Die kleine Traumküche in Cornwall - Jane Linfoot - E-Book
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Die kleine Traumküche in Cornwall E-Book

Jane Linfoot

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Beschreibung

Der neue Roman von der Bestsellerautorin von »Der kleine Brautladen am Strand«

Es gibt nur ein Wort, um Clemmies Heimatort St. Aiden mit den kleinen, pastellfarbenen Cottages, die sich an die Hügel schmiegen, zu beschreiben: idyllisch! Doch Clemmie zieht es hinaus in die Welt. Um genügend Geld für ihre Abenteuer zu haben, beschließt Clemmie das Apartment in Cornwall zu verkaufen, das sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Doch kaum betritt Clemmie die gemütliche Küche, ist sie überwältigt von all den Erinnerungen, die dort auf sie warten. Plötzlich hat sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, bleiben zu wollen …

- Für Fans von Jenny Colgan und Manuela Inusa
- Der neue Sommerroman der Bestsellerautorin
- Ein Roman voller Sommerfeeling, Romantik und köstlicher Genüsse

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Seitenzahl: 608

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Zum Buch

Auf keinen Fall darf Bauunternehmer Charlie Hobson – ihr Nachbar – das Apartment bekommen, das Clemmie von ihrer Großmutter geerbt hat. Doch es stehen wichtige Renovierungsarbeiten an, die sie sich einfach nicht leisten kann. Da haben ihre Freundinnen eine Idee: In dem gemütlichen Wohnzimmer sollen zukünftig gesellige Abende veranstaltet werden. Wer genießt schließlich nicht gerne einen Abend in guter Gesellschaft bei leckerem Essen und Getränken? Dafür zahlt jeder Teilnehmer einen bestimmten Betrag. Das Konzept funktioniert, aber es gibt ein kleines Problem: Clemmie kann nicht kochen. Ist es wirklich eine gute Idee, sich von Charlie Rat zu holen, dem Mann, gegen den sie eigentlich zu kämpfen versucht? »Beautifully crafted and wrapped in romance« Heidi Swain

Zur Autorin

Jane Linfoot schreibt romantische Geschichten um lebenslustige Heldinnen mit liebenswerten Ecken und Kanten. Mit ihrer Familie und ihren Haustieren lebt sie in Derbyshire in einem kreativen Chaos. Sie liebt Herzen, Blumen, Happy Ends, alles, was alt ist, und fast alles, was aus Frankreich kommt. Wenn sie nicht gerade Facebook unsicher macht oder shoppt, geht sie spazieren oder arbeitet im Garten.

HarperCollins®

Copyright © 2020 by HarperCollins in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2018 by Jane Linfoot Originaltitel: »The Little Cornish Kitchen« erschienen bei: HarperImpulse, an imprint of HarperCollins Publishers, UK

Published by arrangement with HarperCollins Publishers Ltd., London

Covergestaltung: bürosüd, München Coverabbildung: living4media / House & Leisure Lektorat: Sophie Hofmann E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783959679398

www.harpercollins.de

1. KAPITEL

SIRENENGESANG UND MEERESBRANDUNG

The Deck Gallery, St. Aidan, Cornwall

Mittwoch

»Würden Sie gerne ein paar Mini-Macarons probieren?«

Von den Keksen in Meeresblau und Lavendelfarben, die ich den Gästen auf Tellern hinhalte, sind nicht mehr viele übrig. Da ich den ganzen Nachmittag lang in der Küche des Bauernhauses meiner Freundin Sophie gestanden und weiche Buttercreme in so viele davon gefüllt habe, dass ich sie irgendwann gar nicht mehr zählen konnte, weiß ich bereits, wie gut sie schmecken. Sie sind eine perfekte Ergänzung zu den Produkten, die wir heute präsentieren. Außerdem sind sie so luftig, dass man bestimmt ein Dutzend davon essen kann und immer noch nicht genug hat. Leider hat Sophie, die dieses Event organisiert hat, mich daran gehindert, diese Theorie auf ihren Wahrheitsgehalt zu testen. Beim Backen hat sie mich so genau beobachtet, dass sie die Kekse auch gleich hätte selbst machen können. Aber was hätte sie bei meinen nicht vorhandenen Backkünsten auch anderes tun sollen? Und dabei kann ich gar nichts dafür. Ich habe einfach noch nie eine eigene Küche besessen, in der ich mich hätte austoben können. Es ist also kein Geheimnis, dass ich nur in der Nähe einer Küchenmaschine sein muss, um alles in einem Blitzkrieg statt in einem Backmarathon enden zu lassen.

Sophie nähert sich von hinten und wispert mir ins Ohr: »Du machst das echt gut, Clemmie. Als Nächstes kommt der spaßige Teil. Ich bin dir was schuldig.« Hoffentlich meint sie damit, dass wir beinahe an dem Punkt angelangt sind, an dem die Party anfängt und die Arbeit endet.

»Das kannst du laut sagen«, antworte ich lachend, stürze schnell einen Himbeer-Wodka hinunter und schnappe mir ein Macaron. Dann wische ich mir die Krümel von der Brust. Wenn man mir gestern, als ich mit dem Flugzeug aus Paris ankam, gesagt hätte, dass ich mich noch während der nächsten vierundzwanzig Stunden öffentlich in einem Meerjungfrauenkostüm zeigen würde, hätte ich vermutlich auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre wieder ins Flugzeug gestiegen. Doch je mehr Cocktails ich intus habe, desto weniger kümmert es mich, dass ich mich hier in der Öffentlichkeit lächerlich mache. Nach drei Stunden habe ich beinahe schon vergessen, dass ich aussehe, als hätte ich eine Schwanzflosse anstelle von Füßen.

Sophie hebt die Stimme, als sie sich den nächsten Gästen zuwendet.

»Die Macarons sind handgemacht, um die Einfachheit und Natürlichkeit der Sophie-May-Hautpflegeprodukte zu unterstreichen.«

Und das ist nicht nur bloßes Verkaufsgeschwätz. Inhaltsstoffe wie Kamille und Seegras machen Sophies Produkte wirklich zu etwas Besonderem. Ihr Verkaufsschlager ist ein Hautreinigungsmittel, nach dessen Verwendung man sich fühlt, als hätte man eine professionelle Gesichtsbehandlung bekommen. Es ist eine derartige Offenbarung, dass sie es damit innerhalb weniger Monate aus dem Nichts in die Regale sämtlicher Kaufhäuser im ganzen Land geschafft hat.

Hab ich schon ihren wundervollen Mann Nate erwähnt? Er ist für Vertrieb und Marketing zuständig und umgarnt im Moment die VIPs auf der Terrasse der Galerie. Er hat sich auch um die Einladungen für den heutigen Abend gekümmert. Obwohl er es geschafft hat, die meisten Leute in Cornwall sowie »alle wichtigen Leute« aus dem Rest der Welt einzuladen, hatte er ein paar Schwierigkeiten mit den Details. Sophie hatte eine Stunde für die Fachbesucher eingeplant, bevor die ersten Dorfbewohner vorbeikommen sollten. Doch als jetzt die gesamte Belegschaft der Iron-Maiden-Putzfirma hereinschneit, ist der Journalist von Time Out immer noch dabei, Fotos von den Macaron-Türmen zu machen. Obwohl er aus London kommt, klappt seine Kinnlade fast bis auf den ausgeblichenen Holzboden hinunter, als er die sechs Reinigungsdamen in ihren kurzen, bondage-ähnlichen Uniformen sieht. Das Ganze sieht nun weniger nach einer geschmackvollen Werbeaktion für Kosmetika als vielmehr nach einem All-inclusive-Büfett in einer Domina-Bar aus.

Sophie schätzt den Schaden ab und winkt ein Mädchen herbei, das in jeder Hand eine Teekanne hält. »Bitte gieß dem Gast in der Splitterschutzweste nach.«

Nicht viele Frauen machen eine gute Figur in einem blassblau pastellfarbenen Jumpsuit, besonders wenn dieser noch dieselbe Farbe wie ihre Kosmetikverpackungen hat. Doch mit ihren stufig geschnittenen blonden Haaren und ihrer reinen Haut ist Sophie die leibhaftige Verkörperung ihrer Produkte. Keine Spur mehr von dem vierzehnjährigen Goth mit den kajalumrandeten Augen, der sie mal war. Und dann noch ihre vier Kinder, von »ganz klein« bis »fast Teenager« – ihr Leben sieht wirklich so aus, als hätte sie es aus einem Versandhauskatalog ausgesucht. Aus unserer Clique ist sie diejenige, die nach den Sternen gegriffen und sie sich alle geschnappt hat. Um das fertigzubringen, war viel mehr Klartextreden und In-den-Arsch-Treten nötig, als ihre gesunde Ausstrahlung vermuten lässt. Doch solange sie, während die Presse noch da ist, keine Leute mehr herumkommandiert, ist das hier ein mehr als gelungener Abend.

Wir wenden uns den nächsten Gästen zu, wobei ich die Länge meiner Schritte an den eng anliegenden Meerjungfrauenrock anpasse und ein strahlendes Lächeln aufsetze. »Bei Sophie May geht es darum, sich wohlzufühlen … sich selbst etwas Gutes zu tun … die vitalste Version von sich selbst zu werden.«

Ich bin zwar erst gestern in meiner Heimatstadt St. Aidan angekommen, doch meine Slogans sitzen bereits. Und das Beste ist: Sie sind alle wahr. Wenn Sophies Produkte nicht fantastisch wären, hätte ich mich nie dazu überreden lassen, mich zu verkleiden. Schließlich machen die Leute schon so ständig Kommentare über mein Haar, das genauso beschaffen ist wie das von Arielle der Meerjungfrau.

