Die Josephsbrüder - Max Bronski - E-Book

Die Josephsbrüder E-Book

Max Bronski

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Beschreibung

Gossec hat keine Ahnung von Sicherheit. Doch da sein Trödelladen in der Sommerflaute steckt und er daher reichlich Zeit hat, mit seinem Nachbarn Hugo Himmelstraat im Hof zu sitzen, über dessen Bienenzucht zu sinnieren und dabei gutes belgisches Bier zu trinken, wird er von seinem Kumpel Julius für einen Auftrag eingespannt: Dessen Firma CatSecurity wurde vom Kloster Hohenwartach kontaktiert, wo in der Goldschmiedewerkstatt wertvolle Sakralgeräte lagern. Bisher hat sich die kleine Laienbruderschaft in Sachen Einbruchschutz auf die zuständigen Heiligen verlassen, doch nun sollen diese durch moderne Sicherheitstechnik unterstützt werden. Gossec wird vorgeschickt, dann installiert CatSecurity Software und Schließsystem. Doch wenig später taucht ein Versicherungsdetektiv bei Julius auf und stellt unangenehme Fragen: Bei den Josephsbrüdern ist eingebrochen und Kirchenschmuck im Wert von 100.000 Euro erbeutet worden – der Einbrecher hat sich mit einem Badge Eintritt verschafft, der im neuen Sicherheitssystem ausgestellt wurde. Als Gossec auf eigene Faust in der Werkstatt nachschaut, wird er niedergeschlagen. Julius wiederum bekommt unangemeldet Besuch von seinem Bekannten Ludger: Dem Ex-Knacki und anarchistischen Einbrecher verdankt er die Idee zu seiner Sicherheitsfirma, und es ist nicht ganz klar, was der in München vorhat … Wieder einmal erweist sich Max Bronski als großartiger Figuren- und Plotkomponist – ein explosiv-unterhaltsamer Münchner Sommerkrimi. »Max Bronski gelingt es einerseits alltägliche, aber andererseits sehr außergewöhnliche Figuren zu schaffen. Dabei stellt der Autor sich kompromisslos auf die Seite der schwächeren, ausgegrenzten und zutiefst menschlichen Grenzgänger. Bronski lässt seine (Anti-)Helden oft unwirkliche Situationen erleben, seine Figuren an Grenzen stoßen und letztendlich über sich hinauswachsen.« Die Jury des Radio-Bremen-Krimipreises

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Seitenzahl: 166

Veröffentlichungsjahr: 2025

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MAX BRONSKI(Franz-Maria Sonner), geboren 1953 in Tutzing, ist Autor zahlreicher Kriminalromane. 2019 erhielt er den Friedrich-Glauser-Preis für den besten Kriminalroman des Jahres. 2023 wurde er mit demRadio-Bremen-Krimipreis ausgezeichnet. Max Bronski lebt in Hannover.

Edition Nautilus GmbH

Schützenstraße 49a

22761 Hamburg

www.edition-nautilus.de

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Alle Rechte vorbehalten, ausdrücklich

auch die Nutzung dieses Werks für Text- und

Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG

© Edition Nautilus 2025

Deutsche Erstausgabe September 2025

Umschlaggestaltung: Maja Bechert

www.majabechert.de

Satz: Corinna Theis-Hammad

www.cth-buchdesign.de

Porträt des Autors auf Seite 2:

© Peter Frese

1. Auflage

ePub ISBN 978-3-96054-486-9

Inhalt

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»Zusammen mit dem Kampf gegen die langen Arbeitszeiten müßten die Gewerkschaften den Kampf gegen das furchtbar verheerende Saufen führen …«

Gustav Landauer, Aufruf zum Sozialismus

»In der Diskussion tat sich zuerst ein Sachse hervor, (…) der dann in predigerhafter Süßlichkeit (scheußlich! immer fürchterlich sächselnd!) gegen den ›Anarchisten‹ Alkohol wetterte.«

