Die Kleinschmidts und Victoria - Kirsten Jebsen - E-Book

Die Kleinschmidts und Victoria E-Book

Kirsten Jebsen

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Beschreibung

Die Katze Victoria ist eine Streunerin, die ihre Freiheit und Unabhängigkeit liebt und sich in ihrer Welt durchaus zu behaupten weiß. Doch plötzlich zwingt sie ein schreckliches Ereignis zum Umdenken... "Die Kleinschmidts und Victoria" ist der erste lebendig erzählte Band einer geplanten Reihe. Die Figuren werden liebevoll aus der Sicht der Menschen und der Tiere charakterisiert, so dass der Leser in den nächsten Bänden den Eindruck haben wird, guten alten Bekannten zu begegnen.

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Liebe Leserin und lieber Leser,

wir haben so viel Freude in der Kleinschmidts-Welt und möchten diese mit dir teilen. Auf dass sich auch dein Herz noch weiter für eine neue, faire Welt öffnet, in der Mensch und Tier wirklich glücklich miteinander leben können. Besuch uns und die Kleinschmidts gerne auf:www.diekleinschmidts.de

Aus Liebe In Liebe Für die Liebe

Kirsten & Sandra

Widmung

Aus Liebe In Liebe Für die Liebe

Aus tiefer Dankbarkeit widme ich dieses Buch meiner geliebten Familie mit unserer Kämpferin Victoria, dem wundersamen Licht und meinem Herzenswunsch.

Kirsten Jebsen

Meine Illustrationen widme ich meinem geliebten Augenstern Maya, die 13 wunderschöne Jahre lang ihr Licht in mein Leben strahlte. In ihren letzten Tagen stellte sie sicher, dass ich diesen -meinen- Herzensweg auch wirklich gehe. Danke, meine Wundervolle! Du bist immer in meinem Herzen.

Sandra Fräßdorf

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Kämpferin

Die Begegnung

Das Schulfest

Das Licht

Die Suche

Die komplette Bande

Besuch beim Tierarzt

Ein Zuhause

Die Kleintierzooarbeit

Die Überraschung

Vorwort

Victoria hielt bewegungslos dem Blick ihrer Gegnerin stand. Trotz der Dunkelheit nahm sie jede kleinste Bewegung wahr. Sieg oder Niederlage. Darum ging es. Einzig und allein darum. Victoria war zu allem entschlossen. Ihr Gegenüber, mit den stechenden Augen und dem peitschenden Schwanz, war in der Tat eine echte Herausforderung für sie.

„Hau ab, verschwinde! Hier will dich niemand. Sieh zu, dass du dich aus dem Staub machst!“ Victoria sprach verächtlich zu ihrer Artgenossin. Kurz warf sie einen Blick auf deren gut gepflegtes Fell.

„Wenn du denkst, dass du hier zu Hause bist, hast du dich getäuscht. Ab jetzt bin ich hier. Los, such das Weite!“ Victoria drohte mit funkelnden Augen.

„Was willst du? Es ist doch genug Platz für uns alle da!“, erwiderte ihre Rivalin.

„Du kannst ein paar Sprünge weiter dein Recht einfordern, aber nicht hier! Das ist mein Revier!“ „Ich will aber nicht irgendeins! Ich will deins!“, fauchte Victoria und fiel sogleich schonungslos über ihre Gegnerin her.

Durch feuchten Nebel, der sich wie ein dichter Schleier zwischen Victoria und die goldbraune Katze schob, so, als wollte er sie voreinander schützen, war noch bis zum angrenzenden Feld das Geschrei der beiden kämpfenden Katzen zu hören. Bis Victoria siegte.

Die Kämpferin

Victoria, die dünne Katze mit dem kleinen, weißen Fleck auf der Brust, ihr einziger Schmuck, der aussah, als würde sie eine feine Brosche tragen, lebte auf der Straße. Sie hatte sich schon vor sehr langer Zeit für dieses Leben entschieden, denn sie brauchte ihre Freiheit wie die Luft zum Atmen. Selber entscheiden zu können, was sie tun und lassen wollte, ja, das bedeutete für sie absolute Freiheit. Alleine schon bei dem Gedanken eingesperrt zu sein, fühlte sie sich wie ein wilder Tiger im Käfig.

Manchmal bekam sie jedoch auch Sehnsucht nach einem Zuhause. Ein Zuhause, das ihr Geborgenheit und Sicherheit geben konnte, in dem sie zu essen und zu trinken bekam, einen Schlafplatz und vielleicht sogar auch noch ein paar Streicheleinheiten.

