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Das Glück ist manchmal unberechenbar: Der romantische Feelgood-Roman »Die kleine Farbmühle an der Möwenbucht« von Kajsa Arnold jetzt als eBook bei dotbooks. Unverhofft kommt oft … Annalotta staunt nicht schlecht, als sie plötzlich die Farbmühle ihrer geliebten Großmutter erbt. Aber die traditionsreiche Mühle steht an der Ostsee, und Annalotta lebt in Paris – ein Umzug kommt nicht infrage. Daher will Annalotta nur für ein paar Tage an die Lübecker Bucht fahren, um die Mühle zu verkaufen. Doch kaum ist sie in Pelzerhaken angekommen, entwickeln sich die Dinge anders als gedacht. Die Frauen vom Zinoberclub – eine Gruppe leidenschaftlicher Freizeitmalerinnen – wollen den Verkauf der Pigmentmühle mit allen Mitteln verhindern. Und dann ist da noch der ebenso provokante wie attraktive Koch Leonard, der die Mühle für sich beansprucht und auch sonst für gehörig Unruhe in Annalottas Leben sorgt. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Ostsee-Roman »Die kleine Farbmühle an der Möwenbucht« von Kajsa Arnold wird alle Fans von Manuela Inusa und Svenja Lassen begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Über dieses Buch:
Unverhofft kommt oft … Annalotta staunt nicht schlecht, als sie plötzlich die Farbmühle ihrer geliebten Großmutter erbt. Aber die traditionsreiche Mühle steht an der Ostsee, und Annalotta lebt in Paris – ein Umzug kommt nicht infrage. Daher will Annalotta nur für ein paar Tage an die Lübecker Bucht fahren, um die Mühle zu verkaufen. Doch kaum ist sie in Pelzerhaken angekommen, entwickeln sich die Dinge anders als gedacht. Die Frauen vom Zinoberclub – eine Gruppe leidenschaftlicher Freizeitmalerinnen – wollen den Verkauf der Pigmentmühle mit allen Mitteln verhindern. Und dann ist da noch der ebenso provokante wie attraktive Koch Leonard, der die Mühle für sich beansprucht und auch sonst für gehörig Unruhe in Annalottas Leben sorgt.
Über die Autorin:
Kajsa Arnold wurde im Sternzeichen Schütze in Essen geboren. Bevor sie mit dem Schreiben ihrer Geschichten beginnt, entwirft Kajsa zusammen mit ihrer Tochter die Cover und erweckt so ihre Hauptfiguren zum Leben. Kajsas eigenwillige Heldinnen danken es ihr, indem sie regelmäßig die Bestsellerlisten erklimmen.
Kajsa Arnold veröffentlichte bei dotbooks »Die kleine Farbmühle an der Möwenbucht« – das Hörbuch ist bei SAGA Egmont erhältlich.
Die Website der Autorin: kajsa-arnold.de/
Die Autorin im Internet: instagram.com/kajsa_arnold_autorin/ und facebook.com/Autorin.Kajsa.Arnold
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eBook-Neuausgabe August 2023
Copyright © der Originalausgabe 2023 by Kajsa Arnold & SAGA Egmont, Kopenhagen
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Marek Pietroń und Marie Becker/Wolkenart.com unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-98690-739-6
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Kajsa Arnold
Die kleine Farbmühle an der Möwenbucht
Ein Ostsee-Roman
dotbooks.
Für die, die mir am liebsten sind.
Marie-Katharina, Maximilian Michael, Joshua Rouven,
Fynn-Elias, Jorid Pauline und Greta Maja
Es ist nicht wichtig, welchen Weg du gehst,
sondern mit wem du ihn gehst.
Sonnenstrahlen, die flirrend durch das Wasser brachen, blendeten Annalotta. Es war angenehm warm, nicht zu heiß.
Wie hatte sie das alles vermisst. Das Meer mit seinem typischen Duft und vor allem diese Stille, die nur vom Geschrei der Möwen unterbrochen wurde. Und Möwen gab es hier eine Menge. Dachte Annalotta an den Strand von Pelzerhaken, tauchte vor ihrem inneren Auge daher automatisch die Möwenbucht auf – diese Krümmung ganz am Ende der Küstenlinie, auf der Höhe der Wetterstation. Dort wo die kleine Farbmühle ihrer Großmutter stand.
Tief atmete sie ein, sog die Gerüche und Geräusche der Ostseeküste in sich auf. Hier gehörte sie hin. Aber auf irgendeine Art und Weise schien sie das in letzter Zeit verdrängt zu haben. Oder sie hatte es einfach nur vergessen. Sechs lange Jahre war sie nicht mehr hier gewesen. Und nun war sie nur für einige wenige Tage an die Ostsee zurückgekehrt. Schade eigentlich.
Der Schrei einer Möwe ließ Annalotta zusammenzucken. Noch einmal ließ sie den Blick über die Bucht gleiten. Ja, all das hier fühlte sich wie Heimat an, aber dann auch wieder nicht. Warum war sie vor sechs Jahren überhaupt gegangen? Der Grund dafür schien inzwischen so immens weit weg. Alles war ihr hier zu eng geworden. Dabei gab es eine unendliche Weite, doch das hatte ihr nicht gereicht. Sie hatte die große Welt sehen wollen. In einer Metropole leben, mit schönen Menschen, Kultur und Eleganz. Doch was hatte sie bekommen?
Die kultivierten Pariser waren unter sich geblieben. Sie hatte als Bedienung arbeiten müssen, um die Miete zahlen zu können, und ihr Freund hatte sie verlassen. Keine sehr reiche Beute.
Annalotta blickte zu ihrem VW-Käfer hinüber. Ein Wunder, dass die alte Karre den langen Weg von Paris bis an die Ostsee überhaupt geschafft hatte. Aber auf den Mistkäfer, wie sie ihn liebevoll nannte, weil sein roter Lack schon ganz stumpf war und die Rostflecken schwarzen Punkten glichen, war bisher immer Verlass gewesen. So auch diesmal.
