Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ich bin Estelle und befinde mich in einer Ausbildung zur Wächterin. Als ich meinen Dienst im Morgengrauen antreten wollte, rief mich quer über den Hof einer der Wächter zu sich. "Du wirst heute die untersten Zellen bewachen.", begann er und ich runzelte meine Stirn. Ich hasste Planänderungen. Dass mein Leben heute völlig unerwartet auf den Kopf gestellt werden würde und ich nichtsahnend in die Welt der Feen und Elfen stürzte, die ich doch eigentlich aus tiefstem Herzen hassen sollte, erwartete ich natürlich zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 435
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für Carmen, meine Mutmacherin in den Sternen…
PROLOG
DER BEGINN EINER LANGEN REISE
ZUR FALSCHEN ZEIT AM FALSCHEN ORT
EIN WEIßER REITER AUF EINEM SCHWARZEN ROSS
RITTER DER ROTEN DORNEN
DER BEGINN EINER LANGEN REISE DURCH DIE GRÜNEN LANDE
DIE RACHE DER FEEN
GLIBBERIGER SCHAFSAUGENGESCHMACK
SO KALT WIE EIS
WUNDERSCHÖN SCHRECKLICHE BLUMEN
RAUS MIT DER SPRACHE
DALIBOR
EIN HERZLICHES WIEDERSEHEN
EINE KOCHLÖFFELWAFFE
EINE FEDERLEICHTE BERÜHRUNG
BLOß WEG VON HIER!
BELEIDIGTER ELF
ZWISCHEN WUT, TRAUER UND ANGST
LAURIEL SPRICHT KLARTEXT
FAELARS GESCHICHTE
DAS VERSPRECHEN DER FEEN
DALIBOR
DIE FORDERUNG DES ELFEN
EIN KRANZ AUS WEIßEN UND BLAUEN BLÜTEN
ORIENTIERUNGSSINN EINES DUMMEN SCHAFES
SCHLIEßE DEINE AUGEN
EINE ZIEGE MIT SCHLUCKAUF
KEIN DEUT VON HASS ODER MORDLUST
EINE BODENLOSE DUNKELHEIT
RUNTER MIT DEN MESSERN
DER WEG ZU DREI GROßEN BÄUMEN
SILBRIGE BLUMENRANKEN
ZARINA
EINE SCHNELLE ABFUHR
ES WAR ZUM MÄUSEMELKEN
EIN KAMPF AUF LEBEN UND TOD
EINE MEHRERE FUß DICKE GÄNSEHAUT
AUFGEMALTE SCHNURRBÄRTE
AUFKLÄRUNG, BEVOR ES WEITER GEHEN KANN
GIBBOS UND ANDERE WESEN
ZWEI HOLZKÖPFE
DAS GLITZERNDE ETWAS
HELFT MIR DOCH!
DALIBOR
NUR NICHT IN OHNMACHT FALLEN!
WABERNDE NEBELSCHWADEN
DAS KLEINE ETWAS
KATZ UND MAUS SPIEL
EPILOG
Der engste Berater des Elfenkönigs stand an der steil ins Meer abfallenden Klippe hinter dem Elfenpalast. Der raue Wind, der vom Meer heranbrauste, fuhr ihm durch das lange schwarze Haar, das im Mondlicht onyxfarben glänzte, ließ einzelne Strähnen wild umhertanzen und seinen Mantel unruhig umherflattern.
Die Debatte, die er sich gerade mit dem Rat der Elfen und dem König der Kargen Lande geliefert hatte, war nicht ganz nach seinen Wünschen verlaufen.
Die Sturheit der Elfen übertraf die der Menschen noch um ein Vielfaches. Müde schüttelte er bei dem Gedanken den Kopf und rieb sich seine Schläfen. Dumpfe Schmerzen machten sich langsam in seinem Kopf breit. Der verheerende Krieg zwischen beiden Völkern war seit Jahren vorbei und die Verluste auf beiden Seiten waren immens hoch gewesen.
Doch der Frieden war brüchig und die Elfen hatten Dinge vor, die nicht unbedingt dazu beitrugen, diesen Frieden noch lange aufrecht zu erhalten.
Das offene Meer, mit seinen sich aufbäumenden Wellen, zog ihn in solchen Momenten magnetisch an. Hier bekam er wieder einen freien Kopf, konnte wieder klare Gedanken zu fassen bekommen.
Er sog mit einem tiefen Atemzug die salzige, klare Luft tief in seine Lungen ein und hob einen weiß schimmernden Stein vom Boden auf, den er, in seinen Gedanken versunken, in seinen Fingern drehte. Nach einem kurzen nachdenklichen Blick schleuderte er ihn in die undurchdringliche, schwarze Nacht hinaus. Er versuchte es erst gar nicht ihm hinterher zu blicken, denn er wusste, dass er die Stelle, an der er in die tosenden Fluten fiel, niemals würde erkennen können. Dazu war die Klippe viel zu hoch. Selbst sein geschärfter Blick, der allen Elfen vorbehalten war, würde ihm dabei nicht helfen.
Das Wasser, weit unter ihm, war aufgewühlt und die Wellen brachen sich wütend und lautstark donnernd an den Klippen.
Es war eine stürmische, kühle Nacht und der Wind trieb die Wolken über den Himmel, wie ein Schäferhund seine Schafe zur nächsten Weide.
Zwischen den Wolken schimmerte immer wieder die Sichel des Mondes hindurch und ließ mit seinem Licht kalte Schatten tanzen. Allein zu sein, nachdem so viele Elfen durcheinander gesprochen hatten, war ein gutes Gefühl. Er atmete die kalte Meeresluft ein weiteres Mal tief ein und genoss den Augenblick der Stille.
Und dieser wurde je zerstört.
Er hörte hinter sich ein leises Rascheln und drehte sich nach dem Geräusch um. Mehrere schwarze Schemen liefen auf ihn zu und er wollte sich mithilfe seiner Magie schützen. Doch noch bevor er auch nur seine Hände heben konnte, fuhr ihm ein stechender Schmerz durch den Kopf und er stürzte in eine bodenlose Dunkelheit.
***
Als er wieder zu sich kam, lag er auf einem wackelnden Boden. Ihm schwirrte der Kopf und er kniff die Augen fest zusammen. Nachdem sich seine Gedanken quälend langsam ordneten, begriff er in welcher Lage er sich befand. Er sog scharf die Luft ein.
Jemand hatte ihm die Hände auf den Rücken gefesselt. Seine Augen waren ebenfalls verbunden. Man konnte gerade so erkennen, dass wohl mittlerweile der Tag angebrochen sein musste. Also spitzte er seine Ohren und lauschte. Er musste sich in einer Art Kutsche befinden, die sich knarzend auf einer holprigen Straße bewegte.
„Hallo?“, fragte er vorsichtig. Er schien allein zu sein. Draußen hörte er zwei leise Stimmen, die sich kurz unterhielten, dann ruckte die Kutsche und hielt an. Eine Tür, die in den Angeln fürchterlich quietschte, wurde geöffnet und jemand kam herein.
„TsTsTs… Wir sind noch nicht da.“, brummte eine tiefe Männerstimme. „Was … habt ihr mit mir vor?“, krächzte der Elfenberater und musste sich erst einmal räuspern. Er versuchte sich mühsam aufzusetzen.
Der Mann aber, kam schnell näher und hinderte ihn daran. Ehe der Elfenberater noch etwas erwidern konnte, wurde ihm ein Tuch mit einem beißenden Geruch auf Mund und Nase gedrückt. „Schön weiterschlafen.“, ätzte die tiefe Stimme.
Panisch versuchte er sich aus dem Griff zu winden und trat wild um sich, doch das eingeatmete Gebräu tat bereits seinen grausamen Zweck und trug ihn wieder zurück in die Dunkelheit.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber es zogen bereits rötlich erleuchtete Wolken über den ansonsten noch dunklen Himmel. Ich bereitete mich im Morgengrauen auf meine letzte Woche als Wächterin der Gefangenen vor. Diese überaus uninteressante Arbeit durfte ich nun schon seit der Wintersonnenwende erledigen und nun freute ich mich inbrünstig, dass ich nur noch eine Woche überstehen musste, ehe es jetzt, im lang erhofften Frühling, mit dem Bogenschießtraining weiterging.
