Die geheime Drachenschule - Das Tribunal der Sieben Flammen - Emily Skye - E-Book
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Die geheime Drachenschule - Das Tribunal der Sieben Flammen E-Book

Emily Skye

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Beschreibung

Auf Sieben Feuer ist Ruhe eingekehrt. Doch der Friede ist trügerisch, denn Lady Blackstone sinnt auf Rache, und niemand weiß, welche teuflischen Pläne sie diesmal verfolgt. Henry, Lucy und die anderen Drachenreiter müssen jetzt mehr denn je zusammenhalten. Doch unter ein paar ehemaligen Schülern werden auch feindselige Stimmen laut. Sie geben der Goldzunge Henry die Schuld daran, dass Sieben Feuer in großer Gefahr schwebt. Das Tribunal der Sieben Flammen soll über sein Schicksal entscheiden: Muss Henry die Drachenschule wirklich für immer verlassen?

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Seitenzahl: 295

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Karte

Prolog

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Epilog

Alle Clans auf einen Blick

Bastle dir deinen eigenen Teufelsgrind-Papierflieger-Drachen!

Weitere Titel der Autorin

Die geheime Drachenschule

Die geheime Drachenschule –Der Drache mit den silbernen Hörnern

Die geheime Drachenschule –Die Rückkehr des siebten Clans

Die geheime Drachenschule –Das Erwachen der Blattfinger

Titel auch als Hörbuch erhältlich

Emily Skye

Die geheimeDrachenschule

Das Tribunal der Sieben Flammen

Band 5

Mit Illustrationen von Pascal Nöldner

BAUMHAUS

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

BAUMHAUS Verlag in der Bastei Lübbe AG

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

Originalausgabe

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung und Illustrationen: Pascal NöldnerGestaltung Vorsatz, Nachsatz und Ausstellungskatalog: Bastei Lübbe AG

Motive: © shutterstock.com; FLHC A32 / Alamy Stock Foto

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0434-2

luebbe.de/baumhaus

be-ebooks.de

lesejury.de

Für Tristan.E.S.

Für Mortimer.

Prolog

Das Erste, was Henry auffiel, als er erwachte, war der eklige Geschmack in seinem Mund. Als ob er auf einem alten Stück Käse herumgekaut hätte. Als Nächstes stieg ihm ein unbekannter und doch seltsam vertrauter Geruch in die Nase. Er war weit angenehmer als schimmeliger Käse. Eine Mischung aus Feuer, Schwefel und Pfeffer.

Henry tastete in der Dunkelheit umher, und schließlich fanden seine Finger eine kleine Nachttischlampe. Unter ihrem Schirm hing eine dünne Kette, an der er zog. Ein schwaches Licht erhellte das Zimmer. Einen Raum, den Henry noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte.

„Wo bin ich?“, flüsterte er und rieb sich über das Gesicht. Seine Hände fühlten sich rau an. Wie Schmirgelpapier. Im spärlichen Licht der Nachttischlampe starrte er sie an. Seine Hände waren übersät mit feinen Narben. Als ob er in der Vergangenheit immer wieder mit einer Dornenhecke gekämpft oder Pommes mit bloßen Händen aus einer Fritteuse geholt hätte.

Er strich über die Innenflächen. Nichts als Hornhaut und Schwielen. Er hatte die Hände eines Bauarbeiters. Doch er wusste nicht, woher. Was ihn aber am meisten beunruhigte, war die Tatsache, dass er die drei Worte, die er eben geflüstert hatte – WO BIN ICH –, nur auf seinem rechten Ohr gehört hatte. Er versuchte es erneut, diesmal etwas lauter.

„Wo bin ich?“

Kein Zweifel, er war über Nacht auf seinem linken Ohr taub geworden. Henry versuchte, gegen die aufsteigende Panik anzukämpfen. Er schwang sich aus dem Bett und spürte den kalten Steinboden unter seinen nackten Füßen. Als er die ersten Schritte ging, bemerkte er, wie wackelig er auf den Beinen war. Henry holte tief Luft, bevor er den nächsten Schritt tat. Es ging schon besser.

Schnell hatte er die kleine Mansarde durchquert. Mit der einen Hand stützte er sich an der schrägen Wand ab, mit der anderen schob er den dicken Vorhang, der vor das Fenster gezogen worden war, beiseite. Er starrte hinaus. Entweder die Nacht begann gerade oder sie endete. Henry wusste es nicht. Die Straße, auf die er hinabsah, war in dieses schummrige Licht getaucht, das normalerweise kurz vor Sonnenaufgang und kurz nach Sonnenuntergang herrschte. Offenbar hatte es geregnet, denn im Kopfsteinpflaster spiegelten sich die Laternen. Henry versuchte sich zu erinnern. Doch er war sich ziemlich sicher, dass er die verlassene Straße noch nie zuvor gesehen hatte.

Er drehte sich wieder um und schwankte auf die andere Seite des Zimmers. „Wo bin ich?“, flüsterte er noch einmal und zermarterte sich das Hirn, was am Tag davor passiert sein mochte.

An der Wand gegenüber stand ein kleiner Tisch mit einem Stuhl. Über der Lehne des Stuhls hingen seltsame Klamotten. Eine Art Schottenrock, eine Lederhose, ein Leinenhemd und etwas, das wie eine wollene Weste aussah. Er griff nach der Weste und roch daran. Sie verströmte den Geruch nach Feuer, Schwefel und Pfeffer, den er bereits wahrgenommen hatte.

