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Die Mötze sind friedliebende Wesen, die in Harmonie leben – bis einer von ihnen einen schweren Fehler begeht. Plötzlich bekommen die Mötze die Folgen hautnah zu spüren: Immer wieder wird ihr Dorf von einem schrecklichen Ungeheuer – dem Rüsseldrachen – heimgesucht. Doch zwei mutige Mötzekinder stellen sich tapfer dem Drachen. Mit ihrer kindlichen Offenheit und ihrem klugen Handeln gelingt es ihnen, das Problem zu lösen – ein für alle Mal. Die Geschichte vom Rüsseldrachen zeigt, dass jeder Konflikt zu lösen ist - nicht mit Waffen, sondern mit Empathie, Kommunikation und einem offenen Herzen. Eine ermutigende Geschichte für eine Welt, die oft von Konflikten geprägt ist.
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ernst Scharrer
Die Geschichte
vom Rüsseldrachen
Eine fantastische Geschichte
Text: © 1982 Ernst Scharrer
Umschlaggestaltung: © 2025 Andreas Scharrer
E-Book 2025
Verlag:
Andreas Scharrer
Rohrersmühlstr. 20
91126 Schwabach
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Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
In Erinnerung an meinen Papa.
Für seine Kinder, Enkel und Urenkel.
Und: für alle Kinder in uns.
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Über das Buch
Über den Autor
Weitere Werke
Mein Vater Ernst Scharrer war ein fantastischer Geschichtenerzähler. Als ich in den 1970er Jahren noch ein kleiner Junge von etwa sechs Jahren war, nahm er mich mit auf Reisen durch seine selbst erfundenen Welten. Meistens saßen wir vor dem Zubettgehen auf dem Sofa im Wohnzimmer, wo wir es uns ganz gemütlich machten. Einige dieser Geschichten wurden sogar live per Tonband aufgezeichnet, später schrieb er drei davon nieder.
Eine dieser fantastischen Geschichten war Die Geschichte vom Rüsseldrachen. Um sicherzustellen, dass sie nicht in Vergessenheit gerät und auch andere Kinder – ob groß oder klein – sich daran erfreuen können, beschloss ich, sie Jahrzehnte später zu veröffentlichen. Auf diese Weise möchte ich meinem Papa noch einmal herzlich DANKE sagen für die wunderschönen Erzählzeiten, die ich mit ihm erleben durfte.
Andreas Scharrer
Er war das beredsamste Kind unter den Mötzen. Daher nannte man ihn Babbelmotz. Wo es etwas zu besprechen, zu regeln oder vorzutragen galt, holten seine Schulfreunde ihn hinzu. Nicht selten hatte es mit Erwachsenen zu tun und so geschah es mitunter, dass er in unwilligem Ton hörte: »Halte deinen Mund! Du bist noch zu jung. Lerne lieber!«
Das tat Babbelmotz, ohnedies sehr fleißig und ausgiebig. Er war der Beste in der größten Schule des ganzen Landes. Aber er konnte nicht einsehen, warum man erst angehört werden sollte, wenn man erwachsen war. Sein Standpunkt lautete: Wir Kinder müssen später einmal mit der Welt zurechtkommen, die uns die Erwachsenen hinterlassen; also haben wir auch ein Recht, uns jetzt darum zu kümmern, wie diese Welt einst aussehen wird. Natürlich wollten die Großen das nicht gelten lassen und sagten: »Aufgrund unseres langen Lebens haben wir die Erfahrung - und das alleine zählt!«
»Möglich, dass ihr vieles mehr wisst«, erwiderte Babbelmotz, »aber - wir Kinder fühlen besser.«
Aus seinen Antworten ist schon zu ersehen: Babbelmotz überlegte viel und gründlich. Das zeichnete ihn besonders aus. Er hatte sich den Wahlspruch zu eigen gemacht: ›Wer redet, soll vorher erst denken.‹
Diese Regel zu befolgen, hätte gerade den Mötzen leicht fallen müssen. Im Gegensatz zu ihrem zierlichen Körper hatten sie nämlich einen auffallend großen Kopf. Sie sahen ulkig damit aus. Wenn die Schulklasse von Babbelmotz in ihren Bänken saß, ragten nur die Köpfe über die Pultdeckel. Von den feingliedrigen Körperchen sah man fast nichts. Auch bei den Erwachsenen ergab sich ein ähnliches Bild, wenn sie im Wirtshaus oder im Zirkus saßen. Denn diese Dinge gab es alle bei den Mötzen. In ihrer kleinen Welt mangelte es an nichts.