Ich zog meine Stiefel an und flocht mir meine langen hellblonden Haare zu einem strammen Zopf. Ehe ich mir meine Jacke über die warme Lederweste warf, band ich mir meinen Schwertgürtel samt Schwert um.
Die letzten Wochen waren im Schneckentempo verstrichen, während ich mir an den Zellentüren die Beine in den Bauch gestanden hatte, um auf die Gefangenen zu achten. Mein Befehl lautete, darauf Acht zu geben, dass sie nicht versuchten zu fliehen oder sich selbst verletzten.
Klar, mit nichts als seinen oft bereits zerrissenen Kleidern und einer harten Holzpritsche, die als Bett diente, konnte man nicht allzu viel anfangen, um auszubrechen oder sich selbst zu verletzen - dachte ich.
Ein einziges Mal wurde ich überraschend eines Besseren belehrt. Tatsächlich versuchte einer der Gefangenen sich mit seinem Hemd am vergitterten Fenster hoch über ihm zu erhängen - wie er bis dorthin allein hinaufkam, war mir bis heute ein Rätsel - wobei er kläglich scheiterte, da der Ärmel seines Hemdes riss und er unsanft auf seinem Hintern landete. Solche Dinge hatte ich sofort zu melden und dann kümmerten sich die fertig ausgebildeten Wachen darum. Fortan machten sich die anderen Wachen einen Scherz daraus, dem Gefangenen abgetrennte alte und zerrissene Ärmel zu schenken. Ich bekam beinahe Mitleid mit ihm. So verloren, wie ich ihn jeden Tag in seiner Zelle sitzen sah. Neben einem kleinen Berg aus Ärmeln, die er sowieso nicht benutzen konnte, da sie sofort rissen, wenn man zu stark daran zog. Was er angestellt hatte, um hier zu landen, war mir nicht erzählt worden. Wie viele andere Dinge auch, die ich wohl erst erfahren würde, wenn meine Ausbildung endlich beendet war.
Als ich meinen Dienst im Morgengrauen antreten wollte, rief mich quer über den Hof einer der Wächter zu sich. Er teilte mir mit, dass ich heute jemanden vertreten sollte, da der König ihn und noch ein paar andere Wachen zu sich gerufen hatte.
„Du wirst heute die untersten Zellen bewachen.“, begann er. „Vor den Gitterstäben des Elfen hast du alles bestens im Blick. Wenn ich dort Wache halte, laufe ich meist ein Stück hin und her, um mir die Zeit zu vertreiben.“, sagte mir der Wächter aufmunternd und musterte mein Gesicht. „Die Zelle des Elfen ist gegen seine Magie gesichert, du brauchst dir also keine Gedanken darüber zu machen, dass er dich irgendwie beeinflussen könnte.“, schob er noch hinterher, als er mein Stirnrunzeln bemerkte.
Ich wand mich also um und steuerte mit einem knappen Nicken auf die alte Eisentür zu, die in die untersten Kerker führte. Ich hasste Planänderungen. Vor allem, da sie scheinbar immer nur mich zu treffen schienen.
„Ich schicke dir später Alma hinunter, damit sie den Gefangenen und dir etwas zu Essen bringt.“, rief er mir mit einem mitfühlenden Lächeln im Gesicht nach und ich hob zur Bestätigung die Hand.
Hinter der Eisentür befand sich ein langer Treppengang, der unter das Schloss und tief in den Felsen hinunterführte. Hier unten war es immer feucht, kalt und ziemlich dunkel. Für die meisten Mädchen wohl zum Fürchten, doch mich juckte diese Dunkelheit eigentlich nicht sonderlich. Ich war bisher nur einmal dort unten gewesen. Und dass nur so kurz, dass ich mich kaum umsehen konnte. Bei dem Gedanken, dass ich es heute sein würde, die die Zeit dort unten verbringen sollte, flatterte es mir aufgeregt im Magen.
Ich schnappte mir eine der Fackeln, die vor der Tür brannten, schloss diese mit meinem Schlüssel auf und ging hinein.
Mir schlug ein feuchtkalter, modriger Geruch entgegen und ich rümpfte leicht die Nase. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit etwas gewöhnt hatten, schloss ich die Tür sorgfältig hinter mir wieder ab und stieg die feuchten Stufen, die in den Fels gehauen waren, hinunter.
Dass mein Leben heute völlig unerwartet auf den Kopf gestellt werden würde und der Beginn einer langen Reise anstand, erwartete ich natürlich zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht.
Als ich unten ankam, sah ich mich nach dem Wächter um, den ich ablösen sollte. Ganze vier Zellen ohne Fenster gab es hier und in einer dieser Zellen soll ein Elf von recht hohem Rang gefangen sein, wurde mir erzählt. Warum er sich hier befand, sagte mir natürlich keiner.
„Ah, da bist du ja!“, sagte eine Männerstimme begeistert. Dann sah ich, wie sich eine hohe, breitschultrige Gestalt aus den Schatten neben mir löste und auf mich zukam. Der Wächter klopfte mir mit seiner großen, kräftigen Hand vielsagend auf die rechte Schulter, dann streckte er sich und gähnte.
„Viel Spaß, du hast Glück. Du hast nur zwei Gefangene. Einer der beiden hat sich noch nicht richtig `eingewöhnt´“, flüsterte er und zeigte mit seinen Fingern dabei Gänsefüßchen und die Luft. „Aber so ist es wenigstens nicht allzu langweilig.“ Mit einem Augenzwinkern drückte er mit seiner Hand, die einer Bärentatze ähnelte, noch einmal kurz meine Schulter und stieg dann die Treppen nach oben. „Gute Nacht.“, murmelte ich ihm missmutig hinterher, was er mit einem Wink seiner Hand abtat.
Gut, dann war ich eben heute hier unten. Ist auch kein großer Unterschied zu den anderen Zellen, versuchte ich mich aufzumuntern. Ich lief neugierig eine kleine Runde, um mir einen genaueren Überblick zu verschaffen und hielt dabei einen gebührenden Abstand zu den einzelnen Zellen.
Die Erste zu meiner rechten war leer. In der Zweiten, schlief der Gefangene wohl gerade, denn ich sah eine Gestalt auf der Pritsche liegen. Die dritte Zelle auf der anderen Seite war wiederum leer und in der vierten saß ein junger Mann auf seiner Pritsche und starrte mich ausdruckslos an.
Er war durchaus attraktiv, trotz der dreckigen Kleidung, die er trug und seiner zerzausten Haare. Er könnte wohl sogar als Mensch durchgehen, wenn ihn nicht seine spitzen Ohren, die aus seinen langen schwarzen Haaren hervorlugten, verrieten. Er war schlank und feingliedrig, besaß einen Ring mit einem Wappen am rechten Ringfinger und hatte ozeanblaue Augen, die mich festzuhalten schienen. Sein intensiver Blick ließ mir schlagartig eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
Schaudernd wand ich mich rasch ab, trat einen Schritt zurück und ging weiter. Meine Fackel steckte ich dabei in den Halter neben dem Treppenaufgang. Jetzt musste ich mir nur noch einen geeigneten Platz suchen, um die beiden im Auge zu behalten.
Der Wächter draußen im Hof hatte Recht, am Gitter des Elfen war wohl tatsächlich ein recht guter Platz, doch traute ich dem Gitter nicht wirklich.
Außerdem wollte ich den starrenden Elf lieber nicht direkt im Rücken haben. Also entschied ich mich, eine Zeit lang in der gegenüberliegenden Ecke zu verharren.