Als sie nach der langen Fahrt quer durch Frankreich und Deutschland schließlich bei der Lübecker Bucht angekommen war, hatte sie das Sonnendach aufgekurbelt. Das Wetter war so schön gewesen und es hatte Spaß gemacht, die Autobahn zu verlassen, um die von gelben Rapsfeldern gesäumte Straße entlangzufahren, während sie dem Zirpen der Grillen und dem Rattern des Motors zuhörte.
Sie war bewusst langsam gefahren, um sich alles genau anzusehen, was sie hinter sich gelassen hatte. Wie sehr man etwas vermisste, hing schließlich nicht davon ab, wie lange man es nicht gesehen hatte, sondern wie tief es ins Herz gegraben war. Und die Ostsee war sehr tief in ihrem Herz verankert. Wie ein alter ausgedienter Fischerkutter, der jetzt vor Anker lag, fest vertäut am Kai. Nicht mehr auf großer Fahrt, aber immer noch da.
Von der Promenade aus lief Annalotta zum Strand hinunter. Zur Rechten lag der Hundestrand und Gebell war zu hören. Man sah zwei Hunde, die miteinander spielten, und den Möwen nachjagten, die sie natürlich nicht zu fassen bekamen. Ihre Besitzer unterhielten sich angeregt und Annalotta war wieder einmal erstaunt darüber, wie einfach es offenbar war, als Hundebesitzer Kontakte zu knüpften. Ihr war es immer schwergefallen, auf andere zuzugehen. Sollte sie sich vielleicht auch einen Hund zulegen, obwohl ein Tier Zeit benötigte, die sie nicht hatte?
Am Strand angekommen, lief Annalotta zum Wasser hinunter und blickte auf das Meer hinaus. Sie musste mit der Hand die Augen abschirmen, so intensiv war das Licht, das sich in den Wellen spiegelte.
Der Himmel war wolkenlos und zu dieser frühen Stunde waren nur wenig Touristen unterwegs. Viele lagen noch in den Betten, schließlich hatten sie ja Urlaub, da musste man nicht früh aus den Federn. Die Bewohner von Pelzerhaken hatten Glück: Sie wohnten dort, wo andere Menschen Urlaub machten.
Tja, dachte Annalotta. Sie hatte auch hier gelebt und war doch in die Welt aufgebrochen. Jetzt war sie für wenige Tage zurück. Ein bisschen älter, aber auch klüger? Da war sie sich nicht sicher. Zumindest ohne Abschluss. So viel stand fest.
Nachdem sie durch die Prüfung gefallen war und den Abschluss an der Kunstakademie verpasst hatte, hatte jener Anruf sie erreicht, der sie zurück an die Ostsee gebracht hatte. Nun war sie wieder hier und keinen Deut weiter als zum Zeitpunkt ihres Aufbruchs. Unwillkürlich seufzte sie, um gleich darauf tief einzuatmen. Der Geruch des Meeres war etwas, das sie in Paris wirklich vermisst hatte. Manch einer mochte das Gesicht verziehen, wenn die Algen sich am Strand sonnten. Doch für sie war dieser Geruch gleichzusetzen mit Chanel No.5 oder Aromatics Elexir – ihre beiden Lieblingsparfüms, weil sie so unverwechselbar waren.
Sie warf noch einen letzten Blick auf die glitzernde Pracht. Genug für heute. Sie musste sich um wichtige Dinge kümmern. Ihr blieb noch genügend Zeit, um den Strand zu erkunden, bevor sie zurück nach Paris fuhr. Jetzt sollte sie erst einmal auspacken.
Sie wandte sich um und wäre um Haaresbreite mit einem Jogger zusammengestoßen.
»Hoppla! Sie müssen schon aufpassen, wo Sie hinlaufen, oder schlafen Sie noch?«, sagte er. Glücklicherweise hielt er sie an den Armen fest, sonst wäre Annalotta gestürzt. Kaum hatte sie das Gleichgewicht zurückerlangt, ließ er sie los und lief weiter.
»Warum muss ich aufpassen?«, rief sie ihm hinterher.
Er drehte sich im Laufen um. »Weil Tagträumer zwar nette Menschen sind. Aber worauf es letztlich ankommt, ist die Realität«, erwiderte er mit einem Lächeln, das ganz schön überheblich wirkte.
»Vollhonk«, murmelte Annalotta und wandte sich ab. Sie stieg die Treppen hoch und wieder in ihren Mistkäfer, um die letzten Meter bis zum Haus zu fahren.
Zum Leuchtturm – in dieser Straße hatte ihrer Großmutter gewohnt. Hier stand das kleine Haus, in dem Annalotta ihre Kindheit verbracht hatte. Hier war sie großgeworden, hier hatte ihre Familie gelebt, auch wenn diese Familie im Grunde nur aus Isolde bestanden hatte – ihre Großmutter mütterlicherseits. Und nun war Isolde mit achtzig verstorben.
Annalotta war bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Und sie war ihr stets mehr verbunden gewesen als ihrer leiblichen Mutter, Nadine. Ihre Großmutter war eine liebevolle Frau gewesen und hatte nie verstanden, warum Nadine das eigene Kind eines Tages ohne ein Wort verlassen hatte. Vermutlich hatte Nadine ihre Tochter als Belastung empfunden. Im Gegensatz zu Isolde, die Annalotta mit offenen Armen willkommen geheißen hatte. Ihre Großmutter war der Grund, warum Annalotta an die Ostsee zurückgekehrt war. Zu ihrer Beerdigung.
Ihr letzter Kontakt war ein Telefonat gewesen. Isolde hatte immer Briefe nach Paris geschrieben. Sie bevorzugte die althergebrachte Art, zu kommunizieren – ein Umschlag mit Briefmarke. Dabei hatte sie doch ein Handy besessen. Nach jedem Brief hatte Annalotta bei ihrer Großmutter angerufen. Zum Schreiben fehlte ihr die Zeit. Neben dem Studium hatte sie in einem Bistro gejobbt. Sie musste ja von etwas leben und die Miete bezahlen, für die Wohnung, in der sie und Pierre lebten. Telefonieren ging schneller, als umständlich einen Brief zu schreiben. Doch sie hatte alle Briefe von ihrer Isolde aufgehoben. Eine schöne Erinnerung, für die sie jetzt sehr dankbar war.