Das Land der Mötze erstreckte sich in einem herrlichen Tal, welches das ›Tal der Reben‹ genannt wurde. Die Mötze hatten entdeckt, dass man Weintrauben nicht nur essen, sondern ein vorzügliches Getränk daraus bereiten konnte. Roten und weißen Wein. Und dieses Wissen nutzten sie. Die Berge, die sich links und rechts über das Tal erhoben, waren in ihrem unteren Teil dicht mit Weingärten bebaut. Weiter nach oben hin schlossen sich grüne Bergwiesen an, und die Gipfel wurden von steilen Fels- und Steinwänden gekrönt.
Da im Lande der Mötze meist blauer Himmel und strahlender Sonnenschein herrschten, bot das Tal einen prächtigen Anblick. Den Fluss entlang, von dem es durchzogen wurde, lagen die hübschen Dörfchen und Städte der Mötze. Und darin gab es alles: Kirchen, Schulen, Gasthöfe, Bäcker, Schuster, Schreiner; kurz alle Arten von Handwerkern. Die Hauptstadt hieß Motzbach. Sie lag etwa in der Mitte des Tales, dort, wo es am breitesten war und der Fluss eine Schleife zog. Es war eine freundliche kleine Welt. Lediglich im hintersten Teil des Tales, weit weg von der letzten Ortschaft, konnten keine Weinberge mehr angelegt werden. Die Berghänge waren dort dicht bewaldet, rückten nahe zusammen und verengten sich schließlich zu einer Schlucht, die sich im wild ansteigenden Felsengebirge verlor. Und von dort her kam immer das Unheil: der Rüsseldrache.
Im großen Rathaussaal von Motzbach saßen der Bürgermeister, die Ratsherren, die Senatoren und Landräte zusammen. Einziger Tagungspunkt war: der Rüsseldrache. Erst vorgestern war er wieder über das Tal hergefallen und hatte schlimme Schäden hinterlassen.
Irgendwo hinter der Schlucht am Ende des Tales musste er hausen. Dort stieg er auf, mit seinen mächtigen Flügeln, welche mit durchsichtiger Haut überspannt waren; einer riesengroßen Libelle ähnlich. Wenn er diese gewaltigen Schwingen in Bewegung setzte, erzitterten die Felswände ringsum.
Bei den Mötzen war jeder Start des Drachen sofort zu hören. Aus der Schlucht kamen dann ein Zischen und Fauchen. Nicht lange danach erschien das Ungeheuer über dem Felsengebirge. Mit dem langen, mächtigen Schwanz schlug es wild die Luft. Das klang wie ein Rauschen und Brausen, als fege ein Wirbelsturm hindurch. Das Rauschen kam von den gewaltigen Drachenflügeln, das Brausen aber ging von der schlimmsten Waffe des Untiers aus - seinem Rüssel. Ein furchtbarer Rüssel; lang und dick. Mit ihm saugte der Drache unter Gebrause alles in sich hinein und zermalmte es dann mit seinem schrecklichen Gebiss. Manchmal benutzte der Lindwurm den Rüssel auch als Fang- und Schlagwerkzeug; riss damit Bäume aus, schlug Scheiben und Türen ein. Am liebsten hätte er auch die Häuser zertrümmert. Aber die Mötze, welche ja die Drachengefahr kannten, bauten doppelt dick. So hatten die Gebäude bisher allen Angriffen standgehalten.
Die Versammlung im großen Rathaussaal war mittlerweile in heftige Erregung geraten. Eben schimpfte einer der Senatoren: »Was hilft es, wenn wir immer festere Häuser bauen und uns bei den Raubzügen des Untieres in die Keller verkriechen? Der Unhold wird doch immer wieder kommen und all unsere Arbeit zunichtemachen.«
Die Anwesenden nickten zustimmend. Das sah wieder ulkig aus; so, als bestände die Versammlung nur aus Köpfen. Da die Fenster des Saales geöffnet waren, konnte auch die vor dem Rathaus wartende Menge mithören. Unter ihr befand sich auch Babbelmotz.
