Die kleine Mama - Paul Heyse - E-Book

Die kleine Mama E-Book

Paul Heyse

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Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag

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Paul Heyse

Die kleine Mama

Novelle

Paul Heyse

Die kleine Mama

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962811-46-4

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Die kleine Mama

In ei­ner stil­len Früh­lings­nacht, die auf einen stür­mi­schen Tag ge­folgt war, saß ein Mäd­chen wo­bei sei­ner ein­sa­men Lam­pe noch wach, da in den üb­ri­gen Zim­mern des al­ten Hau­ses schon seit ei­ner Stun­de alle Lich­ter aus­ge­löscht wa­ren. Auch hör­ten die en­gen Stra­ßen der klei­nen nor­di­schen Stadt, ob­wohl es noch nicht weit über zehn Uhr war, kei­nen an­de­ren Fuß­tritt mehr, als den des Wäch­ters, der von Zeit zu Zeit un­ter dem hel­len Fens­ter ste­hen blieb und mit be­son­de­rem Nach­druck sei­ne War­nung, das Feu­er und das Licht zu ver­wah­ren, hin­aufsang. Das Fens­ter dro­ben war nur an­ge­lehnt. Der Nacht­wind hauch­te über die Hya­zin­then­flo­ra, die auf dem Sim­se stand, kühl ins Zim­mer und mach­te die klei­ne Lam­pe fla­ckern. Das Mäd­chen zog ein paar Mal das brau­ne Tuch, in das sie sich ein­ge­wi­ckelt hat­te, fes­ter um die Schul­tern, schloss aber den Fens­ter­flü­gel nicht, son­dern horch­te über das Buch auf ih­ren Kni­en hin­weg nach­denk­lich in die schla­fen­de Stadt hin­aus auf die Vier­tel­stun­den­schlä­ge von der Stadt­kir­che. Ge­gen­über dem Groß­va­ter­stuhl, in dem sie lag, stand ein Tisch­chen mit ei­nem sau­be­ren Tuch über­brei­tet. Ein klei­ner Tee­kes­sel summ­te dar­auf, ein ein­fa­ches kal­tes Abendes­sen und ein ein­zel­nes Ge­deck wa­ren mit ei­ner ge­wis­sen Zier­lich­keit her­ge­rich­tet und ein lee­rer Stuhl der Lam­pe ge­gen­über­ge­rückt. Im Üb­ri­gen sah es in dem großen nied­ri­gen Zim­mer nicht nach ei­nem Frau­en­re­gi­ment aus. Alte ver­gilb­te Kup­fer­sti­che, Ölskiz­zen, an­ti­ke Sta­tu­en­frag­men­te ver­zier­ten Wän­de und Mö­bel in ma­le­ri­scher Un­ord­nung, und den grü­nen Ka­chel­ofen be­krön­te der Ab­guss ei­nes ko­rin­thi­schen Säu­len­ka­pi­täls, der von Rauch und Staub ge­bräunt war. Jetzt, in der stil­len Nacht­stun­de, da die Lam­pe die fer­ne­ren Ecken des Zim­mers in tie­fem Schat­ten ließ, nahm sich die bun­te Ge­sell­schaft fast un­heim­lich aus. Das Frem­des­te war hier ein­an­der so nahe ge­rückt, dass nichts recht zu Hau­se schi­en.

Nun schlug es Elf; die Le­se­rin warf den klei­nen blau­en Band, in dem sie ge­blät­tert hat­te, un­ge­dul­dig auf das alte Sofa und trat ans Fens­ter. Sie war nicht mehr in der ers­ten Ju­gend, das Ge­sicht trug den Aus­druck ei­ner ent­schlos­se­nen See­le, die Man­ches durch­ge­kämpft hat und gleich­gül­tig ge­wor­den ist ge­gen alle ver­gäng­li­chen Rei­ze. Aber wer den erns­ten Kopf län­ger be­trach­te­te, dem schi­en es bald, als ob nur Le­ben und Schick­sa­le nicht hät­ten rei­fen las­sen, was die Na­tur mit die­sen Zü­gen ge­wollt hat­te. Stirn und Au­gen wa­ren vom reins­ten Schnitt, die Wan­ge breit und kräf­tig ge­schwun­gen, und ei­ni­ge leich­te Nar­ben von den Blat­tern ent­stell­ten nicht die fei­ne Li­nie des Pro­fils. Nur einen Hauch von Ju­gend, Glück oder Leicht­sinn, so hät­te auch der selt­sam stren­ge Mund lieb­lich er­schei­nen müs­sen.