***
Irgendwann später, verspürte ich den Drang meine Beine zu bewegen. Ich war es zwar inzwischen gewohnt, lange herum zu stehen und Gefangene zu beobachten, aber hier unten in der immerwährenden Dunkelheit verlor man schnell sein Zeitgefühl. Außerdem war mir wirklich, wirklich langweilig. In den Zellen hatte sich bisher nichts bewegt, also schlenderte ich mit meinem Schwert in der Hand wachsam abermals an ihnen vorbei.
Auf der Pritsche in Zelle zwei lag immer noch die Gestalt und schien zu schlafen. Kurz verweilte ich an den Gitterstäben und suchte nach Lebenszeichen. Eine Schulter hob und senkte sich regelmäßig. Ein klein wenig erleichtert wand ich den Blick ab.
Wäre ja zu viel Aufregung für einen Morgen gewesen, wenn jetzt noch ein Gefangener während meiner Schicht plötzlich verstorben wäre, dachte ich mit Galgenhumor und verdrehte bei diesen Gedanken meine Augen. Dann setzte ich mich wieder in Bewegung und ging weiter.
Als ich an die letzte Zelle trat, bemerkte ich, dass der Elf immer noch auf seiner Pritsche saß und mich mit seinen unheimlichen Augen anstarrte. Wieder lief es mir kalt den Rücken hinunter.
Mann, was hatte der Typ nur, dass er wie eine Statue dasaß. Blinzelte er überhaupt? Hätte ich ihn nicht atmen sehen, wäre ich mir sicher gewesen, dass er nicht echt war und mir einer der älteren Wächter mal wieder einen Streich spielen wollte. Da ich eh nicht mit den Gefangenen sprechen durfte, drehte ich ab und lief an der Zellentür vorbei.
Als ich fast am Ende der Gitterstäbe der Zelle angelangt war, hörte ich ein leises Rascheln und Murmeln. Es schien, als ob der andere Gefangene so langsam munter wurde. Vielleicht würde es dann ja etwas interessanter werden und ich konnte den stechenden Blick, mit dem mich der Elf bedacht hatte, aus meinem Kopf bekommen. Ich war stehengeblieben, um zu lauschen und als ich einen weiteren Schritt gehen wollte, fuhren plötzlich völlig lautlos zwei filigrane Hände zwischen den Gitterstäben hindurch. Ich versuchte noch auszuweichen, doch der Elf erwischte mich an meinem Halskragen und zog mich in eine feste Umklammerung an die Gitterstäbe.
Eine Hand presste er mir auf den Mund, um mir meinen erstickten Schrei zu nehmen. Die andere Hand lag wie ein Schraubstock um meinen Hals und würgte mich. Ich ließ vor Schreck mein Schwert fallen und versuchte den Klammergriff mit meinen eigenen Händen zu lockern. Doch er war zu stark. Ich krächzte in seine Hand, als er diese etwas lockerließ: „Bitte, tötet mich nicht!“ „Zur falschen Zeit am falschen Ort!“, zischte er mir von hinten leise ins Ohr. Dieser, vom langen Schweigen her, rauen Stimme entsprangen wahrer Hass und Mordlust – und auch ein bisschen Verzweiflung, wenn ich mich nicht täuschte.
Mit einem Ruck nahm er seine Hand von meinem Mund und nestelte an meiner Hose herum, wohl auf der Suche nach meinem Schlüsselbund.
„Ich… bin Estelle…“, stieß ich mit einem Japsen hervor. Der Griff des Elfen lockerte sich etwas und die andere Hand hielt auf ihrer Suche inne. „Was hast du gerade gesagt?“, flüsterte er drohend. Seine Stimme war plötzlich samtig weich, wie Zuckerwatte und dennoch steckte etwas Listiges und Gefährliches darin. „Ich bin Estelle, … hoher Herr. Meine Mutter war Amarya die Starke und mein Vater arbeitet als Berater des Königs der Menschen.“ Kurzes Schweigen.
„Amarya ist tot und von einer Tochter weiß ich nichts. Warum sollte ich dich nicht töten?“, antwortete er und verstärkte seinen Griff um meinen Hals wieder. Pure, nackte Überlebensangst schoss durch meine Glieder. Hier würde es zu Ende gehen, wenn mir nicht schnellstens etwas einfiel. Hier würde er mir meine Luftröhre zerquetschen, bis ich tot vor seiner Zelle zusammenbrach! Wieder zerrte ich verzweifelt mit meinen Händen an seiner immer kälter werdenden Hand. Bildete ich mir das nur ein? Verwirrt kniff ich die Augen fest zusammen und versuchte mich krampfhaft zu konzentrieren.
„Weil ich euch vielleicht noch nützlich sein kann. Wie wollt ihr aus eurem Gefängnis entkommen?“, brachte ich mit erstickter Stimme hervor. „Ich weiß, du hast den Schlüssel bei dir. Das haben alle Wachen. … Ich würde dich umbringen und dann den Schlüssel an mich nehmen.“, gab er ziemlich ehrlich zurück.
Ich versuchte abermals den Griff zu lockern, doch er drückte nur noch mehr zu. „Die Zellen sind … gegen Elfenmagie gesichert. Ihr könnt … an der Tür … nicht nach draußen greifen … und in eurer Zelle … gibt es kein Schlüsselloch. Selbst wenn ihr den Schlüssel … an euch nehmt, nachdem ich tot bin, … könntet ihr ihn nicht benutzen.“, versuchte ich es noch einmal und mir versagte dabei schon fast die Stimme.
„Das nennt sich dann wohl eine Pattsituation.“, murmelte er verschwörerisch. Ich schien ihn damit immerhin zum Nachdenken gebracht zu haben. Dennoch blieb seine Hand, wo sie war. „Aber zumindest kann ich mit deinem Tod ein kleines Zeichen setzen.“ Er zog abermals seine Hand in Richtung der Gitterstäbe zurück und vor meinen Augen begannen weiß glitzernde Sterne zu tanzen.
Ich kämpfte weiter gegen ihn an und versuchte mit einer Hand an irgendetwas greifbares zu kommen, doch als sich mein Blickfeld langsam zu verengen begann und mir die Knie nachgaben, quietschte ich: „Ich schwöre euch Gefolgschaft!“
Meinen letzten Trumpf, wenn man das so nennen konnte, denn ich hatte mich damit an den Feind verraten. Mit diesem Schwur band ich mich an ihn und würde ihm überall hin folgen müssen. Was immerhin besser war, als in einem modrigen eiskalten Verließ zu sterben.
Das schien ihn tatsächlich zu überraschen und er hielt in der Bewegung inne. Schnell nahm ich einen tiefen, rasselnden Atemzug, doch losgelassen hatte er mich noch immer nicht. Er wusste genau, dass in diesen Räumen seine Magie abgeblockt wurde und er keinen Menschen nach seinem Willen beeinflussen konnte.
Sonst hätte er wohl schon Wochen zuvor versucht, sich zu befreien. Ihm war klar, dass ich diesen Schwur aus mehr oder weniger freien Stücken ausgesprochen hatte. Für mich war er in dem Augenblick bindend, als sich meine Lippen schlossen und er war somit in der Verantwortung mir Schutz zu gewähren.
Seine Verblüffung konnte er aus seiner Stimme nicht gänzlich verbannen, als er leise den Befehl knurrte: „Schließ die Tür auf und komm herein!“
Langsam ließ er mich los. Doch dann hielt er noch einmal in der Bewegung inne. „Du weißt, wenn du jetzt um Hilfe schreist, ist es um dich geschehen. Brichst du deinen Schwur mir gegenüber, wird der Todesfluch dich erreichen und dich hier vor mir niederstrecken.“
Ich drehte mich langsam und vorsichtig um. Schon allein deswegen, weil mir die Beine nicht richtig gehorchen wollten. Was hatte ich da gerade nur getan? Ich musste tun, was immer er von mir verlangte. Musste mit ihm gehen, egal wohin und wenn ich mich weigerte, würde ich auf der Stelle tot umfallen - wenn er es wollte.