Jetzt fuhr der Senator im Saal mit lauter Stimme fort: »Nein, liebe Freunde, wir müssen aufhören, uns nur zu verstecken und dann das Zerstörte geduldig neu aufzubauen. Wir müssen das Untier vertreiben!«
»Bravo! Bravo!« tönte es aus der Versammlung. Und unten von der Straße scholl ebenfalls Zustimmung herauf. Es dauerte nicht lange, da rief die Versammlung zusammen mit der Menge auf der Straße aus vereinten Kehlen: »Wir müssen das Untier vertreiben! Wir müssen das Untier bekämpfen! Wir müssen den Drachen austilgen!« Alle schienen vor Begeisterung außer Rand und Band zu geraten.
Nur Babbelmotz sagte nichts und zeigte inmitten all der Schreier ein nachdenkliches Kindergesicht.
»Warum rufst du denn nicht mit?« stieß ihn einer an. »Du redest doch sonst so viel! Und jetzt, wo es einmal wirklich Grund dazu gibt, bringst du den Mund nicht auf.«
Aber Babbelmotz rührte keine Lippe.
Oben im Saal hob der Bürgermeister die Hand. Der Jubel verebbte. Alles sah gespannt zum Stadtoberhaupt hin. Dieser stand gewichtig auf, räusperte sich, rückte seine Krawatte, strich sich das Haar und sagte hocherhobenen Hauptes: »Selbstverständlich! …« Als er merkte, dass die Versammlung eine Fortsetzung seiner Rede erwartete, begann er erneut: »Also …, die Sache ist folgendermaßen …, ich sehe das so …«, plötzlich verzog sich sein Gesicht zum Heulen und mit weinerlicher Stimme fuhr er fort: »Aber, wie sollen wir denn gegen den Drachen - diesen Schlimmling - vorgehen?«
Ratlose Stille. Natürlich, das hatte man in all dem Jubel ganz vergessen: Wie sollte denn die Vertreibung dieses Quälgeistes geschehen? Ein Tuscheln, Wispern und Raunen setzte ein. Schließlich meldete sich einer der Ratsherren zu Wort: »Wir müssen die Schlucht zumauern!«
»Unsinn!«, rief es vom hinteren Ende des Saales, »die Mauer überfliegt der Drache doch spielend.«
»Unsinn, Unsinn, Unsinn!« donnerte es von allen Seiten. Wieder begann Flüstern und Geraune. Auch unten auf der Straße beratschlagte man sich.
»Na, was denkst du denn, du Neunmalklug?«, sagte spöttisch derjenige, welcher vorhin Babbelmotz zum Mitschreien aufgefordert hatte, ohne jedoch selbst den Blick von den geöffneten Rathausfenstern zu nehmen. Als keine Antwort kam, wandte er sich zur Seite. Aber Babbelmotz war verschwunden. Der Frager schüttelte missmutig den Kopf und wandte sich begierig wieder dem Rathaussaal zu.
Dort oben klopfte es in diesem Augenblick an die reich verzierte Eichentüre. Der Saaldiener öffnete. Babbelmotz stand da. »Was willst du denn da oben?« fuhr ihn der Saaldiener unwirsch an. »Kinder haben hier nichts verloren.«
»Ich will zum Bürgermeister«, sagte Babbelmotz ungerührt. »Habe ich dir nicht gesagt«, brauste der Saaldiener auf, »Kinder haben …«
Er wurde vom Bürgermeister unterbrochen, der herüberrief: »Was ist denn los?« Der Bedienstete beeilte sich zu antworten: »Da ist einer - ich meine Babbelmotz -, der … er will zum Herrn Bürgermeister.«
»Weswegen denn?«
»Weiß ich nicht«, sagte der Saaldiener.
»Man werfe ihn hinaus!«, rief der Bürgermeister wichtigtuend.
Eben wollte der Saaldiener dieser Anordnung nachkommen, da erhob sich der Älteste von den Senatoren. Aufgrund seiner schlohweißen Haare und des gewaltigen Bartes, der fast die ganze Gestalt verdeckte, nannte man ihn Urpa. Das Wort sollte anscheinen - ähnlich wie Opa - einen noch älteren Motz bezeichnen.
