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Drei Jahre war es her, dass er seinen Vater das letzte Mal gesehen hatte, und jetzt war er auf einmal tot. Das Einzige, was er ihm überlassen hatte, war ein Brief, in dem der letzte Wunsch seines Vaters niedergeschrieben war. Ein Wunsch, der ihn quer durch Europa schicken und in eine Sache verwickeln würde, dessen Ausmaße ihm nicht bewusst waren.
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Seitenzahl: 303
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Sebastián Dunzendorfer wurde am
5.2.2005 in Wien geboren, war Freilerner und in der Ätsch Schule.
Momentan geht er ins Colearning Wien.
Er hat schon von klein auf Geschichten
geschrieben. „Die Jagd Quer durch
Europa” war sein erstes und umfangreichstes Buch.
Prolog
Kapitel 1: Das Gespräch
Kapitel 2: Drei Jahre später
Kapitel 3: Der Flug nach Russland
Kapitel 4: Das arme Volk
Kapitel 5: Die Befreiung
Kapitel 6: Die Ankunft
Kapitel 7: Nach Hause, aber nicht allein
Kapitel 8: Die Überraschung
Kapitel 9: Eine unerwarteter Besuch
Kapitel 10: Paris
Kapitel 11: Zugriff
Kapitel 12: Fast alle wieder vereint
Kapitel 13: Wo steckte Ranz?
Kapitel 14: Der Prozess
Kapitel 15: Endlich wieder daheim
Kapitel 16: Die Uhr tickt
Kapitel 17: Freund oder Feind?
Kapitel 18: Eine alte Bekannte
Kapitel 19: Der zweite Hinweis
Kapitel 20: Bin ich alleine hier?
Kapitel 21: Die Ankunft in Royan
Kapitel 22: Der Pakt
Kapitel 23: Verlockende Angebote
Kapitel 24: Ein unerwartetes Treffen
Kapitel 25: Was war geschehen
Kapitel 26: 5 Jahre später
Irgendwo in Tirol auf einer Bergwiese wohnte der 12-jährige Ranz mit seinen Eltern in einem Haus. Das Haus ist schon etwas älter aber trotzdem wunderschön. Das Holz und vieles mehr, was schon seit vielen Jahren das Haus auszeichnete, war wunderschön. Ranz ist ein netter Junge und ist deswegen in dem benachbarten Dorf sehr beliebt. Bei seinen Eltern ist das allerdings nicht der Fall, denn sie schulden nämlich fast jedem Dorfbewohner Geld.
Der Grund für diese Schulden ist folgende Geschichte: Ranz´ Eltern hatten mehrere hundert Obstbäume und verdienten eigentlich recht gut. Sein Vater arbeitete an etwas Geheimen, wie er es nannte, und kümmerte sich kaum um die Obstbäume. Was es war, woran er so versessen arbeitete, erzählte er nicht. Warum er nicht darüber redete, wusste Ranz nicht. Doch eines Nachts schlug ein Blitz ein und jeder einzelne Baum verbrannte. Ranz war zu dem Augenblick noch 5 Jahre alt. Am nächsten Morgen war sein 6. Geburtstag und es war der traurigste Geburtstag seines Lebens. Statt einer Feier musste er helfen, wo er konnte.
Bei Ranz´ 11. Geburtstag allerdings war das Glück zurück, denn er bekam von seinen Eltern ein Los geschenkt. Und tatsächlich gewann er 100.000 Schilling, 70.000 Schilling gab er seinen Eltern, sie kauften mit dem Geld neue Bäume und bezahlten ihre Schulden. 30.000 Schilling behielt sich Ranz, er wollte damit sein Studium bezahlen, denn sein Traum war es, einmal Geschichtsprofessor zu werden.
17.Juni 1994 8:00
Ein Junge mit kurzen, verwuschelten schwarzen Haaren und blauen Augen stand am Fenster und putzte sich die Zähne. Sein Blick war starr auf die Landschaft vor seinem Fenster gerichtete, denn er bewunderte die Berglandschaft nach 13 Jahren noch immer. Sie war wirklich einzigartig: die Berge, die Seen, die Tiere, die Täler, die Wiesen, die Hänge, die Wege und natürlich die Gipfel. Alles war auf seine Weise einzigartig.
Plötzlich rumpelte es und das Haus zitterte leicht. Ranz, der Junge, wurde aus seinem Staunen herausgerissen und schaute den Berg hinauf. Warum er das tat? Er schaute, ob eine Lawine die Ursache des Lärms und Bebens war. Dies kam hier nämlich öfter vor.
Leider es war eine Lawine. Das Rumpeln wurde immer lauter und kam näher. Näher und näher. Die Lawine war größer als normalerweise, auch einige Steine, die so groß waren wie er selbst, waren darunter und kamen direkt auf ihr Haus zu.
Ranz war wie erstarrt vor Schreck, doch nach einigen Sekunden löste er sich aus der Starre und rannte in den Keller. Ranz fand, dass der Keller der bestgeschützte Ort war, der ihm jetzt so auf die Schnelle so einfiel.
Kaum hatte er die Kellertür hinter sich geschlossen, da ging es auch schon los. Es rumpelte und krachte und mehrmals hatte er das Gefühl, dass das ganze Haus einstürzt.
Nach ungefähr zwei Minuten war dann alles auch schon wieder vorbei.
Ranz rannte die Kellertreppe hinauf und dann in den Garten hinaus. Das grelle Sonnenlicht, das ihn draußen erwartete, blendete ihn. Nach mehrmaligem Blinzeln erkannte er, dass die Bäume noch standen. Das war immerhin etwas, er lief weiter ums Haus herum zur Terrasse.