Denn plötz­lich er­schi­en sie schon als eine An­de­re, als sie hin­aus­hor­chend einen ra­schen Schritt auf der Gas­se ver­nahm, der sich dem Hau­se nä­her­te, und eine halb­lau­te Stim­me, die, wäh­rend der Haus­schlüs­sel im Schloss um­ge­dreht wur­de, eine Wal­zer­me­lo­die zu ihr hin­auf­summ­te. End­lich! sag­te sie und trat vom Fens­ter zu­rück. Es ist spät ge­nug. Und wie komm­t’s, dass er singt? Am Ende hat er ein Glas Wein im Kopf, und für mein War­ten hab’ ich’s nun, dass ich ihn wie­der nüch­tern pre­di­gen muss.

Sie lausch­te in den Flur hin­un­ter. Es kam ein elas­ti­scher, ste­ter Schritt die Trep­pe hin­auf, ohne Lärm zu ma­chen. So scheint’s doch noch nicht arg zu sein, sag­te sie be­ru­hig­ter zu sich selbst. Aber dass er sich aufs Sin­gen ver­legt –

In­dem öff­ne­te sich die Tür, und ein hoch­ge­wach­se­ner Jüng­ling, der nicht über neun­zehn Jahr ha­ben konn­te, trat mit freund­li­cher Ge­bär­de ins Zim­mer.

Gu­ten Abend, klei­ne Mama, sag­te er, die Müt­ze ab­neh­mend und das bu­schi­ge fahl­blon­de Haar zu­rück­strei­chend. Heut ist’s lan­ge ge­wor­den. Aber warum hast du auch auf­blei­ben wol­len? Ich sag­te es dir vor­aus. Es war ja die letz­te Tanz­stun­de für die­sen Win­ter, und da gab’s or­dent­lich eine Art Ball, und hät­ten wir nicht un­ter un­sern Her­ren und Da­men auch so blut­jun­ge Herr­schaf­ten, die Ge­schich­te wäre noch nicht zu Ende. Aber ei­ni­ge von den Tän­zern wur­den von ih­ren Dienst­mäd­chen ab­ge­holt, ob­wohl sie’s um die Welt nicht ein­ge­stan­den hät­ten, und da durf­ten wir die Mit­ter­nacht nicht her­an­wal­zen. Du hast in­des ein we­nig ge­nickt, will ich hof­fen.

Nein, mein Sohn, er­wi­der­te sie in ge­las­se­nem Tone. Wenn man große Kin­der in die Welt schickt, hal­ten einen die Mut­ter­sor­gen zu Hau­se wach. Am Ende aber hät­te ich wohl bes­ser ge­tan, zu Bett zu ge­hen, als auf den lan­gen Nacht­schwär­mer mit mei­ner Tee­ma­schi­ne zu war­ten; denn wie ich mer­ke, hat der Herr Leicht­fuß sei­nen Durst be­reits ge­löscht, und der häus­li­che Tee wird ihm schal und lang­wei­lig vor­kom­men.

Und wor­an willst du das ge­merkt ha­ben, klei­ne Mama? er­wi­der­te er hei­ter, in­dem er sich setz­te und sei­ne lan­gen Glied­ma­ßen so gut es ging un­ter das klei­ne Tisch­chen streck­te.

Weil es das ers­te Mal ist, dass der jun­ge Herr sin­gen­d nach Hau­se ge­kom­men ist. Und die­sen un­ge­wöhn­li­chen An­lauf der Na­tur, das ihr Ver­sag­te zu leis­ten – frei­lich war es auch da­nach! – kann man doch nicht aus ge­wöhn­li­chen Ur­sa­chen her­lei­ten.

