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Die Beiträge in diesem Buch beschäftigen sich mit der Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) innerhalb von 120 Jahren, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit nach ihrer Wiedergründung ab dem Jahr 1949 liegt. Es handelt sich hier also um die erste umfassende Darstellung zur DGPs-Geschichte. Als wesentliche Datenbasis fungierte das kürzlich digitalisierte Archiv der DGPs-Vorstandsakten, das die Arbeit der DGPs-Vorstände nach Kriegsende dokumentiert. Da entsprechende Materialien für die Zeit bis 1945 nicht mehr existieren, war man hier auf die Auswertung von Kongress- und Zeitschriftenberichten beschränkt. Nach einer Beschreibung von Arbeitsschwerpunkten der Anfangsphase und der (problematischen) Rolle der DGPs während der NS-Zeit werden wichtige Entwicklungstrends in Themenschwerpunkten der wissenschaftlichen Fachgesellschaft insbesondere ab den späten Fünfzigerjahren illustriert. Das Verhältnis zwischen DGPs und dem Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) wird ebenso charakterisiert wie die Beziehung zur Gesellschaft für Psychologie in der DDR bis zur Wiedervereinigung. Weiterhin wird der Beitrag der DGPs zur Veränderung von Prüfungs- und Studienordnungen innerhalb der letzten ca. 50 Jahre und zu Reformprozessen in der Klinischen Psychologie (Psychotherapeutengesetze) thematisiert. Substanzielle Fortschritte im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, der Nachwuchsförderung, der Sicherung von Forschungsqualität und der zunehmenden Internationalisierung der Fachgesellschaft vermitteln das Bild einer Erfolgsgeschichte und einer insgesamt positiven Gesamtentwicklung, was sich nicht zuletzt an der stetig steigenden Mitgliederzahl und dem zunehmenden gesellschaftlichen wie auch politischen Einfluss zeigen lässt.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Wolfgang Schneider
Armin Stock
(Hrsg.)
Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
Wesentliche Entwicklungstrends in 120 Jahren
Prof. Dr. Wolfgang Schneider, geb. 1950. 1969–1975 Studium der Psychologie, Philosophie und Theologie an den Universitäten Wuppertal und Heidelberg. 1979 Promotion. 1988 Habilitation. 1991–2016 Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie IV (Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie) an der Universität Würzburg. 2004–2019 Direktor der Begabungspsychologischen Beratungsstelle der Universität Würzburg.
Prof. Dr. Armin Stock, geb. 1966. 1987–1992 Studium der Psychologie in Würzburg. 1992–1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie, Universität Würzburg. 1996 Promotion. 2003 Habilitation. Seit 2008 Leiter des Zentrums für Geschichte der Psychologie in Würzburg.
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www.hogrefe.de
Satz: Franziska Stolz, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
Format: EPUB
1. Auflage 2024
© 2024 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3169-7; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3169-8)
ISBN 978-3-8017-3169-4
https://doi.org/10.1026/03169-000
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Vorwort
1 Die Entwicklung der DGPs von 1904 bis Ende der Fünfzigerjahre
2 Die Entwicklung der DGPs von 1960 bis in die Neuzeit
3 Zum Verhältnis zwischen der DGPs und der DDR-Fachgesellschaft (GfP) und der Aufbau psychologischer Institute in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung Deutschlands
4 Internationalisierungsbemühungen innerhalb der DGPs
5 Qualitätssicherung in Forschung und Anwendung als Aufgabe der DGPs
6 Öffentlichkeitsarbeit der DGPs: Entwicklung, Stand und Zukunft
7 Anfänge des Studiums der Psychologie und die Entwicklung der Diplomprüfungsordnung in Deutschland
8 Die Einführung und Etablierung von psychologischen Bachelor- und Masterstudiengängen in der Bundesrepublik Deutschland
9 Initiativen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie zur Nachwuchsförderung
10 Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie und das Psychotherapeutengesetz – ein Blick auf die Entwicklung der Klinischen Psychologie
11 Geschichte der Satzungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie Teil 1: 1904-2004
12 Geschichte der Satzungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie Teil 2: 2004 – 2022 – Einheit der Psychologie erhalten, mehr Partizipation für jüngere Mitglieder und Professionalisierung der Strukturen
Anhang
Kongresse 1904 – 2024
Vorstände der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
Ehrenmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
Fachgruppen innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Psychologie
Aktuelle Satzung der DGPs vom 28. November 2022
Die Vorarbeiten zu diesem Buch gehen auf eine Initiative des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und seiner damaligen Präsidentin Birgit Spinath zurück. Dieser beschloss zu Beginn des Jahres 2020, eine Historische Kommission „Geschichte der Psychologie“ einzurichten und die Kommission damit zu beauftragen, im Jubiläumsjahr 2024 (120 Jahre DGPs, 75 Jahre Nachkriegs-DGPs und 65 Jahre Föderation von BDP, dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V., und DGPs) eine schriftliche Dokumentation zur DGPs-Geschichte vorzulegen. Der Kommission gehören als Mitglieder Birgit Spinath (ab November 2020), Bianca Vaterrodt, Horst Gundlach, Marcus Hasselhorn, Wolfgang Schneider (Vorsitz), Rainer Silbereisen und Armin Stock an. Gerd Lüer schied aufgrund außerordentlicher persönlicher Belastung im November 2020 aus der Kommission aus.
Schon in einer ersten Kommissionssitzung im Januar 2020 verständigte man sich darauf, im Jubiläumsjahr 2024 zwei Publikationen vorzulegen. Zum einen wurde ein Sonderheft der Psychologischen Rundschau geplant, das als Fortsetzung des Sonderhefts von 2004 anlässlich des hundertsten Geburtstags der Fachgesellschaft zu sehen ist und die dort abgehandelten Themen aktualisiert und auch erweitert. Zum anderen nutzte die Kommission die beiden letzten Jahre für die Erarbeitung eines ausführlicheren Buchbands, in dem die Geschichte der DGPs und ihre wesentlichen Entwicklungstrends insbesondere in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg beschrieben wird, und der hiermit vorliegt.
Schon in den Beiträgen des Jubiläumshefts von 2004 wurde beklagt, dass die Aktenlage zur DGPs-Geschichte gerade für die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg und auch noch bis Ende der Fünfzigerahre unvollständig ist, was zumindest teilweise mit der Zerstörung des Leipziger Instituts für Psychologie im Jahr 1943 und der Vernichtung der dort gelagerten DGPs-Bestände begründet werden kann. Mit diesem Problem waren auch die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes konfrontiert, doch gab es zwischenzeitlich im Hinblick auf die Erschließung gerade der neueren DGPs-Bestände einen bedeutsamen Fortschritt zu verzeichnen. Im Verlauf des Jahres 2020 gelang es Armin Stock und seinem Mitarbeiterstab am Würzburger Zentrum für Geschichte der Psychologie, die Digitalisierung der dort verfügbaren DGPs-Dokumente (immerhin ca. 1.100 Aktenordner) abzuschließen. |8|Eine Festplatte mit den digitalisierten Unterlagen konnte damit allen Autorinnen und Autoren des Bandes zur Verfügung gestellt werden.
Nachdem man sich in der Kommission auf die Kapitelinhalte (s. u.) verständigt hatte, wurden Expertinnen und Experten für die einzelnen Teilbereiche kontaktiert. Erfreulicherweise erklärten sich alle avisierten Autorinnen und Autoren dazu bereit, an dem Projekt mitzuwirken. Nach Eingang der ersten Kapitelversionen wurde ein vorwiegend interner Review-Prozess durchgeführt. Den jeweiligen Gutachtern sei an dieser Stelle für ihre sorgfältige Durchsicht der Beiträge herzlich gedankt. Die resultierenden Änderungswünsche wurden an die Autorinnen und Autoren weitergegeben. Neben den Kommissionsmitgliedern waren Joachim Hoffmann, Hans-Georg Geißler, Anne Klostermann, Werner Krause, Gerd Lüer und Kurt Pawlik am Begutachtungsvorgang beteiligt, denen unser besonderer Dank gebührt. Wir bedauern sehr, dass Joachim Hoffmann und Kurt Pawlik, die beide im August 2022 verstarben, die Veröffentlichung unseres Buchs nicht mehr erleben können. Die revidierten Fassungen aller Kapitel lagen im Dezember 2022 vor.
Wie ist der vorliegende Band inhaltlich aufgebaut? Die beiden ersten Kapitel handeln wesentliche Aspekte der Entwicklung unserer Fachgesellschaft im Zeitraum von 1904 (damals unter dem Namen „Gesellschaft für experimentelle Psychologie“ gegründet) bis in die Neuzeit hinein kursorisch ab. Auf der Grundlage von Kongressberichten und Zeitschriftenpublikationen zeichnet Horst Gundlach im ersten Kapitel den Übergang von einer eher grundlagenorientierten kleinen Fachgesellschaft zu einer wissenschaftlichen Vereinigung nach, die allmählich auch Aspekte der angewandten Psychologie immer stärker berücksichtigte, im „Dritten Reich“ dann aber leider auch besondere Anpassungsleistungen an das herrschende Regime demonstrierte. Zumindest für die Anfangsphase der Neugründung ab den späten Vierzigerjahren kann gezeigt werden, dass einige schon vor Kriegsbeginn einflussreiche und im Wesentlichen geisteswissenschaftlich orientierte Vorstandsmitglieder wiederum den Ton angaben, bis dann zu Beginn der Sechzigerjahre eine jüngere Generation die Führung übernahm.
Hier setzt der Beitrag von Wolfgang Schneider ein, der zunächst formale Veränderungen in der Infrastruktur der Gesellschaft ab 1960 bis in die Neuzeit hinein beschreibt. Es werden danach Krisen und Erfolgserlebnisse in der Kooperation zwischen dem BDP und der DGPs im Rahmen unterschiedlicher Kommissionen der Föderation dokumentiert, Probleme und Möglichkeiten der DGPs-Kongresse in unterschiedlichen Phasen illustriert und Belege dafür erbracht, dass sich die Einrichtung von Fachgruppen ähnlich positiv auswirkte wie spätere Maßnahmen zur Professionalisierung einer stetig wachsenden und zunehmend komplexer strukturierten Fachgesellschaft.