Er war geschockt von dem, was vor ihm lag. Das Haus hatte nur ein paar Kratzer abbekommen, aber die Terrasse und den darum herum liegenden Garten hatte es fast vollständig weggerissen. Jahrelange Arbeit war innerhalb von wenigen Minuten zerstört worden. Der Garten war nur ein kleine Nahrungsquelle gewesen, doch dafür war er umso schöner. Ranz setzte sich auf die letzte Kante der ehemaligen steinernen Bank, die an der Hauswand lag.
Plötzlich hörte er jemanden rufen: „Ranz, Ranz wo bist du?”, er schaute sich um und entdeckte den Kopf seiner Mutter aus dem Fenster hängen.
„Ich bin hier!”, rief er zurück und rannte ums Haus. Seine Mutter stand schon in der Tür und umarmte ihn.
„Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist”, sagte sie. Ihr standen Tränen in den Augen.
„Wo ist Papa?”, fragte Ranz und verdrehte die Augen. Seine Mutter musste auch alles überdramatisieren.
„Er schaut sich gerade den Schaden an, den die Lawine hinterlassen hat”, sagte seine Mutter mit zusammengebissenen Zähnen. Es waren wohl ein paar unschöne Worte gefallen.
Ein paar Minuten standen sie noch so da, Mutter und Sohn, jeder tief in seinen eigenen Gedanken versunken.
„Ranz, da bist du ja!”, sagte sein Vater, als er ums Haus gelaufen kam.
„Ranz, geh bitte in dein Zimmer. Ich und dein Papa haben etwas zu besprechen”, sagte seine Mutter schroff, als er gerade auf seinen Vater zugehen wollte, um ihn nach dem Schaden zu fragen.
Ranz tat es nicht gerne, doch er wusste schon, dass sie keinen Widerspruch duldete und es nur eine unnötig lange Diskussion geben würde, also ging er ohne Widerspruch. Aber Ranz hatte eine Idee. Er ging ins Bad, denn dies lag direkt über der Bank, auf der die beiden Platz genommen hatten. Er machte das Fenster auf und lauschte:
„Warum gibst du es ihnen nicht einfach, Helmut? Glaubst du, diese Lawine war nicht beabsichtigt?”
„Ja, ich weiß, dass die Lawine nicht von Natur aus ausgelöst worden war und diese Papiere habe ich mir selbst erarbeitet. Wenn ich es schaffe, und ich bin kurz davor, dann werden wir reich. ... Wir werden reich. Kannst du dir das überhaupt vorstellen, Maria? Nach all der Schufterei.”
„Ja, aber mindestens einer von uns dreien wird davor sterben.”
„Solche Befürchtungen hatte ich auch schon, aber ich glaube nicht, dass sie soweit gehen würden. Doch um dich zu beruhigen, werde ich fliehen und alle belastenden Papier mitnehmen. Wir würden uns dann in drei Jahren bei unserem “Geheimversteck” treffen.”
Maria nahm dies kommentarlos hin, doch Ranz konnte sich ihre stumme Verzweiflung vor seinem inneren Auge vorstellen.
Ranz konnte nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Sein Vater wollte wegen ein paar Papieren und einer Lawine fliehen? Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich, da musste mehr dahinterstecken. Doch momentan interessierte es ihn nicht, was dahinter stecken könnte, er war nur traurig darüber. Mit schlappen Schritten stapfte er in sein Zimmer, um das Ganze zu verarbeiten.
Sein Vater ging auch ins Haus und Ranz hörte draußen seine Mutter noch leise schluchzen, anscheinend war es für sie doch nicht so leicht, wie sie anfangs getan hatte. Er überlegte, ob er sie trösten sollte, aber er war gerade nicht auf ein Gespräch aus. Wahrscheinlich würde er sich auch in seinem Durcheinander versprechen und zugeben, dass er gelauscht hatte. Das war es ihm dann doch nicht wert.
So legte er sich schweren Herzens ins Bett und obwohl es erst morgen war, war für ihn der Tag schon hinüber.
16.Juni 1997 8:24
„Ranz, aufstehen! Frühstück ist fertig”, rief Maria aus der Küche.
Ranz rappelte sich mühsam auf, gähnte einmal laut, zog sich an und ging lustlos Zähne putzen. Die Sonne schien und es trieben nur wenige Wolken am Himmel, es versprach ein schöner Tag zu werden, doch es fühlte sich nicht so an. Nach dem Zähne Putzen ging er hinunter in die Küche, wo Maria schon auf ihn wartete. Ihr Lächeln wirkte steif und das Frühstück war karg wie jeden Morgen, denn sie hatten kaum Geld.
„Na, gut geschlafen?”, begrüßte sie ihn fröhlich.
„Geht so!”, antwortete er müde, während er ihre gewaltigen Augenringe betrachtete, sie musste schon seit einer langen Zeit nicht mehr gut schlafen.
„Ding Dong”, machte es plötzlich nach den ersten paar Bissen.
„Wer kann das bloß sein?”, fragte Ranz, stand auf und ging zur Tür. Vor der Tür stand ein Mann im Anzug und mit Aktentasche. Ranz hatte schon eine Ahnung, warum dieser Mann hier war.
Ranz schluckte seine Angst hinunter und sagte: „Ja, was wünschen Sie?”
„Ist Frau Christophersin zu Hause? Ich muss ihr etwas mitteilen”, sagte der Mann im Anzug. Maria war mittlerweile an die Tür gekommen und man sah es ihrem Blick an, dass sie dasselbe dachte wie er. Etwas musste mit Helmut geschehen sein, nach drei Jahren die erste Nachricht von ihm und sie sah auf den ersten Blick nicht gut aus.