Aber diese Gedanken verdrängte Victoria dann ganz schnell. Die brachten sie nur durcheinander. Und da sie sich ein solches Zuhause, bei ihrem starken Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit sowieso nicht vorstellen konnte, glaubte sie auch erst gar nicht daran.

Auch wenn die Winterzeit besonders schwer für sie war, so hatte sie doch bisher immer einen Weg gefunden, um überleben zu können. Schließlich war sie davon überzeugt, eine Kämpfernatur zu sein, ausgestattet mit unerschöpflichem Mut und Glauben an sich selbst.

Die Erfahrungen lehrten Victoria, ein Gespür für den Unterschied zwischen Freund und Feind zu entwickeln. Etliche, als schmerzhaft empfundene Zurückweisungen oder gar Fußtritte von Menschen ließen sie vorsichtig und misstrauisch sein.

Aus Kämpfen mit Artgenossen ging die Katze jedoch meistens als Gewinnerin hervor. Und wenn sie anschließend ihre Gegner aus deren Revier vertrieb, empfand sie kein Mitleid mit ihnen. Im Gegenteil. Das Leben bestand für sie aus einem sich ständig wiederholenden Kampf, und für Gefühle gab es keinen Platz. Deshalb hatten ihre ungeweinten Tränen auch dazu beigetragen, dass Victoria hart geworden war, hart gegen sich und andere.

Eine besonders große Herausforderung bedeutete für Victoria jedoch immer wieder die Begegnung mit einem Hund. Dann zuckte ihre Schwanzspitze, an der sich, zwischen den vielen schwarzen Haaren auch ein paar ganz feine weiße befanden, wie Federn so zart, die versuchten, sich in den Vordergrund zu drängen.

Ohne zu zögern stellte sich die Katze jedem Hund direkt in den Weg. Mutig machte sie dabei einen hohen Buckel, der sie fast doppelt so groß erscheinen ließ. Und obwohl sie in dem Moment ganz genau wusste, wie risikoreich es war, sich einem Hund so dicht zu nähern, überwog bei ihr der Reiz des Kampfes.

Der Hund, der bei dem Anblick der breitbeinigen Katze, die aussah, als wäre ihr Vater eine Bulldogge, noch in einem Moment völlig irritiert und hilfesuchend zu seinem Frauchen sah, konnte schon im nächsten Augenblick schmerzhaft ihre Krallen spüren. Blitzschnell hatte sie ihn angesprungen.

Mitten ins Gesicht. Und bevor sich der Hund versah, tropfte ihm auch schon das Blut warm aus der trockenen Nase und hinterließ auf der Zunge den Geschmack eines rostigen Nagels.

Mit eingeklemmtem Schwanz machte er von nun an einen großen Bogen um die Katze, so weit wie möglich, um ihr aus dem Weg zu gehen. Verächtlich sah Victoria anschließend ihrem Gegner hinterher und genoss voller Stolz das Gefühl von Überlegenheit und Stärke.

Das trug natürlich dazu bei, dass ihr in dem kleinen Dorf ein eindeutiger Ruf vorauseilte. Aber das war für sie nicht von Bedeutung, denn die Meinung anderer interessierte sie nicht. Sie wollte sich nichts sagen lassen. Und wenn sie an den schicken Einfamilienhäusern in dem kleinen Dorf im Norden entlang strich und ihre Artgenossen beobachtete, wie sie brav und gelangweilt in ihrem Zuhause eingesperrt auf den Fensterbänken saßen, bekam sie jedes Mal die Bestätigung dafür, dass sie so nicht leben wollte. Auch wenn das Fell der Stubenkatzen bewundernswert schön glänzte, nein, so ein eingeschränktes Leben wollte sie nicht.

Allzu gerne ärgerte Victoria die Katzen, indem sie angriffslustig von außen auf deren Fensterbänke sprang, um sie nachzuäffen. Dabei sah sie ihre Artgenossen durch die Fensterscheiben stumm, mit unbeweglichen Augen und spitzem Mäulchen an. Oder sie lief, stolz und provokativ zugleich, mit erhobenem Schwanz vor deren Fenster hin und her, sprang mal an einem Baum hoch und dann auch wieder herunter. Einfach nur um ihre Freiheit zu demonstrieren und den anderen zu zeigen, wie armselig doch deren Dasein war.