Als sie von Isoldes Tod erfuhr, hatte sie kurzerhand einen Koffer gepackt und war an die Ostsee aufgebrochen. Nicht einmal von Pierre hatte sie sich verabschiedet. Warum auch? Schließlich hatte er sie ein paar Tage zuvor aus der gemeinsamen Wohnung geworfen. Immerhin bezahlte sie nun nicht mehr die Miete, das musste er jetzt ganz allein.
Pierre hatte es nicht für notwendig erachtet, zusätzlich zu seinem Kunststudium zu arbeiten. Schließlich hatte das ja Annalotta erledigt. Jetzt blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Oder er hatte sich eine andere Frau gesucht, die für seine Kosten aufkam. Wieso hatte sie ihn nicht früher durchschaut?
Mit einem Seufzer hielt Annalotta vor dem Haus mit dem leicht schiefen Vordach. Ihre Gedanken kehrten zu den tränenreichen Stunden zurück, die auf die Nachricht von Isoldes Tod gefolgt waren. Ja, sie hatte geweint, ihr war das Herz schwer, doch reichte das aus? Sie konnte diese Trauer nicht wirklich fühlen. Aber wie fühlte sich richtige Trauer überhaupt an? Annalotta hatte noch nie einen Menschen verloren, sie wusste es einfach nicht. Jeder kannte sich mit Wut, Freude, Kummer und Liebe aus … aber Trauer?
Das kleine Gartentor quietschte immer noch vergnügt vor sich hin, wenn man es öffnete – genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Man konnte es ölen, sooft man wollte, kurze Zeit später quietschte es wieder. Wie oft hatte Isolde sich darüber geärgert. Der Vorgarten war ein wenig verwildert, doch das lag daran, dass die Ärzte Isolde nach ihrem Herzinfarkt verboten hatten, sich anzustrengen. Auch ihre Farbmühle hatte sie nicht mehr ohne Hilfe betreiben können, zumindest in der letzten Zeit nicht mehr. Dafür hatte sie einen jungen Mann eingestellt, der sich um alles kümmerte.
Nun war Annalotta zurück, um sich um die Abwicklung von Isoldes Angelegenheiten zu kümmern. Es war ihr merkwürdig leichtgefallen, Paris zu verlassen, auch wenn sie diese Stadt sehr mochte. Aber das große Glück hatte sie dort nie gefunden – und die Liebe ihres Lebens erst recht nicht. Auch mit Pierre war es letztlich nur eine kleine Liebelei gewesen, zumindest von seiner Seite aus. Und Annalotta war sich auch nicht sicher, ob sie ihn wirklich geliebt hatte.
Liebe – das war etwas für Menschen, die damit aufgewachsen waren. Menschen, die von Anfang geliebt wurden und diese Liebe später weitergaben. In Paris hatte niemand ihre Liebe gewollt, daher behielt Annalotta sie für sich. So war es besser.
Sie blickte ohne Schmerz auf ihre letzte Zeit in Paris zurück. Diese war schön gewesen, trotz der Probleme mit Pierre und der missglückten Prüfung. Und genau deshalb war Annalotta auch fest entschlossen, nach Frankreich zurückzukehren. Sie musste das Studium zu Ende bringen, damit sie etwas vorweisen konnte und die letzten Jahre nicht umsonst gewesen waren. Auch gab es Yvette und Anaiis, ihre beiden Freundinnen, die sie gerne wiedersehen würde. Mit ihnen zusammen hatte sie die Gäste in dem kleinen Bistro bedient. Und nachdem mit Pierre alles vorbei war, hatten die beiden ihr Unterschlupf in der gemeinsamen WG gewährt.
Ja, dachte Annalotta. Sie musste sich dringend klar darüber werden, wie ihre Zukunft aussehen sollte. Doch erst einmal musste sie Isoldes Beerdigung hinter sich bringen, bevor sie ihr neues Leben in Angriff nahm. Es gab eine Menge zu organisieren, das war im Augenblick wichtiger. Paris würde auf sie warten, da war sie sich sicher.
***
Ohne anzuklopfen, betrat Annalotta wenig später das Haus. Isolde hatte die Tür nie abgeschlossen. Im Ort kannte man sich und alle Nachbarn hatten gewusst, dass sie bei Isolde stets willkommen gewesen.
»Annalotta, bist du es?«
Der Klang dieser wohlvertrauten Stimme, die immer leicht kratzig wirkte, öffnete ihr das Herz. Plötzlich stand eine kleine rundliche Frau im Türbogen und schaute Annalotta mit wachen blauen Augen an. Eloise Johannson ging schon fast auf die achtzig zu, sah aber kein Jahr älter als Mitte sechzig aus. Sie war Isoldes beste Freundin gewesen und hatte Annalotta über den Tod ihrer Großmutter informiert.
»Annalotta?«, fragte Eloise jetzt leise und hielt sich am Türrahmen fest. »Was machst du denn hier? Wie hast du es so schnell an die Ostsee geschafft?«
»Ich bin die ganze Nacht durchgefahren, Eloise«, wisperte sie und im nächsten Moment lagen sich die beiden Frauen in den Armen.
Es war ein Nach-Hause-Kommen. Annalotta spürte Eloises tröstliche Umarmung, die frische Meeresbrise und diesen unendlich vertrauten Geruch nach Sommer und Meer. Alles roch genau so wie früher in ihrer Kindheit und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte.
Über Eloises Schulter hinweg erhaschte sie einen Blick auf das sommerlich-bunte Farbspektakel, das all ihre Sinne in Beschlag zu nehmen schien. Es war, als würde das Gelb der Rapsfelder ihr in die Nase steigen und sich dort ausbreiten, während das Blau der Ostsee vor ihren Augen schimmerte und das Violett der Löwenmäulchen, die im Garten wild vor sich hin wucherten, um ihren Kopf schwirrte. Die Wärme der Sonne, die Liebe, die unsichtbar im Raum hing, und das Gefühl, willkommen zu sein, schimmerten wie rote Rosen in der Sommerhitze.