Susanne Guski-Leinwand und Jürgen Bredenkamp fokussieren im dritten Buchkapitel auf das Verhältnis zwischen der DGPs und der DDR-Fachgesellschaft, analysieren also Entwicklungen der gegenseitigen Beziehungen in einem annähernd |9|dreißigjährigen Zeitraum zwischen der 1962 erfolgten Etablierung einer Gesellschaft für Psychologie in der DDR und deren Auflösung im Jahr 1990. Die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu beobachtende politische Distanz charakterisiert dabei auch die Kommunikation zwischen beiden Fachgesellschaften, wenn auch beide in wissenschaftlicher Hinsicht durchaus von angloamerikanischen Forschungsinhalten beeinflusst schienen. Im Beitrag werden weiterhin die Integrationsbemühungen der DGPs nach der Wende differenziert beschrieben und Aktivitäten wie auch Ergebnisse der Aufbauarbeit im Zusammenhang mit psychologischen Instituten in der ehemaligen DDR dargestellt.
In den Kapiteln 4 bis 6 werden Ziele und Bestrebungen der DGPs beschrieben, die seit den Sechzigerjahren von den jeweiligen Vorständen wiederholt thematisiert wurden, jedoch erst innerhalb der letzten Jahrzehnte stärker zum Tragen kamen und erst in neuerer Zeit positive Ergebnisse erbrachten. Im Beitrag von Conny Antoni wird illustriert, wie sich die DGPs-Vorstände insbesondere ab der Jahrtausendwende verstärkt um die Internationalisierung der Fachgesellschaft in den Bereichen Forschung, Lehre und Fachpolitik einsetzten. Während der Verfasser im Hinblick auf die Internationalisierung der Lehre im Fach Psychologie bis in die Neuzeit hinein relativ wenige Fortschritte sieht, sind in den beiden letzten Jahrzehnten gerade im Bereich der Forschung bedeutsame Verbesserungen registriert worden, und auch die Repräsentation der DGPs und ihrer Mitglieder in internationalen Wissenschaftsgremien zeigt aufsteigende Tendenz. Dennoch scheint das Potenzial in all diesen Bereichen aus Sicht des Verfassers noch lange nicht ausgeschöpft.
Im Beitrag von Andrea Abele-Brehm, Mario Gollwitzer und Gerhard Stemmler wird der Frage nachgegangen, in welcher Form sich die DGPs seit ihrer Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Sicherung von Forschungsqualität beschäftigt hat. Das Autorenteam sichtete hierzu Dokumente des Diagnostik- und Testkuratoriums sowie der Ethikkommission ab den Fünfzigerjahren und stellt die Fortschritte neuerer Entwicklungen dar. Der Überblick macht deutlich, dass die DGPs gerade im Hinblick auf die Frage der Qualitätssicherung in der Forschung und die Entwicklung von Forschungsstandards im vergangenen Jahrzehnt sehr aktiv geworden ist. Es werden unterschiedliche Maßnahmen zur Professionalisierung der Fachgesellschaft erörtert, die allesamt dazu beigetragen haben, die Qualität psychologischer Forschung weiter zu verbessern und nachhaltig abzusichern.
Etwa seit Beginn der Achtzigerjahre spielte das Thema Öffentlichkeitsarbeit in der DGPs-Vorstandsarbeit immer wieder eine Rolle. Wie im Kapitel von Rainer Silbereisen und Marcus Hasselhorn nachgewiesen wird, handelte es sich zunächst allerdings eher um Absichtserklärungen ohne erkennbare Folgen. Erst ab der Jahrtausendwende kam es zu deutlichen Verbesserungen, eingeleitet durch den Aufbau einer Expertendatenbank, der Einrichtung einer Geschäftsstelle, der Beauftragung einer Agentur mit der teilweisen Übernahme der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der DGPs und schließlich durch die Einstellung einer festen Mitarbeiterin für die |10|Öffentlichkeitsarbeit in der DGPs-Geschäftsstelle im Jahr 2014. Die Autoren können zeigen, dass alle diese Maßnahmen zur Profilierung der Öffentlichkeitsarbeit beitrugen und sich die Zusammenarbeit der DGPs mit (sozialen) Medien und Medienvertretern seither wesentlich positiver darstellt. Dennoch scheinen den Verfassern Weiterentwicklungen in diesem wichtigen Bereich wünschenswert, wozu erste Vorschläge gemacht werden.
Im siebten Kapitel verfolgt Horst Gundlach die Anfänge des Psychologiestudiums, die schon seit dem 18. Jahrhundert nachweisbar sind, und illustriert dann die weitere Entwicklung des Studienfachs Psychologie als Universitätsabschluss und als Voraussetzung für die berufliche Tätigkeit als Psychologe in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Hier kam Bereichen der angewandten Psychologie, etwa der Psychotechnik und der Arbeit in unterschiedlichen militärischen Positionen bis zum Kriegsbeginn zunehmend größere Bedeutung zu. Die Einführung einer Prüfungsordnung für das Diplomstudium im Jahr 1941 stellte dann einen markanten Einschnitt dar, der nicht nur einheitliche Ausbildungsrichtlinien vorsah, sondern auch Vorgaben zur Besetzung von Professuren an psychologischen Instituten machte. Die für die Umsetzung der Prüfungsordnung erforderliche Infrastruktur wurde von der DGPs in der Nachkriegszeit dann auch vehement und relativ erfolgreich eingefordert. Der Beitrag von Gundlach geht weiterhin detailliert auf Gründe für nachfolgende Änderungen der Diplomprüfungsordnung und deren Auswirkungen ein.
Bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts war die wissenschaftliche Ausbildung in Psychologie im Wesentlichen auf universitäre Diplomstudiengänge beschränkt. Im Beitrag von Edgar Erdfelder und Hannelore Weber werden die Auswirkungen der „Bologna-Reform“ und der europaweiten Umstellung der Studiengänge auf ein zweistufiges Bachelor-Masterformat beschrieben. Beide waren an der Umstellung der Studiengänge im Bereich Psychologie hautnah beteiligt (H. W. als Präsidentin, E. E. als Schatzmeister des DGPs-Vorstands, der mit dieser Frage zwischen 2004 und 2006 zentral beschäftigt war), können also aus erster Hand berichten. Im Kapitel werden wesentliche Probleme des Umstellungsvorgangs (etwa die Auseinandersetzung darüber, dass der Masterabschluss – und nicht etwa der Bachelorabschluss – als Regelabschluss zu gelten habe) und seine Implikationen für das Studienfach Psychologie ausführlich dargestellt. Edgar Erdfelder und Hannelore Weber können rückblickend konstatieren, dass die Bachelor-Masterreform in fast allen deutschen psychologischen Instituten im Einklang mit den Empfehlungen der DGPs umgesetzt wurde, die Psychologie damit also ihre disziplinäre Einheit auch nach der Reform im Grundsatz bewahrt hat.
Im neunten Kapitel des Bands beleuchtet Armin Stock ausgewählte Initiativen der DGPs zur Nachwuchsförderung. Hierbei werden zunächst Überlegungen zur Bedeutung des Begriffs der Nachwuchsförderung und den damit verbundenen Zuständigkeiten vorangestellt. Anschließend wird die Einführung der Diplom|11|prüfungsordnung im Jahr 1941 als erster Meilenstein der Nachwuchsförderung beschrieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich die Nachwuchsförderung zunächst vornehmlich auf Maßnahmen der inner- und außeruniversitären postgradualen Weiterbildung und dies in enger Verflechtung mit verschiedenen, aufeinanderfolgenden Initiativen des Wissenschaftsrats. Dabei lassen sich in der Entwicklung zwei Phasen unterscheiden, von denen die erste eher direktiv wachsende Anforderungen an den eigenen Nachwuchs stellte und die zweite demgegenüber mehr Partizipation an der eigenen Karriereentwicklung zuließ. Mit der Einrichtung der verschiedenen Fachgruppen innerhalb der DGPs wurde die Nachwuchsförderung zu großen Teilen nach und nach von diesen übernommen.
In Kapitel 10 gehen Dietmar Schulte und Winfried Rief genauer auf die Entwicklung der Klinischen Psychologie der letzten 50 Jahre ein und beschäftigen sich in diesem Zusammenhang mit den ebenso lange währenden Bemühungen um ein Psychotherapeutengesetz. Beide Autoren haben maßgeblichen Anteil an diesen Anstrengungen und der resultierenden Erfolgsgeschichte gehabt, Dietmar Schulte im Hinblick auf die Etablierung des ersten Psychotherapeutengesetzes von 1999, Winfried Rief danach bei der Vorbereitung, Verabschiedung und Umsetzung des zweiten Psychotherapeutengesetzes von 2019. Die Ausführungen legen den Schluss nahe, dass die DGPs gerade bei der Vorbereitung des zweiten Gesetzentwurfs stärkeren Einfluss genommen hat, und dass sich die Einrichtung des Fakultätentags Psychologie im Zusammenhang mit der politischen Entscheidungsfindung positiv auswirkte. Wie die Autoren anmerken, ergeben sich mit der Einführung des Studiengangs Psychologie, mit der Möglichkeit zur Approbation in Psychotherapie, für die betroffenen Institute neue Herausforderungen, die hoffentlich angemessen bewältigt werden können.
Die beiden letzten Kapitel des Bands beschäftigen sich mit der Satzungsgeschichte der DGPs. Der schon 2004 von Gerd Lüer in der Psychologischen Rundschau veröffentlichte Artikel beschreibt die Geschichte der Satzungen zwischen 1904 und 2004. Es scheint hier bemerkenswert, dass bis zu Beginn des zweiten Weltkriegs keine Änderungen/Erweiterungen nachweisbar sind. Dies änderte sich in der Zeit nach dem Krieg jedoch deutlich, wie die lückenlos vorliegende Dokumentation der Satzungen der DGPs sowie ihrer Revisionen belegt. Die von Gerd Lüer vorgenommene Auswertung der Dokumente führt zu dem Ergebnis, dass das Ringen um die Methoden der wissenschaftlichen Psychologie ebenso zu Veränderungen in der DGPs und ihrer Satzungen führten wie Fragen nach der standes- und berufsmäßigen Vertretung ihrer Mitglieder. Schließlich dürfte auch die stetig wachsende Mitgliederzahl und die damit einhergehende zunehmende Komplexität der DGPs-Infrastruktur dazu beigetragen haben, dass sich die Anzahl der Paragrafen in den DGPs-Satzungen von 1904 bis 2004 etwa verdreifacht hat.
