Die Gefährtin des Drachenwandlers - Simone Courtois - E-Book

Die Gefährtin des Drachenwandlers E-Book

Simone Courtois

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Beschreibung

Himmel, diese Augen! Ich stürzte ein weiteres Glas Wein hinunter. Wusste der Kerl eigentlich, welche Gefühle er in mir auslöste? Patricia Chandler ist eine ehrgeizige Polizistin, deren aktueller Fall sie mit Anthony Russell, einem schwerreichen Wandler, zusammenführt. Dass sie sich zu diesem Mann hingezogen fühlt, erschwert ihre Arbeit, zumal sich der Fall als nicht so einfach zu lösen herausstellt. Während sie ihre Beziehung mit ihm vertieft, wird sie gleichzeitig in die seit langem schwelende Auseinandersetzung zwischen Wandlern und deren Feinden hineingezogen. Eine glückliche Zukunft scheint für sie und Anthony nicht möglich zu sein.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Impressum

Die Gefährtin des Drachenwandlers

 

Cover: www.magicalcover.de

Das Werk aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, einschließlich der Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und sind nicht beabsichtigt.

 

Kapitel 1

Patricia

Nachtschichten waren noch nie mein Fall gewesen, aber von Zeit zu Zeit konnte ich sie nicht vermeiden. Zumindest war die letzten Tage nichts Unvorhergesehenes passiert, sodass mein Partner und ich uns nicht in irgendwelchen Gassen herumtrieben, um Spuren von diversen Tatorten aufzunehmen. Statt Morde aufzuklären, saßen wir nun an unseren Schreibtischen und brachten etwas Ordnung in alte Unterlagen. Anders ausgedrückt: Wir räumten auf.

»Sieh dir das an!«, rief mein Partner Stuart Phillips in diesem Moment aus. »Die Akte habe ich lange gesucht. Der Kerl, den sie letztens hingerichtet haben, war doch tatsächlich unschuldig!«

Ich gähnte müde. »Streng dich nicht an. Ich kenne den Film, aus dem du die Textzeile geklaut und abgeändert hast.« Dennoch musste ich schmunzeln. Leslie Nielsen war einer meiner Lieblingsschauspieler gewesen.

Stuart grinste nur breit und stopfte die Aktenmappe zurück in einen Hängeordner. »So ruhig könnte es von mir aus bis zu meiner Pensionierung bleiben.«

»Wird es auch, falls die Psychopathen alle zufällig ausgestorben sind. Aber eine Wette würde ich darauf nicht eingehen.«

Wie aufs Stichwort erschien der Sergeant bei uns am Tisch und warf uns eine Nachricht hin. »Arbeit für euch! Man hat eine Leiche an der Ecke Glenfield und Harpers gefunden, in einem Hinterhof. Hoffentlich habt Ihr nicht zu viel gegessen. Soll nicht besonders hübsch aussehen.«

Stuart schnappte sich den Schlüssel unseres Dienstwagens und seufzte leise. »Warum habe ich nicht auf meine Mutter gehört und bin Buchhalter geworden?«

»Bei deinem Zahlenverständnis? Da wäre dein Arbeitgeber aber schnell pleitegegangen.«

*****

Ich war nicht besonders scharf darauf, die Überreste genauer in Augenschein zu nehmen, aber es gehörte leider zu meinem Job. Wenigstens war der diensthabende Gerichtsmediziner bereits vor Ort und die Spurensicherung war ebenfalls längst bei der Arbeit. Auch die Fotografin hatte schon eine ganze Serie an Fotos geschossen. Stuart und ich hatten uns die üblichen blauen Einweghandschuhe übergestreift. Ein Kollege der Spurensicherung überreichte uns die Habseligkeiten des Verstorbenen und mein Partner begann mit der ersten Untersuchung.

Ich sah mich derweil um und mir lief ein Schauer über den Rücken. Selbst nach fünf Jahren im Morddezernat war ich noch nicht abgebrüht genug, als dass mich eine solche Umgebung unbeeindruckt gelassen hätte. Nur ein Block weiter lag das betriebsame Geschäfts- und Amüsierviertel der Stadt, mit dem fünfzig Stockwerke hohen Russelltower als Mittelpunkt. Dort konnte man zu jeder Tages- und Nachtzeit dicke Schlitten fahren und parken sehen. Wohlhabende Geschäftsleute vertrieben sich ihre Freizeit in den zahlreichen Pubs und Nachtclubs, die es dort gab. Und hier? In diesem Hinterhof, wo wir gerade standen, roch es nach Armut, Abfall … und Tod.

»Raubüberfall können wir wohl ausschließen«, sagte Stuart schließlich und hielt mir eine Brieftasche hin. »Unser Opfer hatte noch rund hundert Dollar an Bargeld bei sich. Auch die Kreditkarte fehlt nicht.«

»Handy?«

Er nickte. »Es ist beschädigt, aber ich denke, das Labor wird trotzdem noch einige Daten retten können. So schlimm sieht es nicht aus.«

»Wurde er hier umgebracht?«

Diesmal schüttelte er den Kopf. »Nein. Der Mediziner ist sich sicher, dass das Opfer hier nur abgelegt wurde. Dafür spricht auch die geringe Blutmenge, die sich unter dem Körper angesammelt hat. Er schätzt die Todeszeit auf den frühen Abend, also vor etwa sechs Stunden.«

»Haben wir auch einen Namen?«

»Ja. Jensen Beyers hieß der Knabe. Wohnte hier ganz in der Nähe und wir haben sogar die Wohnungsschlüssel.« Grinsend hielt Stuart einen Schlüsselbund nach oben und ließ die Schlüssel leise klirren.

