Die Geschichte deiner Geburt - Andrea Leim - E-Book

Die Geschichte deiner Geburt E-Book

Andrea Leim

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Migo
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Unterschiedliche Eltern erzählen in Briefen, wie die letzten 24 Stunden bis zur Geburt verlaufen sind und wie es sich angefühlt hat, das eigene Kind zur Welt zu bringen. In den authentischen Briefen sind heitere und schöne Begebenheiten beschrieben, aber auch aufregende, dramatische und ungewöhnliche Erlebnisse. Alle Briefe haben jedoch eines gemeinsam: Sie vermitteln das Gefühl, dass die Geburt eines Kindes eine der wertvollsten und emotionalsten Erfahrungen ist, die Eltern machen können. Begleitet werden die Briefe von Fotos der jeweiligen Eltern und einem Vor- und Nachwort von Andrea Leim, in dem sie auch ihre eigenen Erfahrungen der Geburt schildert und die Briefe der anderen Eltern in einen übergreifenden Rahmen setzt. Gemeinsam mit den Expertinnen und Experten des Magazins "Leben & erziehen" aus dem Magazinhaus Junior Medien entstanden gleich mehrere Ratgeber der etwas anderen Art rund um verschiedene Familienthemen. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn entstanden sind unterhaltsame Sachbücher, für Eltern, für Eltern in spe und für sogar die ganze Familie.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

30 Eltern haben emotionale, persönliche Briefe an ihre Kinder über den Moment ihrer Geburt geschrieben. Jeder dieser Briefe ist so einzigartig wie die Menschen, die sie erlebt haben.

 

Neben heiteren und schönen Begebenheiten enthält diese Briefsammlung auch aufregende, dramatische und ungewöhnliche Erlebnisse. Alle Briefe haben jedoch eines gemeinsam: Sie vermitteln das Gefühl, dass die Geburt eines Kindes eine der wertvollsten und emotionalsten Erfahrungen ist, die Eltern machen können.

Vorwort

Wie war das eigentlich, als du auf die Welt kamst? Hat deine Mutter es dir jemals erzählt? Fest steht, dass deine Geburt – so wie jede – einzigartig war. Denn selbst wenn diese Beschreibung schon fast ein bisschen abgegriffen klingt, könnte sie wahrer nicht sein. Es gibt wohl nur wenige Vorgänge im Leben, die so unterschiedlich zu ein und demselben Ergebnis führen.

 

30 Familien, Mütter und Väter, lassen uns in diesem Buch an ihrem ganz besonderen Entbindungserlebnis teilhaben. Sie haben ihre Erinnerungen als Brief an ihr Kind verfasst – emotional, aufregend, ermutigend, witzig, auch mal bedrückend und sorgenvoll, fast immer aber zu Tränen rührend.

 

Um die Authentizität der Briefe zu wahren, wurden die Texte lediglich behutsam bearbeitet. Die Bilder sind oft nur kurze Zeit nach der Geburt entstanden, manchmal mit noch zittrigen Händen. Fast jeder Bericht ist ein Dokument des Lebens, ausnahmslos jeder Brief ist eine Liebeserklärung.

 

Viel Spaß beim Lesen.

 

Andrea Leim

Vom Wunsch zur Wirklichkeit

Sandrine und Malik mit Carlotta (51 cm, 3180 g)

Carlotta, mein liebes Kind!

 

Wenn ich an den Tag zurückdenke, an dem du auf die Welt kamst, muss ich unweigerlich lächeln. Denn ich verbinde mit dem 6. Juni 2020 ausschließlich unbeschreibliches Glück. Du bist zu Hause und in meine Hände geboren – genau so, wie ich es mir immer gewünscht hatte.

Errechnet warst du eigentlich für den 11. Juni 2020, doch fünf Tage vorher, dein Papa Malik und ich lagen noch im Bett, spürte ich morgens gegen 8:15 Uhr plötzlich so ein seltsames Ziehen im Rücken – ein Gefühl, dass ich bisher noch nicht kannte und das fast einem Brennen glich. Ich dachte mir erstmal nichts dabei und schlief einfach noch einmal ein. Doch schon eine Viertelstunde später wurde ich erneut durch das Hartwerden meines Bauches geweckt und hörte mir deshalb meine Meditation an. In den Wochen vor der Entbindung hatte ich mich intensiv mit mentaler Geburtsvorbereitung beschäftig und konnte auch an diesem Morgen wieder ein- und fast noch eine ganze Stunde entspannt weiterschlafen.

 

Danach sind dein Vater und ich aufgestanden, haben gefrühstückt und uns bereit für einen Onlinekurs über Stoffwindeln gemacht, der um 10 Uhr beginnen sollte. Als du geboren wurdest, war die Welt fest in der Hand der Coronavirus-Pandemie, weshalb die meisten Geburtsvorbereitungen über Videokonferenzen stattfanden, um den Kontakt zu anderen Menschen und so ein Ansteckungsrisiko zu minimieren. Unser Wunsch, dich zu Hause auf die Welt zu bringen, wurde durch diesen Umstand noch einmal gefestigt.