Ich fischte in meiner Jackentasche nach dem Schlüsselbund und suchte den richtigen heraus. Meine Hände zitterten dabei so heftig, dass die anderen Schlüssel fröhlich hin und her klapperten.
Als ich es endlich geschafft hatte, den Richtigen ins Schlüsselloch zu fädeln und umzudrehen, gab das Schloss ein leises Klickgeräusch von sich. Der Elf stieß die Luft, die er offensichtlich angehalten hatte, hörbar erleichtert aus und ich biss vor Angst und Wut über mich selbst die Zähne zusammen.
Er öffnete von innen die Tür, packte grob mein Handgelenk und zog mich mit einem heftigen Ruck in seine Zelle. Ich stolperte auf die nächstbeste Zellenwand zu und stützte mich keuchend dort ab.
Eiskalte Schauer liefen mir über den Rücken und ich schloss für einen Moment die Augen. Ein schlechter Traum. Nur ein schlechter Traum, sagte ich mir und versuchte meine Atmung zu beruhigen. Ich war zur Verräterin geworden und hatte dem Feind die Treue geschworen. Das konnte doch nur ein Albtraum sein! Wenn dieser Elf mich nicht umbrachte, dann war es irgendwann mein erbarmungsloser Vater, sobald er von diesem Desaster erfuhr und mich in die Finger bekam.
Mit einer Hand an der Wand abgestützt und der anderen an meinem schmerzenden Hals, öffnete ich die Augen und drehte mich langsam um.
Der Elf hatte sich vor mir zu seiner vollen Größe aufgebaut und wirkte beinahe majestätisch, wie er da stand und mich mit seinem starren Blick ansah.
Mir war, als würde er mir durch meine Augen direkt in meine Seele schauen. Dann verengte er seine unwahrscheinlich blau leuchtenden Augen zu Schlitzen und neigte auf eine seltsam animalische Art seinen Kopf zur Seite. Mir wurde augenblicklich kalt.
Es entfuhr mir ein „Oh verdammt!“ und ich fühlte mich plötzlich sehr klein. Er blickte mir unverwandt in die Augen und verlangte mit einer feingliedrigen Hand nach der meinen. Widerstrebend streckte ich ihm meine linke Hand entgegen, in dem Wissen, dass er mir gleich sein Elfenmal geben würde.
Damit jeder wusste, dass ich ihm verpflichtet war.
Als ich seine Hand berührte, zuckte ich unwillkürlich zusammen, riss meinen Blick von seinen Augen los und starrte auf unsere Hände hinab. Seine Hand war noch kälter als vorhin geworden. Eiskalt, um genau zu sein. Kleine Eisblumen bildeten sich an den Rändern meiner eigenen Haut. Eben noch, als er mich fast erwürgt hätte, war er doch noch so warm gewesen. So normal. Dann kam mir die Erinnerung, dass sie auch schon vorhin kälter geworden war. Dass sie sich verändert hatte.
Er hielt meine Hand mit seiner linken fest. Ich wusste, dass ich sie ihm erst wieder entziehen konnte, wenn er mich freigab.
Seine Rechte schob meinen Ärmel nach oben und legte sich erstaunlich sanft auf mein Handgelenk. Ich hielt die Luft an. Wagte nicht mich zu bewegen, geschweige denn zu atmen. Gebannt starrte ich ihn an, als er die Lider senkte und ein melodisches Wort in einer schönen Sprache sagte, die ich nicht verstand.
Jeder Mensch wusste, wenn ein Elf dir sein Mal verpasste, dann tat das weh. Richtig weh. Aber jeder beschrieb den Schmerz anders. Der eine sagte, als ich ihn danach fragte, er wäre an dem stechenden Schmerz, der ihm durch das Handgelenk und anschließend in die Glieder fuhr, fast gestorben. Ein anderer erzählte mir, es fühle sich an, als würde man verbrennen.
Wieder ein anderer musste würgen, da er dachte er würde im Wasser ersticken.
Doch was ich nun fühlte war anders, als ich es je gehört hatte. So kalt wie seine Hände waren, so eiskalt wurde es in meinem Inneren. Ließ er mir hier gerade das Blut in meinen Adern gefrieren? Ich dachte, mir würden im selben Moment Eiszapfen aus der Nase wachsen, als ein eiskalter Schmerz mir durch sämtliche Glieder fuhr. Ich kniff meine Augen fest zusammen und für einen kurzen Moment sah ich eine Winterlandschaft vor mir.
Ein See, zu klirrendem Eis erstarrt, ein Baum an dem unheimlich viele Eiszapfen hingen und wie Kerzen im Sonnenlicht glänzten. Eine Bank gleich daneben, von der aus man wohl einen wunderbaren Blick über den See werfen konnte. Ein prunkvolles cremefarbenes Herrenhaus, wie ich es bisher nur in Büchern oder auf Gemälden gesehen hatte.
Als ich in die Wirklichkeit zurückkehrte, hockte der Elf vor mir auf seinen Fußballen und sah mir mit gespanntem Interesse in die Augen. Mir mussten wohl die Knie bei der Prozedur eingeknickt sein. Ich saß auf dem Boden und starrte mein Handgelenk an.
Dort wo der Elf mich berührt hatte, bildete sich ein filigranes Wappen. Unter dem Wappen verliefen Dornenranken, die es festzuhalten schienen und mit Eiszapfen und Schneeflocken besetzt waren.
Die Ranken schoben sich auf meiner Haut entlang, verzweigten sich um ein Vielfaches und wuchsen leicht in Richtung meiner Fingerknöchel, stoppten aber kurz davor. Genauso verlief es in die andere Richtung, nur dass sie da bis fast zu meinem Ellenbogen verliefen.
Das Wappen zeigte einen schneeweißen Reiter, der auf einem kohlrabenschwarzem Ross saß. Im Hintergrund war eine schneeweiße Winterlandschaft angedeutet. Der Reiter hielt ein Schwert und ein Schild, auf dem eine blutrote Rose prangte, in den Händen.
Jeder Elf besaß, von seinen Familien immer weitergeben, ein Elfenwappen.
Je nach Ansehen und Größe der Familie, fiel das Wappen unterschiedlich groß aus, hatte mehr oder weniger Details und wies außerdem auf die allgemeine Herkunft des Elfen hin. Dieser Elf hier musste wohl in einer Winterlandschaft leben.
Genauso eine wie ich sie in dem kurzen Augenblick sah, als er mir sein Mal gab. Warum hatte ich mich nur mit der Elfenkunde nicht sonderlich beschäftigt? Dann wäre mir jetzt sicherlich ein Familienname oder wenigstens der Ort an dem der Elf lebte eingefallen.
Aber nein, eine Kampfausbildung war mir wichtiger gewesen, als in alten verstaubten Büchern herum zu blättern. Und was brachte mir das jetzt? Typisch. Ich war mir sogar sicher, dass eines dieser Bücher auf dem Tisch zuhause bei meinem Vater lag.
„Zähes Mädchen, du hast noch nicht einmal geschrien, als ich dich band.“, riss mich der Elf mit wieder leicht schräg gelegtem Kopf und einem schiefen Grinsen in die Gegenwart zurück. Dann stand er auf und zog mich mit sich auf die Beine.
Ich fühlte mich immer noch klapprig und mir wurde schwindelig, als ich mich aufrichtete. Wieder stützte ich mich an der Zellenwand ab und atmete zwei Mal tief ein und aus.
„Was habt Ihr jetzt vor?“, traute ich mich schließlich vorsichtig zu fragen und im selben Moment quietschte oben die alte Eisentür. Das musste Alma mit dem Essen sein! Erschrocken riss ich die Augen auf und sah flehend den Elfen an. Der packte blitzschnell mein Handgelenk und zog mich mit sich aus der Zelle. Dann schnappte er sich mein Schwert, dass immer noch im Gang lag, wo ich es fallen gelassen hatte.