»Mein Kind, du bist zurückgekommen«, sagte Eloise leise und strich ihr über die langen blonden Locken, so wie ihre Großmutter es früher immer getan hatte.
»Oh Eloise, ich habe dich so vermisst.« Nun vergoss sie doch ein paar Tränen, sie wollten einfach heraus, ließen sich nicht bändigen. Sie rannen ihr die Wangen hinunter und Annalotta schämte sich nicht dafür.
»Ein Glück, dass du endlich hier bist«, meinte Eloise und schüttelte den Kopf, als könnte sie es noch immer nicht fassen, Annalotta zu sehen.
Annalotta bekam einen Anflug von schlechtem Gewissen. Vielleicht hätte sie Eloise doch Bescheid geben müssen, wann genau sie ankommen würde. Es war purer Zufall, dass sie sich hier im Haus trafen.
»Warum hast du nicht angerufen?«, fragte Eloise prompt und sah Annalotta strafend an, lächelte aber dabei.
»Nach dem Telefonat mit dir habe ich sofort meine Sachen gepackt und bin losgefahren. Ich hätte Isolde nicht allein lassen dürfen. Das ist mir jetzt klar geworden. Ich komme zu spät und das macht mir das Herz schwer. Ich frage mich, warum bin ich nicht eher gekommen? Man denkt immer, es wäre noch genug Zeit. Aber wenn diese Zeit abgelaufen ist, bereut man so viel.«
»Nicht doch. Das Leben ist seinen Weg gegangen und du musstest deinen gehen. Das ist ganz normal und richtig so.«
»Es war zu schnell, ohne Vorwarnung. Mir kommt es unbegreiflich vor, dass Isolde fort sein soll. Irgendwie warte ich die ganze Zeit darauf, dass sie hereinkommt, uns ihre neuste Teekreation vorsetzt und darauf besteht, dass wir sie probieren. Aber das wird natürlich nicht passieren. Ich war fort und nun komme ich zu spät und Isolde ist nicht mehr da. Es tut mir so leid. Das werde ich mir nie verzeihen können.« Das schlechte Gewissen, das an ihr nagte, seit sie vom Tod ihrer Großmutter erfahren hatte, sprach aus ihr.
Eloise schüttelte den Kopf. »Isolde hat ihr Leben gelebt und es war ein erfülltes Leben. Es gibt keinen Grund zu trauern, hat sie immer gesagt, wenn jemand ging. Ich denke, wir sollten uns ihrem Wunsch fügen.«
»Sie hat sich selbst nie so wichtig genommen, dafür war sie der wichtigste Mensch für mich«, erwiderte Annalotta. »Es ist schrecklich, sie verloren zu haben. Aber ich verspüre keine wirkliche Trauer, weil ich nicht weiß, wie sich das überhaupt anfühlt. Sie fehlt mir so sehr, Eloise.«
»Du solltest dir nicht zu viel Druck machen, Kindchen. Wenn es um Trauer geht, dann gibt es kein Richtig oder Falsch. Jeder trauert doch auf seine Weise. Ich verstehe dich sehr gut, Annalotta. Mir fehlt meine beste Freundin auch. Doch ich habe gelernt, mit Verlusten umzugehen. Das musste ich auch. Denn inzwischen habe ich schon einige liebe Menschen an den Tod verloren«, erklärte Eloise in ihrer pragmatischen Art.
»Wann ist die Beerdigung?«
»Morgen Mittag. Danach werden wir einiges zu ordnen haben. Das Haus sollte ausgeräumt werden, damit du es verkaufen kannst. Dann gibt es noch die Mühle. Aber darum kümmern wir uns, wenn es an der Zeit ist. Jetzt pack erst einmal aus. Wie lange wirst du bleiben?«, fragte sie und ihre Augen funkelten aufgeregt, als sie Annalotta ansah.
Annalotta hob die Schultern. »Ich weiß noch nicht genau. Solange ich hier gebraucht werde. Ich denke, in Paris gibt es momentan niemanden, der mich allzu sehr vermisst.«
Eloise schlug sich die Hand vor den Mund. »Du hast dich also von diesem Pierre getrennt?«
Annalotta nickte nur. Sie wollte nicht daran denken, es war kein schönes Gefühl. Der Schmerz würde bald weniger werden, das war ihr klar, doch im Moment war die Wunde noch zu frisch. Wieder jemand, der ihre Liebe nicht wollte. »Es war keine große Sache«, sagte sie leise. Von dem Fiasko als Malerin wollte sie gar nicht erst reden. Dafür war später noch Zeit. Eine schlechte Nachricht reichte erst einmal.
»Wir werden später darüber sprechen. Komm, ich mache uns einen Kaffee.« Eloise nahm ihre Hand und zog Annalotta mit erstaunlicher Kraft in Richtung Küche.
Unwillkürlich musste Annalotta lächeln. Alles war wie immer. Sie war wieder zu Hause angekommen und fühlte sich gut dabei. Nur eines lag ihr schwer auf der Seele. Sie hätte Pelzerhaken niemals verlassen dürfen, dann wäre Isolde nicht allein gestorben.
Sie hatte zu lange damit gewartet, zurückzukehren. Und jetzt war es zu spät. Nicht alles im Leben konnte man wiedergutmachen.
Leonard wuchtete den Karton aus dem Kofferraum seines Vans und trug ihn in die Küche. »So, das ist der letzte. Pack ihn in der Kühlkammer aus und verstaue das Gemüse in die Regale«, wies er Finn, den Azubi, an, der beflissen nickte.
»Sofort, Chef«, rief der junge Mann gut gelaunt.
»Du sollst mich nicht immer Chef nennen«, erklärte Leonard ernst.
»Klar, Boss. Mache ich, Boss.« Mit einem Grinsen auf den Lippen schnappte Finn sich den Korb und brachte ihn laut pfeifend in die Kühlkammer.
Lachend schüttelte Leonard den Kopf. »Was für ein Typ«, murmelte er vor sich hin.
»Wer?«, wollte Henning wissen, der gerade zur Tür hereinkam.