»Dann los. Ein kleiner Spaziergang wird uns guttun.«

Ich gab der Spurensicherung den Auftrag, mir den abschließenden Bericht so schnell wie möglich auf den Tisch zu legen, bevor ich mich mit meinem Partner auf den Weg machte.

*****

Beyers' Unterkunft lag wirklich nicht weit vom Fundort seiner Leiche entfernt. Allerdings war die Wohngegend nicht gerade die beste, wenn sie auch nicht unbedingt als Slum zu bezeichnen war. Dennoch war ich froh, dass ich mir eine Wohnung in einer etwas besseren Gegend leisten konnte. Luzie, meine Tochter, würde ich jedenfalls nicht in einer solchen Umgebung aufwachsen sehen wollen.

»Anscheinend war unser kalter Kumpel so eine Art Kollege von uns«, sagte Stuart und zeigte auf ein winziges Emailleschild an der Hausfront. Also war Mr. Beyers zu Lebzeiten ein Privatdetektiv gewesen. »Vielleicht ist er jemandem bei dubiosen Ermittlungen auf die Zehen getreten und wurde deshalb entsorgt.«

Ich gab Stuart keine Antwort. Wenn mich eine Sache bei ihm gelegentlich störte, dann war es seine Angewohnheit, vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Ich war eine Anhängerin von akribischen Untersuchungen.

Mein Partner schloss die Haustür auf und wir stiegen hoch in den zweiten Stock, wo Beyers' Domizil lag. Es sagte wohl einiges über seinen Geschäftserfolg - oder eher Misserfolg - aus, dass die Detektei mit seiner Wohnung identisch war. Das Treppenhaus und der Flur im zweiten Stock waren überraschend sauber, also ohne den Sperrmüll und Unrat, den ich schon oft genug in solchen Häusern angetroffen hatte. Anscheinend war der Besitzer des Mietshauses nicht gewillt, diese Zustände einreißen zu lassen.

»Hier ist es«, sagte Stuart, als wir die letzte Wohnungstür auf der linken Seite erreichten.

Sicherheitshalber zogen wir unsere Waffen, bevor mein Partner die Tür vorsichtig aufschloss und öffnete. Wir sicherten uns gegenseitig, während wir die nicht allzu große Wohnung durchkämmten. Sie war leer. Da die Tür nicht aufgebrochen worden war, nahm ich an, dass der Mörder Beyers' Unterkunft nicht aufgesucht hatte. Es war zwar theoretisch möglich, dass er die Schlüssel an sich genommen und hier eingedrungen war, aber wieso hätte er den Schlüsselbund wieder zurückbringen sollen? Für diese Vorgehensweise hätte der Mörder schon sehr abgebrüht sein müssen und sich dabei nur unnötig in Gefahr gebracht.

Stuart hatte unterdessen begonnen, die Schränke des Toten zu untersuchen. Ich setzte mich an den wurmstichigen Schreibtisch, der im Wohnzimmer stand und wohl den Mittelpunkt seines Büros bildete. Der Rollschrank war nicht abgeschlossen, enthielt aber nur einen Laptop und einige Notizen. Keine Akten, kein Notizbuch - gar nichts. Sein Geschäft war wohl nicht sehr ergiebig. Ich klappte das Notebook auf und fuhr den Computer hoch. Natürlich war der Zugang passwortgeschützt, aber der Schutz war eher relativ, denn unter der Schreibtischunterlage fand ich einen Zettel, auf dem das Passwort notiert war. Kopfschüttelnd gab ich es ein und erhielt auch prompt Zugriff auf das System. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, was für ein Teufel die Leute ritt, ihre Passwörter offen rumliegen zu lassen. Dann konnten sie auch gleich drauf verzichten.

Bei einer provisorischen, oberflächlichen Untersuchung fand ich einige Angaben über seinen eng begrenzten Kundenstamm und auch Kontakte und Eintragungen zum letzten Fall, an dem er gearbeitet hatte. Und der schien es in sich gehabt zu haben, denn während sich seine anderen Fälle mehr oder weniger um Eierdiebstähle gedreht hatten, war der letzte schon wesentlich brisanter.