Er zog mich mit der Kraft eines Bären mit dem Rücken an sich, umklammerte meinen Oberkörper mit seinem rechten Arm und grub seine Hand schmerzhaft in meine linke Schulter. In der linken Hand hielt er mein Schwert. Als Alma die letzten Stufen hinunterstieg, legte er mir die Klinge an meine Kehle. Ich wich automatisch ein Stück zu ihm zurück und drückte mich an seinen sehnigen Körper.
„Estelle!“, stieß Alma erschrocken aus, blieb wie angewurzelt stehen und hätte beinahe ihr Tablett mit dem Essen fallen gelassen.
„Tritt beiseite und lass uns gehen. Dann geschieht euch beiden nichts.“, knurrte der Elf sie an und ich blickte flehend in ihre Augen. Zu Geschockt von der Situation, wich sie tatsächlich zur Seite und starrte mich an.
Da ich meine Hände an den Arm des Elfen gelegt hatte, sah sie natürlich das Elfenmal und sog scharf die Luft ein. Ich brachte ein entschuldigendes verzweifeltes Lächeln zustande. Mir traten Tränen der Verzweiflung in die Augen.
Mist. Sobald ich hier raus war, würde sie es allen erzählen und ich war vogelfrei. Wenn wir es überhaupt über den Hof und aus dem Schloss schafften. Er schob mich vorwärts und wir stiegen die Treppe nach oben. Alma schien uns tatsächlich nicht zu folgen. Oben an der Eisentür angekommen, ließ mich der Elf los.
„Öffne vorsichtig die Tür. Solange wir rennen können, wirst du mir hinterherlaufen. Sollte die Situation brenzlich werden, findest du dich leider in der gleichen Lage, wie gerade eben wieder. Es geht mir nur darum, hier weg zu kommen. Auch wenn ich dich dafür töten muss, was wiederum schade wäre, denn du bist das erste Mädchen, das mir den Treueschwur geleistet hat.“, flüsterte er nüchtern.
Mir schlug das Herz bis zu den Ohren, in denen es lautstark überall aneckte und versuchte heraus zu hüpfen.
Vorsichtig schloss ich mit meinem Schlüssel die schwere Eisentür auf und lugte hinaus. Mittagszeit. Sehr gut. Oder schlecht? Es waren auf jeden Fall nur wenige Soldaten und Wächter unterwegs. Ich wartete auf einen geeigneten Moment.
Als zwei Wächter hinter einer Mauer verschwanden, war ich mir sicher, auf unserer Flucht aus dem Schloss nur die vier Wachen am Tor anzutreffen.
Ich gab dem Elfen einen kleinen Wink mit der Hand und wir schlichen geduckt aus der Türöffnung hinter eine Reihe von Fässern. Von dort aus konnte man den Innenhof gut im Blick behalten. Einen Wächter oberhalb von uns hatte ich übersehen, aber er schien uns nicht bemerkt zu haben. Noch nicht.
Denn als der Elf mich wieder vorwärtsstieß und wir unsere Deckung verlassen mussten, ertönte ein schriller Pfiff und jemand schrie: „HE!“
Der Elf fasste schnell nach meiner Hand, hielt sie fest umklammert und wir rannten weiter in Richtung Tor. Natürlich hatten die Torwächter den Pfiff gehört und schauten sich um. Ehe auch nur einer von ihnen seine Waffe ziehen konnte, hatte der Elf mich abermals in den Klammergriff an seine Brust gezerrt und hielt mir das Schwert wieder unter das Kinn.
„Lasst uns durch und ihr wird nichts geschehen. Ihr wisst, wer sie ist.“, zischte der Elf ihnen entgegen und trieb mich langsam vorwärts. Wieder lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, denn der Elf war eiskalt unter seinen Kleidern. Da er mich an sich drückte, gefror mir beinahe das Blut in den Adern, als seine Kälte nach mir griff und mich langsam einwickelte. Ich wagte kaum zu atmen.
Und dann tat einer der Wachen genau das, was ich mir im schlimmsten Fall schon vorgestellt hatte. Er zog mit einer schnellen Bewegung sein Schwert.
Ich kannte ihn, er war in der Ausbildung zum Wächter, genau wie ich, mir fiel nur sein Name gerade nicht ein. Was ich aber genau wusste: Er wollte sich immer in jedem Fall beweisen. Das war hier nur denkbar ungünstig für mich. Er wusste ja nicht, dass der Elf mich im Zweifelsfall wirklich töten würde und mit Sicherheit nicht bluffte.
„Lass sie los Elf und kämpfe für deine Freiheit wie ein richtiger Mann. Nur Angsthasen verstecken sich hinter einer Geisel.“, stieß er uns in einem abschätzigen Tonfall entgegen.
Ich starrte ihn an und schüttelte vorsichtig den Kopf. Doch das schien er nicht zu bemerken.
Er fixierte nur den Elfen hinter mir und in seinen Augen lag so etwas wie leichte Belustigung und Überlegenheit. „Stecke dein Schwert weg und lass uns durch.“, verlangte der Elf in einem erschreckend ruhigen Ton noch einmal. Doch die Wachen rührten sich nicht.
Der Griff des Elfen verstärkte sich etwas und plötzlich ließ er zu, dass das Schwert mir tatsächlich in den Hals schnitt. „Nicht…“, entfuhr es mir wimmernd und erneute Panik ergriff mich. Ich kniff die Augen fest zusammen und versuchte meine Atmung wieder zu beruhigen.
Noch nie hatte ich solche Angst verspürt, wie an diesem Tag. Ich fühlte, wie ein kleines Rinnsal von Blut meiner Kehle entlangrann. Heiß und unentbehrlich.
Sein Körper hinter mir schien gespannt zu sein, wie eine Bogensehne. Er atmete ruhig einmal ein und beim Ausatmen ließ er ein Knurren hören, das in seinem Brustkorb widerhallte und ihn förmlich vibrieren ließ.
Wieder drückte er mir das Schwert etwas mehr in den Hals und ich begann leise zu wimmern. „Bitte…“, flüsterte ich und riss ungläubig meine Augen wieder auf. Ich legte ihm unbedacht wieder meine Hände an den Arm und einem der Wächter neben dem ersten, der das Schwert gezogen hatte, entglitten augenblicklich die Gesichtszüge.
Er machte kurz große Augen, dann griff er mit dem freien Arm vor den anderen, der sich in unsere Richtung aufmachen wollte und hielt ihn damit zurück. Verwirrt schaute er sich um und der andere flüsterte ihm kurz etwas zu.
Ein schiefes verwegenes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Ihr seid beide verloren. Lebend werdet Ihr das Schloss niemals verlassen, Lauriel. Dass wisst Ihr ganz genau. Estelle dazu zu benutzen, Euch einen Freifahrtschein zu holen, bringt Euch auch nichts, denn sie wird von nun an als Verräterin gesehen.“, erklärte er und wies auf das Mal an meinem Arm.
Kacke. Im Geiste schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Das hätte ich mir denken können, dass es ihnen auffallen würde, wenn ich den Arm hob. „Dann lasst ihr mir keine andere Wahl.“, überlegte der Elf laut.
Nur ich hörte, wie er mir, „Vertrau mir.“ leise ins Ohr raunte.
Mit einem Ruck zog er die Schwertklinge an meinem Hals entlang. Ich gab einen erstickten Laut von mir und in diesem Moment wusste ich, es war vorbei. Gleich würde ich in die samtene Dunkelheit übergehen und mich nach einem Licht umsehen.
Mir knickten die Beine weg, gleichzeitig packte er wieder mein Handgelenk und zog mich unsanft zu Boden. Ich fiel und in einem Sturm aus aufwirbelnden Schneeflocken verschwanden wir.
Da wo wir gerade noch gestanden hatten, zeugten nur ein paar Blutstropfen von unserer Existenz. Leise fielen kleine leuchtende Schneeflocken auf den Boden. Mitten im Frühling bedeckten sie einen kleinen Kreis, ehe sie zu schmelzen begannen.