»Finn, er ist ein Clown, wusstest du das? Er könnte mit seinen Späßen auch im Zirkus auftreten.«
Henning schüttelte den Kopf. »Dafür kocht er viel zu gut. Den lasse ich nicht mehr gehen. Hast du schon seine Bouillabaisse probiert? Die ist wirklich der Hammer.«
Erstaunt blickte Leonard auf. »Er ist im ersten Ausbildungsjahr.«
»Kochen ist eine Kunst. Entweder man kann es oder nicht, Leo.« Henning blickte ihn vielsagend an.
»Sieh mich nicht so an, als könnte ich es nicht. Zwar bin ich nicht der Sternekoch hier, aber dennoch führe ich ein hervorragendes Restaurant. Und für die tadellose Leitung hätte ich einen Stern verdient.«
»Ja, weil ich koche und nicht du.« Henning grinste breit.
»Sei nicht immer so ein Angeber. Ohne meine ausgezeichneten Kalkulationen wäre dieser Laden schon lange pleite.«
»Und wer ist jetzt hier der Angeber?«, fragte Henning nach und schnappte sich einen Apfel aus dem Obstkorb, rieb ihn an seinem T-Shirt sauber und biss herzhaft hinein. »Wir haben morgen eine Trauergesellschaft. Ungefähr zwanzig Personen.«
»So? Wer ist denn gestorben?«
»Isolde Herzog. Du weißt doch, die ältere Dame, der die Mühle an der Möwenbucht gehört.«
Leonards Augen wurden groß. »Was? Isolde? Mit ihr habe ich doch noch vor einer Woche über den Kauf der Mühle verhandelt. Sie ist gestorben? Wann?«
»Am vierten Juni. Morgen ist die Beerdigung und das Kaffeetrinken findet bei uns statt.« Dann wechselte Henning das Thema: »Du willst also nach wie vor die Mühle kaufen?«
Leonard ging hinüber in den Restaurantbereich und zog sich hinter der Theke einen Espresso. »Ja, es wäre die perfekte Location für ein Eventrestaurant. Du warst doch einverstanden, dass ich mir etwas Eigenes suche.«
»Das bin ich ja auch. Ich bin nur überrascht, dass du so schnell Nägel mit Köpfen machst.« Henning nagte an dem Apfel.
»Das müssen wir jetzt auch. Wenn Isolde verstorben ist, wird die Mühle wohl bald zum Verkauf stehen. Sie hat dem Vertrag mit mir zugestimmt. Ich werde mich also schnellstmöglich mit den Erben treffen müssen, damit es keine Komplikationen gibt. Ich will diese Mühle unbedingt. Für den Ort wäre es ein riesiger Verlust, wenn sie dem Bau von teuren Ferienwohnungen weichen müsste. Sie gehört doch hierher.«
Henning hob die Schultern und warf den Kern in den Bioabfall. »Das hier ist ein Urlaubsort, er lebt vom Tourismus und die brauchen Wohnungen.«
»Die Urlauber wollen aber auch essen und wenn ich bemerken darf, nicht nur die Urlauber, die Einheimischen ebenfalls. Solch ein Eventrestaurant wird zusätzlich auch noch neue Urlauber anziehen. Es wäre ein Gewinn für die Region.«
Henning winkte ab. »Du hast ja recht und ich bin auf deiner Seite. Du solltest mit Eloise Johannson sprechen. Sie kümmert sich um die Beerdigung. Vermutlich ist sie auch die Person, die die Mühle geerbt hat.«
»Waren die Frauen denn verwandt?«, wollte Leonard wissen.
»Keine Ahnung. Vielleicht hat Isolde ihr die Mühle vermacht, die beiden Frauen waren wie Schwestern. Aber das wirst du sicherlich herausfinden.«
Leonard fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar und nickte. Er und Henning waren erst vor knapp drei Jahren nach Pelzerhaken gezogen. Ursprünglich kamen sie aus Hamburg, aber inzwischen hatten sie sich hier gut eingelebt. Er hoffte, beim Kauf der Mühle würde es keine Schwierigkeiten geben. Doch die Aussicht auf eine Verhandlung mit einer älteren Dame verhieß nichts Gutes. Diese waren oft eigensinnig, das hatte Leonard schon oft erlebt, wenn es Schwierigkeiten im Restaurant gab. Sie hatten ihren eigenen Kopf und gaben selten nach. Aber er würde es schon schaffen, Eloise Johannson um den Finger zu wickeln. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass sein charmantes Grinsen ankam, auch wenn er nur mit den Frauen spielte. Oder es wirkte gerade deshalb, weil er es nicht ernst meinte und die Frauen das sofort erkannten. Daher wussten sie, dass sie auf sein Flirtspiel eingehen konnten, ohne dass sich etwas Ernstes daraus entwickeln würde.
Denn das Letzte, was er wollte, war eine ernsthafte Beziehung. Er würde sein Herz nur noch einmal verschenken. Und nur dann, wenn er sich ganz sicher war, dass diese Frau es auch wirklich wert war.
Schnell trank Leonard den Espresso aus. Die Infotafeln für die Tagesgerichte mussten vorbereitet werden. Er war neugierig, was sein Bruder sich für den heutigen Tag ausgedacht hatte. Dann musste er sich einen Überblick darüber verschaffen, welche Tische reserviert waren. Die Anmeldung größerer Gruppen würde eine neue Anordnung der Tische erfordern. Es gab also eine Menge zu tun.
Auch wenn er sehr eingespannt war, würde er morgen auf jeden Fall zur Trauerfeier von Isolde gehen, das war er ihr schuldig.
Allerdings war das nicht der einzige Grund, warum er sich dort sehen ließ. Leonard wollte die Erben kennenlernen. Er wollte schauen, mit wem er zu verhandeln hatte und wie seine Chancen standen, die Mühle zu kaufen.