Im abschließenden Kapitel von Bianca Vaterrodt wird die Satzungsgeschichte zwischen 2004 und 2022 detailliert beschrieben. Wie die Verfasserin herausstellt, |12|könnten die Satzungsänderungen in neuerer Zeit am besten als Konsequenz der Professionalisierung von DGPs-Strukturen eingestuft werden. Viele Änderungen zwischen 2004 und 2018 sind als Folge der Umstellung des Diplomstudiengangs Psychologie auf Bachelor-Masterstudiengänge anzusehen, in deren Zusammenhang auch der akademische Nachwuchs früher in die DGPs-Arbeit integriert wurde. Weiterhin wurden Satzungsänderungen durch die Reform des Psychotherapieausbildungsgesetzes und im Zusammenhang mit der Einrichtung des Fakultätentags Psychologie erforderlich. Die zunehmende Professionalisierung der DGPs im Hinblick auf den Ausbau der Geschäftsstelle und die Etablierung eines „Zentrums für wissenschaftlich-psychologische Dienstleistungen“ machten weitere Anpassungen notwendig. Schließlich wurde auch die Ausweitung der Ziele der DGPs-Arbeit insbesondere in den Aspekten der Wissenschaftskommunikation und der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der letzten Satzungsreform berücksichtigt.
Insgesamt gesehen illustrieren die Beiträge zu diesem Buch in ihrer Gesamtheit eine Entwicklung der DGPs, die sich als Erfolgsgeschichte charakterisieren lässt. Sie weisen im Rahmen unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen nach, dass sich unsere wissenschaftliche Fachgesellschaft im Lauf der Jahrzehnte von einem eher kleinen Männerverein zu einer nach wie vor schnell wachsenden, komplex strukturierten, zunehmend weiblichen, jüngeren und zunehmend professionell arbeitenden Organisation entwickelt hat, der es trotz einiger Krisenmomente bis zuletzt gelungen ist, die Einheit der Disziplin zu wahren.
Wir sind dem DGPs-Vorstand unter der Ägide von Birgit Spinath und Markus Bühner dafür dankbar, dass es letztendlich zu dieser Kommissionsarbeit und der Fertigstellung dieses Buchs kommen konnte und finanzielle Hilfen für die Fertigstellung des digitalen Archivs bereitgestellt wurden. Die letzten Schritte bei der Vollendung des vorliegenden Bandes wurden von Frau Susanne Weidinger und Anna Jung vom Hogrefe Verlag kompetent und hilfreich begleitet, wofür wir herzlich danken.
Großer Dank gebührt auch Dr. G.-Jürgen Hogrefe, der von den Zielen unserer Kommissionsarbeit gleich überzeugt war und sowohl das Buchprojekt als auch die Produktion des geplanten Sonderhefts der Psychologischen Rundschau nachhaltig unterstützte. Die Kooperation des Verlags mit der DGPs hat eine lange Geschichte. Unsere Rekonstruktion der DGPs-Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg kann belegen, dass Dr. Carl Jürgen Hogrefe (seit 1998 Ehrenmitglied der DGPs) bei der Neugründung der DGPs gerade in der Anfangszeit eine wichtige Rolle spielte. Zunächst organisierte er als Assistent von Johannes von Allesch in dessen Auftrag den DGPs-Kongress von 1948, war aber auch weiterhin intensiv in die DGPs-Vorstandsarbeit eingebunden (was die im DGPs-Archiv abgelegte Korrespondenz der Fünfziger- und Sechzigerjahre eindrucksvoll illustriert) und später in verschiedenen DGPs-Vorstandsämtern (etwa 1971 gleichzeitig als Schatz|13|meister und Schriftführer) aktiv. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch stärker an einer wissenschaftlichen Laufbahn interessiert, gründete er 1949 den Verlag und etablierte im gleichen Jahr die Psychologische Rundschau, die spätere Organzeitschrift der DGPs. So kommt es, dass im Jahr 2024 nicht nur der 120. Geburtstag der DGPs ansteht, sondern gleichzeitig das 75-jährige Jubiläum des Hogrefe Verlags und unserer Organzeitschrift. Ein weiterer Grund zum Feiern!
Würzburg,
Wolfgang Schneider
im Januar 2024
und Armin Stock
Horst Gundlach
Wissenschaftliche Gesellschaften, deren Benennung besagte, dass man sich (auch) mit Fragen der Psychologie befasste, wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet. Darin dominierten entweder Psychiater oder aber mit Parapsychologischem befasste Personen. Erst 1904 kam es im Deutschen Reich zur Gründung einer psychologischen Fachgesellschaft, in der Psychiater und Physiologen willkommen, hingegen Parapsychologisches unerwünscht war. Die Mehrzahl der Gründer dieser Gesellschaft für experimentelle Psychologie waren Professoren der Philosophie, denn im deutschen Sprachraum gab es noch keine Professuren für Psychologie. Die Gesellschaft organisierte jedes zweite Jahr einen Kongress, publizierte einen Kongressbericht und eine Liste ihrer Mitglieder. Dies wurde während des Ersten Weltkriegs unterbrochen, doch danach fortgesetzt. Jetzt wurde sich mit Angewandter Psychologie stärker befasst. Auf dem Wiener Kongress 1929 wurde der Name in Deutsche Gesellschaft für Psychologie umgewandelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg unternahmen bereits in den 1920er-Jahren bekannte Professoren in den westlichen Besatzungszonen die Neugründung. Gegen Ende der 1950er Jahren gelang es einer jüngeren Generation, alte Zöpfe zu bezwingen und die Leitung der Gesellschaft zu übernehmen.
Zunächst erfolgen Bemerkungen zur unerfreulichen Lage der Quellen zur Geschichte der Fachgesellschaft.
Die Unterlagen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie wurden gegen Ende des Zweiten Weltkrieges vollständig verloren. Selbst über ihr Verschwinden gibt es nur eine Anzahl kaum begründeter Vermutungen. Dazu gehört etwa Albert Welleks |15|Angabe als Schriftführer der Gesellschaft, wiedergegeben von Geuter (1984, S. 518), die Akten und Unterlagen der Gesellschaft seien im Psychologischen Institut der Universität Leipzig untergebracht und dort im Dezember 1943 verbrannt.
Nach diesem Krieg und der Wiederentstehung der Gesellschaft wurden die danach entstehenden Unterlagen zunächst amateurhaft und unvollständig aufbewahrt. Daher fehlen gewichtige Quellen über Entstehung, Veränderungen, Absichten, Erfolge und Misserfolge dieser Gesellschaft.
Die wichtigsten, heute verfügbaren Quellen zur Geschichte der Gesellschaft bis etwa 1960 sind die Berichte über diejenigen Kongresse, die tatsächlich stattgefunden haben. Außerdem gibt es Angaben in Fachzeitschriften. In welchem Umfang Briefe einsehbar sind, in denen Teilnehmer oder andere Personen über die Gesellschaft, ihre Planungen und Durchführungen erzählen, ist nicht bekannt.
Über die Mitglieder der Gesellschaft berichten die offiziellen Kongressberichte nahezu regelmäßig. Nur bei dem Bericht des Tübinger Kongresses 1934, publiziert 1935, wurde eine Aufstellung der Mitglieder unterlassen. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde den Kongressberichten eine Mitgliederliste beigefügt, und zwar im gemeinsamen Bericht über den 17. und den 18. Kongress. Der Bericht wurde allerdings erst 1953 gedruckt und teilte den Stand dieses Jahres mit.
Die Quellenlage hat sich seit früheren Darstellungen der Geschichte der Gesellschaft nicht nennenswert geändert. Dazu zählen Gundlach und Stöwer (2004), Schönpflug (2020), Sommer (1932) sowie Traxel (2004).
Nach diesen Bemerkungen über die Quellenlage zur Geschichte sei dargestellt, dass die Gesellschaft für experimentelle Psychologie keineswegs die früheste Gesellschaft für Fragen der Psychologie war.
Der berühmte Berliner Internist, Neurologe und Psychiater Wilhelm Griesinger gründete Anfang 1867 die Berliner medicinisch-psychologische Gesellschaft. Sie erklärt, sie beschäftige sich vorzüglich mit psychiatrischen, aber auch psychologischen Fragen und habe von Anbeginn an es wünschenswert gefunden, dass nicht ausschließlich Ärzte ihr beitreten, sondern auch Psychologen und solche, welche durch ihren Beruf auf nähere Beschäftigung mit Psychologie hingewiesen seien. In der Tat gehörten die Psychologen Moritz Lazarus und Heyman Steinthal zum Kreis der Gründer. Jedoch beherrschten Themen der Psychiatrie die Sitzungen dieser Gesellschaft, die Psychologie hingegen wurde schrittweise übergangen, und 1879 änderte man den Namen in Berliner medicinisch-neurologische Gesellschaft (Holdorf, 2017). Auch in der mehrere Jahrzehnte später gegründeten Gesellschaft |16|für experimentelle Psychologie, der späteren Deutschen Gesellschaft für Psychologie, werden Ordinarien der Psychiatrie eine wichtige Rolle einnehmen.
Eine Art Aufruf zur Gründung von Gesellschaften für experimentelle Psychologie publizierte Joseph Jacobs im Januar 1886 in der englischen philosophischen Zeitschrift Mind. Er stellte fest, dass es für alles Mögliche Gesellschaften gebe, nur nicht für Psychologie. Bald nach Jacobs’ Bemerkung entstanden um Psychologie bemühte Gesellschaften in vielen Ländern. Wie weit dies auf den Mind-Artikel zurückzuführen ist, lässt sich kaum feststellen, doch ist ein Zusammenhang naheliegend.
Als im Jahre 1904 die Gesellschaft für experimentelle Psychologie gegründet wurde, hatte es im deutschen Reich schon eine Geschichte psychologischer Gesellschaften gegeben, die Treffen veranstalteten und Publikationen veröffentlichten. Jedoch wurde die Gründung der Gesellschaft 1904 nicht etwa eine umfassende Vereinigung dieser Gesellschaften, sondern sie stellte ein deutliches Gegenprogramm zu diesen älteren Gesellschaften auf.
Unmissverständlich zeigte sich dies in einer Auseinandersetzung zwischen Max Dessoir und Wilhelm Wundt. 1889 veröffentlichte Dessoir in der Allgemeinen Zeitung einen Artikel mit der Überschrift „Ueber Arbeitsgebiet und Forschungsweise psychologischer Gesellschaften“. Er stellte fest, dass es reichlich Gesellschaften mit regelmäßigem Ablauf der Versammlungen auch für den kleinsten Wissenschaftbezirk gebe. Nur die älteste der Wissenschaften, die Lehre von des Menschen eigener Seele, habe sich bisher scheu von solchem Betrieb ferngehalten. Die Psychologie, so Dessoir weiter, könne seit Beginn dieses Jahrhunderts den Anspruch erheben, eine exakte Wissenschaft zu sein, und das, folgerte er, erfordere einen besonderen Studiengang für angehende Psychologen, Professuren für Psychologie, psychologische Institute und Gesellschaften in den größeren Universitätsstädten und endlich eine Zeitschrift für Psychologie.