Wir saßen also an diesem Samstagmorgen vor unserem Laptop und folgten der Kursleiterin, während das Ziehen und Brennen im Rücken etwas häufiger und intensiver wurden. In den kommenden Stunden musste ich tatsächlich auch schon die ein oder andere Wehe veratmen, was zu ziemlich irritierten Blicken deines Vaters führte. Der wusste bis zu diesem Zeitpunkt nämlich noch gar nicht, dass ich Wehen hatte. Allerdings war mir selbst nicht klar, dass es sich dabei bereits um den Beginn deiner Geburt handelte, denn ich fühlte mich eigentlich sehr entspannt und merkte die Kontraktionen immer nur im Rücken, nicht im Bauch.

 

Deshalb schaute ich während der gesamten Zeit nicht einmal auf die Uhr, sondern folgte gespannt dem Vortrag. Der erwies sich als prima Ablenkung, zumal unsere Kursleiterin völlig überzog und das Ganze erst um 13 Uhr endete. Das Brennen im Rücken spürte ich da schon deutlich intensiver, mit jeder Kontraktion musste ich tief ein- und ausatmen.

Und doch war ich mir noch immer nicht ganz sicher, ob du nun wirklich schon auf die Welt kommen wolltest, obwohl eine innere Stimme mir genau das sagte. Also entschied ich mich dazu, nun meinen „Geburtstagskuchen“ zu backen. Ich hatte mir nämlich fest vorgenommen, am Tag der Entbindung eine Frischkäse-Torte zu machen, die ich mit deinem Papa, meiner Hebamme und dir in meinem Arm essen wollte. Gesagt, getan! Um Punkt 14 Uhr stand der Kuchen fertig im Kühlschrank. Da kamen meine Wehen bereits so stark, dass nun kein Zweifel mehr bestand, dass du dich tatsächlich auf den Weg machtest.

Ich riet deinem Vater, sich noch etwas zu kochen, um gestärkt zu sein, falls die Geburt lange dauert, und während er sein Essen zubereitete, hüpfte ich schnell noch einmal unter die Dusche, was mir dank des warmen Wassers unfassbar guttat.

Gegen 14:30 Uhr sind Papa und ich dann gemeinsam wieder ins Schlafzimmer gegangen und versuchten, uns an ein paar Übungen zu erinnern, die uns im Geburtsvorbereitungskurs gezeigt worden waren. Am liebsten war mir der Kniestand, bei dem dein Vater mir das Kreuzbein massieren konnte – sehr angenehm, denn noch immer spürte ich die Wehen nur im Rücken. Irgendwie wartete ich die ganze Zeit darauf, dass ich mal etwas im Bauch merken würde, doch da tat sich nichts.

Etwas mehr als eine Stunde später schrieb ich eine SMS an unsere Hebamme Diane. Weil bis dato alle Mütter, die sie betreute, fast zum vorhergesagten Termin und in der ausgerechneten Reihenfolge entbunden hatten, scherzte ich, ob ich so früh überhaupt schon Wehen haben dürfe. Sie rief sofort zurück, hatte Malik am Apparat, der ihr sagte, dass bisher aber noch alles entspannt sei. Allerdings hörte Diane mich im Hintergrund, weil ich beim Ausatmen schon laute Töne machte, und bat ihn darum, sie rechtzeitig anzurufen. Sie ahnte wohl schon, dass du dir nicht ewig Zeit lassen wolltest. Außerdem hatten wir vor, nicht in unserer Wohnung, sondern in meinem Elternhaus zu entbinden, was ungefähr eine halbe Stunde Fahrzeit entfernt war.

Dein Papa packte deshalb auch direkt den Hausgeburts-, Baby- und Klinikkoffer (für den Fall, dass wir verlegt werden müssen) ins Auto, dazu noch eine Salzsteinlampe, einen Peziball und eben alles, was man bei einer Hausgeburt gern zur Hand hätte. So beladen fuhren wir um 16:30 Uhr in Richtung meiner Eltern, die völlig aus dem Häuschen darüber waren, dass es schon losgehen sollte.

Oma und Opa hatten uns angeboten, eine Nacht im Wohnmobil zu schlafen, damit wir deine Geburt ganz ungestört erleben konnten. Während der Autofahrt, eng in den Sitz gedrückt, empfand ich das Gefühl im Rücken zum ersten Mal als unangenehm. Ebenfalls zum ersten Mal überhaupt war ich gezwungen, die Wehenabstände zu messen, da mein Blick direkt auf die Uhr des Autoradios fiel. Alle zwei bis drei Minuten kamen die Kontraktionen nun. Doch da lag nicht das größte Problem: Viel schlimmer waren die Gullydeckel und das dazugehörende Rumpeln des Wagens. Das tat ganz schön weh, und dein Vater nahm gefühlt jeden einzelnen auf der Strecke mit.