Als er sie zurücklegte, fiel sein Blick auf einen Stapel vergilbter Zeitungen, die auf dem Tisch lagen. Er griff nach der obersten Ausgabe und starrte auf die Titelseite, auf der in fetten Buchstaben vor dem Monster aus dem Arundelsee gewarnt wurde. Angeblich handelte es sich um einen Verwandten des Ungeheuers von Loch Ness. Doch das interessierte Henry nicht weiter. Schließlich dachten sich die Zeitungen während des Sommerlochs doch immer wieder irgendwelche völlig verrückten Geschichten aus! Das wusste jeder.

Was Henry allerdings den Atem stocken ließ, war das Datum der Ausgabe: Freitag, 11. Oktober 2019.

Das konnte nicht sein! Heute war der 20. August 2017! Ein Tag nach Henrys elftem Geburtstag. Gestern hatten sie gegen den FC Millwall gewonnen. Er hatte den Elfmeter zum 2:1-Endstand verwandelt. Henry erinnerte sich daran, wie hinter dem Tor plötzlich ein geheimnisvoller Mann aufgetaucht war. In einem langen schwarzen Mantel und mit feinen Lederschuhen. Auf ihrem matschigen Fußballplatz hatte er wie ein Fremdkörper gewirkt. Doch dann hatte der Mann Henry mit einer unauffälligen Kopfbewegung die Ecke gezeigt, in die er schießen sollte.

Ein Späher der großen Clubs, hatte Henry noch gedacht.

Und dann …

Dann …

Henry schlug sich gegen die Stirn. Doch da war nichts mehr. Keine weitere Erinnerung. Er griff sich in die Haare und zog daran. Doch es nützte nichts. Nach dem geheimnisvollen Fremden kam nichts mehr. Henry erinnerte sich einfach nicht. Die Panik in ihm wurde größer. Sie überrollte ihn wie eine Dampflok.

Er ließ die Zeitung fallen und griff nach einer weiteren Ausgabe. 10. Oktober 2019. Die nächste war vom 9. Oktober, die darunter vom 8. So viele Druckfehler konnten kein Zufall sein.

Als Henry nach der nächsten Ausgabe griff, rutschte der gesamte Stapel vom Tisch und fiel polternd zu Boden. Henry war es egal. Er pfefferte die Ausgabe, die er in der Hand hielt, quer durchs Zimmer und warf sich aufs Bett. Was zur Hölle war passiert? Und wo hatte man ihn hingebracht?

Seine Gedanken rasten, als mit einem Mal dumpfe Schläge die schmale Tür zu seiner Mansarde erzittern ließen. Henry krabbelte auf dem Bett rückwärts, bis er die kalte Wand in seinem Rücken spürte, und starrte stumm auf die Tür. Ohne dass er jemanden hereingebeten hätte, öffnete sie sich langsam.

Ein Mann wie ein Berg betrat mit schweren Schritten den kleinen Raum. Er ging leicht gebückt, damit er sich nicht den Kopf an der Dachschräge stieß, und fixierte Henry mit einem Auge. Da, wo das andere Auge hätte sein sollen, prangte eine Augenklappe. Der Mund des Mannes lag verborgen hinter einem struppigen Schnurrbart. Seine grauen Haare wuchsen in wilden Strähnen unter seinem Hut hervor und reichten ihm bis auf die Schultern.

So sehen Entführer aus, schoss es Henry durch den Kopf. Er presste seinen Rücken so fest gegen die Wand, wie er konnte.

„Guten Morgen, Henry“, knarrte die Stimme des Mannes. „Mein Name ist Duncan McBain. Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr, aber ich war in den letzten Jahren dein Lehrer.“

Henry starrte den Mann aus weit aufgerissenen Augen an. Er hatte ihn noch nie zuvor gesehen.

Es lief gar nicht gut für die Kometen. Die ersten beiden Spiele der Saison hatten sie zwar gewonnen, doch ihr heutiger Gegner, die Himmelsstürmer, ebenfalls. Und zwar mit einem wesentlich höheren Punktvorsprung als sie. Wenn die Kometen die Tabellenführung übernehmen wollten, musste also ein Sieg her. Nur so würden sie ihrem großen Traum ein gutes Stück näher kommen: den Pokal der Sieben Flammen zu gewinnen!

Den Himmelsstürmern war das bereits ein Mal gelungen. Doch das schien sie nur anzuspornen, es ein zweites Mal zu versuchen. Nachdem die Wolkenbrecher Fiona, Dex und Marc Sieben Feuer verlassen hatten, galten die Himmelsstürmer als das beste Team der Insel. Das wollten die Kometen ändern.

Henry biss die Zähne zusammen und blinzelte die Träne weg, die ihm der kalte Wind in die Augen trieb. Es war zum Verrücktwerden! Sie waren die bessere Mannschaft, und doch lagen sie mit 5:7 hinten.

Ist es nicht wundervoll?, fragte Phönix, der das Band zu Henry geknüpft hatte, vergnügt und sauste gefährlich dicht über die Felsen der Drachenzahnbucht hinweg.

Gischt spritzte Henry ins Gesicht, und er blinzelte erneut. „Wir liegen zwei Punkte zurück! Was soll daran bitte schön wundervoll sein?“

Du und dein Ehrgeiz, tadelte ihn Phönix. Genieß doch einfach das Spiel, und freu dich daran, dass alle so viel Spaß haben.

Henry war sich ziemlich sicher, dass Edward und Timothy gerade genauso wenig Spaß hatten wie er. Doch statt etwas zu erwidern, ließ er die dreizehnte Schuppe des Rückenkamms los und rutschte seitlich den Rücken seines Drachen hinab.

