ganze Weile schwiegen wir uns an.

»Wer ist der Kerl?«, fragte er noch einmal drohend. »Du wirst ihn heiraten müssen, damit die ganze Schande nicht öffentlich wird.«

»Ich … ich kann …« Meine Stimme versagte.

»Was kannst du?« Vater trat wieder einige Schritte auf mich zu. Mutter hatte inzwischen mit dem Weinen aufgehört. Ich wünschte mir, dass sie kommen und mich in Schutz nehmen würde. Dass sie sagen würde, dass wir eine Lösung finden konnten. Aber sie blieb meinem Zimmer fern.

»Ich … ich kann ihn nicht heiraten!«, sagte ich schnell, als Vater dicht vor mir stand. Ich hätte mich schon aus dem Fenster werfen müssen, um ihm zu entgehen. Doch er rührte mich nicht noch einmal an.

»Warum nicht? Mit was für einem Taugenichts hast du dich eingelassen?«

»Er … er ist … verheiratet«, stammelte ich und erwartete jeden Augenblick eine Ohrfeige als Strafe. Mein Vater hob zwar die Hand, aber er hielt in der Bewegung inne. In seinen Augen sah ich, dass ihm dämmerte, wer der Schuldige sein könnte.

»Ist es dieser Dozent, bei dem du arbeitest? Hat er dich verführt?«

Ich presste ertappt die Lippen zusammen. Ich hätte mich verteidigen und behaupten können, dass er damals in Scheidung gelebt hatte. Dass ich mir Hoffnungen auf ihn gemacht hatte. Doch das würde genau diese Art Kampf verursachen, vor dem ich mich fürchtete und für den ich zu schwach war.

»Ich wusste es … Dieser Mistkerl!«, raunte er und richtete seinen Blick auf den Teppich. Was würde jetzt geschehen?

Der Blick meines Vaters wurde hart.

»Du verlässt meine Wohnung. Sofort!«, peitschte mir seine Stimme entgegen, und sein Finger deutete auf die Tür. »Ich will nicht mit einer gedankenlosen Hure unter einem Dach wohnen! Sieh zu, wie du aus diesem Schlamassel herauskommst! Allein!«

Ich spürte, wie in meinem Innern etwas zerbrach, wie eine Scheibe, die zuvor schon einen Riss gehabt hatte und nun dem äußeren Druck nicht mehr standhalten konnte.

Vater verließ mein Zimmer, doch seine Worte hallten weiterhin im Raum nach. Eine gedankenlose Hure. Ja, das war ich. Aber auch immer noch seine Tochter.

Das Schlimmste daran war jedoch, dass ich genau diese Reaktion vorhergesehen hatte.

Plötzlich fühlte ich mich wie im freien Fall. Ein Topf mit Geranien, der vom Fensterbrett in die Tiefe stürzte. Doch ich zerschellte nicht beim Aufprall auf dem Boden. Ich blieb einfach stehen und begriff, dass dies meine letzten Augenblicke in diesem Zimmer sein würden.

Aus der Küche hörte ich meine Mutter. »Heinrich, das kannst du nicht tun! Sie ist deine Tochter!«

»Und ob ich das tun kann!«, brüllte er. »Sie hat eine Entscheidung getroffen, als sie zu diesem Kerl ins Bett gestiegen ist. Jetzt soll sie auch mit den Konsequenzen zurechtkommen!«

»Aber wo soll sie denn hingehen?«

»Das ist ihre Sorge! Soll sie zu diesem Kerl gehen! Ich will sie nicht mehr hier sehen!«

Jedes Wort war wie ein Dolchstich. Es erleichterte mich, dass meine Mutter noch ein wenig zu mir hielt, aber gleichzeitig war mir klar, dass sie zu schwach war, um sich gegen ihn durchzusetzen. Sie würde sich fügen müssen. Genauso wie ich.

Ich atmete tief durch. Mein Verstand suchte fieberhaft nach einer Lösung. Ich konnte zu Georgs Labor gehen. Er war nicht dort, aber ich besaß für alle Fälle einen Schlüssel. Allerdings sträubte sich etwas in mir vehement dagegen.

Nein, ich brauchte etwas anderes. Ich brauchte jemand anderen.

Während ich nachdachte, wetterte mein Vater weiter. Seine Worte jagten dahin wie Wolken bei einem Sturm.

»Sie ist deine Tochter!«, rief Mutter schließlich, und Vater entgegnete: »Ich habe keine Tochter mehr!«

Schritte donnerten durch den Flur, dann schlug eine Tür zu.

Ich zitterte am ganzen Leib. Aus Angst, aus Wut und Enttäuschung.