Urpa stand etwas gebückt, die Hände vor sich auf den Tisch gestützt. Mit seiner seltsam dünnen und doch festen Stimme sagte er: »Lasst den Jungen herkommen!« Babbelmotz durfte herein und bis in die Mitte des Raumes vortreten. Viele guckten missmutig auf den Jungen, der es wagte, diese hochwichtige Versammlung zu stören.
»Was wünschst du?«, fragte Urpa und seine Augen sahen geduldig auf Babbelmotz.
»Ich möchte einen Vorschlag machen, wie wir den Drachen loswerden können.«
Im Saal begann es wieder zu zischeln und zu murmeln. Dann aber fingen einige an zu lachen. Andere fielen ein. Schließlich schäkerte die ganze Versammlung vor Vergnügen. Dazwischen hörte man missbilligend: »Kommt einfach daher, um uns zu sagen, was wir tun sollen.«
»Soll erst einmal richtig rechnen und schreiben lernen.
»Unglaublich, was sich Kinder heutzutage erlauben.«
»Was der sich einbildet.«
»So ein Grünschnabel.«
Urpa hob erneut die Hand; Ruhe gebietend. »Lasst ihn sprechen,« sagte der Alte, »Kinder haben oft recht gute Gedanken.« Und an Babbelmotz gewandt: »Wie lautet dein Vorschlag?«
Der Junge atmete tief, schluckte einmal und sagte: »Wir sollten mit dem Drachen sprechen.«
Einen Augenblick herrschte Stille. Dann brach ein empörtes Geschrei los, aus dem heraus die noch lautere Stimme des ›Ersten Ratsherren‹ drang: »Müssen wir uns so etwas Albernes hier bieten lassen? Wir sollen mit dem Drachen reden? Versuche das mal jemand; mit einem Tier, das kein Wort versteht und außer Fauchen, Saugen und Zischen nichts weiter hervorbringt!«
Lautstark pflichteten alle dem Sprecher bei. Es schien, als würde Babbelmotz durch den aufbrechenden Unmut der Versammlung geradezu in den Boden gestampft. Aber der Junge hielt sich tapfer. Mit seiner hellen Kinderstimme setzte er sich zur Wehr und rief: »Ihr wisst alle um die Sage vom Räubermotz; vor vielen, vielen Jahren. Der Drache soll damals noch friedlich gewesen sein, keinen Rüssel, dafür aber eine goldene Brille gehabt haben. Weil die Gläser vom Staub schon blind waren, bat der Drache den Räubermotz, die Brille gegen gute Entlohnung zu reinigen. Doch dieses Schlitzohr putzte das Augenglas nicht, sondern stahl es - seines goldenen Gestelles wegen. Seitdem nennt man ihn ja auch Räubermotz. Von jenem Tag an wurde der Drache böse und es wuchs ihm der Rüssel, damit er - zum Ausgleich für die schlechte Sicht infolge der gestohlenen Brille - fortan besser riechen konnte. Wenn der Drache damals aber von sich aus mit dem Räubermotz sprechen und diesen verstehen konnte, warum soll es heute nicht auch noch so sein?«
Im Saal setzte Schweigen ein. Einige hüstelten, andere betrachteten verlegen ihre Schuhspitzen.
»Das ist doch nur eine Sage«, ließ sich eine zweifelnde Stimme vernehmen. »Natürlich, nur eine Sage. Nur eine Sage«, fielen andere bereitwillig ein.
Da erhob sich abermals Urpa. Seine Stimme klang mahnend: »Möglich, dass die Geschichte im Laufe der Zeit etwas aufgebauscht wurde. Dennoch sollte man nicht vergessen: In jeder Sage steckt ein Körnchen Wahrheit. Und den Räubermotz hat es nun einmal gegeben!“
Wieder wurde es still im Raum. Dann huschte Raunen hin und her. Da stand der Bürgermeister gewichtig auf, räusperte sich, rückte seine Krawatte, strich sich das Haar und sagte hocherhobenen Hauptes: »Selbstverständlich! Also … folgendermaßen … ich sehe das so…«, dann begann er hilflos im Kreise umherzusehen, seine Augen wurden wässrig, und mit schluchzender Stimme fügte er hinzu: »Aber -, wer soll denn mit dem Drachen sprechen?«
Einer sah den anderen an. Natürlich -, wer sollte denn mit dem Riesentier sprechen? Auf wen fiel wohl die Wahl? Einige begannen bereits, sich unter irgendeinem Vorwand zu verabschieden. Sie hätten nicht weiter Zeit, sagten sie; dringende Geschäfte. Immer mehr der Versammelten drängten dem Ausgang zu, aus Angst, sie könnten zum Gespräch mit dem Drachen ausgewählt werden. In den beginnenden Tumult hinein ertönte wieder die helle Kinderstimme von Babbelmotz: »Ich werde mit dem Rüsseldrachen sprechen.«
Wie vom Schlag gerührt, blieben alle stehen. Die vielen Köpfe - ulkig groß - wandten sich dem Jungen zu, als sei er das siebente Weltwunder. Der Bürgermeister setzte sich mit einem hörbaren Plumps in seinen Stuhl. Eine Weile erfolgte gar nichts. Dann begann ein Kichern, das immer mehr anschwoll; bis schließlich der ganze Saal von wieherndem Gelächter widerhallte.