„Ihr Mann hatte vor zwei Tagen einen tödlichen Autounfall”, sagte er vorsichtig.
Maria kippte gefährlich nach hinten und Ranz konnte sie nur noch in letzter Sekunde wieder stabilisieren.
„Er hat ihnen beiden etwas vererbt. Sie können es heute noch beim Notar abholen. Es tut mir sehr leid.”
„Danke!”, sagte Ranz. „Aber ich glaube, es ist das Beste, wenn Sie uns jetzt alleine lassen.”
„Auf Wiedersehn!”, waren die Abschiedsworte des Mannes.
„Wiedersehn”, sagte Ranz zum Abschied.
Maria wandte sich ab und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie setzen sich. Beide hatten dies schon befürchtet, doch trotzdem war es ein großer Schock für sie. Ranz konnte sich ein Leben ohne seinen Vater kaum vorstellen. Er war jetzt zwar lange nicht hier gewesen, aber er konnte nicht glauben, dass er tot war.
„Zwei Tage. Zwei Tage vor unserem Treffen”, sagte Maria leise unter Tränen.
Ranz hatte das Treffen, von dem er vor drei Jahren gehört hatte, vollkommen vergessen. Maria allerdings nicht, er konnte sich gut vorstellen wie fieberhaft sie schon darauf gewartet hatte und dann das. Für sie musste das Ganze noch einmal schlimmer sein, denn sie kannte Helmut schon länger als er es tat und stand ihm, seines Erachtens, näher als er es tat.
Da saßen sie, hilflos und verzweifelt.
Irgendwann fragte Maria dann: „Wollen wir zum Notar fahren und uns die Erbstücke abholen?”
„Ja, fahren wir”, war seine prompte Antwort, er war schon gespannt darauf, was er vererbt bekommen hatte. Seine Aufregung erinnerte ihn an Weihnachten, als er noch kleiner war, wo er denn ganzen Tag schon um die Geschenke gebettelt hatte und sie Helmut einfach nicht herausgerückt hatte. Doch die Erinnerung an Helmut versetzte ihm einen Stich.
Nachdem Maria ihr Auto eingeparkt hatte - was heute etwas länger dauerte -, stiegen sie aus dem Auto aus und gingen nacheinander ins Haus.
„Grüß Gott Maria, servus Ranz”, begrüßte sie der Notar mit einem Lächeln. Der Notar war ein sehr netter, hilfsbereiter und stets gut gelaunter Mensch. Ranz wusste nicht, wie man bei diesem Job glücklich sein konnte, denn wer wollte schon etwas mit Toten zu tun haben.
„Hi!”, sagte Ranz während er seine schweißnassen Hände tief in der Hosentasche vergrub.
„Grüß dich Andreas”, sagte Maria mit einem Seufzer.
„Du kommst wegen deinem Mann, liege ich da richtig?”
„Leider ja.”
„Bitte setzt euch doch. Dann können wir das Ganze in Ruhe bereden.”
Sie setzten sich.
„Also, ich mach’s kurz und knackig. Ähm, ich hab für euch beide ein Kuvert.” Bei diesen Worten holte Andreas zwei Kuverts hervor. „Bitte einmal hier unterschreiben, da wird bestätigt, dass die, von dem Toten hinterlassene Nachrichten, abgeholt wurden.”
Er reichte Maria ein Papier und einen Kugelschreiber. Maria unterschrieb und Andreas reichte beiden die Kuverts.
Marias Kuvert war nicht sehr voll, hatte aber einen größeren Gegenstand als Inhalt. Ranz´ Kuvert war sehr voll und zerfiel schon fast. Auf beiden Kuverts stand: „Bitte erst zu Hause öffnen, wo es keiner sieht.” Sie verabschiedeten sich und fuhren nach Hause.
Zu Hause angekommen, ging jeder in sein Zimmer und zog die Vorhänge zu, wie Helmut es sich gewünscht hatte. Ranz zersprang fast vor Aufregung und öffnete sein Kuvert in Rekordzeit. Es waren eine Menge Papiere darin. Er fischte einen Brief heraus und verstaute die restlichen Papiere in einer Schublade, dann fing er an zu lesen:
Lieber Ranz!
Ich hoffe, dir geht's gut.
Vermutlich bist du noch sehr geschockt über meinen Autounfall, deswegen will ich vorwegnehmen, dass alles nur vorgetäuscht war. Ich weiß, ich weiß, sehr verwirrend muss das für dich sein, doch es wird sich bald aufklären. Kommen wir auf den Punkt! Also ich bin da in eine sehr üble Sache hineingeraten. Diese Papiere, die du da bekommen hast, sind sehr wertvoll. (Also bitte nicht durchlesen! Das Wissen könnte gefährlich für dich sein.)
Ich habe einen Job als Agent in Russland bekommen. Mit diesen ganzen Papieren fliegst du nach Moskau (Ticket ist im Kuvert). Ich werde dich dort vom Flughafen abholen und alles erklären.
Ich weiß, das Ganze ist etwas verwirrend, aber bitte vertraue mir. Das ist das Wichtigste, damit alles glatt verlaufen kann.
Ich hab auch drei Goldmünzen aus echtem Gold ins Kuvert gegeben (für die drei verpassten Geburtstage).
Viel Glück
Helmut
Ranz konnte es kaum fassen, sein Vater war ein Agent!