Das sind heute selbstverständliche Forderungen. Damals aber, da war sich Dessoir sicher, erfordere ihre Erfüllung noch einen weiten Weg. Er empfahl daher, sich zunächst auf einen Teil der Psychologie zu beschränken, auf das Gebiet, dem das Publikum größtes Interesse entgegenbringe. Er nennt es „Hypnotismus und verwandte Erscheinungen“. Was Wundt davon hielt, sei bald aufgezeichnet. Zunächst seien jene psychologischen Gesellschaften genannt, die Dessoir als bereits vorhanden aufzählte.
In London wurde die Society for Psychical Research 1882 gründet, 1884 in Paris die Société de Psychologie Physiologique, 1885 in Moskau eine Psichologitscheskoje Obtschestwo, 1886 in Boston, Massachusetts, die American Society for Psychical Research, 1886 in München die Psychologische Gesellschaft, 1888 in Berlin die Gesellschaft für Experimental-Psychologie, deren Programm bald veröffentlicht wurde (Eine Gesellschaft für Experimental-Psychologie, 1890, S. 57f.). Diese Berliner und |17|Münchener Gesellschaften fusionierten im November 1890 zur Gesellschaft für psychologische Forschung. Von der Münchener Gesellschaft hatte sich zuvor eine Gesellschaft für Experimentalpsychologie getrennt, wie ihr Vorstand Carl du Prel (1889) wissen ließ.
Diese Gesellschaften befassten sich mit „Hypnotismus und verwandten Erscheinungen“ wie etwa Telepathie, Mediumismus oder Spiritismus, mit Themen also, gegen die Wundt und die 1904 errichtete Gesellschaft für experimentelle Psychologie erhebliche Einwände vorzubringen hatten. Auch Dessoir hatte gegenüber vielen dieser Themen Bedenken, doch den Hypnotismus wollte er als Forschungsfeld gelten lassen.
Wundt (1892/1893, 1892) nutzte Dessoirs Darstellung psychologischer Gesellschaften zur Darbietung seiner eigenen Vorstellungen. Dessoirs Äußerung, Hypnotismus sei der fruchtbare Weg zu experimenteller Psychologie, konnte er nicht akzeptieren, und die Nähe zwischen Hypnotismus und Okkultismus in den genannten Gesellschaften und deren Veranstaltungen sei offensichtlich. Den sogenannten Okkultismus betrachtete Wundt als Unsinn. Hypnotismus hingegen gebe es tatsächlich. Doch gehöre er nicht in das Laboratorium des Psychologen, sondern in das Krankenzimmer. Die meisten angeblichen Experimente mit Hypnotisierten verdienten diese Bezeichnung nicht. Dies legte Wundt ausführlich dar, was jedoch nicht zu unserem Thema gehört.
In einer wenig ernst genommenen Zeitschrift reagierte Dessoir (1892/1893) auf Wundt, der mit seiner „Abhandlung einen Kampf um eine wissenschaftliche Angelegenheit begonnen“ habe. Er warf ihm Unklarheit und Missverständnisse vor, außerdem verwies er auf einen Aufsatz, den er vor einigen Jahren in München gehalten und in der Allgemeinen Zeitung veröffentlicht habe. Er versteckte ihn jedoch, indem er weder Jahr noch Tag seiner Publikation in dieser Tageszeitung nannte.
Es wäre unnötig, diesen „Kampf“ näher darzulegen. Schon Münsterberg hat sich 1889 gegen den Mumpitz der angeblich psychologischen Erforschung des Geisterspuks, des Hellsehens und der Gedankenübertragung eingesetzt und hervorgehoben, dass die wissenschaftliche Psychologie sich dagegen zu wehren hat, dass dergleichen in weiten Kreisen als authentische Psychologie aufgefasst wird.
Zweck des Hinweises auf diese Meinungsverschiedenheiten ist es zu demonstrieren, dass die 1904 gegründete Gesellschaft für experimentelle Psychologie zwar nicht die erste Gesellschaft für Psychologie in Deutschland war, doch ihre Gründung auf dem Hintergrund dieses „Kampfes“ gegen diversen Unfug, der dem Publikum als Psychologie verkauft wurde, zu betrachten ist.
Festzuhalten sei, dass die Gesellschaft für experimentelle Psychologie keineswegs, wie es in Wikipedia sachfremd erzählt wurde, eine Vorläufergesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Psychologie war. Ein Namenswechsel, wie er 1929 in Wien vorgenommen wurde, erzeugt noch keine Vorläuferschaft.
Die Gründung der Gesellschaft für experimentelle Psychologie geschah in engem Zusammenhang mit dem ersten Kongress für experimentelle Psychologie im Jahr 1904 in Gießen. Der Gießener Psychiater Robert Sommer lud das Fachpublikum im Herbst 1903 dazu ein (Sommer, 1903). Auch dem Fachpublikum galt der Hinweis, den E. (!) Müller und Sommer 1903 publizieren ließen. Dem breiteren Publikum wurde dieser Kongress am 13. Januar 1904 in der Allgemeinen Zeitung unter der Rubrik Kleinere Mitteilungen bekanntgemacht:
Ein Kongreß für experimentelle Psychologie findet vom 18. bis 20. April in Gießen statt. Vorträge und Demonstrationen haben bisher u. a. die Herren Professoren und Dozenten Ebbinghaus (Breslau), Külpe und Marbe (Würzburg), Martius (Kiel), Meumann (Zürich), Müller (Göttingen), Stumpf und Schumann (Berlin), Sommer (Gießen) angemeldet. Mit dem Kongreß wird eine Ausstellung psychologischer Apparate verbunden sein, zu der gleichfalls eine Reihe interessanter Anmeldungen erfolgt sind. Weitere Anmeldungen werden an die Adresse der Herren Prof. Dr. E. Müller (Göttingen) und Dr. Sommer (Gießen) bis zum 20. Februar erbeten. (Kleinere Mitteilungen, 1904a)
Die Absicht, diesen Kongress zu nutzen, um eine Gesellschaft für experimentelle Psychologie zu gründen, wurde weder dem Fachpublikum noch der breiteren Öffentlichkeit berichtet. Dies holte man im April 1904 nach, als gemeldet wurde, bei dem Kongress werde die „Einrichtung einer deutschen Gesellschaft für experimentelle Psychologie erfolgen“ (Kleinere Mitteilungen, 1904b). Auch die Wiener Zeitung schreibt, „zum Schlusse wurde beschlossen, eine deutsche Gesellschaft für experimentelle Psychologie zu gründen [...]“ (Wiener Zeitung, 1904, S. 6).
Der offizielle, von Friedrich Schumann (1904) herausgegebene Bericht über den Kongress beginnt mit einem Kapitel unter der Überschrift „Geschichte des Kongresses“. Diese kurze Geschichte hält fest, dass im Jahre 1903 Georg Elias Müller sich entschloss, an die Spitze einer Bewegung zu treten, die auf die Einberufung eines solchen Kongresses in Gießen abzielte. Erst nach 18 Seiten über die Vorbereitung dieses zahlreiche Personen interessierenden Kongressplans fällt auch das Wort „Gesellschaft“. Wieder erscheint Müller als initiativenergreifende Figur. Denn kurz vor Beginn des Kongresses im Jahr 1904 habe er Statuten für eine neu zu gründende Gesellschaft für experimentelle Psychologie ausgearbeitet.
Sommer berichtete 1932 eine längere Geschichte. Er habe den Gründungsplan einer experimentalpsychologischen Gesellschaft schon gegen 1899 entwickelt und 1900 mit seinen Kollegen Schumann in Berlin und Müller in Göttingen vertieft.
|19|In Schumanns (1904) Bericht über den Kongress werden auch Müllers Statuten dieser Gesellschaft vorgeführt, die aus acht Paragrafen bestehen. Sie wurden anscheinend ohne Debatte umgehend gedruckt. Die Gesellschaft entstand auf Grundlage dieser Paragrafen nach den Vormittagsreferaten des Kongresses am Mittwoch, 20. April 1904, in Gießen. Die Statuten wurden einstimmig und wortgemäß akzeptiert:
§ 1 besagt im ersten Satz: „Die Gesellschaft bezweckt die Förderung der experimentellen Psychologie und aller verwandten methodisch-psychologischen Bestrebungen“. Dieser Satz verdeutlicht, dass man sich von Anfang an nicht auf experimentelle Psychologie umzäunen will.
§ 2 eröffnet mit: „Mitglied kann werden, wer eine Arbeit von wissenschaftlichem Werte aus dem Gebiet der Psychologie oder deren Grenzgebieten veröffentlicht hat.“ Auch hiermit wird dargelegt, dass keine Eingrenzung auf Psychologie vorgesehen wird. Der geräumige Bereich der Grenzgebiete wird eingeschlossen. Anders als bei den meisten damals existierenden psychologischen Gesellschaften reicht schlichtes Interesse an Psychologie für eine Mitgliedschaft nicht aus. Es muss mindestens eine psychologiebezogene Veröffentlichung vorliegen. Das garantierte den wissenschaftlichen Charakter der Gesellschaft. Psychologische Laien konnten nicht aufgenommen werden.
§ 3 erläutert die Höhe der Beiträge.
§ 4 betrifft den Aufbau der Gesellschaft. Ihr Vorstand soll aus sieben Mitgliedern bestehen, einem Vorsitzenden, einem Stellvertreter, einem Schriftführer, der auch die Kassengeschäfte betreibt, sowie vier anderen Mitgliedern. Diese Sieben werden für zwei Jahre gewählt. Eine Wiederwahl wird nicht ausgeschlossen.
§ 5 klärt die Tätigkeitsbereiche der Mitglieder des Vorstandes.
§ 6 bestimmt, dass über den Termin und den Ort der nächsten Versammlung die einfache Majorität anwesender Mitglieder entscheiden.
§ 7 konstatiert, dass die Teilnahme an den Versammlungen für Mitglieder der Gesellschaft unentgeltlich sein wird.
§ 8 zu guter Letzt legt fest, dass die Vortrags- und Unterhaltungssprache der Versammlungen ausschließlich die deutsche ist.
Damit liegt eine im Vergleich mit heutigen Gesellschaftsstatuten kurze und klare Aufstellung vor.