Hey!, rief Phönix erschrocken.

Doch Henry hatte den Scorer entdeckt. Edward hatte einen verzweifelten Passversuch unternommen. Der Scorer zischte knapp über dem Wellenkamm und zwischen den Felsen hindurch in ihre Richtung. Henry hing nun unter seinem Drachen. Mit der einen Hand hielt er sich an Phönix’ Klaue fest, die andere streckte er der heranfliegenden Scheibe entgegen. Seine Finger waren kalt und taub. So wie sein gesamter Körper. Doch er reckte sich weiter.

„Sammle mich gleich wieder ein!“, rief er Phönix zu und ließ dessen Klaue los. Das verschaffte ihm die nötigen Zentimeter, um in Reichweite des Scorers zu kommen. In dem Moment, in dem sich seine Hand um die Spielscheibe schloss, titschte er auf dem Wasser auf. Doch nur einen Wimpernschlag später spürte er Phönix’ Klaue, die sich um seinen Körper schloss und nach oben riss. Haarscharf vorbei an einem Felsen, der die Wellen zerschnitt.

Bist du jetzt völlig übergeschnappt?, keifte ihn Phönix an.

„Schnell, nach vorn! Uns läuft die Zeit davon“, ignorierte Henry die Frage seines Drachen.

Phönix schüttelte empört sein Drachenhaupt, gehorchte aber und sauste über das Spielfeld in die Hälfte ihrer Gegner. Währenddessen kletterte Henry den Rücken seines Drachen wieder hinauf, um hinter die dreizehnte Schuppe zu gelangen. Aus den Augenwinkeln nahm er die gegnerischen Spieler wahr, die völlig überrumpelt hinter ihm herjagten. Mit dieser Harakiri-Aktion hatten sie nicht gerechnet.

Henry drehte den Scorer in seiner Hand. Wie so oft hatte er seine Handschuhe vergessen, und die scharfen Ränder der Scheibe hatten Schnitte hinterlassen. Doch im Moment spürte er nichts davon. Konzentriert kniff er ein Auge zu, zielte auf die blutrote Fläche des bunt bemalten Stamms ihrer Gegner und warf. Im selben Moment ertönte das lang gezogene dumpfe Tuten des Signalhorns, das das Ende des Spiels verkündete. Doch noch bevor der Laut verklungen war, steckte der Scorer zitternd im gegnerischen Holzpfahl. Während die Kometen jubelten, stöhnten die Himmelsstürmer enttäuscht auf.

„Wo? Wo steckt er? Rot oder blau?“, rief die Kapitänin der Himmelsstürmer aufgeregt, während sie in die Richtung ihres Pfahls sauste.

Henry befahl Phönix, ihr hinterherzujagen. Er war sich sicher, dass er den roten Bereich getroffen hatte. Rot bedeutete drei Punkte, und das hieß, sie hatten das Spiel gewonnen.

Als sie den Pfahl erreichten, hatte Darius den Scorer bereits aus dem Stamm gezogen. Darius war der jüngere Cousin von Dex, einem der ehemaligen Spieler der Wolkenbrecher, mit dem Henry auf und neben dem Spielfeld immer wieder aneinandergeraten war. Und Darius stand seinem Cousin in Gemeinheit in nichts nach. Er hetzte gegen Henry, wo er nur konnte, denn seine Goldzungenfähigkeiten missfielen ihm. Was Henry jedoch viel schlimmer fand: Darius spielte genauso unfair, wie es einst Dex getan hatte.

„Tut mir leid“, begrüßte Darius sie mit einem fiesen Grinsen. „Der Scorer hat leider nur im blauen Bereich gesteckt. Unentschieden.“

Die breiten Schwingen seines Vierhorns blähten sich im Wind.

„Du hättest ihn nicht rausziehen dürfen!“, beschwerte sich Edward, als er bei ihnen eintraf.

„Ups“, entgegnete Darius nur und zuckte mit den Schultern.

„Ich hab den Scorer ganz klar im roten Bereich gesehen“, keuchte Henry.

„Tja, da scheinst du dich wohl verguckt zu haben“, entgegnete Darius.

„Schwachsinn!“, regte sich Henry auf. „Du lügst doch.“

Das Grinsen verschwand aus Darius’ Gesicht. „Pass bloß auf, was du sagst. Sonst reiß ich dir deine Giftzunge raus!“

„So, jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder“, ging die Kapitänin der Himmelsstürmer dazwischen. „Es stimmt, Darius hätte den Scorer nicht rausziehen dürfen. Aber Drachenball ist ein Ehrensport. Niemand aus meinem Team würde absichtlich betrügen.“

Im selben Moment landete Wellentänzerin auf der Spitze des Pfahls. Lucy hatte das Ende des Spiels von der Seitenlinie aus verfolgt. Nach dem Abpfiff hatte sie sich sofort auf den Weg zu ihnen gemacht. Sie hatte einen siebten Sinn, wenn es darum ging, dass sich Henry in Schwierigkeiten brachte.

„Du erinnerst dich schon daran, dass Darius’ Cousin Dex Henry bei unserem allerersten Spiel mit einem unsichtbaren Defender abgeschossen hat, oder?“

„Darius ist nicht Dex“, verteidigte die Kapitänin ihren Spieler.

„Zu betrügen scheint aber bei denen in der Familie zu liegen“, spuckte Henry aus.

„Sei froh, dass du auf dem Rücken deines Drachen sitzt, sonst hätte ich dir schon längst eine Abreibung verpasst, Giftzunge!“, rief Darius.