»In den Schränken ist absolut nichts Interessantes«, sagte Stuart, als er zu mir an den Schreibtisch trat. »Wie sieht es bei dir aus?«

»Er hat sich zuletzt mit der Russell-Holding beschäftigt - und zwar sehr intensiv.«

Mein Partner stieß einen leisen Pfiff aus. »So ein kleiner Schnüffler hat mit einer so großen Firma zu tun? Worum ging es denn dabei?«

»Etliche Dateien sind verschlüsselt«, erwiderte ich, während ich den Laptop herunterfuhr. »Wir nehmen alles aus seinem Schreibtisch mit und hoffen, dass unsere IT die Verschlüsselung knacken kann. Wer weiß, möglicherweise hat er den Schlüssel irgendwo auf der Festplatte abgespeichert. Jedenfalls haben wir einen ersten Ansprechpartner.«

Stuart blinzelte ungläubig. »Du meinst … die Russell-Holding? Willst du vielleicht mit Anthony Russell himself sprechen?«

Ich zuckte nur mit den Schultern. »Hast du einen besseren Vorschlag?«

»Du könntest den Papst vorladen. Da wären deine Chancen größer.«

»Auch ein Mr. Russell steht nicht über dem Gesetz!« Aber insgeheim musste ich ihm recht geben. Dennoch war ich mir sicher, dass auch unser Vorgesetzter nichts dagegen haben würde, wenn ich mit dem geheimnisvollen Herrn im fünfzigsten Stock des Russell-Towers ein paar Takte redete.

*****

Müde schloss ich die Haustür und bemühte mich, möglichst wenig Geräusche zu verursachen. Ich bezahlte die Babysitterin, bestellte ihr noch ein Taxi und sah ihr nach, bis sie eingestiegen war. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mit etwas Glück fünf Stunden Schlaf bekommen würde. Besser als nichts. Zumindest mussten uns Stuart und ich erst einmal nicht mehr mit dem nächtlichen Bereitschaftsdienst abplagen, denn der Fall würde uns bestimmt über einen längeren Zeitraum beschäftigen.

Ich bereitete mir noch zwei Sandwiches zu, trank dazu kalten Saft und schlich nach der frugalen Mahlzeit leise zum Zimmer meiner Tochter. In dem schwachen Schein des Nachtlichtes sah ich sie im Bett liegen, in einem Arm ihr Lieblingsstofftier und im Mund den Daumen der linken Hand. Bei diesem Anblick verfluchte ich wieder einmal den Job, der mich oft genug daran hinderte, mit ihr mehr Zeit zu verbringen. Und nicht zum ersten Mal dachte ich darüber nach, mich auf eine Stelle im Innendienst zu bewerben, wo die Arbeitszeiten geregelter waren. Doch würden mir die Ermittlungen dann nicht fehlen?

Einerlei. Ich beschloss, diese Überlegungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und jetzt nur zuzusehen, noch ein paar Stunden Schlaf zu finden.

 

Kapitel 2

Patricia

Obwohl ich nur vier Stunden geschlafen hatte, war ich nach der morgendlichen Dusche beinahe munter. Ich war ja noch keine dreißig Jahre alt und steckte den unregelmäßigen Schlaf und die Schichtdienste wohl deswegen noch ganz gut weg. Ich genoss besonders das gemeinsame Frühstück mit Luzie, die wie ein Wasserfall von ihrem gestrigen Schultag erzählte und dabei gleichzeitig ein Bild malte.

»Du solltest noch etwas essen!«, ermahnte ich sie.

»Bin schon satt. Kommt dich Onkel Stuart nachher abholen?«

Ich bestätigte es und sie hielt mir im nächsten Moment ihre Zeichnung hin. »Das seid ihr im Auto. Gefällt es dir? Soll ich es ihm schenken?«

Sie hatte sich alle Mühe gegeben, den Polizeiwagen mitsamt den Blaulichtern zu zeichnen. »Es ist sehr schön geworden! Da wird sich Stuart bestimmt drüber freuen.«

Wie aufs Stichwort klingelte es an der Haustür. Mein kleiner Wirbelwind sprang fast im gleichen Moment vom Stuhl hoch und schoss zur Tür.

»Das habe ich für dich gemalt!«, hörte ich sie rufen, als ich in die Diele kam.

Sie hielt ihm das Bild vor das Gesicht, während er sie hochhob. »Das ist aber sehr schön geworden«, sagte er. »Ist das da hinten ein Verbrecher?«

Luzie blickte ihn an und ich meinte, etwas Enttäuschung in ihrem Mienenspiel zu erkennen. »Das bist doch du, Onkel Stuart.«»Ach, natürlich, jetzt sehe ich es auch! Tut mir leid, aber ich bin wohl noch nicht ganz wach.«

Er überreichte mir Luzie samt Bild und strich meinem Mädchen noch kurz über die Haare. »Und? Bist du immer noch fest entschlossen, dem bösen Mr. Russell auf den Zahn zu fühlen?«

Ich setzte Luzie wieder ab, die etwas enttäuscht mitsamt Bild in ihr Zimmer ging.

»Natürlich. Es ist unsere beste Spur, solange die Technik noch nicht die Verschlüsselung der Dateien geknackt hat. Außerdem will ich ihn ja nicht verhaften, nur mich etwas mit ihm unterhalten.«

»Ich bezweifel, dass er auf eine Unterredung mit dir scharf ist. Du weißt doch, was er für ein Eigenbrötler sein soll. Und dann ist er ja auch kein normaler Mensch, sondern eines dieser merkwürdigen Zwitterwesen.«

»Wir werden hören, was der Captain dazu sagt.« Ich drehte mich um in Richtung Kinderzimmer. »Beeil dich bitte, Luzie! Wir müssen los, sonst kommst du zu spät zur Schule.«

Weitaus weniger enthusiastisch als noch vor einigen Minuten kam meine Tochter mitsamt Schulsachen in die Diele.