Er lach­te. Was ich für eine klu­ge klei­ne Mama be­sit­ze! sag­te er. Aber sie ist doch noch nicht hin­ter das gan­ze Ge­heim­nis ge­kom­men. Ir­gend­wo in mir ist es frei­lich nicht mehr ganz rich­tig; aber der Stö­ren­fried sitzt nicht im Ober­stüb­chen, wie du arg­wöhnst. Der zah­me Punsch bei Bür­ger­meis­ters nimmt viel zu viel Rück­sich­ten auf die lie­be Ju­gend von Ober­ter­tia, um un­serei­nem ge­fähr­lich zu wer­den. Über­haupt, was die leib­li­che Nah­rung be­trifft, bin ich so nüch­tern, dass die­se dei­ne Vor­rä­te von Fleisch und But­ter­brot es spü­ren wer­den. Ich kann das Ku­chen­werk nicht aus­ste­hen, mit dem man auf so Bäl­len ge­füt­tert wird. Nein, klei­ne Mama, gieß mir nur im­mer einen Löf­fel Arak mehr als sonst in den Tee, viel­leicht dämpft ein Rausch den an­dern. Denn wie ge­sagt, ir­gend­wo sitzt mir’s, ir­gend­wo brennt was, ir­gend­wo –

Er sah sie halb kläg­lich, halb schalk­haft an, und sei­ne dun­kelblau­en Au­gen blitz­ten. – Wal­ter, sag­te sie, fast ver­dutzt, ich will doch nicht hof­fen –

Der Jüng­ling griff, wie in Ver­le­gen­heit, nach ei­nem But­ter­bro­te und fing mit tief­sin­ni­gem Ernst an zu es­sen. Nie­mand ent­geht sei­nem Schick­sal, sag­te er, be­hag­lich kau­end. Frü­her oder spä­ter muss ja doch ein­mal das ers­te Mal kom­men. Und wenn man neun­zehn Jahr alt ge­wor­den ist, wird es nach­ge­ra­de Ehren­sa­che, sich so gut wie je­der An­de­re –

Er stock­te wie­der. Kin­der­pos­sen! sag­te sie la­chend. Ich glau­be gar, der un­nüt­ze Jun­ge will sich und mir ein­re­den, er sei ver­liebt!

Nichts Ge­rin­ge­res, als das, er­wi­der­te der Jüng­ling und trank die Tas­se Tee, die sie ihm be­rei­tet hat­te, auf Ei­nen Zug aus. We­nigs­tens sind alle An­zei­chen die­ser le­bens­ge­fähr­li­chen Krank­heit vor­han­den.

Vor Al­lem ein un­ge­wöhn­li­cher Ap­pe­tit und zwölf Tak­te ei­ner Wal­zer­me­lo­die, die so falsch her­aus­ka­men, dass sich der Mus­kel­mann dort in der Ecke ge­wiss gern die Ohren zu­ge­hal­ten hät­te, wenn sei­ne Hän­de et­was mo­bi­ler wä­ren. Und wer hat die­ses Wun­der ge­wirkt, wenn man fra­gen darf?

Das hel­le Ge­sicht des Jüng­lings, des­sen Haup­treiz eine lus­ti­ge Of­fen­heit und Ju­gend­fri­sche war, nahm plötz­lich einen ge­heim­nis­voll ver­schmitz­ten Aus­druck an. Rate! sag­te er. Ich bin, wie du siehst, noch zu sehr mit mei­ner Stär­kung be­schäf­tigt, um eine re­gel­rech­te Beich­te ab­zu­le­gen.

Und da­mit mach­te er sich über sei­nen Tel­ler her und schnitt große Stücke von ei­nem dun­kel­ro­ten Schin­ken her­un­ter.

