Die Frau in den Dünen - Kobo Abe - E-Book

Die Frau in den Dünen E-Book

Kobo Abe

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Beschreibung

In den Sanddünen vor einem abgelegenen Dorf frönt Niki Jumpei seiner einzigen Leidenschaft: der Suche nach unentdeckten Insektenarten. Als die Nacht hereinbricht, bieten ihm die Dorfbewohner ein Nachtquartier an – sie seilen ihn in die Tiefen eines Sandlochs hinab, zu einer einzelnen Hütte. Dort empfängt ihn eine junge Frau in geheimnisvoller Erwartung. Die ganze Nacht über bleibt sie auf und schaufelt das Haus frei. Als der Mann am nächsten Tag aufbrechen will, ist die Strickleiter verschwunden. Und durch alle Ritzen der Hütte dringt unablässig der Sand. Dieser Roman begründete Kobo Abes Ruhm und wurde in über zwanzig Sprachen übersetzt.

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Über dieses Buch

Als sich Niki Jumpei in den Dünen verliert, bieten ihm die Bewohner eines einsamen Dorfes ein Nachtquartier an – eine Hütte in einem Sandloch. Dort empfängt ihn eine junge Frau in geheimnisvoller Erwartung. Als er am nächsten Tag aufbrechen will, ist die Strickleiter verschwunden. Und durch alle Ritzen der Hütte dringt unablässig der Sand.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Kobo Abe (1924-1993) war ein japanischer Schriftsteller und Drehbuchautor. Er wurde u. a. mit dem Akutagawa-Preis, dem bedeutendsten japanischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Sein Roman Die Frau in den Dünen wurde verfilmt und verhalf ihm zum internationalen Durchbruch.

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Irmela Hijiya-Kirschnereit ist Professorin für Japanologie an der Freien Universität Berlin und Herausgeberin, u. a. der Japanischen Bibliothek im Insel Verlag. Sie war u. a. als Direktorin des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio tätig und wurde mit dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet.

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Oscar Benl (1914–1986) war ein deutscher Japanologe. Er studierte Sinologie und klassische japanische Literatur. Bis zu seiner Emeritierung 1983 lehrte er an der Universität Hamburg. Oscar Benl übersetzte zahlreiche Werke der traditionellen und modernen japanischen Literatur ins Deutsche.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Kobo Abe

Die Frau in den Dünen

Mit einem Nachwort von Irmela Hijiya-Kirschnereit

Aus dem Japanischen von Oscar Benl und Mieko Osaki

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Originalausgabe erschien 1962 im Verlag Shinchōsha, Tokio.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1967 im Rowohlt Verlag, Reinbek.

Originaltitel: Suna no Onna

© by Kobo Abe 1962

Diese Ausgabe erscheint in Vereinbarung mit Neri Abe / Japan UNI Agency Inc., Tokio.

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Ysabelle Durant

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31007-0

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 08.01.2024, 08:49h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DIE FRAU IN DEN DÜNEN

Erster Teil1 – Eines Tages im August verschwand ein Mann …2 – An einem Nachmittag im August stand auf dem …3 – Mit gesenktem Kopf schritt er auf dem Grat …4 – Der Wind ließ ein wenig nach, und es …5 – He! Wir haben für den Neuen eine Schaufel …6 – Als er den zweiten Kanister vollgeschaufelt und wieder …7 – Ein Hahnenschrei weckte ihn auf, der wie das …8 – Er hatte seine Blase entleert, blieb aber …9 – Seinen Augen, die eben noch dem glühenden Sand …10 – Während sie schweigend Kartoffeln schälte, betrachtete er aus …Zweiter Teil11 – Jabu, jabu, jabu12 – Während die Frau den aufgespannten Schirm über ihn …13 – Sein Körper zerfloss vor Hitze wie Wachs …14 – Bevor er sich für eine neue Strategie entschied …15 – Trotz seiner wilden Entschlossenheit bewegte er sich zäh …16 – Hallo!«, schrie eine heisere Stimme17 – Am Fuß des Sandhanges war plötzlich ein Geräusch …18 – Es war hart zu warten. Die Zeit schien …19 – Natürlich kann man die Zeit nicht antreiben wie …20 – Sein Gesicht war starr; sein Atem glich einem …21 – Konvulsionen der Menschheit, die zu zahllosen Fossilienschichten geführt …22 – Er fühlte sich, als sei ihm Gips zwischen …23 – »Got a one-way-ticket24 – Es war geschafft! Ohne darauf zu achten …25 – Er musste durch das Dorf hindurch sein …26 – Er rannte27 – Man zog ihm das Seil unter den Achseln …Dritter Teil28 – Oktober29 – Als er hereintrat, blies die Frau eben die …30 – Eines Nachts, als er draußen urinierte und dabei …31 – Wieder waren gleichförmige Wochen in Sand und Nacht …NachwortJapanische Avantgarde und der westliche KanonHeimatlosigkeit und VerwandlungSand und Zeit – Die Frau in den DünenZur Vielfalt der DeutungsmöglichkeitenMaske, Spiegel und Abwandlungen des KriminalromansUrbane Albträume und GroteskenHumor als RettungAnmerkungen zum Nachwort

Anmerkungen

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Über Irmela Hijiya-Kirschnereit

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Wo keine Strafe droht,fehlt es auch an der Lust zu fliehen.

Erster Teil

1

Eines Tages im August verschwand ein Mann. Er war mit der Bahn zu einem Ausflug an die Küste aufgebrochen, kaum eine halbe Tagesreise entfernt, und seitdem fehlte jede Spur von ihm. Die Vermisstenanzeige bei der Polizei und die Berichte in den Zeitungen waren ohne Ergebnis geblieben.

Natürlich kommt es häufiger vor, dass ein Mensch plötzlich von der Bildfläche verschwindet. Nach Statistiken werden jährlich mehrere Hundert vermisst gemeldet, und der Prozentsatz der Wiederaufgefundenen ist unerwartet gering. Bei Mord oder Unfall gibt es meist klare Beweise, und bei einer Entführung sind oft wenigstens die Motive zu ermitteln. Doch in allen anderen Fällen ist es sehr schwierig, Anhaltspunkte zu entdecken. In den meisten Fällen, in denen jemand plötzlich verschwindet, handelt es sich um eine reine Flucht.