Den Ozean in das Konzept mit aufzunehmen war die Idee von Sophies Tochter Milla. Ihr hat es schon immer gefallen, dass wir unsere Mädchenclique irgendwann einmal »Die Meerjungfrauen« getauft hatten. Milla wurde vor zehn Jahren, gleich nach ihrer Geburt, Ehrenmeermitglied. Da wir alle ohnehin bei der Eröffnung mithelfen und Sophie noch unsere federleichten Brautjungfernkleider aus türkisfarbener Seide im Schrank hängen hatte, gestaltete sich der Rest relativ einfach. Noch ein wenig Tüll und Fischernetz an den richtigen Stellen angebracht, ein paar Muscheln und Perlen verstreut, einen Felstümpel voller getrockneter Seesterne aufgestellt, ein bisschen Glitzer und ein paar Stränge Seegras verteilt – ta-da, schon sehen Plum, Nell und ich aus, als kämen wir geradewegs vom Strand und hätten uns auf dem Weg zur »Arielle«-Disney-Party verirrt.

Ein paar Gäste steuern auf die Tür zu, aber ihre Burberry-Taschen sind noch geöffnet, für den Fall, dass sie noch mehr tolle Sachen erspähen, die es sich lohnt einzupacken. Sie sind Journalistinnen für Marie Claire und Vogue und haben in unseren Augen beinahe göttinnengleichen Status. Sophie überhäuft sie mit kleinen Geschenken und drückt dann jeder von ihnen eine blumenbedruckte Tasse samt Untertasse in die Hand. »Noch ein Cocktail zum Abschied? Pfirsich, Champagner und Holunder oder Himbeer-Wodka mit Rosmarin und Grenadine?«

Sie winkt das Mädchen mit den Teekannen heran.

Madame Vogue lächelt, während sie an ihrem Drink nippt und ihren windzerzausten Bob zurechtzupft. »Leider hatten wir nur Zeit für eine Stippvisite. Hauptsächlich haben wir draußen auf der Terrasse den Ausblick aufs Meer genossen und uns mit Ihrem reizenden Ehemann unterhalten.« Das wundert mich überhaupt nicht. Obwohl er nie andere Frauen ansieht, gerät das weibliche Geschlecht über ihn leicht ins Entzücken, und er weiß genau, wie er seine Aufmerksamkeit dosieren muss.

Madame Marie Claire weist mit der Hand, an deren Fingern makellose braun lackierte Nägel glänzen, auf meinen zotteligen abgestuften Rock – oder soll das meine Schwanzflosse sein? »Die Meerjungfrauen sind ein netter Einfall. Aber da gibt es noch etwas, das wir unbedingt wissen wollen, bevor wir gehen.« Sie reduziert ihre Stimme auf ein Flüstern und lehnt sich so weit vor, dass mir ihre Black-Opium-Parfumwolke ganz den Kopf vernebelt. »Stimmt es, dass Ihr Algenpeeling sogar von Kim Kardash…?«

Abgesehen davon, dass sie mit ihren roten Wangen leicht erhitzt wirkt, hat sich Sophie angesichts ihrer hochkarätigen Gäste relativ unbeeindruckt gezeigt. Doch jetzt schleicht sie sich hinter sie und macht eine verzweifelte Halsabschneider-Geste in meine Richtung. Ich bin wirklich keine, die schnell schaltet, doch Sophies gequälter Blick lässt mich Madame Marie Claire glatt das Wort abschneiden. »Wir sind nicht berechtigt, darüber Auskunft zu geben.« Keine Ahnung, wo das jetzt herkam. Aber ich bin ziemlich beeindruckt von meiner schnellen Reaktion.

Madame Marie Claire fallen fast die Augen aus dem Kopf. »Sie haben eine Vertraulichkeitsklausel unterschrieben?« Begeistert klatscht sie in die Hände. »Sie brauchen gar nicht mehr zu sagen, das ist alles, was wir wissen müssen. Wir kontaktieren Sie nächste Woche wegen des Artikels, den wir über Sie schreiben.«

Sophie nickt ununterbrochen und bedeutet mir, die Leute freundlich rauszuschmeißen. Ich zermartere mir das Hirn und versuche, mich zu erinnern, wie die Leute im schicken London sagen, dass sie etwas »gut« finden. Eigentlich würde es auch irgendein Wort tun, doch im Moment fällt mir nur chouette ein, was französisch für »Eule« ist, aber auch »cool« bedeuten kann.

»Wunderbar … cool … fantastisch … echt toll …« Sophie macht schon wieder ihre Halsabschneider-Geste.

Als mein Wortstrom versiegt ist, hat Madame Marie Claire bereits ihren Drink hinuntergestürzt und noch ein Meer-Selfie gemacht. Als die beiden Damen abzischen, um ihren Zug zu erwischen, bin ich bereits mit meinem Instagram-Account beschäftigt.

»Scheiße, die wirkten ja entschlossen. Was war denn da los?«, sage ich kopfschüttelnd.

Sophie windet sich schuldbewusst. »Also Kim ist nicht wirklich eine Kundin von uns. Ich wollte nur nicht die Chance vertun, so viel Publicity zu bekommen.« Ihr Lächeln weitet sich zu einem Grinsen, als Plum und Nell zu uns herübersausen. »Super Teamwork, wir haben soeben Vogue und Marie Claire klargemacht. Und da es schon so lang her ist, dass wir Meerjungfrauen alle an einem Ort versammelt waren, will ich jetzt auch ein Foto machen.«

Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass Sophie und ich uns schon ewig kennen: nämlich seit unsere Mütter sich bei der Schwangerschaftsgymnastik kennengelernt haben. Plum und Nell kamen erst viel später dazu, im Tumble-Tots-Kindergarten. Unsere ganze Kindheit über haben wir zusammen getanzt, gespielt, uns am Strand rumgetrieben, gestritten, Picknicks veranstaltet und lange, faule Sommer miteinander verbracht. Einige von uns sind weggezogen und wiedergekommen. Doch irgendwie sind wir immer füreinander da gewesen und sind auch jetzt noch die besten Freunde.

Sophie holt ihr Handy raus. »Zumindest wirst du jetzt nicht mit einem Bikinioberteil aus Jakobsmuscheln bekleidet auf Instagram zu sehen sein, so wie es Plum ursprünglich geplant hatte.«

Plum heißt eigentlich »Victoria«, aber das passte einfach nicht zu einem fülligen Mädchen mit rosigen Pausbacken, das sie früher war. Also haben wir sie Plum genannt, nach dem englischen Wort für Pflaume. Sie wirft ihr dunkles, seidiges Haar über die Schulter, späht hinunter in ihr nicht vorhandenes Dekolleté und stöhnt.

»Mit den Muscheln hätte ich wenigstens meine Meerjungfrauenbrüste etwas vergrößern können.«

So schnell sie ihren Babyspeck verloren hat, so schnell habe ich Speck angesetzt. Jetzt ist Plum dürr wie ein Topshop-Model, während bei mir alles Supersize ist. Während ich es manchmal kaum schaffe, meine Übergrößen-Hose zuzukriegen, flattert ihr XS-Oberteil im Wind herum. Doch obwohl sie wie die Verkörperung der hungerleidenden Künstlerin aussieht, ist sie das komplette Gegenteil davon. Die Galerie, in der wir uns befinden, hat sich Plum bald nach ihrem Abschluss an der Kunstakademie unter den Nagel gerissen. Sie hat sich hier ein Atelier eingerichtet und über die Jahre ein florierendes Geschäft aufgebaut, das daraus besteht, Werke von sich und anderen Künstlern auszustellen und zu verkaufen. Obwohl das Ganze natürlich nicht mit dem Millionenumsatz der Sophie-May-Kosmetiklinie zu vergleichen ist.

Nachdem sie sich kurz im weißen Raum umgesehen und die meterhohen gerahmten Seelandschaften beäugt hat, wendet sich Plum wieder mir zu. »Eine kleine Warnung, jetzt, da die Dorfbewohner langsam eintrudeln. Es geht das Gerücht um, dass du hier in ein Penthouse einziehen willst, Clemmie.« Ich sehe ein boshaftes Glitzern in ihren Augen. »Die meisten tippen auf eine der schicken neuen Wohnungen in Rock Quay.«

Komm auf keinen Fall nach St. Aidan, wenn du dein Privatleben geheim halten willst. Obwohl ich meinen Flug so gebucht habe, dass ich bei Sophies Eröffnungsparty dabei sein kann, ist der wahre Grund für meine Rückkehr der, dass der langjährige Mieter aus der Wohnung ausgezogen ist, die ich vor Jahren geerbt habe. Doch selbst wenn es eine Villa wäre, hätte ich nicht die Absicht hierzubleiben.

Ich muss grinsen. Die Klatschtanten von St. Aidan haben so unrecht.

