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Die beiden Waisenjungen Nick und Packl versuchen stets das Beste aus ihrem Leben zu machen, doch eines Tages haben sie einen genialen Einfall, der ihr Leben für immer verändern soll und ihr verschlafenes Dorf Hunkelstätt in große Aufregung versetzt....
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2021
Hunkelstätt
Der Geist der Villa Rosenstein
Himbeereis mit Schlagsahne
265 Groschen
Der staubige Mann
Die Kaminfegertruppe
Nervenbahnen auf Hochtouren
Die weinende Frau
Räuber auf Raubzug
Schatz unter dem Sofa
Feuer!
Die Kaminangler haben zugeschlagen!
Der falsche Dieb
Ehrenwerte Räuber
Schatzsuche im Mondschein
Im Verließ des Gewissens
Eine Familie
Hunkelstätt war so klein und unbedeutend, dass es auf keiner einzigen Landkarte auftauchte. Manche Leute bezweifeln sogar, dass es überhaupt existiert hat. In den umliegenden Städten und Dörfern erzählten die Bewohner belustigt, dass irgendwo, hinter dem großen Wald, in einem von Flüssen eingeschlossenen Tal dieses verträumte Städtchen liegen würde. Irgendwo, zwischen meterhohen Kiefern und Eichen, würden Rauchschwaden aus den kleinen Kaminen der bescheidenen Häuschen dampfen. Dort draußen, weit entfernt von allen Straßen und Häfen, würde Hunkelstätt schon seit Jahrhunderten vor sich hin träumen. Die Einwohner dieses Städtchens waren keine Unmenschen, doch auf ihre eigene Art ganz besonders.
Es gab kaum junge Leute mehr, die Hunkelstätt Leben einhauchten. Eigentlich gab es nur noch ein paar alte Männer, die streng hinter ihren dicken Brillengläsern die wenigen Kinder beim Spielen beäugten oder alte Frauen, die sich um ihre Kaffeetassen-Sammlung sorgten und diese stolz beim Kaffeeklatsch mit den Dorffrauen präsentierten. Das Einzige, was der Dorfgemeinschaft noch Spaß bereite und ihre Augen zum Leuchten brachte, waren Geschichten und Gerüchte.
Stundenlang saßen die Rentner um den Ententeich, warfen Brotkrümel hinein und flüsterten wichtigtuerisch dem anderen etwas ins Ohr. Hauptsache, man blieb unter sich. Aus diesem Grund war schon seit Jahren kaum jemand mehr nach Hunkelstätt gezogen. Jeder, der auch nur eine Woche in Hunkelstätt verbracht hatte, wollte so schnell es geht wieder seine Koffer packen und mit dem nächsten Zug davon zischen. Doch da der Bahnhof schon lange stillgelegt war, tummelten sich nur noch am Wochenende Besucher und Einwohner auf dem Wochenmarkt und tauschten sich über das Leben abseits von Hunkelstätt aus.
Eines Tages jedoch wurde die Ruhe in Hunkelstätt von zwei kleinen Jungen gestört, die ihr ganz eigenes Leben lebten. Sie kümmerten sich nicht darum, was die Nachbarin oder der Lehrer ihnen sagten. Der eine Junge hieß Nickl und der andere Packl. Sie waren so unterschiedlich vom Äußeren und vom Inneren, dass man nie auf die Idee gekommen wäre, dass sie tatsächlich Brüder seien. Doch das waren sie. Nickl war einer, der sich nicht um Uhrzeiten oder Regeln scherte und über jeden Zaun in der Nachbarschaft kletterte. Ständig war er dabei, auf ein neues Abenteuer zu gehen, eine neue Reise in eine neue, unbekannte Welt anzutreten. Er konnte kaum länger als ein paar Augenblicke ruhig sitzen bleiben. Mit seiner großen Brille mit den dicken Gläsern und den Sommersprossen, sah er schon fast wie ein Bücherwurm aus. Ob er aber wirklich lesen konnte, wusste er, glaube ich, nicht einmal selbst.