„Ach ja? In zwei Minuten auf dem Drachenacker. Dann werden wir ja sehen, wer hier wem eine Abreibung verpasst“, forderte Henry ihn heraus und sauste davon.

„Nicht, Henry! Er ist es nicht wert“, rief Lucy ihm hinterher. Doch der Wind verschluckte ihre Worte.

Der Junge ist zwei Köpfe größer als du, gab Phönix zu bedenken, nachdem Henry ihm wutentbrannt berichtet hatte, was passiert war.

„Ich habe es so satt“, stieß Henry hervor. „Ständig muss ich mir von so Typen wie Darius vorwerfen lassen, dass ich ein Verräter bin. Das hat jetzt ein für alle Mal ein Ende.“

Und dadurch, dass du dich von ihm verprügeln lässt, ändert sich … was?, fragte Phönix verblüfft.

„Ach, halt die Klappe!“

Darius hatte sie überholt und erwartete sie bereits, als sie am Drachenacker ankamen. Und noch bevor Phönix richtig gelandet war, ließ Henry sich von seinem Rücken gleiten. Er stolperte und ging auf die Knie.

Doch Darius machte keine Anstalten, das für seinen Vorteil zu nutzen. Mit einem kalten Lächeln im Gesicht wartete er, bis Henry sich wieder aufgerappelt hatte.

Unterdessen landeten auch die anderen auf dem Drachenacker.

Henry war zu wütend, um sich über Darius zu wundern. Er stürmte auf ihn zu, holte aus und gab ihm eins auf die Nase.

Darius verzog das Gesicht und torkelte einige Schritte rückwärts. Henry hielt keuchend inne. Warum hatte Darius sich nicht gewehrt?

„Hat jeder von euch gesehen, wer angefangen hat?“, fragte er gemein lächelnd in die Runde.

„Komm schon, Darius, lass es gut sein“, versuchte sein Mitspieler, ihn zu beruhigen.

Arthur wog den Kopf hin und her. „100% Henry“, sagte er, auch wenn es ihm ganz offensichtlich nicht gefiel, das zuzugeben.

„Ganz genau“, zischte Darius, und in seinen Augen flackerte es gefährlich auf, bevor er auf Henry zustürmte und sich auf ihn warf. Henry hatte keine Chance. Darius war kräftiger und hatte längere Arme als Henry. Und auf dem sumpfigen Drachenacker war Henry nicht so wendig und schnell wie sonst. Immer wieder knüpfte Phönix das Band zu ihm, doch Henry verbot seinem Drachen, sich einzumischen.

Das übernahm Master Duncan.

Mit seiner riesigen Pranke packte der Lehrer Darius am Kragen und zerrte ihn von Henry weg. „Schon wieder, Henry?“, brummte er. „Versteh ich das richtig? Ihr zwei wollt unbedingt bis zum Jahresende Drachenmist schaufeln?“

Darius hob abwehrend die Hände. „Kein Bedarf“, keuchte er.

„Und du, Henry?“

Henry kniete im Schlamm. Ihm war übel, und er bekam keine Luft. Darius hatte ihm ein paarmal in die Magengrube geboxt. Und dem Geschmack in seinem Mund nach zu urteilen, blutete seine Lippe. Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Immerhin. Die schienen noch alle drin zu sein.

Henry knüpfte das Band zu seinem Drachen. „Schätze, den Kampf habe ich verloren.“

Mehr verlieren geht, glaube ich,nicht, bestätigte Phönix mitfühlend.

„Henry?“, kam es erneut von Master Duncan.

Henry rappelte sich mühsam auf. „Keine Sorge. Ich bin fertig mit ihm“, nuschelte er.

Darius lachte auf. „Wie überaus großzügig von der Giftzunge.“

„Wer von euch hat angefangen?“, schnitt Master Duncan ihm das Wort ab.

Eine Stille legte sich über den Drachenacker, und nur der Wind, der über die Heidelandschaft heulte, war zu hören. Niemand sagte ein Wort. Darius und Henry starrten verbissen zu Boden, und auch ihre Teams schwiegen.

„Arthur?“ Master Duncan fixierte ihn.

Arthur wand sich schweigend unter Master Duncans Blick und zog gequält an den Lederriemen seiner Drachenballkappe. Doch so unerbittlich der eisige Wind über den Drachenacker wehte, so unerbittlich hielt Master Duncan sein Auge auf Arthur gerichtet.

Henry war es, der schließlich die Stille durchbrach.

„Ich habe angefangen“, murmelte er und wischte sich etwas Blut von der Unterlippe.

„100% ungerecht“, murmelte Arthur.

Master Duncan warf Henry einen enttäuschten Blick zu.

Edward konnte nicht mehr an sich halten und platzte damit heraus, was wirklich passiert war. Doch als er fertig war, tat Master Duncan seinen Bericht mit einer Handbewegung ab und fasste in dürren Worten zusammen: „Henry hat Darius angegriffen. Nicht umgekehrt. Grobe Unsportlichkeit nach dem Spiel. Deshalb verhänge ich eine Strafe gegen die Kometen. Drei Punkte Abzug.“

„Wir haben gewonnen?“, fragte Darius verblüfft und fing an zu lachen. Er reckte die Hand in die Luft und wollte mit seinem Team abklatschen. Doch die Kapitänin der Himmelsstürmer schüttelte heftig den Kopf.

„Wirklich, Darius?“, fragte sie. „So willst du gewinnen?“ Und ohne ein weiteres Wort kletterte sie auf ihren Drachen und flog davon.

Timothy kickte wütend gegen einen Stein, der mit einem leisen Platschen in einer Pfütze landete. Der Drachenacker hatte sich nach drei Wochen Dauerregen in eine flache Seelandschaft verwandelt.