Die Ideen in seinem Kopf waren schon weit fortgeschritten und er wollte sich dieses Geschäft nicht durch die Lappen gehen lassen. Vielleicht hatte er Glück und konnte schnellstmöglich den Vertrag unter Dach und Fach bringen. Eventuell direkt nach der Trauerfeier. Viele Erben würden ein Hindernis darstellen, besser wäre, wenn es nur einen Erben gab. Isolde hatte nie jemanden erwähnt. Aber er kannte sie auch nicht sehr gut. Sie hatten immer nur über die Mühle gesprochen. Also war er gespannt, was ihn morgen erwarten würde.
Der frühe Vogel fängt den Wurm, so sagte man doch, oder nicht? Außerdem würde sein Interesse daran, die Mühle nach Wunsch der verstorbenen Isolde zu erhalten, die Erben sicher überzeugen. Sein Ziel wirkte zum Greifen nah.
Eloise war eine kleine Frau. Auch Annalotta war nicht gerade eine Riesin, doch Eloise reichte ihr nur bis zur Schulter. Was ihr jedoch an Körpergröße fehlte, machte sie mit Durchsetzungskraft wett. Es gab wohl nichts, was Eloise nicht bewältigte. Außer vielleicht den richtigen Mann zu finden, aber da stand Annalotta ihr in nichts nach. Vielleicht lag ja ein Fluch auf ihnen. Der Fluch der Möwenbucht – wäre doch eine Möglichkeit.
»Du willst also wieder hier leben?« Eloise hatte zwei Tassen Kaffee aufgebrüht, richtigen Filterkaffee, wie früher, mit der Hand aufgeschüttet. Isolde hatte diesen neumodischen Maschinen nichts abgewinnen können, auch wenn sie ihr das Leben sehr erleichtert hätten, doch sie hatte immer ihren eigenen Kopf, daher gab es auch keine Kaffeemaschine in ihrem Haushalt.
»Ich bin erst einmal hier, um alles zu regeln. Dass ich bleiben werde, davon war nie die Rede«, erklärte Annalotta.
»Das ist wirklich eigenartig«, murmelte Eloise vor sich hin.
»Was ist daran denn eigenartig?«, fragte Annalotta neugierig, ließ sie dabei nicht aus den Augen.
Eloise schaute sie mit einem merkwürdigen Blick an und meinte nur: »Es kehrt alles irgendwann zu seiner Bestimmung zurück.«
Annalotta hatte keine Ahnung, wie sie das meinte. »Ja, vielleicht«, bestätigte sie deshalb nur mit einem Nicken. Außer meine Liebe, setzte sie in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus. »Kann ich mein altes Zimmer zurückhaben?«
Ein Lächeln erhellte das Gesicht von Eloise. »Natürlich. Es ist noch alles so, wie du es verlassen hast. Es hat hier auf dich gewartet. Isolde wollte es nicht ausräumen, weil sie wusste, dass du irgendwann zurückkommst. Aber das gesamte Haus wird jetzt dir gehören. Du kannst dir ein Zimmer aussuchen.«
Annalottas Blick streifte durch die Küche und sie musste feststellen, dass sich wirklich nichts verändert hatte. An den Wänden hing immer noch die gleiche Blümchentapete, mit den Lavendelapplikationen, die sie als Kind ziemlich altmodisch gefunden hatte. Die Tapete war mittlerweile ein wenig vergilbt. Heute gefiel sie Annalotta. Sie passte zu dem Haus, zu Pelzerhaken, zu Isolde. Und vielleicht auch zu ihr? War sie etwa genauso altmodisch und passte besser hierher, als sie zugeben wollte? Kaum war sie eine Stunde im Norden, fühlte sie sich, als wäre sie nie weggewesen. Alles war so vertraut. Das hatte doch etwas zu bedeuten. Die Alltäglichkeit ihrer Umgebung gab ihr ein gutes Gefühl. Es umhüllte sie wie ein Kokon.
»Was hast du nun vor?«, fragte Eloise und sammelte ein paar imaginäre Krümel vom Tisch auf.
»Ich werde zurück nach Paris gehen, wenn ich hier alles erledigt habe, obwohl ich das Kunststudium abgebrochen habe«, sagte sie frei heraus und seufzte. »Ich bin durch die Prüfung gefallen und mein Professor hat mich vor allen lächerlich gemacht. Das war nicht einfach zu verdauen. Ich werde mich neu orientieren müssen. Vielleicht könnte ich in einer Galerie arbeiten – oder etwas ganz anderes machen. Hauptsache, ich verdiene genug, um davon zu leben. Eine Weile wird es sicher dauern, bis ich genug Kraft gesammelt habe, um das Studium wieder aufzunehmen.«
»Warum arbeitest du nicht als Malerin? Isolde hat dir etwas Geld hinterlassen, davon wirst du einige Zeit leben können.« Eloise sah sie abwartend an.
»Woher weißt du das?«, fragte Annalotta überrascht.
»Isolde hat es mir gegenüber mehrfach erwähnt. So, als hätte sie damit gerechnet, dass ihre Tage gezählt waren. Aber es gibt ein Testament, das bei der Kanzlei Brüning liegt. Hans Brüning ist der Anwalt von Isolde. Ich denke, er wird morgen auch zur Beerdigung kommen.«
Annalotta sah sie an, griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Ich bin froh, dass ich dich noch habe.«
»Ach was. Meine beste Zeit ist hinter mir. So alt wie ich werden sonst nur Steine.«
»Eben, du bist mein Fels in der Brandung«, warf sie lächelnd ein. »Ich brauche dich und bin dankbar, dass du mir zur Seite stehst. Anders als Nadine, die sich aus dem Staub gemacht hat und sich um nichts kümmert.« Der Groll auf ihre leibliche Mutter war groß.
