Die Hofreiterin – Das Versprechen der Liebe - Franziska Stadler - E-Book

Die Hofreiterin – Das Versprechen der Liebe E-Book

Franziska Stadler

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Beschreibung

Pferde sind Irmas Leidenschaft, die Liebe ist ihr Schicksal ... Liebe oder Moral – wie wird Irma sich entscheiden? Wien 1899. Nach dem Tod von Kaiserin Elisabeth kämpft die Spanische Hofreitschule ums Überleben. Auch die junge Irma Rehberger fragt sich, wie diese vor dem Ruin gerettet werden kann. Als Mitstreiter an ihrer Seite erweist sich der Reporter Michael Brunner, der eine groß angelegte Geschichte über Irma, die erste Frau an der Spanischen Hofreitschule, und ihren geliebten Hengst Novio veröffentlicht hat. Bald wird klar, dass sich Michael rettungslos in Irma verliebt hat, doch Irmas Herz gehört einem anderen Mann. Einer Liebe, die eigentlich nicht sein darf. Kommt da ein Mann wie Michael Brunner, der mit Leidenschaft um sie wirbt, nicht genau recht? Könnte eine neue Liebe nicht das Dilemma, in dem sich Irma befindet, endgültig beenden? Der zweite Band der historischen Saga um die Spanische Hofreitschule in Wien Der dramatische und hochemotionale Abschluss der Hofreiterinnen-Reihe von Franziska Stadler. 

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Seitenzahl: 512

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über das Buch

»Während Novio ein paar Runden trabte, um nach der konzentrierten Übung Muskeln und Gelenke zu lockern, ging Irmas Blick zu Stephan Gowalka, der mit seinem Hengst die Courbette übte. Stephan war so vertieft in das Training, dass er keinen Blick für sie hatte. Sie genoss es, wenn er sie mit seinen Bergsee-Augen ansah. Manchmal versank sie darin, aber diese Momente waren selten und kostbar und niemals unbeschwert. Immer war Irma bewusst, dass in Hütteldorf eine Frau auf Stephan wartete, seine Ehefrau, die seit einem Unfall vor elf Jahren von der Brust abwärts gelähmt war und kaum noch Lebensfreude empfand. Abgesehen davon, dass sie einen Ehemann hatte, der sie nie im Stich lassen würde. Irma spürte seine Gewissensbisse wie ihre eigenen, wenn sie ihrer Sehnsucht nachgaben. Bald mussten sie eine Entscheidung treffen.«

 

Von Franziska Stadler sind bei dtv außerdem erschienen:

Die Hofreiterin – Der Traum von Freiheit

Franziska Stadler

Die Hofreiterin

Das Versprechen der Liebe

Verzeichnis der wichtigsten Figuren

(reale historische Figuren sind mit * gekennzeichnet)

In Wien

 

Irma Rehberger, Elevin an der Spanischen Hofreitschule.

 

Stephan Gowalka, Irmas Ausbilder.

 

Hugo Fabritius, Oberbereiter mit einem dunklen Geheimnis.

 

Johann von Falkenstein, Eleve und Irmas bester Freund.

 

Lukas, ein weiterer Eleve.

 

Franz Kroetzer, bekannt als Lockenfranz, Pferdepfleger in der Stallburg.

 

Gustav Pichl, Stallmeister.

 

Kassian Mayr, Bereiter.

 

Felix von Korthy, ehemaliger Bereiteranwärter und Querulant.

 

Baron Laszlo von Korthy, Felix’ Vater und ein mächtiger Baron, der als spendabler Förderer der Hofreitschule gilt.

 

Greta von Korthy, seine Frau.

 

Mizzi Kaspar*, menschenfreundliche Hauseigentümerin in der Paniglgasse.

 

Rosalie, Artistin und Pferdeliebhaberin.

 

Melanie Gowalka, Stephans gelähmte Ehefrau.

 

Selma Brandner, Melanies Mutter.

 

Dr. Cibula, Melanies langjähriger Arzt.

 

Dr. Oliver Lechner, neuer Arzt im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder.

 

 

… und natürlich:

 

Franz Joseph I.*, Kaiser von Österreich.

 

 

In der Steiermark

 

Juliane Rehberger, Irmas Mutter, die von ihrem Großvater die Stuterei in der Steiermark geerbt hat.

 

Victor Kendrick, Tierarzt und Julianes heimlicher Geliebter.

 

Paul Kendrick, Sohn des Tierarztes und Irmas erste große Liebe.

 

Marian Pribek, Pferdepfleger auf dem Gestüt Rehberger.

 

Alma und Joseph Pribek, Marians Eltern, Milchbauern, bieten Ställe für Zuchthengste an.

 

Josefine, »Fine«, Helferin auf dem Gestüt Rehberger, Tochter des Stallmeisters Jakob Dellinger und Irmas Freundin.

 

Hans und Bernhard Bencobi, Vater und Sohn, neue Mitarbeiter auf dem Gestüt Rehberger.

 

Janne Lang, Stallmeisterin auf dem Gestüt Sterzenbach.

1

Wien, April 1899

In der Reithalle hing der Duft nach Holz und Sand. Die Morgensonne fiel durch die oberen Fenster und tauchte alles in ein silbriges Licht. Nur das Schnauben der Lipizzaner, das Tackern ihrer Hufe auf dem weichen Grund und die Rufe der Reiter, die ihren Pferden Anweisungen gaben, unterbrachen die Stille. Die mit Spänen ausgelegte Arena bot Platz für mindestens acht Tiere und ihre Betreuer, die das traditionelle Training in den Morgenstunden abhielten. Ein Stallknecht stand mit einer Mistschaufel parat und lief heran, um alles zusammenzukehren, wann immer einer der Hengste den Schweif hob und Rossäpfel fallen ließ.

Irma saß konzentriert auf Novio und gab ihm mit Schenkeldruck zu verstehen, er möge aus dem Trab in die Piaffe wechseln und wenig später in die Passage. Die Piaffe war eine Bewegung auf der Stelle, bei der die Vorderbeine höher gehoben wurden als die Hinterhand. Die Passage nannte man auch Spanischer Tritt. Dabei schwang der Hengst von einem diagonalen Beinpaar auf das andere und hielt die Schwebephase jeweils einen Augenblick länger aus. Wichtig bei allen Übungen war, dass sie nie den natürlichen Regungen des Pferdes widersprachen, sondern im Gegenteil aus ihrer Veranlagung heraus entstanden.

Novios Ohren waren aufgerichtet, sein Hals bildete eine anmutige Linie, sein Kopf nickte im Takt der eigenen Schritte. Er liebte es, wenn Irma ihn forderte und das Äußerste von ihm verlangte. Nicht jede Gangart, jeder Sprung gelang auf Anhieb. Vieles trainierten sie monatelang, bevor es einen Erfolg zeigte. Aber Novio besaß diese Neigung, seine Grenzen auszutesten, und den Ehrgeiz, der Beste von allen zu sein.

Irma tätschelte, auf seinem Rücken sitzend, seinen Hals, griff in ihre Rocktasche und zog ein Stück Zucker hervor, das sie ihm, nach vorn gebeugt, vor sein Maul hielt. Den Seitwärtsgang schaffte er von Mal zu Mal perfekter.

Vor zwei Tagen war die Halle der Spanischen Hofreitschule ein bunt schillerndes Lichtermeer gewesen – mit Tausenden von Kerzen und Spiegeln, mit Blumengestecken und edlen Stoffen geschmückt. Viele fleißige Hände hatten all den Prunk entfernt, jetzt strahlte der Raum wieder die gediegene Erhabenheit aus, die Irma so liebte.

Wann es die nächste Galavorstellung geben würde, stand nicht fest. Aber man wusste, dass dann erneut nur Prominenz geladen werden würde, Staatsmänner und Vertreter sämtlicher europäischer Königshäuser. Das Institut hatte einen elitären Anspruch. Irma fragte sich schon seit Längerem, warum sich das Traditionshaus dermaßen davor verschloss, ein Ort für die Wiener und Gäste der Stadt zu sein. Ein Ort, an dem man Kunst und Musik und Pferdesport in Vollendung erlebte. So etwas genossen nicht nur die Reichen und Berühmten, das gefiel auch dem Volk. Wenn sie mehr Veranstaltungen für jedermann anböten, könnten sie die Kassen allmählich wieder auffüllen.

Es war ein offenes Geheimnis, dass Kaiser Franz Joseph nach dem Tod seiner Frau Sisi das Interesse an der Spanischen Hofreitschule verloren hatte. Es schien nur eine Frage der Zeit, wann das Unternehmen dem Untergang geweiht sein würde. Wann sie nicht mehr imstande wären, den Unterhalt für all die Bereiter, Lehrer und Tiere zu finanzieren.

Irma grübelte, wie man der Schule Auftrieb verleihen könnte. Wenn sie ihren Ausbilder Stephan oder ihren Mitschüler Johann darauf ansprach, blockten die ab, weil sie das Offensichtliche nicht wahrhaben wollten. Sie brauchte dringend jemanden, mit dem sie ihre Ideen besprechen konnte! Allein war sie machtlos.

Der falsche Weg wäre es nach Irmas Überzeugung, sich in die Abhängigkeit von spendablen Förderern zu begeben. Der alte Baron von Korthy, der mit seinen Finanzmitteln für die Dachrenovierung vor zwei Jahren gesorgt hatte, hatte den Geldhahn zugedreht, nachdem sein Sohn Felix Ende Dezember unehrenhaft aus dem Kader der Reitschule ausgeschieden war. Der junge Mann hatte sich durch rabiate Methoden bei der Dressur der Pferde hervorgetan. Ein Unding an der Spanischen Hofreitschule. Hier galten als angemessene Mittel zur Erziehung der Rassepferde Lob und Belohnung. Zu allem Überfluss trainierte er damals auch Novio, dem er mit den Sporen Wunden in den Flanken zugefügt hatte. Nach einem solchen Regelverstoß gab es keine andere Möglichkeit, als Felix auszuschließen. Das bedeutete jedoch, dass das Traditionsunternehmen auf die hohen Zuschüsse des alten ungarischen Adelshauses verzichten musste.