»Da hat aber jemand große Lust auf den Unterricht«, sagte Stuart und lachte dabei.

Ich schüttelte innerlich den Kopf. Was Kinder anging, hatte er wirklich sehr wenig Ahnung.

*****

Wir setzten sie bei der Schule ab und ich versprach Luzie hoch und heilig, dass ich diesen Abend mit ihr etwas spielen und sie danach ins Bett bringen würde. Bei solchen Gelegenheiten merkte ich erst richtig, was ich meinem Kind eigentlich antat. Sie wuchs ja nicht nur ohne Vater auf, sondern sah ihre Mutter häufig genug nur zum Frühstück oder Abendessen.

Stuart plauderte während der gesamten Fahrt zum Revier nur von seinen zurückliegenden Wochenendausflügen mit Freunden und Kollegen. Wenigstens ersparte er mir Berichte über irgendwelche Frauenbekanntschaften - eine Sache, für die ich sehr dankbar war. Eigentlich hatte ich das Gespräch auf die Enttäuschung bringen wollen, die er Luzie bereitet hatte, indem er ihr Bild kaum beachtete, aber ich verkniff es mir. Aus irgendeinem Grund war ich mir sicher, dass er es nicht verstanden oder für nicht wichtig erachtet hätte. Außerdem waren wir ja nur Kollegen, nicht mehr.

Im Revier angekommen begab ich mich zunächst in die Technik, um mich nach der Arbeit am Laptop zu erkundigen, während Stuart Captain Brown über unser Vorhaben informieren wollte. Mein Weg war nicht von Erfolg gekrönt und ich hoffte, dass mein Partner bei unserem Vorgesetzten mehr erreicht hatte. Browns Gesicht sprach Bände, was mich nicht verwunderte. Niemand von uns bekam es gern mit diesen merkwürdigen Wesen zu tun und insgeheim wäre ich nicht abgeneigt gewesen, wenn er den Fall jemand anderem zugeteilt hätte. Aber er gab uns schließlich grünes Licht, nachdem er zur Sicherheit auch noch mit seinem Vorgesetzten telefoniert hatte.

»Die machen vielleicht ein Spiel um diese Dinger«, sagte Stuart, während wir das Büro des Captains verließen. »Man könnte meinen, die wären wer weiß wie wichtig.«

»Wir sind ja wohl alle froh, wenn die sich ruhig verhalten. Erinner dich doch nur an den Fall von vor zwei Jahren, als eines der Katzenwesen die Stadt unsicher gemacht hat.«

»Man sollte die einfach einsperren und den Schlüssel wegwerfen«, knurrte er verdrossen.

»Nach dem Gesetz sind es Staatsbürger und haben damit auch gewisse Rechte«, sagte ich und grinste ihn dabei an. »Daran wirst auch du nichts ändern können. Oder gehörst du nun schon zu den ANTIS?«

Die Frage war nicht ganz unberechtigt. Diese etwas obskure Gruppierung gewann in der Bevölkerung immer mehr Rückhalt, seitdem sie mit Derek Fowler einen charismatischen Anführer gefunden hatten. Der Kerl war nicht nur ein begabter Redner und kam in der Öffentlichkeit gut an, er genoss wohl auch die Unterstützung von gut betuchten Gönnern. Jedenfalls litt die Gruppierung keinen finanziellen Mangel.

»Was soll ich denn bei den Spinnern?«, fragte Stuart reichlich missmutig. »Ich finde die sogenannten Wandler einfach nur gruselig, mehr nicht.«

»Einen Fanclub würde ich auch nicht gründen«, erwiderte ich. »Dann schlage ich vor, dass wir uns in die Höhle des Löwen begeben.«

*****

Wir fanden einen Parkplatz ganz in der Nähe des Wolkenkratzers und näherten uns kurz darauf dem protzigen Eingang des Towers.

»Wusstest du, dass ungefähr die Hälfte aller Angestellten Wandler sein sollen?«, flüsterte Stuart mir zu, als wir die Lobby betraten.

Ich schüttelte nur leicht den Kopf, zum einen, weil ich es tatsächlich nicht gewusst hatte, und zum anderen, weil er das Thema jetzt nicht weiter vertiefen sollte. Ich hatte keine Ahnung, ob er es verstanden hatte, aber zumindest sagte er nichts mehr.

»Wir wollen zu Mr. Russell!«, sagte ich dem Pförtner, als wir vor dem ausladenden Empfangstresen standen.

»Es tut mir leid, aber Mr. Russell empfängt niemanden!«, lautete die Antwort, die er wohl dutzende Male pro Tag von sich gab, wenn ich den gelangweilten Ton in Betracht zog.

»Uns wird er wohl empfangen müssen«, sagte ich und zog meine Dienstmarke.

Immerhin zeigte der Mann hinterm Tresen nun ein Funken Interesse. »Um was geht es denn? Vielleicht kann Ihnen auch ein Mitarbeiter weiterhelfen.«

Die Möglichkeit bestand durchaus, aber ich hatte die Erfahrung gemacht, dass man in einer Ermittlung ganz oben in der Nahrungskette anfangen sollte. Falls dies nichts einbrachte, konnte man sich immer noch nach unten durcharbeiten.