Sie liebte ihre Unabhängigkeit, auch wenn ihr Fell nicht so schön gepflegt war, sondern eher einer Steppenlandschaft glich. Und die Blessuren, die sie von ihren Kämpfen als kahle verkrustete Stellen davontrug - zugegebenermaßen nicht wirklich schön anzusehen- beachtete sie einfach gar nicht. Nur die Flöhe ärgerten sie manchmal bis zum Rande des Erträglichen, denn die kleinen Quälgeister wussten natürlich ganz genau, dass sie bei Victoria ihren Feind, das Flohpulver, nicht fürchten mussten.

„Aber das ist eben der Preis für die Freiheit.“, dachte sie bei sich und fand es so immer noch besser, als einen Besuch beim Tierfrisör, zu dem viele Katzen von ihren ehrgeizigen Frauchen geschleppt wurden.

Die Begegnung

So kam es, dass Victoria seit geraumer Zeit durch das kleine Dorf strich.

Fast täglich machte sie sich auf den Weg zu dem Feld, welches am nahen Dorfrand lag. Dort lebten viele Mäuse, und die Katze freute sich über dieses gute Jagdrevier. Idealerweise fand sie dort auch immer wieder einen geschützten Schlafplatz, in dem sie Ruhe finden konnte.

Zu dem Feld führte ein schmaler Weg, auf dem nur ab und zu ein Trecker entlang fuhr. Neben diesem Weg wuchs ein Grasstreifen, daneben lag gleich ein schmaler Graben und an dessen Böschung grenzten schon die Gärten von Einfamilienhäusern. Mit ihrem roten Stein und den weißen Fenstern waren sie typisch für die norddeutsche Gegend.

Hier war Victoria gerne unterwegs. Zum einen musste sie nicht so sehr auf den Straßenverkehr achten und zum anderen spielten an dem lehmigen Wassergraben häufig kleinere Kinder. Einige von ihnen saßen auch auf den Bäumen, die sich zum Klettern anboten.

Die Katze mochte Kinder und sah ihnen gerne zu. Meistens ließen sie die Katze auch in Ruhe, ohne sie zu ärgern. Und manchmal kramten sie sogar in ihren Taschen auf der Suche nach irgendetwas Essbarem. Dann hielten sie Victoria in ihren kleinen sandigen Händen mehr Krümel als Kekse hin. Aber da die Katze es sich nicht leisten konnte wählerisch zu sein, aß sie fast alles, was ihr entgegen gehalten wurde. Nur mit den klebrigen Bonbons, die kaum von den Kinderfingern weichen wollten, wusste Victoria nichts anzufangen.

Es war ein heißer Sommertag, an dem der Himmel in intensivem Königsblau friedlich ruhte. Victoria kam aus dem Maisfeld und spürte die Sonnenstrahlen, wie sie siedendheiß auf ihren Rücken fielen und den Sand, der unter ihren Pfoten brannte.

Sie hatte großen Durst und war auf Wassersuche. Deshalb lief sie zu dem Graben. Um dorthin zu gelangen, musste sie von dem heißen Weg auf den begrünten Seitenstreifen wechseln, dessen Gras so hoch war, dass sie das dahinter gelegene Wasser nur erahnen konnte.

Bald darauf sprang sie in nur wenigen Sätzen zu dem kleinen Graben hinunter und bückte sich tief hinab, um mit gierigen Schlucken die wohltuende Köstlichkeit aufzunehmen.

Sie trank und trank und konnte nicht genug von der kühlen Erfrischung bekommen. Dabei beobachtete sie die lustigen Kreise, die sich immer größer werdend im Wasser bildeten, um sich dann bald darauf auch schon wieder aufzulösen. Gedankenversunken verfolgte sie diese mit ihren Augen und wollte gerade das Trinken beenden, als auf einmal ein riesengroßer Schatten alles um sie herum verdunkelte. Wie ein Gespenst kam er ihr vor, das sich über ihr ausbreitete, als wollte es sie ersticken.

Bewegungslos suchte sie blitzschnell nach einer Erklärung. Aber schon im nächsten Augenblick fuhr Victoria erschrocken zusammen. Ein ohrenbetäubendes, grauenhaftes Bellen war jetzt direkt über ihr zu hören. Ruckartig riss sie den Kopf nach oben und erstarrte vor Angst. Sie sah in ein blutrotes, mit klebrigem Schleim gefülltes, weit aufgerissenes Maul, aus dem weißer Schaum tropfte. Riesige Zähne ragten daraus hervor, die so groß waren wie eine Maus, die auf den Hinterbeinen stand.

Es war ein riesiger Hund, der plötzlich dicht, viel zu dicht, über ihr stand. So groß und furchteinflößend, wie sie noch nie zuvor einen Hund gesehen hatte.

Voller Spannung sahen sich beide an. Sekunden vergingen, die Victoria wie eine Ewigkeit erschienen.

