Die Klinik - Mark Krüger - E-Book

Die Klinik E-Book

Mark Krüger

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Beschreibung

Stefanie ist eine attraktive Frau im mittleren Alter, die über Jahre ein tristes Leben neben ihrem reichen, untreuen Ehemann führt. Das hinterlässt bei ihr negative, psychische Spuren und immer öfter erträgt sie ihren Alltag nur noch mit Alkohol. Doch sie will ihr Leben ändern und unterzieht sich in einer abgelegenen Waldklinik einer "Reinkarnationstherapie", wobei sie während der Hypnose einen Mord in ihrem Traum sieht. Sie erkennt den Mörder. Sie begibt sich auf die Spuren ihrer eigenen Vergangenheit, recherchiert wer ihr Mann wirklich ist und wird mit Liebe, Sex und der Gewissheit konfrontiert, dass es auch noch ein anderes Leben gibt, außer dem der langweiligen, betrogenen Haus- und Ehefrau. Nachdem sie eine grausame Entdeckung macht, erkennt Stefanie immer mehr, dass ihr Leben nicht das zu sein scheint, was es angeblich ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 311

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Ähnliche


MARK KRÜGER

Die Klinik - die Wahrheit tötet dich

ROMAN

© Mark Krüger 2017

Alle Rechte vorbehalten

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7439-1759-0

Hardcover:

978-3-7439-1760-6

e-Book:

978-3-7439-1761-3

Fotos: Mark Krüger

Lektorat/ Korrektorat: Krisi Schöllkopf

Coverdesign: Anna Scherpf & Mark Krüger

Arya Green Vermont

aryagreen.blogspot.de

Foto Mark Krüger: Thomas Leidig

www.thomasleidig.de

Foto Cover: Mark Krüger

www.mark-david-krueger.de

[email protected]

Facebook: Mark Krüger

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Für meine Familie...meine Großeltern,meine Eltern,meine Frau und meinen Sohn,

In ewiger Liebe

Es ist leicht den Hass,schwer die Liebe,am schwersten Gleichgültigkeit zu verbergen.

Ludwig Börne

PROLOG

Es klingelt laut.

Stefanie öffnet die Tür.

»Zehn Minuten zu spät!«,

schnauzt sie ihre Schwester liebevoll an.

Maria verdreht die Augen, zieht ihre High Heels aus, wirft sie in eine extra dafür vorgesehene „Schuhecke“, die einladender nicht aussehen könnte und betritt den riesigen Flur.

»Lass dich ansehen!«

Maria betrachtet ihre Schwester von allen Seiten.

»Toll siehst du aus! Das neue Leben scheint dir zu bekommen.«

Stefanie lächelt, nimmt ihrer Schwester die Jacke ab und hängt sie über den Kleiderhaken.

»Hast du es hier?«,

fragt Maria aufgeregt.

Stefanie zeigt auf die Tüte, die auf der Kommode liegt.

»Natürlich habe ich es hier!«

Ihre Schwester klatscht in die Hände und fällt ihr um den Hals. »Das muss unbedingt gefeiert werden! Wo ist der Sekt?«

Maria schnappt sich die Tüte und läuft durch den Flur.

»Im Kühlschrank. Ich habe ihn schon vorgekühlt.«

»Dann lass uns anstoßen, Schwesterchen!«,

erwidert Maria und geht in das riesige Wohnzimmer. Die Decke scheint nach oben kein Ende zu nehmen und ist an den Seiten mit Stuck verziert. Die Sonne überflutet durch die übergroßen Fenster den Raum mit reichlich Licht. Vorhänge gibt es noch keine. Überall auf dem Boden liegen Bücher und Zeitschriften herum. In den Ecken stehen Kerzenständer und das gemütliche, weiße Sofa steht wie verlassen als einziger Raumfüller in der Mitte. »Hier fehlt aber noch einiges.«, stellt Maria fest. Stefanie kommt mit den gefüllten Gläsern derweil aus der Küche zurück.

»Naja, alles nach und nach. Ich fühle mich wohl, so wie es jetzt ist.«

»Hat er sich noch mal gemeldet?«,

will Maria neugierig wissen.

»Nein. Und das ist auch gut so! Hier...«

Stefanie hält ihrer Schwester ein kaltes Glas Sekt entgegen.

»Zum Wohl Schwesterchen!«

Sie prostet Maria zu.

»Cheers! Auf uns, auf die Zukunft und einen spannenden, geilen Abend!«

Maria lässt sich auf das Sofa fallen, legt die Beine hoch und lehnt sich zurück. »Wow, sehr bequem!«

»Ja, finde ich auch. Wurde gestern geliefert.«

Stefanie geht wieder in die Küche.

»Was willst du essen? Ich kann dir ein paar Häppchen anbieten, mit Lachs und Frischkäse.«

»Das klingt sehr verlockend!«,

ruft Maria aus dem Wohnzimmer und hört, wie ihre Worte nachhallen.