Erich Mühsam, Tagebücher, 12. September 1910

»Ich scheue mich daher nicht, die Bilanz meines Lebens in dem lapidaren Satz zusammenzufassen: Viel erstrebt, wenig erreicht.«

Augustin Souchy, »Vorsicht: Anarchist!« –

Ein Leben für die Freiheit

1

Schlaf oder Bewusstlosigkeit? Wie soll man das wissen? Beide sind sich ähnlich, denn unser Wille hat alle Kontrolle über den Körper verloren. Bei einem wie mir ist das ein Segen, ich hätte sonst in meinen lebhaften Träumen schon alles kurz und klein geschlagen. Denn immer bedeuten sie Kampf, ständig muss ich mich bewähren und dann stehe ich doch wieder vor einem Gericht und muss mir sagen lassen, dass ich alles verbockt habe und es wiedergutzumachen hätte. Dieser Teufelskreis funktioniert wie eine Drehtür: Ich denke, ich bin endlich draußen, weil ich aber nicht loslassen kann, bin ich erneut drinnen.

Deshalb geistere ich als unerlöste Seele umher und weiß nicht, was Leben und was nur Einbildung ist. Meine Widersacher tauchen in stets neuer Gestalt auf, als reiche Säcke, abgefeimte Politiker oder falsche Freunde, manchmal ist es aber nur der Depp von nebenan. Ist auch wurscht, denn in all den Figuren steckt dasselbe: Tod und Teufel, oder was hast du gedacht?

Wenn ich das so weit kapiert habe, flüstert mir eine Stimme ins Ohr, dass das Leben nie ein glatt gebügeltes Tuch sein kann, sondern Falten wirft und sich ausstülpt in seltsame Sphären, die uns umgeben. Zuletzt dachte ich, ich sei endgültig weg, abgeräumt für immer, aber dann beordert mich einer, dem es gegeben ist, über mich zu verfügen, auf das gewohnte Terrain zurück. Eigentlich sollte ich mich mit den großen Problemen und den Fragen nach dem Sinn des Ganzen auseinandersetzen, dann sind mir doch wieder die kleinen Unzuträglichkeiten aufgegeben, ich soll Pflaster kleben, Trost spenden, Schläge einstecken und gut aufpassen, dass die Weißwurst das Zwölfuhrläuten nicht hört.

Wenn das meine Stimme ist, fragst du dich wahrscheinlich: »Was erzählt der denn da? Ist der irre geworden?«

Hilft nichts, lass uns schauen, wie es weitergehen könnte. Wo ein Anfang ist, muss auch ein Ende her.

Jemand schob mir ein Kissen unter den Kopf, dann verschwanden die Bilder und Stimmen.

2

Begonnen hat es wie immer, auch wenn ich schon weitaus Schlimmeres erlebt hatte. Wieder einmal hatte ich meine Nase in die Angelegenheiten anderer gesteckt. Diogenes der Weise hätte gesagt: »Ja, ja, das kommt von das!« So plattgewalzt wie die bösen Buben von Korinth war ich gottlob nicht, aber lag doch ziemlich flach am Boden. Die Übergänge aus dem Schattenreich der Bewusstlosigkeit in die Wachheit sind fließend und unterschiedlich lang, denn viel hängt davon ab, ob man wirklich in die fast immer scharfkantige Wirklichkeit zurückmöchte oder lieber noch im Traum, dem alkoholisierten Dusel oder der schmerzfreien Betäubung verweilen will. Aus der trüben Melange ausgestandener Träume und unsinniger Gedanken fischte ich die zunehmend klarer werdende Erinnerung, dass man mir eins über den Schädel gezogen hatte. Ein großes Licht ist es bei mir nie, aber ein Lichtlein wiedergewonnenen Denkens glomm schon in mir auf. Nun gab es kein Zurück mehr! Frei nach dem Satz eines anderen berühmten Philosophen wusste ich wieder, ich bin, und noch weitaus detaillierter, ich bin es, der soeben in die Welt zurückgekehrt ist.