Als wir um 17 Uhr endlich ankamen, stürmte ich an meiner Mutter vorbei direkt ins Obergeschoss, wo die Wanne stand. Während Malik das Wasser einließ, ging ich noch einmal auf die Toilette und hatte plötzlich eine recht starke Blutung. Aber keine Sorge, dir ging es gut. Man nennt das Zeichnungsblutung, und bei mir lag sie daran, dass sich der Muttermund ziemlich schnell geöffnet hatte. Um ganz sicher zu gehen, dass wirklich alles in Ordnung war, riefen wir nun Diane an, die um 17:45 Uhr eintraf. Sie untersuchte mich und hörte nach deinen Herztönen. Der Muttermund war schon sieben Zentimeter geöffnet, und dir ging es super!

Wunderbar, so kann es weitergehen, dachte ich mir. Meine Hebamme gab mir ein paar Kügelchen, die helfen sollten, den Muttermund weicher zu machen, und setzte sich dann neben die Badewanne, und nur etwa fünf Minuten später war der Muttermund auch vollständig geöffnet. Dein Papa streichelte mir über den Kopf, und ich versuchte, ganz entspannt zu bleiben. Mit ihm an meiner Seite fiel mir das nicht schwer.

Um kurz nach 18 Uhr nahm der Druck deines Köpfchens nach unten deutlich zu, ich spürte regelrecht, wie er sich ins Becken drehte. Weil ich so neugierig und fasziniert von all dem war, was da passierte, setzte ich mich in die Hocke und untersuchte mich selbst. Mir kam direkt die pralle Fruchtblase entgegen, die dann auch bei der nächsten Wehe unter Wasser zerplatzte. Das erleichterte den Druck im Becken ein bisschen, und von dem Moment an ging alles ziemlich schnell.

Ich verspürte das starke Bedürfnis, mit meinen Händen zu fühlen, was passierte, und wollte auch nicht mehr, dass meine Hebamme mich untersuchte. Mit der nächsten Wehe konnte ich merken, wie dein Kopf in Richtung meiner Finger geschoben wurde – ganz ohne Drücken oder Pressen! Ich war vollkommen erstaunt darüber, welche Kraft so eine Wehe hat, die ich noch immer nur im Rücken spürte. Ich weiß noch, dass ich deinen Papa anschaute und ihn fragte, ob er auch den Kuchen kaltgestellt hätte. Verrückt, woran man in so einem Moment noch denkt.

 

Bei der nächsten Wehe bist du meinen Händen weiter entgegengerutscht. Hätte ich nicht im Wasser gehockt, hätte man deinen Kopf nun sicher schon sehen können, denn ich spürte kleine Härchen an meinen Händen. „Unser Baby hat Haare“, dachte ich und freute mich so, weil ich mir das immer gewünscht hatte.

Dein Kopf wurde mit der nächsten Wehe in meine Hände geboren – ein so unbeschreibliches Gefühl! Ich hatte dabei keine Schmerzen und wusste, dass ich nun bereits den schwersten Teil geschafft hatte. Auf Anweisung meiner Hebamme drückte ich danach genau einmal ein wenig mit, und schon rutschte dein Körper hinter.

Um 18:19 Uhr, nach viereinhalb Stunden richtiger Wehen und zum Lied „Rocket Man“ von Elton John wurdest du kleines, zauberhaftes Wesen zu Hause in der Badewanne direkt in meine Hände geboren. Ganz sanft, selbstbestimmt und genau so, wie ich es mir immer vorgestellt und erträumt hatte. Ich war der erste Mensch, der dich berührte, und konnte mein unglaubliches Glück kaum fassen. Nie zuvor hatte ich so etwas Intensives und Wunderschönes erlebt und dachte sofort: „Das will ich nochmal!“ Wenn ich heute daran zurückdenke, bekomme ich noch immer eine Gänsehaut.

Und du, du warst ganz ruhig, vollkommen friedlich, hast nicht geschrien und nur versucht zu blinzeln. Ich erinnere mich noch, wie ich nach deiner Geburt als erstes deinen Papa ansah, der dir mit tränenüberströmtem Gesicht über deinen Kopf streichelte. „Habt ihr denn schon geschaut, was es ist?“, fragte Diane uns dann, denn bis zu diesem Zeitpunkt kannten wir dein Geschlecht noch gar nicht. Malik sah nach: „Es ist ein Mädchen!“ Für uns stand bereits fest, dass du Carlotta heißen würdest.

 

Ein paar Minuten später wurde auch die Plazenta geboren. Dein Papa trug dich samt Mutterkuchen ins benachbarte Schlafzimmer, während Diane mich einmal abduschte. Unglaublich, wie gut es mir ging. Ich war so stolz, dass mein Körper gerade dieses Wunder vollbracht hatte.

Ich ging ebenfalls ins Schlafzimmer und kuschelte mich zu dir und Papa ins Bett. Abgenabelt wurdest du eine Stunde nach deiner Geburt und kurz darauf auch schon gestillt – während wir drei tatsächlich ein Stück der Frischkäsetorte aßen, deinem ersten Geburtstagskuchen.

Diane verließ uns gegen 22:30 Uhr, kurz danach bist du zusammen mit deinem Vater, beide auf der Seite liegend, eingeschlafen. Ich war noch ganz berauscht von diesem so besonderen Erlebnis und meinem Hormoncocktail, so dass ich lange Zeit nicht schlief, sondern euch beide einfach nur ansah. Meine kleine Familie.