Ich hörte Mutter erneut weinen, doch sie erschien nicht in meinem Zimmer. Mama, dachte ich. Mama, warum kommst du nicht her? Warum kommst du nicht her und redest mit mir? Minutenlang wartete ich. Vergebens. Irgendwann verschwand sie im Schlafzimmer.

Tränen liefen über meine Wangen, aber ich war zu geschockt, um Schmerz zu fühlen. Ich hätte zu ihnen gehen, sie um Vergebung anflehen sollen. Doch ich wusste, dass es nichts bringen würde. Ich kannte meinen Vater zu gut. Wer ihn einmal verärgerte, dem verzieh er nicht.

Mechanisch wandte ich mich um und öffnete den Kleiderschrank. Meine Entscheidung war getroffen.

3. Kapitel

Ich lehnte den Kopf gegen die Scheibe der U‑Bahn. Meine Schläfen pochten. Die Gespräche ringsherum verschwammen. Das Ruckeln der Bahn schüttelte meinen Körper durch, der sich schlaff wie eine Flickenpuppe anfühlte. In Gedanken war ich weit weg bei dem Tag, an dem ich Henny kennengelernt hatte.

Es war Sommer gewesen, als die Wegsteins in dem Haus einzogen, das auch wir als eine von acht Parteien bewohnten. Der Vater war sehr still, die Mutter sehr lebhaft. Sie wirkten wie das Paar in einem Wetterhaus, wobei die Frau allerdings am meisten draußen war. Den Mann bekam man kaum zu Gesicht. Es hieß, dass er krank sei, allerdings nicht körperlich, sondern seelisch.

Henny war ein lebhaftes Mädchen mit blonden Zöpfen, das sogleich auf mich zukam, als es mich sah.

»Darf ich mitspielen?«, fragte sie. Wie so oft hockte ich still und allein in meiner Ecke des Hofes. Zu den anderen Kindern, die hier wohnten, hatte ich keinen Zugang gefunden, zu wunderlich musste ich auf sie gewirkt haben mit meinen Glasmurmeln, mit denen ich stundenlang spielen konnte, ohne dass es mir langweilig wurde.

Ich blickte sie an. Die Sonne stand über ihr und ließ die Haarsträhnen, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, erstrahlen. Sie war zwei Jahre älter als ich und entblößte mit ihrem Lächeln eine große Zahnlücke. Das war es, was mich für sie einnahm. Ebenso wie ich, die ich wegen meiner Brille nur »Brillenschlange« genannt wurde, war sie nicht perfekt. Ich nickte, sie hockte sich neben mich und ließ sich von mir die Bedeutung der einzelnen Murmeln erklären. Es störte sie nicht, dass ich eine Brille trug.

Unsere Freundschaft setzte sich über die Jahre fort, und das, obwohl Henny immer hübscher wurde, während die Brille weiterhin auf meiner Nase sitzen blieb.

Auch wenn wir in unterschiedliche Klassen der Volksschule gingen, waren wir unzertrennlich. Henny und ich waren in den Pausen immer zusammen. Bis mein Vater seinen Laden eröffnete und zu Geld kam. Ich wurde an die höhere Töchterschule gebracht, Henny blieb auf der Volksschule zurück.

Doch das machte uns nichts aus. Nicht einmal der Umzug unserer Familie in einen anderen Teil der Stadt schadete unserer Freundschaft. Auch wenn wir nun viele Straßen entfernt voneinander wohnten, besuchten wir uns, sooft wir konnten.

Meinem Vater war diese Freundschaft ein Dorn im Auge. Er hätte es lieber gesehen, wenn ich mich mit den besser situierten Mädchen angefreundet hätte. Doch diese schnitten mich wegen meiner unreinen Haut und der Brille. Henny jedoch mochte mich, wie ich war. Schließlich gab mein Vater nach, und ich durfte sie besuchen und sie mich.

Mindestens zweimal in der Woche sahen wir uns und teilten all unsere Geschichten und Geheimnisse. Sie tröstete mich, wenn ich wieder gehänselt worden war, und sie probierte zusammen mit mir meine erste selbst gemachte Creme aus. Als ich an der Universität angenommen wurde, feierten wir eine ganze Nacht. Inzwischen hatte sie die Putzmacherei aufgegeben und zu tanzen begonnen. Dass sie dabei nackt sein würde, schockierte mich zunächst, aber ich beneidete Henny auch um die Freiheit, die sie leben konnte. Ihre Eltern hielten sich aus ihrem Leben raus, seit sie einundzwanzig geworden war. Ihre Mutter hatte zu viel zu tun mit ihrem Ehemann, dessen Geist sich mehr und mehr verdunkelte, um sich um die Tochter zu kümmern. Nur hin und wieder lag sie ihr in den Ohren, dass sie heiraten sollte. Henny dachte nicht daran. Sie war frei wie ein Sturm, sie wollte sich an keinen Mann binden.