Ich öffnete die Augen. Schon wieder war es dunkel. Aber das musste an der Tageszeit liegen. Oder an den zugezogenen Vorhängen. Alles tat mir weh, außerdem war mir kühl, kein Wunder, denn man hatte mich auf einem Steinfußboden niedergestreckt. In meinem Kopf pochte ein giftiger Schmerz. Allerdings war er auf ein Kissen gebettet. Unwahrscheinlich, dass ich im Fallen danach gegriffen hatte, um meine Bewusstlosigkeit etwas komfortabler zu gestalten. Auf allen Vieren kroch ich zum Fenster hin und zog mich am Sims hoch.

Als ich den Vorhang beiseiteschob, die hohen Flügel öffnete und den Kopf hinausstreckte, bot sich eine unwirklich schöne Aussicht. Durch den Schleier meiner Benommenheit nahm ich nur Hell-Dunkel-Kontraste wahr, elegische Grautöne mit Lichtpunkten, die von einer undeutlich gezeichneten Corona umgeben waren und sich im Nebligen auflösten.

Wenn der Körper geschunden ist, setzt er wirksame endogene Drogen frei, um die eingetretenen Verluste verschmerzen zu können. Ich kenne das, denn manchmal muss man sich die Wirklichkeit einfach schönsaufen. Im Moment war mir damit jedoch nicht gedient, was ich brauchte, um aus diesem Schlamassel herauszukommen, war robuster Wirklichkeitssinn.

Und der reagierte prompt und lieferte belastbare Informationen: Unten schlängelte sich die Isar. Entlang des Ufers leuchteten wie an einer Kette aufgereiht Grillfeuer. Ein an- und abschwellender Windhauch kräuselte die Baumkronen und blies die Schwaden Richtung Norden in die Stadt hinein. Auch Musikfetzen wurden weitergetragen, sie schienen mal ganz nah und danach wieder fern.

Das Display meines Smartphones zeigte in großen, für meine noch weiche Birne bereits verträglichen Ziffern zehn nach neun. Ein sommerlicher Tag fand in einem lauen Abend seinen gelungenen Abschluss, noch dazu war Wochenende.

Ich legte meinen Kopf auf die steinerne Brüstung, um die Beule an meiner linken Kopfseite zu kühlen. Während es die da unten krachen ließen, hing ich hier oben in den Seilen.

Auch von der Terrasse des Klosterstüberls unter mir drang reges Treiben herauf. Das Klappern von Geschirr und Besteck, das klickende Anstoßen von Biergläsern – Geräuschtupfer in einer Wolke aus unablässigem Murmeln, Raunen, Räsonieren, Gelächter und rechthaberischem Streit.

Der kalte Stein tat meinem lädierten Kopf wohl, und ich begann meine Gedanken zu sortieren. Warum zum Teufel musste ich mich um jedes gottverdammte Problem bemühen, das mir vor die Füße fiel? Eine so zerklüftete Person wie mich versteht nur, wer die Verhältnisse in Waisenhäusern kennt. Das weiche Herz habe ich von Eremberta, einer Armen Schulschwester, die mich zu einem guten Menschen machen wollte. In freierer, nicht religiös gebundener Auslegung darf man sagen, dass ihr das gelungen ist. Ich habe allerdings nie vergessen, wann es an der Zeit war, den ein oder anderen aus der Kinder- oder Erwachsenenhorde zu packen und aufs Kreuz zu legen, um mir Respekt zu verschaffen. Auch der Erzengel Michael konnte das Schwert gut gebrauchen, um helfend einzugreifen. Einen weiteren, nicht geringen Einfluss auf meine Charakterbildung übte – Gott hab’ ihn selig! – Lemmy Kilmister aus, der eine Lebensweisheit auf den Punkt brachte, die ich zwar schon immer in mir getragen habe, aber nie so prägnant auszudrücken wusste: »Gib dich nie mit Arschlöchern ab!« Für diese Spezies habe ich inzwischen einen Blick entwickelt, ich kann sie sofort identifizieren. Wer sie meidet, ist automatisch für das Gute gerüstet. Wenn mein Instinkt dennoch einmal versagt, versuche ich das wieder auszubügeln und mich aufzurappeln. Solange ich dagegen angehen kann, mache ich mich aber nicht mit ihnen gemein.