Der hier vorliegende Fall stellt keine Ausnahme dar, da keine Hinweise vorhanden waren, die zur Aufklärung führen konnten.

Man wusste zwar, wohin jener Mann gefahren war, aber an seinem Zielort wurde keine Leiche gefunden, die die seine hätte sein können, und aus seinen Lebensumständen war nicht zu entnehmen, ob sein Verschwinden mit einem Geheimnis, etwa einer Entführung, zusammenhing. Außerdem deutete nichts in seinem Verhalten darauf hin, dass er hatte fliehen wollen.

Selbstverständlich vermuteten zunächst alle, es stecke eine Liebesaffäre dahinter. Aber seine Frau oder besser: die Frau, mit der er zusammenlebte, gab an, Zweck seiner Reise sei es gewesen, Insekten zu sammeln. Sowohl seine Kollegen als auch der zuständige Polizeibeamte hatten das unbestimmte Gefühl, hinters Licht geführt worden zu sein. Hätte er mit einer Frau auf und davon gehen wollen, wäre es doch reichlich töricht gewesen, eine Flasche Zyankali und ein Netz zum Insektenfang mitzunehmen. Außerdem erinnerte sich ein Bahnbeamter in S., dass ein Mann in der Aufmachung eines Bergsteigers mit einer Holzschachtel über der Schulter, die wie ein Farbkasten aussah, und einer Feldflasche aus dem Zug gestiegen war. Dieser Mann war ohne Begleitung gewesen, und so erwies sich der Verdacht eines Liebesabenteuers als gegenstandslos.

Man vermutete schließlich, er habe aus Lebensüberdruss Selbstmord begangen. Dies äußerte einer seiner Kollegen, der sich intensiv mit Psychoanalyse beschäftigt hatte. Allein die Tatsache, dass ein erwachsener Mann sich leidenschaftlich einer so sinnlosen Tätigkeit wie dem Sammeln von Insekten verschrieben hatte, meinte der Kollege, beweise, dass ein seelischer Defekt vorliege. Selbst Kinder, die sich auffällig mit dem Sammeln von Insekten beschäftigten, seien häufig mit einem Ödipuskomplex behaftet: Um ein nicht erfülltes Triebverlangen zu kompensieren, spürten sie den Drang, tote Insektenkörper, die ja nun wirklich nicht mehr fliehen konnten, einige Male mit einer Nadel zu durchbohren. Und könne man sogar als Erwachsener nicht damit aufhören, so beweise dies, dass die Krankheit beängstigend schlimme Formen angenommen habe. So sei es keineswegs ein Zufall, dass Insektensammler oft von einem extremen Besitztrieb erfüllt seien, dass sie äußerst zurückgezogen lebten und häufig kleptomanisch oder homosexuell veranlagt seien. Und von hier bis zum Selbstmord aus Lebensüberdruss sei nur ein kleiner Schritt. Tatsächlich gebe es unter den leidenschaftlichen Sammlern sogar solche, die mehr vom Zyankali in der Insektenflasche als vom Sammeln selbst fasziniert seien und die, sosehr sie sich auch darum mühten, ihre Finger nicht mehr davon lassen konnten … War nicht gerade die Tatsache, dass er seine Liebhaberei den Kollegen gegenüber nicht ein einziges Mal erwähnt hatte, ein Beweis dafür, dass ihm die Perversion seines Charakters selbst bewusst war?

Aber auch diese scharfsinnige Folgerung führte zu nichts, weil die Leiche des Mannes eben nicht gefunden wurde.

Sieben Jahre vergingen, ohne dass jemand die Wahrheit erfuhr, und so wurde der Mann, gemäß Artikel 30 des Zivilgesetzbuches, für tot erklärt.

2

An einem Nachmittag im August stand auf dem Bahnsteig des Bahnhofs S. ein Mann. Er trug eine große Holzschachtel und eine Feldflasche über der Schulter; er sah wie ein Bergsteiger aus. Auf dem Kopf hatte er eine mausgraue Schirmmütze, und die Aufschläge der Hosenbeine waren in die Strümpfe gesteckt.

In dieser Gegend gab es aber gar keine Berge, die man hätte erklettern können, und der Beamte an der Sperre, der dem Mann die Fahrkarte abnahm, sah ihm mit misstrauischer Miene nach. Der Mann stieg, ohne zu zögern, in einen Bus, der vor dem Bahnhof stand, und setzte sich auf den hintersten Platz. Es war der Bus, der in die Ebene hinausfuhr.

Als der Mann an der Endstation ausstieg, stand er vor einem Gelände voller Hügel und Talsenken. Bald verwandelte sich die Landschaft, schmale Reis-Wasserfelder tauchten auf, dazwischen lagen, wie Inseln, die ein wenig höher aufragenden Felder mit Dattelpflaumenbäumen. Der Mann kam durch ein Dorf und wanderte dann auf dem nun helleren, trockenen Boden weiter zur Küste. Als die Häuser hinter ihm lagen, kam er in einen Kiefernwald, und unversehens wurde aus dem Erdboden zarter Sand, der sich dem Dahinschreitenden an die Sohlen heftete. Da und dort warfen dürre Grasbüschel ihre Schatten in die Sandmulden. Gelegentlich – es mutete fast an wie ein Irrtum der Natur – gab es hier ein kärgliches Auberginen-Feld, nicht größer als eine Tatami-Matte. Doch nirgendwo tauchte eine menschliche Gestalt auf. Und dem Manne wurde bewusst, dass er sich seinem Ziel, dem Meer, näherte.

Zum ersten Mal hielt er inne und blickte um sich. Er wischte sich mit dem Ärmel seines Rocks den Schweiß von der Stirn, öffnete dann bedächtig den Holzkasten und entnahm der Innenseite des Deckels ein paar Stöcke. Nachdem er diese zusammengefügt hatte, befestigte er ein Insektennetz daran. Dann wanderte er weiter, wobei er die Spitze des Steckens wie einen Spazierstock auf die Grasbüschel stieß. Über dem Sand lag der Geruch des Meeres.