Seit neun Monaten ging Irma nun schon ihrer liebsten Beschäftigung nach: mit Pferden arbeiten und ihren eigenen Hengst Novio zu Höchstleistungen antreiben. Natürlich gehörte mehr zu den Aufgaben einer Elevin. Sie half im Stall und steckte nach dem Training die Nase in Bücher, um alles über die Geschichte des Instituts, ihre legendären Bereiter und die Arbeit mit den Lipizzanern zu erfahren. Sie hörte aufmerksam zu, wenn die erfahreneren Kollegen erzählten, und sie beobachtete die ausgebildeten Schulpferde, um herauszufinden, was sie den jüngeren Schimmeln beibringen musste. Vieles in der Hofreitschule wurde von Generation zu Generation mündlich überliefert. Irma war stolz, ein Teil davon zu sein und ihre Rolle in der Schule gefunden zu haben. Noch war sie Elevin, befand sich auf der untersten Stufe der Karriereleiter. Die nächste Hürde war die Prüfung zur Bereiteranwärterin, die sie in nicht allzu ferner Zukunft ablegen wollte. Nach weiteren Lehrjahren folgte dann der Sprung in die Riege der Bereiter, von denen es nur den wenigsten gelang, später zum Oberbereiter aufzusteigen. Eine klare Hierarchie, der sich Irma voller Optimismus und Selbstvertrauen unterordnete.

Keinesfalls beanspruchte sie gegenüber den anderen Lehrlingen Sonderrechte, nur weil sie als einzige Frau an der Spanischen Hofreitschule beschäftigt war und mit ihrem Hengst Novio den angehenden Star aus ihrer Heimat, der Steiermark, mitgebracht hatte.

Was für eine Verwirrung sie im vergangenen Jahr stiften musste, um die Ausbildung zu ergattern! Sie erinnerte sich nicht gern daran, wie sie in den Anfangstagen als Konrad Jankovitz ihr Glück versucht hatte. Ihre Biografie war überzeugend gewesen: Konrads Eltern seien Apfelbauern in der Steiermark, und die letzten Jahre habe er als Pferdepfleger auf dem Gestüt Rehberger gearbeitet. Eine leichte, aber entscheidende Verdrehung der Wahrheit. Sie war kein Mann, sondern die junge Frau Irma, deren Mutter den Pferdehof betrieb. All die Monate der Lügen hatten ihr zugesetzt. Bis Kaiser Franz Joseph persönlich die Erlaubnis gegeben hatte, dass sie die Ausbildung zur Bereiterin absolvieren durfte. Was für ein Triumph! Und wie unerwartet.

Den mächtigen Regenten und sein Leben umgaben zahlreiche Geheimnisse. Vermutlich konnten sich Kinder und einfache Leute gar nicht vorstellen, dass er sprach und aß und verdaute wie andere Menschen. Und die Leute glaubten, selbst wenn sie es besser wussten, im Grunde ihres Herzens nicht, dass Feinde über die Grenzen ins Habsburger Reich eindringen konnten. Sie glaubten auch nicht, dass der Regent sterben konnte. Er war immer da, er würde immer da sein.

Irma hatte den Herrscher genau wie die anderen gleichsam auf ein Podest gestellt, auf eine Stufe höher gehoben als den Rest der Menschheit. Umso verwirrender und aufregender war es, dass er Anteil an ihrem Schicksal genommen und die Weichen gestellt hatte.

Wegen ihrer damaligen Verkleidung hatte sie Menschen angelogen, die ihr am Herzen lagen. Dazu gehörten auch ihre Freunde in der Steiermark, Marian und Fine, die sie in zwei Wochen besuchen würde, um alles zu klären, was zwischen ihnen stand. Sie fürchtete sich davor und freute sich gleichzeitig, die beiden in die Arme zu schließen. Immerhin war sie mit ihnen aufgewachsen. Ob sie es erlauben würden? Konnten sie ihr verzeihen?

Und sie würde endlich ihre Mutter wiedersehen und mit ihr über all die Heimlichkeiten ihres Lebens sprechen. Was würde sie zu den Details sagen, die Irma über ihren vermeintlichen Vater herausgefunden hatte? Würde sie alles abstreiten oder würde sie mit der Wahrheit herausrücken?

Während Novio ein paar Runden trabte, um nach der konzentrierten Übung Muskeln und Gelenke zu lockern, ging Irmas Blick zu Stephan Gowalka, der mit seinem Hengst die Courbette übte. Dabei erhob sich das Tier und versuchte, Sprünge auf der Hinterhand auszuführen, ohne mit der Vorderhand den Boden zu berühren. Nur wenige Pferde zeigten Begabung für dieses Dressurstück, aber Ivory mit seinen acht Jahren gab sein Bestes. Manchmal verhielt er sich zu stürmisch, wie jetzt, als sein ganzer Körper in Bewegung geriet, obwohl er sich auf den Hinterbeinen versammeln sollte. Irgendwann würde Stephan ihm das kunstvolle Springen beibringen, aber es war ein hartes Stück Arbeit. Er würde Ivorys natürliches Bedürfnis, sich groß zu machen, nutzen, um daraus ein vollendetes Kunststück der sogenannten Schulen über der Erde zu zaubern. Stephan war so vertieft in das Training, dass er sie gar nicht wahrnahm. Auch für ihn als Bereiter war es ein Bravourstück, sich bei dieser Übung auf dem Pferderücken zu halten. Er sah fantastisch aus in der Uniform: ein kaffeebrauner, taillierter Frack mit Messingknöpfen. Im linken Frackschoß befand sich die Zuckertasche. Die maßgeschneiderte Reithose aus weißem Hirschleder steckte in eleganten schwarzen Stulpenstiefeln. Der Zweispitz auf seinem Kopf war mit einer breiten Goldborte geschmückt, was ihn als Bereiter auswies. In der Hand hielt er die Gerte, eine schlichte Birkenrute, die er im Januar während des traditionellen Ausflugs der gesamten Hofreitschule persönlich im Wienerwald geschnitten hatte.

Irma genoss es, wenn er sie mit seinen Bergsee-Augen ansah. Manchmal versank sie darin, aber diese Momente waren selten und kostbar. Sie hatten nicht viele Gelegenheiten, allein miteinander zu sein und sich zuzuflüstern, wie sehr sie sich liebten und begehrten. Und diese romantischen Stunden waren niemals unbeschwert. Immer war Irma bewusst, dass in Hütteldorf eine Frau auf Stephan wartete, seine Ehefrau, die seit einem Reitunfall vor elf Jahren von der Brust abwärts gelähmt war und kaum noch Lebensfreude empfand.

Irma spürte Stephans Gewissensbisse wie ihre eigenen, wenn sie ihrer Sehnsucht nachgaben. Der unvereinbare Gegensatz zwischen ihrer Liebe und ihren moralischen Bedenken zermürbte sie beide. Ihr Verstand sagte ihnen, dass sie sich falsch verhielten, aber die gegenseitige Anziehungskraft war stärker. Sie wussten, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Aber Irma war diejenige, die irgendwann eine Entscheidung treffen musste. Wollte sie auf Dauer nur die Geliebte eines Mannes sein? Denn offiziell zu ihr bekennen würde er sich niemals. Auch wenn er seine Frau schon lange nicht mehr liebte, im Stich lassen würde er sie in ihrem Zustand nicht.

Stephan gönnte seinem Pferd eine Pause, fütterte den Milchschimmel mit einer Leckerei aus seiner Fracktasche, schaute zu ihr. Sie sah das Glitzern in seinen Augen, lächelte ihn an, genoss den Widerschein auf seinen Zügen. Wortlos verständigten sie sich, wie sie sich darauf freuten, dass sie nach dem Training eine Extrastunde für sich allein hatten. Er wollte ihr in der Mittagspause die anderen fünf Hengste vorstellen, die sie in Zukunft mit ihm gemeinsam betreuen würde.

Natürlich kannte Irma sämtliche Pferde der Hofreitschule, aber über ihre Biografien, ihre Stammbäume und ihre Eigenarten wusste sie nur vereinzelt Bescheid.

Mehrere Eleven waren Stephan unterstellt. Dazu gehörte Johann von Falkenstein, der ein halbes Jahr vor Irma seine Ausbildung begonnen hatte und sein eher durchschnittliches Talent mit großem Fleiß und Disziplin wettmachte. Mit ihm verband sie eine herzliche Freundschaft. Bisweilen litt ihre Beziehung allerdings darunter, dass der junge Mann seine Zuneigung zu ihr nicht verbergen konnte.

Keiner in der Reitschule wusste, dass Irma und Stephan ein heimliches Liebespaar waren. Doch auch wenn es Stephan nicht gäbe, hätte sie sich niemals in den schlaksigen Johann verliebt, der eher ein großer Junge als ein Mann war. Sie mochte ihn wie einen Bruder, aber wenn sie zu diesem Gedanken gelangte, überfiel sie Traurigkeit. Sich an ihren wirklichen Bruder, ihren Zwilling Anton zu erinnern, der vor sechs Jahren bei einem Unfall auf dem Gestüt in der Steiermark ums Leben gekommen war, legte jedes Mal einen Schatten über ihr Gemüt. Sie fragte sich, ob man sich daran gewöhnen konnte, dass ein so wichtiger Mensch fehlte. Oder ob sie nur den Schmerz akzeptiert hatte, der zu einem Teil von ihr geworden war.