„Ihr wisst, was das bedeutet, oder?“ Er funkelte sein Team zornig an. „Dank Henrys Wutausbruch war’s das mit der Meisterschaft. Wenn die Himmelsstürmer ihre restlichen Spiele gewinnen, gehört der Pokal ihnen.“

„Timothy …“, versuchte es Henry zaghaft, doch sein Freund schwang sich ebenfalls auf seinen Drachen und ließ Henry und sein Team im Regen stehen. „Master Duncan“, flehte Henry. „Bitte, lassen Sie die Kometen da raus. Die können nichts dafür. Das Spiel war doch schon vorbei. Wenn Sie wollen, schaufle ich bis an mein Lebensende Drachenmist oder putze Goldmünzen.“

Master Duncan schüttelte den Kopf. „Henry, du kapierst es nicht, oder?“, stieß er hervor. „Du kannst von Glück reden, wenn die anderen Master deinen Angriff auf Darius nur als Unsportlichkeit beim Drachenballspiel werten.“

Henry saugte weiter an seiner blutenden Unterlippe und sah Master Duncan verständnislos an. Der stemmte die Arme in die Seite.

„Schon vergessen? Prügeleien unter Drachenreitern sind strengstens verboten und Grund genug, dich von der Schule zu werfen. Nach deinem Streit mit Timothy im ersten Jahr ist das jetzt schon das zweite Mal, dass du dich geprügelt hast. Und falls du es noch nicht mitbekommen hast: Es gibt eine Menge Leute, die nicht gerade begeistert davon sind, dass auf Sieben Feuer wieder eine Goldzunge ist.“

„Nicht mitbekommen?“, rief Henry empört. „Seitdem das dritte Jahr begonnen hat, vergeht kein Tag, an dem ich es nicht mitbekomme. Giftzunge, Verräter, Lügenflüsterer, Betrüger – suchen Sie sich was aus. So begrüßen sie mich jeden Morgen und jeden Abend, wenn ich die große Halle betrete.“

Master Duncan beugte sich zu Henry hinunter. So schnell, dass das Wasser, das sich in der Krempe seines Hutes gesammelt hatte, überschwappte. Er stieß seinen Zeigefinger gegen Henrys Brust. „Und genau aus diesem Grund solltest du dich nicht von Darius provozieren lassen. Nicht wegen so einer Lappalie wie einem Sieg beim Drachenball. Oder glaubst du etwa, dass dein Auftritt irgendwem genutzt hat?“

„100% negativ“, antwortete Arthur für Henry.

Henry atmete schwer, ballte die Fäuste, sagte aber nichts.

Master Duncan rieb sich über das Gesicht. „Ich bin doch auf deiner Seite, Henry“, murmelte er müde. Als Henry nichts erwiderte und seinen Lehrer durch den Regen nur trotzig anstarrte, schob Master Duncan ihn sanft, aber bestimmt in Richtung seines Drachen. „Los, Abmarsch ins Krankenzimmer.“

Henrys Kiefer mahlten, aber er nickte stumm und nahm auf Phönix Platz. Doch als er das Band zu seinem Drachen geknüpft hatte, befahl er ihm, zum gähnenden Abgrund zu fliegen. In die Drachenhöhle, die Phönix sich mit Happy teilte.

Henry versuchte, den vertrauten Geruch des Drachennests einzusaugen, als sie durch das Loch in der Steilwand in die Höhle flogen und auf dem felsigen, mit Stroh ausgelegten Untergrund landeten. Doch seine Nase war leicht geschwollen, sodass er kaum etwas riechen konnte.

Entnervt rutschte er von Phönix’ Rücken. Immerhin hatte seine Lippe aufgehört zu bluten. Allerdings zitterte sie nun vor Kälte. Er war nass bis auf die Knochen, und obwohl es auf Sieben Feuer schon fast Sommer war, kletterte das Thermometer selten über 15 Grad. Und der eisige Nordwind blies das bisschen Wärme, das die Sonne durch die dicken Wolken geschickt hatte, im Nu davon.

Dir ist kalt, oder?, fragte Phönix mitfühlend.

Den Flug über hatten sie geschwiegen, doch nun hatte sein Drache wieder das Band zu ihm geknüpft. Henry nickte.

Ich kann zwar nicht wie Wellenreiterin heiße Luft auf dich pusten, aber die Höhle bekomme ich trotzdem schön warm, ließ er Henry stolz wissen. Er setzte sich auf die Hinterläufe, legte sein mächtiges Haupt in den Nacken und spie einen nicht enden wollenden Feuerschwall über sich an die Decke. Und während die Flammen an den Steinen leckten und der Ruß sie schwarz färbte, wurde es muckelig warm in der Höhle.

Henry rieb sich über die Arme und seufzte wohlig, doch schon im nächsten Moment donnerte eine Stimme durch seinen Kopf.

Was soll der Radau?

Happy, der alte Teufelsgrind, hatte das Band zum ihm geknüpft und kam wie ein dunkler Felsen aus dem hinteren Bereich der Höhle nach vorne gestapft.

Ich lege mich mal vor den Eingang, damit die Wärme nicht direkt wieder aus der Höhle entweicht, ließ Phönix Henry wissen und schob sich rückwärts.

Im Dämmerlicht der Höhle kam Happy näher. Seine Augen, grün und leuchtend wie zwei Gaslaternen, waren auf Henry gerichtet. Er musterte ihn schweigend und seufzte dann.

Du siehst aus, als hättest du eine ziemliche Abreibung bekommen, stellte er fest.