»Tut mir leid, aber wir müssen mit Mr. Russell persönlich sprechen.«

Der Pförtner blickte mich so intensiv an, als wollte er meiner Miene entnehmen, um was genau es eigentlich ging. Ich war aber schon immer ein recht guter Pokerspieler gewesen und schließlich gab er es auf.

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte er.

»Geben Sie sich lieber Mühe, bevor wir mit einem Durchsuchungsbeschluss zurückkommen!«, warf Stuart ein und ich konnte nur hoffen, dass der Bluff zog. Denn ein solches Schriftstück würde uns kein Richter der Welt ausstellen.

»Wenn Sie bitte so lange im Wartebereich Platz nehmen würden …«, sagte uns der Angestellte und deutete auf eine Tür am anderen Ende der Empfangshalle.

*****

»Setz dich doch hin. Du machst mich ganz nervös«, sagte ich, weil Stuart nun schon eine geschlagene halbe Stunde auf und ab wanderte.

»Ich verstehe nicht, wie du so ruhig bleiben kannst!« Er blieb vor mir stehen und hielt mir seine Armbanduhr vors Gesicht, als ob ich nicht selbst wüsste, wie lange wir nun schon hier warteten. »Man sollte den ganzen Laden hochnehmen und diesen arroganten Kerl mal ein paar Tage einsperren!«

»Und mit welcher Begründung? Weil uns der geheimnisvolle Firmenleiter hier warten lässt? Immerhin sind wir hier unangemeldet aufgetaucht und da ist es doch einigermaßen verständlich, dass er nicht sofort Zeit für uns hat.«

Er ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. »Du siehst das wirklich bemerkenswert locker.«

Ich wollte gerade etwas erwidern, als die Tür zum Wartebereich geöffnet wurde. Zwei Männer erschienen im Türrahmen und blickten in meine Richtung.

»Mr. Russell erwartet Sie nun, Miss Chandler!«

Stuart sprang auf. »Na endlich!«

Einer der beiden Angestellten hob abwehrend eine Hand. »Bedaure, Detective, aber wir haben den Auftrag, nur Ihre Kollegin zu Mr. Russell zu bringen, niemanden sonst.«

Stuarts Gesicht lief knallrot an und ich befürchtete schon, dass er energisch protestieren würde.

»Ist in Ordnung, Stu! Dann fahr doch zurück zum Revier und sieh im Labor nach dem Rechten. Wenn ich etwas Interessantes erfahre, rufe ich dich an.«

»Bist du dir sicher? Ich meine, wir wissen ja nicht …«

Ich legte ihm besänftigend meine Hand auf den Unterarm. »Es ist ja nur ein Routinegespräch. Wahrscheinlich kommt eh nichts dabei raus. Unsere wichtigste Spur befindet sich ohnehin in der Technik.«

Er nickte zögernd. »Wenn du meinst … dann trete ich den Kollegen etwas auf die Zehen, damit die sich beeilen.«

»Aber hübsch freundlich bleiben«, erwiderte ich und lächelte dabei.

Er grinste zurück. »Du kennst mich doch …«

»Eben deswegen sage ich es ja!«

Er verabschiedete sich von mir und verließ den Raum, nicht ohne den zwei Männern an der Tür einen finsteren Blick zu schenken, den diese aber gleichmütig hinnahmen.

»Folgen Sie uns bitte«, sagte einer der beiden und deutete freundlich in Richtung der Fahrstühle.

Während ich in der chromblitzenden Kabine stand und uns der Aufzug fast geräuschlos nach oben trug, musste ich an den alten Klapperkasten im Revier denken. Der fiel alle zwei Tage aus und blieb mindestens einmal im Monat zwischen den Stockwerken stecken. Die Gefahr bestand bei dem Fahrstuhl bestimmt nicht.

Nachdem wir unser Ziel erreicht hatten, erwartete ich eigentlich, dass Russells Büro auf der Etage lag. Aber stattdessen brachten mich meine Begleiter zu einem weiteren Aufzug, der auch noch mit einem Schlüssel bedient werden musste.

»Mr. Russell empfängt sie in seinen Privaträumen«, klärte man mich auf, als ich nach dem Sinn der ganzen Aktion fragte. »Die erreicht man nur über diesen Privataufzug.«

Ich zuckte nur innerlich mit den Schultern. Es hieß ja nicht umsonst, dass der Mann ein ziemlich verschrobener Sonderling sei. Jedenfalls wappnete ich mich gegen den Anblick eines merkwürdig aussehenden Exzentrikers.

Der Fahrstuhl transportierte uns noch einmal zwei Etagen nach oben. Die Tür glitt auf und ich stand direkt in einem geschmackvoll eingerichteten Salon. Ein Mann begrüßte uns und im ersten Moment nahm ich an, dass es sich dabei um einen weiteren Angestellten handelte, aber ich sollte mich getäuscht haben.

»Vielen Dank, meine Herren!«, sagte er.

Meine beiden Begleiter machten auf dem Absatz kehrt und verschwanden wieder im Aufzug.