Aber das Meer selbst war immer noch nicht zu sehen. Das lag vielleicht daran, dass ihm die Aussicht auf das Meer durch die Hügelkette versperrt wurde, die sich endlos fortzusetzen schien. Doch plötzlich weitete sich sein Blickfeld, und ein kleines Dorf tauchte vor ihm auf, ein ärmlicher, reizloser Flecken, in dessen Mitte ein hoher Wachturm aufragte; auf den eng aneinandergeschmiegten Dächern lagen Steine zum Beschweren. Einige Häuser waren mit schwarzem Schiefer gedeckt, andere hatten ein mit Eisenmennige bemaltes Blechdach. Das blechgedeckte Haus an der einzigen Wegkreuzung des Dorfes schien der Versammlungsraum der Fischereigenossenschaft zu sein. Nun würde er sicher bald zum Meer kommen und zu den Sanddünen, seinem eigentlichen Ziel.

Aber das Dorf dehnte sich unerwartet weit hin. Da und dort sah er ein Fleckchen fruchtbarer Erde mitten in dem weißen, trockenen Sandboden. Trotzdem hatte man überall Erdnuss- und Kartoffelfelder angelegt, und es roch auch nach Haustieren. Neben der Straße aus Sand und Lehm, die hart war wie Zement, lagen große weiße Haufen zerbrochener Muscheln. Als der Mann auf der Straße dahinging, hörten die Kinder auf dem Platz vor dem Fischereigenossenschaftshaus mit dem Spielen auf; auch ein alter Mann, der auf einer windschiefen Veranda hockte und ein Fischernetz flickte, und die Frauen, die vor dem einzigen Haushaltsgeschäft des Dorfes standen, hielten inne, verstummten und starrten ihm bewegungslos mit misstrauischen Blicken entgegen. Aber er kümmerte sich nicht darum. Ihn interessierten allein der Sand und die Insekten.

Er wunderte sich nicht nur über die Ausdehnung des Dorfes, sondern auch über den allmählich ansteigenden Weg. Damit hatte er nicht gerechnet. Müsste sich eine Straße, die auf das Meer zulief, nicht vielmehr senken? Hatte er sich auf der Landkarte verlesen? Er fragte ein Mädchen, das gerade vorüberkam. Sie sah verwirrt zur Seite und ging weiter, als habe sie nichts gehört. Er beschloss weiterzugehen, ohne sich Gedanken über den Vorfall zu machen. Die Färbung des Sandes, die Fischernetze und die Berge von Muschelschalen deuteten mit Sicherheit darauf hin, dass das Meer sehr nahe war. Nichts zeigte eine drohende Gefahr an.

Die Straße stieg immer steiler an und wurde immer sandiger.

Seltsamerweise aber stiegen die Häuser nicht mit an, nur die Straße, das Dorf selbst blieb in der Tiefe. Nein, nicht nur die Straße, auch der Boden zwischen den Häusern stieg mit der Straße an. Das ganze Dorf schien ein sich erhebender Hügel zu sein, in dem die Häuser versanken. Dieser Eindruck verstärkte sich, je weiter er ging; und schließlich sahen alle Häuser aus, als habe man sie in Löcher hineingebaut, die man in den Sand gegraben hatte. Die Sandfläche lag höher als die Dächer der Häuser. Und jedes der hintereinander gestaffelten Häuser war tiefer in sein Loch abgesunken als das vorhergehende.

Noch immer wurde der Hang steiler, und der Abstand zwischen der Straße und den Dachfirsten betrug schließlich mindestens zwanzig Meter. Als er am Rande der Straße entlangging und dabei neugierig in eines der tiefen Löcher hinunterstarrte, um zu sehen, wie man dort lebte, nahm ihm der heftige Wind fast den Atem. Er blickte auf und sah das Meer vor sich: Trübes Wasser leckte über den Strand zu seinen Füßen. Er stand hoch oben auf einer der Dünen, die sein Reiseziel waren.

Die Abhänge zum Meer, die den Monsunwinden ausgesetzt waren, fielen steil ab; nur an den flacheren Stellen wuchs kümmerliches Gras. Als er sich jetzt zu dem Dorf umwandte, sah er, dass die großen Löcher, die zum Kamm der Düne hin immer tiefer wurden, in verschiedenen Reihen angelegt waren. Das Ganze wirkte wie ein halb zerstörter Bienenkorb. Das Dorf befand sich auf der Sanddüne, oder genauer gesagt, die Düne befand sich auf dem Dorf. Es handelte sich auf jeden Fall um eine höchst beunruhigende Landschaft.

Aber der Mann war zufrieden, das Ziel seiner Reise, die Dünen, endlich erreicht zu haben. Er trank Wasser aus seiner Feldflasche und atmete tief die Luft ein – aber die Luft, die ihm so klar erschienen war, schmeckte sandig.

Der Mann hatte die Absicht, in den Dünen Insekten zu sammeln. Natürlich sind die im Sand lebenden Insekten klein und unscheinbar. Aber er war ein passionierter Sammler, und Schmetterlingen und Libellen vermochte er nichts abzugewinnen. Fanatiker wie er machen sich nichts aus prachtvoll ausgestatteten Kästen mit Insekten, noch interessieren sie sich sonderlich dafür, ein System aufzubauen oder Rohmaterial für chinesische Arzneien zu finden. Ihnen bringt das Insektensammeln eine schlichtere und unmittelbarere Freude: das Entdecken neuer Arten. Hat man dabei Erfolg, dann wird der Name des Sammlers in dem großen bebilderten entomologischen Lexikon an die lange lateinische Bezeichnung des Insekts angehängt und bleibt dort für eine halbe Ewigkeit stehen. Der der Nachwelt überlieferte Name, und sei es auch nur im Zusammenhang mit einem Insekt, ist Lohn für alle Mühe.