Wie wir von einem Ort zum anderen gekommen waren, blieb mir völlig unklar. Egal, wie ich auch versuchte dahinter zu kommen. In der einen Sekunde standen wir noch im Schlosshof meines Königs. Umzingelt von bösartig grinsenden Wächtern, die langsam ihre Schwerter hoben und in der nächsten sah ich durch den Schleier eines Schneesturms, von wild umherwirbelnden Schneeflocken eine, sich bis zum Horizont erstreckende, weite Blumenwiese vor mir liegen.
Dass ich gerade in den Genuss wahrer Elfenmagie gekommen war, wurde mir erst weitaus später bewusst.
Immer noch tödlich verletzt, brach ich blutüberströmt auf der Wiese zusammen. Meine Knie gaben einfach unter mir nach, wie vom Sturm umgeknickte Gerstenhalme. Ich sah die Wiese auf mich zukommen und doch konnte ich nichts dagegen unternehmen, um meinen Sturz abzufangen. Meine Glieder reagierten einfach nicht auf meinen heißeren Befehl, zumindest meine Hände vors Gesicht zu schlagen.
Kurz bevor ich auf dem Boden aufschlug, fingen zwei starke Arme meinen Flug ab. Es begann sich alles vor meinen Augen zu drehen und schon wieder tanzten Sterne. Ein einziges Wirrwarr aus Schwarz, Rot und gleißendes Weiß. Ich versuchte die Sonne zu fixieren, die hoch über uns am Himmel ihre goldenen Strahlen zu uns hinab sandt, doch auch sie begann sich zu bewegen und entglitt immer wieder meinem panischen Blick.
Die beiden starken Arme betteten mich ins Gras. Ach ja, ich war ja nicht allein hier. Den Elfen, Lauriel? Den hatte ich fast vergessen. Zumindest würde ich in einer wundervollen Umgebung wieder eins mit Mutter Erde werden. Ich wusste, dass mir die Zeit unweigerlich verrann. Und dennoch konnte ich nichts mehr dagegen tun. Mein Blut befleckte diesen schönen Flecken Erde und ich ärgerte mich schon fast darüber, dass ich diese Wiese niemals würde erkunden können.
Der Elf platzierte meinen Kopf sanft in seinen Schoß. Und sprach mit leiser beruhigender Stimme zu mir, während er mir zögerlich und ein wenig zittrig eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischte. Ich suchte etwas, woran ich mich festhalten konnte. Woran mein Blick nicht sofort wieder abschweifen und unscharf werden würde. Schließlich fand ich seine interessanten Augen, die so unendlich blau schimmerten. Unendlich wie der weite Ozean.
„Es war nicht meine Absicht, dich nun doch mitzunehmen.“, begann er leise. War da ein hektisches Flattern in seiner Stimme? „Das war eine spontane Entscheidung. Vielleicht nicht meine beste, aber um so hastig aus dem Schloss zu kommen, brauchte ich mehr Energie. Und die konnte ich nur durch dein Opfer bekommen. Ich werde dich jetzt heilen. Bitte versuche deinen Geist zu entspannen.“ Ich war so müde. Mir fielen schon die Augen zu und mein Körper entspannte sich von ganz allein.
Mein Kopf hatte ja bereits jegliche Verbindung zu meinen Armen und Beinen unterbrochen. Alles fühlte sich irgendwie … schwerelos an. Ich driftete immer weiter von der Wirklichkeit davon und hielt mich nur noch an einem dünnen ozeanblauen Faden an der Wirklichkeit fest.
Alles in mir drängte mich dazu, einfach loszulassen, einfach weiter zu gehen.
„Hey, hierbleiben!“, rief irgendwo Lauriels alarmierte Stimme und er tätschelte mir eine Wange. Ich riss kurz erschrocken die Augen auf. „Los kämpfe!“, feuerte er mich verbissen an.
Ich spürte, wie er mir seine eiskalte Hand auf die Stirn legte. Die andere umfing mein Handgelenk mit dem Elfenmal. Dann sprach er sanft wieder in dieser melodisch klingenden Sprache.
Nein, er begann leise zu singen und mein Körper begann darauf zu reagieren. Mein viel zu schnell schlagendes Herz begann sich zu beruhigen, das Rauschen in meinen Ohren legte sich, das Atmen fiel mir wieder leichter und mein Blick wurde etwas klarer. Ich schloss die Augen.
Wieder schoss eine eisige Kälte durch meinen Körper und ich kniff die Augen fester zusammen, denn ich wusste, sie würde reparieren, nicht zerstören. Hier und da eckte sie etwas unbeholfen an und schien die eine oder andere Schneeflocke oder Eiszapfe zu hinterlassen.
Als er sein elfisches Lied beendet hatte, öffnete ich langsam und träge meine Augen. Leichte Besorgnis, aber auch unerklärliche Verwunderung lagen in seinem Blick, als er mich wieder ansprach.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er vorsichtig und legte den Kopf schräg, um mir besser in die Augen sehen zu können. In seinen Augen spiegelte sich echte Besorgnis, Schmerz und noch etwas anderes, das ich jedoch nicht benennen konnte. Ich brachte keinen Ton heraus. Versuchte zu verstehen, was sich hier gerade zugetragen hatte.
Er holte tief Luft und schloss beim Ausatmen kurz seine Augen und jegliches Gefühl, das ich darin gelesen hatte, war wie weggefegt, als er sie wieder öffnete.
„Um meine Magie nutzen zu können, muss ich entweder meine eigene Energie oder die von etwas oder jemand anderem geben.“, gab er mir zu verstehen. „Um aus diesem verfluchten Schlosshof herauszukommen, brauchte ich eine wirklich große Menge davon, die ich niemals allein hätte aufbringen können. Auch wenn es vielleicht nicht so wirkt, die Zeit meiner Gefangenschaft hat mich langsam aber sicher ausgelaugt.
Deswegen sperren die Menschen unseresgleichen in tiefe Verliese, um jegliches Tageslicht auszusperren. Es war keine Zeit, um dir erklären zu können, wie du dich meiner Magie öffnest, da du ja offenbar auch nicht sehr viel über uns Elfen weißt. Also musste ich auf andere Mittel zurückgreifen, um an deine übersprühende Energie zu gelangen.“, erklärte er nüchtern und wich schließlich meinem Blick aus, als ich ganz leicht meine Stirn runzelte.
Entschuldigte er sich da gerade bei mir?
Langsam kehrte wieder Leben in meine Glieder und ich begann meine Arme wieder zu spüren. Kälte kribbelte immer noch in ihnen, doch mein Kreislauf tat sein Bestes und vertrieb sie allmählich aus meinem Körper. Und doch fühlte ich mich wie erschlagen.
Vorsichtig drehte ich meinen Kopf, um die Umgebung etwas in Augenschein zu nehmen. Ich lag immer noch mit dem Kopf auf seinem Schoß. Im Moment war mir das aber total egal.
Rings um uns herum sah ich vertrocknetes gelbes Gras und tausende welkende Blumen auf einem kargen ausgetrockneten Boden. Sogar ein kleiner Baum in der Nähe ließ seine gelblich verfärbten Blätter kraftlos zu Boden fallen.
Als ich mir sicher war, meinen Arm wieder aus eigener Kraft heben zu können, legte ich meine Hand an meinen Hals. Ich erwartete dort… Ja, was eigentlich? Eine klaffende Wunde aus der immer noch das Blut in Strömen floss? Eine wulstige Narbe?
Er hatte ja immerhin gesagt, er würde mich heilen. Doch was ich spürte, war nur reine Haut. Nicht einmal die Schmerzen an meinem Hals, die ich von seinem Würgegriff an den Gitterstäben davongetragen hatte, waren zu spüren. Allein mein Handgelenk, auf dem das Elfenmal saß, schmerzte. Aufgeregt begann mein Herz zu schlagen. Wie ein Schlag durchfuhr mich die Erkenntnis. Ich lag ja noch immer auf ihm. Dem Elfen. Meinem Feind.