Wie bei jedem Morgentraining gab es ein paar Dutzend Zuschauer, die sich oben über die Brüstung beugten und zu ihnen hinabsahen. Sie flüsterten miteinander, applaudierten nicht, weil das Klatschen die Pferde irritieren würde. Aber manchmal zog ein Raunen durch die Reihen, wenn ein komplizierter Sprung gelang.

Es gab ein paar Sitzplatzreihen direkt an der Arena, die zur Hälfte gefüllt waren, Pferdefreunde und Förderer der Reitschule, die gerne die Arbeit mit den Lipizzanern begleiteten. Irma kannte die wenigsten von ihnen. Sie stutzte, als in diesem Moment ein junger Mann in einer weiten grauen Bundfaltenhose, mit einem eng anliegenden Hemd und einem weißen Leinenjackett hinter der Säule auftauchte, die den Eingang begrenzte. Auf seinen hellbraunen welligen Haaren, die er offenbar nur mühsam mit Pomade bezwang, saß eine Schirmkappe, ein bisschen schief, was ihm einen verwegenen Ausdruck verlieh. Vor zwei Tagen hatte er keine Mütze getragen, als sie ihn während des Kostümfests in den Reihen der Zuschauer entdeckt hatte. Aber sein Lächeln war an diesem Morgen genauso strahlend. Er schaute zu Irma herüber, und sie erwiderte seine freundliche Miene unwillkürlich. Bestimmt öffnete sich ihm mit diesem Gesichtsausdruck so manche Tür.

Gestern hatte Irma in der ›Wiener Zeitung‹ einen Bericht über das Kostümfest zu Ehren der englischen Königin Victoria gelesen. Ob dieser Mann der Verfasser des Artikels war? Sie erinnerte sich daran, ihn gemeinsam mit einem Kollegen, der in ein Notizbuch gekritzelt hatte, im Publikum gesehen zu haben. Der Schreiberling, wie sie ihn bei sich nannte, hatte sie angestarrt wie ein Weltwunder und schien darüber fast vergessen zu haben, seine Kladde mit seinen Eindrücken zu füllen. Noch während der Aufführung, bei der Irma mit Novio ein Solopart zugefallen war, hatte sie befürchtet, die Journalisten würden den Schwerpunkt ihrer Artikel darauf legen, dass sie als erste Frau in der Reitschule arbeitete. Sie hatte sich davor gefürchtet, in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Es war ihr wichtig, niemals eine Sonderrolle einzunehmen! Am liebsten wollte sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und einfach ihre Aufgaben zu aller Zufriedenheit erfüllen.

Doch sie hatte sich getäuscht. Der Bericht in der ›Wiener Zeitung‹ und alle anderen Artikel in den diversen österreichischen Blättern schilderten die Eleganz der Tiere, die perfekte Organisation, das außergewöhnliche Talent der Lipizzaner, die herrlich dekorierte Festhalle. Einige überboten sich darin, die Gesichtsausdrücke der englischen Königin während der Schau zu schildern. Irma auf Novio fand zwar Beachtung, aber nur in Nebensätzen erwähnten die Journalisten den Umstand, dass sie als erste Frau in der Spanischen Hofreitschule arbeitete. Ihr war das recht. Schließlich verhinderte es, weiteren Unmut anderer Eleven auf sich zu ziehen.

Und nun tauchte der Reporter beim Training auf und ließ sie nicht aus den Augen. Was trieb ihn her? Und warum kam er so spät? Es gab doch gar nichts mehr zu sehen, worüber es sich zu schreiben lohnte.

Die Morgenschulung war beendet, Johann und Lukas, ein weiterer Eleve, geleiteten ihre Tiere zur Stallburg, andere folgten ihnen. Stephan Gowalka ließ seinen Hengst noch einmal hochsteigen. Irma war die Letzte. Sie führte Novio am gegenüberliegenden Ende der Halle in die Piaffe und hielt in ihrem braunen Rock und der hochgeknöpften weißen Seidenbluse anmutig das Gleichgewicht auf dem Pferderücken. Danach glitt sie aus dem Sattel.

Sie nickte dem Journalisten zu, der sie nicht aus den Augen zu lassen schien, während sie zum Ausgang strebte. Doch da stellte er sich ihr in den Weg. Halb hinter seinem Rücken verborgen lugte ein zweiter Mann hervor, kleiner und älter, der eine Fotokamera, ein dreibeiniges Stativ und einen schweren Koffer bei sich trug.

»Verehrtes Fräulein Rehberger«, sprach der Journalist sie an, verneigte sich und zog seine Schirmkappe. Lag da ein spöttischer Unterton in seiner Anrede?

Sie erwiderte seinen Blick, hob fragend eine Braue.

»Gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle? Mein Name ist Michael Brunner, ich schreibe für die ›Wiener Zeitung‹.«

»Ah, verstehe, Sie zeichnen für den schönen Artikel über die Schau zu Ehren von Königin Victoria verantwortlich.« Sie hielt Novio am kurzen Zügel, blieb abwartend stehen.

»Ihr Lob ehrt mich«, erwiderte der Journalist ein bisschen steif. »Tatsächlich waren mir die Hände gebunden, sonst hätte ich Ihren Auftritt in den Mittelpunkt gestellt. Der Chefredakteur wollte einen Bericht, in dem die englische Königin in einem guten Licht dargestellt wird. Man möchte ja keine ausländischen Staatsgäste brüskieren, nicht wahr?« Er zwinkerte ihr zu, als teilten sie dieses Geheimnis. Irma verstand nicht, worauf er hinauswollte.

Er ließ sie nicht lange im Ungewissen: »Aber ich habe meinem Vorgesetzten die Zusicherung abgerungen, dass ich einen groß angelegten Artikel über die erste Frau an der Spanischen Hofreitschule hinterherlegen darf. Ich bin sicher, unsere Leserschaft ist interessiert daran, mehr über Ihr Leben zu erfahren.«

»Ich weiß nicht, ob das, was ich mache, die Leute fesseln würde. Ich liebe Pferde und darf hier meinem Traum nachgehen, mehr nicht.« Die Vorstellung, dass es einen Artikel nur über sie persönlich geben sollte, war ihr peinlich.

»Aber wie kam es dazu? Wie fühlen Sie sich in dieser Männerdomäne? Was sind Ihre Ziele? Und wie zum Teufel haben Sie es geschafft, dass man Ihnen eine Chance gibt?« Bei der letzten Frage entblößte er strahlend weiße Zähne, die jedoch ein bisschen zu groß für sein Gesicht waren.

Irma grinste ihn an. »Sie wollen ins Detail gehen.«

»Ich will alles über Sie wissen«, erwiderte er so schnell und inbrünstig, dass sie instinktiv einen Schritt zurückwich und Novio tänzelte. »Meinen Sie, wir könnten gleich Fotos von Ihnen und Ihrem wunderschönen Pferd machen? Und wären Sie bereit, mir meine Fragen zu beantworten?« Seine Stimme überschlug sich vor Eifer.

Stephan Gowalka kam an ihnen vorbei, den Hengst Ivory hinter sich herführend. Die letzten Sätze des Reporters hatte er offenbar mitbekommen. Er nickte dem Journalisten und dem Fotografen höflich zu. »Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber Fräulein Rehberger ist tagsüber in Ihre Pflichten eingebunden. Worum geht es denn, wenn ich fragen darf?«

»Nun, wir würden gerne eine bebilderte Reportage über Fräulein Rehberger veröffentlichen, wenn es gestattet ist. Wir glauben, dass unsere Leser so etwas erwarten, nachdem wir im großen Bericht über die Galavorstellung erwähnt haben, wie ungewöhnlich es ist, dass eine Frau in den Reihen der Reiter auftaucht.«

»Das ist ja eine fantastische Idee«, meinte Stephan. »Wir überlegen schon länger, wie wir das Interesse der Leute an der Hofreitschule wecken könnten, nicht wahr, Irma? Das wäre doch eine wunderbare Gelegenheit.«

Irmas Wangen wurden heiß. Gleichzeitig starrte Michael Brunner sie an, als wollte er sie mit seinen Blicken verschlingen. »Ja, die Schule bekannter machen will ich gerne. Aber doch nicht durch mich.«

»Sie sind ein wunderbares Aushängeschild, Fräulein Rehberger! Ach, bitte, geben Sie mir die Gelegenheit, Sie unseren Lesern vorzustellen und gleichzeitig Reklame für die Hofreitschule zu machen.«

»Ich weiß nicht.« Verunsichert wechselte sie einen Blick mit Stephan, der ihr zunickte. Seinen Gesichtsausdruck konnte sie nicht deuten. Novio stupste mit dem Maul gegen ihre Schulter, als hätte er alles verstanden und ermutigte sie. Schließlich gab sich Irma einen Ruck. »Also gut, wie wollen wir vorgehen?«

Michael Brunner stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, griff nach Irmas Händen und drückte sie fest. Seine Finger waren lang, knochig und trocken. »Von mir aus könnten wir gleich mit den Fotos in dieser herrlichen Reithalle beginnen.«

Stephan Gowalka meldete sich zu Wort. »Das ist ungünstig. Fräulein Rehberger und ich haben noch einen Termin. Wenn Sie in einer halben Stunde wiederkommen wollen? Dann haben Sie für die Fotos Zeit bis um fünfzehn Uhr, wenn das Nachmittagstraining beginnt. Würde dir das so passen, Irma?«, wandte er sich an sie.