 

Was für ein wahnsinnig schönes Gefühl!

Zwei zu schnell für die PDA

Frauke und Reimar mit Hanno (46 cm, 2620 g) und Klaas (47 cm, 2720 g)

Meine zwei Jungs,

 

ihr beide habt es mit der Zwei. Nicht nur seid ihr zu zweit, auch eure Geburt stand ganz im Zeichen dieser Zahl.

Es war Samstag, der 22. Februar 2020. Draußen verdeckten dicke Wolken die Sonne, doch ich hatte gut geschlafen und Papa mich extra nicht aufgeweckt. Er wollte an diesem Tag ins Fußballstadion, HSV gegen St. Pauli schauen. Sein Chef hatte ihm Karten für eine Loge geschenkt.

Nach dem Aufstehen ging ich zur Toilette und bemerkte dort, dass der Schleimpfropf sich zu lösen begann. Oh! Damit hatte ich noch gar nicht gerechnet, immerhin solltet ihr eigentlich erst in vier Wochen am 19. März kommen. Doch bei eurem Bruder und eurer Schwester war dieses Zeichen der erste deutliche Hinweis, dass es bald losgehen würde. Allerdings dauerte es damals bei beiden noch ein oder zwei Tage bis zur Geburt, weshalb ich auch bei euch relativ entspannt blieb.

 

Ich entschied mich, eure Tante Birte anzurufen. Sie sollte bei der Geburt dabei sein und auch Fotos machen. Dafür hatte sie sich extra vorbereitet und Fotografenbilder aus Kreißsälen angeschaut, um für uns schöne Erinnerungen zu schaffen. Außerdem lag mir viel daran, eine weitere vertraute Person an meiner Seite zu wissen, die einen von euch im Arm halten würde, falls Papa mir bei der Geburt des anderen noch beistehen müsste. Ich wollte einfach nicht, dass ein Fremder den Erstgeborenen so lange im Arm hält. Mit Birte einigte ich mich darauf, dass sie samt eures Cousins Emil und eurer Oma am nächsten Tag losfahren würde. Immerhin reisten alle aus Hannover an, was 220 Kilometer entfernt ist.

 

Kurz darauf brach euer Papa zum Fußball auf, und ich begann mit euren Geschwistern Marten und Janne aufzuräumen. Ich legte mich richtig ins Zeug und verspürte das starke Bedürfnis, noch einige andere Dinge zu erledigen. Es fühlte sich an wie ein innerer Drang. Ich wollte zum Beispiel noch unbedingt Babykleidung in Größe 50 kaufen. Für euch. Und ich schrieb eurem Papa Kurznachrichten, die meine innere Unruhe ausdrückten. Eine lautete: „Bitte bitte … heute Abend müssen wir noch was schaffen … schon mal im Keller umstellen. Maxi-Cosi-Bezüge waschen, Beistellbett, Babyzimmer ist noch nicht fertig.“

Danach fuhren wir zu Martens Schwimmkurs, ich aß mit Janne Pommes und Nuggets in der Cafeteria, und im Anschluss kaufte ich die wichtigsten Utensilien für das Wochenbett in einer Drogerie. Mir ging es die gesamte Zeit gut, ich spürte lediglich leichte Schmerzen im Rücken und weiterhin dieses drängende Gefühl, Dinge zu erledigen.

Wieder zu Hause war auch euer Papa schon zurück. Ihm trug ich auf, Nudeln zu kochen und fuhr selbst noch einmal los, um für euch einzukaufen: zwei Sets aus Mützen, Bodys und Hosen in hellblau und dunkelblau-gestreift in Größe 50. Ihr hattet beides später nicht ein einziges Mal an …

Während des Abendessens füllte ich noch einen Informationszettel für die PDA aus, um vorbereitet zu sein, und wollte dann endlich den ersten Bissen des Abendessens zu mir nehmen. Knack! Das Geräusch kam ganz eindeutig aus meinem Bauch. Ich muss wohl komisch ausgesehen habe, den Löffel halb auf dem Weg zum Mund, in mich hineinhorchend. Natürlich wollte euer Papa auch sofort wissen, was los ist, und fragte mich, ob alles ok sei. „Warte“, sagte ich. Dann kam das Wasser. „Meine Fruchtblase ist gerade geplatzt.“ Es war 19:40 Uhr.

Kein Grund zur Panik! Ich wusste vom letzten Vorsorgetermin, dass dein Kopf, Hanno, fest im Becken verankert war, somit keine Gefahr für euch beide bestand und ich aufstehen durfte. Dass du als Erster geboren werden würdest, stand aufgrund deiner Lage im Bauch bereits fest. Ebenso, dass du, Klaas, damit mein letztes Baby sein solltest.