Ein echter Agent! Allerdings konnte er sich nicht entscheiden, ob das gut oder schlecht war. Vielleicht war das die geheime Arbeit seines Vaters, Geheimagent. Er nahm sich vor, später noch einmal darüber nachzudenken, jetzt wollte er erstmal nach dem Ticket sehen.
Er machte die Schublade auf und suchte nach dem Ticket. Tatsächlich fand er nach einigem Herumgewühle eines. Sein Flug nach Moskau ging morgen in der Früh, genauer gesagt um 7:00 Uhr. Genau drei Jahre nachdem er das Gespräch belauscht hatte und sein Vater geflohen war. War das Zufall?
Gewand und noch ein paar andere Sachen wanderten in seinen Reisekoffer, dann setzte er sich und las den Brief noch einmal, damit er sich sicher war, dass das echt war und nicht irgendein schlechter Scherz.
Nein, er glaubte nicht, dass das ein schlechter Scherz war, sondern echt. Er wollte gerade die Dokumente sicher in seinem Reisekoffer-Geheimfach verstecken, da siegte seine Neugier und er schaute sich die Dokumente an.
Doch nach dem ersten Blatt wurde die Neugier durch die Unsicherheit besiegt und er verstaute die Dokumente sicher in seinem Reisekoffer-Geheimfach.
In einem anderen Zimmer im Hause etwas früher (also etwa kurz nachdem sie nach Hause gekommen waren) öffnete Maria ihr Kuvert und las:
Liebe Maria!
Ich hoffe, dir geht's gut.
Es tut mir leid wegen des Autounfalls, es muss dich sehr geschockt haben. Deswegen will ich dir vorweg nehmen, dass alles nur vorgetäuscht war und ich weiterhin lebe. In dem Kuvert liegen 10 Goldmünzen aus echtem Gold, ich hoffe sie können dir helfen.
Kleine Änderung: Wir treffen uns doch nicht im Geheimversteck, sondern in Moskau. Ich werde auf euch am Flughafen warten (Ranz wird mitfliegen. Pass gut auf ihn auf, er wird nicht davon begeistert sein, wenn du auf ihn aufpasst, deswegen tue es so unauffällig wie möglich).
Ticket ist im Kuvert.
Viel Glück! Wir sehen uns.
Helmut
Ps: Nochmal, pass gut auf Ranz auf und vor allem auf sein Gepäck.
Maria war überglücklich darüber, dass ihr Mann Helmut noch lebte, doch sie war auch sehr besorgt. Auch eine gewisse Wut mischte sich unter das Durcheinander der Gefühle. Wut darüber, dass er sie und Ranz in seinen Schlamassel mit hinein zog - und warum zum Teufel sollte sie auf Ranz´ Gepäck aufpassen? Sie wollte jetzt, genau jetzt, mit Helmut reden und ihn zur Rede stellen.
Da saß sie nun und wusste nicht, ob sie wütend, glücklich oder besorgt sein sollte. Plötzlich kam Ranz durch die Tür und sagte: „Mama, hast du auch diesen Brief bekommen, in dem steht, dass Papa noch lebt. Glaubst du, dass das wahr ist?
Maria, die sich erschreckt hatte, antwortete ein wenig genervt: „Ich weiß. Ich habe auch einen Brief und ob du’s glaubst oder nicht, ich kann auch lesen. Jetzt pack deine Sachen wir müssen morgen früh los.”
„Ok!”, sagte Ranz und war noch schneller aus der Tür hinaus, als er hineingekommen war.
Dann ging sie hinunter in die Küche und kochte fürs Mittagessen einen schönen Schweinsbraten (Ranz´ Lieblingsessen). Das Kochen lenkte sie von dem Durcheinander der Gefühle ab.
Eine Stunde später war das Essen fertig.
„Ranz, Essen ist fertig!”, rief Maria aus der Küche nach oben.
„Komme schon!”, war seine prompte Antwort. Kurz darauf kam Ranz auch schon die Treppe herunter gepoltert.
„Hmmm lecker, es gibt Schweinsbraten.” Dies waren die letzten Worte, die der Schweinsbraten hörte, bevor Ranz ihn verschlang. Schweinsbraten gab es eigentlich nur bei besonderen Anlässen, wie Weihnachten oder wenn Gäste kamen. Warum es ihn heute gab, war Ranz ein Rätsel.
„Eine Frage, Mama, fährst du auch mit nach Moskau?”, fragte Ranz während des Essens laut schmatzend, er genoss den Braten in vollen Zügen.
„Natürlich! Glaubst du etwa, du wirst mich so einfach los?”, antwortete sie und verzog den Mund. Ranz wusste, dass Maria es hasste, wenn er mit vollem Mund redete, doch das war ihm herzlich egal.
Sie aßen eine Weile ruhig, doch dann hatte Ranz wieder den Drang Maria mit Fragen zu bombardieren.
„Wo ist eigentlich der Flughafen?”, fragte er neugierig.
„Können wir bitte in Ruhe essen?”, fragte Maria mit etwas lauterer und genervter Stimme.
Er wollte Maria nicht noch mehr verärgern, so aßen sie ruhig zu Ende.
Den restlichen Tag verbrachte jeder in seinem Zimmer, denn draußen tobte ein gewaltiges Sommergewitter.
Ranz konnte es kaum erwarten, endlich nach Moskau zu fliegen und seinen Vater wiederzusehen, der ihm versprochen hatte, seine Fragen aufzuklären.
Am Abend fuhren sie im strömenden Regen nach Schwechat und schliefen in einem billigen Hotel, damit sie in der Früh pünktlich zu ihrem Flugzeug kamen.