Packl das war einer, der bei jedem Knarren der Dielen auf dem Dachboden aufschreckte und sich mit einem Regenschirm bewaffnet, aus dem Staub machte. Er fürchtete alles. Von der Spinne an der Zimmerdecke bis hin zu seinem eigenen Schatten. Ständig stolperte er von einem Bein aufs andere und konnte beim Spielen mit den Nachbarskindern nicht einmal den Ball fangen, ohne ins Taumeln zu geraten. Er war ein richtiger Tollpatsch, dem man lieber keine Tasse in die Hand drückte, da man nicht sicher sein konnte, in wie vielen Stücken sie auf dem Tisch ankamen. Dafür war Packl ein sehr geschickter Kletterer, der auf Bäume und Schuppen mühelos hinaufkam. Anscheinend verlor er seine Unsicherheit, wenn er den festen Boden unter den Füßen verließ. Wenn aber da nicht seine Höhenangst wäre…
Doch auch, wenn sie so unterschiedlich waren, wie es nur sein konnte, passten sie auf sich auf und liebten sich so, wie der andere war. Nichts und niemand auf der Welt konnte sie auseinanderbringen. Nicht einmal der böse Nachbarsjunge Frederik, der immer mit seinem großen, die Zähne fletschenden Hund an ihrem Haus vorbei stolzierte. Seit die Brüder auf der Welt waren, ärgerte und hänselte sie Frederik, wie er es nur konnte. Einmal öffnete er heimlich ihren Gartenzaun und ließ Pollux, seinen Hund, in dem Garten zwischen ihren Fußbällen und Springseilen sein Geschäft erledigen. Er wusste, welch eine Angst Packl vor Pollux hatte und lachte sich auf dem Fußweg dumm und dämlich. Noch dämlicher, als er es sowieso schon war. Frederik war ein so frecher Junge, dass seine eigene Mutter es nicht mehr mit ihm ausgehalten hatte und ihn zu seiner Oma an die Nordsee geschickt hatte. Zumindest erzählten sich das die Nachbarn.
Seit diesem Tag hatten Nickl und Packl ihre Ruhe in Hunkelstätt. Nun waren sie frei und konnten hingehen wohin sie wollten, ohne Angst haben zu müssen. In der Schule waren sie schon lange nicht mehr gewesen. Es gefiel ihnen dort nicht und sie hatten keine Eltern mehr, die es ihnen hätten aufzwingen können. Sie lebten in ihrer eigenen kleinen Traumwelt und ließen keinen Störenfried jemals wieder die wunderbare Ruhe in ihren Köpfen unterbrechen.
Das Einzige, was den Brüdern fehlte, war Geld. Geld ist aber auch ein fieser Kerl, dachten sie sich. Wenn man zu wenig besitzt, hat man Hunger und löchrige Schuhe und wenn man zu viel hat, weiß man nicht, welche Schuhe man kaufen soll. Die Erfindung Geld passte Nickl und Packl so gar nicht in den Kram. Schließlich konnte man Häuser und Schokolade nicht von Blättern oder schönen Blumen kaufen. Man muss sich das Geld verdienen. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Für einen richtigen Beruf waren sie doch noch viel zu klein und dennoch liebten sie es, sich den Bauch mit Erdnusscreme und Zuckerwatte vollzuschlagen, bis ihre Bäuche fast platzten.
Die Geschichte der beiden begann an einem außergewöhnlichen sonnigen Tag. Nickl wurde von dem lauten Klingeln seines rostigen Weckers geweckt und sprang zur Abwechslung direkt aus seinem muckligen Bett heraus und schlüpfte in die alten Wollsocken. Eigentlich ließ er sich sonst nur vom Knurren seines Magens wecken, doch heute mussten die beiden Brüder pünktlicher als die Schulglocke sein. Heute war nämlich Samstag und an einem Samstag ist sogar der friedliche Marktplatz von Besuchern gepflastert. Das war die Gelegenheit, sich ein paar Groschen dazu zu verdienen und gegen Abend mit den Füßen im Teich an einem Eis zu schlecken. Nickl hämmerte gegen Packls Zimmertür. Doch Packl war schon dabei, Brote zu streichen und den grünen Rucksack mit all den Dingen vollzustopfen, die sie zum Geldverdienen brauchten. Einen Drehkreisel, Teddy Dr. Kniffel, die Gartenhandschuhe und eine Blechdose.
Rasch verdrückten die beiden ihre Brote, tranken einen großen Schluck Limonade mit Kakaopulver, das war die Geheimrezeptur von Packl, und machten sich auf den Weg zum Marktplatz.