Ich rappelte mich abrupt auf und er wich geschickt meinem hochschnellenden Kopf aus. Dann brachte ich schnell Abstand zwischen uns. Krabbelte auf allen Vieren davon, ehe ich mich ein paar Fuß von ihm auf dem Boden niederließ und um ihn geschockt anzustarren.
„Du hast mich tatsächlich geheilt!“, entfuhr es mir atemlos. Ich verschluckte mich dabei beinahe, als mir klar wurde, dass ich ihn gerade unhöflich angesprochen hatte. Er zog eine Augenbraue leicht in die Höhe und sein rechter Mundwinkel zuckte. Ich räusperte mich kurz.
„Verzeiht mir, Ihr habt mich tatsächlich geheilt.“, verbesserte ich schnell und schlug die Augen nieder. Wärme stieg in mein Gesicht. Es musste wohl gerade so rot wie eine überreife Tomate aussehen. Zudem schwirrte mir wieder der Kopf und ich konzentrierte mich starrsinnig auf den Erdboden, auf dem ich saß, kniff die Augen fest zusammen und wartete, bis die Realität aufhörte, sich wie ein Karussell zu benehmen.
Ich hörte nicht, wie er sich mir wieder näherte. Dann nahm er mein Kinn in seine Finger, die mir nun wieder warm erschienen und hob es an, bis ich in seine Augen sah. „Wie fühlst du dich?“, fragte er abermals. Diesmal sanfter und seine Stimme war seltsam belegt. Hatte seine Hand an meinem Kinn da gerade gezittert?
Ehe ich mich weiter darauf konzentrieren konnte, zog er sie wieder zurück und legte sie auf seine zum Schneidersitz verschränkten langen Beine. Aufmerksam wartend sah er mir in die Augen. „Körperlich geht es mir gut, …glaube ich. Nur ein bisschen schwindelig.“, antwortete ich ihm ehrlich und er nickte.
„Du bist noch sehr durcheinander. Das verstehe ich. Meinen Namen weißt du ja bereits. Ich bin Lauriel, Ritter der Roten Dornen und Berater des Elfenkönigs der Kargen Lande.“, stellte er sich mit einer leichten Neigung seines Kopfes vor. „Zumindest war ich das einmal, bevor mich diese Scheusale erwischt, ins Menschenreich verschleppt und in dieses dunkle Loch von Verlies geworfen haben.“, schob er knurrend hinterher und verzog dabei sein Gesicht zu einer wütenden gefährlichen Maske. Ich wich unwillkürlich wieder ein Stück von ihm zurück.
Ritter der roten Dornen… Das war die Beschreibung für das Wappen, das auf meinem Handgelenk prangte! Ich starrte auf das Mal hinunter. Er war ein Ritter aus den Kalten Landen! Ging es mir auf. Zumindest das hatte ich einmal gehört. Der alte Geschichtenerzähler des Dorfes in dem meine Mutter aufgewachsen war, hatte darüber mit den Kindern geplaudert, als ich vor vielen Jahren mit meiner Mutter meine Großeltern besucht hatte.
Als wir an ihm und seiner Zuhörerschar vorrübergingen, erzählte er gerade darüber, dass sich die Kalten Lande am hintersten Ende der Welt befänden und die Elfen, die dort lebten, eiskalte, skrupellose, wenn auch wunderschöne, Wesen seien, die sich einfach alles nahmen, was sie haben wollten. Wenn sich einer dagegen wehrte, wurde mit ihm kurzer Prozess gemacht.
So versuchten sie wohl den ewigen Winter, der dort herrschte immer weiter auszudehnen, um ihr Land und ihren damit verbundenen Einfluss und Reichtum zu vergrößern. Der dort herrschende König soll angeblich so schön und auch so schrecklich sein, dass ein Mensch bei seinem Anblick sofort zu Eis erstarrt.
Gut, diese eine Sache war vielleicht etwas übertrieben, aber für eine Geschichte, die den Kindern Angst vor den Elfen machen sollte, erfüllte sie ihren Zweck.
Sein Schloss soll von schwarzen undurchdringlichen Mauern umgeben sein und kein Mensch, der es je gewagt hat, dort aufzutauchen, soll wieder zurückgekehrt sein. Er schmückte wohl seine Erzählungen ein wenig aus, damit ihm sein Publikum weiter an den Lippen hing und ihm treu blieb. Aber in einer Geschichte steckt immer ein Fünkchen Wahrheit, das hatte mir meine Mutter immer wieder erklärt. Jetzt machte auch Lauriel´s kühle Haut für mich irgendwie Sinn.
Und doch fehlten zu viele Puzzleteile, um wirklich zu verstehen. Er sah mich erwartungsvoll an und ich grub mich raus aus meinen Erinnerungen, zurück in die Realität. „Verzeiht, ich bin Estelle. Meine Mutter war Amarya die Starke. Auch wenn ihr nichts von meiner Existenz wisst, müsstet Ihr dennoch von ihr gehört haben. Sie war viel in euren Landen unterwegs, bevor…“ Mir stockte der Atem und ich traute mich nicht weiterzusprechen.
Wie er mich da ansah, machte mich nervös, aber ich hielt seinem Blick stand. Ich hörte schon wieder, wie mir mein Herz mir in den Ohren pochte.
Vorsichtig wechselte ich lieber das Thema. „Was ist hier passiert?“, fragte ich leise und zeigte auf die kränkliche Wiese um uns herum. Sein ernster Blick schweifte kurz durch die Umgebung, dann sah er mir wieder direkt in die Augen.
„Ich hatte keine Kraft mehr, um dich vollständig zu heilen, deshalb habe ich die Pflanzen der Umgebung genutzt. Sie werden sich irgendwann erholen. Die Wiesenfeen kümmern sich um jede kranke Pflanze und dann wird nichts mehr auf unser kleines Erlebnis hindeuten.“, begann er und erst jetzt fielen mir die kleinen grünen Wesen mit den hauchdünnen Flügelchen auf, die ein bisschen aufgebracht über den verdorrten Fleck um uns herumschwirrten.
„Außer deine weiße Narbe. Das lässt sich nicht ändern. Immer wenn wir Elfen der Kalten Lande Magie benutzen, um schwere Verletzungen zu heilen, entsteht dabei eine weiße verschlungene Narbe.“, erklärte er und zeigte mir seinen entblößten rechten Unterarm.
Dort prangte tatsächlich eine dünne verschlungene weiße Linie auf seiner hellen Haut, die sich von seinem Handgelenk bis fast zu seiner Ellenbeuge zog. Einen kurzen Moment ließ er sie mich sehen, dann zog er seinen Ärmel wieder darüber. Das musste eine ziemlich schwere Verletzung gewesen sein. Aber er blieb mir einer Erklärung schuldig.
Geschmeidig wie ein Panther erhob er sich, klopfte sich Gras und Erde von seinen Hosen und reichte mir dann seine Hand. „Kannst du schon wieder aufstehen?“, fragte er geduldig. Als Antwort ergriff ich seine Hand und ließ zu, dass er mich auf die Beine zog. Sobald ich stand, wurde mir schlecht und meine Sicht verschwamm.
Ich taumelte und er hielt meine Hand weiterhin fest, mit der anderen griff er an meinen Oberarm und versuchte mir damit Stabilität zu verleihen.
Instinktiv klammerte ich mich haltsuchend an ihn und erwischte sein Hemd, in das ich meine Finger grub und sein Körper versteifte sich unter meiner Faust. Keuchend rang ich mit der Übelkeit.
Zu peinlich, wenn mich die Dunkelheit wieder einfangen, ich ohnmächtig werden oder ich mich hier vor ihm übergeben würde. Mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte ich mich auf meinen Atem und zwang ihn sich zu beruhigen. So standen wir ein paar Minuten da, ohne dass sich einer von uns rührte.
Viel zu geduldig ließ er es zu, dass ich mich in sein Hemd krallte und mit mir selbst kämpfte.
Als die Übelkeit und der Schwindel nachgelassen hatten, wichen sie einem dumpfen Dröhnen in meinem Kopf und ich zog, wie vom Blitzschlag getroffen meine Hand von seinem Hemd. Schnell brachte ich wieder Abstand zwischen uns.