Die Chancen für eine Neuentdeckung sind größer bei den kleinen, unauffälligen Insekten, da von ihnen zahlreiche Unterarten existieren. Seit Langem hatte er seine Aufmerksamkeit den Zweiflüglern, insbesondere den von den Menschen so gehassten gewöhnlichen Stubenfliegen zugewandt. Natürlich gibt es unglaublich viele Arten von Fliegen; und da alle Entomologen in ähnlichen Bahnen zu denken scheinen, hatten sich auch andere Insektenliebhaber den Zweiflüglern zugewandt und waren nach eifrigem Forschen bis zu einer seltenen achten Mutante vorgestoßen, die man nur in Japan findet. Vielleicht gibt es bei Zweiflüglern deswegen so viele Mutanten, weil ihr Lebensbereich dem der Menschen so nahe ist.

Er hätte seine Aufmerksamkeit von Anfang an auf die Beobachtung der Lebensbedingungen der Insekten richten sollen. Sprachen die vielen Unterarten nicht dafür, dass Insekten eine außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit besitzen? Bei diesem Gedanken wallte heiße Freude in ihm auf. Eine solche Überlegung scheint gar nicht so unsinnig, dachte er; denn dass Fliegen sich so gut anpassen können, bedeutet ja wohl, dass sie selbst unter ungünstigen Umständen, unter Umständen, unter denen andere Insekten nicht mehr existieren können, zu leben vermögen – etwa in der Wüste, wo fast alle Lebewesen zugrunde gehen.

Seit diesem Augenblick interessierte er sich für Sandboden. Bald hatte er Erfolg: Eines Tages fand er in dem trockenen Flussbett in der Nähe seines Hauses ein kleines hellrosa Insekt, das dem japanischen Sandlaufkäfer, der Cicindela japonica Motschulsky, glich. Dieser Sandläufer tritt zwar bekanntlich in vielen verschiedenen Farben und Zeichnungen auf, aber die Vorderbeine sind bei fast allen gleich. Das Vorderbein ist ein wichtiges Kriterium, ihn von anderen Arten zu unterscheiden. Das Insekt nun, das ihm im Flussbett aufgefallen war, hatte am zweiten Gelenk des Vorderbeines in der Tat eine ausgesprochene Eigenart.

Im Allgemeinen sind die Vorderbeine bei den Vertretern der Sandlaufkäfer schwarz, schmal und außerordentlich beweglich. Aber die Vorderbeine dieses Insekts waren dick und gelb und sahen aus, als seien sie von einer Hülle umgeben. Vielleicht war es irgendetwas, um den Blütenstaub festzuhalten, etwa eine feine Haarschicht. Auf jeden Fall handelte es sich ganz sicher um eine wichtige Entdeckung, wenn seine Beobachtung richtig war.

Aber unglücklicherweise war ihm das Insekt entwischt. Er war nämlich ziemlich aufgeregt gewesen, und zudem hatte dieser Sandläufer eine überaus verwirrende Art zu fliegen. Er flog weg, machte kehrt und wartete, als wolle er sagen: »Na, fang mich doch!« Und jedes Mal, wenn der Mann sich vorsichtig und voller Hoffnung näherte, flog der Käfer wieder davon, drehte sich nach einer Weile um und erwartete ihn aufs Neue. So hielt er ihn immer wieder zum Besten und verschwand schließlich in einem Grasgebüsch.

Von nun an war er von dem Sandläufer mit den gelblichen Vorderbeinen geradezu verhext.

Er wandte seine Aufmerksamkeit weiterhin dem Sandboden zu, und seine Vermutung schien sich zu bestätigen. Der Sandlaufkäfer war tatsächlich ein typisches Wüsteninsekt. Man glaubt, dass seine wunderliche Art zu fliegen ein Trick ist, um kleine Tiere von ihren Nestern wegzulocken. Wenn dann die Opfer – Mäuse oder Eidechsen – tief in die Wüste gelockt worden sind und vor Hunger und Erschöpfung sterben, saugen die Sandlaufkäfer die Leichen aus. Diese Käfer haben im Japanischen zwar einen recht gefälligen Namen – man nennt sie »Briefbote« –, und sie sehen auf den ersten Blick auch harmlos und freundlich aus, sind aber im Grunde grausam, haben scharfe Kiefer und sollen einander sogar auffressen. Mag dies nun stimmen oder nicht, der Mann war jedenfalls von der geheimnisvollen Flugweise dieser Sandläufer wie verhext.

Sein Interesse für den Sand, der ja die Grundlage für das Leben der Sandläufer war, musste wohl oder übel immer größer werden. Er las fortan alles, was er über den Sand finden konnte, und bei seiner Forschungsarbeit wurde ihm klar, dass der Sand etwas Wunderbares war. Der Artikel über den Sand im Konversationslexikon lautete etwa folgendermaßen: »Sand: ein Verwitterungsprodukt aus Steinen. Er enthält manchmal Magneteisenerz, Zinnstein und in seltenen Fällen Goldstaub. Durchmesser: 1,6 bis 2 mm.«

Eine klare Definition. Sand besteht also, kurz gesagt, aus verwittertem Gestein und ist eine Zwischenform zwischen Kiesel und Ton. Aber die Bezeichnung »Zwischenform« gibt noch keine umfassende Erklärung ab. Wie ist es möglich, dass der Boden, in dem doch Ton, Sand und Steine durcheinandergemischt sind, in einsamen Wüstengegenden und Sandgebieten lediglich den Sand an die Oberfläche drängt? Wenn Sand wirklich eine »Zwischenform« ist, dann müssten doch Verwitterung und Erosion unendlich viele Zwischenformen zwischen Stein und Ton schaffen. Aber in Wirklichkeit gibt es nur drei deutlich voneinander zu unterscheidende Formen: Stein, Sand und Ton. Und Sand ist sich immer gleich, wo er sich auch befinden mag. Merkwürdigerweise gibt es bei Sandkörnern kaum einen Größenunterschied, ob er nun an der Enoshima-Küste oder in der Wüste Gobi liegt. Der mittlere Durchmesser beträgt fast immer 1,8 mm nach der Gaußschen Verteilung.