Sie nickte. »So können wir es machen.«

»Darf ich dann darauf hoffen, dass Sie im Anschluss meine Einladung in ein Kaffeehaus annehmen, wo wir uns ganz in Ruhe über all Ihre Belange unterhalten können?« Brunner rang die Hände, und in seine Augen trat der Ausdruck eines kleinen Jungen, der um Schokoladentorte bettelte.

Sie lachte, Stephan neben ihr runzelte die Stirn und sah von Irma zu dem Reporter und wieder zurück. »Wir können gerne einen Mokka zusammen trinken«, erwiderte sie mit einem gespielt hoheitsvollen Neigen des Kopfes. »Wenn Ihnen danach die Wörter leichter aus der Feder fließen.«

Er stimmte in ihr Lachen ein, und für ein paar Sekunden schienen sie allein zu sein in der Prachthalle. Der Fotograf hinter dem Journalisten zog nur einen Mundwinkel hoch, Stephan räusperte sich. »Danke, dass Sie sich die Mühe machen, hinter die Fassade zu blicken, Herr Brunner. Mit Fräulein Irma Rehberger haben Sie einen vortrefflichen Anhaltspunkt, um in das Wesen und die Organisation der Spanischen Hofreitschule vorzudringen. Ich bin gespannt auf Ihren Artikel.« Damit bedeutete er Irma mit einem Nicken, ihm zu folgen. In ihrem Rücken spürte sie, dass die beiden Reporter ihnen hinterherschauten. Auf einmal freute sie sich auf den Termin mit dem Fotografen und das anschließende Kaffeehausgespräch. Michael Brunner schien ein Mann zu sein, in dessen Gesellschaft man sich gut unterhalten fühlte. Und in seinen Händen lag es, die Reitschule populärer zu machen. Es wäre sträflich, eine solche Chance ungenutzt zu lassen.

Sie zuckte wie unter einem Stromschlag zusammen, als Stephan nun, da sie die Halle durch den Säulengang verließen, kurz nach ihrer Hand griff und diese zärtlich mit dem Daumen streichelte. Schnell trat sie an ihn heran, sodass sich ihre Arme berührten und sie seinen Duft nach Moos und Sandelholz einsog. Alle Reporter dieser Welt waren in Stephans unmittelbarer Nähe vergessen. Ihre Anziehungskraft war, wenn möglich, in den vergangenen Monaten nur noch stärker geworden. Wie sollte sie sich daraus nur je in ihrem Leben befreien?

 

»Wir haben dir und Novio bislang die Zeit gegeben, euch einzugewöhnen und euren Rhythmus zu finden«, begann Stephan in geschäftsmäßigem Ton, als sie im Pferdestall vor den Boxen standen, in denen seine Hengste untergebracht waren.

Sie schaute ihn an und wünschte sich, er würde aufhören, offiziell mit ihr zu reden, und sie küssen, bis sie an nichts anderes mehr denken konnte. Sie wusste, dass er genauso empfand wie sie, aber er war auch ein verantwortungsbewusster Ausbilder, der sie in jeder Hinsicht so behandelte wie alle Eleven, die zu seiner Mannschaft gehörten.

Es gab mehrere Bereiter an der Hofschule, jeder war für sechs Hengste zuständig, die er gemeinsam mit den jungen Leuten trainierte und pflegte. Irma und Stephan hatten oft darüber geredet, ob es sinnvoll wäre, wenn sie als Elevin einem anderen Ausbilder zugeteilt werden würde. Doch sie hatten es nicht über sich gebracht – zu verführerisch war die Vorstellung, dass sie Zeit miteinander verbringen und öfter allein sein konnten.

Sie sah ihn an, während sie ihm zuhörte, nahm seine Hand und bemerkte erfreut, dass er sie zärtlich drückte, obwohl seine Ansprache nicht den formellen Klang verlor. »Nun aber ist es Zeit, dass du neue Aufgaben übernimmst«, fuhr er fort. »Zu unserer Einheit gehören insgesamt sechs Hengste. Du kennst sie alle, nicht wahr?« Das Lächeln weichte seine Züge auf. Sie liebte es, wenn sich an seinen Schläfen Fältchen bildeten.

»Natürlich, es sind die besten Pferde der Hofreitschule!«

Stephan lachte. »Das sehe ich zwar auch so, aber lass das nicht Oberbereiter Fabritius hören. Der ist sehr darauf bedacht, dass die leistungsstarken Tiere gleichmäßig auf alle Bereiter verteilt werden. Aber allein mit Novio haben wir den besten Hengst im Stall. Wir sollten uns allerdings davor hüten, einen Konkurrenzgedanken aufkommen zu lassen. Wir arbeiten alle mit dem gleichen Ziel: den Lipizzanern ihre Höchstleistung abzuverlangen und die Tradition fortzusetzen.«

Irma nickte. »Novio ist das einzige Pferd ohne Stammbaum. Und dennoch scheinen in ihm nur die besten Gene der Rasse vereint zu sein.«

»Ja, ein Fall, wie ich ihn zuvor noch nicht erlebt habe. Und ein Glück, dass eine begabte Reiterin wie du zu ihm gehört.«

Sie konnte nicht anders, sie lugte nach links und rechts, versicherte sich, dass sie wirklich allein waren, hob sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf den Mund. Es sollte nur eine kurze, sanfte Geste sein, aber er umfing mit einem Arm ihre Taille und küsste sie, bis sie vor Leidenschaft außer Atem waren. Alles in Irma sehnte sich nach mehr, nach viel mehr Nähe und Zärtlichkeiten. Sie hasste sich für diese Gefühle, die so falsch waren gegenüber einem verheirateten Mann, aber in solchen Momenten, wenn sein Begehren auf sie übersprang, war sie unfähig, sich dagegen zu wehren.

Als sie sich voneinander trennten, holte Stephan erst einmal tief Luft, bevor er fortfuhr. Erstaunlich, wie er zwischen seinen Emotionen und seinem Verstand hin und her wechseln konnte. In einer gemeinsamen Stunde hatte er ihr einmal verraten, dass sein Vater ihm beigebracht hatte, Gefühle für Schwäche zu halten. Und er hatte ihn auch gelehrt, dass es nur eine Liebe im Leben eines Mannes geben konnte. Ferdinand Gowalka hatte, nachdem Stephans Mutter gestorben war, nicht wieder geheiratet, weil er seiner Gattin über den Tod hinaus treu sein wollte. Eine Einstellung, die Stephan geprägt hatte. Auch er hielt an seiner Ehe fest, obwohl er und Melanie schon lange nicht mehr wie Mann und Frau zusammenleben konnten.

Irmas Freundin und Vermieterin Mizzi war der Meinung, Stephan Gowalka hätte alles Recht der Welt, sich anderswo zu holen, was seine Ehefrau ihm nicht mehr zu geben vermochte. Aber gut, Mizzi war ohnehin speziell und vertrat Ansichten, die Irma schon manches Mal erschreckt hatten. Als Herrin eines Laufhauses verwunderte es nicht, wenn sie außerhalb der gängigen gesellschaftlichen Norm dachte. Vielleicht wollte sie aber auch nur Irmas Gewissen erleichtern, weil sie fand, sie hatte es verdient, glücklich zu sein.

Stephan erzählte zu jedem der fünf Pferde neben Novio ihre Geschichte, woher Vater und Mutter stammten, welche Übungen sie beherrschten. Irma war ein bisschen in ihren Gedanken abgetrieben, aber sie lauschte trotzdem achtsam, nahm sich vor, nichts zu vergessen. Besonders interessierten sie die Eigenarten der Pferde. Es war immer wieder spannend, den Charakter eines Hengstes kennenzulernen. Sie unterschieden sich wie die Menschen in ihren Vorlieben und Merkwürdigkeiten. »Hier rechts neben Novio haben wir Kjendo. Wie du oben am Schild ablesen kannst, ist er sieben Jahre alt und auf der Höhe seiner Kraft. Lass dich von seinen Samtaugen nicht täuschen, er weiß genau, was er will und was nicht.«

»Ivory neben ihm ist dein liebstes Pferd?«

Ein Lächeln stahl sich auf Stephans Züge. »Niemals würde ich das offiziell zugeben, das weißt du. Ich liebe alle Hengste gleichermaßen, aber ja, Ivory ist mir mit seiner stürmischen Art sehr ans Herz gewachsen. Er ist ähnlich begabt wie Novio, schafft es aber nicht immer, die Aufmerksamkeit zu halten. Dann geht es mit ihm durch, und ich habe alle Mühe, ihn zur Ruhe zu bringen. Die langen Ohren sind sein Markenzeichen.«

Novio wackelte mit dem Kopf und wieherte, als protestiere er, weil man ihn bei der Musterung außen vor lasse. Schließlich war er nicht nur nach Irmas Meinung das schönste Pferd im Stall, und er wusste inzwischen um seinen Wert. Irma hielt ihm ein Zuckerstück vors Maul, das er zufrieden zermalmte.