Zuerst rief ich eure Tante Birte an, damit sie sich gemeinsam mit Oma sofort auf den Weg machte. Dann versuchten wir, unsere Babysitterin für Marten und Janne zu organisieren, doch sie ging nicht ans Telefon. Also wählte ich die Nummer von Jannes Patentante, die auch gleich zusagte. Zum Schluss rief ich im Kreißsaal an und kündigte uns an. Beim anschließenden Packen der Kliniktasche musste ich zwischendurch immer mal wieder ordentlich Luft holen, denn mit dem Blasensprung hatten auch die Wehen eingesetzt: kleine, kurze Kontraktionen, die ich gut veratmen und sogar noch etwas ignorieren konnte. Euer Papa lief währenddessen etwas kopflos durch das Haus und wollte unbedingt losfahren.

Doch erst musste ja noch Jannes Patentante kommen, und auch unsere Babysitterin hatte inzwischen zurückgerufen und wollte ebenfalls aufpassen.

Ich duschte mich unterdessen, rasierte meine Beine und blieb sehr entspannt. Das konnte man von eurem Vater überhaupt nicht mehr sagen, und bis heute wirft er mir vor, dass ich tatsächlich noch Zeit für die Beine verschwendete.

Die Wehen kamen nun schön gleichmäßig, in kürzeren Abständen von drei bis vier Minuten und auch schon etwas schmerzhafter. Jedes Mal, wenn sich mein Bauch wieder zusammenzog, blieb ich kurz stehen, um tief ein- und auszuatmen.

 

Als ich endlich fertig war, packte ich die Tasche ins Auto, entschied mich dann jedoch dazu, noch eine Leggings anzuziehen. Die befand sich allerdings in der Tasche, die ich dafür aus dem Auto hätte nehmen müssen. In diesem Moment wurde euer Papa richtig wütend. Er schimpfte, ich solle nun sofort und ohne Leggings einsteigen, damit ihr zwei nicht doch noch zu Hause oder auf dem Weg auf die Welt kommen würdet. Ich klemmte mir ein Handtuch zwischen die Beine, und wir fuhren los.

 

Auf der knapp 30-minütigen Fahrt telefonierte ich mit eurer Tante und Oma, um zu hören, wie lange sie noch fahren müssen. Zwischendurch konnte ich gar nicht sprechen, weil die Wehen so stark waren. Ich hielt mich während jeder Wehe am Haltegriff fest und streckte die Beine komplett aus, weil ich sie so einfach besser veratmen konnte. Trotz allem war ich die ganze Zeit gut gelaunt und sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ich euch endlich zum ersten Mal knuddeln durfte.

 

Um 21:20 Uhr kamen wir im Krankenhaus an, eine liebe Hebamme nahm uns auf der Geburtenstation in Empfang. Ich mochte sie sofort und sie begleitete uns in denselben Kreißsaal, in dem ich schon eure große Schwester auf die Welt gebracht hatte. Ich freute mich darüber sehr, weil mir die vertraute Umgebung ein sehr sicheres Gefühl gab.

Nachdem unsere Hebamme mich untersucht hatte, teilte sie uns mit, dass mein Muttermund erst zwei Zentimeter geöffnet sei. Ich gebe zu, das enttäuschte mich schon ein kleines bisschen, weil ich dachte, ich sei schon etwas weiter. Die Wehen hatten sich doch so kräftig und geburtsfördernd angefühlt.

 

Eine junge Assistenzärztin, ebenfalls Mama von Zwillingen, betrat den Raum. Wir kannten sie bereits vom Anmeldegespräch. Mit ihr gingen wir in ein anderes Zimmer, in dem ein Ultraschallgerät stand, mit dem sie eure Lage noch einmal überprüfen wollte. Dafür musste ich mich flach auf die Behandlungsliege legen, was sich ziemlich unangenehm anfühlte. Ich konnte die Wehen einfach besser im Stehen verarbeiten. Außerdem hatten sie sich verändert, drückten jetzt deutlich nach unten, und ich verspürte das Bedürfnis mitzuschieben.

Dann jagte uns die Ärztin kurz einen Schreck ein, als sie sagte, Hannos Kopf liege nun oben. Wäre das wirklich der Fall gewesen, hätte ich nicht spontan, sondern nur per Kaiserschnitt entbinden können. Doch schon kurz darauf korrigierte sie sich: „Nein, doch nicht!“ Wegen der nur noch geringen Menge an Fruchtwasser und der Enge in meinem Bauch konnte sie nicht mehr alles ganz deutlich sehen, weshalb es zu der kurzen Verwirrung gekommen war.

Ich durfte mich wieder hinsetzen, und die Ärztin erklärte mir, dass sie mir nun eine PDA legen wolle, weil das bei spontanen Zwillingsgeburten routinemäßig so gehandhabt werde. Ihre Worte nahm ich mit Begeisterung zur Kenntnis, denn die Wehen taten doch schon heftig weh, und ich freute mich auf etwas Entspannung.