Schumanns Bericht (1904) über den ersten Kongress nennt anschließend die Mitglieder des Vorstandes der Gesellschaft, allerdings nicht zur Zeit des Kongresses, sondern unter dem 01. Oktober 1904. Zum Vorsitzenden war Georg Elias Müller (1850 – 1934), Ordinarius für Philosophie in Göttingen, gewählt worden. Stellvertretender Vorsitzer wurde Robert Sommer (1864 – 1937), Ordinarius für Psychiatrie in Gießen und Direktor der dortigen psychiatrischen Universitätsklinik, die über Räumlichkeiten für einen Kongress verfügte. Als Schüler Wilhelm Wundts brachte Sommer gesteigertes Interesse an experimenteller Psychologie ein.
|20|Die weiteren Vorstandsmitglieder waren Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909), Professor der Philosophie in Breslau, Siegmund Exner (1846 – 1926), Professor der Physiologie in Wien, Oswald Külpe (1862 – 1915), Ernst Meumann (1862 – 1915), Professor der Philosophie in Zürich, und Friedrich Schumann (1863 – 1940), Titular-Professor in Berlin und von 1894 bis 1905 Assistent Carl Stumpfs. Er wurde Schriftführer der Gesellschaft. Meumann konnte an diesem Gießener Kongress nicht teilnehmen.
Schon der Vorstand der Gesellschaft zeigt, dass die Psychologie kein einheitlich vertretenes Fach war, sondern dass sich Angehörige verschiedener Fakultäten mit ihren Themen befassten. Noch deutlicher wird dies, wenn man die übrigen, fast 80 einfachen Mitglieder der Gesellschaft nach ihrer beruflichen Tätigkeit betrachtet. Eine große Anzahl ist zwar an Universitäten tätig, doch finden sich auch praktische Ärzte und Fachärzte sowie Pastoren und, wie man damals sagte, Schulmänner, also Lehrer, Oberlehrer oder Schuldirektoren.
In einer gewichtigen Fachzeitschrift berichtete Müller (1904) über die Konstitution der Gesellschaft für experimentelle Psychologie am 20. April 1904. Er stellte die acht Paragrafen ausführlich dar und erwähnte gegen Ende, dass diese Gesellschaft beschlossen habe, den zweiten Kongress für experimentelle Psychologie 1906 in Würzburg zu veranstalten. In derselben Zeitschrift berichtet Ernst Dürr (1904) über den Kongress und die dort vorgetragenen Referate. Auf seiner letzten Seite kommt er auf die Gründung der Gesellschaft zu sprechen: „Die geschäftlichen Verhandlungen des Kongresses führten zu einem bedeutsamen Resultat, nämlich zur Gründung einer Gesellschaft für experimentelle Psychologie. Fast sämtliche Kongreßteilnehmer erklärten ihren Beitritt“ (Dürr, 1904, S. 392).
In den Journalen für das breitere Publikum wird alsbald über die Gründung der Gesellschaft berichtet, so etwa in der Allgemeinen Zeitung vom 28. April 1904 (Kleinere Mitteilungen, 1904c), bei der die Personen im Vorstand nur unvollständig aufgeführt werden. Ein ausführlicher Bericht über den Kongress wurde angekündigt. Den schrieb der Privatdozent Felix Krüger (1904) für die Allgemeine Zeitung, in dem auffällt, dass darin kein Wort über die sich gründende Gesellschaft für experimentelle Psychologie fällt. Erst im Spätherbst des Jahres 1905 wird diese Gesellschaft in der Allgemeinen Zeitung erwähnt. Jemand, der mit „t.“ signiert, berichtete: „Die deutsche Gesellschaft für experimentelle Psychologie wird ihre nächste Versammlung in den Tagen vom 10. bis 13. April nächsten Jahres in Würzburg abhalten“ (t., 1905).
Allerdings wird die Versammlung um eine Woche verschoben. Müller (1906a) erläutert dies im Namen der Gesellschaft:
Der nächste Kongreß für experimentelle Psychologie findet nicht, wie früher angekündigt, am 10. bis 13. April, sondern am 18. bis 21. April a. c. zu Würzburg statt. Wegen der am 20. und 21. April zu München stattfindenden Tagung der deutschen Psychiaterver|21|einigung werden die Gegenstände, die für die Psychiater von größerem Interesse sind, auf die Tagesordnung des 18. und 19. April gesetzt werden.
Die Verschiebung um eine Woche wird in den Tageszeitungen verkündet, so auch im Prager Tagblatt (Der zweite deutsche Kongreß für experimentelle Psychologie, 1906, S. 8): „Der zweite deutsche Kongreß für experimentelle Psychologie soll in der Zeit vom 18. bis 21. April d. J. (nicht, wie ursprünglich in Aussicht genommen war, vom 10. bis 13.) in Würzburg abgehalten werden.“
Das gelegentlich benutzte Adjektiv „deutsch“ gehörte nicht – man möchte auch sagen, noch nicht – zur offiziellen Bezeichnung der Gesellschaft oder ihrer Kongresse. Auf die damalige Bedeutung der Psychiater für die Gesellschaft verweist das Verschieben in die Nähe des Termins der Psychiatervereinigung.
Über diese zweite Versammlung der Gesellschaft berichtet ein O. K. ausführlich, der wohl niemand anderes als der Würzburger Professor Oswald Külpe sein kann. Allerdings beherrscht das Kongressgeschehen diesen Bericht, die Gesellschaft selbst wird nur im allerersten und im letzten Satz genannt. Der erste Satz lautet: „Vom 18. bis 21. April tagte in Würzburg der 2. Kongress der 1904 in Gießen gegründeten Gesellschaft für experimentelle Psychologie unter dem Vorsitz von Professor G. E. Müller (Göttingen)“ (O. K. [Külpe], 1906, S. 174).
Während hier der offizielle Name richtig genannt wird, erscheint er im letzten Satz mit dem inoffiziellen Zusatz eines großgeschriebenen „Deutsche“. Das mag als eigenartiger Vorgriff auf die Umbenennung der Gesellschaft im Jahre 1929 wahrgenommen werden:
Schließlich ist dies nicht am geringsten anzuschlagen, das [sic] das Bewußtsein gemeinsamer Arbeit und gegenseitiger Unterstützung durch die mannigfachen Beziehungen gestärkt wird, die im lebendigen Gedankenaustausch auftauchen, und in diesem Sinne hat die Deutsche Gesellschaft für experimentelle Psychologie die schöne Aufgabe übernommen, die Vermittlerin zu sein für das innere Leben einer Gemeinschaft, die an ihren eigenen Grundzügen noch arbeitet und darum gerade jetzt am meisten der Fürsorge bedarf. (O. K. [Külpe], 1906, S. 207)
Die Generalversammlung der Gesellschaft für experimentelle Psychologie fand auch in diesem Jahr am 20. April statt. In seinem Vorwort zum Kongressbericht schildert Külpe (1907, S. XV), der Vorsitzende Müller habe berichtet, die Zahl der Mitglieder sei auf 112 angestiegen, allerdings habe er auch einen Todesfall beklagen müssen. Dies war Ferdinand Maria Wendt (1839 – 1904), Verfasser der Seele des Weibes, Versuch einer Frauen-Psychologie (1891), Schulrat in Troppau.
Die Generalversammlung beschloss, der dritte Kongress solle 1908 in Frankfurt a. M. abgehalten werden, die bisherigen Vorstandsmitglieder wurden erneut gewählt, der Vorstand wurde um Carl Stumpf erweitert. Stumpf hatte sich bereits für den ersten Kongress angemeldet, war jedoch verhindert. Meumann, der schon |22|den ersten Kongress hatte versäumen müssen, konnte auch am Würzburger Kongress nicht teilnehmen.
Müller (1906b) kündigte den dritten Kongress an. Er fand im April 1908 in Frankfurt in der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften statt, aus der bald eine Universität wurde. Am 07. April 1908 annoncierte dessen Organisationskomitee (Das Organisationskomitee des III. Kongresses, 1908) die angemeldeten Referate, Vorträge und Demonstrationen.
Begleitet wurde der Kongress wieder von der Generalversammlung der Gesellschaft für experimentelle Psychologie am 24. April. Der Vorsitzende teilte mit, dass 24 neue Mitglieder der Gesellschaft beigetreten seien, hingegen sieben ausgetreten oder wegen Nichtentrichtung der Beiträge ausgeschlossen (Schumann, 1909, S. V–XXII). Die jetzige Mitgliederzahl betrage 128. Wie es dazu kam, dass die 1906 genannte Mitgliederzahl 112 sich von der damaligen Anzahl durch Addition von 24 und Subtraktion von 7 auf 128 entwickeln konnte, wird nicht erläutert. Der Vorstand blieb nahezu unverändert, nur Meumann, jetzt Professor in Münster, schied aus und wurde ersetzt durch Karl Marbe, Professor in Frankfurt. Der nachfolgende vierte Kongress sollte im April 1910 in Innsbruck stattfinden. Einen frühen Bericht über den Frankfurter Kongress lieferte Otto Klemm (1908), über die Gesellschaft hingegen wird darin wenig berichtet.
Der vierte Kongress fand im April 1910 in Innsbruck statt. Dass dieser Kongress in einer österreichischen Universitätsstadt stattfand, sorgte dafür, dass sich österreichische Blätter ausführlich mit ihm und politischen Implikationen befassten, siehe etwa Die Heilkunde (anon., 1910).
Auch dieser Kongress wurde begleitet von der Generalversammlung der Gesellschaft für experimentelle Psychologie am 21. April (Schumann, 1911, S. V–XXIII). Der Vorsitzende berichtete, 17 Mitglieder seien neu aufgenommen, eins sei ausgetreten, und das Mitglied des Vorstandes, Ebbinghaus, sei gestorben. Die Mitgliederzahl betrage jetzt 147, eine Zahl, die sich aus den angegebenen Größen nicht berechnen lässt. Die Zusammenstellung des Vorstandes ändert sich durch den Tod Ebbinghaus’.
Sommer (Schumann, 1911, S. XVIII), der stellvertretende Vorsitzende, berichtete über die Anknüpfung von Beziehungen zur Internationalen Gesellschaft für medizinische Psychologie und Psychotherapie. Diese verwandte Gesellschaft (Sommer, 1911) entstand 1909 durch August Forel (1935, S. 237, S. 259), der von Oscar Vogt und Hans von Hattingberg unterstützt wurde. Ihre erste Herbstsitzung ereignete sich 1909 in Zürich, die Jahresversammlung 1910 im August in Brüssel (Forel & Vogt, 1911), die zweite Jahresversammlung Ende September 1911 in München (Forel & Vogt, 1912), die dritte Anfang September 1912 in Zürich (Forel & Vogt, 1913).
|23|Die Gesellschaften hatten Folgendes vereinbart: Sie tauschen ihre Kongressberichte und sonstige Drucksachen aus. Sie setzen sich von ihren Kongressen und sonstigen wissenschaftlichen Unternehmungen rechtzeitig in Kenntnis. An Kongressen beider Gesellschaften kann ein Vertreter des Vorstandes der anderen Gesellschaft unentgeltlich mit beratender Stimme teilnehmen. Und die Gesellschaften unterstützen sich soweit möglich durch die Stellung von Referenten bei beiderseitigen Kongressen.