Stephan ging drei Meter weiter zur nächsten Box. Irma trat dicht neben ihn, und weil sie immer noch allein im Stall waren, legte er ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. Sie lehnte den Kopf an ihn und wünschte, sie könnten lange so bleiben, vertraut, nah, liebevoll. Ein Schmerz ziepte unter ihren Rippen, der Kummer darüber, dass dies nur gestohlene Minuten waren. »Hier ist Adagio, sehr klug, aber verfressen.« Er grinste. »Schau dir seinen runden Bauch an! Ich meine, die Lipizzaner haben eine barocke Figur, das macht ihren Charme aus. Aber bei Adagio müssen wir das Futter streng portionieren, sonst wird der uns dick und faul.« Sie lachten beide, als Adagio ihnen daraufhin sein Hinterteil zudrehte, als ginge ihn diese Einschätzung nichts an. »Und die letzten beiden: Rhadon ist mit seiner dunklen Farbe der auffälligste im Ensemble. Er ist tatsächlich reinrassig, aber hin und wieder kommt es vor, dass Lipizzaner nicht die milchweiße Farbe annehmen. So ist es bei ihm. Man sagt, es würde einer Mannschaft Glück bringen, wenn mindestens ein dunkles Pferd dabei ist.«

»Er wirkt sehr stolz. Offenbar mag er seine Sonderrolle.« Irma schmiegte sich dichter an Stephan. Vor ihrem Inneren tauchten die Bilder auf, wie sie in den Praterauen im weichen Moos gelegen hatten, beide fast nackt und völlig selbstvergessen, während ihre Hände und Münder einander erkundeten. Er war der erste Mann, mit dem sie so intim geworden war. Was vorher in der Steiermark mit ihrer Jugendliebe Paul Kendrick passiert war, hatte nichts damit zu tun. Nichts ließ sich vergleichen mit dem, was sie mit Stephan erlebte.

»Der letzte in unserer Riege ist Topas. Du hast mitbekommen, dass der Bereiter Kassian Mayr wegen eines Rückenleidens ausgeschieden ist. Seine Pferde sind auf alle anderen verteilt worden. Kassian ist mit Topas alt geworden, die beiden waren ein eingespieltes Gespann. Wir werden geduldig mit ihm sein müssen, um ihn an uns zu gewöhnen.«

Irma trat vor und streichelte Topas am Hals und über dem Maul. Sie gab ihm ein Zuckerstück und flüsterte ein paar liebevolle Worte darüber, dass er bei ihnen in guten Händen sei und dass sie sich alle Mühe geben würde, seinen alten Vertrauten zu ersetzen.

Stephan trat hinter sie. Sie spürte seinen Körper an ihrem Rücken, und die Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf. Mit einer geschmeidigen Bewegung drehte er sie in seinen Armen und küsste sie erneut. »Ich kann es nicht erwarten, wieder mit dir allein zu sein, Irma. Ich vermisse dich so sehr!«

»Ich dich auch, Stephan, und ich wünschte, wir müssten uns nicht immer Geheimverstecke suchen!«

»Später vielleicht, im Aufenthaltsraum der Bereiter.« Dort waren sie schon einige Male gewesen und hatten die Tür hinter sich abgeschlossen. »Es gibt eine Zusammenkunft in Fabritius’ Büro. Ich kann mich da entschuldigen, dann hätten wir Zeit für uns.«

»Das wäre schön«, flüsterte sie, und die Hitze stieg in ihr hoch. In den Praterauen war es romantisch und herrlich unter dem frischen Grün der Laubbäume, aber um diese Jahreszeit brauchten sie Decken, und es war trotzdem empfindlich kühl. Zudem bestand auch dort immer die Gefahr, dass irgendjemand die Lichtung entdeckte, die sie zu ihrer Liebesinsel erkoren hatten. »Ich freue mich so sehr darauf.« Er tupfte Küsse auf ihr Gesicht, zuletzt auf die Nasenspitze. »Und nun geh zu deinem Verehrer und zeig ihm dein schönstes Lächeln, wenn sie dich abfotografieren.«

»Ach, Verehrer! Woher denn! Der freut sich über eine schöne Geschichte. Mir ist das unangenehm. Johann, Lukas und die anderen denken ohnehin, ich bekäme eine Sonderbehandlung. Und dann noch ein großer Bericht über mich …«

»Sagst du nicht selbst immer, wir müssen das Renommee der Reitschule verändern und mehr Nähe zum Volk aufbauen? Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Leute werden die Frau sehen wollen, die es geschafft hat, in der Spanischen Hofreitschule aufgenommen zu werden. Wenn wir dann tatsächlich beginnen, die Schule für die Bürger zu öffnen, wie du es dir vorstellst, werden sie uns die Türen einrennen.« Er grinste, als glaube er selbst nicht an eine solche Entwicklung.

Irma nickte. »Also gut, ich gebe mein Bestes. Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass die Spanische Hofreitschule noch lange weiter besteht.«

Er küsste sie auf den Mund. »Auch dafür liebe ich dich.«

2

Der Fotograf erwies sich als pingelig. Er wollte das perfekte Bild von Irma und Novio. Nach etlichen Anweisungen hatten sie es endlich im Kasten, bevor das Tier die Geduld verlor. Es versprach ein gefälliges Foto inmitten der Reithalle zu werden. Irma freute sich jetzt schon darauf und hoffte, der Mann würde für sie einen Abzug machen. Es wäre eine Erinnerung für die Zeit, wenn Novio mal nicht mehr bei ihr sein würde, obwohl sie sich das gar nicht vorstellen mochte.

Während sie sich mit ihrem Pferd in Pose setzte, beobachtete Michael Brunner sie ununterbrochen mit einem Leuchten in den Augen. Hin und wieder gab er Kommentare ab, wie hinreißend und majestätisch sie auf dem Hengst aussehe. Seine Komplimente taten ihr gut, zumal sich der Fotograf missmutig gab und mit nichts zufrieden war. Sie war erleichtert, als sie fertig waren. Novio ließ sich willig in seine Box zum Futtertrog führen, offensichtlich einverstanden damit, dass das Posieren ein Ende fand.

Michael Brunner begleitete sie zu den Stallungen, schaute zu, wie sie ihr Pferd in die Obhut eines Pflegers gab. »Warten Sie hier auf mich, ich will mich rasch umziehen«, sagte Irma und eilte die Treppen in den ersten Stock der Stallburg hinauf, wo sich ihre Umkleide befand.

Solange sie sich als Konrad ausgegeben hatte, hatte sie sich mit den Männern einen Raum geteilt und den Kleidungswechsel immer so legen müssen, dass es keiner mitbekam. Aber nun besaß sie eine eigene kleine Garderobe. Oberbereiter Fabritius hatte auf Befehl des Kaisers hin einen der Büroräume umgestalten lassen und ihn mit einem schmalen Schrank, einem Spiegel, einer Schüssel und einem Krug mit stets frischem Wasser ausgestattet. Was für ein Luxus!

Sie liebte die Kleidung, die man ihr, einer Uniform gleich, hatte nähen lassen. Braune und grüne bequeme Röcke mit innen liegendem Hosenteil, dazu einige weiße und dunkle, hochgeschlossene Blusen, die schmeichelnd ihre Figur betonten, ohne aufreizend zu wirken. Aber das war ihr Aufzug für die Hofreitschule, in ihrer Freizeit unterschied sie sich kaum von anderen jungen Frauen. Heute trug sie ein veilchenblaues Seidenkleid mit weißer Spitze an den Ärmeln und schmaler Taille, dazu einen kleinen Hut mit Schleier vor den Augen. Als sie die Treppen in den Innenhof hinabstieg, erkannte sie an Brunners Blicken, dass sie Eindruck auf ihn machte. Er nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darüber. »Sie sehen bezaubernd aus.«

Die Blicke der anderen Mitarbeiter der Reitschule, die sie scheinbar unauffällig beobachteten, brannten auf ihr. Es war Zeit, dass sie sich auf den Weg machten. »Wohin gehen wir?«, erkundigte sie sich, als sie den Michaelerplatz erreichten.

»Kennen Sie das Café Frauenhuber in der Himmelpfortgasse? Ein Traditionslokal, in dem Mozart und Beethoven früher Konzerte gegeben haben.«

»Das klingt fantastisch.« Sie lächelte zu ihm auf. Er war einen halben Kopf größer als sie, was nicht weiter auffiel, wenn sie auf Novio saß. Jetzt erlebte er sie ohne ihr Pferd. Sie fühlte sich nicht länger als die Hofreiterin, sondern wie eine Wienerin mit ihrer Begleitung auf dem Weg ins Kaffeehaus.

»Sie stammen nicht gebürtig von hier, nicht wahr?«, sagte Brunner im Plauderton, nachdem sie einen Fensterplatz in dem opulent dekorierten Café gefunden hatten. Die Bezüge der Sitzmöbel waren aus cremefarbenem Samt, über ihren Köpfen verbreiteten Kronleuchter taghelles Licht, die Fenstervorhänge in Brauntönen harmonierten mit dem Parkettboden. Irma schaute sich um, die meisten Tische waren von Paaren oder Geschäftsleuten besetzt. Sie zuckte zusammen, als sie im hinteren Winkel, halb in einem Erker verborgen, ein vertrautes Gesicht erkannte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Seit seinem Rauswurf aus der Hofreitschule hatte sie Felix von Korthy nicht mehr gesehen. Die Beine übereinandergeschlagen saß er da, einen Teller mit einem Stück Apfelstrudel vor sich, ihm gegenüber ein älterer Herr, den Irma nur von hinten sah, daneben eine elegant gekleidete Dame mit im Nacken geschlungenen Haaren und Spitzenhandschuhen. Vermutlich seine Eltern, die die Spenden eingestellt hatten. An ihrem Fensterplatz konnte Felix sie nur entdecken, wenn er sich zur Seite drehte. Es gab für Irma keinen Grund, sich vor ihm zu verstecken, aber sie legte auch keinen Wert auf eine Begegnung.

Sie bestellten Mokka und setzten sich einander gegenüber, wobei Brunner sich leicht vorbeugte und damit die Distanz überbrückte. Er sah ihr unverwandt in die Augen, und Irma beschloss, keinen Gedanken an Felix von Korthy zu verschwenden. Ein Mann aus ihrer Vergangenheit, mit dem sie hoffentlich nie mehr etwas zu tun haben würde.