Die Erwähnung von Nadines Namens ließ Eloises Züge weich werden. »Sie hatte genug mit ihrem Leben zu tun, Annalotta. Vergib ihr und lass das Gewesene ruhen.«
Eloises knochige Finger drückten ihre leicht und Annalotta stellte fest, dass die kleine Frau über eine ungewöhnliche Kraft verfügte. Die blauen Adern schimmerten unter der porzellanfarbenen Haut hindurch. Sie legte ihre zweite Hand darüber. »Ich weiß nicht, ob ich es kann. Sie war nie eine Mutter für mich. Das waren immer nur du und Isolde. Glaubst du, Nadine weiß, dass Isolde gestorben ist? Ich hoffe, sie taucht nicht einfach so am Grab auf. Das könnte ich nicht ertragen. Sie hat sich nie für Isolde und unser Leben hier interessiert.«
Eloise schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht, dass Nadine etwas weiß. Von mir auf jeden Fall nicht. Ich weiß ja nicht einmal, wo sie sich aufhält.«
»Ob sie überhaupt noch lebt?«, dachte Annalotta laut nach. »Vielleicht lebt sie auch im Ausland?« Die Möglichkeiten schwirrten in Annalottas Kopf wie aufgeregte Schmetterlinge herum.
»Darauf kann ich dir keine Antwort geben, mein Kind. Das Schicksal hat seinen eigenen Kopf. Es stört sich nicht daran, was wir wollen.«
»Nadine hat auf Isoldes Beerdigung jedenfalls nichts verloren. Sie hat uns damals im Stich gelassen. Das werde ich ihr niemals verzeihen.«
»Was ist nur in Paris mir dir geschehen?«, fragte Eloise sorgenvoll und leicht abwesend, denn sie richtete sich nicht direkt an Annalotta. Eloise schaute aus dem Fenster, von dem aus man den blauen Himmel sehen konnte, es sah aus, als spräche sie mit sich selbst.
»Es gibt nichts zu erzählen, du weißt alles. Pierre hat mich betrogen und aus der Wohnung geworfen und ich bin durch die Prüfung gefallen. Ich bin gescheitert, auf ganzer Linie.«
»Ja, das muss hart für dich sein. Du könntest auch hierbleiben, anstatt nach Paris zurückzugehen. Hast du schon mal darüber nachgedacht? Frankreich ist auch nicht der Himmel auf Erden«, sagte Eloise zaghaft.
Annalotta erhob sich, drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Für mich schon, denn ich liebe diese Stadt«, erklärte sie voller Inbrunst.
»Du weißt, dass du hier immer willkommen bist. Hier ist dein Zuhause und wird es immer sein. Du brauchst nicht mehr davonzulaufen.« Isolde musterte sie neugierig.
»Das tue ich doch gar nicht. Ich laufe nicht weg, aber ich will etwas von der Welt sehen. Ja, hier ist mein Zuhause und es ist immer eine Alternative, zu der ich zurückkehren kann. Natürlich werde ich darüber nachdenken, wie meine Zukunft aussehen soll. Doch jetzt packe ich erst einmal aus und dann muss ich mir unbedingt ein schwarzes Kleid besorgen. Es gibt nicht ein dunkles Teil in meiner Garderobe.« Sie ging hinaus, um ihr Gepäck aus dem Mistkäfer zu holen. Als sie mit ihrem schweren Koffer zurückkam, stand Eloise zum Aufbruch bereit im Flur.
»Ich werde jetzt nach Hause gehen und mich ein wenig ausruhen. Du bist sicher auch müde von der langen Fahrt. Wir sehen uns morgen bei der Beerdigung, mein Kind.«
»Soll ich dich mit dem Auto abholen?«, bot Annalotta an.
»Das wäre sehr lieb, dann muss ich nicht den Bus nehmen. Wir sehen uns also morgen. Wenn du um zehn Uhr bei mir bist, werden wir pünktlich sein.« Sie drückte Annalotta einen Kuss auf die Wange und verließ das Haus. Die Stille schloss Annalotta wie eine sanfte Umarmung ein und ließ ihre Lider schwer werden. Eloise hatte recht, sie war müde, doch gleichzeitig brauchte sie dringend ein schwarzes Kleid für die Beerdigung.
***
Mitten in der Sommersaison ein schwarzes Kleid zu finden war gar nicht so einfach. Sie war nach Neustadt gefahren, dort aber nicht fündig geworden. Also fuhr Annalotta nun nach Lübeck. Sie ging davon aus, dass sie dort sicher ein Kleid finden konnte, und behielt mit ihrer Vermutung recht. Neben einem buntkarierten Seidenschal und einem roten Kleid, das ihr sehr gefiel, deckte sie sich noch mit einem schwarzen T-Shirt und einer Hose ein. Zuletzt fand sie noch ein schwarzes Kleid, das sie zur Beerdigung tragen würde.
Auch wenn sie ihre Trauer so tief im Inneren vergraben hatte, dass sie kaum noch spürbar war, wollte sie der Welt doch zeigen, wie viel Isolde ihr bedeutet hatte. Pelzerhaken war eher konservativ. Daher wollte sie bei der Beerdigung nicht auffallen und für Gerede sorgen. Obwohl ihre Rückkehr mit Sicherheit Getuschel hervorbringen würde. Viele Einheimische kannten sie und hatten mitbekommen, dass sie quasi nach Paris ausgewandert war. Wenn herauskam, dass Annalotta ohne Abschluss Paris verlassen hatte, würde es erst recht Gerede geben. Es würde spekuliert werden, ob sie Paris für immer verlassen hatte oder nur für die Beerdigung angereist war. Damit würde sie klarkommen müssen. Zumindest hatte sie herausgefunden, was sie nicht wollte: ihr Leben mit jemandem teilen, der sie nicht liebte. Ganz egal, ob in Paris, Pelzkragen oder sonst wo.
Sie hatte immer gedacht, dass sie ganz automatisch ein Anrecht auf Liebe hatte. Dass sie irgendwann zu ihr kommen würde. Doch so funktionierte das Leben nicht. Liebe bedeutete harte Arbeit, das war ihr in Paris klar geworden. Sie war bereit, die Arbeit auf sich zu nehmen, doch sie brauchte einen Partner, der es auch wert war und der ebenso bereit war, viel zu geben und nicht nur zu nehmen. Sie würde nie wieder den Fehler machen, sich zu schnell auf etwas einzulassen, ihr Herz zu schnell zu verschenken.