In den ersten beiden Versammlungen finden sich unter den Mitgliedern und Gästen keine Mitglieder der Gesellschaft für experimentelle Psychologie. Das ändert sich erst in der dritten Jahresversammlung in Zürich, in der Schumann, Schriftführer der Gesellschaft für experimentelle Psychologie, zu den Anwesenden gehört. Er war zwar nicht mehr Professor in Zürich, sondern ab 1910 in Frankfurt, doch wird ihm eine Reise in seine frühere Wirkungsstätte gefallen haben. Er tritt auf in der Diskussion über Eugen Bleulers Vortrag über das Unbewusste, trägt jedoch zuerst eine Bitte um Entschuldigung vor:
Zu diesem Kongresse wurde in freundlichster Weise vom Vorstand auch die Gesellschaft für experimentelle Psychologie eingeladen. Leider kam diesmal die Einladung nicht frühzeitig genug, um sie noch durch Abdruck in meiner Zeitschrift den Mitgliedern der Gesellschaft zugänglich machen zu können, wozu ich sonst gern bereit gewesen wäre und auch in Zukunft sein werde. (Schumann, 1913, S. E93 – E94)
Weiter konstatiert Schumann, dass die beiden Gesellschaften vorläufig noch sehr getrennt arbeiten. Das habe einen guten Grund. Bei den Kongressen der Gesellschaft für experimentelle Psychologie seien es Untersuchungen über die psychischen und psychophysischen Vorgänge bei der Wahrnehmung und über die Gesetze der Vorstellungsreproduktion, die noch einen sehr umfangreichen Raum einnähmen. Wer dagegen auf psychischem Wege heilen wolle, könne nicht warten, bis solche subtilen Untersuchungen vollendet seien. Er sei gezwungen, sich an komplexere psychische Phänomene zu halten und mit gröberen Hypothesen zu arbeiten. So sei man vorläufig dabei, getrennt zu marschieren. Wann sich dieser vorläufige Zustand auflöst, bleibt offen. Eine Darstellung der Ausführungen Schumanns mit abweichenden Hervorhebungen stammt von Hans Wolfgang Maier (1914, S. 49).
Die vereinbarten Beziehungen zwischen beiden Gesellschaften, genauer zwischen Psychiatrie und Psychologie, werden beim getrennten Marschieren nicht helfen können. Das wechselseitige Interesse der beiden Gesellschaften löst sich langsam auf. Bleiben wir bei der Gesellschaft für experimentelle Psychologie. Das anfängliche Interesse der Psychiatrie an experimenteller Psychologie und seine Spiegelung, wie es sich im Verhältnis zwischen Sommer und Müller zeigte, marginalisiert sich.
|24|In der geschäftlichen Sitzung der Gesellschaft gab es eine Auseinandersetzung, die im offiziellen Kongressbericht unerwähnt blieb, die aber Gustav Deuchler (1910), Mitglied der Gesellschaft, in seinem eigenen Bericht darlegt. Denn er betrachtete diese Erörterung für den allgemeinen wissenschaftlichen Standpunkt sowie für die Tendenzen, die innerhalb der Gesellschaft hier und da auftreten, charakteristisch. Es wurde nämlich vorgeschlagen, künftige Kongresse mit Vorträgen allgemeineren Interesses und weniger einzelwissenschaftlicher Voraussetzungen auf den ersten Tag zu legen, denn auf diesem Tag sind Laien meist zahlreicher vertretenen, und dies dürfte der weiteren Verbreitung der psychologischen Disziplinen förderlich sein. Doch Müller, Vorsitzender der Gesellschaft, machte dem gegenüber geltend, dass Rücksichten auf ein größeres Publikum niemals die Organisation des Kongresses bestimmen dürften; es komme vielmehr darauf an, in den Vorträgen streng innerhalb der Fachwissenschaft zu bleiben und so die Achtung und Wertschätzung der Psychologie als einer echten Wissenschaft zu erstreben, die eine eingehende fachwissenschaftliche Schulung erfordere, wenn man ihre Probleme und Resultate verstehen will. Müllers Ansicht teilten die meisten Mitglieder der Gesellschaft.
Carl Stumpf konnte an diesem Kongress nicht teilnehmen. Deshalb übermittelte Hans Rupp Stumpfs Einladung, den nächsten Kongress in Berlin abzuhalten. Diese Einladung wurde einstimmig angenommen.
G. E. Müller (1911/1912) veröffentlichte die ersten Einzelheiten für den Berliner Kongress, der vom 16. bis zum 20. April 1912 verlief. In der Generalversammlung der Gesellschaft erstattete der Vorsitzende den Geschäftsbericht. Die Anzahl der Mitglieder war von 150 auf 177 angestiegen. In den Vorstand der Gesellschaft wurden die bisherigen Mitglieder erneut gewählt. Durch Abstimmung wurde beschlossen, den nächsten Kongress in Göttingen 1914 abzuhalten.
Auf dem Berliner Kongress wird zwar nicht explizit deutlich, gleichwohl erkennbar, dass Schumanns Erläuterung der getrennten Arbeiten der zwei Gesellschaften, die ihre engere Zusammenarbeit ausgemacht hatten, etwas zu einfach strukturiert ist. Er hatte auf der dritten Jahresversammlung der Internationalen Gesellschaft für medizinische Psychologie und Psychotherapie erklärt, die Gesellschaft für experimentelle Psychologie betreibe subtile Untersuchungen, deren Erforschung erst in fernerer Zukunft größere gültige Resultate erbringe, hingegen die Gesellschaft für medizinische Psychologie und Psychotherapie aufzudecken unternehme, wie auf psychischem Wege Heilungen zu erreichen seien und deshalb sehr viel schneller größere Hypothesen aufzustellen habe, deren Zuverlässigkeit jedoch noch lange nicht festgesetzt sein könne.
Dass jedoch auch die experimentelle Psychologie sich bereits mit praktischen Aufgaben und deren Lösungen beschäftigt, folglich auch schneller größere Hypothesen aufstellte, wird schon dadurch deutlich, dass im Kongressbericht William Sterns (1912) Darstellung der Intelligenzprüfungen mehr als ein Drittel der Sei|25|tenzahl erhielt. Carl Jesinghaus (1912) verweist auf diese charakteristische Art des Berliner Kongresses in abstrakter Fassung:
Wenn man sich fragt, worin der V. Kongreß für experimentelle Psychologie, der vom 16. bis 19. April in Berlin abgehalten wurde, sich von seinen Vorgängern unterscheidet, so wird man hinweisen müssen auf das stärkere Hervortreten der Anwendungsgebiete der Psychologie und auf die mehrfache, nachdrückliche Betonung der Notwendigkeit psychologischer Einsicht für die Lösung vieler Probleme sowohl anderer Wissenschaften als auch der Praxis des Lebens. [...] Der Berliner Kongreß brachte, man kann es wohl so ausdrücken, die offizielle Anerkennung der angewandten Psychologie; [...]. (S. 289)
Marbes Rede (1912) auf diesem Kongress endete daher mit einer Forderung größter Bedeutung für die Wissenschaft der Psychologie: Er verlangt mit Rücksicht auf die große, teilweise fundamentale Bedeutung der Psychologie für die erwähnten theoretischen und praktischen Disziplinen die Einrichtung von psychologischen Instituten an allen Universitäten, Verbesserung der alten psychologischen Institute und besondere Professuren für Psychologie.
So lautet die gebündelte Darstellung der Rede Marbes im Kongressbericht. Seine Darlegung verdient durchaus noch die heutige Lektüre. Dass Forderungen dieser Art erst 30 Jahre später unter der NS-Diktatur und unter militärischer Einwirkung Gesetz werden, tönt absurd.
Der Göttinger Kongress, der sechste seiner Art, wurde wiederum von Müller (1913) der Fachöffentlichkeit angekündigt. Er fand vom 15. bis 18. April 1914 statt. Der Vorsitzende der Gesellschaft konnte feststellen, dass die Zahl der Mitglieder von 173 auf 193 angestiegen war. Auch erläuterte er, dass der Vorstand es für angemessen hielt, Wilhelm Wundt zur Feier seines 80. Geburtstages am 16. August 1912 eine Glückwunschadresse im Namen der Gesellschaft zu übersenden. Anscheinend war während des fünften Kongresses im April 1912 niemandem eingefallen, dass in drei Monaten dieser eines Glückwunsches würdige Tag vor der Tür stand.
Es wurde auf dem sechsten Kongress außerdem durch Abstimmung beschlossen, dass der siebte Kongress in Turin vom 26. bis 29. April 1916 stattfinden soll. Offensichtlich stammt die Einladung von dem Wundtschüler und Mitglied der Gesellschaft Friedrich Kiesow, der in Mecklenburg geboren und ordentlicher Professor an der Turiner Universität war. Spätestens durch den Kriegseintritt Italiens aufseiten der Entente am 23. Mai 1915 wurde ein Kongress in Turin unmöglich.
Der Bericht über den sechsten Kongress der Gesellschaft war der bisher umfangreichste. Eine Beschreibung des Kongresses außerhalb dieses Berichts konnte ich nicht finden. Es mag daran gelegen haben, dass der Weltkrieg bald ausbrach. Es mag auch daran gelegen haben, dass der Göttinger Kongress vieles bot, doch keine journalistische Sensation.
Der erste Kongress nach dem Weltkrieg fand im April 1921 in Marburg statt. Man nannte ihn den siebten, eine Ziffer, die ursprünglich dem geplanten, doch undurchführbaren Turiner Kongress zugedacht war. Die Ankündigung stammte wieder von Müller (1921a), allerdings mit dem Setzfehler, nach dem es um den zweiten Kongress gehen sollte. Auch muss er dies verkünden: „Aus finanziellen Gründen kann ein Bericht über den abzuhaltenden Kongreß auf Kosten der Gesellschaft nicht gedruckt werden“ (S.203).