Sie hat­te ih­ren Lehn­stuhl nah an das Tisch­chen her­an­ge­zo­gen und sah ihm ru­hig ins Ge­sicht. – Als ob noch viel her­um­zu­ra­ten wäre, sag­te sie, wenn man die Tän­ze­rin­nen sämt­lich zu ken­nen die Ehre hat und von dem leicht­sin­ni­gen Ka­va­lier und sei­nen star­ken und schwa­chen Sei­ten mehr weiß, als er sel­ber. Auch ist es ja längst be­kannt, dass das Bes­te für un­sern über­mü­ti­gen Jun­ker ge­ra­de gut ge­nug ist, und wer von den Töch­tern der Stadt wird in Al­lem, was jun­ge To­ren be­tört, der Toch­ter un­se­res hoch­ge­bie­ten­den Bür­ger­meis­ters den Vor­rang strei­tig ma­chen? Fand ich nicht auch auf ei­nem ge­wis­sen Zei­chen­brett erst vor we­nig Ta­gen den Na­men »Flo­ra« in den schöns­ten Ara­bes­ken aus­ge­führt?

Dein Tee ist stark, klei­ne Mama, er­wi­der­te der Jüng­ling mit ver­stell­tem Ernst. Aber dein Ah­nungs­ver­mö­gen ist nur schwach. Ich will nicht leug­nen, fuhr er mit flüch­ti­gem Er­rö­ten fort, dass ich die­se klei­ne glat­te Schlan­ge, die sich so ge­wandt durch Al­les durch­win­det, wo ich zehn­mal ste­cken blei­be, – dass ich sie, will ich sa­gen, be­wun­der­t habe; ja es mag auch sein, dass ich mei­ne Un­ge­schick­lich­kei­ten ihr ge­gen­über mir sel­ber we­ni­ger übel nahm, wenn ich mir vor­re­de­te, ich sei nur ver­le­gen aus Lie­be, die ja auch weit­läu­fi­ge­re Men­schen un­be­hol­fen und ein­fäl­tig ma­chen soll. Aber heu­te sind mir die Au­gen dar­über auf­ge­gan­gen, dass von Lie­be zwi­schen uns kei­ne Rede sein kann. Denn ich möch­te schwö­ren, dass, wenn man durch ein ge­wis­ses wei­ßes Flor­kleid se­hen könn­te, man nichts un­ter der lin­ken Brust ent­de­cken wür­de, als eine Tanz­kar­te und eine Num­mer der Mo­den­zei­tung.

Und was be­rech­tigt den jun­gen Herrn zu die­sem schwar­zen Ver­dacht? Si­cher­lich wird hier wie­der ein­mal ei­nem harm­lo­sen Frau­en­zim­mer das Herz ab­ge­spro­chen, weil sie nur für ge­wis­se Leu­te kein Herz hat.

Wir ha­ben un­se­re Be­wei­se, sag­te der Jüng­ling ernst­haft. Ich hal­te mich nicht für den größ­ten Men­schen­ken­ner, und habe mich auch rich­tig wie­der eine Wei­le be­trü­gen las­sen. Den gan­zen Win­ter hin­durch hät­test du nur se­hen sol­len, wie die­se hoff­nungs­vol­le klei­ne De­li­la mir um den Bart ging – bild­lich ge­spro­chen; denn die paar ro­ten Flaum­haa­re kön­nen frei­lich noch nicht zäh­len. Das ging auch ganz mit rech­ten Din­gen zu. Denn ob­wohl ich gotts­er­bärm­lich schlecht tan­ze, nie weiß, ob Wal­zer oder Schot­tisch und mit wel­chem Fuß zu­erst an­ge­tre­ten wird, so war ich doch im­mer ihr er­klär­ter Günst­ling; denn ich war der Äl­tes­te in der gan­zen Ge­sell­schaft und konn­te schon für einen Mann und Rit­ter gel­ten. –

Ein Hecht un­ter den Back­fi­schen, Schal­te­te die Zu­hö­re­rin ru­hig ein.

Mei­net­hal­ben! Sie nahm mich für voll, und warum soll­te ich mir’s nicht ge­fal­len las­sen? Bei an­dern weib­li­chen We­sen – und er lä­chel­te gut­mü­tig – wer­de ich wohl mein Leb­tag nicht als mün­dig gel­ten, und wenn ich auch durch die Stu­ben­de­cke wach­se und in gan­zen Bart­wäl­dern star­re.