Zwar waren die Vorhänge zugezogen, aber das Licht anzuschalten, wäre unklug gewesen. Ich hätte auf mich aufmerksam gemacht. Außerdem kannte ich den Raum. Ich tastete mich ab. Meine Habseligkeiten trug ich noch bei mir, allesamt in die bauchigen Taschen des Hoodies mit dem Logo der CatSecurity gestopft, und daher auch die Taschenlampe, die man auf Exkursionen wie diesen besser bei sich trägt. Vorsichtig leuchtete ich den Raum ab. Verdächtiges war nicht festzustellen, ich war allein. Der Raum war weitläufig, früher hatte er den Herbergsgästen der Benediktiner als Speisesaal gedient. Nachdem der Orden nicht mehr genug Mönche zum Erhalt des Klosters stellen konnte, ging es in die Verwaltung der Erzdiözese München und Freising über. Die Verwandlung in einen Restaurationsbetrieb war ein fließender Übergang, jede Biermarke mit Anspruch reklamiert eine klösterliche Tradition für sich, und da man auf nüchternen Magen nicht saufen soll, gesellt sich zwanglos Essbares dazu. Um auch das Spirituelle nicht gänzlich zu vernachlässigen, wurde im ersten Stock eine Begegnungsstätte eingerichtet, in der sich kirchliche Angestellte wie Mesner, Kindergärtnerinnen und Pfarrhaushälterinnen zu achtsamem Austausch trafen. Nach dem vielfach erprobten Vortrag von Dekan Berninger, dem Leiter der Einrichtung, mit dem Thema Beruf und Berufung durften sie gemeinsam in das Klosterstüberl zu geselligem Beisammensein hinuntergehen. Ganz oben im dritten Stock, wo ich mich befand, war die Werkstatt der Josephsbrüder.

Wo zum Teufel blieb Julius?

Ich kenne das Kloster schon von früher her. Damals, als ich mich noch in einer beruflichen Findungsphase befand, arbeitete ich eine Weile lang bei dem Uhrmacher Nowak. Eremberta, die stets um meine Entwicklung besorgt geblieben war, hatte mich bei ihm eingetütet, um mich von der Straße respektive aus dem Englischen Garten zu holen, wo ich meine Zeit totschlug. Nowak schaute auf meine Pratzen und meinte, man könne mich allenfalls zu einem Reparateur für Turmuhren ausbilden. Und die Kapelle von Hohenwartach verfügte über eine solche Uhr, die Nowaks Obhut anvertraut war. Sie war sogar mit einigen Komplikationen wie Monats- und Tierkreisanzeige ausgestattet. Wenn es um dergleichen grobe Arbeiten ging, begleitete ich Nowak bei seinen Reparaturexkursionen. Ich mochte ihn, er verhielt sich auch einem ungeschickten Lehrling wie mir gegenüber sehr anständig. Nach zwei Jahren allerdings bat er mich inständig, von der Laufbahn eines Uhrmachers abzusehen, ich hätte einfach nicht die richtige körperliche Ausstattung dafür. Wenn ich sein Geschäft auf eigenen Wunsch verließe, würde er mir ein hervorragendes Arbeitszeugnis ausstellen. Damit war mir nicht wirklich gedient, aber ich verstand die Nöte meines Lehrherrn.

Der Lichtkegel hatte die Werkbank in der Mitte erfasst. Dort lag ein Gegenstand, der mit meinem Schädel sofort in schmerzhafte Korrespondenz trat: ein Gummihammer, mit dem mir wohl der dumpfe Schlag verabreicht worden war, der mich eine ganze Zeitlang bewusstlos gemacht hatte. Wenn ich auf das Arsenal von Werkzeugen blickte, das in Schlaufen an einer Leiste aufgereiht war, wurde mir klar, dass es deutlich schlimmer hätte kommen können!