Das Hotelzimmer hatte zwei funktionierende Betten, aber kein Wasser und keinen Strom, so mussten sie im Dunkeln die Betten finden. Es war nicht leicht, aber sie fanden sie
17.Juni 1997 5:45
„Bip bip bip bip” - der Wecker läutete und Ranz stand auf und tat dasselbe wie jeden Morgen. Aufstehen, anziehen, Zähne putzen, optimalerweise duschen, doch zwei Sachen waren an diesem Morgen anders. Erstens: Er wachte nicht in einem Bett auf, sondern auf einem Stoß schon benutzter Handtücher, er hatte gestern im Dunkeln also doch nicht das Bett gefunden, sondern einen Haufen dreckiger Handtücher. Zweitens: Ranz war aufgeregt und deswegen doppelt so schnell wie sonst.
Maria, die auch im Badezimmer, aber natürlich schon längst fertig mit allem war, sagte vorwurfsvoll: „Früher mussten wir immer so früh aufstehen.”
Ranz, den solche Aussagen nervten, antwortete nur: „Ja früher, jetzt aber nicht mehr.”
Sie saßen im Auto und fuhren zum Flughafen, beide waren sehr aufgeregt, denn endlich sollten sie Helmut wieder treffen. Ranz bedauerte es, dass die Duschen defekt gewesen waren und es keine sauberen Handtücher gegeben hatte, das kam davon, wenn man nicht genug Geld hatte.
„Puh, endlich geschafft! Jetzt nur noch zurücklehnen und dann sind wir irgendwann da”, das waren Marias Worte als sie endlich im Flugzeug saßen.
Doch Maria wirkte auf Ranz keineswegs entspannt, sondern genau das Gegenteil. Angespannt und gestresst.
Ranz war auch nicht entspannt, denn er hatte ja die ganzen Papiere, für die er die Verantwortung trug. So eine große Verantwortung hatte er noch nie zu tragen, deswegen war er dementsprechend angespannt.
Die Durchsage des Piloten ertönte: „Herzlich Willkommen bei Austrian Airlines…”
Als die Durchsage zu Ende war und sie hoch über den Wolken flogen, kamen auch schon die Flugbegleiterinnen mit dem Frühstück. Sie verteilten das Frühstück an jeden Passagier und kamen nur langsam auf Maria und Ranz zu.
Schlussendlich (Ranz und Maria saßen nämlich genau in der Mitte des Flugzeuges) kam eine Flugbegleiterin auf Ranz und Maria zu.
„Was woin’s? Spiegelei mit Speck oder zwoa Kipferl? Wenn’s woin, kennans a an Kaffee, Kakao oder Tee habn”, sagte die Flugbegleiterin im starken Wiener Dialekt. Sie sah aus als hätte sie sich ohne Spiegel geschminkt, denn sie war mit ihrem Lippenstift ein wenig ausufernd gewesen.
„Für mich bitte die Kipferl und den Kakao”, sagte Ranz und nahm sein Essen dankend entgegen.
„Für mich bitte auch die Kipferl und einen Kaffee. Bitte Danke”, war Marias Wahl.
„Bittschön”, verabschiedete sich die Flugbegleiterin und fuhr mit ihrem Wagen davon.
Sie aßen das Essen und Ranz, der sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt ein Kipferl gegessen hatte, schmeckte es ausgezeichnet.
Nach dem Essen machte Ranz ein kleines Nickerchen, denn die Nacht auf den Handtüchern war alles andere als gut gewesen.
So verging der Flug nach Moskau ohne dass etwas passierte, dann ertönte die Durchsage des Piloten: „Wir beginnen nun mit dem Landeanflug auf Moskau. Wir bitten Sie sich anzuschnallen…”
Ranz war schon sehr aufgeregt. Er schaute aus dem Fenster und es schien wieder die Sonne, das Wetter war gut. Moskau kam näher, die Häuser wurden größer und die Stadt wurde übersichtlicher.
Kurz darauf rollten sie schon auf der Landebahn. Die Zeit - so kam es ihm vor - verging im Schneckentempo, doch irgendwann standen sie und drängten wie alle anderen, zum Ausgang und weiter zur Gepäckausgabe. Dort holten sie ihre Koffer ab. Ranz kontrollierte sofort, ob die Papiere noch da waren und zum Glück waren sie noch da. Weiter ging es raus aus dem Gebäude und da war er auch schon, Helmut.
In den drei Jahren hatte sich viel verändert, so hatte sich auch Helmut verändert. „Hallo, da seid ihr ja endlich!”, sagte Helmut lächelnd, während er auf sie zu kam. In seiner Hand hielt er ein Papier, auf dem sein Name und der von Maria standen.
Ranz war überglücklich darüber, dass er seinen Vater wieder sah und wollte ihm sogleich viele Fragen stellen, aber er hielt sich zurück. Er wollte nicht wie ein aufgeregtes Kleinkind wirken.
Doch er konnte sich nicht zurückhalten und stellte Helmut viele Fragen, doch Helmut wollte sie nicht hier und jetzt beantworten. „Später, wenn wir unter uns sind, kann ich es dir erklären”, meinte er.
Das Einzige, was er wissen wollte, war wie es den Papieren ging und als er hörte, dass sie im Koffer sicher verstaut waren, war er sehr erleichtert und seufzte einmal. Ranz war ein bisschen wütend auf ihn, dass er nur nach den Papieren fragte und sonst nicht mit ihm reden wollte. Er hoffte, dass alles sich wie versprochen klären wird.