»So wie ich es in Erinnerung habe, ist es mehr eine Art alter Dachboden. Und glaubt mir, ich werde nicht lange bleiben.«

Plum zwirbelt eine Haarsträhne um ihren Finger. »Wie ist das Leben in Bangkok? Oder war es Stockholm? Oder Prag?«

Ich kann es ihr nicht vorwerfen, dass sie da nicht mehr mitkommt. »Zurzeit Paris, und es ist klasse, vielen Dank – zumindest im Moment noch.« Es hat keinen Sinn, noch mehr darüber zu erzählen. Plum, Sophie und Nell haben die pastellfarbenen Cottages, die sich an die Hügel von St. Aidan schmiegen, schon immer so sehr geliebt, dass sie nirgendwo anders leben könnten. Sie sind so sesshaft, wie ich heimatlos bin. Sie können es sich nicht vorstellen, ohne das Rauschen der Wellen, das Klappern der Takelage der im Hafen schaukelnden Boote zu leben. Selbst wenn ich ihnen einen ganzen Monat lang Gründe dafür aufzählen würde, warum St. Aidan mir nicht genug ist, würden sie es nie begreifen. Auch nicht, dass ich mich nach diesen paar Stunden, seit ich von Paris weg bin, bereits wieder nach den breiten Boulevards, den großen eleganten Gebäuden und dem ununterbrochenen Rauschen des Verkehrs sehne. Sie verstehen nicht, dass die Welt da draußen ungeheuer groß ist. Und sie wissen nicht, dass, wenn Paris mich anfängt zu langweilen, ich einfach weiterziehe, um den Rausch des Neuen woanders zu spüren. Obwohl sie das, was ich mache, als »Scheißjobs« bezeichnen und so was wie eine berufliche Laufbahn nicht zu erkennen ist – zumindest erlaubt dieser Lebensstil mir, umzuziehen, sooft ich will. Frei zu sein.

Nell kommt herein und schnappt sich das letzte Macaron. »Also, was machst du zurzeit?« Nell ist eine Top-Steuerberaterin, und sie macht kein Geheimnis daraus, dass sie sich für diesen Beruf entschieden hat, weil er gut bezahlt ist, nicht weil er so aufregend ist. Aus diesem Grund interessiert sie sich immer für meine seltsamen Nebenjobs.

Ich atme tief ein und halte dann für einen kurzen Moment inne. In den fünf Jahren, die seit Sophies Hochzeit vergangen sind, muss das Kleid geschrumpft sein. Und zwar um mindestens eine Größe. »Im Moment arbeite ich als Haushälterin für Maude, die an der Sorbonne unterrichtet. Ich öffne ihre Fischsuppendosen für sie, kaufe ihr Artischocken vom Markt, stocke ihre Post-it-Zettel-Vorräte auf, schaue nach, ob sie Grünzeug zwischen den Zähnen hat, bevor sie die Wohnung verlässt. All so was halt. Sie ist süchtig nach Lipton-Tee und braucht jede Stunde eine Tasse davon. Und um Punkt fünf einen Martini.« Ich hab in Bars auf der ganzen Welt gearbeitet, aber in letzter Zeit hab ich mich als eine Art persönliche Assistentin etabliert. Der Job in Paris hört sich viel schlimmer an, als er ist. Zwischen den Teeaufgüssen hab ich hin und wieder Zeit für mich. Die Freitagnachmittage habe ich frei, da geht Maude zur Massage. Und das Beste ist: Ich bekomme ein Zimmer mit super Aussicht gratis dazu. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle und mich strecke, kann ich von meinem Fenster aus den Eiffelturm sehen. Ihr habt keine Ahnung, wie magisch die überkreuzten, bleistiftlinienartigen Schatten dieses Gebäudes aussehen, wie wunderschön die nadelstichfeinen Lichter im Dunkeln blinken.

»Was sogar noch besser ist: Ich hab ein paar Wochen bezahlten Urlaub bekommen, da sie gerade auf einer Forschungsreise ist, weshalb ich beschlossen habe, einen Abstecher nach Cornwall zu machen.« Ich strahle. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich bezahlten Urlaub bekommen habe. Auf den Gesichtern um mich herum ist viel weniger Bewunderung zu sehen, als ich erwartet hatte. Ich verstehe nicht genau, warum, aber ich sehe nur Verwirrung und Resignation.

Schließlich bricht Nell mit heiterer Stimme und einem abrupten Themenwechsel das Schweigen. »Also die gute Neuigkeit ist, dass es hier in St. Aidan eine große Singleszene gibt. Wir veranstalten Single-Tanztees im Harbourside Hotel, Geisterwanderungen, bei denen man sich vor Angst in die Hose macht, Gin-Verkostungen im Hungry Shark, die unter anstatt auf dem Tisch stattfinden, und am Wochenende Bootsausflüge, um Wale zu beobachten.« Das ist Nells andere Seite. Seit ihrer Trennung vor ein paar Jahren hat sie sich in die Single-Dating-Szene gestürzt.

Wie sehr die Dinge sich doch verändern können, während man weg ist. »In der Bucht gibt es Wale?«

Nell runzelt die Stirn. »Nicht wirklich. Doch die Ausflüge sind ein großer Erfolg, was das Dating angeht.« Das Problem ist, dass Nell so damit beschäftigt ist, alle um sich herum zu verkuppeln, dass sie es bisher noch nicht geschafft hat, sich selbst einen Mann zu angeln. Sie lacht leise. »Überlass das nur mir, ich finde schon einen Grund für dich, in St. Aidan zu bleiben, Clemmie.«

Tja, was hab ich gesagt? Ich schnaube so heftig und unkontrolliert, dass mein Kleid dieses Mal fast wirklich platzt. »Halt, halt, halt. Für Dating-Aktivitäten bin ich nicht verfügbar. Ich bin absolut nicht hier, um jemanden abzuschleppen.« Ich lebe mein Leben für mich selbst und brauche wirklich keine Komplikationen. Die paar Kerle, mit denen ich in meinen College-Jahren ausgegangen bin, sind den Aufwand alle nicht wert gewesen. Was nicht bedeutet, dass unter meinen Freunden nicht auch viele Männer sind. Tatsächlich muss ich mich, seitdem die normalen Gäste eintreffen, ständig strecken, um über Sophies Schulter hinweg Leuten zuzuwinken. Nell lässt sich nicht so leicht von ihrem Vorhaben abbringen. »Na gut, streichen wir die Singletreffen. Aber es gibt da ein paar wirklich nette, anständige Männer in unserer Singlegruppe. Es könnte doch nicht schaden, dich einem oder zwei davon vorzustellen … oder?«

Oh Gott, das hier ist schlimmer, als sich als Meerjungfrau verkleiden zu müssen. Ich hebe die Hand. Wenn es eines gibt, das ich in Paris gelernt habe, dann, dass es keinen Sinn hat, nett und freundlich zu tun, wenn man Respekt, anständigen Service und halbwegs frische Artischocken will. Nur mit einem Gesicht, das sagt »Leg dich ja nicht mit mir an«, verdient man sich die guten, nicht angekokelten Baguettes. Ich verziehe mein Gesicht zu einer typisch französischen Schlechtwettermiene. »Ich will weder an irgendwelchen Events teilnehmen noch dass mir irgendjemand vorgestellt wird, ist das klar?« Eine Antwort warte ich erst gar nicht ab. Außerdem muss ich gleich pinkeln, sonst platze ich noch. Nicht, dass ich geplant hatte, heute Abend die Toilette zu benutzen, so eng wie wir unsere Schwanzflossen geschnürt haben. Aber in diese blumigen Teetassen passt mehr rein, als man denkt. »Und jetzt muss ich mal für kleine Meerjungfrauen.« Ich grinse Nell an, um ihr zu zeigen, dass zwischen uns alles okay ist. Dabei bemerke ich, dass ihre Muschelkrone total schief sitzt. Sieht aus, als wär ich nicht die Einzige, die es mit dem Schmuck übertrieben hat. Ich drehe mich um, strecke das Bein aus, um elegant von dannen zu schreiten, trete auf meine Schwanzflosse und gerate ins Wanken.

»Hoppla, langsam, langsam.« Sophie und Plum greifen sich je einen meiner Arme und stabilisieren mich, bis ich meinen Schwerpunkt wiederfinde.

Plum fummelt an dem Seetang herum, der an ihrem Perlenhaarreif hängt. »Vielleicht versuchen wir es beim nächsten Mal mit einem elastischen Seil um unsere Knöchel?« Für eine Künstlerin hat sie eine ziemlich analytische Seite.

Ich kann nicht glauben, was ich da gerade höre. »Es wird ein nächstes Mal geben?«

Als ich das Klo erreiche, stellt sich heraus, dass meine Befürchtung, nicht an meine Unterhose zu kommen, vollkommen begründet ist. Sagen wir’s mal so: Echte Meerjungfrauen haben wirklich Glück, dass sie ins Meer pinkeln können. Ich muss mehrere Lagen an Tüll beiseiteraffen und Fischernetze entwirren, bevor ich es endlich fließen lassen kann. Als ich fertig bin, bemühe ich mich nicht einmal, das ganze Zeug wieder zurechtzurücken. Auf meinem schlurfenden Rückweg zurück in die Galerie hängt meine Schwanzflosse so schlaff herunter, als wäre sie in einem der Haufen zurückgelassener Netze unten am Hafen hängengeblieben. Ich fühle mich eher wie eine Tänzerin in einem Windkanal als eine Sirene mit Silberflosse. Als eine Horde Männer an mir vorbeirauscht, die mit ihren Teetassen Plum und Nell in ihren Kostümen zuprosten, presse ich mich gegen die raue, weißverputzte Wand.

Obwohl ich ihr meine Position klargemacht habe, gibt Nell über alles, was in Hosen rumläuft, ihren Kommentar ab. »Das war Blue Watch, einer der Feuerwehrmänner. Und es tut mir leid, aber diesen total heißen Typen im Anzug da drüben beim Stand mit den Gesichtsreinigungsprodukten kenn ich leider nicht.« Sie wirft Sophie einen fragenden Blick zu.