»Ich stamme aus der Steiermark. Letztes Jahr bin ich mit meinem Hengst Novio in Wien angekommen«, beantwortete sie Brunners Frage.

»Und haben gleich die Anstellung in der Hofreitschule gefunden?«

»So unkompliziert verlief es nicht. Die Hofreitschule zeigte ursprünglich nur Interesse an meinem Hengst Novio. Mir allerdings hätte es das Herz gebrochen, wenn ich ihn hätte weggeben müssen. Also habe ich mit meiner Mutter einen Plan ausgetüftelt, wie wir den Schulleiter davon überzeugen könnten, mich zur Bereiterin auszubilden. So sind wir auf die Idee verfallen, dass ich mich als Mann verkleide.« Es fühlte sich merkwürdig an, über diese Zeit ihres Lebens so locker zu plaudern. Niemals würde sie die Anspannung vergessen, die sie all die Monate in ihrer Maskerade empfunden hatte. Die permanente Angst, jeden Moment auffliegen zu können. Und dennoch das verbissene Aufrechterhalten ihrer Rolle als Mann. So leicht, wie es nun aus ihrem Mund klang, war es nie gewesen.

Brunner zückte seinen Notizblock und schrieb mit einem Bleistift hinein. »Was für ein mutiger Schritt. Sie haben sich also die Haare geschnitten und Männergarderobe besorgt?«

»Ja, die Haare mussten gekürzt werden.« Sie fuhr sich mit einer Hand in den Nacken. »Inzwischen sind sie nachgewachsen, und ich bin froh darüber. Es war nicht sehr angenehm, alle in meinem Umfeld belügen zu müssen. Und die Männergarderobe, die hatten wir noch vorrätig.« Sie nahm einen Schluck vom Mokka, den ein Kellner gebracht hatte, und überlegte kurz, ob sie diesem fremden Mann von Anton erzählen sollte. Sie horchte in sich hinein. Brunner sah sie auffordernd an, schwieg, während sie ihre Optionen abwog. »Ich hatte einen Zwillingsbruder, der mit sechzehn Jahren gestorben ist. Wir hatten seine Kleidung aufgehoben.«

»Oh, bitte verzeihen Sie, ich wollte nicht indiskret sein.«

»Kein Grund für eine Entschuldigung. Der Schmerz über diesen Verlust ist immer noch da, aber ich habe gelernt, damit zu leben.«

»Ich kann mir schlecht vorstellen, dass man nicht trotz Herrengarderobe und kurzen Haaren sofort erkennt, dass sie eine Frau sind – und was für eine!« Er hielt ihren Blick.

Sie tat, als hätte sie das Kompliment nicht herausgehört. »Doch, das war kein Problem. Alle hielten mich für einen jungen Mann, bis jemand aus meiner Vergangenheit auftauchte und meine Tarnung wegriss.« Sie erinnerte sich nicht gern an den Tag, als Paul Kendrick in der Reithalle erschienen war und sie offen auf ihre Maskerade angesprochen hatte. Stephan Gowalka hatte es als Erster mitbekommen, später erfuhr es auch Kaiserin Sisi.

Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass Felix seine Eltern verabschiedete und sich selbst noch einen Viertelliter Wein kommen ließ. Sie musterte das Ehepaar Korthy unauffällig, als sie zum Ausgang schritten. Er wirkte raumfüllend und daran gewohnt, seinen Willen durchzusetzen. Seine Gattin lächelte in alle Richtungen, wollte offenbar gefallen und die Überheblichkeit ihres Gatten ausgleichen. Keine Frage, von wem Felix mehr Wesenszüge geerbt hatte.

»Wollte man Sie da nicht vor Gericht bringen wegen Täuschung oder etwas Ähnlichem?« Michael Brunner runzelte die Stirn, während er ihr Gesicht betrachtete.

»Kaiserin Sisi war mir gewogen, das habe ich sehr zu schätzen gewusst. Nach ihrem Tod erteilte mir der Kaiser persönlich die Erlaubnis, meine Ausbildung an der Spanischen Hofreitschule zu absolvieren. Ich glaube, es war der schönste Tag meines Lebens, als ich die kaiserliche Nachricht in den Händen hielt. Tja, und seitdem bin ich da und tue meine Pflicht, genau wie jeder andere Eleve, in der Hoffnung, bald die Prüfung zur Bereiteranwärterin und später zur Bereiterin zu bestehen. Das ist die klassische Reihenfolge aller Karrieren in der Hofreitschule.«

»Die Ausbildung dauert oft sehr lang, nicht wahr?«

Sie nickte. »Viele brauchen dafür fast zehn Jahre.«

Er lachte auf. »Warum nur habe ich den Eindruck, dass Sie es früher schaffen wollen?«

Sie stimmte in sein Lachen ein. »Tatsächlich gebe ich mein Bestes.«

»Sorgt eine Frau inmitten von Dutzenden Jungen und Männern nicht für Konflikte?«, fragte er geradeheraus, hielt seinen gespitzten Bleistift über dem Block.

»Ich achte darauf, dass es dazu nicht kommt«, erwiderte sie ausweichend. »Ich erwarte keine Sonderbehandlung, erledige meine Aufgaben wie jeder andere Eleve auch.« Ganz bestimmt ging es den Journalisten nichts an, dass die Beziehung zu ihrem Ausbilder enger war, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Das war und blieb ihr Geheimnis. »Aber es gibt selbstverständlich Meinungsverschiedenheiten, unabhängig davon, dass ich eine Frau bin.«

»Die da wären?«

Sie nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Mokkatasse. »Nun, ich stehe ziemlich allein mit der Ansicht da, dass die Hofreitschule einen modernen Anstrich braucht, wenn sie sich in neue Zeiten hinüberretten will.«

»Wie könnte sie das tun?«

»Das erzähle ich Ihnen gleich.« Sie lächelte. »Ich würde mir gern die Nase pudern.«

Er erhob sich, als sie aufstand, und setzte sich wieder. Sie schritt zügig zu den Waschräumen, als sich ihr kurz davor jemand in den Weg stellte. »Ah, unsere Musterschülerin in Herrenbegleitung.« Felix von Korthys Stimme troff vor Hohn. »Keine Angst um den ach so guten Ruf?«

Nach dem ersten Schreck hob Irma das Kinn. »Geh mir aus dem Weg, Felix. Ich bin hier nicht in romantischer Absicht, sondern werde von einem Reporter befragt.«

»Willst du dich wieder in den Mittelpunkt stellen, ja? So wie du es von Anfang an getan hast.«

»Und wenn es so wäre, ginge es dich nichts an. Du gehörst seit drei Monaten nicht mehr dazu.«

»In der Angelegenheit ist das letzte Wort nicht gesprochen. Wir sind noch nicht fertig miteinander. Am Ende werden wir sehen, wer am längeren Hebel sitzt«, zischte er ihr zu, drängte sich an ihr vorbei, wobei er schmerzhaft gegen ihre Schulter stieß, und stürmte hinaus.

In den Waschräumen für die Damen musste Irma ein paarmal tief Luft holen, um sich zu beruhigen. Dass dieser Kerl sie so aus der Fassung bringen konnte! Bestimmt war es bloß leeres Geschwätz. Keine Chance, dass Felix erneut in die Schule eintrat, oder? Eine Kommission hatte einstimmig entschieden, dass er für die Pferdepflege und Dressur nicht geeignet war.

Als sie zu Brunner zurückkehrte, hatte sie ihre Nerven beruhigt und schaffte es, sich nichts von der Begegnung anmerken zu lassen. »Wo waren wir stehen geblieben?«

»Bei der Zukunft der Hofreitschule.« Er wies auf den Tisch, auf dem zwei Teller mit Sachertorte standen und weiterer Mokka für sie beide. »Ich hoffe, ich habe Ihren Geschmack getroffen?« Sein Lächeln wirkte, als sei er sich sicher.

Irma bestellte lieber selbst, wenn ihr nach Torte zumute war, aber sie wollte ihr Gegenüber nicht brüskieren und probierte eine Gabel voll. Der traditionelle Schokoladenkuchen zerging auf der Zunge. Sie nickte ihm lächelnd zu, bevor sie wieder auf ihr Hauptanliegen zu sprechen kam: »Meiner Meinung nach sollte sich die Schule allen Bürgern öffnen, nicht nur den gekrönten Häuptern. Die Menschen würden es bestimmt lieben, wenn wir Veranstaltungen für alle Wiener und Gäste anbieten würden.«

»Da stimme ich Ihnen zu. Ich berichte seit mehreren Jahren über die Hofreitschule und kenne mich aus. Einige Male haben wir Leserbriefe bekommen, in denen man fragte, warum die Vorstellungen nicht jedermann besuchen kann.«

»Leider zeigt Kaiser Franz wenig Interesse an der Reitschule. Als wären mit seiner Frau auch seine Ambitionen für die Pferdedressur gestorben. Aber bitte! Schreiben Sie das um Himmels willen nicht! Ich will damit nur sagen, dass wir uns auf seine Zuwendung nicht verlassen können. Wir müssen uns selbst etwas einfallen lassen. Wir müssten neue Schauen konzipieren, die vielleicht nicht so aufwendig sind wie die für die europäischen Königshäuser, aber dennoch die Bandbreite unseres Könnens abbilden. Und um das bekannt zu machen, könnte man zum Beispiel Bilder von den Pferden und ihren Reitern erstellen und sie überall zum Verkauf anbieten. So würden die Leute eine engere Beziehung zur Schule entwickeln und eine Ahnung davon bekommen, was ihnen da geboten wird.«

»Oder besser noch: Wir stellen Postkarten in großer Stückzahl her, die wir in allen Buchhandlungen auslegen und verkaufen. So hätte die Schule einerseits den Erlös aus dem Handel, andererseits würde den Menschen die Spanische Hofreitschule vertrauter werden.«

Irma stutzte kurz. War das nicht genau das, was sie angeregt hatte? Jetzt drehte er den Vorschlag so, als hätte er ihn unterbreitet. Vielleicht war es nur ein kleines Missverständnis. »Ja, wunderbar, dann nehmen wir Ihren Fotografen mit an Bord. Glauben Sie, er würde uns unterstützen?«

»Aber ja, ich rede mit ihm, dann macht er mit.«

Wieder nahm er sich wichtiger. Natürlich, er kannte den Mann besser, aber sie hätte ihn auch selbst auf das Fotografieren ansprechen können.