In einem Lehrbuch wurden die Vorgänge bei der Zersetzung der Erde durch die Erosion von Wind und Wasser sehr einfach erklärt: Die leichteren Partikel, hieß es, würden nach und nach über große Entfernungen hin verweht. Aber wie der Sandkorn-Durchmesser von 1,8 mm zustande kommt, wird damit nicht aufgeklärt. Demgegenüber heißt es in einem anderen geologischen Werk: »Durch Wind oder Wasserströmungen entstehen Wirbel. Der kleinste Durchmesser solcher Stromwirbel entspricht dem Durchmesser des Wüstensandes. Infolgedessen wird nur der Sand aus dem Boden herausgezogen, und zwar im rechten Winkel zu dem Wirbelstrom. Hat der Boden wenig Kohäsion, dann wird der Sand durch leichte Winde, die aber weder Ton noch Steinchen tragen könnten, in die Luft gesogen; der Sand fällt dann auf der der Windrichtung abgekehrten Seite wieder zu Boden. So erklärt sich die Eigentümlichkeit des Sandes aus den Gesetzen der Aerodynamik.«

Hier können wir der Definition Folgendes hinzufügen: »Partikel zertrümmerter Felsen von einer so geringen Größe, dass ihre Fortbewegung durch eine leichte Strömung möglich ist.«

Da Luft- und Wasserströmungen über das Land ziehen, bildet sich unvermeidlich Sand. Solange Winde wehen, Flüsse strömen und Meereswellen an die Ufer schlagen, wird Sandkorn für Sandkorn aus der Erde geboren, und diese Sandkörner kriechen gleich kleinen Lebewesen überallhin. Sand ruht nie. Langsam, aber stetig überfällt und zerstört er die Oberfläche der Erde.

Diese Vorstellung des ständig dahinfließenden Sandes versetzte ihn in unbeschreibliche Erregung. Die Unfruchtbarkeit des Sandes rührte also nicht nur, wie gewöhnlich geglaubt wird, von seiner Trockenheit her, sondern offensichtlich auch daher, dass er sich dauernd bewegte, wodurch er zum Feind alles Lebendigen wurde. Was für ein großer Unterschied besteht doch zwischen der Welt des Sandes und der trostlosen Art, in der wir Menschen uns Jahr um Jahr aneinanderklammern.

Gewiss, im Sand gedeiht kein Leben, aber gehört denn das Haften unbedingt zum Leben? Entsteht nicht gerade daraus, dass man unbedingt irgendwo haften will, der Kampf ums Dasein? Verzichtete man auf das Haftenwollen und überließe sich der Bewegung des Sandes, dann hätte dieser Kampf augenblicklich ein Ende. Und tatsächlich gibt es ja Pflanzen in der Wüste, und es leben auch Insekten und andere Tiere dort. Sie alle entzogen sich dem Existenzkampf, weil sie, wie auch die Sandläufer, eine große Anpassungsfähigkeit besaßen.

Während er über die Auswirkungen des fließenden Sandes nachgrübelte, verfiel er von Zeit zu Zeit der Illusion, dass er selbst in dieses Fließen einbezogen sei.

3

Mit gesenktem Kopf schritt er auf dem Grat der halbmondförmig aufragenden Düne entlang, die das Dorf gleich einem Burgwall umgab. Er achtete kaum auf die Landschaft. Ein Insektensammler konzentriert sich nur auf eine Fläche von etwa drei Metern vor seinen Füßen. Er musste auch darauf achten, dass die Sonne nicht hinter seinem Rücken stand. Denn dann würden die Insekten durch seinen Schatten erschreckt werden. So erklärt es sich auch, warum fanatische Insektensammler immer eine gebräunte Stirn und Nase haben.

Mit gleichmäßigen Schritten ging er langsam dahin. Bei jedem Tritt schob er ein wenig Sand in die Höhe, der ihm dann über die Schuhe floss. Außer dem kurzwurzeligen Gras, das bei etwas Feuchtigkeit innerhalb eines Tages aufsprießt, war nichts Lebendiges zu sehen. Dann und wann, vom Geruch menschlichen Schweißes angelockt, kam eine Fliege angeflogen, die wie Schildpatt schimmerte. Hier würde der Mann finden können, was er suchte. Die Sandlaufkäfer pflegen Einzelgänger zu sein; in extremen Fällen soll ein einziger dieser Sandläufer einen Umkreis von einem Kilometer ganz für sich allein beanspruchen. Geduldig wanderte der Mann weiter.

Plötzlich blieb er stehen. An einer Graswurzel bewegte sich etwas. Eine Spinne. Mit Spinnen hatte er jedoch nichts im Sinn. Er setzte sich hin, um eine Zigarette zu rauchen. Der Wind wehte ununterbrochen vom Meer, und hinten in der Ferne brandeten weiße Wellen gegen die Dünen. Im Westen, hinter den Dünen, ragte ein halbhoher, felsiger Hügel ins Meer hinaus. Die Sonne sandte ihre Strahlen in spitzen, scharfen Nadelbündeln über den Himmel.

Seine Streichhölzer zündeten nicht. Von zehn gab nicht ein einziges Feuer. Die weggeworfenen Streichhölzer wurden von winzigen Sandwellen überspült – in Sekundenschnelle. Der Mann konzentrierte sich auf eine dieser kleinen Sandwellen und erhob sich, als sie den Rand seines Absatzes erreicht hatte. Der Sand rieselte aus den Knitterfalten seiner Hose. Er spuckte aus: Das Innere seines Mundes war sandig rau.