Sophie lässt den Blick über die Gäste schweifen. »Heißer als heiß. Ich glaube, er arbeitet für ein Immobilienunternehmen.«

»Und sonst?«, fragt Nell abwartend. »Das Mindeste, was du bei einem Typen mit einer solchen Kieferpartie tun kannst, ist doch, die Gästeliste zu checken.«

Sofort starren Plum und Sophie auf ihre Handys. Plum sieht als Erstes auf.

»Hab ihn gefunden. Ich vermute mal, das ist Charlie Hobson, er arbeitet als Bauunternehmer.«

Nell hat ein Funkeln in den Augen. »Ich muss ihn mal googeln und für die Single-Events rekrutieren. Diese geheimnisvolle Ausstrahlung mit einem Hauch Desinteresse an Bord lässt das Walebeobachten sicher viel schneller vorbeigehen.«

»Die Betonung liegt hier auf Desinteresse.« Obwohl er so aussieht, als wäre er geradewegs dem GQ-Magazin entsprungen, ist er mir vollkommen widerwärtig, um es nett auszudrücken. Wenn ich mit diesem Miesepeter auf einem Schiff wäre, müsste ich glatt über Bord springen.

Sophie schüttelt den Kopf. »Und der große blonde Kerl bei der Tür ist George Trenowden, unser Rechtsexperte. Er ist Single, aber da er zugleich dein Anwalt ist, wirst du es mir wohl nicht übelnehmen, wenn ich euch beide vorstelle, sobald sich die Leute ein wenig zerstreut haben.«

Ich ignoriere ihren Seitenhieb. Nach all den Jahren, in denen ich mit ihm nur per Brief kommuniziert habe, dürfte es wohl nicht schaden, ihn persönlich kennenzulernen. »Super, ich statte ihm gleich morgen früh wegen der Wohnung einen Besuch ab.« Obwohl ich überhaupt nicht scharf darauf bin.

Sophie lacht. »Kein Grund, so besorgt dreinzuschauen, er hat seit Jahren keine Meerjungfrauen mehr gegessen.« Sie runzelt die Stirn. »Willst du, dass ich dich begleite und deine Hand halte?«

Genau das will ich, ich hab es nur nicht über mich gebracht zu fragen. »Hast du nichts vor?«

Sie zieht ihr Handy wieder raus. »Lass mich mal den Familienkalender checken. Milla ist in der Schule, meine Mum kümmert sich um Marco und Matilde, also bleibt noch Maisie.« Ein Grinsen erscheint auf ihrem Gesicht. »Hier steht, dass der Morgen offiziell zum Auskurieren des Katers reserviert ist. Maisie und ich gehören dir.«

»Das muss ich gleich mit noch mehr Macarons feiern.« Nach all der Mühe, die ich mir damit gemacht habe, will ich nicht, dass auch nur ein einziges im Müll landet. Außerdem beschließe ich, noch einen Cocktail zu riskieren. Ich bewege mich in Richtung Getränkebüfett. »Soll ich irgendwem was mitbringen?«

Nell horcht auf. »Falls du eine Unterhaltung mit dem ansprechenden Mr. Hobson beginnst, kannst du ihn ja mitbringen. Wir brauchen mehr Männer für die Single-Events.«

Ich verziehe das Gesicht. »Von wegen.«

Sophie schaut auf ihr Handy. »Aber verdirb dir nicht den Appetit, bald bringt die Bäckerei das Essen.« Sie vergisst, dass es bei mir so was wie »satt sein« nicht gibt.

Wie um den Beginn der Party einzuläuten, stoppt die Fahrstuhlmusik, die uns bisher umwabert hat, und nach einem kurzen Moment der Stille ertönen auf einmal die Sugababes mit »Push the Button«. Ich schlängle mich tanzend durch die Menge und passe auf, dass ich mich von Männern in Anzügen fernhalte. Ich habe den Raum nur halb durchquert, als plötzlich jemand ruft: »Die Pasteten sind da!« Der Ansturm reißt mich beinahe von den Füßen. Atemlos kämpfe ich mich zum Büfett durch. Ich schnappe mir ein paar Macarons, die noch vom Turm übrig sind, dann schließe ich die Augen, um den Moment zu genießen. Während der süße Mandelschmelz auf meiner Zunge zergeht, dringt plötzlich eine tiefe, grollende Stimme an mein Ohr. Sofort werde ich wieder in die Realität zurückgerissen.

»Verursachen Pasteten hier immer so einen Aufstand?«

Ich öffne die Augen, erhasche einen kurzen Blick auf eine graue Manschette und spucke beinahe die Buttercreme wieder aus.

»Nur warme Pasteten.« Ich verfluche mich innerlich, denn jetzt bin ich doch tatsächlich neben dem Typen gelandet, dem ich aus dem Weg gehen wollte. So aus der Nähe wirken seine zusammengezogenen Brauen und seine Miene noch finsterer. Der Umstand, dass ich beim Anblick seiner lose gebundenen Krawatte und dem offenen Hemdkragen schlucken muss, rührt wohl daher, dass mir nicht viele Männer begegnen, die gekleidet sind, als kämen sie gerade aus einer Aufsichtsratssitzung. Wenn ich in den Bars, in denen ich kellnere, einen James-Bond-Doppelgänger sehe, dann ist es höchstwahrscheinlich Fasching und er hat sich verkleidet. Charlies Blick lässt zwei Vermutungen zu: Entweder hasst er Werbe-Events oder er hat das männliche Pendant zum resting bitch face perfekt drauf. Und trotzdem haben die Schatten unter seinen Wangenknochen etwas so Verschlagenes, dass mein Herz einen Moment lang schneller schlägt.

»Ich schätze mal, für Canapés ist man hier noch nicht bereit? Die wären mir persönlich lieber.« Er klingt unglaublich gelangweilt. Dann wedelt er mit einem Macaron in der Hand in meine Richtung. Seine Miene verdüstert sich noch mehr. »Ist Ihnen bewusst, dass Sie einen Seestern im Haar haben?«

Wenn jemand absolut keinen Sinn für Ironie hat, hat man das Recht, ihn zu verarschen. Besonders wenn man sich selbst in den Hintern beißen könnte dafür, dass einem beim Anblick eines Mannes der Ausdruck »sexy« durch den Kopf geschossen ist, obwohl der Betreffende wirklich alles andere als das ist. »Ja, so bewahre ich alle meine Seesterne auf, bevor ich sie esse. Das machen Meerjungfrauen so, wenn sie an Land kommen.« Ich weiß, dass ich es übertreibe, aber schließlich ist er es, der keine Ironie versteht.

Er sieht mich verwirrt an, während er sein Macaron hinunterschlingt. Dann streckt er die Hand aus. »Na ja, jedenfalls schön, Sie kennenzulernen und Ihren Seestern. Mein Name ist Charlie Hobson, ich arbeite für Bay Holdings.« Sein inniges Seufzen verrät mir, dass er es nicht wirklich »schön« findet.

Anders als Nell bin ich nicht gerade scharf darauf, mich irgendwelchen fremden Kerlen vorzustellen, besonders nicht, wenn sie ihren Enthusiasmus nur vortäuschen. Also ignoriere ich seine ausgestreckte Hand. Von irgendwelchen Firmennamen lasse ich mich auch nicht blenden. Doch um die Ehre der einheimischen Meerjungfrauen zu wahren, sollte ich das Gespräch wahrscheinlich fortsetzen. »Und um welche ›Buchten‹ geht es bei Bay Holdings?«

»Alle.« Er zieht die Hand zurück und nimmt eine lederne Aktenmappe vom Tisch. Plötzlich ist da ein Funken Interesse in seinen Augen. »Wo immer Entwicklungspotenzial vorhanden ist, werden wir es maximieren. Wir arbeiten uns zurzeit an der Küste entlang.« Es klingt kühl und methodisch, wie er das sagt. Furchtbare Neuigkeiten für die Einheimischen und die Meereswesen.

Nell streckt beide Daumen hoch, während sie sich durch die Menge zu uns schlängelt. Ihrem aufgeregten Hüpfen nach zu urteilen, hat sie wohl keine Ahnung, wie stumpfsinnig Charlie Hobson ist.

Ich kralle mir eine Hand voll Macarons und eine Teekanne, fülle einige Teetassen und schaffe es, drei Tassen an meine Finger zu hängen. »Gut, nun denn, genießen Sie die restliche Party noch … Charlie, richtig?« Auch das sage ich mit einem ironischen Unterton, denn ich bin mir sicher, dass er eine gute Party nicht mal dann erkennen würde, wenn sie seinem wohlgeformten, perfekt rasierten Designerkinn einen Haken versetzen würde. »Und viel Glück mit den Buchten, die Sie verunstalten wollen.« Ein bisschen viele Glückwünsche, aber es hört sich gut an. Jetzt eine Schwanzdrehung und ein grandioser Abgang, ohne die Cocktails zu verschütten. Doch als ich mich herumdrehe, zieht etwas an meinem Schenkel, als ob jemand ein Seil festzurren würde. »Was, zur …?«, setze ich fauchend an.

»… Hölle, machen Sie da?« Mr. Hobson hält seine Aktenmappe auf Armlänge von sich gestreckt, je höher er sie anhebt, desto mehr begibt sich auch mein Fischernetz in die Höhe.

»Ihre Herrenhandtasche hat sich in meinem Netz verfangen«, zische ich.