»Wir müssen uns natürlich zunächst bei den Verantwortlichen die Erlaubnis für den Versuch einholen, die Schule populärer zu machen«, sagte sie.

Er winkte ab. »Darum kümmere ich mich. Ich kenne Oberbereiter Hugo Fabritius recht gut.«

»Man wird uns nicht allein vorpreschen lassen.« Sie lächelte, freute sich einerseits über sein Engagement, andererseits fiel ihr in jedem seiner Sätze auf, dass er offenbar glaubte, die Dinge besser regeln zu können als sie. Möglicherweise hatte er recht, das Wort eines Mannes hatte in diesen Zeiten größeres Gewicht. Doch wenn sich das irgendwann einmal ändern sollte, brauchte es Menschen, die Frauen etwas zutrauten. Michael Brunner, so liebenswert er ihr erschien, gehörte nicht zu dieser Kategorie. Sehr bedauerlich, fand Irma, aber dennoch wäre er ihr eine unschätzbare Hilfe bei ihren unausgereiften Plänen.

Was mochte Stephan von Michael Brunner halten? Vielleicht überzeugte es ihn, wenn der Journalist auf ihrer Seite war, dass sie es schaffen konnten, ein neues Bild von der Reitschule in der Öffentlichkeit zu kreieren und ein großes Publikum anzulocken.

»Wie schön, dass wir gemeinsame Pläne entwickeln, liebe Irma. Darf ich Sie so nennen?« Seine Augen rundeten sich wie bei einem Hundewelpen, während er sie anschaute.

Sie lachte. »Gerne. Nach der Zeit als Konrad mag ich es, wenn mich jemand bei meinem echten Namen nennt, Michael …«, fügte sie an, die Wangen glühend. Sie wollte selbstbewusst wirken, aber manchmal ergriff sie diese mädchenhafte Schüchternheit, die sie überwunden geglaubt hatte. Sie ärgerte sich darüber, sah jedoch den freudigen Anklang auf seinen Zügen. Er schien sie so zu mögen.

Als sie aufgegessen hatten, griff er über den Tisch hinweg nach ihren Händen, drückte sie. Es fühlte sich falsch an, das spürte Irma sofort, obwohl sie nicht sagen konnte, warum. Er sah ihr tief in die Augen. »Mit allem, was du mir heute erzählt hast, werde ich einen groß aufbereiteten Artikel über dich veröffentlichen. Ich werde all unsere Ideen anklingen lassen. Nicht als etwas Verabredetes und bereits Feststehendes, sondern als etwas, worüber man in Zukunft nachdenken sollte, wenn die Spanische Hofreitschule als Traditionsunternehmen bestehen bleiben soll. Ich sehe die Sätze schon vor mir und alles bebildert mit dem herrlichen Foto von dir auf Novio! Ach, das wird vielleicht der beste und bedeutendste Bericht, den ich je geschrieben habe!«

»Bitte stell mich nicht so in den Mittelpunkt, das Foto ist aussagekräftig genug.«

»Wie könnte ich dich nicht in den Vordergrund stellen? Du bist die bezauberndste Frau, die mir seit Langem begegnet ist, und du bist eine so begabte Reiterin, dass es jedem den Atem verschlägt. Du hast es verdient, mit deinem Lipizzaner Beifall zu bekommen. Aber meine Bewunderung kriegst du auch ohne deinen Novio.«

Auf einmal spürte sie überdeutlich, worauf er hinauswollte. Und sie hatte angenommen, er würde sich wegen des Artikels so viel Zeit nehmen. Nein, Michael Brunner hatte auch andere Ambitionen, und es erschreckte sie. Sie fürchtete sich davor, ihn gegen sich aufzubringen, wenn sie ihm eine Abfuhr erteilte. Einen Reporter machte man sich besser nicht zum Feind. Hoffentlich wurde er nicht allzu deutlich. »Ich fühle mich sehr geehrt, vielen Dank«, sagte sie freundlich und distanziert zugleich.

»Wir brauchen noch viele Stunden, um alles in Ruhe zu besprechen«, fuhr er fort. »Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich dich wiedersehen möchte … Darf ich dich um ein privates Treffen bitten? Wir könnten im Prater spazieren gehen und uns über alles austauschen, was dein Herz bewegt.«

Was dein Herz bewegt. Das erschien ihr etwas dick aufgetragen. Wollte er wirklich wissen, was sie bewegte, oder waren seine Worte nur Teil seines Werbens um sie? Sie musterte Michaels Gesicht ein paar Sekunden lang.

Er interpretierte ihr Schweigen falsch, küsste ihre Fingerspitzen. »Darf ich hoffen, dass du genauso gern mit mir zusammen bist, wie ich mit dir, Irma?«

Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet, sie kannte ihn doch kaum. Von seiner Seite schien es tatsächlich Zuneigung auf den ersten Blick zu sein. Natürlich, in seinen Augen war sie eine ungebundene Frau. Er konnte nicht wissen, dass ihr Herz bereits vergeben war.

»Ich … ich fühle mich gerade überfordert, Michael.«

»Pst.« Er legte einen Zeigefinger an ihre Lippen. Sie drehte den Kopf, weil sie die Berührung an ihrem Mund nicht mochte und es ihr zu intim war. Ihm schien ihr Unbehagen nicht aufzufallen. »Ich wollte dich nicht überfallen, Irma. Wir sollten uns nur weiterhin treffen, um über die Werbemöglichkeiten für die Hofreitschule zu sprechen. Alles andere … Wir haben Zeit.«

Sie lächelte. »Also gut.«

»Darf ich dich übermorgen aus der Hofreitschule abholen? Dann bringe ich dir den Artikel mit. Der sollte morgen erscheinen.«

Sie stutzte kurz, fühlte sich abermals überrumpelt, aber sie mussten vorankommen, wenn sie etwas für die Hofreitschule bewirken wollten. In ihrem Verstand legte sie sich die Sätze zurecht, mit denen sie Stephan von ihren Plänen erzählen würde. Allein der Gedanke an ihn ließ eine Flamme in ihr auflodern und trieb die Sehnsucht nach ihm an. Unruhe erfasste sie, sie wollte aufstehen und so schnell wie möglich zu ihm.

Michael ergriff ein weiteres Mal ihre Rechte. Diesmal empfand sie seinen Händedruck als zu fest, fast schmerzhaft. Er suchte ihren Blick und sah ihr tief in die Augen. Du lieber Himmel, er schien ihre plötzliche Unruhe auf sich und ihr geplantes Treffen bezogen zu haben. Was für ein fataler Irrtum. Hoffentlich konnte sie das bei ihrer nächsten Begegnung klären.

»Ich zähle die Stunden«, sagte er leise, bevor sie aufstand, ihm zum Abschied zunickte und das Kaffeehaus fluchtartig verließ.

3

Auf dem Michaelerplatz stand, an eine Mauer neben einer Statuette gelehnt, Felix von Korthy. Irma sah ihn sofort, als sie quer über die Straße in Richtung der Stallburg lief. Hastig verbarg sie sich hinter einem Brunnen und linste zu ihm herüber. Auf eine weitere Begegnung verspürte sie keine Lust, aber was trieb er hier? Seine Miene drückte Zufriedenheit und Vorfreude aus, und er schaute munter in die Gegend. Ob er auf jemanden wartete? Was führte er im Schilde? Während er einer Passantin in einem roséfarbenen Kostüm hinterherblickte und dafür sogar den Kopf drehte, setzte Irma zum Spurt an, um unbemerkt in die Reitschulgasse zu gelangen. Vermutlich gab sie eine wenig damenhafte Erscheinung ab, trotz des himmelblauen Kleides und des Netzhutes.

Nein, sie fürchtete sich nicht vor Felix, fühlte sich ihm in jeder Hinsicht gewachsen, aber zwei Begegnungen mit ihm an einem Tag wollte sie ihren Nerven nicht zumuten.

Sie atmete auf, als sie die Treppe zur ersten Etage der Stallburg hinaufsprang. Unten bei den Pferden hörte sie die Stimmen der Pfleger und einiger Eleven. Das Nachmittagstraining würde gleich beginnen. Sie hoffte inbrünstig, dass Stephan und sie sich ein paar Minuten stehlen konnten, um sich zu küssen und zu streicheln und sich liebe Worte ins Ohr zu flüstern. Gerade nach der Begegnung mit Michael Brunner zog es sie zu ihrem Geliebten hin, obwohl ihr Verstand ihr dringend zum Gegenteil riet. Ihr Hals schmerzte beim Schlucken, als sie die Umkleidekabine erreichte, mit flinken Fingern aus dem Kleid glitt und ihre Reituniform anzog. Der braune Rock und die helle Bluse schienen zu einem Teil von ihr geworden zu sein. Sie fühlte sich darin wohler als in ihrer alltäglichen Garderobe.