Der Einzige, der nicht mitlachte, war Urpa. Doch auf ihn achtete niemand. Die Lacher waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, hielten Taschentücher vor den Mund oder wischten sich Tränen des Vergnügens aus den Augen. Nur weil der ›Erste Ratsherr‹ sich wieder erhob, mäßigte man sich und hörte hin.
»Jetzt haben wir uns aber genug mit dem Vorschlag von Babbelmotz aufgehalten«, sagte der Mann entschieden. »Wofür sind wir zusammengekommen? Schließlich stand unser Entschluss bereits fest: Wir wollen den Drachen vertreiben. Inzwischen habe ich mir auch überlegt, wie das geschehen kann.«
Babbelmotz stand plötzlich ganz verloren im Raum. Keiner achtete mehr auf ihn. Alles sah zu dem Redner hin, um nichts zu verpassen.
»Ich werde euch sagen, wie wir es anfangen, das Untier zu verscheuchen: Wir schlagen es mit seinen eigenen Waffen!« Der Mann machte genießerisch eine Pause. Mucksmäuschenstill war es im Saal geworden. Eine Stecknadel hätte man zu Boden fallen hören. Dann ließ sich wieder die Stimme des Sprechers vernehmen: »Ihr wisst alle, dass ein Hund zu jaulen beginnt, wenn er Musik hört; weil sie für seine Hundeohren schmerzhaft ist. Diese Erkenntnis wenden wir beim Drachen an. Wir übertönen sein Gebrause mit noch gewaltigeren Klängen. Das ganze Tal entlang werden wir Türme errichten, mit mächtigen Glocken darin. Sobald der Quälgeist über dem Tal ist und tief heruntergeht, um seinen Rüssel einzusetzen, legen wir los. Gleichzeitig lassen wir alle Glocken erschallen - wie eine Tonflut. Ihm werden die Ohren dröhnen, dass er nicht mehr weiß, wo er sich befindet. Aber wir werden nicht lockerlassen, bis er hochsteigt und auf und davonfliegt. Ich bin überzeugt, er wird nie wieder kommen.«
Der Redner hatte kaum das letzte Wort gesprochen, da erhob sich schon donnernder Beifall. Dieser Vorschlag gefiel. Der Applaus wurde zum Jubelsturm. Auch unten auf der Straße wurden Freudentänze aufgeführt.
Der Bürgermeister stand gewichtig auf, räusperte sich, vollzog wieder seine üblichen Handbewegungen zu Krawatte und Haar und sagte hocherhobenen Hauptes: »Genau das, wollte ich auch vorschlagen.«
Der Beifall - durch diese Worte kurz unterbrochen - wurde wieder aufgenommen. Alles hüpfte, tanzte und witzelte. Als Babbelmotz nochmals mit seiner Kinderstimme rief: »Wir sollten doch erst mit dem Drachen sprechen!«, da verhallten seine Worte wie das Piepen eines Vogels im Sturm. Niemand kümmerte sich darum.
Auf den Wink eines der Senatoren hin, brachte ein weiterer Saaldiener dem ›Ersten Ratsherren‹, der den so großartig scheinenden Vorschlag gemacht hatte, auf samtbeschlagenem Tablett einen großen bronzenen Orden. Der Geehrte strahlte über das ganze Gesicht und verbeugte sich tief vor dem Bürgermeister und den Senatoren.