„Du hast also nicht beim Spiel zugeguckt?“, fragte Henry.

Bei dem Wetter? Vergiss es.

Henry ließ den alten Teufelsgrind an seinen Erinnerungen teilhaben: an seinem gewagten Manöver kurz vor Ende des Spiels, an seinem Wurf auf den gegnerischen Punktestamm und an Darius’ Behauptung, der Scorer hätte im blauen statt im roten Bereich gesteckt.

Dieser kleine Mistkäfer, regte Happy sich auf. Es gibt doch nur einen Grund, warum er den Scorer aus dem Stamm gezogen hat.

„Ganz genau!“, pflichtete Henry ihm bei. Es tat gut, dass jemand auf seiner Seite war.

Aufgeregt zeigte er Happy, was als Nächstes passiert war.

Das darf doch nicht wahr sein!, empörte sich Happy.

„So ist es!“, rief Henry. Wer hätte das gedacht! Der alte Griesgram war auf seiner Seite. Doch Henrys Hochgefühl dauerte nur einen kurzen Moment.

Du bist noch genauso heißblütig und töricht wie am ersten Tag, polterte Happy weiter.

„Hä?“ Mehr brachte Henry nicht hervor. Er fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen.

Mir war ja von Anfang an klar, dass dein Verstand nicht der hellste Stern am Firmament ist, schimpfte Happy weiter. Aber ich hätte durchaus gehofft, dass wenigstens ein Funken meiner Intelligenz auf dich überspringen und das dunkle Nichts zwischen deinen Ohren erleuchten würde.

„Wieso motzt du mich denn jetzt so an? Ich habe nicht beim Spiel betrogen. Und ich habe auch nicht mit den Beleidigungen angefangen.“

Happy unterbrach ihn. Dieser Darius hat dir einen Kessel voller Ohrfeigen vor die Füße geschoben. Und was machst du? Ohne dich groß bitten zu lassen, springst du bereitwillig hinein.

„Aber …“

Nichts aber! Happy kam nun richtig in Fahrt. Du siehst doch, wo dein falscher Stolz dich hingebracht hat. Dein Gesicht ist verbeult, Master Duncan und deine Freunde sind sauer auf dich, und das Spiel ist verloren. Und ganz ehrlich. Das ist noch nicht mal dein größtes Problem, fauchte Happy. Ich muss nachdenken.

Er kappte das Band zu Henry.

Der ließ sich mit hängenden Schultern auf einen Berg Stroh in der Ecke fallen.

Phönix warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. Ist Happy auf dich auch böse?, fragte er.

„Ja“, murrte Henry einsilbig. „Hab ’ne ganz schöne Standpauke bekommen.“

Eine Pauke ist ein Instrument, richtig?, fragte Phönix. So was wie eine Trommel. Hab gar nicht gesehen, wie er sie dir überreicht hat. Aber das ist doch eigentlich ganz nett von ihm, oder?

Henry schüttelte genervt den Kopf. „Ach, Phönix, das sagt man doch nur so“, erklärte er frustriert. „Eine Standpauke gehalten bekommen. Happys Worte waren im bildlichen Sinn so laut und mächtig wie Paukenschläge. Um mir mal wieder zu sagen, dass ich alles falsch gemacht habe.“ Er ließ den Kopf hängen und schlang die Arme um seine Knie.

Hast du denn wirklich alles falsch gemacht?, fragte Phönix mitfühlend.

Du hast wirklich alles falsch gemacht, Henry! Happy hatte erneut das Band zu ihm geknüpft. Stimmt es, dass die Alumni derzeit auf Sieben Feuer weilen?

Henry hob den Kopf und nickte. „Jep, der Rat der Ehemaligen trifft sich schon zum dritten Mal in diesem Jahr. Um sich zu beraten. Wegen der Blattfinger, die Lady Blackstone hat.“

Und wegen des Blutes, das Lady Blackstone dir abgezapft hat, um die beiden zum Leben zu erwecken, erinnerte ihn Happy.

Henry presste die Lippen aufeinander. Und sofort fing seine Unterlippe wieder an zu bluten. Ärgerlich wischte er das Blut weg. „Schon klar, spuck’s ruhig aus! Du wärst nicht der Erste, der mir das unter die Nase reibt. Ich bin schuld, dass die alte Hexe Sieben Feuer wieder gefährlich werden kann.“

Du überschätzt dich, sagte Happy herablassend. Was ich denke, ist außerdem nicht wichtig. Wichtig ist, was die Alumni denken. Und dein heutiger Auftritt hat sicher nicht geholfen, dass du ihr Vertrauen zurückgewinnst. Du …

Das Band zu Happy riss abrupt ab. Henry begann instinktiv, nach dem alten Grind zu tasten. Doch Happy ließ nicht zu, dass er wieder das Band zu ihm knüpfte.

Bitte!, dachte Henry. Dann halt nicht. Ihm war sowieso nicht danach zumute, sich weiter von dem alten Griesgram belehren zu lassen.

Er wollte schon gehen, als das Band mit einem Mal wieder da war. So stark wie ein Peitschenhieb. Warte!, befahl der alte Teufelsgrind ihm und kappte das Band erneut.

Henry ließ sich ratlos auf dem Strohhaufen nieder. Was für ein schrecklicher Tag.

Schließlich beugte sich Happy zu ihm herab. Die schmalen Sicheln in den untertassengroßen Augen fixierten ihn, und der Drache knüpfte erneut das Band zu ihm. Diesmal sanfter.