Meinen Eltern etwas von Henny zu erzählen war mit der Zeit immer schwieriger geworden. Mein Vater hätte Hennys Lebenswandel nie toleriert und auch nicht meinen Umgang mit ihr. Da ich auf seine Unterstützung angewiesen war und keinen Ärger wollte, verschwieg ich wohlweislich, was sie tat. Auch wenn Henny es nicht verstand, bat ich sie bei ihren Besuchen darum, nicht allzu freimütig gegenüber meinen Eltern zu sein. Nicht weil ich mich schämte, sondern weil ich fürchtete, dass sie nicht mehr willkommen sein würde.

Ich schreckte hoch, als wir in den Bahnhof Kurfürstenstraße einfuhren. Rasch ergriff ich mein Gepäck und eilte aus der Tür. Auf dem Bahnsteig fühlte ich mich so unendlich verloren. Der Mann, der mit dem Schild »Habe Hunger!« an einem der Pfosten saß und mich mit leicht wahnsinnigem Blick musterte, machte mir Angst, also erklomm ich rasch die Treppe.

Der Regen wurde schlimmer. Durchgeweicht und mit klappernden Zähnen erreichte ich das Haus, in dem Henny seit drei Jahren lebte. Es war ein etwas besser instand gehaltenes Arbeiterhaus an der Grenze zum Tiergarten, vier Stockwerke hoch und mit einem kleinen Hinterhof, der jedes noch so leise Wort verstärkte wie der Lautsprecher eines Grammophons.

Ich blickte an der verwinkelten Fassade hinauf. Hinter einem der Fenster ganz oben wohnte meine Freundin.

Noch immer sträubte ich mich innerlich dagegen, sie um Hilfe zu bitten. Aber wenn ich nicht unter einer Brücke oder in einer U‑Bahn-Station nächtigen wollte, hatte ich keine andere Wahl. Meine Großeltern mütterlicherseits hatte ich noch kennengelernt, doch sie waren vor drei Jahren verstorben. Vater hatte beide Eltern früh verloren und war bei einer inzwischen ebenfalls verstorbenen Tante aufgewachsen. Außer meinen ­Eltern hatte ich keine Verwandten. Und außer Henny keine Freundin.

Ich klingelte.

Im nächsten Moment fiel mir ein, dass Henny vielleicht noch im Varieté war. Die Aussicht, bis zum Morgengrauen im Regen zu stehen, ließ meine Verzweiflung noch wachsen.

Da öffnete sich oben ein Fenster, und Hennys Stimme ertönte. »Wer ist da?«

»Ich bin’s, Sophia.« Ich wusste, dass ringsherum alle Nachbarn hellhörig wurden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Leute die Köpfe aus den Fenstern steckten.

»Sophielein!«, rief sie ungläubig aus. »Warte, ich komme runter.«

Kurz darauf flammte Licht im Flurfenster auf. Ein Schatten erschien, und wenig später öffnete sich die Tür.

Henny hatte ihr blondes Haar mit einem Tuch zusammengebunden, ihr Körper steckte in einem Morgenmantel. Auf ihrem Gesicht trug sie eine dicke Schicht Fettcreme, obwohl sie es überhaupt nicht nötig hatte. Ihre Haut war schon immer zart und rosig wie ein Pfirsich gewesen.

»Du lieber Himmel!«, rief sie. »Was ist passiert?«

Ich wusste, dass die Wände hier Ohren hatten, also antwortete ich: »Darf ich eine Weile bei dir bleiben? Bitte! Ich erkläre dir alles oben.«

Sie blickte mich verwundert an, fasste mich dann beim Arm und zog mich mit sich.

Ein durchdringender Geruch nach Zigarren, feuchten Mauern und Katzenpisse schlug mir entgegen. Übelkeit schnürte mir die Kehle zu. Die Tapeten an den Wänden starrten vor Wasserflecken und blätterten an einigen Stellen ab. Das Muster darauf war kaum noch wahrzunehmen. Schlammige Fußabdrücke verunzierten die abgelaufenen Treppenmatten.

Auf einmal kam mir mein Körper schwer wie Blei vor. So viele Treppen lagen vor mir. Wie sollte ich das schaffen? Aber dann bewegten sich meine Beine wie von selbst, auch wenn sie schmerzten. Dumpf hallten meine Schritte über die verdreckten Binsenmatten.

