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Die Geschichte Josephs ist von allen biblischen Erzählungen eine der schönsten und lehrreichsten, und auch in keinem anderen Buche ist etwas zu finden, das ihr an die Seite gestellt werden könnte. Wir lesen von niemand im Alten Testament, der so vortreffliche Eigenschaften besessen hätte, wie Joseph, - ja, wir dürfen beinahe annehmen, dass nur unser Heiland ihn übertraf. Die Geschichte von Joseph ist auch wirklich ein Bild der Geschichte des Heilandes und war dieser in manchem ähnlich. Moses war ein demütiger und bescheidener, David ein höchst großmütiger und Salomon ein sehr weiser Mann. Jeder von diesen hatte aber irgendeinen bedeutenden Fehler, der über seine Tugenden einen trüben Schatten warf . Joseph hingegen teilt die guten Eigenschaften dieser Männer, ohne dass ihm irgendwelche ihrer Fehler zur Last gelegt werden könnten. Wir müssen zwar nicht denken, dass er vollkommen untadelhaft war; denn von keinem Menschen kann man das aussagen. Aber wir dürfen daraus, dass nichts Böses von ihm in der Bibel erzählt wird, den Schluss ziehen, dass er einer der besten Menschen war, die je gelebt haben. Wir dürfen gewiss annehmen, dass Gott die Lebensgeschichte Josephs in die Heilige Schrift aufnehmen ließ, damit Seine Menschenkinder für alle Zeiten ein Beispiel haben möchten, dem sie nacheifern können.
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Seitenzahl: 106
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern
Die Geschichte von Joseph
und seinen Brüdern
nach ihrer sittlichen und
geistigen Bedeutung
Neu-Neuauflage 2020 einer alten Schrift
Herausgegeben von Klaus Kardelke
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 9783751923781
Erster Teil
Die sittliche Bedeutung
Erstes Kapitel
Die Geschichte Josephs ist von allen biblischen Erzählungen eine der schönsten und lehrreichsten, und auch in keinem anderen Buche ist etwas zu finden, das ihr an die Seite gestellt werden könnte. Wir lesen von niemand im Alten Testament, der so vortreffliche Eigenschaften besessen hätte, wie Joseph, — ja, wir dürfen beinahe annehmen, dass nur unser Heiland ihn übertraf; die Geschichte von Joseph ist auch wirklich ein Bild der Geschichte des Heilandes und war dieser in manchem ähnlich. Moses war ein demütiger und bescheidener, David ein höchst großmütiger und Salomon ein sehr weiser Mann; jeder von diesen hatte aber irgendeinen bedeutenden Fehler, der über seine Tugenden einen trüben Schatten warf. Joseph hingegen teilt die guten Eigenschaften dieser Männer, ohne dass ihm irgendwelche ihrer Fehler zur Last gelegt werden könnten. Wir müssen zwar nicht denken, dass er vollkommen untadelhaft war; denn von keinem Menschen kann man das aussagen. Aber wir dürfen daraus, dass nichts Böses von ihm in der Bibel erzählt wird, den Schluss ziehen, dass er einer der besten Menschen war, die je gelebt haben.