„Was war das denn gerade?“, wollte Henry wissen, doch der alte Grind ging nicht auf seine Frage ein.

Ruhe, Zwerg!, sagte er ernst. Hör mir jetzt gut zu. Einmal in deinem Leben sollte dir das doch gelingen.

Henry schwieg. Happy hatte ihn schon häufiger ausgeschimpft, als er zählen konnte. Doch jetzt lag etwas in der Stimme des Grinds, das ihm Angst machte. Es war Mitleid.

Ich spüre es in meinen alten Knochen. Dunkle Zeiten stehen dir bevor, Zwerg. Du wirst alles verlieren. Und wenn du alles verloren hast, wirst du nicht einmal wissen, dass es passiert ist.

„Was redest du da?“, sagte Henry. „Und mal ehrlich. Viel schlimmer als jetzt kann es doch kaum werden.“

Du hast ja keine Ahnung, unkte Happy.

„Sag mal, heulst du jetzt etwa?“, fragte Henry alarmiert. Im linken Auge des alten Grinds sammelte sich eine Träne.

Streck deine Hände vor, befahl der Grind, ohne auf Henrys Frage einzugehen.

Ein kalter Luftzug ließ Henry frösteln. Phönix hatte sich vom Höhleneingang erhoben und war zu ihnen gestapft. Instinktiv hatte er wahrgenommen, dass etwas sehr Bedeutsames geschah.

Als er die Träne in Happys Auge glitzern sah, knüpfte er das Band zu Henry.

Schnell, befahl er seinem Reiter. Fang sie auf.

Und als die Träne aus Happys Augenwinkel trat, ihm die schuppige Wange hinablief und schließlich von seinem kantigen Kiefer tropfte, waren Henrys Hände da, um sie aufzufangen. Und er erinnerte sich, wo er diese Szene schon mal gesehen hatte: bei der Verabschiedung der Drachenreiter.

Die Träne war so heiß, dass Henry sie über die Finger in seine Handflächen und wieder zurück rollen lassen musste, um sich nicht zu verbrennen. Und obwohl seine Hände mit Schwielen und Hornhaut übersät waren, hinterließ die Träne eine rote Spur auf seiner Haut. Henry blies, bis die Träne erkaltete und hart wurde. Sie hatte die Größe eines Taubeneis und sah aus wie aus rötlich schimmerndem Glas. Man hätte durch sie hindurchschauen können, wäre da nicht die kleine Flamme in ihrem Innern gewesen, die hin und her zuckte. Henry zwang sich, den Blick von der Flamme zu lösen und Happy anzuschauen.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte er besorgt.

Du weißt, was die Träne der Erinnerung ist?, fragte der alte Teufelsgrind.

Henry nickte. Die Träne der Erinnerung war das größte Geschenk, das ein Drache seinem Reiter machen konnte. Es waren die schönsten Erinnerungen an ihre gemeinsamen Zeit, eingefangen in einer Träne, die so hart war wie ein Diamant.

Happy beugte sich noch ein Stück weiter vor. So weit, dass die Nüstern seines riesigen Kopfes fast an Henrys Nase stießen und Henry den heißen Atem des Drachen auf seinem Gesicht spürte.

Henry McGregor, sagte er feierlich. Versprich mir, dass du die Träne wie deinen Augapfel hütest. Sie ist das Licht, das dir in der Dunkelheit den Weg weisen wird.

Henry schluckte.

Versprich es mir, forderte der alte Grind ihn erneut auf.

„Ich verspreche es“, stammelte Henry und ließ die Träne der Erinnerung in seine Tasche gleiten.

Henry hatte sich notdürftig das Gesicht gewaschen. Seine Nase war geschwollen, der Riss in seiner Lippe pochte, und um sein rechtes Auge blühte ein prächtiges Veilchen. Ein Besuch bei Mistress Leonella im Krankenzimmer wäre sicher mehr als sinnvoll gewesen, doch ihm blieb keine Zeit. Er würde es auch so schon nicht rechtzeitig zum Abendessen schaffen.

Unter den tadelnden Blicken seiner Lehrer und der Alumni, die sich ebenfalls zum Dinner in der großen Halle eingefunden hatten, huschte Henry an den Tisch des dritten Jahrgangs. Chloé und Casper, die nicht beim Drachenballspiel gewesen waren, starrten ihn erschrocken an.

„Ich habe euch doch gesagt, dass er aussieht, als ob sich Phönix aus Versehen auf sein Gesicht gesetzt hätte“, motzte Timothy, der immer noch sauer darüber war, dass sie dank Henrys Wutausbruch das Spiel verloren hatten.

„Oh Mann, Henry“, sagte Chloé und drückte mitfühlend seine Hand.

„Ich verstehe einfach nicht, was ihr an diesem Sport findet“, sagte Casper kopfschüttelnd.

Was Drachenball anging, war er eine ziemliche Enttäuschung gewesen. Nach ihrem Abenteuer in Arundel waren er und die alte Drachendame Arundula mit nach Sieben Feuer gekommen. Und während alle anderen ihre Sommerferien zu Hause bei ihren Familien verbracht hatten, war Casper auf Sieben Feuer geblieben: um die Prüfungen zum Drachenreiter abzulegen und den Stoff nachzuholen, den sie in den ersten beiden Jahren gelernt hatten. Denn anders als bei Violet hatten die Lehrer entschieden, dass Casper in ihren Jahrgang kommen sollte. Es gab zwar keine Unterlagen aus dem Waisenhaus, die genau belegen konnten, wie alt Casper war, doch seine Statur und seine dunkle Stimme ließen darauf schließen, dass er mindestens so alt war wie Henry und die anderen aus ihrem Jahrgang.