Wenn sie sich noch einmal verliebte, dann sollte dieser Mann nur eines tun: Sie genauso lieben wie sie ihn. Es hörte sich vielleicht nach einem Traum an, den es nur in Büchern oder Filmen gab. Doch sie würde nicht aufhören, davon zu träumen. Sie würden diesen Mann finden und dafür kämpfen, dass es funktionierte. Von einem Rückschlag ließ sie sich nicht aufhalten.
Am frühen Morgen zog sie Sportkleidung an, ein pinkes T-Shirt mit einer grauen Laufhose, und machte sich auf zum Strand. Ein wenig Bewegung würde ihr guttun, um den Tag zu überstehen. Es wehte ein frischer Wind, der den Kopf freiblies. Von Weitem kam ihr ein anderer Jogger entgegen, den sie erst auf den zweiten Blick erkannte. Erst als er auf ihrer Höhe war, machte sie ihn als den Mann aus, mit dem sie gestern zusammengestoßen war. Sie beachtete ihn nicht, doch er grüßte sie.
»Guten Morgen, schöne Frau!«, rief er ihr zu und grinste breit.
»Im Norden sagt man Moin!«, erwiderte sie und lief einfach weiter. Was er sich einbildete. Schöne Frau! Immerhin hatte sie schlagfertig geantwortet. Doch sie ärgerte sich trotzdem über den fremden Mann. Sie schüttelte den Kopf und realisierte in diesem Moment, wie dringend sie eine Auszeit nötig hatte.
***
Isolde wurde in Neustadt beerdigt. In der Kapelle fand ein Wortgottesdienst statt und anschließend wurde sie auf dem Friedhof beigesetzt. Viele Menschen waren erschienen, die Annalotta bereits seit Kindheitstagen kannten. Sie schritten voller Anteilnahme and ihr und Eloise vorbei, um zu kondolieren. Während Eloise mit stoischer Ruhe die Hände schüttelte und tröstende Worte entgegennahm, kämpfte Annalotta ständig mit den Tränen und konnte sich nur mit Not zusammennehmen. Sie war noch nie auf einer Beerdigung gewesen und die Trauer der Gäste, die sich mit ihrer eigenen paarte, setzte ihr mehr zu als gedacht. Ihr Herz schmerzte, als der Sarg in diesem tiefen, dunklen Loch versank, und Tränen kullerten ihr die Wangen hinunter. Mit dem Handrücken wischte sie über ihr Gesicht, das Tages-Make-up verwischte, aber es war ihr egal. Vorsichtshalber hatte sie auf Wimperntusche verzichtet, so würde sie zumindest nicht aussehen, als hätte Halloween ein neues Datum bekommen. Es kam Annalotta so vor, als würde Isolde ihr über die Schulter schauen und sie sanft berühren. »Ich werde immer in Gedanken bei dir sein, denk daran, egal wo du bist«, hatte sie oft zu ihr gesagt und in diesem Moment fühlte sie ihre Großmutter ganz deutlich. Ihre fröhliche, unverblümte Art, die Dinge zu betrachten. »Ach Kind, man ist länger tot, als man lebt, also lassen wir uns keinen Spaß entgehen«, war auch einer ihrer Sprüche. Sie sollte es sich zu Herzen nehmen. Isolde würde es nicht gefallen, dass sie dastand und bittere Tränen weinte, weil ihr schlechtes Gewissen an ihr nagte. Sie würde sagen: »Eine verpasste Chance kann man nicht wie eine schöne Erinnerung einfach hervorholen. Aber wenn man Glück hat, gibt es eine zweite Chance und die kann man nutzen.«
Die Chance, mit Isolde noch einmal zu sprechen, sie noch einmal zu sehen, war vertan. Aber sich an die schönen Begegnungen immer wieder erinnern, das konnte ihr niemand nehmen. Und es würde nichts daran ändern, ob sie nun tiefe Trauer empfand oder eben nicht.
»Weine ruhig, mein Mädchen. Isolde ist jede Träne wert und außerdem reinigen sie deine Seele.« Eloise nahm ihren Arm und führte sie dem Ausgang entgegen, an dem kaum noch Menschen standen. Sie warf noch einen letzten Blick auf das Meer von Kränzen, Gestecken und Blumen, die das offene Grab zierten. Die meisten waren ganz in Rot gehalten, weil es Isoldes Lieblingsfarbe gewesen war. An der Vielzahl von Grüßen erkannte man, wie sehr man Isolde vermissen würde. Sie selbst hatte einen Strauß dunkelroter Rosen besorgt und sie ins Grab geworfen – mit einem letzten Gruß auf den Lippen. »Danke für deine Liebe«, hatte sie geflüstert. Danach war ihr Blick vollkommen verschwommen, weil sie hemmungslos hatte weinen müssen. Eloise hatte ihr versonnen eine Packung Taschentücher in die Hand gedrückt, die nun fast alle aufgebraucht waren. »Der Tod gehört zum Leben, mein Kind«, hatte sie geflüstert und tapfer gelächelt.
Nun, einige Zeit später, fühlten sich ihre Augen geschwollen an und eine bleierne Müdigkeit lag auf ihr, doch sie musste das Kaffeetrinken noch hinter sich bringen.
Annalotta setzte Eloise in ihren Mistkäfer und nahm neben ihr Platz.
»Kannst du überhaupt fahren?«, fragte Eloise ein wenig ängstlich. »Wo deine Augen doch so verweint sind?«
»Natürlich. Mir geht es gut«, log sie, obwohl sie wusste, dass Eloise das durchschaute. Aber die kurze Strecke würde sie schon schaffen.
Schnell startete Annalotta den Wagen und … nichts geschah. »Oh nein! Bitte lass mich jetzt nicht im Stich. Nicht heute«, murmelte sie und betätigte die Zündung erneut, doch auch dieser Versuch lief ins Leere. Er gab nur merkwürdige Geräusche von sich, die nichts Gutes bedeuten konnten.
»Was ist los?«, fragte Eloise besorgt.
Auch der dritte Versuch brachte nur ein Tackern zustande. Der Motor sprang nicht an. »Ich habe keine Ahnung. Dieser Mistkäfer hat mich von Paris bis hierhergebracht und gerade heute macht er schlapp? Das kann ich jetzt nicht glauben«, knurrte Annalotta wütend.