Er begrüßte noch Maria, wechselte ein paar freundliche Worte mit ihr und ging dann mit ihnen hinaus zu einem kleinen Autobus. Als sie das Terminal verließen, fing er an leicht zu frösteln, in Moskau war es doch einige Spuren kälter als in Tirol. Er hatte zu seinem Glück warme Sachen mitgenommen, doch die waren in seinem Koffer verstaut, den er neben sich herzog. Sie stiegen in den kleinen knallgelben Autobus ein.
Als sie dachten, sie wären komplett, stiegen zwei Männer im Anzug hinten in den Autobus ein und nahmen Ranz´ Koffer in ihre Mitte. Anscheinend waren die Papiere noch wichtiger als er gedacht hatte, so wichtig, dass sie zwei Wachen brauchten. Ihn interessierte immer mehr, was das für Papiere waren, denn der Teil, den er gelesen hatte, war nicht gerade wichtig gewesen. Es war einfach ein normaler Zeitungsartikel gewesen, deswegen fand er es umso interessanter zu erfahren, was an diesem Artikel so wichtig war.
„Das sind meine beiden Kollegen”, stellte Helmut die beiden Männer vor.
Er beachtete sie nicht weiter und nachdem Helmut ihnen vertraute, waren sie wohl in Ordnung.
Sie fuhren zwanzig Minuten durch Moskau, bis sie ihr Ziel erreichten. Ihr Ziel war ein großes modernes Hochhaus in der Moskauer Innenstadt. Ranz vermutete, dass solche Hochhäuser mit überteuerten Büros und ähnlichem ausgestattet waren und nur wer stinkreich war, konnte sich so etwas leisten.
Sie stiegen aus und folgten Helmut in das Hochhaus. Die Inneneinrichtung war, ebenso wie das Äußere, modern und verglast.
Hinter einem Empfangsschalter saß eine sehr stark geschminkte Frau, deren Lächeln aussah, als wäre es ihr aufgeklebt worden. Ranz wurde ein wenig schlecht, nicht vom Anblick der Frau, sondern von dem starken Geruch ihres Parfums.
Sie begrüßte sie auf Russisch und wechselte mit den „beiden Kollegen” ein paar Worte, von denen Ranz kein einziges verstand. Dann bat sie sie durch einen Metalldetektor hindurchzugehen und bestätigte so seine Vermutung von den Büros der Stinkreichen. Nachdem sie alle hindurch waren, ohne, dass der Alarm ausgelöst worden war, gingen sie weiter zum Lift und fuhren in den 17. Stock. Die „beiden Kollegen” fuhren noch ein paar Stockwerke weiter hinauf, während Maria, Helmut und er im siebzehnten Stock austiegen.
Als sie den Lift verlassen hatten, empfang sie ein Gang, der trotz guter Beleuchtung sehr dunkel wirkte. Sie gingen ihn ab bis hin zu einer Tür mit der Aufschrift: „Office Helmut”
„So, da wären wir”, sagte Helmut und zeigte auf die Tür, vor der sie standen. Er sperrte die Tür mit seinem Schlüssel auf und dahinter lag, nicht wie man vielleicht denken könnte, ein Büro, sondern eher so eine Art Wohnzimmer: ein Schreibtisch, der voll geräumt mit Aufzeichnungen, Skizzen, etc war, und ein Drehstuhl standen an der Wand. In der Mitte des Zimmers stand ein großes, hellbraunes, gemütlich aussehendes Sofa mit zwei hellbraunen ebenso gemütlich aussehenden Sesseln. Darauf nahmen sie nun Platz und Helmut bot ihnen etwas zum Essen und Trinken an.
„Ranz, bitte gib mir die Papiere, die du netterweise für mich mitgenommen hast”, leitete Helmut das Gespräch ein. „Ich muss sie nämlich noch meinem Boss zeigen.”
Doch Ranz zögerte, er las nämlich viele Bücher und bei allen Geheimdiensten in den Büchern werden solche Leute wie er nachher umgebracht, weil sie zu viel wussten. Auch der Ausdruck Boss machte keinen vertrauenserweckenden Eindruck, doch vielleicht spielte ihm auch seine Fantasie einen Streich.
„Wer garantiert mir eigentlich, dass ich und Maria heil nach Österreich zurückkommen und wer ist dieser Boss?”, fragte Ranz nur zu Recht. „Ich weiß, dass du mein Vater bist, doch warum sollte ich dir, nachdem du drei Jahre lang weg warst, einfach blind vertrauen?”
„Ist das dein Ernst? Komm, gib mir sie einfach! Es wird euch schon nichts passieren und den Boss wirst du schon noch kennenlernen, er ist netter als man denkt.”
„Und darauf soll ich vertrauen? Ich bin jetzt sechzehn und so leicht kannst du mich nicht mehr reinlegen”, sagte Ranz und nahm sich ein paar von den leckeren Schokokeksen.
„Da muss ich Ranz recht geben, du…”, mischte sich nun auch Maria ein, doch sie wurde von Helmut energisch unterbrochen.
„Du hältst dich da bitte raus Maria, jetzt rede ich mit meinem Sohn. Wenn du willst, schwöre ich, Hauptsache wir können uns wieder vertrauen”
„Nein, ich will zu deinem „Boss”, wie du ihn nennst, mitgehen und ihm die Papiere persönlich geben. So kann ich ihn kennenlernen und meine eigenen Schlüsse ziehen.”
„Na gut”, sagte Helmut und beide gingen mit den Papieren ohne auch nur ein Wort zu Maria zu sagen aus dem Raum.