»Ich bin William Vandenburgh, Mr. Russells Anwalt«, stellte er sich vor. »Mein Mandant hat sich freiwillig - und gegen meinen Rat, wie ich anmerken möchte - dazu bereit erklärt, Sie zu empfangen. Doch vorher muss ich Sie bitten, mir Ihre Waffe auszuhändigen.«

Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. »Ich bin Detective im Morddezernat und als solche berechtigt, eine Waffe zu tragen. Sie können ja wohl kaum erwarten …«

Vandenburgh hob eine Hand und lächelte milde. »Es ist Ihre Entscheidung, Miss Chandler. Sollten Sie es aber ablehnen, wird es zu keinem Gespräch kommen. Dann müssen Sie sich um einen richterlichen Beschluss kümmern und ich bezweifle doch stark, dass Sie den so einfach erhalten werden. Mit welcher Begründung denn? Mein Mandant hat sich nichts zuschulden kommen lassen.«

Alles in mir drängte mich, im Fahrstuhl zu verschwinden und den aufgeblasenen Lackaffen nicht weiter zu beachten. Aber dann hätten wir den Ausflug ganz umsonst unternommen. Nach kurzem inneren Kampf gab ich nach und überreichte dem Anwalt meine Dienstwaffe. Der lächelte nur freundlich und seine ganze Körperhaltung spiegelte die Frage wider, ob es denn jetzt wirklich so schwer gewesen war. Zuvorkommend öffnete er eine Tür und vollführte mit unnachahmlicher Grandezza eine einladende Handbewegung.

»Mr. Russell erwartet Sie nun.«

Ich ging ohne weiteren Kommentar an ihm vorbei und registrierte kaum, als er die Tür hinter meinem Rücken ins Schloss zog. Zu sehr war ich von der Einrichtung und vor allem von dem Mann fasziniert, der in der Mitte des Raumes stand und nun auf mich zuschritt.

Er reichte mir seine Hand. »Ich bin Anthony Russell. Und Sie sind Miss Chandler, wenn ich mich nicht irre? Bitte entschuldigen Sie die Sicherheitsmaßnahmen, aber mein Anwalt bestand darauf. Wie Sie sich denken können, habe ich in meiner Position einige Feinde.«

Ich ergriff die Hand und drückte sie. »Detective Chandler. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen.« Ich ging gar nicht erst auf seine Entschuldigung ein.

Er deutete einladend auf eine teuer aussehende Sitzgruppe unter einem nicht minder kostbar wirkenden Kronleuchter. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«, fragte er.

Ich lehnte höflich ab, bevor wir uns setzten. Er schmiegte sich behaglich in die Polster und ich nahm mir die Muße, ihn näher zu betrachten, während ich gleichzeitig einen Notizblock aus der Tasche zog. Immerhin war es das erste Mal, dass ich bewusst einem Wandler gegenübersaß. Meine Kenntnisse über diese besondere Art von Menschen waren ziemlich lückenhaft. Ich wusste nur, dass es eine ganze Reihe von Unterarten gab und ich fragte mich, welcher davon Russell wohl angehörte. Jedenfalls sah er unverschämt gut aus und hatte alles, was zu einem richtigen Mann gehörte. Es war diese Aura, die ihn umgab - eine ruhige Selbstsicherheit gepaart mit höflicher Distanziertheit. Gleichzeitig erweckte er den Eindruck, genau zu wissen, was er wollte. Sein freundliches, verbindliches Lächeln war gewinnend und überaus anziehend. Doch am meisten fielen mir seine Augen auf, denen ein fast magischer Glanz innewohnte.

»Was genau führt Sie denn zu mir?«, erkundigte er sich schließlich, als ihm die Pause vermutlich zu lange dauerte.

»Gestern Nacht wurden wir zu einem Verstorbenen gerufen, der ganz in der Nähe Ihres Firmensitzes lag. Kennen Sie zufällig jemanden mit Namen Jensen Beyers?«

Russell überlegte nicht lange, sondern schüttelte sofort den Kopf. »Bedaure, aber diesen Namen höre ich zum ersten Mal.« Er griff sich einen eingeschenkten Drink vom Beistelltisch und nippte daran. Auf mich machte er keinesfalls den Eindruck, als hätte ihn der Name oder die Erwähnung der Leiche irgendwie aus dem Konzept gebracht. »Wie kommen Sie denn auf mich?«

Ich berichtete ihm vom Laptop und den darauf enthaltenen Untersuchungen.

»Sie dürfen dabei nicht außer Acht lassen, dass meine Unternehmung in sehr vielen unterschiedlichen Geschäften tätig ist. Es kommt daher häufig vor, dass Geschäftspartner oder auch gegnerische Parteien mehr über uns und die verschiedenen Unternehmensfelder herausfinden wollen.«

Er heftete seine grünlich schimmernden, durchdringenden Augen direkt auf mich. Eine fast hypnotische Kraft lag diesem Blick inne. »Sie wissen ja auch bestimmt, dass meine Firma von Wandlern geführt wird, oder?«

»Das ist mir bekannt«, erwiderte ich, während ich vergeblich den merkwürdigen Zwang bekämpfte, ihm tief in die Augen zu sehen.