Keine Ahnung, wie das möglich ist, aber Nell durchmisst mit zwei Schritten die gesamte Länge des Raums. »Ziehen Sie einfach dran, Charlie, das sollte genügen.« Sie hat die Begrüßung übersprungen und ist direkt dazu übergegangen, ihm Befehle zu erteilen. »Na los, machen Sie schon.«

»Oder wir könnten …«, piepse ich, während ich meine Kekse und die Tassen fest umklammere. »Ist es vielleicht möglich, es langsam zu entwirren?«

Nell schüttelt den Kopf. »Überlass das uns, wir schaffen das schon. Eins, zwei, drei, los!«

Charlie zieht die Mappe so fest zu sich, als würde er ein Rettungsboot an Land ziehen wollen. Ich taumele und schreie auf, während der Inhalt der Becher in die Luft katapultiert wird und sich mein gesamter Meerjungfrauenschwanz löst. Er segelt durch die Luft und donnert auf den Büfetttisch, wobei er ein paar Teetassen umkegelt und die Überreste des Macaron-Turms zerstört. Macarons klatschen an die Wände und rutschen über den Boden. Ich sehe mit offenem Mund zu.

»Grundgütiger.« Aus Charlie Hobsons persönlicher Regenwolke scheinen Blitze zu zucken.

»Heiliger Seestern.« Obwohl sich unter dem Meerjungfrauenschwanz noch der kurze Rock des Brautjungfernkleids befindet, fühle ich mich ohne irgendwie seltsam nackt.

Plum ist bereits zur Stelle, gibt ein paar tadelnde Laute von sich und räumt schnell das Netz vom Tisch. »Wenn wir ein elastisches Seil verwendet hätten, wäre das nicht passiert.«

Sophie schüttelt den Meerjungfrauenschwanz aus. Dann wickeln sie ihn wieder um mich herum und stecken ihn an den entsprechenden Stellen fest. »So, bitte schön. So gut wie neu.«

Nell hüpft umher und sammelt Macarons auf, ohne den Unmut des Bauunternehmers zu beachten. »Und ich dachte, du wolltest heute niemanden abschleppen, Clemmie? Willst du uns jetzt vielleicht mal endlich alle vorstellen?«

Gemessen an dem, was ich bisher so von ihm mitbekommen habe, würde ich jedem raten, mindestens einen Kilometer Abstand zu Mr. Hobson zu halten und ihn lieber nicht näher kennenzulernen. Aber ich weiß, wann ich verloren habe, also beiße ich die Zähne zusammen und bringe es hinter mich. »Charlie, das ist die berühmte Sophie May, die das Event hier organisiert hat. Plum gehört die Galerie und Nell ist St. Aidans renommierteste Eventmanagerin.« Das dürfte es eigentlich ganz gut zusammenfassen.

Nell steht schon in den Startlöchern. »Schön, Sie endlich kennenzulernen, Charlie. Dürfen wir Ihnen vielleicht ein paar Produktproben mitgeben?«

Ich lächle Sophie an, um Nells unverfrorenes Manöver zu überdecken. »Mr. Hobson ist groß im Küstengeschäft, wenn ihr also irgendwelche unberührten Buchten im Angebot habt, so bin ich sicher, dass Mr. Hobson sie euch gerne abnehmen wird. Kosmetika sind eher nicht so sein Ding.« Ich sage das Ganze in einem humorvollen Ton, werfe aber zugleich Charlie einen bösen Blick zu, damit er weiß, dass ich es ernst meine.

Nell ignoriert mich und setzt alles auf eine Karte, als sie merkt, dass er zögert. »Sie könnten ja welche für Ihre Frau mitnehmen – oder für Ihre Freundin? Das haben die anderen Männer auch gemacht.«

Charlie hebt die Hand. »Nein, vielen Dank.« Wenn Nell jetzt noch fragt, ob er stattdessen seiner Mutter eine Freude mit den Produkten machen will, wird er wahrscheinlich implodieren.

Nell zieht eine Augenbraue hoch, tastet unter den Netzen, die ihren Unterkörper umschlingen, nach etwas und zieht eine Broschüre hervor. »Wenn das so ist – vielleicht interessiert Sie das hier ja.«

Jemand muss dem Ganzen schnell ein Ende setzen, und ich schätze, dieser Jemand werde ich sein müssen. »Sie müssen Nell entschuldigen. Sie ist die gute Fee des Singleklubs von St. Aidan. Am besten ignorieren Sie sie einfach.«

Charlie macht den Eindruck, als könnte er gar nicht schnell genug von hier verschwinden. »Ich bin definitiv nicht auf der Suche nach einer Partnerin. Aber wenn Sie schon so drauf bestehen – vielleicht nehme ich eine Gesichtsreinigungslotion für meine Mutter? Oder noch ein paar Macarons?« Von den dreihundert Gästen ist er der Einzige, der es schafft, das Ganze so hinzudrehen, als täte er uns einen Gefallen. Grimmiger Blick inklusive.

»Sehr gerne.« Trotz der Abfuhr hat Nell einen triumphierenden Ausdruck auf dem Gesicht, als sie ihm die Geschenke überreicht.

Er hält die Tüte hoch. »Vielen Dank. Es war schön, Sie alle kennenzulernen, aber jetzt muss ich dringend noch zu einem Geschäftsessen.« Da ist es wieder, dieses falsche »schön«. Das angedeutete Lächeln auf seinen Lippen rührt wahrscheinlich daher, dass er froh ist, endlich gehen zu können, doch nicht mal das erreicht seine Augen. Er wendet sich mir zu. »Kann ich Sie vielleicht nach Hause bringen – als Entschädigung dafür, dass ich Ihnen Ihre Schwanzflosse abgerissen habe?« Ich beschließe, vollkommen ehrlich zu sein. »Danke, aber eigentlich habe ich kein Zuhause. Und wenn, dann würde ich wahrscheinlich sowieso lieber nach Hause schwimmen.« Ich spiele weiterhin meine Meerjungfrauen-Rolle, bleibe mir aber zugleich selbst treu, während ich ihm zum Abschied winke.

Nell schaut ihm nach, bis er bei der Tür ist. »Ihr beiden habt viel gemeinsam.« Sie verengt ihre Augen zu Schlitzen. »Beide überzeugte Singles, beide süchtig nach Macarons …«

Ja, und er hat außerdem den grimmigsten Blick seit John O’Groats. Was nur einer von ungefähr hundert Gründen ist, wieso ich dieses Gespräch jetzt sofort abbrechen muss. »Ja, und da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Und jetzt halt die Klappe, Muschelgesicht.«

Und so endet mein erster Abend in St. Aidan. Was auch der Grund dafür ist, dass ich es kaum erwarten kann, wieder von hier wegzukommen.

2. KAPITEL

BRÖCKELNDE FARBE UND KLEBRIG SÜSSES FRÜHSTÜCK

In der Anwaltskanzlei von Trenowden, Trenowden und Trenowden

Donnerstag

»Deine Großmutter war eine große Verfechterin der Matrilinearität.« Kennst du das, wenn du keine Ahnung hast, wovon jemand spricht? Während die Worte des Rechtsanwalts bei mir zum einen Ohr rein und zum anderen rausgehen, schaue ich hinüber zu Sophie, die es ganz ohne Anstrengung schafft, sowohl cool als auch vollkommen kontrolliert zu wirken. Obwohl es erst neun Uhr morgens ist und sie Maisie auf ihrem Knie wippen lässt, ist ihre blassblaue Stoffhose gänzlich faltenfrei und ihr angeblicher Kater von außen nicht erkennbar. Sophie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der es schafft, ein Baby sowie eine Handvoll Karottenstäbchen zu jonglieren und ihre Kleidung dabei makellos weiß zu halten. Ich schaue über sie hinweg aus dem kleinen Fenster, zu den Cottages, die sich am Rande des Hafens entlangziehen. Beim Anblick der Morgensonne auf dem glitzernden Wasser blinzle ich den Anflug einer Migräne weg, verfluche gleichzeitig diese heimtückischen Cocktails und zwinge mich zu Konzentration. »Entschuldigung, was meinen Sie?«

Am anderen Ende des Schreibtisches sitzt George Trenowden und seufzt. Wir hatten uns gestern Abend mit einigem Abstand nur kurz zugewunken, aber hier in seinem Büro wirkt er um einiges größer. Dieser große blonde Hüne von einem Mann kümmert sich um so viele von Sophies Angelegenheiten, dass sie mittlerweile gute Freunde zu sein scheinen. Obwohl Trenowden, Trenowden und Trenowden die Mietwohnung verwaltet haben, seit sie mir vor all den Jahren vermacht wurde, war ich erst ein einziges Mal in ihrem Büro. Außerdem war der Trenowden, der damals anwesend war, eine ganze Generation älter gewesen und hatte sein Büro nicht hier, sondern in Penzance. Allerdings empfinde ich den festen Händedruck, mit dem dieser Trenowden mir bei unserer Ankunft beinahe die Hand zerquetscht hätte, auch nicht gerade als sehr freundlich. Ich verschränke meine noch immer schmerzenden Finger und hoffe, dass er gerade draußen auf dem Balkon war, als ich letzte Nacht meine Netze verloren habe.

Schlimmer noch, was ist, wenn er mich ansieht und sich dabei unweigerlich das Meerjungfrauenkostüm von gestern vorstellt? Aus diesem Grund sollten Faschingskostüme verboten werden. Aus dem gleichen Grund bleibe ich auch nie zu lange an einem Ort – um die peinlichen Erlebnisse so schnell wie möglich hinter mir lassen zu können. Mit ein bisschen Glück wird er vielleicht gleich etwas sagen, das auch ich kapiere.