Helmut legte einen schnellen und energischen Gang ein und sie gingen zum Lift zurück, um in den 9. Stock zu fahren. Ranz überdachte seine Entscheidung noch einmal und legte sich ein paar Worte zurecht, während sie Stockwerk um Stockwerk hinunterfahren.
Als sie anhielten und die Türen sich öfnneten, war Ranz eine Sekunde lang geschockt. Vor ihnen lag derselbe Gang wie in Helmuts Stockwerk, doch dieser hier war wirklich schlecht beleuchtet. Er fragte sich, ob das an den Lampen lag oder ob es eine düstere bis hin zu einer unheimlichen Stimmung erzeugen sollte. Auf beiden Wänden waren Bilder von Menschen angebracht. Unter den gold umrandeten Bilder stand, in ebenfalls goldener Schrift, der Namen der Person, die auf dem BIld abgebildet war. Vielleicht waren es Bilder von früheren Bossen oder Bilder von bekannten Leuten, er wusste es nicht.
Es gab auch keine Türen auf den Seiten des Ganges, wie es bei Helmuts Gang der Fall war. Der Gang verlief einfach nur geradeaus bis hin zu einer Tür, die mit rotem Licht ummantelt war.
Auf diese Tür hielten sie nun zu und Ranz wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen und auf der Couch neben seiner Mutter sitzen und Tee trinken. Doch er war es gewesen, der darauf bestanden hatte, mitzugehen, aber Helmut hatte, gemeint der Boss ist freundlich. Aber ob das stimmte, wusste er nicht, er würde es gleich erfahren.
Mit jedem Schritt wuchs seine Angst, seine Angst vor dem Unbekannten.
Dann, ganz plötzlich, standen sie davor, er hatte gar nicht mitbekommen wie schnell sie diese Meter zurückgelegt hatten.
Aus dem Augenwinkel sah er Helmut, wie er einmal tief durchatmete und anklopfte. Nun gab es kein Zurück mehr, nur noch die Flucht nach vorne.
„Herein!”, hörte man eine laute tiefe Stimme mit russischem Akzent von Innen und sie taten, wie ihnen geheißen.
Das Büro des Bosses war ganz anders eingerichtet als dies von Helmut. Es standen ein großer fetter Schreibtisch in der Mitte und zwei Stühle davor, an der Wand hingen ein paar Bilder, dessen Herkunft er allerdings nicht erraten konnte. Bis auf die paar Sachen war der Raum leer.
Helmut nahm auf dem rechten Stuhl gegenüber des Bosses Platz, Ranz auf dem linken. Der Boss trug ein weißes Hemd und ein schwarzes Sakko. Aus seiner Sakko-Brusttasche lugte ein Tuch heraus, auf dem die Initialen RX aufgestickt waren. Unter den Initialen hing eine, ebenfalls aufgestickte, rote Rose.
Der Boss war Mitte 50, hatte dunkle Haare und war sehr viel breiter als die meisten Menschen. Mit anderen Worten, er war ein Monstrum von einem Mensch, nun wusste Ranz, warum die Tür so breit war.
„Haben Sie meinen Auftrag erfolgreich ausgeführt?”, fragte der Boss.
„Ja, das habe ich, mein Sohn hat die Dokumente”, antwortete Helmut auf die Frage des Bosses.
„Könnte ich sie jetzt, nachdem ich so lange gewartet habe, endlich haben?”, aus seiner Stimme hörte man eine deutliche Drohung heraus.
„Aber natürlich. Ranz, gib sie ihm!”, sagte Helmut in einem Ton, der keine Widerrede duldete.
Plötzlich stutzte er. Schreimer? Den Namen kannte er irgendwoher - doch woher? Obwohl er nicht wusste, woher er diesen Namen kannte, fühlte es sich nicht gerade vertrauenserweckend an.
„Erst wenn ich mir sicher bin, dass ich heil aus der ganzen Sache herauskomme, werde ich die Papiere herausrücken. Ansonsten könnt ihr euch von ihnen verabschieden, ich will nämlich kein Krimineller, wie ihr, sein”, sagte Ranz und wusste, wenn Herr Schreimer etwas haben wollte, dann bekam er es auch. Vermutlich wenn es nicht anders ging, auf eine illegale Weise.
„Ok. Machen wir uns einen Deal aus, ich bekomme die Papiere und du bekommst, …. hmm … mal kurz überlegen, eines meiner Kinder als Geisel mit. Dann hast du etwas, mit dem du mich erpressen kannst. Aber nur unter einer Bedingung, du gibst mir das Kind spätestens in einem Jahr zurück.”
In dem Moment wurde Ranz klar, wie wertvoll diese Papiere waren. Herr Schreimer war bereit, ein mit ihm verwandtes Kind “herzuborgen” und Ranz vermutete, dass er bereit war, noch mehr herzugeben. Wie konnte man so etwas tun? Man musste doch wohl schon sehr daneben sein, dass man solche Sachen tat.
„Eine Frage, Herr Schreimer. Was sind das für Papiere? Sie müssen sehr wertvoll sein, wenn Sie dazu bereit sind Leben dafür zu geben.”
„SO JETZT REICHTS MIT DER FRAGEREI!”, brüllte Herr Schreimer durch den Raum. „Gib mir endlich die Papiere oder das wird das Letzte gewesen sein, was du gesagt hast.”
Helmut, der die meiste Zeit nur stumm daneben gesessen hatte, meldete sich nun wieder streng zu Wort: „Ranz, gib jetzt Herrn Schreimer die Papiere, der Rest kann dir egal sein. Du wirst heil aus der ganzen Geschichte herauskommen, versprochen.”