Gut. Mit Kopfschmerzen konnte ich umgehen. Seit meinem achten Lebensjahr musste ich ständig damit allein klarkommen, nachdem ich bei einem Probekampf wieder einmal eins auf die Mütze bekommen hatte.
Trotz des jahrelangen durchaus harten Kampftrainings war ich auf so eine Situation nicht vorbereitet. Ich wusste, wie es sich anfühlte, besiegt worden zu sein, aber Hilflosigkeit war mir bisher fremd gewesen. Genauso wie sich dem Feind ausgeliefert zu sehen.
Immer wieder wurde uns eingetrichtert, dass die Elfen zu weit gegangen waren und diesen Krieg vor ein paar Jahren ausgelöst hatten, weil sie die Grenzen ihrer Reiche immer weiter überschritten.
Meine Mutter war diesem Krieg zum Opfer gefallen, obwohl ihr Ruf, die Stärkste und Wendigste von allen Kriegern auf unserer Seite zu sein, ihr weit vorrauseilte. Mein Vater erzählte mir nicht viel über ihren Tod.
Sie wäre wohl von einer kleinen Gruppe von Elfen in einen Hinterhalt gelockt worden, hätte einen erbitterten und doch hoffnungslosen Kampf geführt und ist schließlich dabei umgekommen.
Eine Beerdigung gab es für sie nicht, denn alle auf dem Schlachtfeld gefallenen Kriegerinnen und Krieger wurden nach dem Gefecht verbrannt. Und damit konnte ich niemals Abschied von ihr nehmen.
Mein Vater trauerte nur kurz um sie. Dann widmete er sich voll und ganz der Kriegspolitik und stieg zu einem engen Berater des Königs auf, der ihn mittlerweile bei vielen seiner wahnwitzigen Ideen unterstützte. Er versuchte immer wieder von ganzem Herzen Schwachstellen bei den Elfen zu finden. Suchte sogar in den Aufzeichnungen meiner Mutter nach Anhaltspunkten, um sie eines Tages allesamt niedermetzeln zu können.
Für mich, sein eigenes Fleisch und Blut, hegte er seit diesem Zeitpunkt kein großes Interesse mehr. Er schickte mich zum Kampftraining, bei dem ich beweisen sollte, dass ich die Tochter meiner Mutter war. Dass ich eine ihr ebenbürtige Kriegerin werden würde.
Doch ich war ihm nie genug. Auch wenn ich noch so viele Erfolge erzielte, fand er immer wieder Schwachstellen, die ich beim nächsten Mal auszubessern hatte. Im Drang irgendwann seiner Vorstellung gerecht zu werden, hing ich mich, mit allem was ich hatte, in mein Training und besiegte eines Tages sogar die Jungen, die einen ganzen Kopf größer waren als ich, im Zweikampf.
Nur heute hatten meine kleine Statur, meine damit verbundene Wendigkeit, mein gutes Auge und meine Treffsicherheit nichts genutzt.
Und ich ging gerade von einer ausweglosen Situation zur nächsten. Ich schüttelte den Kopf, um wieder in die Wirklichkeit zurück zu kommen.
Es nutzte hier rein gar nichts, sich in Selbstmitleid zu baden oder an der Vergangenheit zu rütteln. Es würde sich ja doch nichts daran ändern. Ich rief meine noch verbliebene Selbstachtung zur Vernunft, straffte meine Schultern und sah ihn direkt an. Seine ozeanblauen Augen waren mir immer noch irgendwie gruselig. Sie passten einfach nicht in dieses hübsche ebenmäßige blasse Gesicht.
Dann fragte ich ihn vorsichtig, ohne den Blick abzuwenden: „Wie geht es jetzt weiter? Wir sind im Reich der Elfen, habe ich Recht?“
Ich sah mich in unserer Umgebung um. Der verdorrte, traurig grün aussehende kreisrunde Bereich in dem wir gesessen hatten, ging ein Stück von uns entfernt in ein sattes, gesundes Grün über. Blumen in den verschiedensten Farben, Formen und Größen wuchsen auf einem wahren Meer, aus sich hin und her wiegenden Grashalmen.
Vereinzelt sah ich, wie sich grün belaubte Bäume dem Himmel entgegen zu strecken schienen. Fremdartige Schmetterlinge, Bienen und andere Insekten schwirrten umher. Links von uns musste sich irgendwo ein kleiner Bach verstecken, denn ich hörte ein leises Plätschern. Es war hier so idyllisch und ruhig und vor allem - unwirklich. Dieser Ort hier konnte sich unmöglich im Reich der Menschen befinden. Als ich ihm wieder den Blick zuwandte, nickte er langsam.
„Ich werde mit dir durch unsere Reiche wandern müssen. Als ich uns aus dem Schlosshof wegbrachte, fielen mir als erstes die Grünen Lande ein. Hier ist es am friedlichsten und es wird sich kein Elf darüber beschweren, wer hier gerade seine Pflanzen umgebracht hat. Gut, vielleicht stört es die zierlichen Wiesenfeen, die sich um die Landschaft hier kümmern.“ Er zuckte mit seinen Schultern. „Deine und auch meine Kraft reichen erst einmal nicht für eine weitere Teleportationsreise aus. Deshalb suchen wir uns zunächst ein Dorf, in dem wir dann für den weiteren Weg zwei Pferde auftreiben.“, erwiderte er, hob mein ehemaliges Schwert vom Boden auf und befestigte es seitlich an seinem Gürtel. Dann setzte er sich in Bewegung. Das wars dann wohl mit meinem Schwert. Jetzt war es wohl seins. Meinen Unmut darüber sprach ich aber lieber nicht laut aus.
Wir liefen entgegengesetzt des Bachlaufes einen kleinen Hügel hinauf.
„Darf ich Euch ein paar Fragen stellen?“, versuchte ich die sich ausbreitende beklemmende Stille zwischen uns zu brechen. Er sah mich von der Seite her kurz an und zuckte leicht die Schultern.
Ok, das war auch eine Antwort. Ich interpretierte diese Geste als ein Ja und holte tief Luft. „Wohin bringt Ihr mich?“ „In das nächste Dorf.“, antwortete er knapp, ohne mich direkt anzusehen. Ich biss die Zähne aufeinander, verzog das Gesicht und konnte gerade noch meine Hand zurückhalten, die schon auf halbem Weg in Richtung meiner Stirn war.
„Nein, das habt Ihr ja bereits gesagt. Ich meine Euer Ziel. Wo wollt Ihr mit mir hin?“, versuchte ich es noch einmal und unterdrückte dabei ein Augenrollen. „In meine Heimat.“, gab er knapp zurück. Meine Augen wurden groß und ich sog scharf die blütenduftschwere Luft ein. „Ihr geht mit mir in das Reich der Kalten Lande? Dort lebt Ihr doch, nicht wahr? Ihr habt euch vorhin zumindest als einen Elf der Kalten Lande bezeichnet und das Wappen auf meinem Handgelenk…“
„Ja, du hast Recht, dorthin gehen wir. Aber ich wohne dort nicht mehr.“, unterbrach er mich mit einem leisen, genervt klingenden Seufzer.
Hatten sich da gerade seine Haare etwas aufgebläht? Mir lief ein kühler Schauer über den Rücken. Musste wohl ein Windstoß gewesen sein, der mich nicht erreicht hatte, überlegte ich. Diesem Elf musste man aber auch alles aus der Nase ziehen. „Wieso lebt Ihr dort nicht mehr? Hat man Euch verbannt?“ Jetzt fühlte ich mich schon wie eine Sechsjährige. Ich fragte den großen düsteren Mann, der mich aus dem Menschenreich in das Reich der Elfen verschleppt hatte und jetzt neben mir her lief, Löcher in den Bauch. Mir kam die Vorstellung in den Sinn, er würde gleich die Augen verdrehen. Was vermutlich ein amüsanter Anblick gewesen wäre.