Es gab also offenbar wenig Insekten. Vielleicht war der Sand hier zu sehr in Bewegung. Aber nein, er wollte sich noch nicht entmutigen lassen. Seiner Theorie nach musste er auf Insekten stoßen. Die Düne wurde flacher; auf dem vom Meer abgewandten Hang war ein kleiner Vorsprung. In dem sicheren Gefühl, dass er hier Beute finden würde, stieg er die sanfte Böschung hinab und sah hinter den Überresten eines gegen den Sand errichteten geflochtenen Zauns ein etwas tiefer gelegenes Plateau. Er schritt quer über die Kräuselungen des Sandes, die so exakt wie mit einer Maschine eingefurcht waren, und plötzlich stand er vor einem tiefen Loch, unmittelbar am Abhang. Das Loch war etwa zwanzig Meter breit und sah aus wie eine etwas aus der Form geratene Ellipse. Der gegenüberliegende Abhang erschien ihm ziemlich flach, während der zu seinen Füßen fast senkrecht wirkte: Nur der obere Teil war sanft geschwungen wie der Rand einer Porzellanschüssel. Vorsichtig schob er einen Fuß bis an den Rand und blickte hinunter. Auf der Sohle des Loches war, im Gegensatz zu der Helligkeit der Welt draußen, bereits die Dämmerung angebrochen.

In der dunklen Tiefe stand still ein kleines Haus; der Balken des Dachfirstes war hinabgesunken und steckte schief in der Sandwand. Das Haus kam ihm vor wie eine Auster.

Was man dort unten auch versucht, dachte er, dem Gesetz des strömenden Sandes kann man nicht entgehen.

Als er das Haus fotografieren wollte, bewegte sich der Sand zu seinen Füßen mit einem feinen Laut. Schaudernd zog er den Fuß zurück, aber der Sand hörte nicht auf zu fließen. Auf was für unsicherem, gefährlichem Grund stand er doch! Tief atmend fuhr er mit seinen schweißfeuchten Händen ein paarmal an den Seiten seiner Hose entlang.

Da hörte er plötzlich neben sich jemanden husten. Unbemerkt war ein alter Mann, offenbar ein Fischer aus dem Dorfe, so dicht neben ihn getreten, dass ihre Schultern sich berührten. Der Mann blickte abwechselnd auf seine Kamera und in das Loch hinunter und lächelte ihn dann mit faltigem, gegerbtem Gesicht an. In den Winkeln seiner geröteten Augen hatte sich eine klebrige Flüssigkeit verkrustet.

»Untersuchen Sie hier etwas?«

Seine halb vom Wind verwehte Stimme klang blechern wie ein kleines Taschenradio. Aber seine Aussprache war deutlich, sodass der Mann die Worte verstehen konnte.

»Untersuchen?« Verwirrt legte er die Hand über die Linse und griff nach dem Insektennetz, um es dem Alten vorzuweisen. »Was meinen Sie damit? Ich verstehe Sie nicht recht. Ich fange Insekten, wie Sie sehen. Ich interessiere mich besonders für Sandinsekten!«

»Wie?« Der Alte schien ihn nicht verstanden zu haben.

»Ich fange Insekten!«, wiederholte der Mann lauter. »Insekten – Insekten! Hiermit fange ich sie!«

Der Mann schlug misstrauisch die Augen nieder und spuckte aus, genauer gesagt, er ließ seinen Speichel einfach aus dem Munde laufen. Der Speichel wurde vom Wind ergriffen und flog wie ein Faden von den Lippen fort. Warum war der Alte nur so beunruhigt?

»Untersucht man denn hier etwas?«, fragte der Mann.

»Nein, nein! Wenn Sie hier nichts untersuchen, können Sie treiben, was Sie wollen.«

»Nein, ich untersuche wirklich nichts!«

Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Alte um und ging langsam mit schlurfenden Strohsandalen auf dem Dünenkamm weiter.

Fünfzig Meter entfernt waren noch drei Männer, die ähnlich gekleidet waren wie jener Alte; sie hockten still im Sand und schienen ihn zu erwarten. Einer von ihnen drehte etwas auf den Knien hin und her, das wie ein Fernglas aussah. Als der Alte bei ihnen war, begannen sie, über etwas zu reden. Da sie dabei aufgeregt den Sand vor ihren Füßen hin und her stießen, musste es sich wohl um ein sehr schwieriges Problem handeln.

Er wollte gerade weiter nach der Motschulsky suchen, als der Alte eilig zu ihm zurückkam.

»Sie sind also wirklich kein Beamter von der Bezirksverwaltung?«

»Von der Bezirksverwaltung? Nein, keineswegs.« Er nahm eine Visitenkarte aus der Tasche und übergab sie dem Alten kurz entschlossen, als habe er nun genug von der ganzen Ausfragerei. Der Alte bewegte murmelnd seine Lippen; er brauchte viel Zeit, sie zu lesen.

»Ach, Sie sind Lehrer?«

»Ja. Ich habe nicht das Geringste mit der Bezirksverwaltung zu tun!«

»So … Sie sind also Lehrer.«

Endlich schien er es begriffen zu haben und ging mit hochgezogenen Augenbrauen, die Visitenkarte respektvoll in die Höhe haltend, lächelnd zurück. Die drei anderen waren nun offenbar zufrieden, standen auf und gingen fort.

Aber der Alte kam noch einmal. »Verzeihen Sie, wenn ich frage … aber was haben Sie denn hier eigentlich vor?«

»Was ich vorhabe? Ich suche nach Insekten!«

»Aber der letzte Bus ist schon weg!«

»Kann ich nicht irgendwo übernachten?«

»Übernachten? In diesem Dorf?« Das Gesicht des alten Mannes verzog sich ein wenig.

»Falls das nicht möglich ist, gehe ich zu Fuß ins nächste Dorf!«

»Zu Fuß?«

»Ja, ich habe Zeit genug.«

»Die Mühe brauchen Sie sich nicht zu machen.« Der Alte wurde plötzlich freundlich und gesprächig. »Wie Sie sehen, gibt es in diesem armseligen Dorf zwar keine Häuser, die zum Verweilen einladen; aber wenn Ihnen das nichts ausmacht, will ich gern sehen, was ich für Sie tun kann!«

Er schien nichts Böses im Sinn zu haben. Die Leute hatten offenbar nur Angst gehabt, anscheinend vor einem Regierungsbeamten, der Untersuchungen anstellen könnte. Jetzt, da sie sich beruhigt hatten, waren sie nur noch hilfsbereite, schlichte Fischer.