Beim Verlassen der Umkleide wäre sie fast mit einem älteren Herrn und einer Dame in seiner Begleitung zusammengestoßen. Die beiden strebten im Eilschritt über den Säulengang. Erschrocken setzte Irma einen Schritt zurück. Wo mochten sie hinwollen? Sie waren so auf ihren Weg konzentriert, dass sie Irma nicht bemerkten, die die beiden beobachtete. Der Mann klopfte kräftig mit den Handknöcheln gegen die Tür des Aufenthaltsraums für die Bereiter. Im Profil erkannte sie die beiden, sie hatten vor wenigen Minuten im Café Frauenhuber mit ihrem Sohn gesessen: Baron Laszlo von Korthy und Gemahlin, die Eltern von Felix. Das Gesicht des Mannes hatte eine ungesunde violette Farbe angenommen. Seine Frau legte beruhigend eine Hand auf seinen Arm.

Irma hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Dann erklang die ihr wohlbekannte Stimme. »Baron von Korthy, wie schön, Sie zu sehen. Baronin, herzlich willkommen.« Stephan sprach ohne Emotionen, aber mit einem Höchstmaß an Höflichkeit.

Irma drückte sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen und spitzte die Ohren. Von ihrem Platz aus verstand sie jedes Wort, ohne dass man sie sehen konnte.

»Ich wünschte, Sie würden nicht uns so zuvorkommend begrüßen, sondern meinen Sohn Felix! Finden Sie nicht, dass er seine gerechte Strafe für sein Verhalten bereits bekommen hat? Der Junge ist außer sich vor Schmerz darüber, aus der Schule ausgeschlossen worden zu sein. Er hat uns gerade noch einmal sein Leid geklagt und seinen Willen bekräftigt, es zukünftig besser zu machen.« Baron von Korthys Stimme schallte in der gesamten Stallburg. Vermutlich wurden unten bei den Pferden die Pfleger auf ihn aufmerksam. Man brauchte nicht zu lauschen, um alles mitzubekommen. Irma wunderte sich über die Worte des Adeligen. Sie hatte Felix im Café und vor der Hofburg gesehen. Beide Male hatte er keineswegs einen gebrochenen Eindruck gemacht.

»Die Entscheidung habe nicht ich allein gefällt, Herr Baron, das wissen Sie. Es gab ein Gremium, das den Beschluss, Felix aus der Spanischen Hofreitschule auszuschließen, eindeutig gefasst hat. Und zwar nicht wegen einer Kleinigkeit. Ich werde den Anblick der Verletzungen, die ihr Sohn einem unserer besten Pferde zugefügt hat, nicht vergessen. Er hat gut dafür gesorgt, dass die Wunde keinem auffiel, indem er die Sporen so hoch ansetzte, dass die Pferdedecke sie verbarg. Dahinter steckt ein hohes Maß an Respektlosigkeit gegenüber unseren Lipizzanern.«

»Ja, ja, ja«, Baron von Korthy war hörbar enerviert von Stephans Gegenargumenten, »das hat er alles eingesehen! Sprechen Sie doch mit ihm! Ich bitte Sie darum. Finden Sie selbst heraus, dass er sich geändert und aus seinen Fehlern gelernt hat.«

»Ich fürchte, die Sache ist endgültig entschieden, Baron von Korthy.«

»Was bilden Sie sich …« Die Worte des Adeligen überschlugen sich, bevor die sanfte Stimme seiner Frau erklang.

»Beruhige dich, Laszlo, du hast Herrn Gowalka doch gehört. Lass es gut sein.«

Der Baron schüttelte die Hand seiner Gattin ab. »Unterbrich mich nicht, Greta. Es geht hier um die Zukunft unseres einzigen Sohnes.«

»Ja, das haben wir besprochen. Aber es stehen ihm viele Wege offen.« Der Gegensatz zwischen den beiden Stimmen war frappierend. Er brüllte wie ein Löwe, sie piepste wie ein aus dem Nest gefallenes Vogelkind.

Der Baron ging nicht auf die Worte seiner Frau ein, wandte sich wieder an Stephan. »Wissen Sie, ich wollte selbst Bereiter werden. Es war mein innigster Wunsch als junger Mann. Aber ich war immer zu groß und zu schwer. Mein Sohn hat das Zeug dazu, ein hervorragender Reiter zu werden, berauben Sie ihn nicht dieser Chance!«

Irma in ihrem Versteck wurde klar, warum sich der Adelige so für seinen Jungen einsetzte. Im Grunde ging es ihm um seine eigenen verlorenen Träume, und Felix tat nur das, was der Senior von ihm erwartete. Möglicherweise wäre Baron von Korthy mit einer anderen Körperstatur ein exzellenter Hofreiter geworden, doch sein Sohn hatte sich nun mal als ungeeignet erwiesen. Das musste er einsehen.

»Wir können das Risiko nicht eingehen, ihm ein weiteres Mal die Verantwortung für unsere Tiere zu übertragen.«

»Er ist doch gestraft genug mit der langen Auszeit und diesen schmerzhaften Rippenbrüchen!«, beharrte der Baron lautstark. Novio hatte Felix, nachdem der ihn wochenlang gequält hatte, mit den Hinterhufen in den Brustkorb getreten. Die Ärzte hatten den Adelsspross wieder zusammengeflickt.

In diesem Moment hallten Stiefelschritte den Säulengang entlang. Stephan und die von Korthys schwiegen, als eine weitere Stimme laut wurde. »Baron, Baronin, eine Ehre, Sie in unserer Stallburg begrüßen zu dürfen!«

Irma erkannte das Schnarren von Oberbereiter Hugo Fabritius und hoffte, Stephan bekam von ihm Unterstützung im Konflikt mit dem Adeligen.

»Ich pfeife auf die Ehre!«, spie der Baron aus. Seine Frau murmelte etwas im vergeblichen Versuch, ihn zu beschwichtigen. »Stellen Sie meinen Sohn wieder ein! Reden Sie mit ihm, Fabritius, er hat sich geändert und Besserung gelobt! Sie werden es nicht bereuen. Planen Sie nicht, die Stallanlage zu vergrößern?« Seine Stimmlage veränderte sich, wurde lauernd.

»Nun, ja.« Fabritius hörte sich auf einmal kleinlaut an. »Geplant ist das schon länger, aber der Kaiser hat das Budget für die Hofreitschule drastisch eingeschränkt. Er spart an allen Ecken und Enden, und wir sind leider als Erste betroffen. Deswegen wird es sich noch eine Weile hinziehen.«

»Muss es nicht, mein lieber Fabritius, muss es nicht!« Auf einmal klangen wieder Siegesgewissheit und Selbstbewusstsein aus den Worten des Barons. »Ich bin bereit, die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen. Bereits morgen, wenn Sie es wünschen. Aber Sie können sich denken, dass ich Bedingungen an eine solch außergewöhnlich hohe Zahlung knüpfe, nicht wahr?«

Dieser entsetzliche Mann! Er glaubte, mit seinem Geld alles regeln zu können. Stephan würde niemals darauf eingehen, das wusste Irma, doch wie stand es um Fabritius?

»Mein lieber Baron, warum besprechen wir das nicht in meinem Büro? Wir haben gleich ein Treffen mit den anderen Bereitern, aber sicherlich lassen sich vorher zehn Minuten erübrigen. Was meinen Sie?«

Irma schnappte nach Luft. Er sollte den Baron zum Teufel jagen und sich nicht von ihm um den Finger wickeln lassen! Je länger sich Fabritius mit diesem Mann abgab, desto größer die Gefahr, dass er am Ende auf seine Bedingungen einging und Felix die Tür zur Hofreitschule wieder offen hielt. Bloß nicht! Nicht nur, dass er die Pferde unsachgemäß und lieblos behandelte, er war mit seiner Art auch ein ständiger Störfaktor im Kreise der Auszubildenden. Er hielt sich für etwas Besseres und ließ das jeden spüren. Sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft – mit einem Felix von Korthy in ihrer Mitte würde die Stimmung kippen. Irma stieß ein Stoßgebet aus, dass der Oberbereiter von seiner Einstellung nicht abrückte. Dann warteten sie eben ein, zwei Jahre, bis sich die Vergrößerung der Stallanlage verwirklichen ließ! So dringend war das nicht, dass man deswegen die eigenen Prinzipien über den Haufen warf.

»Bedeutet das, Sie sind bereit, die Lage noch einmal zu prüfen?« Die Stimme des Barons klang triumphierend.

»Selbstverständlich berücksichtigen wir bei unseren Entscheidungen sämtliche Möglichkeiten. Wir werden uns sicher einig werden, verehrter Herr Baron.« Der Oberbereiter sprach mit Samtstimme. Am liebsten wäre Irma aus ihrem Versteck gestürmt und hätte ihn geschüttelt. Sie lugte vorsichtig um die Tür herum und sah, dass Fabritius vertraulich die Hand auf die Schulter des Mannes legte. »Begleiten Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin mich doch bitte in mein Büro.« Sein Tonfall veränderte sich, als er sich an Stephan wandte. »Sie sind für das Treffen heute entschuldigt, Gowalka?« Alle Bereiter trafen sich regelmäßig, um sich gegenseitig über ihre Arbeit zu informieren.

Stephan rang mit sich. »Ja, ich habe später einen Termin mit dem Tierarzt wegen Symphonie, der sich am Hinterbein verletzt hat. Ich hoffe, dass das Tier bald wieder einsatzfähig ist.«

»Gut, dann sind Sie entschuldigt.«