Si­cher­lich, sag­te sie. Mein »klei­ner Wal­ter« bleibst du, und wenn du Groß­va­ter bist. Denn ich, als dei­ne klei­ne Mama, wer­de mich stets für dei­ne dum­men Strei­che ver­ant­wort­lich füh­len, und es ist Aus­sicht vor­han­den, dass du de­ren ma­chen wirst, so lan­ge du lebst.

Kann sein, er­wi­der­te er und lach­te. Aber heut hab’ ich dei­ner Er­zie­hung alle Ehre ge­macht. Das hoch­mü­ti­ge Ding näm­lich, un­se­re Ball­kö­ni­gin, fand mich heut so­gar zu den üb­li­chen Skla­ven­diens­ten zu schlecht. Es war da ein jun­ger Herr vom Stadt­ge­richt, der aus Herab­las­sung mit­tanz­te und mich, als ich her­ein­trat in mei­nem ein­fa­chen schwar­zen Rock und baum­wol­le­nen Hand­schu­hen, von oben bis un­ten durch eine Lor­gnet­te be­sah. Er selbst näm­lich war in Frack und Glacé, und da be­greift sich’s, dass er mich völ­lig aus­stach. Aber wirst du glau­ben, dass sie plötz­lich kaum noch die Fin­ger­spit­zen für mich hat­te? O Wei­ber, Wei­ber!

Kei­ne Ge­ne­ral­ver­dam­mung, muss ich bit­ten!

Be­hü­te! sag­te er. Es gibt En­gel un­ter eu­rem Ge­schlecht, ei­ni­ge, die ich nicht nen­nen will, mit feu­ri­gen Schwer­tern, an­de­re aber, En­gel schlecht­weg, die noch dazu ihre Flü­gel un­ter ganz be­schei­de­nen Mous­se­lin­klei­dern ver­ste­cken.

Zum Exem­pel?

Wie ich näm­lich von der Ver­si­che­rung, dass Fräu­lein Flo­ra schon alle Tän­ze ver­ge­ben habe, noch ganz ver­blüfft da­ste­he, fällt mein Blick auf ein Ge­sicht, das ich bis­her so gut wie über­se­hen hat­te, weil es frei­lich nicht so schlan­gen­haft zu lä­cheln und zu lo­cken ver­steht, wie an­de­re Ge­sich­ter. Aber jetzt sah ich zwei stil­le sanf­te Au­gen auf mich ge­hef­tet, die mir zu sa­gen schie­nen: wir hät­ten dich schon längst ge­warnt, dich nicht mit ei­nem Eis­block ein­zu­las­sen, aber du hat­test ja kei­nen Blick für uns! und so wei­ter, was ei­nem Au­gen nur im­mer sa­gen kön­nen. Und da war ich kein Narr und schritt, mit ei­nem kö­nig­li­chen An­stand, sag’ ich dir –

Ich sehe ihn! schal­te­te sie tro­cken ein. Du bist un­ter­wegs nur ei­ni­gen Da­men auf die Klei­der ge­tre­ten und hast ein paar Stüh­le um­ge­wor­fen.

Dies­mal nicht, du un­na­tür­li­che Mut­ter, die von ih­rem Zög­ling im­mer das Schlimms­te denkt. Wie ein ge­bo­re­ner Prinz ging ich auf Lott­chen zu. –

Lott­chen Klaas? Ich er­tei­le dir mei­nen müt­ter­li­chen Se­gen, sag­te sie fei­er­lich. Die­se ers­te Lie­be macht mir al­ler­dings nicht die Sor­ge, dass sie dich zu lan­ge von ernst­haf­te­ren Din­gen ab­zie­hen wird. Nur bit­te ich mir aus, dass du dem gu­ten Mäd­chen nichts in den Kopf set­zest, hörst du?

Was denkst du von mir? sag­te er treu­her­zig. Ich habe den gan­zen Abend kein Wort mit ihr ge­spro­chen, das ich nicht eben so gut an ein sieb­zig­jäh­ri­ges Fräu­lein hät­te rich­ten kön­nen.