Doch ließ sich diese Hürde überwinden. Der gedruckte Kongressbericht, den Karl Bühler, damals in Dresden tätig, 1922 in Zeiten galoppierender Inflation herausgab, lässt Entbehrung und Not der Kriegsverlierer spüren. Zuerst wird Dank an die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft für einen erheblichen Druckkostenbeitrag ausgesprochen. Sammelberichte und offensichtlich erheblich gekürzte Vorträge werden gedruckt. Doch es fehlen die Seiten über die Gesellschaft und ihre geschäftlichen Mitteilungen und Beschlüsse. Am Ende werden deren Mitglieder und der Vorstand angeführt. Es wird jedoch nicht mehr verzeichnet, welche Mitglieder anwesend waren oder fehlten; ein Gedenken an verstorbene Mitglieder fehlt; es werden auch Teilnehmer des Kongresses nicht mehr aufgezählt, die nicht Mitglieder waren.
Georg Elias Müller war weiterhin der Vorsitzende, Robert Sommer der stellvertretende Vorsitzende. Schumann war nicht mehr Schriftführer, dieses Amt hatte Bühler übernommen. Exner gehörte auch nicht mehr zum Vorstand. Marbe, Stern und Stumpf gehörten weiterhin dazu. Külpe hingegen war verstorben. Neu aufgenommen wurde neben Bühler auch Krueger. Auffälligerweise ist kein Wort über Ort und Datum des nächsten Kongresses zu finden.
Drei der vier Sammelreferate bezogen sich ausdrücklich auf den Krieg. Katz sprach über die psychologischen Erfahrungen an Amputierten, Poppelreuter über Hirnverletztenpsychologie, Rieffert über Psychotechnik im Heere. Unter den Referaten finden sich nicht wenige, die ein psychotechnisches Thema darlegen.
Einige Informationen über diesen Kongress publizierte der Vorsitzende Müller (1921b) kurz vor der geplanten Kongresszeit. Darin heißt es etwa, dass die Teilnahme am Kongress für Mitglieder der Gesellschaft unentgeltlich sei. Als Mitglieder gelten alle früher in die Gesellschaft Aufgenommenen, soweit sie durch Einsendung des Jahresbeitrags von 5 Mark für 1920 und die gleiche Summe für 1921 dem Schriftführer ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft bestätigt haben. Als Schriftführer nennt Müller noch Schumann. Unmittelbare Einzahlung im Kongressbüro gilt als gleichwertig. Für die verflossene Zeit nicht unwichtig ist die zusätzliche Bemerkung, von einer Erhebung rückständiger Mitgliedsbeiträge für vergangene Jahre werde abgesehen. Ebenfalls als Mitglied wird angesehen, wer |27|sich neu anmeldet und durch Vorstandsbeschluss aufgenommen wird. Als Vorleistung muss eine Arbeit von wissenschaftlichem Wert auf dem Gebiet der Psychologie oder auf Grenzgebieten veröffentlicht worden sein. Diese Vorschrift galt bereits vor dem Krieg.
Einige Zeit nach diesem Kongress wurde eine neue Aktivität der Gesellschaft für experimentelle Psychologie veröffentlicht. Sie hatte einen Ausschuss für angewandte Psychologie eingesetzt, der um Ostern 1922 in Berlin eine Tagung für angewandte Psychologie durchführen sollte (Stern & Lipmann, 1921/1922). Vorträge wurden nicht vorgesehen. An den ersten beiden Tagen sollte es vormittags um Besichtigungen gehen, offensichtlich um psychotechnische Einrichtungen in Betrieben und Behörden. Nachmittags sollte darüber debattiert werden. Am dritten und letzten Tag sollten über Terminologie diskutiert und die Fragen der Organisation und der nächsten Tagung des Ausschusses behandelt werden. Die praktische Psychologie verbreitete sich rapide und sorgte dafür, dass Schumanns Ansichten über den prinzipiellen Gegensatz zwischen Psychiatrie und Psychologie dahinschwanden. Der Gegensatz zwischen der medizinischen und der philosophischen Fakultät blieb allerdings weiterhin bestehen.
Die Kongresse der Gesellschaft werden wie in der Vorkriegszeit im Abstand zweier Jahre durchgeführt. Die Kongressberichte bleiben allerdings ohne nähere Bemerkungen über die Gesellschaft. Nur die Mitgliederlisten finden sich an deren Ende, allerdings ohne den früher üblichen Hinweis, welche Mitglieder den Kongress besucht hatten.
Müller (1922a, 1922b) veröffentlichte, dass der achte Kongress im April 1923 in Leipzig abgehalten werden sollte, und verkündete, dass die Höhe der Beiträge erst später festgesetzt werde. Die Inflation der Reichsmark rast offenbar in ungeahnte Höhen. Bald darauf wurde eine Einladung zum achten Kongress gedruckt, in der bereits eine erhebliche Anzahl geplanter Sammelreferate und Vorträge aufgezählt werden (Einladung zum achten Kongress, 1923). Eine ähnliche Einladung wird auch unter Müllers (1923) Namen gedruckt. Es wird darauf verwiesen, dass Sitzungen der Gruppe für angewandte Psychologie und des Verbandes der praktischen Psychologie vorgesehen sind. Den Kongressbericht gibt erneut Schriftführer Bühler heraus, der jetzt in Wien residiert. Darin fällt jedoch kein Wort über die Sitzungen der in der Einladung genannten Gruppierungen. Im Dezember 1923 kann man dazu diese Nachricht (Mitteilung, 1923) lesen:
Am 22. April und den folgenden Tagen sollen im psychologischen Institut der Universität Würzburg Tagungen der Gruppe für angewandte Psychologie und des Verbandes der deutschen praktischen Psychologen stattfinden. Es sind Vorträge aus dem Gesamtgebiet der angewandten Psychologie geplant. (S. 380)
Dies bezieht sich zweifellos auf das Jahr 1924. Vermutlich war die für 1922 geplante Versammlung verschoben. Im Februar 1924 muss Marbe (1924) mitteilen, dass |28|die für den 22. April und folgende Tage geplanten Tagungen „mit Rücksicht auf die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse bis aus weiteres verschoben“ (S. 416) werden müssen.
Der neunte Kongress wurde im April 1925 in München durchgeführt. Den Bericht gab erneut Bühler (1926) heraus.
Für den April 1926 verkündete die Gesellschaft für experimentelle Psychologie (Gruppe für angewandte Psychologie) die zweite Tagung für angewandte Psychologie an der Handelshochschule Mannheim (Stern & Selz, 1926, S. 406): „Es soll diesmal die Mannigfaltigkeit der Beziehungen zum Ausdruck kommen, die zwischen der angewandten Psychologie und verschiedenen Gebieten der Praxis (Pädagogik, Wirtschaft, Rechtsprechung) bestehen.“
Wie Müller (1926) mitteilte, sollte der 10. Kongress im folgenden Jahr im April in Bonn geschehen. Über weitere Details zu diesem Kongress, seinen Begrüßungsabend, seine Sammelreferate und die bisher angemeldeten Vorträge informierte Müller (1927a) im Jahr 1927. Weitere Nachrichten dazu publizierte Müller (1927b) im Mai 1927, also zu spät. Auch die ausführlicheren Mitteilungen Störrings (1927) zu diesem Kongress erschienenen erst im Mai.
Den Kongressbericht gab nicht mehr der Schriftführer Bühler heraus, sondern Erich Becher, der wie Wolfgang Köhler in den Vorstand eingezogen war. Vorsitzender war jetzt Marbe, denn Müller hatte diese Position verlassen. Er wurde nicht etwa als einfaches Mitglied genannt, denn er war jetzt genauso wie auch Stumpf zum Ehrenmitglied der Gesellschaft ernannt worden.
Der 11. Kongress für experimentelle Psychologie trat vom 09. bis 13. April 1929 in Wien zusammen. Eigenartigerweise konnte ich weder in der Zeitschrift für Psychologie noch im Archiv für die gesamte Psychologie, den üblichen Quellen für solche Nachrichten, eine Ankündigung oder einen Bericht über diesen Wiener Kongress finden.
Dafür wurde in der österreichischen Tagespresse auf dieses Ereignis hingewiesen. Es seien zwei Beispiele genannt. Das Neue Wiener Journal meldete am 6. April 1929 die baldige Seelenforschertagung in Wien (Seelenforschertagung in Wien, 1929). Die Arbeiter-Zeitung meldete am 11. April ausführlich die Seelenforschung in Wissenschaft und Praxis (P. St., 1929). Dass die Gesellschaft für experimentelle Psychologie ihre Benennung in Wien veränderte, wird in keinem Fall erwähnt. Der Hinweis findet sich immerhin im Kongressbericht: „Die gelegentlich des Wiener Psychologen-Kongresses tagende Mitgliederversammlung der Gesellschaft für experimentelle Psychologie hat einstimmig beschlossen, den Namen der Gesellschaft abzuändern in Deutsche Gesellschaft für Psychologie“ (Volkelt, 1930a, S. V).
Bei Einstimmigkeit wird es vermutlich keine gegensätzliche Debatte gegeben haben. Es wird aber nach dem eben zitierten Satz erklärt, man habe betont, die |29|Namensänderung der seit nunmehr 25 Jahren bestehenden Gesellschaft trage der Tatsache Rechnung, dass sich ihr Arbeitsbereich schon seit längerer Zeit auf das Gesamtgebiet der Psychologie und auf die Pflege auch der übrigen wissenschaftlichen Methoden ausgedehnt habe.
Ash (2002) vertritt die These, dass mit der Namensänderung die Psychologen „schon in der Namensgebung des eigenen Fachverbandes den Alleinvertretungsanspruch der Experimentalpsychologen“ (S. 238) relativierten. Dagegen ist einzuwenden, dass diese „Relativierung“ schon im Gründungsjahr 1904 mit dem ersten Satz des § 1 der damals einstimmig akzeptierten Statuten vorgenommen wurde.
Zur Eröffnung dieses Kongresses, der eben noch Kongress der Gesellschaft für experimentelle Psychologie heißt, sprach William Stern, dass wir im deutschen Sprachgebiet nicht erwarten dürften, diejenige Zahl und Opulenz an psychologischen Forschungsstätten zu bekommen, wie es etwa in Amerika der Fall sei, dass gleichwohl die Psychologie nicht mehr nur die Methode des Experiments, sondern auch eine Reihe anderer Methoden einsetze. Seine weiteren Ausführungen klingen nach einer Namensveränderung der Gesellschaft, vermeiden es allerdings, dergleichen vorzuschlagen.