 

Dafür ging es zurück in den Kreißsaal, allerdings diesmal in einen anderen. Dieser war kleiner und zur Hälfte vollgestellt mit allen möglichen medizinischen Dingen, die ein Vorhang vom Rest des Raumes abtrennte. Unsere Hebamme erklärte uns, dass die Oberärztin gerne wollte, dass wir in diesen Kreissaal umziehen. Später erfuhren wir, dass es die Ärzte etwas nervös gemacht hatte, dass spontane Zwillingsgeburten in dem Krankenhaus eher selten vorkommen. Hinter dem Vorhang stand alles für einen eventuellen Notkaiserschnitt bereit. Die Hebammen dagegen freuten sich sehr über uns. Ihr beiden wart die ersten Zwillinge, die dort in mehr als einem Jahr zur Welt kamen. Das lag vor allem daran, dass es in der Klinik keine eigene Kinderstation gab. Doch weil ich mich bei der Geburt eurer Schwester Janne so sicher und aufgehoben gefühlt hatte, wollte ich auch euch unbedingt dort entbinden. Erlaubt war das ab Schwangerschaftswoche 36+0, und ihr kamt bei 36+2. Perfektes Timing!

Erneut untersuchte mich die Hebamme. Noch immer war der Muttermund nur zwei Zentimeter geöffnet, weshalb ich mich umso mehr auf die PDA freute. Die Wehen kamen nun nämlich schon sehr intensiv, und auch der Druck nach unten nahm immer mehr zu. Ich wechselte in ein Krankenhausnachthemdchen und eine Netzunterhose, dann sollte der Wehenschreiber angelegt werden. Eure Herztöne ließen sich bereits gar nicht mehr so einfach finden, doch irgendwann konnten wir beide hören. Unsere Hebamme blieb die gesamte Zeit ganz ruhig und entspannt. Sie erklärte mir, dass im Nachbarzimmer eine andere Gebärende schon etwas weiter sei und erst einmal ihr Kind geholt werden würde, so dass ihr beiden dann im Anschluss ganz in Ruhe auf die Welt kommen könntet. Das klang nach einem guten Plan.

 

Keine zehn Minuten später standen auch schon zwei Anästhesieärzte im Raum, zwei große, starke Kerle, die sich kurz vorstellten und mir dann den Ablauf noch einmal erklären wollten. Ich konnte allerdings nur noch mit einem Ohr zuhören, weil die Wehen mich viel zu sehr beschäftigten. Der Kreißsaal war ziemlich voll, und in all diesen Trubel klingelte auch noch das Handy eures Vaters hinein. Eure Tante Birte versuchte ihn zu erreichen, doch ich bat ihn, nicht ran zu gehen. Mir wurde das alles zu viel.

Ich saß auf der Bettkante, hinter mir packten die Anästhesisten alles für die Narkose aus, und ich bat sie, mir erst die Wehen wegzuspritzen, damit ich für die PDA auch stillhalten konnte. Bei eurer Schwester hatte mir das sehr geholfen. Einer der Ärzte sprühte Desinfektionsmittel auf meinen Rücken, das sich nass und kalt anfühlte. Plötzlich sprang ich auf und schrie: „Er kommt! Er kommt!“ Danach lief alles wie im Film ab: Laut Papa stand ich, hielt mich am Bett fest und riss mir die Netzunterhose weg. Dabei versuchte ich, mit dem Po etwas übers Bett zu kommen damit du, Hanno, nicht auf den Boden fällst. Eine Ärztin stütze mich, die Hebamme versuchte, sich so schnell wie möglich Handschuhe anzuziehen, und rief permanent „Nicht hinsetzten! Nicht hinsetzen!“ Ich schrie, dein Kopf wurde geboren, und kurz darauf fing ich dich auch schon auf. Ich schubste dich aufs Bett, wo die Hebamme dich in Empfang nehmen konnte.

 

Da warst du! Hanno! 46 Zentimeter groß und 2620 Gramm schwer erblicktest du um 22:18 Uhr das Licht der Welt. So schnell und plötzlich, du hattest es offenbar sehr eilig. Ich sehe noch heute den vollkommen fassungslosen Gesichtsausdruck deines Vaters vor mir. Und ich erinnere mich an den Anästhesisten, der das ganze umsonst ausgepackte PDA-Material in den Müll schmiss und eurem Papa auf die Schulter klopfte: „Herzlichen Glückwunsch!“

Eine sehr liebe hinzugerufene Kinderkrankenschwester nahm dich, Hanno, auf den Arm und bat Papa, sein Oberteil auszuziehen. Er setzte sich dann auf einen Stuhl, du wurdest ihm nackig auf die Brust gelegt, und so konntet ihr kuschelnd dabei zusehen, wie dein Bruder geboren wurde.

Weil Klaas’ Fruchtblase noch nicht geplatzt war, legte ich mich auf den Rücken, und die Hebamme öffnete diese Schutzhülle mit der Hand. So solltest du schneller in den Geburtskanal rutschen und vor allem nicht mehr auf die Idee kommen, dich in der letzten Minute noch zu drehen. Um die Geburt noch ein wenig voranzutreiben, wurde mir zusätzlich ein wehenförderndes Mittel gespritzt. Es wirkte!