War das nun Fürsorge, um mir nicht den Schädel zu zerschmettern? Oder Beißhemmung? Gab es womöglich einen Plan, mich in den Hinterhalt zu locken? Wer auch immer dahintersteckte, ich hatte mich leider wie ein Depp verhalten und es ihm leicht gemacht. Kurz nachdem ich den Raum betreten hatte, huschte ein Schatten an mir vorbei. Ich tauchte sofort nach unten ab und robbte zu einem Schrank, hinter dem ich mich versteckte. Vermeintlich hatte ich alles im Blick. Plötzlich war Bewegung am anderen Ende des Raums, und ich dachte, ich hätte eine Chance, den Unbekannten, hinter dem ich her war, zu stellen. Tatsächlich hatten diese Lichtreflexe nichts mit seiner Position zu tun, ich wurde getäuscht. Ich schlich mich an und glaubte, die dunkle Gestalt packen zu können, dann traf mich der Schlag an der linken Schädelseite, und ich sackte weg.

Der Unbekannte hatte die Flucht ergriffen. Natürlich musste auch ich so schnell wie möglich verschwinden. Ich war in fremde Räume eingedrungen und womöglich von einem aufmerksam gewordenen Beobachter bemerkt worden. Dann hatte man schon längst einen Wachdienst oder die Polizei verständigt, um mich auf frischer Tat zu stellen. Ich schloss das Fenster, um keine unnötigen Spuren zu hinterlassen. Ohnehin war es vergittert und taugte nicht zur Flucht. Abgesehen davon befand ich mich im dritten Stock und meine Kletterkünste hätten selbst mit den notwendigen Hilfsmitteln nicht ausgereicht, mich an der wuchtigen Klostermauer herunterzulassen.

Für solche Wagnisse bestand auch keine Veranlassung, denn in meiner Brusttasche befand sich der Badge, mit dem sich die schwere Holztür automatisch öffnen ließ. Ich zog die Karte durch das Lesegerät, aber die rote LED-Lampe glomm nicht auf, nichts tat sich. Ich wiederholte den Versuch. Wieder gab es kein Signal, die Tür blieb geschlossen. Das System reagierte nicht, es schien meine Karte nicht mehr zu kennen. Was da vor sich gegangen war, konnte ich mir einigermaßen gut vorstellen, denn dieses Schließsystem war von meinem Freund Julius geplant und ausgeführt worden.

3

CatSecurity, die Firma und ihr Know-how, das war in erster Linie Julius Balser. Julius war schon immer mein Freund, deshalb ist es nicht despektierlich, ihn als bislang chronisch erfolglosen Hard- und Softwareschrauber zu bezeichnen. Ein Frickler und Bastler. Schwer zu sagen, wie oft das Glück schon an seine Tür gepocht hatte, aber vermutlich war er dann mit dem Aufbrühen einer Fertigterrine oder dem Einüben von Gitarrenakkorden beschäftigt und konnte nicht öffnen. Auch das langmütigste Glück verlor dann irgendwann die Geduld und brachte seine Gaben anderswohin. Wenn es im Fall von zwei angejahrten Herren nicht so albern klingen würde, könnte man sagen, dass sich mit Julius hervorragend kuscheln ließ. Wenn wir beim Bier zusammensaßen, verflüssigte sich die Härte des Lebens. Wir verstanden uns so gut, dass mir Julius schon den Flaschenöffner reichte, bevor ich diesem Wunsch Ausdruck geben konnte. Natürlich hatte ich mir seinetwegen immer Sorgen gemacht, ein liebenswerter Loser wie er kam schnell mal unter die Räder. Aber dann machte er ausgerechnet im Knast, in seiner bisher schlimmsten Zeit, die Bekanntschaft eines schrägen Vogels, woraufhin sein Leben eine unerwartete Wendung nahm.