»Wenn Sie etwas für mich tun wollen, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich bezahle natürlich. Es würde mir Spaß machen, in einem Privathaus zu übernachten!«

4

Der Wind ließ ein wenig nach, und es wurde langsam dunkel. Der Mann lief so lange auf den Dünenkämmen entlang, bis er die vom Wind gezeichneten Kräuselungen des Sandes nicht mehr erkennen konnte.

Er hatte nichts gefunden, was er als »Fang« hätte bezeichnen können. Nur Euscirtus hemelytrus mit kleinen Flügeln; bärtige Ohrwürmer; rot gestreifte Baumwanzen. Er wusste die Bezeichnung nicht ganz genau, aber er war ziemlich sicher, dass es sich um Baumwanzen handelte.

An hartflügeligen Insekten, auf die er besonders aus war, hatte er nur Rüsselkäfer mit dem weißen Hinterteil und einige langbeinige Apoderus jekeli gefunden.

Von den Sandlaufkäfern, denen doch sein eigentliches Interesse galt, hatte er nicht ein einziges Exemplar erbeutet. Aber gerade deswegen, so hoffte er, würde der Fang am folgenden Tage umso reicher ausfallen.

Vor Ermüdung sah er helle Lichtpunkte vor seinen Augen tanzen. Unbewusst war er stehen geblieben und starrte auf die langsam dunkler werdenden Dünen. Es hatte keinen Sinn mehr: Jetzt erschien ihm alles, was sich bewegte, wie eine Motschulsky.

Der Alte wartete vor dem Haus der Genossenschaft.

»Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viel Mühe mache!«

»Oh, bitte! Ich hoffe nur, dass Sie mit dem, was ich für Sie aufgetrieben habe, zufrieden sind!«

Im Büro der Genossenschaft schien gerade eine Beratung im Gange zu sein. Vier oder fünf Männer saßen dort beieinander, die gelegentlich laut auflachten. Über dem Eingang hing ein großes, längliches Holzschild, auf dem in großen Buchstaben »Im Geist der Heimatliebe« stand. Der Alte rief den Männern etwas zu, und das Gelächter hörte augenblicklich auf. Dann schritt er mit einer auffordernden Bewegung die Straße voraus, die mit Muschelschalen übersät war und in der Dämmerung weißlich schimmerte.

Er wurde von dem Alten aus dem Dorf hinaus zu einem der Löcher am Rande der Düne geführt.

Vom Kamm der Düne folgten sie einem schmalen Pfad den Abhang hinunter; nachdem sie eine ganze Weile gegangen waren, beugte sich der Alte in das Dunkel vor, klatschte in die Hände und rief: »He! Alte Dame!«

Im Dunkel zu ihren Füßen schwang eine Lampe hin und her, und eine weibliche Stimme antwortete: »Hier bin ich! Hier! Neben den Sandsäcken dort ist die Leiter!«

Tatsächlich, ohne Leiter wäre es völlig unmöglich gewesen, den Abhang hinunterzukommen; er hätte kaum Halt für Hände und Füße gefunden. Da der Abhang dreimal so hoch war wie das Haus, war das Hinabklettern über die Leiter auch keine Kleinigkeit. Es fiel ihm ein, dass ihm dieser Abhang am Tage ziemlich sanft vorgekommen war; aber als er ihn nun näher betrachtete, schien er fast senkrecht zu sein. Die Leiter war ein recht unsicheres Gebilde aus Seilen; wenn man beim Hinabklettern das Gleichgewicht verlor, konnte man sich hoffnungslos darin verwickeln. Das Ganze wirkte wie eine natürliche Festung.

»Sie brauchen keine Angst zu haben. Ruhen Sie sich nur erst einmal aus«, sagte der Alte, der nicht mit ihm hinunterkletterte, sondern sich umdrehte und davonging.

Von oben rieselte Sand auf seinen Kopf herab. Er empfand beim Hinabklettern so etwas wie Neugierde, er fühlte sich in seine Kindheit zurückversetzt. Da die Frau als »alte Dame« angeredet worden war, nahm er an, sie sei schon ziemlich bejahrt; aber als er unten ankam, empfing ihn eine nette kleine Person von etwa dreißig Jahren. Anscheinend hatte sie sich gepudert, denn für jemanden, der am Meer lebt, hatte sie eine erstaunlich weiße Haut. Jedenfalls war er ihr sehr dankbar, dass sie ihn so freundlich, ja heiter willkommen hieß. Sie vermochte ihre Freude über sein Erscheinen kaum zu verbergen.

Ohne diesen warmherzigen Empfang hätte er das Haus unerträglich gefunden. Er hätte geglaubt, man wolle sich über ihn lustig machen, und wäre zweifellos auf der Stelle wieder umgekehrt. Die Wände des Hauses blätterten ab, die Stützbalken standen schief. Statt Schiebetüren hatte man Matten aufgehängt, die Fenster waren mit Brettern vernagelt, die Tatami-Matten lösten sich auf und gaben beim Betreten ein Geräusch von sich, als trete man auf nassen Schwamm, und überall roch es widerlich nach verbranntem, vermoderndem Sand.

Aber es kommt ja stets darauf an, wie man sich fühlt. Da die Frau ihn recht freundlich behandelte, war ihm ganz wohl zumute, und er sagte sich, dass diese Nacht ein einzigartiges Erlebnis für ihn sein werde … Wenn er Glück hatte, würde er vielleicht sogar auf interessante Insekten treffen. Die Lebensbedingungen für Insekten waren hier sicher günstig.

Seine Vorahnung erwies sich als richtig. Kaum hatte er sich neben die in den Boden eingelassene Feuerstelle gesetzt, da rauschte es um seine Ohren wie ein Regenschauer. Es waren Heerscharen von Flöhen. Er erschrak nicht einmal. Ein Insektensammler ist auf so etwas immer vorbereitet: Er hatte die Innenseite seiner Kleidung mit DDT bestäubt und würde die bloßen Körperstellen vor dem Schlafengehen mit Insektengift einreiben.