Hennys Wohnung lag ganz oben im vierten Stock und war nicht viel mehr als ein großes Zimmer mit einem Fenster. Kaum war ich über die Türschwelle getreten, verließ mich die Kraft, und ich sank auf die Knie. Das Schluchzen, das sich die ganze Zeit über angestaut hatte, brach nun aus mir hervor. Ich krümmte mich zusammen und überließ mich dem Schmerz, der durch meinen Leib raste.

Durch das Donnern meines Pulses hörte ich, dass Henny die Tür hinter mir schloss. Wenig später spürte ich ihre Hände auf meinem Rücken. Sanft strich sie über meine Wirbelsäule.

»Was ist denn passiert, Liebes?«

Abgehackte Klagelaute brachen aus mir heraus. Hennys Hand blieb weiterhin auf mir, bis ich imstande war, mich ein wenig aufzurichten. Da zog sie mich in ihre Arme und wiegte mich sanft. »Alles wird gut«, flüsterte sie in mein Haar. »Hier kann dir niemand etwas tun.«

Ich gab mich noch eine Weile meiner Verzweiflung hin, dann beruhigte ich mich wieder.

»Was meinst du, kannst du aufstehen?«, fragte Henny schließlich, als meine Tränen versiegt waren.

Ich blickte sie aus verquollenen Augen an und nickte. Sie half mir auf die Füße und brachte mich zu dem Metallbett, das den Großteil des Raumes einnahm. Die Federn quietschten leise, als ich mich darauf niederließ.

»Soll ich dir einen Tee machen?«, fragte sie. »Ich habe zwar nur Kamille, aber meine Mutter schwört darauf, dass sie gegen alles hilft.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht nötig«, näselte ich. »Ich …«

»Dann vielleicht etwas Wasser? Oder etwas anderes? Ich hab auch Muckefuck.«

»Ich brauche deine Hilfe«, sagte ich und senkte den Kopf. Plötzlich spürte ich die ganze Last meiner Tat auf meinen Schultern. »Meine Eltern haben mich rausgeworfen.«

»Rausgeworfen?«, echote sie fassungslos. »Warum? Was hast du angestellt?«

Ich hob den Kopf. Ich hatte es meinen Eltern nicht sagen können, doch Henny gegenüber verspürte ich nicht die geringste Scheu. »Ich bin schwanger.«

»Du lieber Himmel!« Henny schlug die Hand vors Gesicht. »Von diesem Dozenten?«

»Ja.«

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Dieser Mistkerl. Nicht, dass ich dich nicht vor ihm gewarnt hätte, aber …«

Das hatte sie tatsächlich. Doch in dem Rausch, den ich verspürte, wenn ich mit ihm zusammen war, hatte ich nicht daran gedacht, was das alles bedeuten konnte. Was es nach sich ziehen konnte.

»Tut mir leid«, sagte Henny und setzte sich neben mich auf das Bett. »Ich wollte nicht so harsch zu dir sein.«

»Du hattest recht!«, schluchzte ich. »Aber … aber ich … ich dachte wirklich, er würde sich scheiden lassen! Doch jetzt …«

»Und das tut er jetzt nicht?«

»Nein. Seine Frau hat die Scheidung zurückgezogen, und er fürchtet den Skandal.«

»Den fürchtet er zu Recht!«

»Aber ich fürchte ihn auch!« Wieder begann ich zu schluchzen.

Henny lehnte ihren Kopf an meinen, während sie meine Schultern umfasste. »Liebst du ihn?«, fragte sie in mein Haar.

»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Es … es hat mir gefallen, begehrt zu werden. Und ein wenig habe ich auch gedacht … Wäre es nicht schön, wenn du einen Mann hättest, der versteht, was du möchtest? Du weißt, dass ich vorher nie etwas mit Männern zu tun hatte …«

Henny seufzte. »Die Anständigen fängt der Teufel am schnellsten«, murmelte sie und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Ich hole dir ein Glas Wasser.«

Während sie hinter dem Vorhang verschwand, der ihr »Badezimmer« vom Rest des Raumes trennte, starrte ich auf meine Schuhe. Sie hatten eine kleine Pfütze auf den Dielen hinterlassen. Mein Mantelsaum war mit Dreckspritzern übersät, denn unterwegs waren einige Autofahrer ohne Rücksicht in jede Wasserlache gefahren, die ihnen unter die Räder kam.

»Du kannst hier ruhig für eine Weile bleiben«, sagte Henny, als sie mir einen Emaillebecher in die Hand drückte.

»Danke«, sagte ich. »Ich verspreche dir, sobald ich eine andere Lösung gefunden habe, lasse ich dich wieder in Ruhe.«

Henny nickte, doch ihr Blick machte mir klar, dass ich so schnell keinen Ausweg finden würde, wenn meine Eltern sich nicht wieder besannen.

4. Kapitel