Henry hatte seinen Frieden mit Casper gemacht, und das, obwohl er ihn am Anfang nicht ausstehen konnte. Aber ihr Abenteuer in Arundel hatte die beiden zusammengeschweißt, und es hatte sich herausgestellt, dass ein echter Drachenreiter in Casper steckte.

Edward und Timothy hatten anfangs nur schwer verstehen können, dass der Neue null Interesse an Drachenball zeigte. Und das, obwohl er ein absolutes Naturtalent im Drachenreiten war. Vielleicht sogar noch besser als Henry. Doch statt über das Spielfeld in der Bucht der Drachenzähne zu jagen, erkundete Casper lieber das Meer und die Inseln, die sich innerhalb der goldenen Grenze befanden. Am liebsten gemeinsam mit Chloé. Die beiden waren vom ersten Augenblick an unzertrennlich gewesen.

Genau wie Arundula und Pan. Der junge Blattfinger konnte sein Glück kaum fassen, dass er nun nicht mehr der Einzige seiner Art war. Arundula kümmerte sich um den jungen Drachen, als wäre er ihr eigener Sohn. Es hatte nicht lange gedauert, bis Pan aus Happys Höhle am gähnenden Abgrund ausgezogen war, um zu Arundula zu ziehen, die es sich in einer der verlassenen Höhlen gemütlich gemacht hatte.

Und so verging das dritte Schuljahr ohne größere Vorkommnisse. Obwohl sich alle der drohenden Gefahr, die von Lady Blackstone ausging, bewusst waren, verlief der Schulalltag recht normal.

Zumindest fast. Denn die Master und Alumni hatten beschlossen, die goldene Kompanie wiederauferstehen zu lassen. Früher war sie das Heer der Drachenreiter gewesen. Das Heer, mit dem vor Jahrhunderten die Clan-Chefs des Bündnisses in ihre Schlachten gezogen waren. Jetzt waren es ehemalige Drachenreiter, von denen einige Sieben Feuer bewachen und beschützen sollten und andere Lady Blackstone im Blick behielten. Während ein Teil der Kompanie an der goldenen Grenze Posten bezog, hatte sich der Rest an der Tafel der Master eingefunden. Genauso wie der Rat der Alumni.

Henry sah, dass eine hitzige Diskussion im Gange war und es Mastern und Alumni kaum gelang, ihre Stimmen zu dämpfen.

„Wer außer Master Duncan gehört noch mal alles zum Rat der Alumni?“, wandte sich Henry an Arthur und stocherte dabei lustlos in seinem Chili con Carne herum. Warum musste es ausgerechnet heute Abend so ein scharfes Gericht geben? Bei jedem Bissen brannte seine Unterlippe wie Feuer.

Arthur, dem es sichtlich schmeckte, deutete mit seinem Löffel auf zwei Männer, die mit dem Rücken zu ihnen saßen.

„Der Linke heißt Rudge Bleaker. Er kommt aus dem Clan der Abercrombies. Den Mann daneben, den Vertreter der Murrays, kennst du.“

„Stewart Todd senior“, murmelte Henry und erinnerte sich an einige unschöne Begegnungen mit seinem Neffen.

„100% richtig“, bestätigte Arthur. „Die Frau mit den langen blonden Haaren, die ein bisschen so aussieht wie Chloé, ist Charlotte Beckett, die Vertreterin der Éclaires.“

„Und der kleine dicke Mann mit der Brille, der so aussieht wie du, ist dann wohl der Vertreter der Dunbars“, mischte sich Timothy grinsend ein.

„100% nicht lustig. Aber positiv“, bestätigte Arthur. „Das ist Alan Knight. Neben seinen Aufgaben als Alumnus von Sieben Feuer ist er übrigens Geschichtsprofessor in Oxford“, ergänzte er stolz.

„Und die Letzte im Bunde der Alumni ist Tippy Parrot, die Vertreterin des Duffy-Clans.“ Er deutete auf eine zierliche Frau mit einer ziemlich großen Nase, die Henry an einen Schnabel denken ließ. Sie trug den gleichen schwarzen Umhang wie alle anderen Alumni, doch um ihren Hals hingen auffällige Ketten aus bunten Perlen, und an ihren Ohren baumelten schillernde Federohrringe. Ihre Augen waren dick mit schwarzer Schminke umrandet, und die auftoupierten roten Haare, die mit grauen Strähnen durchzogen waren, ließen ihr schmales Gesicht noch schmaler wirken. Henry konnte sich nicht entscheiden, ob sie aussah wie ein Raubvogel, der sich als Papagei getarnt hatte, oder wie ein Papagei, der ein Raubvogel sein wollte.

Ein lautes Krachen ließ ihn zusammenzucken und riss ihn aus seinen Gedanken. Master Duncan war aufgesprungen und hatte dabei seinen Stuhl so heftig nach hinten geschubst, dass er umgefallen und auf den Steinboden geschlagen war.

In der großen Halle wurde es augenblicklich totenstill. Doch schon im nächsten Augenblick dröhnte Master Duncans grollende Stimme durch den Saal.

„Das kannst du nicht tun, Stewart!“ Master Duncan hatte seine Fäuste auf den Tisch gerammt und beugte sich drohend zu Stewart Todd senior herüber. Wie eine Gewitterwolke schwebte er über ihm.

Doch Stewart Todd senior schien völlig unbeeindruckt. Die Augen aller Schüler, Master und Alumni waren auf ihn gerichtet, während er gelassen seine Serviette faltete und neben seinem Teller ablegte.