»Die Wohnung, die dir deine Großmutter hinterlassen hat und die nun frei geworden ist? Der Grund, weshalb du da bist?« Mit hochgezogener Augenbraue vergewissert er sich, dass ich wieder anwesend bin. »Soweit ich weiß, hatte Laura sich dazu entschieden, sie dir anstatt ihren Enkelsöhnen zu vermachen.«

Ich zucke mit den Achseln, richte meinen Blick auf die Spitze meiner Wildlederstiefel und entdecke etwas, das aussieht wie ein klebriges Stück Haferflockenbrei. Das habe ich Sophies Kindern und ihren überschwappenden Cornflakesschüsseln zu verdanken. Dass sie Bio und in Mandelmilch getränkt sind, macht die Sache nicht wirklich besser. Was die Schuhe angeht, so bin ich mir sicher, dass meine Füße die einzigen in ganz St. Aidan sind, die nicht in Flipflops oder Baseball-Schuhen stecken. Als ich vierzehn war, wurden mir Schuhe mit hohen Absätzen verordnet, damit ich weniger untersetzt wirke.

Und auch wenn St. Aidan ein Minenfeld voller Granitstufen und Sandhaufen ist, werde ich in der kurzen Zeit, die ich hier bin, mit meinen Stiefeln schon klarkommen. Aber wie kann man Frühstücksüberreste in einem Anwaltsbüro unauffällig verschwinden lassen? Während ich meine Hand um das klebrige Etwas schließe, wünsche ich mir, ich hätte mein Nachthemd mit der Aufschrift »Ich wäre jetzt lieber beim Schuheshoppen« angelassen, nur um zu zeigen, dass ich in diesem Moment am liebsten ganz woanders wäre.

Es hört sich merkwürdig an, wenn ich sage, dass meine verstorbene Großmutter und ich nicht miteinander verwandt waren, aber so fühlt es sich für mich an. Ich kenne Laura hauptsächlich durch ihre feine Handschrift auf den Paketen, die an jedem bedeutsamen Tag meiner Kindheit bei uns eintrafen. Sie muss zu den Leuten gehört haben, die ein gutes Gespür für Geschenke haben, denn in der Regel lag sie mit dem Inhalt ihrer Pakete immer richtig. Aber die Freude wurde meistens getrübt durch die gereizte Reaktion meiner sonst so fröhlichen Mutter. Als Laura starb und mir unerwarteterweise die Wohnung vermachte, nahm ich keine große Notiz davon, ich war zu der Zeit viel zu sehr damit beschäftigt, Party zu machen. Die Miete deckte die Unterhaltskosten, die Anwälte kümmerten sich um alles, und bis vor Kurzem habe ich es geschafft, mich um die Pflichten eines Grundbesitzers zu drücken. Was Lauras übrige Familienangelegenheiten angeht, so halte ich mich bewusst aus diesen heraus. Mein ganzes Leben über habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, so wenig wie möglich über die Marlows zu wissen.

»Über ihre anderen Enkelkinder kann ich nichts sagen, sie war nicht meine wirkliche …« Ich verstumme. Sophie wirft mir ein Lächeln zu und ich versuche es erneut. »Abgesehen von der Zeit, als ich noch sehr klein war, stand ich ihr nie wirklich nahe.«

Mein biologischer Vater zog es vor, sich aus dem Staub zu machen, anstatt bei meiner Mutter und mir zu bleiben, aber was man nie hatte, kann man auch nicht vermissen. Meine Mutter war die Beste. In unserem kleinen Cottage wäre für einen Vater ohnehin kein Platz gewesen. Das erklärt auch, weshalb meine erweiterte Meerjungfrauenfamilie mir immer so wichtig war. Als ich fünf war, verliebte sich meine Mutter in einen Mann namens Harry, der es wirklich wert war. Harry ist derjenige, den ich als meinen wahren Vater ansehe. Wenn jemand deine ganze Kindheit über für dich da ist, dann ist das viel mehr wert als ein Haufen abwesender Gene. Was wahrscheinlich der Grund dafür ist, weshalb ich mich wie eine Hochstaplerin fühle, wenn ich hier sitze und auf etwas Besitzansprüche erhebe, das mir gefühltermaßen eigentlich gar nicht gehören sollte.

George räuspert sich und lächelt mich an. »Ach übrigens, ich hoffe, du spürst keine Nachwirkungen von gestern, Clementine?«

Ich lächle unbehaglich zurück und hoffe inständig, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wovon er spricht. »Nachwirkungen?«

Sein Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen. »Satzung der St. Aidan Sirenen, Regel Nummer siebenundsechzig, das Stehlen von Schwänzen ist strengstens untersagt.«

Mist. Also sieht er wirklich eine Meerjungfrau in mir. Dann hat er sicher auch meinen »schlimmsten Moment« mitbekommen. Ich beiße meine Zähne zusammen, und noch bevor ich fähig bin, eine Antwort von mir zu geben, geht Sophie dazwischen.

»Es wurden keine Meeresbewohner während der Einweihungsfeier verletzt. Du weißt doch, wie strikt unsere Naturschutzgesetze sind, schließlich hast du sie doch verfasst. Wollen wir dann weitermachen?«

»Sicher.« George klingt zögerlich. »Aber wirklich schöne Kostüme. Das werde ich auch an Charlie Hobson weitergeben. Er wird sicher sehr erleichtert sein zu hören, dass du die Sache überlebt hast und nicht vorhast zu klagen.«

Oh Mann, den Namen meines übellaunigen, unabsichtlichen Schwanzdiebes auszusprechen, hätte er sich echt sparen können. Ich nehme es George nicht übel, dass seine Gedanken an einem Donnerstagmorgen von seinem juristischen Job abschweifen, aber irgendjemand muss seine Aufmerksamkeit schnellstmöglich wieder auf das zurücklenken, worum es hier eigentlich geht, bevor ich vor Scham im Erdboden versinke. »Haben wir nicht gerade über Matrilinearität gesprochen?« Vielleicht hatte ich ja doch zugehört.

»Stimmt. Danke, dass du mich daran erinnerst, Clementine. Eigentum über die mütterliche Linie zu vererben, ist nichts Ungewöhnliches, aber der Punkt ist, dass Laura sicherstellen wollte, dass du nicht leer ausgehst, ganz egal, was ihre Söhne auch dazu sagen mögen. Aus ihrem Nachlass ist ersichtlich, dass sie das Beste für dich wollte. Und in weiser Voraussicht hat sie für die Wohnung eine langfristige Pacht vereinbart, damit du erst dann die Verträge überschrieben bekommst, wenn du bereit dazu bist.« Er sendet einen kurzen Blick in Sophies Richtung, um sich ihrer Zustimmung zu vergewissern. Wenn sie wirklich Einwände gehabt hätte, wäre sie mittlerweile bestimmt dazwischengegangen und hätte ihn zum Schweigen gebracht. »Nachdem der Mieter nun ausgezogen ist, vermute ich, dass du hier bist, um dir die Schlüssel zu holen, bevor wir die rechtliche Seite klären?«

Sophie nickt enthusiastisch für uns beide.

Obwohl ich seit fünfzehn Jahren darüber Bescheid weiß, wird mir die Tragweite des Ganzen jetzt erst bewusst. Und nachdem Clementine ein eher seltener Name ist, fühle ich mich, als würde er nicht mit mir, sondern mit jemand anderem reden. Ich möchte nicht den Anschein einer verzogenen, undankbaren Göre erwecken, aber irgendetwas hält mich zurück. Ich runzle die Stirn und atme tief ein. »Ich bin für einen Schüssel noch nicht so richtig bereit.« Wobei – was habe ich eigentlich erwartet, wenn nicht einen Schlüssel? »Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob ich die Wohnung überhaupt will. Wenn ich so darüber nachdenke, will ich da eigentlich gar nicht hingehen.«

George runzelt die Stirn, während er meinen Widerwillen registriert. Doch dann macht sich ein Lächeln in seinem Gesicht breit, das sich auf seine Stimme überträgt. »Mach dir keine Gedanken, ich kenne ja die Hintergründe und kann das vollkommen nachvollziehen. Bei den derzeitigen Marktverhältnissen dürftest du einen guten Preis bekommen, falls du verkaufen willst. Wir könnten uns für dich um die Räumung und den Verkauf kümmern.«

Das hört sich immer besser an. »In Ordnung …« Ich hatte mich darauf eingestellt, ein paar Wochen in meiner stürmischen alten Heimat verbringen zu müssen, aber auf diese Weise könnte ich schnurstracks zurück nach Paris fahren und die Füße hochlegen.

George nimmt ein Foto vom Tisch und befreit es von einer unsichtbaren Staubschicht. »Die Wohnung ist ein wenig altersschwach oder ›sanierungsreif‹, wie Makler es nennen würden. Aber dank der schönen Aussicht mit Blick auf die Bucht solltest du keine Probleme haben, Interessenten zu finden.«

»Die Wohnung hat Meerblick?« Der Gedanke an eine Renovierung lässt Sophie zuerst erschaudern, doch dann wird sie von einer derartigen Welle der Begeisterung erfasst, dass sie Maisie beinahe über den Schreibtisch schleudert. »Wo genau befindet sie sich denn?« Sie dreht sich schnell um und fixiert mich mit demselben »gierigen Wolfsblick«, mit dessen Hilfe sie ihre Kosmetikprodukte innerhalb von nur zehn Jahren aus ihrer Küche in die Bestsellerliste von John Lewis katapultiert hat.

Ich zucke ahnungslos die Schultern. »Irgendwo zwischen dem Hafen und der Strandpromenade. Bei meinem letzten Besuch war ich noch nicht groß genug, um aus dem Fenster schauen zu können.« Das war in meiner Kindheit, bevor Laura weggezogen ist, um näher bei ihrem Sohn zu sein. Ich kann mich an einen Samtstuhl in der Farbe eines Flamingos erinnern, an eine Spieluhr, unglaublich viele Kuchen und Zuckerguss. Und an meine Mutter, wie sie mich auf dem Heimweg zu unserem Cottage auf dem Hügel über das Straßenpflaster des Hafens schleift.