In dem Moment machte ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren, seltsamen grün gelben Augen, in Putzkleidung und mit Putzwagen die Tür auf. Sie war in etwa so alt wie Ranz und in ihm schlich der Verdacht auf, dass sie eines von den Kindern des Bosses war. Das würde, seines Erachtens, ihm ähnlich sehen.
Ranz erkannte seine Chance und nutzte sie, er sprang auf und rannte in Richtung Tür, in seiner Hand die Papiere. Das Mädchen mit dem Putzwagen hielt ihm seltsamerweise die Tür auf und als er durch die Tür durch war, knallte sie diese zu.
Er sah aus dem Augenwinkel heraus, wie das Mädchen, den Putzwagen vor die Tür stellte und sie so blockierte. Es würde ein paar Sekunden dauern, bis sie sich die Barrikade aus dem Weg geschafft haben. Ranz hatte keine Zeit, sich darüber zu wundern, warum das Mädchen ihm einfach so half, denn Helmut hatte die Tür schon wieder geöffnet und den Putzwagen zur Seite manövriert. Er schrie: „Ranz, komm zurück, es wird uns allen viel ersparen, wenn du zurückkommst und wir in Ruhe reden.”
Herr Schreimer war ebenfalls wütend und sagte, was Ranz sehr erstaunte: „Du Verräter von einem Kind. Eines Tages krieg ich dich und deine Rotzbengel-Bande und dann gibt es keine Gnade.” Daraufhin folgte ein lauter, kurzer, wütender Schrei, denn er steckte zwischen der Tür und dem Putzwagen fest. Bei seinen Körpermaßen war das verständlich und in dieser Situation für Ranz sogar nützlich, denn er blockierte so auch Helmut den Weg. So konnte keiner der beiden ihnen hinterherlaufen und bis sie die Security gerufen haben, war er schon längst aus dem Gebäude draußen. Doch was dann? Darüber wollte er dann nachdenken, wenn es soweit war.
Im Lift stand ein Junge mit schwarzen, kurzen, förmlich am Kopf klebenden Haaren und hielt die Lifttür auf. Als er und das andere Mädchen die Tür erreichten, sprang er hinein und drückte den Knopf, der den Lift ins Erdgeschoss fahren ließ. Kaum hatte er den Lift betreten, schloss sich die Lifttür hinter ihm und das Letzte, was Ranz sah, war wie zwei Leute seinem Vater Handschellen anlegten. Aber es waren keine Polizisten und auch niemand von der Security, sondern jemand ganz anderes. Die beiden Männer trugen Anzüge, was Ranz sehr untypisch für Wachen oder was auch immer die waren fand.
Auch andere Fragen wie: Warum hatte das Mädchen ihn gerettet und was meinte er mit„ Rotzbengel-Bande”?, gingen ihm durch den Kopf.
„Hallo Ranz, ich Petrow”, sagte der Junge mit dem rollenden R und holte ihn so in die schmerzende Realität zurück.
Er zuckte vor Schreck zusammen und hob kurz die Hand zum Gruß. Woher kannte dieser Petrow seinen Namen? Er hatte seinen Namen noch kein einziges Mal erwähnt, er sollte misstrauischer gegenüber diesen Kindern sein.
Plötzlich bemerkte er, dass er die Papiere noch immer in seiner verkrampften Hand hielt. Ihm kam die Idee, die Papiere zu zerreißen, er zerriss sie und verteilte die Schnipsel in die Ecken. Sogleich fühlte er sich erleichtert und besser, er hatte das, was der Boss so unbedingt haben wollte, zerstört.
„Hallo! Ich heiße Mema. Komm mit uns und du wirst alles erfahren, was du zu erfahren begehrst”, sagte das Mädchen, das Ranz die Tür aufgehalten hatte, mit einem Grinsen und einer verschwörerischen Stimme.
Der Lift hielt an, sie stiegen aus und liefen Richtung Ausgang. Niemand dachte daran sie aufzuhalten, nur die Frau am Empfangsschalter rief ihnen etwas Unverständliches hinterher.
Vor dem Hochhaus erwartete sie ein Mädchen mit drei Fahrrädern. Vermutlich waren dies ihre Fluchtfahrzeuge, ein wenig verwunderlich, dass sie noch immer frei herumliefen und der Boss sie noch nicht eingefangen hatte.
„Spring bei mir hinten auf”, sagte Mema, er tat wie ihm geheißen.
„Hello my name is Klara. Unfortunately, I can still speak very bad German”, sagte die, die bei den Fahrrädern gewartet hatte, zu Ranz.
„Hi!”, sagte Ranz nur, er war viel zu verwirrt, um klar denken zu können. Die Ereignisse überschlugen sich um Längen, er war in etwas hineingeraten, dessen Ausmaße er nicht kannte und er nicht einschätzen konnte.
17.Juni 1997 16:52
Sie bogen in eine kleine Gasse ein, an deren Ende eine Villa stand.
„Wohnt ihr da drin?”, fragte Ranz voller Hoffnung.
„Schön wär’s”, sagte Mema mit einem Seufzer und Ranz ´Hoffnung verschwand so schnell wie sie gekommen war.
Vermutlich hatten sie kein Zuhause und schliefen im Wald oder so was. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie alle im selben Alter waren.
Sie fuhren an der Villa vorbei und in den Wald hinein. Weiter ging es auf einer schmalen Schotterweg bis zu einer Wiese.
Diese Wiese war mit Holzpfählen eingezäunt. In deren Mitte stand ein normales einstöckiges Haus aus Zement, darum herum waren Felder, Überdachungen aus Holz, etc.