Ohne Tita Rockow wäre CatSecurity nicht komplett. Tita wohnte bei mir im Haus im dritten Stock und war, wie man bei uns nicht ohne Respekt sagt, ein Mordsweib. Sie war groß gewachsen, breitschultrig und trug am liebsten Lederjacken und enge Jeans. Der bayerische Mensch ist wuchtigen Frauen durchaus zugeneigt, weswegen er sich seine Bavaria nicht als engelhaft-ephebischen Schutzgeist vorstellen kann, sondern nur als kolossale Bronzestatue, die weithin sichtbar am Rand der Theresienwiese steht.

Wo überall bei Tita Tattoos platziert waren, wusste ich nicht, aber die, die ich gesehen habe, waren eindrucksvoll. Sie bevorzugte den klassischen Stil. Auf ihrem linken Unterarm war ein Anker zu sehen, um dessen Schaft sich eine Kette schlang. Rechts prangte ein dolchdurchbohrtes Herz, so plastisch wie ein pralles Nähkissen, und darunter flatterte ein Spruchband Never again. Wenn Tita zusammen mit Riebl, unserem von Demenzanfällen umnachteten Hausbesitzer, im Hof vor der Garage Motorräder reparierte, sah man vor allem an heißen Tagen, an denen sie ein kurzes Top zu tragen pflegte, an ihre Hüften tätowierte Revolverknäufe, die so aufgebracht waren, als steckten die Waffen schräg im Slip. Normalerweise wurde sie ziemlich ausfallend, wenn ihr jemand in ihre Wartungsroutinen dreinredete, aber Riebl durfte das, sie betreute ihn genauso fürsorglich wie ich, denn ein Hausbesitzer, der den Mechanismus der regelmäßigen Mieterhöhung geistig nicht mehr auf die Kette bekam, war Gold wert.

Tita liebte Katzen, und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Julius ihretwegen seine Firma CatSecurity nannte. Er verehrte sie aus der Ferne. Früher einmal war Tita ein dicker, niederträchtiger Kater namens Dickie ans Herz gewachsen. Dieses Mördervieh hätte ich am liebsten vergiftet, es fauchte, biss und kratzte, wann immer ich auftauchte. Durch eine Klappe in der Haustür konnte er nach Belieben ein und aus gehen. Als er mich im Hof beim Streichen eines Bauernschranks anfiel, gab ich ihm einen derben Tritt. Später hatte ich im Freien immer eine Wasserpistole in Reichweite. Das war dem Frieden zwischen uns nicht gerade förderlich.

Im Alter von sechzehn Jahren starb Dickie, wahrscheinlich erstickte er an seiner Bosheit. Die robuste Tita war außerstande, das Tier, das stocksteif im Flur lag, anzufassen. Also kam ich mit einem Spaten und einem hölzernen Blumenkasten hoch, den ich damals als Oberammergauer Sonderanfertigung etikettiert im Frühlingsangebot hatte, und hob Dickie dorthinein. Das passte, wenn man einmal davon absah, dass seine üblen Krallen auch nach Bedeckung mit Blumenerde noch herausragten. Gut eingepackt in einen Plastiksack, schnallten wir den Sarg auf ihre Triumph Trident und fuhren zum Flaucher hinüber. Dort wurde Dickie unter die Erde gebracht.

Schon Wochen später brachte Tita eine Perserkatze ins Haus, weiß, wollig und konstitutionell grumpy. Tita brauchte wieder Gesellschaft. Ich hatte keine Ahnung, warum sie sich mit Tieren statt Menschen umgab. Irgendetwas musste da vorgefallen sein. Aber ich war gewiss der Letzte, der sie in dieser Hinsicht hätte schulmeistern dürfen, denn bei mir war es nicht wesentlich anders. Mit Katzen hatte ich nichts am Hut, und die einzige Frau, zu der ich eine langjährige stabile Beziehung aufrechterhielt, war die Wirtin meiner Stammkneipe, die jeden Getränkewunsch routiniert erahnte. Außerdem war da ja noch Julius. Man half sich. Wie es das Leben so wollte, lag immer mal wieder einer von uns in der Scheiße. So schlimm war es zurzeit nicht, ich erlebte zwar die übliche brutale Sommerflaute, aber Julius schwamm mit seiner Firma wie ein Fettauge auf der Suppe. Geschäftlich erlebte er gerade seine beste Zeit. Früher hatte er in meinem Kühlschrank geschnorrt, inzwischen spendierte er einen Kasten Bier, wenn wir uns zusammensetzten, um die Weltlage zu diskutieren und den Zeitgeist zu geißeln. Und Geld, das ich eigentlich nicht haben wollte, hatte er mir auch noch zugeschustert.