„Denkst du wir werden heute viel Geld verdienen, Nickl?“
„Natürlich werden wir das, Packl. Mach dir mal keine Sorgen. Ich rieche an allen zehn Fingern den Geruch der Groschen und bald wird jeder Eismann aus Hunkelstätt unsere Lieblingseissorte kennen.“
„Letztes Mal haben wir nur so viele Groschen bekommen, dass wir bei Frau Fessenbustel ein paar Brötchen für die Woche kaufen konnten. Weißt du noch, Nickl? So laut hatte mein Magen in den letzten dreißig Jahren nicht geknurrt!“
„So alt bist du doch noch gar nicht Packl. Und jetzt denk an Vanille Eis mit warmer Schokosoße und einer doppelten Portion Sahne. Dann vergisst du deine Sorgen im Nu.“ „Ich meine ja nur. Ich glaube halt nicht, dass…!“
„Glauben kannst du in der Kirche und wie du weißt, haben wir in Hunkelstätt keine Kirche. Die ist doch vor Jahren beim Unwetter davon gepustet worden. Und die Leute im Dorf glauben nur ihren eigenen Geschichten. Jetzt beweg dich, vom Gedanken machen kriegt man nur Stirnfalten und schlechte Laune.“
Nachdem die beiden ihr Haus verlassen hatten, kamen Nickl und Packl nach einer Weile an der Rosensteinvilla vorbei. Sie war ein altes Landhaus, in der schon seit Jahren niemand mehr gewohnt hatte. Das verfallene Gebäude war von einem riesigen Park umschlossen, dessen Bäume schon lange keinen Schnitt mehr bekommen hatten. Der Boden war von Laub und alten Ästen gepflastert. Das Gras war fast so hoch wie Nickl und Packl. Efeuranken kletterten die Wände bis zum Dach empor und ein paar Ziegel hingen bedrohlich vom Dach hinunter. Vor dem Haus hatte sich eine Kiefer hoch gekämpft und breitete ihre Äste stolz über dem Dach aus. Um das Haus lag eine dünne Nebelschicht. Es war so, als läge die Villa in einer anderen, verborgenen Welt. Sie war abgetrennt vom stillen Leben in Hunkelstätt und nur noch ein totes Gemäuer, in mitten eines uralten Waldes.
Doch die Kinder im Dorf erzählten sich, dass dort hinter den Zäunen, auf der verfallenen Veranda, manchmal der alte Besitzer, Herr Schulzen, in seinem Lehnstuhl sitzt und Pfeife raucht. Gesehen hatten die beiden den alten Herrn noch nie, doch man konnte ja nie wissen, was sich alles hinter altem Stein und unter einem maroden Dach befand. Somit machten sie lieber immer einen großen Bogen um die Villa, um jegliche Begegnungen mit Geistern oder sonstigen Wesen auszuschließen.
Der Weg an der Villa vorbei war umsäumt von dicken Buchen, die schon dort standen, als die Dinosaurier aus ihren Eiern schlüpften. Der Kieselsteinweg war staubig und holprig. Nickl schaute sich vorsichtig um. Über seinen Kopf flogen ein paar Raben, die sich auf den Zaun des Parks setzten. Sie beäugten Nickl eindringlich, zumindest hatte Nickl das Gefühl. Seine Augen streiften auf die Villa und die zerbrochenen Fensterscheiben. Plötzlich sah Nickl einen Schatten im scheibenlosen Fenster. Mit einem Male verschwanden seine Lachfalten und er lief rot an. Das Blut in seinem Kopf wurde heiß und er schrie: „DA HINTEN! LAUF PACKL! LAUF!“
Nickl rannte so schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnten und Packl hinter ihm her. Packls Rucksack tat ihm auf seinen Schultern weh und der Staub den sie aufwirbelten wehte ihnen ins Gesicht. Der Wind peitschte ihnen um die Ohren und fast hatten sie es an der Villa vorbei geschafft. Die alten Bäume schienen ihnen zu folgen und ihre Äste in ihre Richtung aus zu strecken. Es schien ihnen, als wolle der Weg nicht, dass sie weiter kommen. Packl biss sich die Zähne in die Vorderlippe und kämpfte gegen das Brennen in seinen Waden. Plötzlich spürte er etwas an seinem Fuß. Etwas klammerte sich um seinen Schuh. Es riss an seinen Schnürsenkeln. Verbiss sich förmlich in seine Sohle. Mit einem Mal taumelte er, streckte die Hände nach oben und plumps landete er auf dem Boden. Vor seinem Gesicht, krabbelten Ameisen und Kellerasseln vorbei, und der Staub schoss ihm in seine Nase. Auf einmal zwickte und kitzelte es in seinen Nasenhöhlen und mit einem lauten Schrei nießte er den Staub mit voller Kraft wieder heraus. Mit letzter Kraft stützte sich Packl vom Boden ab, befreite seinen Fuß von dem Übeltäter – einer harmlosen und freiliegenden Wurzel - stand auf und taumelte seinem Bruder hinterher in der Hoffnung, er war nicht schon von Herrn Schulzen in den Ofen geworfen worden.