Bis sie auf einmal etwas Viereckiges, das sich vor dem Gesicht des Hundes abzeichnete, entdeckte. Es war ein Zaun, ein Maschendrahtzaun! Ihre Rettung! Erleichtert erkannte die Katze endlich den sicheren Schutz, der zwischen ihr und dem Monsterhund lag.

„Glücksmaus gehabt!“ Victoria holte tief Luft und merkte erst jetzt, dass sie vor Schreck fast vergessen hatte, weiter zu atmen.

Regungslos, immer noch mit starkem Herzklopfen, hielt die Katze dem Blick des Hundes weiterhin stand. Ganz allmählich gewann sie ihre alte Kämpfernatur zurück. Ihre weit aufgerissenen Augen, die vor Schreck fast so groß wie Hamsterräder geworden waren, zog sie, von einem Fauchen begleitet, zu bedrohlich schmalen Schlitzen zusammen. Der Hund tobte weiter und Victoria sah dessen ekligen, weißen Schaum in alle Richtungen spritzen.

Plötzlich durchschnitt eine keifende Frauenstimme so die Luft zwischen den beiden, dass ein Ruck durch den Riesenhund ging. Es war sein Frauchen, das von der Terrassentür aus versuchte lauter zu brüllen, als ihr Hund bellen konnte: „Bruno, aus! Schluss jetzt! Komm sofort hierher!“ Zähneknirschend verstummte der Hund, drehte sich widerwillig zu seinem Frauchen um und trottete mit gesenktem Kopf zu ihr, nicht ohne Victoria noch einmal einen katzenmordenden Blick zuzuwerfen.

Diese erstarrte vor Angst. Solch einen Schrecken hatte sie schon lange nicht mehr bekommen. Zum Glück war der Zaun zwischen ihnen. Zaghaft und mit zittrigen Beinen ging die Katze ganz dicht an das Grundstück heran und sah durch die Maschen hindurch.

Tatsächlich, dort mussten neue Leute eingezogen sein. Irgendwie hatte sie das gar nicht bemerkt. Zum Glück war der Zaun, der dieses Grundstück umgab, so hoch, dass dieses Ungeheuer von Hund nicht darüber springen konnte. Nur ein paar Katzenlängen von ihr entfernt, entdeckte Victoria eine kleine Zauntür.

„Also, wenn die Tür geschlossen ist, kommt dieses Monster bestimmt nicht von seinem Grundstück herunter.“, kombinierte sie und gewann ein Gefühl der Sicherheit.

Langsam gelangte sie zu ihrer alten Hochform zurück. Wütend wurde sie, schrecklich wütend. Was bildete sich dieser blöde Hundetyp eigentlich ein? Sie so zu erschrecken! „Na warte, dir werde ich es noch zeigen!“, rief Victoria dem Hund, der schon längst in der Terrassentür verschwunden war, trotzig hinterher.

„Von dir lasse ich mich doch nicht ins Bockshorn jagen! Mit mir machst du das nicht noch mal!“ Die Wut setzte Tigerkräfte in ihr frei.

Noch bevor Victoria an diesem Abend in dem nahegelegenen Maisfeld unter strahlendem Sternenhimmel einschlief, nahm sie sich fest vor, gleich am nächsten Morgen erneut zu dem Grundstück zu laufen, um dem Hund so richtig einzuheizen.

Es war dieses Mal eine unruhige Nacht, die sie verbrachte und am nächsten Morgen galt ihr erster Gedanke gleich dem Monsterhund. Ihre Katzenwäsche reduzierte sie auf ein Minimum, um sich so schnell wie möglich auf den Weg machen zu können.

In der Nähe des Grundstücks angekommen, schlich sie auf Samtpfötchen durch das hohe Gras des Seitenstreifens. Geduckt saß sie bald darauf zwischen saftig grünen Grashalmen und duftenden Blumen. Nur wenige Schritte von ihr entfernt lag ein dünner Ast, der sich quer über den Graben gelegt hatte. Gekonnt, mit balanciertem Gleichgewicht, kletterte sie so leise wie eine Ameise darüber, immer den Blick auf den Zaun gerichtet.

Als sie nun ganz dicht an der Zauntür angelangt war, sah sie nach oben zu dem Griff mit dem eisernen Schloss. Es steckte ein langer Schlüssel darin, der die Tür fest verriegelte.

Sie lief an dem Zaun weiter entlang und entdeckte auf dem Grundstück einen großen Swimmingpool. Direkt daneben flatterte eine Vielzahl von wunderschönen bunten Schmetterlingen, die in einem dichten Strauch Rast machten.