Vor einigen Jahren waren auch bei Tita noch Männer aufgetaucht, ganz unterschiedliche Typen mit einer Gemeinsamkeit, romantische Motorradcowboys, die sich modisch immer noch an Easy Rider orientierten, oder beinharte Rocker, die mit ihren hartsohligen Stiefeln die Holzstiege hinauftackerten. Doch damit war Schluss, in ihr Bett, sagte Tita, komme jetzt nur noch, was durch die Katzenklappe passe. Die Perserkatze Salome war entgegen ihrem grantigen Aussehen ein sanftes Wesen und sprang jedem Fremden auf den Schoß, um sich streicheln zu lassen. Das war zwar anstrengend, aber friedfertig zu bewältigen. Dabei hieß es doch, Katzen hätten Charakter und wären am liebsten für sich.

Mit Tita hatte Julius einen wirklichen Fang gemacht. Sie arbeitete zwar immer noch freiberuflich als amtliche Betreuerin und vertrat Personen, die nicht mehr in der Lage waren, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, auch Riebl gehörte zu ihren Klienten, sie fühlte sich jedoch dadurch nicht ausgelastet. Körperlich vermutlich. Auch finanziell war sicher einiges auszugleichen. Wenn Mauern aufgestemmt oder Eisengitter aus den oder in die Angeln gehoben werden mussten, war Tita zur Stelle. Außerdem bewältigte sie jedes mechanische Problem bei der Installation von Schließanlagen, gleichgültig, ob es sich um festsitzende Bolzen, rostige Metallteile oder Maurerarbeiten handelte. Julius hatte, wenn es darauf ankam, einiges in der Birne, aber von seiner Statur her war er Tita gegenüber nur ein Weichei mit Bierwampe. Wenn Tita etwas von ihm brauchte, kam er zu jeder Tages- und Nachtzeit. Meist ging es um ihre Website oder ihre Präsenz in den sozialen Medien, wo Tita viel unterwegs war. Vielleicht war sie damit so abgefunden, dass ihr die Kommunikation von Mensch zu Mensch nicht sehr angelegen war. Verbal gab sie nur Stenogramme von sich.

Die Geschichte, derentwegen ich nun in der Klemme saß, hatte vor einigen Wochen begonnen. Ich hatte meinen Trödelladen über Mittag zugesperrt und saß mit einem belaggepolsterten Walnussbrot vom Bäcker Bärnthaler an einem Sonnenplatz im Hinterhof. Dort steht ein ehemals hochwertiger, aus Rattan geflochtener Designerstuhl, dessen Rückenteil so ausladend rund ist, dass er auch unserem unvergessenen Ludwig Zwo als Pfauenthron hätte dienen können. Der Verzehr im Freien war unbedingt anzuraten, denn das Sandwich war mit Salatblättern, Tomate, Gurke und Käse derart dick belegt, dass auch ein Python seinen Unterkiefer hätte aushängen müssen, um das Teil im Ganzen hinunterzuschlingen. Meine Technik, die Brotteile vorne zusammenzukneifen, funktionierte zwar gut, leider rutschte dabei der gesamte Restbelag auf der durch Würzsauce glitschig gewordenen Schnittfläche immer weiter nach hinten, so dass selbst bei größter Umsicht immer etwas auf den Boden fiel oder tropfte. Und diese Sauerei wollte ich nicht in meiner Wohnung oder meinem Laden haben.