Wir dürfen gewiss annehmen, dass Gott die Lebensgeschichte Josephs in die Heilige Schrift aufnehmen ließ, damit Seine Menschenkinder für alle Zeiten ein Beispiel haben möchten, dem sie nacheifern können. Ganz besonders junge Menschen können sich an Joseph ein herrliches Beispiel nehmen. Sie können von ihm lernen, wie man sich benehmen und wie man handeln soll, sowohl zu Hause als in der Fremde; im Unglück wie im Glück, in geringer wie in hoher Lebensstellung. Es ist höchst wichtig für Kinder und Jugendliche, zu Hause sich gute Eigenschaften zu erwerben und sie zu üben, in allem freudig und willig ihre Pflichten gegen Eltern und Geschwister zu erfüllen; das ist der Anfang und die Grundlage zu einem nützlichen und gottgefälligen Leben. Kinder müssen erst ihre Eltern lieben und ihnen gehorchen, bevor sie ihren Vater im Himmel lieben und Ihm gehorchen können; und sie müssen freundlich und liebevoll gegen ihre Geschwister sein, bevor sie ihren Nächsten lieben, und ihm Gutes erweisen können. Ja, wenn man es recht betrachtet, so lieben die Kinder Gott, indem sie ihre Eltern lieben, denn Gott hat ihnen befohlen, sie sollen Vater und Mutter ehren, was ebenso viel ist, als sie lieben und ihnen gehorsam sein; und sie lieben auch ihren Nächsten, während sie gegen ihre Geschwister liebevoll sind, weil das Gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, die Liebe zu den Geschwistern in sich schließt. Alles Gute aber, was Gott von uns verlangt, dass wir für andere tun sollen, macht er uns zur Pflicht, um uns dadurch selbst gut und glücklich zu machen. Nur der wird glücklich, welcher zum Glücke anderer beiträgt. Eine glückliche Familie ist gewiss immer da zu finden, wo jedes im Hause sich bestrebt, allen andern Gutes zu erweisen und ihnen gefällig zu sein. Jedes Glied der Familie sollte daher beständig ordentlich, freundlich, dienstfertig, uneigennützig, aufrichtig, geduldig und versöhnlich sein. Gehorsam gegen Vater und Mutter ist das allererste, wovon das Wohl und das Glück einer Familie abhängen, und was vor allem notwendig ist, damit die Heimat eine angenehme und friedliche sei.
Es wird natürlich hier angenommen, dass die Eltern ehrenhaft und gut sind, so dass sie des Gehorsams von Seiten ihrer Kinder würdig sind. Womit jedoch nicht gemeint ist, dass Kinder, bevor sie selbstständig geworden sind, darüber entscheiden sollen, inwieweit sie verpflichtet sind, ihren Eltern zu gehorchen und sie zu ehren. Gewiss ist es aber, dass es ins der Regel von den Eltern selbst abhängt, welches Maß von Ehre und Gehorsam ihnen von ihren Kindern zuteil wird; denn die Kinder werden sehr viel durch das Wesen und die Handlungsweise der Eltern beeinflusst. Es kann dies kaum anders sein. - Einer der größten Vorzüge wahrer Religion besteht darin, dass dieselbe den Eltern sowohl als den Kindern würdige Vorschriften der richtigen Liebe zueinander an die Hand gibt. Alle unsere jungen Leser haben Ursache, dem Herrn ihrem himmlischen Vater zu danken, dass er ihnen gute Eltern geschenkt hat, die bemüht sind, alles zu tun, was Gott von ihnen verlangt, um sie der Liebe ihrer Kinder würdig zu machen und um ihre Kinder so gut zu erziehen, dass Liebe gegen die Eltern ihnen ebenso sehr zur Freude gereicht, als es ihnen als Pflicht auferlegt ist.
Wenn wir genau auf die Geschichte von Joseph achten, können wir manches lernen, das uns in dieser und viel anderer Hinsicht von Nutzen sein wird. Wir dürfen sagen: Jedermann, jung und alt, reich und arm, angesehen und gering kann an Josephs Leben Weisheit lernen. Das Kind wie der Mann, der Sohn wie der Knecht, der Gefangene im Kerker wie der König auf dem Throne, — jeder kann aus der Geschichte Josephs sich etwas zu Nutzen machen. Könige können von ihm lernen, wie sie regieren sollen; denn als Joseph der Nächste zu Pharao auf dem Throne und über ganz Ägyptenland gesetzt war, regierte er durch Weisheit und Güte. Durch seine Klugheit und Vorsorge sind während einer Teuerung, die sieben Jahre andauerte, das ganze ägyptische Volk und viele andere Völker erhalten worden. Zu der Zeit auch war es, dass er seinen Brüdern, die ihn nur gehasst und ihm Unrecht zugefügt hatten, aufs großmütigste vergab und ihnen alle mögliche Liebe erwies.