»Ich werde Ihnen jetzt etwas kochen«, sagte sie. »Darf ich Ihnen die …« Sie erhob sich halb und griff nach der Lampe. »Seien Sie bitte nicht böse, wenn Sie eine Weile im Dunkeln sitzen müssen.«

»Besitzen Sie denn nur eine Lampe?«

»Leider ja!«

Als sie verlegen dabei lachte, erschien ein Grübchen auf ihrer linken Wange. Abgesehen von ihren Augen, ist sie ganz hübsch, dachte er; vielleicht sind ihre Augen krank und sehen deshalb so seltsam aus. Die Schminke hatte die Entzündung der Augenwinkel nicht übertünchen können. Und er beschloss, vor dem Schlafengehen auch ein paar Augentropfen zu nehmen.

»Es macht nichts. Aber ich würde gern vor dem Essen baden!«

»Baden?«

»Haben Sie kein Bad?«

»Es tut mir leid, aber wäre es nicht möglich, das Baden auf übermorgen zu verschieben?«

»Übermorgen? Dann bin ich längst nicht mehr da!« Unwillkürlich lachte er laut auf.

»So?«

Sie wandte ihr Gesicht von ihm ab; es hatte einen merkwürdig gespannten Ausdruck – offensichtlich war sie enttäuscht. Die Menschen auf dem Lande können ihre Empfindungen eben nicht verstecken, dachte er. Verwirrt fuhr er ein paarmal mit der Zunge über seine Lippen. »Wenn es kein Bad hier gibt, genügt auch etwas Wasser, um mich abzuspülen. Ich habe überall Sand auf dem Körper!«

»Leider habe ich nur einen Eimer voll Wasser. Der Brunnen ist weit weg!«

Als sie das sagte, wirkte sie sehr schüchtern, und er beschloss, dieses Gespräch zu beenden. Er würde bald genug begreifen, dass das Duschen hier sinnlos war.

Die Frau brachte das Essen: eine Muschelsuppe mit gekochtem Fisch. Eine typische Mahlzeit für ein Fischerdorf; aber er fand sich damit ab. Als er zu essen begann, öffnete die Frau einen großen Papierregenschirm und hielt ihn über seinen Kopf.

»Was soll denn das?« Er glaubte, es handle sich um eine in dieser Gegend übliche Sitte.

»Ja, sonst fällt Sand in Ihr Essen!«

»Woher denn?« Er blickte erstaunt zur Decke hoch, aber er konnte kein Loch entdecken.

»Der Sand … ja, ja …«, sagte sie, und ihr Blick wanderte ebenfalls zur Decke. »Er rieselt überall durch. Wenn man ihn nicht täglich wegschaufelt, häuft er sich fast einen Sun hoch an!« 

»Ist das Dach kaputt?«

»Ja; aber selbst, wenn es neu gedeckt wäre, würde der Sand überall durchrieseln. Sand ist schlimmer als Holzwürmer.«

»Holzwürmer?«

»Würmer, die Löcher ins Holz bohren!«

»Termiten?«

»Nein, nein. Sie sind etwa genauso groß und haben einen harten Panzer.«

»Ach, Sägebockkäfer mit langen Hörnern.«

»Sägebock …?«

»Sie sehen rötlich aus und haben lange Fühler, nicht wahr?«

»Nein, bronzefarben und sehen aus wie Reiskörner.«

»Dann sind es obatama-mushi!«

»Wenn man nichts dagegen tut, werden so große Balken wie diese da völlig zerstört!«

»Von den obatama-mushi?«

»Nein, durch den Sand!«

»Inwiefern?«

»Er dringt überall herein. Bei ungünstigem Wind muss man den ganzen Tag unter dem Dach sitzen und ihn wegräumen. Sonst häuft sich so viel an, dass die Decke bricht.«

»Ja, dass der Sand sich nicht unter dem Dach ansammeln darf, verstehe ich noch; aber dass die Querbalken durch Sand zerstört werden, scheint mir doch etwas seltsam.«

»Doch, es stimmt aber!«

»Aber Sand ist doch trocken, oder nicht?«

»Trotzdem; er zerstört die Balken. Man sagt, selbst neue Holzsandalen fallen innerhalb eines Monats auseinander, wenn man sie im Sand stecken lässt!«

»Das begreife ich nicht!«

»Das Holz verdirbt, und der Sand verdirbt mit. Ich habe einmal gehört, dass aus den Dachbalken eines Hauses, das lange Zeit unter Sand begraben lag, fruchtbare Erde wurde, auf der man Gurken züchten konnte.«

»Ausgeschlossen!«, erwiderte er schroff und verzog seinen Mund verächtlich. Er hatte das Gefühl, als werde seine persönliche Vorstellung vom Sand durch ihre Unwissenheit entweiht. »Ich weiß über Sand Bescheid. Ich werde Ihnen einiges erzählen. Der Sand fließt unaufhörlich, und dieses Fließen macht das Leben des Sandes aus. Er bleibt niemals still liegen. Er bewegt sich frei und ungehindert – ob im Wasser oder in der Luft. Deshalb vermögen gewöhnliche Lebewesen auch nicht im Sand zu existieren, und das gilt sogar für Fäulnisbazillen. Er ist sozusagen Symbol und Muster für Sauberkeit und Reinheit. Er wirkt sogar dem Fäulnisprozess entgegen. Es ist völlig ausgeschlossen, dass Sand etwas verdirbt. Und vor allem, liebe Frau, verdirbt der Sand selbst nie! Denn Sand ist ja ein Mineral, verstehen Sie?«

Die Frau erstarrte und schwieg. Hastig und schweigend aß der Mann unter dem Schirm, den sie ihm hielt, weiter. Auf dem Schirm hatte sich bald so viel Sand angesammelt, dass man mit dem Finger hätte darauf schreiben können.

Die Feuchtigkeit war unerträglich. Natürlich war nicht der Sand, sondern der Körper des Mannes feucht. Über dem Dach stöhnte der Wind. Als er die Zigaretten herausnahm, war seine Tasche voll Sand. Und er glaubte, noch bevor er ein Streichholz anzündete, die Bitterkeit des Tabaks zu schmecken.