George stellt das Foto ab und sieht auf. »Es ist eine Dachgeschosswohnung im Seaspray Cottage, dieser Geröllhaufen am anderen Ende des Kais.«

Sophie stößt einen schrillen Schrei aus. »Doch nicht etwa das Haus mit der abblätternden Farbe und dem langen Balkon mit Blick auf den Ozean?«

»Genau das.« Er nickt.

Sophie fährt ihn an: »Verflucht nochmal, George, hättest du mir das eher gesagt, hätte ich Clemmie nicht wochenlang noch herumgurken lassen, sondern sie in den nächsten Flieger nach Hause steigen lassen.«

Er lacht. »Auch wenn du mich noch so sehr drangsalierst, kann ich dir doch nicht alle meine Geheimnisse verraten.«

Sie schnieft. »Du erzählst mir überhaupt nie welche.« Dann dreht sie sich zu mir. »Bist du noch zu retten, Clemmie? Natürlich lassen wir uns die verdammten Schlüssel geben. Du siehst es dir einfach mal an, ohne irgendwelche Verpflichtungen, okay?«

Der Gedanke an Verpflichtungen lässt meine Alarmglocken läuten. »Was ist mit Reparaturen? Und gesundem Menschenverstand? Und Zählerablesungen?« Sollte ich albern und wirr klingen, dann liegt das daran, dass das nicht meine Fragen sind, sondern die meiner Mutter. In den Tiefen meiner Tasche liegt irgendwo ein zerknüllter Zettel mit einer »Realitätscheck«-Liste, die sie mir vor ihrer Abreise nach Südamerika zusammengeschrieben hat. Wenn ich gewusst hätte, dass ich sie benutzen würde, hätte ich sie sorgfältiger gelesen.

George bläht die Backen auf. »Das Anwohnerkomitee ist für die meisten Angelegenheiten zuständig. Sie waren über die Jahre hinweg recht streng mit ihren Regeln. Aber die Details können warten.«

Sophie erstickt mein erschrockenes Stöhnen. »Um diese langweiligen Angelegenheiten kümmern wir uns später, Clems. Erst wenn wir wirklich müssen. Hast du die Schlüssel?« Sie streckt ihren Arm über den Schreibtisch, George öffnet seine Schublade und die Schlüssel fallen in ihre Handfläche. Sie klimpert damit in Georges Richtung und bugsiert Maisie und mich durch die Tür. »In einer halben Stunde sind wir wieder da.«

»Hat mich gefreut, dich in meinem Büro begrüßen zu dürfen, Clementine.« Ehe ich mich versehe, hat George meine Hand samt Inhalt in einem festen Griff, der Moleküle zerteilen könnte.

Als ich sie wieder zurückbekomme, ist sie frei von Müsliresten – so viel zu den Theorien über das Verschwinden Dunkler Materie. Wahrscheinlich wird George das Lachen vergehen, wenn er Maisies Frühstücksreste auf seinem Designeranzug findet.

Er ruft uns nach. »Lass deine Verführungskünste wirken, Sophie Kartoffelchen. St. Aidan könnte eine weitere Meerjungfrau gut vertragen.«

Als Sophie mich an der leeren Rezeption vorbeidrängt, entfährt mir ein erstauntes Krächzen. »Hat er dich gerade Sophie Kartoffelchen genannt?« Das war der Name, den wir ihr als Kinder gegeben haben, weil sie nie etwas anderes essen wollte als Kartoffelbrei. Hat gut gepasst zu Nellie Melone und Victoria Pflaume.

Sie lacht laut auf. »Die Grundregel für ein erfolgreiches Unternehmen: Halte deine Feinde nahe bei dir und deinen Anwalt noch näher. Er kann echt lustig sein, wenn er sich entspannt, und unsere Kindernamen sind dabei sehr hilfreich. Wenn er hört, dass du Clemmie Orangina bist, wird er bestimmt mit dem Clementine-Blödsinn aufhören. Findest du nicht auch, dass, wann immer er deinen vollen Namen sagt, er sich anhört, als hätte er einen Stock im Arsch?« Bevor ich darauf antworten kann, entdeckt sie ein Schild auf dem Tresen der abwesenden Rezeptionistin und schnappt es sich. »Hey, Trenowden, Trenowden und Trenowden haben eine befristete Stelle für eine Rezeptionistin offen. Ihre übliche Perle Janet ist gerade im Urlaub, weil ihre Tochter Zwillinge bekommen hat. Was für ein glücklicher Zufall.«

Ich stehe da mit offenem Mund und sehe ihr zu, wie sie das Schild in ihre Wickeltasche stopft. »Bitte sag mir, dass du das Schild nicht klaust?«

Ihr Grinsen ist undurchschaubar. »Ausleihen ist eine bessere Bezeichnung. Gewinnen für Anfänger, sieh zu und lerne. Wozu das Jobangebot noch länger hier herumliegen lassen, wenn die perfekte Kandidatin dafür bereits hier ist?«

Ich verziehe mein Gesicht. »Du hast vier Kinder, eine Fabrik und eine Marketinggruppe. Woher willst du die Zeit für einen weiteren Job nehmen?« Sophie hatte schon immer große Ambitionen und hat schon immer mehrere Tätigkeiten gleichzeitig ausgeübt. Aber selbst für einen ehrgeizigen Workaholic wie sie wäre eine weitere Beschäftigung einfach zu viel.

Sie lacht. »Nicht für mich, Dummkopf. Dieser Job ist wie geschaffen für dich. Du könntest ihn ganz leicht nebenbei machen, während du die Wohnung renovierst. Seien wir realistisch, Farben kosten eine ganze Stange Geld. Und da es ja nur vorübergehend ist, brauchst du dich auch nicht gefangen zu fühlen.«

Nachdem mir George gerade eine ideale Möglichkeit aufgezeigt hat, mir die Wohnung vom Hals zu schaffen, führt mich Sophie nun an einen Ort, an dem ich gar nicht sein möchte. »Wer hat was von Renovieren gesagt?« Die größte Fläche, die ich bisher in meinem Leben bemalt habe, sind meine Fingernägel. Und auch wenn ich einen täglichen Farbwechsel mag, bekomme ich ja da schon Probleme, sobald sie zu lang werden. Wie soll ich denn da eine Wand streichen?

»Ohne Altersdiskriminierung betreiben zu wollen, aber die Wohnung wird bestimmt nach alten Leuten riechen. Ein neuer Anstrich in warmem Weiß, hier und da eine Wand, die sich farblich vom Rest abhebt, und schon wird der Verkaufspreis in die Höhe schnellen. Du musst es einfach tun.« Ihr entschlossener Gesichtsausdruck sagt mir, dass es sinnlos ist, ihr zu widersprechen. »Und was noch wichtiger ist, denk an all die heißen Typen, die George besuchen. Wenn du erst mal hinter dem Empfangstresen sitzt, werden wir schon einen attraktiven Mann für dich finden.«

Ich dachte, ich hätte mich letzte Nacht klar ausgedrückt. »Verwechsle mich nicht mit Nell, ich bin nicht diejenige, der das Herz gebrochen wurde, ich bin nicht einsam und auf der Suche. Ich bin Single, weil ich es mag, frei zu sein. Ich habe mich gerade drei Monate lang darum bemüht, nicht mit zehn Millionen Parisern auszugehen; da wird sicher kein Mann aus dem kleinen, langweiligen St. Aidan meine Überzeugung plötzlich umwerfen.«

Sie stöhnt. »Weltenbummlerin zu sein, ist ja schön und gut, wenn du zwanzig bist. Aber ständig unterwegs zu sein, wird dir keine innere Zufriedenheit mehr schenken, sobald du über dreißig bist.«

Ich muss es ihr sagen. »Abgesehen von dem Hygge-Blödsinn hörst du dich mit deinem ›Bleib zu Hause und sei langweilig‹ an wie meine Mutter.« Früher hat sie gegen meine Reisen nichts gehabt, weil es das war, was sie selber gerne getan hätte, aber nie geschafft hat. Aber seit ich die dreißig erreicht habe, muss ich mir von ihr ununterbrochen dasselbe Mantra anhören wie auch von Sophie.

»Meinst du deine wundervolle Mutter, die derart langweilig ist, dass sie gerade sechs Monate auf einem Berg in Peru lebt?«

»Sie besteigen keine Gipfel, sie besuchen Bergdörfer.« Sie und Harry beteiligen sich sechs Monate lang an einem Gesundheitserziehungsprogramm.

»Du weißt, was ich meine.« Sophie grinst mich über die Schulter hinweg an. »Schau mal, wer da kommt. Gerade rechtzeitig, um dir die Attraktivität von Georges Klientel zu beweisen.«

»Großartig.« Gerade als meine Kopfschmerzen am Abklingen waren, bringt der Anblick von Charlie Hobson, der über das Kopfsteinpflaster direkt auf uns zukommt, meine Schädeldecke sofort wieder zum Pochen. Nach Partys in Paris konnte ich die Leute selbst dann nicht mehr wiederfinden, wenn ich es gewollt hätte. Hier in St. Aidan ist es noch nicht einmal neun Uhr, und schon laufe ich dem Typen über den Weg, den ich eigentlich niemals hätte wiedersehen wollen.

