Die Gouvernante - Stefan Zweig - E-Book

Die Gouvernante E-Book

Zweig Stefan

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Beschreibung

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Ausgeschlossen aus der Welt der Erwachsenen sind die beiden Töchter des Hauses zutiefst verstört, als ihre Gouvernante ohne ein Wort des Abschieds das Haus verlässt. Ein belauschtes Gespräch mit Otto, dem studentischen Untermieter, ein Streit mit der Mutter, von dem sie Sätze aufgeschnappt haben … Durch die von Normen unverstellten Augen der Kinder beschreibt Stefan Zweig die Auswirkungen einer restriktiven Gesellschaft auf die psychische Entwicklung von Persönlichkeit und enttarnt die Unmenschlichkeit einer Kultur, in der insbesondere die weibliche Sexualität massiv verdrängt wird

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Seitenzahl: 36

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Stefan Zweig

Die Gouvernante

Erzählungen

 

 

Impressum

 

 

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012

 

Reihengestaltung: bilekjaeger

Covergestaltung: Ingrid Lutterbeck

Coverabbildung: Archiv S. Fischer Verlag

 

Unsere Adresse im Internet: www.fischerverlage.de

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-402354-0

 

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Inhalt

Die Gouvernante

Anhang

Editorische Notiz

Daten zu Leben und Werk

Stefan Zweig

Die Gouvernante

Die beiden Kinder sind nun allein in ihrem Zimmer. Das Licht ist ausgelöscht. Dunkel liegt zwischen ihnen, nur von den Betten her kommt ein leiser weißer Schimmer. Ganz leise atmen die beiden, man möchte glauben, sie schliefen.

»Du!« sagt da eine Stimme. Es ist die Zwölfjährige, die leise, fast ängstlich, in das Dunkel hinfragt.

»Was ist’s?« antwortet vom anderen Bett die Schwester. Ein Jahr nur ist sie älter.

»Du bist noch wach. Das ist gut. Ich … ich möchte dir gern etwas erzählen …«

Keine Antwort kommt von drüben. Nur ein Rascheln im Bett. Die Schwester hat sich aufgerichtet, erwartend blickt sie herüber, man kann ihre Augen funkeln sehen.

»Weißt du … ich wollte dir sagen … Aber sag du mir zuerst, ist dir nicht etwas aufgefallen in den letzten Tagen an unserm Fräulein?«

Die andere zögert und denkt nach. »Ja«, sagt sie dann, »aber ich weiß nicht recht, was es ist. Sie ist nicht mehr so streng. Letzthin habe ich zwei Tage keine Aufgaben gemacht, und sie hat mir gar nichts gesagt. Und dann ist sie so, ich weiß nicht wie. Ich glaube, sie kümmert sich gar nicht mehr um uns, sie setzt sich immer abseits und spielt nicht mehr mit, so wie früher.«

»Ich glaube, sie ist sehr traurig und will es nur nicht zeigen. Sie spielt auch nie mehr Klavier.«

Das Schweigen kommt wieder.

Da mahnt die Ältere: »Du wolltest etwas erzählen.«

»Ja, aber du darfst es niemandem sagen, wirklich niemandem, der Mama nicht und nicht deiner Freundin.«

»Nein, nein!« Sie ist schon ungeduldig. »Was ist’s also!«

»Also … jetzt, wie wir schlafen gegangen sind, ist mir plötzlich eingefallen, daß ich dem Fräulein nicht ›Gute Nacht!‹ gesagt habe. Die Schuhe hab ich schon ausgezogen gehabt, aber ich bin doch hinüber in ihr Zimmer, weißt du, ganz leise, um sie zu überraschen. Ganz vorsichtig mach ich also die Tür auf. Zuerst habe ich geglaubt, sie ist nicht im Zimmer. Das Licht hat gebrannt, aber ich hab sie nicht gesehn. Da plötzlich – ich bin furchtbar erschrocken – hör ich jemand weinen und seh auf einmal, daß sie ganz angezogen auf dem Bett liegt, den Kopf in die Kissen. Geschluchzt hat sie, daß ich zusammengefahren bin. Aber sie hat mich nicht bemerkt. Und da hab ich die Tür ganz leise wieder zugemacht. Einen Augenblick hab ich stehen bleiben müssen, so hab ich gezittert. Da kam es noch einmal ganz deutlich durch die Tür, dieses Schluchzen, und ich bin rasch heruntergelaufen.«

Sie schweigen beide. Dann sagt die eine ganz leise: »Das arme Fräulein!« Das Wort zittert hin ins Zimmer wie ein verlorener dunkler Ton und wird wieder still. »Ich möchte wissen, warum sie geweint hat«, fängt die Jüngere an. »Sie hat doch mit niemand Zank gehabt in den letzten Tagen, Mama läßt sie endlich auch in Ruh mit ihren ewigen Quälereien, und wir haben ihr doch sicher nichts getan. Warum weint sie dann so?«

»Ich kann es mir schon denken«, sagt die Ältere.