 

Klaas, deine Geburt war so leicht, so ruhig, so schön. Mir tat dabei überhaupt nichts weh. Nach zwei Wehen und einmal Pressen schrie ich nur kurz auf, und schon warst du ebenfalls auf der Welt. 47 Zentimeter lang und 2720 Gramm schwer lagst du nackig und so klein um 22:30 Uhr zwischen meinen Beinen. Die Hebamme fragte, ob ich deine Nabelschnur selbst durchtrennen wollte. Na klar wollte ich! Es ging ganz leicht und fühlte sich an, als würde man ein Gummiband zerschneiden. Du wurdest mir auf die Brust gelegt, und ich sagte: „Hallo mein Schatz, da bist du ja!“

 

Da ging die Tür unseres Kreißsaals auf, und Tante Birte kam herein. Sie hatte alles verpasst und bekam nun nur noch die Geburt eurer Plazentas mit. Die sorgte allerdings für Verwirrung. Eigentlich sollte nämlich jeder von euch einen eigenen Mutterkuchen haben, geboren wurde jedoch nur ein einzelner. Stellt euch vor, sie waren im Laufe der Schwangerschaft doch tatsächlich zusammengewachsen. Während ich versorgt wurde, hielt Tante Birte dich, Klaas, im Arm. Kurz darauf wurdet ihr untersucht, gewogen und gewaschen. Zuerst kam Hanno, und als dann Klaas dran war, konnte ich dich, Hanno, zum ersten Mal so richtig begrüßen. „Willkommen mein kleiner Schatz!“, sagte ich zu dir.

 

Kurz darauf durfte ich euch beiden endlich auch gemeinsam im Arm halten. Meine Babys, meine zwei süßen, kleinen Babys. Ihr wart so zart, wie zwei kleine hungrige Vöglein, und trotzdem so perfekt. Ich legte euch zum Stillen an, streichelte und küsste euch und sog diesen Moment auf, um ihn für immer zu konservieren.

 

Auch Oma und Emil kamen noch kurz in unser Zimmer, um euch zu begrüßen. Sie hatten die ganze Zeit im Auto auf Tante Birte gewartet, weil plötzlich alles so schnell ging.

 

So seid ihr also auf die Welt und zu uns gekommen. Es war eine besondere Geburt, und jedes Mal, wenn ich daran denke, quillt mein Herz über vor Dankbarkeit und Liebe. Hanno, du bist auch heute noch schnell und laut und hast es gefühlt immer eilig. Und Klaas, du bist ruhiger und leiser, weniger aufgeregt und strahlst eine ansteckende Gelassenheit aus. Ihr zwei seid genau so, wie ihr auch geboren wurdet. Am 22.2.2020 – einem ganz besonderen Datum für meine beiden ganz besonderen Babys.

 

Ich habe euch so lieb!

Eure Mama

Born in the USA

Annett und Julian mit Lara Hope (52 cm, 2800 g)

Liebe Lara Hope,

 

gekrümmt wie eine Garnele sitze ich im Kreißsaal, mein Gesicht ins Dekolleté der Ärztin gepresst. Ich umarme Dr. Sanders fest, während sich der Katheter für die Spinal-Anästhesie in die Nerven meines Rückenmarks schiebt. „Breathe in, breathe out“, flüstert sie. Das erste Mal seit Wochen lasse ich mich fallen. „Birth is about surrender“, hatte mir eine befreundete Geburtshelferin mit auf den Weg gegeben, was so viel heißt wie: Wer gebärt, muss sich seinem Selbst hingeben. An diesen Satz muss ich viel denken, bevor du per Kaiserschnitt auf die Welt kommst. Denn genau so fühlt es sich in den Minuten vor deiner Geburt an: Wie die komplette Aufgabe aller Ängste und innerer Hürden.

Die zwei Tage zuvor waren nichts anderes als der Kampf gegen eine Blockade. Vergeblich hatten Dr. Sanders und ihre Kollegin Dr. Schaffel versucht, meinen Uterus mit dem Wehen auslösenden Mittel Pitocin zum Gebären zu bewegen. Am Ende bettelte ich um einen Kaiserschnitt, denn mein Muttermund öffnete sich partout nicht. Du wolltest in deiner warmen Höhle bleiben. Und ich wollte dich behalten, in mir drin. Kraft hatte ich keine mehr. Ich wollte nur noch, dass das Kämpfen vorbei ist und du sicher bei uns bist.

 

Beide Ärztinnen kannten dich zu diesem Zeitpunkt schon gut, denn sie haben dich, deinen Vater und mich seit der frühen Schwangerschaft begleitet. In den USA kommt es häufig vor, dass die Gynäkologin in der Praxis auch die Ärztin in der Klinik ist, die die Geburt durchführt. Es war Dr. Sanders, die im dritten Trimester eine schwierige Entscheidung treffen musste. Plötzlich hatte mich ein ungewöhnlicher Juckreiz befallen, aus dem Nichts, wie tausend Ameisen auf der Haut. Der Bluttest bestätigte den Verdacht einer Schwangerschafts-Cholestase. Das ist eine seltene Hormonstörung, die die Leber daran hindert, Giftstoffe abzubauen. Stattdessen stauen sie sich in der Plazenta.