Der Wiener Kongressbericht enthält Mitteilungen, die nicht zum Kongress selbst gehören. Anfang Juni 1929 wurde eine Kundgebung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (1929) an die „deutschen Universitäten und Hochschulen, an die für diese zuständigen Ministerien und Parlamente, an sämtliche deutsche Fachkollegen und Vertreter benachbarter Wissenschaften, an die Fach- und Tagespresse des deutschen Sprachgebietes“ (Volkelt, 1930a, S. VII) versandt. Sie wandte sich gegen die Verkümmerung der Wissenschaft Psychologie. Der Zeitpunkt war ungünstig. Im Oktober 1929 begann der Absturz der Kurse an der Börse in New York, im folgenden Jahr ergoss sich die Wirtschaftskrise über fast alle europäischen Länder.
Außerdem enthält der Kongressbericht eine Aufstellung der Mitglieder der Gesellschaft vom Stand des 01. April 1930. Der Vorstand war erneut Veränderungen unterworfen. Bühler war jetzt Vorsitzender, Stern dessen Stellvertreter, Volkelt Schriftführer. Die anderen Vorstandsposten füllten Narziß Ach, Göttingen, David Katz, Rostock, Johannes Lindworky, S. J., Prag, und Walter Poppelreuter, Bonn. Ehrenmitglieder blieben Müller und Stumpf. Sommer war aus dem Vorstand ausgeschieden und jetzt einfaches Mitglied der Gesellschaft. Dies entsprach den Veränderungen der Gesellschaft, zu deren Mitgliedern kaum noch Mediziner gehörten.
Hans Volkelt (1930b, 1930/1931) teilte Mitte 1930 und Ende 1930 mit, der 12. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie werde im April 1931 in Hamburg stattfinden. Ein umfangreiches mehrseitiges Programm publizierte Stern (1931) Anfang des Jahres. Den Kongress selbst eröffnete der Vorsitzende Bühler (1932) am 13. April 1931 mit düsteren Worten: „Die Psychologie ist in Bedrängnis geraten von außen her. Die Zahl ihrer Forschungsstätten an den Universitäten ist nicht |30|gewachsen, wie es nötig wäre, sondern zurückgegangen in einem Ausmaß, das als besorgniserregend bezeichnet werden muß“ (S. 3). Und in dieser Tonlage fährt er fort. Auf der Geschäftssitzung konnte berichtet werden, dass die Zahl der Mitglieder sich seit dem letzten Kongress von 256 auf 339 erhöht hatte.
Auch wurde gesagt, dass die Gesellschaft der auf diesem Kongress gegründeten Reichsvereinigung zur Förderung der Praktischen Psychologie e. V. als korporatives Mitglied beitrat. Deren Hauptzweck ist das Näherbringen der auf dem Gebiet der praktischen Psychologie tätigen und für dieses Gebiet interessierten Wissenschafter und Praktiker (Reichsvereinigung zur Förderung der Praktischen Psychologie, 1931; Lipmann, 1931). Von den Gründern wurden 13 namentlich genannt, doch nach „Poppelreuter“ erscheint ein unbekannter „Reuter“, der wohl nur eine Erfindung aus dem durch Bindestrich aufgeteilten voranstehenden Namen ist. Zwölf ist anscheinend die zutreffende Zahl, drei sitzen im Vorstand der Deutschen Gesellschaft der Psychologie, die übrigen sind einfache Mitglieder. Die Reichsvereinigung und die Gesellschaft sind somit eng verschwistert.
Kafka (1932) teilte mit, dass der „XIII. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse es gestatten, vom 4. – 8. April 1933 in Dresden stattfinden“ (S. 304) soll.
Stern berichtete über eine Sitzung am 02. April 1932 in Berlin, in der sich die Vorstände der drei deutschen psychologischen Organisationen, der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, des Verbandes der deutschen praktischen Psychologen und der Reichsvereinigung zur Förderung der Praktischen Psychologie, über die Möglichkeit gemeinsamen Arbeitens aussprachen und somit eine Arbeitsgemeinschaft bildeten. Von besonderer Bedeutung für die Psychologie ist der an erster Stelle genannte Punkt (Stern, 1932a, 1932b):
a)Die Arbeitsgemeinschaft nahm zustimmend Kenntnis davon, daß die deutsche Gesellschaft und der Verband einen paritätischen Ausschuß eingesetzt haben, der für eine künftige Fachprüfung für praktische Psychologen einen Entwurf ausarbeiten soll. (Vorsitzender: Ach.) (Stern, 1932a, S. 560)
Anfang 1933 wurde mitgeteilt, dass der 13. Kongress in Dresden vom 04. bis 09. April 1933 stattfinden werde (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 1933). Die im Archiv gedruckte Variante unterzeichnete am 15. Januar 1933 der Schriftführer der Gesellschaft, der Dresdner Gustav Kafka (1933). Werner Traxel (2004) berichtet, er habe von Wilhelm Joseph Revers gehört, in einer Vorstandssitzung der Gesellschaft habe es im ersten Halbjahr 1933 Krach gegeben, als vorgeschlagen wurde, jüdische Mitglieder nicht mehr einzuladen. Kafka habe daraufhin seine Mitgliederkarte auf den Tisch geknallt und ausgerufen: „Da habt Ihr Euren Scheiß!“
Dem Geschehen folgte die Nachricht des neuen Schriftführers, Otto Klemm, dieser Kongress werde verschoben und in Leipzig am 15. Oktober 1933 sowie den fol|31|genden Tagen stattfinden. Ein Grund der Verschiebung wurde nicht genannt. Man liest nur: „Die Tagung ist schon stark mit Vorträgen besetzt. Etwaige Änderungen sollen vornehmlich die Richtung auf Fragen der Persönlichkeitsforschung nehmen. Zugleich soll die praktische Bedeutung der Psychologie für Kernfragen des gegenwärtigen deutschen Lebens gebührend zu ihrem Rechte kommen“ (Klemm, 1933a, S. 144; 1933b, S. 320).
Doch ist der Grund unschwer zu entschlüsseln. Der örtliche Dresdener Psychologe war der n. b. a. o. Professor Walter Georg Blumenfeld. Ihm wurde die venia legendi 1933 entzogen, da er als Jude klassifiziert wurde. Kafka, Ordinarius für Philosophie und Pädagogik an der Dresdner TH, verließ die Gesellschaft und ersuchte 1933 um vorzeitige Emeritierung.
Der 13. Kongress fand tatsächlich in Leipzig vom 16. bis 19. Oktober statt (Klemm, 1934). Das Mitgliederverzeichnis nach dem Stand des 01. Januar 1934 ist das, was man „judenrein“ nannte. Vorsitzender ist jetzt Krueger, sein Stellvertreter Poppelreuter, Klemm der Schriftführer, Ach war als einziger weiterhin im Vorstand, den sonst J. Handrick, E. R. Jaensch, O. Kroh und J. Rieffert besetzen, also neuerdings acht Personen. Die beiden Ehrenmitglieder sind unberührt. Die einfachen Mitglieder sind von geringerer Anzahl, es werden unerwarteterweise noch einige jüdische Mitglieder aufgeführt, etwa Gelb, Katzenstein und Wertheimer.
Eine Nachricht weist auf den 14. Kongress der Gesellschaft in Tübingen hin (XIV. Kongreß, 1934). Er soll 1934 stattfinden. Als Neuigkeit wird nunmehr jedem Kongress ein Hauptthema vorgegeben, diesmal „Psychologie des Gemeinschaftslebens“. Im Bericht über diesen Kongress ist keine Mitgliederliste zu finden. Erwähnt wird, dass Krueger der Vorsitzende der Gesellschaft ist (Klemm, 1935c, III).
Klemm (1935a, 1935b) kündigte den nächsten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie für den Juli 1936 in Jena an. Das Rahmenthema laute „Psychologie des Gefühls- und Willenslebens“. Vorsitzender Krueger (1936a) zeigte im März 1936 den Kongress in Jena an, verkürzte das Rahmenthema auf „Gefühl und Wille“ und nannte 41 angemeldete Vorträge. Er meldete bald darauf den Mitgliedern der Gesellschaft:
Am 3. und 4. Juli wird in Weimar die 10jährige Wiederkehr des Parteitages der N.S.D.A.P. feierlich begangen. Die Wiedersehensfeier schließt am 5. Juli nachmittags 5 Uhr. Infolgedessen ist es notwendig, unseren Jenaischen Kongreß um einige Tage zu verschieben. Er findet also nicht vom 1. – 4. Juli statt, sondern von Sonntag, den 5. Juli (Begrüßungsabend) bis Mittwoch, den 8. Juli 1936 abends. Ich hoffe, daß diese unvermeidliche Änderung des Termins die Teilnahme an der Tagung, besonders den Herren Vortragenden, nicht erschweren wird. (Krueger, 1936b, S. 208)
Der Kongressbericht enthält diesmal ein Mitgliederverzeichnis nach dem Stand des 01. April 1937 (Klemm, 1937, S. 281 – 290). Der Vorstand der Gesellschaft ist auf fünf Personen geschrumpft. Alleiniger Vorsitzender ist Jaensch, einen zweiten |32|oder stellvertretenden Vorsitzenden gibt es nicht mehr, Schriftführer ist Klemm, als einfache Vorständler werden genannt Kroh, Krueger und Simoneit. Die früheren Ehrenmitglieder wurden ausgeräumt und vier neue eingesetzt, K. Groos, F. Schumann, Ch. Spearman und der Oberst Hans von Voß. Krueger war eines jüdischen Großvaters wegen aus gehobenen Posten entfernt worden, wie Traxel (2004, S. 27) darlegt.
E. R. Jaensch (1938c) berichtete im April 1938 über die Zusammenkunft innerhalb der Gesellschaft am 26. Oktober 1937 im Psychologischen Laboratorium des Reichskriegsministeriums. Sie diente „der Aussprache im kleineren Kreise und der persönlichen Fühlungnahme“ (S. 1).
Vorsitzender Jaensch (1938a, 1938b) verkündete im Juni 1938 für Juli 1938 die 16. Tagung der Gesellschaft in Bayreuth, dem Sitz der Reichsverwaltung des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Dies ist die letzte Mitteilung der Gesellschaft im Archiv für die gesamte Psychologie und, von Kleinigkeiten abgesehen, auch der Zeitschrift für Psychologie.
Der Bayreuther Kongressbericht brachte auch ein Mitgliederverzeichnis vor (Klemm, 1939). Dort finden sich jetzt 12 Vorstandsangehörige, Jaensch und Klemm in unveränderten Ämtern, gefolgt von 10 einfachen Vorständlern. Da allerdings Klemm sich am 05. Januar 1939 suizidierte, ernannte Jaensch den Leipziger Assistenten Albert Wellek, zuvor einfaches Mitglied, vertretungsweise zum Schriftführer.