Und darunter, Victoria hielt die Luft an, lag dickbäuchig und träge der riesige Hund.

Obwohl sie auf dessen Anblick gut vorbereitet war, kam es ihr vor, als würde ihr Herz so laut schlagen wie die Kirchturmuhr des Dorfes, wenn es 12 Uhr mittags war.

Da lag er also, der dicke Fleischkloß, mit weit von sich gestreckten Vorderpfoten. Er sah so gewaltig aus, dieser Riese, wie er im Gras lag. Mit seinem zur Seite gedrehten runden Kopf, laut schnarchend, dass die zarten Schmetterlinge, die über ihn hinweg flatterten, befürchten mussten, von ihm eingeatmet zu werden.

Victorias Herz fing an zu galoppieren, aber sie tröstete sich damit, dass ihr ja überhaupt nichts passieren konnte.

„So, du Schleimschreck, jetzt werde ich´s dir aber geben!“ Die Katze stellte sich demonstrativ, so dicht sie konnte, breitbeinig an den Zaun. Und dann fing sie an zu miauen. „Miauoauo!“, in den schrillsten Tönen, laut und schräg, so schräg, wie es ihr nur möglich war. Sie verdrehte dabei die Augen, und auch wenn ihr das Gejaule in den eigenen Ohren weh tat, so gab sie doch alles. Sie wollte diesen Köter ärgern, richtig ärgern, so gut sie konnte.

Als wäre eine eiskalte Wasserbombe über seinem Kopf zerplatzt, sprang der Hund aus seinem Dämmerschlaf auf, streckte seine breite Nase hektisch in alle Windrichtungen, um den Verursacher dieses unerträglichen Katzengeschreis ausmachen zu können.

Dabei ließ er seine Augen suchend über den Rasen schweifen, bis sein Blick auf einmal bei Victoria haften blieb. Und dann fletschte er seine langen Zähne. Die beiden vergaßen alles um sich herum. Eine enorme Spannung lag zwischen ihnen und es war, als würden spitze Dolche durch die Luft fliegen, die ihr Ziel nicht verfehlten. Geschwind drehte sich Victoria um, sprang federleicht über den Graben zurück und lief weiter auf dem Grünstreifen hin und her. In einem hohen, lauten, provokativen Ton rief sie: „He, du blöder Köter, krieg mich doch!“ Gleichzeitig gab sie ein paar gekonnte Sprünge zum Besten, die den Hund, mittlerweile am Zaun angelangt, rasend vor Wut werden ließen.

Er bellte und bellte, bis ihm fast die Kehle aus dem Leib sprang. Mit blutunterlaufenen Augen drohte er vor Zorn zu explodieren. Dabei riss er sein Maul so weit auf, wie er konnte und zeigte seine endlos langen Zähne. Es war ein furchterregender Anblick.

Victoria, die sich auf der anderen Seite des Zaunes absolut sicher fühlte, ließ sich davon nicht beirren und reizte den Hund bis aufs Äußerste. Wie eine Sprungfeder setzte sie erneut auf der gegenüber liegenden Seite des Grabens auf und stellte sich nun mit ihrer kleinen Stupsnase direkt an den Zaun. Todesmutig stand sie dem Hund Auge in Auge gegenüber. Er überschlug sich fast vor Wut. Wie konnte sie es nur wagen, ihn so zu provozieren! Diese knochige Katzengestalt! „Du kleines Gerippe, was bildest du dir eigentlich ein? Ich kann dich mit einem Bissen einfach so herunter schlucken. Da muss ich noch nicht mal kauen.

Komm nur her!“ Der Riesenhund klebte am Zaun und schob seine dicke Nase immer weiter durch die Maschen. „He, du Angeber, dann komm doch. Krieg mich doch. Du schaffst es ja sowieso nicht über den Zaun zu springen. Du Fettwanst!“, rief Victoria verächtlich. Einen mächtigen Spaß hatte sie beim Anblick des tobenden Hundes und drängte den aufkommenden Gedanken beiseite, dass sie mit dem Feuer spielte.

„Bruno, aauuus! Komm sofort hierher. Da ist doch niemand!“ , das Frauchen stand wieder in der Terrassentür und pfiff den Hund auch dieses Mal zurück.

Victoria nickte ihm schadenfroh zu: „Geh brav nach Hause, du Schoßhündchen, Mami wartet schon auf dich!“ Das Knurren des riesigen Hundes klang wie bedrohlicher Donner. Er ging nur notgedrungen zu seinem Frauchen zurück, denn Gehorsam hatte er gelernt.