Im Klartext hieß das: Wir mussten dich holen, drei Wochen vor dem errechneten Termin. Denn wartet man zu lange, steigt das Risiko für eine stille Geburt. Eine Vorsichtsmaßnahme sei die Einleitung in Woche 37, betonten unsere Ärztinnen. Außerdem wärst du kein Frühchen mehr, sondern rein rechnerisch bereit für dein Leben da draußen. Trotzdem saß ich nach der Diagnose panisch und unkontrolliert heulend auf der Couch. Da war zum einen die Angst um dich, unser Wunder. Die Sorge um unser kleines Mädchen, dessen Ultraschallbild einen sanft geschwungenen Hals zeigte, eine Stupsnase, niedliche Füßchen. „Sie hat lange Beine“, sagte man uns, und so nennen wir dich manchmal heute noch liebevoll, wenn du strampelst und gluckst: „Lara Long Legs“. Doch in den dunklen Dezembertagen vor der Einleitung hatte ich das Vertrauen darin verloren, dich jemals im Arm halten zu dürfen. Alles, was ich spürte, war ein irrationales, zehrendes Gefühl des Scheiterns. Denn mein eigener Körper, der dich über Monate genährt hatte, stellte nun eine Gefahr für dich dar. Wieder einmal hatte mein Körper versagt, dachte ich. Wieder einmal funktionierte er nicht, wie er funktionieren sollte. Wieder einmal war er nicht normal.

Um zu verstehen, warum deine Geburt von solchen Ängsten begleitet wurde, solltest du deine und meine Vorgeschichte kennen. Es ist die Geschichte deines ersehnten Entstehens und der Beginn deines so wertvollen Lebens. „Millionen Frauen bringen täglich Kinder zur Welt“ ist ein Satz, den man so daher sagt. Er klingt, als ob Kinderkriegen so leicht wäre wie Brot vom Bäcker holen. Für mich war es das nie. Ende 20 wurde ich mit einer Bauchfell-Entzündung ins Krankenhaus eingeliefert, fast alle inneren Organe waren gerötet und gereizt. Hier liegt wahrscheinlich der medizinische Grund, weshalb dein Vater und ich Jahre später unser erstes Wunschkind in einer Eileiterschwangerschaft verloren. Meine „Infrastruktur der Fruchtbarkeit“, lernte ich, war verklebt und nicht ganz gesund. Nicht normal.

 

Ab diesem Zeitpunkt betrachtete ich meinen Körper als Baustelle. Aus einem Jahr in der Kinderwunschbehandlung wurden zwei, dann drei. Damals wohnten wir in Deutschland, schwanger wurde ich dort nicht wieder. Unser Umzug in die USA war nicht nur ein Neustart mit Koffern und Kartons, er war auch befreiend für die Psyche. Und er führte uns in ein Gesundheitssystem, das wenig persönlich ist, dazu absurd teuer. Dafür sind die In-Vitro-Behandlungen ziemlich effizient. Wo europäische Ärzte aufgeben, fangen amerikanische oft erst an. Ohne unsere US-Kinderwunschklinik wärst du nicht bei uns. Dafür sind dein Vater und ich auf ewig dankbar.

Als wir das erste Mal bei Dr. Widra vorstellig wurden, unserem Mediziner für künstliche Befruchtung, hielt dein Vater meine Hand. Nervös trugen wir die Etappen unserer bisherigen Versuche vor – eine Liste voller Rückschläge und Enttäuschungen. Die Liste unseres Schmerzes. Ich erwartete jede Sekunde, dass Dr. Widra seine Mappe zuschlagen würde, um uns zu sagen: „Tut mir leid, ich kann nichts für Sie tun.“ Stattdessen malte er eine Zahl auf einen Zettel: 90 Prozent – so hoch schätze er die Chance ein, dass wir eine Familie gründen könnten. Ich fing an zu weinen.

Dr. Widra sollte Recht behalten. Ein halbes Jahr später war ich schwanger, leider erlitten wir eine Fehlgeburt. Doch schon der nächste Versuch brachte uns dich. Plötzlich war es, warst du real.

 

In den ersten acht Wochen sind dein Vater und ich alle paar Tage zum Ultraschall gerannt. Aus Panik, aber auch aus einer Art ekstatischer Ungläubigkeit. Wir hatten so lange auf dich gewartet, dass wir es einfach nicht fassen konnten! Wir waren süchtig nach deinem flackernden Anblick auf dem Monitor. Im zweiten Trimester fühlten wir uns schon entspannter und voller Vorfreude. Im siebten Monat trug ich dich einen Wanderpfad am Grand Canyon entlang, streckte meinen Bauch stolz nach vorn. Dein Vater sang dir vor, er küsste meine Bauchdecke, wenn sie über deinen Bewegungen tanzte. Bei jeder Untersuchung strahlte er Glück für ein ganzes Universum aus. Überhaupt ist er der liebevollste, aufmerksamste und hingebungsvollste Mann – und der beste Vater, der dir heute den Planeten zeigt. Wenn mich die Hoffnung verließ, hielt er sie aufrecht. Und auch in den schwierigen Tagen vor deiner Geburt schaute er mir in die Augen und sagte: „Bald ist unser Mädchen da!“