Sophie begrüßt ihn. »Hallo, Charlie, wie geht es Ihnen heute Morgen?«

Er beugt sich zu Maisie runter und wackelt mit den Augenbrauen, wird aber, noch bevor er wieder aufsehen kann, von seinem Handy abgelenkt und zieht eine Grimasse. »Bin spät dran, aber danke für die Party gestern.« Als er seinen Kopf in meine Richtung dreht (ich versuche, mich hinter der Wickeltasche zu verstecken), ist in seinem Gesicht nicht einmal der Hauch eines Lächelns zu erkennen. Dieser leere, abwesende Gesichtsausdruck kommt bestimmt davon, dass er zu viele krumme Geschäfte abgewickelt hat. »Kein Schwanz heute? Hat es jemand anderes geschafft, ihn dir zu stehlen, oder hast du beschlossen, an Freitagen Menschengestalt anzunehmen?«

Ich kann nicht glauben, was er mir da entgegenwirft. »Um genau zu sein, ist heute Donnerstag.« Ich halte inne und warte, bis die Worte bei ihm ankommen. »Was bedeutet, dass du für deine Verabredung wahrscheinlich einen Tag zu früh dran bist.«

Er verzieht das Gesicht. »Danke, dass du mich daran erinnerst.« Er wirft einen kurzen Blick auf Sophie. »Das waren die Cocktails, die haben mich verwirrt. Das nächste Mal solltest du deine Gäste lieber warnen, bevor du ihnen Dynamit in Form von Tee servierst.«

Sophie überhört seine Worte und richtet den Blick auf mich. »Na also, geht doch, du bist ein Naturtalent, Kleines.« Dann wendet sie sich an Charlie. »Leg bei George ein gutes Wort ein für Clemmie, sie steht an erster Stelle, was seine Wahl einer neuen Rezeptionistin angeht. Sie ist genau die Richtige, um seinen Kunden einen entspannten Empfang zu bereiten.«

Ich presse die Lippen aufeinander und bleibe stumm. Wenn sich Sophie in einer ihrer »Welteroberungsstimmungen« befindet, dann sollte man sich ihr lieber nicht entgegenstellen. Hinterher kann man dann die Scherben zusammensammeln.

»Das werde ich – selbst wenn sie mich mit meinen Terminen durcheinanderbringt«, sagt er seufzend. Als er durch die Tür geht, verzieht sich sein Gesicht eher zu einer Grimasse als zu einem Lächeln. »Wobei jeder Tag ein guter Tag für Geschäfte ist.«

Ich grummle und warte, bis die Tür sich schließt. »Hat er das wirklich gesagt? Das ist der lebende Beweis dafür, dass Intelligenz und gutes Aussehen nicht immer Hand in Hand gehen.« Obwohl Maisie sehr angetan zu sein scheint. Ehrlich gesagt lassen einen diese Grübchen in den Backen, die sein sarkastisches Lachen zum Vorschein brachte, tatsächlich dahinschmelzen. Und diese Zähne. Wunderschöne Schneidezähne, die genau das richtige Maß an Imperfektion aufweisen. »Stell dir vor, das würde dir jeden Morgen begegnen. Dir wäre so flau im Magen, dass du unmöglich frühstücken könntest.« Und sofort verfluche ich mich dafür, dass mir das rausgerutscht ist.

Sophie verzieht eine Augenbraue. »Flau? Wie meinst du das?«

Ich drücke eine Hand auf meinen Bauch, um sein Grummeln zu unterdrücken, und schlucke schwer. »Nein, du hast recht, es braucht schon mehr als den Gedanken an hässliche Häuser, um mir mein Pain au chocolat zu vermiesen.« Ich glaube, sie hat es mir abgekauft. Bei Alphamännchen bekommt man keine weichen Knie, sondern macht sich über sie lustig. Wie alle anderen werde ich die Cocktails dafür verantwortlich machen.

Sophies Stirnrunzeln kann es mit Charlies aufnehmen. »Nach Nates Aussage zeichnet sich die typische Hobson-Strategie dadurch aus, nacheinander so viele Cottages in einer Reihe wie möglich zu erwerben, um sie dann dem Erdboden gleichzumachen und stattdessen sauteure Wohnungen zu errichten. Kein Zweifel, er ist bestimmt hier, um den Einheimischen ihre Häuser abzukaufen und unser Dorf zu zerstören.«

»Ärger auf zwei Beinen also.« Das hatte ich mir schon gedacht.

Sie nickt. »Der Mann zerstört alles, was er in die Finger kriegt. Er macht genau dasselbe mit großen, abgeschiedenen Villen.«

»Er verkörpert alles, was wir hier nicht wollen.« Ich bin überrascht über die kämpferische Verteidigungshaltung, die ich innerlich einnehme – wenn man bedenkt, dass ich sonst meistens, ohne zu zögern, so schnell wie möglich einem Ort den Rücken kehre …

Sophies Nasenlöcher weiten sich. »Er ist fest entschlossen, St. Aidan Ziegel um Ziegel aufzukaufen. Auch wenn wir das selbstverständlich nicht zulassen werden.« Sie sieht mich bedeutsam an. »Wir könnten jemanden gebrauchen, der ihn für uns im Auge behält, falls du deine Bekanntschaft mit ihm ausbauen möchtest. Auch wenn er eine sehr abstoßende Wirkung auf einen haben kann, ist er doch nicht ganz ohne Reize.«

Manchmal glaube ich, dass sie taub ist. »Definitiv nicht!« Das kam so laut aus meinem Mund, dass ich etwas zurückrudern muss. »Trotzdem danke. Können wir uns jetzt endlich die Wohnung ansehen?« Wer hätte gedacht, dass ich sie am Ende noch dazu antreiben würde?

3. KAPITEL

GEWITTER UND EIN UNERWARTETER REGENBOGEN

Seaspray Cottage

Donnerstag

»Na, was hältst du davon, Clemmie? Kannst du dich an irgendwas hier erinnern?«

Sophie und ich stehen mit dem Rücken zum Meer vor dem Seaspray Cottage und sehen uns alles genau an: den bröckelnden Putz, die schmalen Erkerfenster und das Schieferdach, das vor dem kornblumenblauen Himmel schimmert, als wäre es aus gehämmertem Silber. Der Anstrich ist zu einem Sandfarben verblasst, und die Buchstaben auf dem Klingelschild sind mittlerweile so unleserlich, dass uns nur der Balkon, der so fragil aussieht, als würde er von unsichtbaren Haken gehalten, einen Anhaltspunkt liefert, dass es das richtige Haus ist. Die Stufen hinauf zur Haustür sind so uneben, dass ich beinahe stolpere.

»Als George sagte, dass das Haus ›nicht mehr verkaufsfähig‹ sei, war das noch untertrieben. Es ist reif für die Abrissbirne, Ende der Geschichte. Ich glaube, wir sollten wieder abhauen.« Ich hatte nicht erwartet, dass sich meine Befürchtungen so schnell als wahr herausstellen sollten.

»Viele Leute sind der Ansicht, dass eine gewisse Patina einem Haus erst Charakter verleiht«, sagt Sophie nachdenklich. »Auf jeden Fall ist das Haus der Witterung voll ausgesetzt, man hat es an eine Stelle gebaut, von der aus man in drei Richtungen einen guten Ausblick hat.«

Ich verziehe das Gesicht, während es in meinem Gehirn arbeitet. »Ich kann mich gar nicht erinnern, dass es sich am Ende einer Sackgasse befindet.« Das Cottage steht einsam etwas abseits des Kais, wo die Straße in einen kleinen Trampelpfad übergeht, der sich durch die Dünen hindurchschlängelt und hinunter zur Strandpromenade führt. Jeder noch so kleine Windstoß weht eine Ladung Sand über die niedrige Grundstücksmauer in den Garten, der das Cottage von drei Seiten umgibt. Obwohl das Haus mit seinen drei Stockwerken und den vielen Fenstern auf den ersten Blick klein erscheint, scheint es innen doch recht geräumig zu sein.

Sophie unterdrückt ein Lächeln. »Da es sich so nah am Meer befindet, schätze ich mal, dass der Name Programm ist.«

Das wird ja immer schlimmer. »Du meinst, dass hier regelmäßig die Meeresgischt an die Fenster spritzt?« Die Vorstellung, dass an stürmischen Tagen das kalte Salzwasser gegen die Scheiben klatscht, lässt mich jetzt schon zittern, als würde ich gerade ein Erdbeben miterleben.

Sophie lacht. »Keine Sorge, zum Glück heißt das Haus ja deswegen auch Seaspray Cottage, das Meerwasser wird in leichten Brisen hier herangetragen. Sonst hieße es ja Splash House oder Tidal Wave Towers, dann würde das Wasser in Flutwellen ankommen, ja.« Sie positioniert Maisie neu und sucht in ihrer Tasche nach den Schlüsseln. »Da wir es jetzt schon so weit geschafft haben, können wir auch reingehen und uns die Bescherung drinnen ansehen.«

Entgegen meinen Erwartungen muss Sophie nicht mit einem verrosteten Schloss kämpfen; im Gegenteil, der Schlüssel dreht sich mühelos im Schloss, und die Tür öffnet sich, ohne zu knarren. Als wir den hellen, gelbbraun gestrichenen Korridor betreten, der hier und da mit kleinen Flecken Sonnenlicht gesprenkelt ist, kommt mir mit einem Mal alles so bekannt vor, dass ich noch auf der hübschen Fußmatte aus Kokosbast innehalte.

»Immer noch derselbe Geruch wie früher. Wie seltsam …«

Sophie verzieht die Nase und schafft es irgendwie, nicht in mich reinzulaufen, und bleibt ebenfalls stehen. »Frische, salzige Luft … und diese alten Dielen, wurden die mit Bienenwachs behandelt?«