Jakob hatte, wie bekannt, zwölf Söhne, von welchen Joseph und Benjamin die zwei jüngsten waren. Diese beiden waren Söhne einer und derselben Mutter. Denn Jakob, wie wir uns aus der biblischen Geschichte erinnern werden, hatte zwei Frauen; eine mit Namen Leah und die andere mit Namen Rahel. Rahel war die jüngste und schönste Tochter Labans; diese liebte Jakob zuerst und am meisten und wünschte sie zur Frau. Er wünschte nur Rahel allein; aber in jener Zeit und in dem Lande, in welchem Laban wohnte, war es gebräuchlich, dass die älteste Tochter vor der jüngsten in die Ehe gegeben wurde. Jakob musste daher erst Leah zur Frau nehmen, bevor er Rahel bekommen konnte. Rahel bekam nach ihrer Heirat viele Jahre keine Kinder. Der Herr, heißt es, gab Rahel keine Kinder, Leah aber schenkte er Söhne. Nachdem aber dem Jakob zehn Söhne und eine Tochter von Leah und zwei Mägden seiner Frauen geboren worden waren, lesen wir (1. Mos. 30,22-23): „Gott gedachte aber der Rahel, und sie empfing und gebar einen Sohn und nannte seinen Namen Joseph.“ Später bekam Rahel noch einen Sohn, diesen nannte sein Vater Benjamin (1. Mos. 35,16-18).
Man hört von Joseph nach seiner Geburt nichts mehr bis zum siebenunddreißigsten Kapitel, wo die Erzählung von ihm beginnt. Dort ist im dritten Vers zu lesen: „Israel liebte Joseph mehr denn alle seine Söhne, weil er der Sohn seines Alters war.“ Man möchte da denken, wenn dieses der einzige Grund war, weshalb Jakob seinen jüngeren Sohn mehr liebte, so sollte Benjamin am meisten geliebt worden sein, weil dieser noch mehrere Jahre später als Joseph, da Jakob noch älter war, geboren wurde. Joseph aber war Rahels Erstgeborner. Rahel und Jakob hatten sich seit langem Kinder gewünscht, und als endlich ihr Gebet erhört wurde, waren sie gewiss hoch erfreut und von Dankbarkeit gegen den Herrn erfüllt. Jakob, dürfen wir annehmen, hatte längst alle Hoffnung aufgegeben, von Rahel, die er am meisten liebte, einen Sprössling zu bekommen; und als ihm endlich noch in seinem Alter ein Sohn geboren wurde, betrachtete er dieses Geschenk als eine besondere Gabe Gottes. Obgleich Jakob Joseph mehr liebte als alle seine andern Kinder, liebte er die andern deshalb doch auch; denn obwohl ein Vater besondere Gründe haben kann, weshalb er eines seiner Kinder mehr als die andern liebt, so entzieht er darum, wenn er ein guter Mann ist, seine Liebe den andern nicht, noch versäumt er seine Pflichten gegen dieselben. Wir müssen aber nicht vergessen, dass die Verhältnisse heutzutage ganz anderer Art sind, als sie damals waren. In der Christenheit hat ein Mann nur eine Frau, und deshalb ist weniger Veranlassung als damals, parteilich zu sein, das heißt, das Kind einer Frau mehr als das der andern zu lieben.