Am Ende des Waldstückes kamen die Brüder zum Stehen. Das Atmen fiel ihnen schwer. Der Staub des Weges lag ihnen im Hals und die Schweißperlen kullerten ihnen die Stirn hinunter. Packl hörte sein Herz hämmern und das Blut pochte in seinen Ohren, gegen das Trommelfell. Er stütze seine Hände in die Oberschenkel und schaute keuchend auf seinen eigenen Schatten hinunter. Sein Körper schien sich wieder zu beruhigen und auch Nickl atmete wieder langsamer und gleichmäßiger.
„Ich…*keuch*…. bin mir sicher: das...*keuch*…das war er! Ich habe seinen Schatten…*keuch*…. ganz genau gesehen. Genau in dem Moment wo wir beiden Pechnasen vorbei spaziert sind, hat er…hat er sich wieder gezeigt“, erklärte Nickl in keuchendem Tonfall. Packl, der immer noch um Luft rang, nickte nur und strich sich die Strähnen aus seinem Gesicht.
„Das war er ganz bestimmt! Vielleicht wollte er die letzten Schokoladenstücke, die in meinem Rucksack sind. Vielleicht wollte er uns auch nur braten und dann mit Limonade und Kakaopulver verspeisen. Vielleicht wollte er auch unsere Beine kochen und einem bösen, feuerspuckenden Gartenzwerg vorwerfen. Vielleicht aber auch hat er es auf Herrn Dr. Kniffel abgesehen und wollte seinen kuschligen Pelz zu einem Winterschal verarbeiten!“
„Ist ja gut! Wir sind wieder in Sicherheit und nun sollten wir schleunigst uns aufmachen. Der Marktplatz wartet auf uns, aber nicht die ganzen Leute, die sich gerade dort tummeln. Ich möchte heute unbedingt ein riesiges Eis essen und das lasse ich mir von keinem Geist der Welt verderben. Komm, Packl, alter Angsthase. Wir lassen uns doch nicht von einem alten Geist den Mut stehlen. Wir suchen uns ein schönes Plätzchen und dann geht’s los.“
Nach wenigen Minuten erreichten die beiden den Marktplatz von Hunkelstätt. Die Sonne schien auf den Springbrunnen, der mitten auf dem Platz Wasser in die Luft spritzte. Die Restaurants hatten ihre Tische und Stühle nach draußen gestellt und Menschen jedes Alters aßen und tranken in der Sonne. Es war einer dieser wenigen Tage, an denen das Leben im Dorf pulsierte und selbst die Ältesten ihren Greul gegenüber den Neuen vergaßen. An diesen Tagen war Hunkelstätt ein beschauliches Örtchen, in das man einen schönen Wochenendausflug machen könnte, wenn man den Ort denn kennen würde. Tauben pickten vom Kopfsteinpflaster Brotkrümel auf und Kinder jagten einem Ball hinterher. Aus allen Ecken und Lokalen strömte Musik heraus und Händler hatten ihre Buden um den großen Brunnen aufgestellt, auf dessen Spitze eine Bronzestatue stand. Angeblich war sie schon tausende Jahre alt und Kaiser Augustus hatte sie persönlich dort aufstellen lassen. Doch dass die Römer sich so viele Kilometer aufmachten, um dann einen Ort wie Hunkelstätt zu erobern, das war sogar Nickl und Packl zu bunt gedacht.