»Dann wissen Sie auch, dass wir sehr viele Feinde haben, die uns alle möglichen Verbrechen in die Schuhe schieben wollen.«

»Das sagten Sie bereits, aber es ist doch ein Unterschied, ob man einer Person geschäftliche Schwierigkeiten bereitet, oder einen Menschen umbringt.«

»Darin stimme ich Ihnen zu. Ich werde meine Angestellten beauftragen, unsere Unterlagen nach dem armen Mr. Beyers zu durchforsten. Es ist ja möglich, dass jemand mit ihm in Kontakt stand. Wenn ich etwas herausfinde, melde ich mich bei Ihnen.«

Wollte er mich loswerden? Jedenfalls sah er auf seine Uhr und schien unruhig zu werden.

»Leider habe ich jetzt nicht mehr viel Zeit«, sagte er und bestätigte damit meine Vermutung. »Was halten Sie davon, wenn wir beide Erkundigungen einziehen und uns heute Abend zum Dinner treffen? Dort können wir unsere Ergebnisse in angenehmerer Atmosphäre austauschen. Natürlich nur, wenn es Ihnen recht ist!«

Es traf mich ziemlich überraschend. Und noch viel mehr wunderte es mich, dass ich gegen die Idee, mit dem Mann gemeinsam zu Abend zu essen, nichts einzuwenden hatte. Es erschien mir im Gegenteil eine reizvolle Idee zu sein.

»Ich habe nichts dagegen, Mr. Russell. Aber wie …«

»Passt es Ihnen denn um acht Uhr?«

»Äh … ja. Und wo …?«

»Ich würde einen Wagen zu Ihnen schicken, der Sie abholt und zum Restaurant fährt - natürlich wird Sie der Chauffeur nach dem Dinner auch wieder zurückfahren. Wäre es Ihnen recht?«

Ich nickte stumm und schrieb dem Mann tatsächlich meine Adresse auf. Obwohl es bestimmt nicht richtig war, versuchte ich mir einzureden, dass es ja nur um den Fall ging. Zufrieden nahm er den Notizzettel an sich, stand auf und reichte mir die Hand.

»Dann bis heute Abend, Miss Chandler. Ich freue mich darauf.«

»Ganz meinerseits!«

Höflich brachte er mich zur Tür, öffnete sie mir und deutete eine leichte Verbeugung an, während ich die luxuriöse Wohnung verließ. Erst als sich die Tür hinter mir schloss, fiel die Verwirrung und Anspannung von mir ab. Der Anwalt, dieser Vandenburgh, wartete schon auf mich und überreichte mir meine Dienstwaffe.

»Hoffentlich war Ihr Gespräch zielführend«, sagte er, aber ich würdigte ihn keiner Antwort. Stattdessen ging ich hinüber zum Aufzug, stieg in die Kabine und fuhr wieder die zwei Stockwerke nach unten. Dort wurde ich ebenfalls in Empfang genommen und in den Wartebereich zurückgebracht, wo Stuart immer noch Spurrillen ins Parkett lief.

»Und? Hat er irgendwas Interessantes gesagt?«, fragte mich mein Partner, nachdem wir das Gebäude verlassen hatten.

Ich berichtete ihm alles und ließ dabei kein Detail aus. In seinem Gesicht wetterleuchtete es und ich sah ihm an, dass er nicht wusste, was er davon halten sollte.

»Das ist doch verrückt!«, sagte er schließlich. »Im Grunde genommen hat er nur gesagt, dass er von nichts eine Ahnung hat, aber mit dir ausgehen will. Was wohl der Captain dazu sagen wird?«

»Wenn du es ihm nicht brühwarm erzählst, wird er es auch nicht erfahren. Außerdem kann ich Russell in ungezwungener Atmosphäre besser auf den Zahn fühlen. Vielleicht hat er ja auch überhaupt nichts damit zu tun. Bisher haben wir ja nicht viel mehr als seinen Namen in den Dateien auf dem Laptop eines Toten.«

Stuart zuckte nur mit den Schultern und schloss den Wagen auf, nachdem wir ihn erreicht hatten. »Versprich mir nur, vorsichtig zu sein! Diese Wandler sind völlig unberechenbar.«

»Und woher weißt du das?«

»Du solltest bei Gelegenheit vielleicht mal einen Blick in die Zeitungen werfen.«

»Wird schon nichts passieren«, murmelte ich, während er den Motor startete und uns zurück zum Revier fuhr.

 

 

Kapitel 3

Anthony

Nachdenklich starrte ich die Tür meines Penthauses an, durch die Miss Chandler gerade gegangen war. Wieso hatte ich sie zum Dinner eingeladen? Warum hatte ich sie überhaupt empfangen? Oft genug waren Anfragen von Reportern oder Fernsehteams hier eingegangen, die ich nicht einmal beantwortet hatte, obwohl es positiv für die Firma gewesen wäre. Eine kleine Homestory hier und ein nettes Interview da … aber ich verabscheute die meisten Menschen - sogar meinen kriecherischen Anwalt, der dort vor der Tür wartete. Und dann empfing ich nicht nur eine unbedeutende Polizistin, sondern ich verabredete mich auch noch mit ihr. Warum nur? War es wirklich nur ihr Anblick auf dem Überwachungsbildschirm gewesen? Wahrscheinlich, denn einen anderen Grund konnte es nicht geben. Irgendwie brachte sie eine Saite in mir zum Klingen, die mir völlig fremd war. Ich sehnte mich förmlich danach, in ihrer Gegenwart zu sein. Es war zu albern!