Jakobs Liebe zu Joseph war die Ursache, dass er ihn in der Kleidung auszeichnete; er machte ihm einen buntfarbigen Rock. Manche sind der Ansicht, es sei eigentlich ein aus verschiedenen Stücken zusammengesetzter Rock gewesen. Immerhin aber ist anzunehmen, dass diese Stücke verschiedene Farben hatten; denn es wäre schwer einzusehen, weshalb ein Gewand, wie man es damals trug, hätte aus verschiedenen Stücken zusammengesetzt sein sollen, wenn es nicht geschah, um dadurch eine Verschiedenheit von schönen und anziehenden Farben anzubringen. Wie aber auch die genaue Beschaffenheit des Kleides gewesen sein mag, aus anderen Abschnitten der Bibel können wir ersehen, dass derartige Gewänder damals eine besondere Auszeichnung waren. Im zweiten Buch Samuels lesen wir, dass die Jungfrauen, die Töchter der Könige, auch solche Kleider trugen. Es heißt (Kap. 13,18) von Davids Tochter, Thamar, „sie hatte einen bunten Rock an, denn solche Oberkleider hatten die jungfräulichen Königstöchter.“ Diese Art Kleider waren daher eine Auszeichnung und es dürfte scheinen auch eine Andeutung der Jugend und vielleicht auch der Reinheit dessen, der sie trug. Dies sind die zwei einzigen Stellen der Bibel, in welchen solche Kleider erwähnt werden und beide Male scheinen sie Zeugnis abzulegen von besonderer Liebe eines Vaters und der Unschuld und Reinheit eines Kindes. Israel machte daher den buntfarbigen Rock seinem Sohne Joseph ohne Zweifel, um dadurch seine Liebe zu dem Sohne seines Alters an den Tag zu legen und um die Vorzüge seines Sohnes, dessen Unschuld und Aufrichtigkeit auszuzeichnen.
Die besondere Liebe aber, die Joseph von seinem Vater zuteil wurde, scheint er auch besonders verdient zu haben. Das erste, was von Joseph erzählt wird, nachdem er ein Jüngling geworden, zeugt davon, dass er besser geartet war als seine Brüder, oder wenigstens als mehrere von ihnen war. In 1. Mos. Kap. 37,2 lesen wir, dass Joseph im siebenzehnten Jahre mit seinen Brüdern ein Hirte beim Kleinvieh war: „Und der Junge war bei den Söhnen der Bilha und den Söhnen Silpahs, der Weiber seines Vaters, und Joseph brachte das üble Gerede von ihnen vor ihren Vater.“ Ohne Zweifel machten sich die Brüder Josephs eines schlimmen Betragens schuldig, und zwar muss dieses häufig, wenn nicht immer, der Fall gewesen sein. Nach dem zu urteilen, wie Joseph sich später bewies, müssen es seine Brüder schlimm getrieben haben, bevor er das üble Gerede von ihnen vor ihren Vater brachte; und es kann auch angenommen werden, dass er ihnen Vorhaltungen machte, bevor er etwas darüber seinem Vater hinterbrachte.
Unsere jungen Freunde denken vielleicht, Joseph sei ein Zuträger gewesen, der nur seiner Brüder Fehler anzeigte, und es wäre hübscher und großmütiger von ihm gewesen, wenn er über seiner Brüder schlimme Streiche stille geschwiegen hätte. Wir müssen aber Josephs Beweggrund ins Auge fassen. Hätte er die Fehler seiner Brüder aus bloßem Hass gegen sie, oder aus bloßer Liebe, etwas zu hinterbringen, und um sie in Missgunst zu setzen, berichtet, so wäre alle Ursache vorhanden, ihn deshalb zu tadeln. Josephs Eigenschaften aber erlauben uns nicht, anzunehmen, dass dieses der Fall war. Er liebte seine Brüder und hatte ihr Wohl im Auge; und er muss ihr Betragen seinem Vater nur hinterbracht haben, um ihn über ihr böses Tun aufzuklären, damit der Vater die richtigen Wege zu ihrer Besserung einschlagen konnte. Ein Bruder kann seine Liebe für seine Brüder auch dadurch an den Tag legen, dass er Böses, das sie tun, dem Vater berichtet, weiß er ja, dass der Vater sie alle liebt und nur ihre Vergehen zu wissen wünscht, um sie von ihren bösen Wegen zurückzuhalten und sie auf den Pfad der Tugend zu lenken. Nur müssen junge Menschen, wenn sie es machen wie Joseph, dies in guter Endabsicht tun. Solche, die wie Josephs Brüder auf bösen Wegen wandeln, schaden nicht nur sich selbst, sondern schaden auch ihren Eltern; schwere Vergehen sollten daher sowohl ihrer Eltern, als ihrer selbst wegen nicht verborgen gehalten werden. Wer von Josephs Beweggründen getrieben wird, der mag hierin auch Josephs Beispiel nachahmen.
Zweites Kapitel