Da wird sie frei­lich von dei­ner Un­ter­hal­tung sehr er­baut ge­we­sen sein.

Hm, sag­te er, sie brach­te sie selbst aufs Ta­pet. Sie wuss­te, dass ich nicht ganz zu­frie­den da­mit bin, hier beim Pfle­ge­va­ter zu hocken und es über einen leid­li­chen Stu­ben- und De­ko­ra­ti­ons­ma­ler nicht hin­auf­zu­brin­gen. Wer’s ihr nur ge­sagt ha­ben mag, dass ich lie­ber heut als mor­gen fort­gin­ge, um ir­gend­wo in eine Bau­schu­le zu kom­men und noch ein­mal einen or­dent­li­chen Archi­tek­ten aus mir zu ma­chen? Ge­nug, sie fing da­von an –

Und du konn­test nicht wie­der da­von auf­hö­ren, wie ich dich ken­ne.

Frei­lich nicht. Aber es schi­en sie gar nicht zu lang­wei­len. Und da­zwi­schen tanz­ten wir na­tür­lich, und ich kam mir die­sen Abend be­son­ders ge­schickt vor, denn du kannst dir nicht den­ken, wie gut sie es ver­stand, mir nach­zu­hel­fen, so­dass wir nur sel­ten aus dem Takt ka­men und beim Con­tre­tanz mit ei­ner ganz klei­nen Kon­fu­si­on uns aus der Af­faire zo­gen. Sie ist wirk­lich ein himm­lisch gu­tes Mäd­chen, und ich glau­be, eine bes­se­re Ge­le­gen­heit, zu ei­ner ers­ten Lie­be zu kom­men, wer­de ich in Jahr und Tag nicht fin­den. Da sieh – und er zog eine Hand­voll Co­til­lo­nor­den aus der Wes­ten­ta­sche – die alle wer­fe ich in den Ofen, aber die dun­kel­ro­te Schlei­fe da kommt von ih­r, die wird auf­ge­ho­ben und heu­te Nacht un­ter mein Kopf­kis­sen ge­legt, und es müss­te nicht mit rech­ten Din­gen zu­ge­hen, wenn ich mor­gen nicht kreuz­ver­liebt auf­wach­te.

Also soll es erst über Nacht kom­men? sag­te sie und strich ihm ne­ckend mit der Hand übers Haar. Ar­mer Jun­ge, da fürch­te ich, dass es gute Wege da­mit hat. Mor­gen ist Sonn­tag. Wenn du erst wie­der über dei­nen Zeich­nun­gen sit­zest, wird dir eine schlan­ke Säu­le oder ein hüb­sches Or­na­ment lie­bens­wür­di­ger vor­kom­men, als alle Lott­chen der Welt. Und wahr­haf­tig, mein Jun­ge, es ist auch eben kein Scha­de. Du kommst noch früh ge­nug dazu.

Sie schwieg und sah nach­denk­lich in das blaue Spi­ri­tus­flämm­chen un­ter dem Kes­sel, das mit trau­li­chem Sum­men ihre Re­den be­glei­tet hat­te. Auch er war still ge­wor­den, seufz­te ein­mal und schob end­lich den lee­ren Tel­ler zu­rück.

Klei­ne Mama, sag­te er, mir ist bei­na­he, als ob du Recht be­hal­ten soll­test. Je­den­falls weißt du mehr da­von als ich. Sag mir doch ein­mal ehr­lich und so ver­trau­lich, wie man zu ei­nem er­wach­se­nen Sohn spre­chen kann: Wie lang ist’s wohl her, dass du dei­ne ers­te Lie­be ge­liebt hast, und warum ist nichts draus ge­wor­den, wie ja üb­ri­gens aus kei­ner or­dent­li­chen ers­ten Lie­be was wer­den soll?

Es flog ein Schat­ten über ihr Ge­sicht. Vor­witz ist Kin­dern nie­mals nütz, sag­te sie kurz an­ge­bun­den. Hole lie­ber un­se­re Welt­ge­schich­te aus dem Schrank, dass wir noch ein Ka­pi­tel le­sen kön­nen vor dem Schla­fen­ge­hen.