Normalerweise fühlte ich mich sehr wohl, so ganz alleine in meinem geräumigen Penthaus. Wenn ich in unberührter Natur sein wollte, so besuchte ich das urwüchsige Grundstück, was mehrere Quadratmeilen groß war und zu dem nur ich Zutritt hatte. Dort konnte ich mich in meine ureigene Gestalt verwandeln und ein paar Stunden zubringen, bevor ich wieder in meinem Privatjet zurückflog. Nur selten leisteten mir einige Artgenossen Gesellschaft. Die meisten von uns hatten sich an das Leben unter Menschen angepasst, auch wenn es uns Drachen mit am Schwersten fiel.

Doch nun verspürte ich den Drang, mit jemandem zu reden, und dabei fiel mir als Erstes meine Schwester ein. Mit etwas Glück war sie in ihrer Wohnung und ich konnte mit ihr über die merkwürdigen Gedanken sprechen, die mir durch den Kopf gingen. Ja, das war eine gute Idee!

*****

Im Allgemeinen bin ich kein großer Freund von all den technischen Spielereien, auf die die Menschen so abfahren. Eine Ausnahme bildet das Internet und die Möglichkeit, mit jemandem zu sprechen und diesen sogar auf dem Monitor zu sehen. Ein Mitarbeiter meiner IT-Abteilung hatte das Programm auf dem Rechner narrensicher eingerichtet, sodass ich nur den Namen aus einem Adressbuch eingeben musste, um eine Verbindung zu erhalten.

Also gab ich 'Samantha' ein und sah nach nicht einmal einer halben Minute das erstaunte und verschlafene Gesicht meiner Schwester auf dem Monitor.

»Sieh mal einer an, wer mich zu dieser nachtschlafenden Zeit anruft. Wenn das nicht mein Bruder ist, der sich das letzte Mal vor sechs Monaten gemeldet hat.«

Noch während sie mich begrüßte, kam ich mir albern vor, weil mich die Polizistin so aus dem Konzept gebracht hatte. Ich wechselte daher nur ein paar belanglose Worte mit ihr, doch wie schon in unserer Kindheit konnte ich ihr nichts vormachen.

»Nun spuck schon aus, was los ist!«, sagte sie schließlich. »Du druckst hier rum wie damals, wenn du etwas ausgefressen hattest. Außerdem rufst du mich ja wohl nicht ohne Grund an, oder?«

Wie sollte ich ihr das beschreiben, wenn ich selbst nicht wusste, was es war. Wenn ich ihr sagte, dass meine Verwirrung durch einen Menschen verursacht wurde, war mir ihr Spott sicher. Also sprach ich über irgendwelches krauses Zeug, was relativ wenig Sinn ergab.

»Soll ich vorbeikommen, damit wir mal über alles reden?«, schlug sie schließlich vor und ich merkte, dass sie sich langsam Sorgen machte. Denn mich mal eben besuchen war leichter gesagt als getan. Immerhin wohnte sie fast zweitausend Meilen entfernt von mir.

»Wenn du es einrichten kannst«, rutschte es mir heraus.

»Sonst hätte ich es ja nicht angeboten.« Sie warf einen Blick auf die Uhr hinter sich. »Ich nehme den nächsten Flug und bin wohl spätestens am späten Nachmittag bei dir - nach deiner Zeit natürlich. Tu mir nur einen Gefallen und begehe bis dahin keine Dummheiten!«

Wir beendeten die Verbindung und ich kam mir so albern vor. Da ließ ich Samantha kommen, als wäre ich noch ein Jungdrache und hätte Angst vor dem Monster unter dem Bett. Ich wollte sie schon anrufen und mit einer fadenscheinigen Begründung absagen, aber nein - das hätte meinem irrationalen Verhalten noch die Krone aufgesetzt.

In dem Moment fiel mir ein, dass ich ja noch ein paar Mitarbeiter auf diesen Beyers ansetzen musste. Wenigstens würde ich dabei auf andere Gedanken kommen.

*****

Kurz entschlossen verließ ich meine Wohnung und fuhr hinunter in die Etage, wo die Geschäftsführung ihren Sitz hatte. Obwohl rund die Hälfte aller Mitarbeiter der Firma Wandler waren, starrten sie mich an, als ob ich ein Fabelwesen aus einer anderen Welt wäre. Das mochte daran liegen, dass ich mich so gut wie nie blicken ließ. Warum auch? Mir stand nicht der Sinn danach, irgendwelchen Smalltalk zu halten und ich war darin auch nicht besonders gut. Zudem liefen die Geschäfte glänzend, auch ohne dass ich mich einmischte. Es gab Wandler, die für den Handel und für Verhandlungen ein naturgegebenes Geschick besaßen. Drachen wie ich waren da eher simpel gestrickt. Wir waren mehr handwerklich geschickt und auch zu gebrauchen, wenn eher rustikale Fertigkeiten gefragt waren. Oh, und natürlich auch für alles, was im weitesten Sinne mit Feuer zu tun hatte.

John Millar, der Vorstandsvorsitzende meiner Firma, vor dessen Bürotür ich soeben anlangte, war schlau und gerissen wie ein Fuchs. Besonders sympathisch war er mir nicht, aber seitdem er die Geschäfte leitete, explodierten die Gewinne geradezu.

---ENDE DER LESEPROBE---