»Sehr hellhörig hier.« Stefanie ist aus der Küche zurück.

»Gewöhnt man sich dran. Hier, greif zu! Habe ich heute den ganzen Vormittag dran gesessen und rumgeschnippelt wie eine Blöde!«

Stefanie stellt die zwei vorbereiteten Platten auf den Boden und setzt sich daneben. »Wo hast du es?«

will Stefanie wissen. Maria greift hinter sich und legt die Tüte auf den Boden. »Hier!«

»Du kannst anfangen, wenn du willst!«,

antwortet Stefanie aufgeregt. Vorsichtig holt Maria den Inhalt heraus und legt es vor sich hin. »Oha! Ganz schön viel.«

»Fang an!«

bittet Stefanie ihre Schwester.

»Ich bin so verdammt aufgeregt!«,

fügt sie hinzu und trinkt ihren Sekt in einem Zug aus.

»Na dann wollen wir mal.«

Maria nippt an ihrem Glas und lehnt sich entspannt zurück.

EINS

25. Mai 2015

Stefanie sieht auf die Uhr. Sie ist spät dran. Der Bus kommt gerade noch rechtzeitig. Eigentlich passiert ihr das nie, denn sie hasst Unpünktlichkeit, aber heute ist alles anders. Der Streit mit ihrem Mann Christian Kaufmann, Arzt für Psychologie spezialisiert auf Schizophrenie, vor zwei Tagen ist eskaliert und sie hat ihm die Pistole auf die Brust gesetzt, endgültig. Ob er es verstanden hat, weiß sie nicht. Es ist ihr mittlerweile auch egal, doch es zerrt an ihren Nerven, immer wieder. Sie will das nicht mehr. Sie setzt sich auf einen der hinteren Plätze im Bus, wie immer, wenn sie mal in die Stadt fährt zum Shoppen oder um sich mit Freunden zu treffen.

Heute ist alles anders. Stefanie hat einen Vorstellungstermin als Sekretärin bei der großen Werbeagentur „Blatter & Söhne". Ein Erfolgserlebnis. Endlich. Es wird Zeit, dass sie aus ihrem Trott herauskommt. Aus ihrem langweiligen Alltag als Mutter zweier mittlerweile fast erwachsender Kinder und als Ehefrau eines reichen Arztes, der sie kaum noch beachtet und wahrnimmt.

Normalerweise spricht sie alles mit ihrem Mann ab, fragt ihn um Erlaubnis oder bittet ihn um seine Meinung. Heute ist alles anders.

Sie hat sich als Sekretärin beworben, um ihr eigenes Geld zu verdienen. Ihr eigenes Leben zu leben und sich ihre eigenen Wünsche erfüllen zu können. Fernab von der Abhängigkeit und der Arroganz ihres Mannes, der sie behandelt als sei sie Luft, als existiere sie nicht. Der Gedanke daran macht sie wütend und bestärkt sie in ihrem Glauben das Richtige zu tun. Stefanie weiß, wie schwierig es ist mit 42 Jahren einen Job zu bekommen. Aber sie will es sich beweisen, vor allem Christian.

Nachdenklich sieht sie aus dem Fenster des Busses. Berlin gefällt ihr im Frühling. So viel hat sich hier verändert. Die Häuserfronten am Potsdamer Platz werden immer lebendiger und erinnern sie an den Times Square in New York. Oft geht sie mit Hugo, ihrem vierjährigen Labrador-Schäferhund-Mischling, im Tiergarten spazieren und genießt es, wenn sie einfach mal fernab von jeglicher Monotonie ihres Alltags aus dem großen Haus am Wannsee ausbrechen kann.

Nervös zieht Stefanie einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und betrachtet sich. Sie presst die Lippen zusammen, befeuchtet ihren Mund und zieht sorgfältig ihren Lidstrich nach.

Es muss heute einfach klappen. Ihre blonden, schulterlangen Haare hat sie zu zwei Zöpfen geflochten. Das macht sie jünger, denkt sie. Zumindest fühlt sie sich wohl dabei, etwas frecher daher zu kommen, als eine biedere Hausfrau mit der Ambition schlichtweg vom Leben ignoriert zu werden. Wieder sieht sie nervös auf die Uhr. »Verdammt!«, denkt sie und versucht durch den Bus hindurch zu erkennen, was der Grund der langsamen Fahrt sein könnte. Ihr Handy vibriert. Sie greift in ihre Tasche, kann es aber nicht finden.

»Herr Gott nochmal, wo ist dieses blöde Handy?«,

murmelt sie und kramt ihre gesamte Tasche durch.

»Kann mir mal jemand verraten, wer diese dämlichen Handtaschen erfunden hat?« Sie ist nervös. Kein Wunder. Stefanie ist es nicht gewohnt gebraucht zu werden oder auch einmal im Mittelpunkt zu stehen. Heute hat SIE einen Termin. SIE darf von SICH erzählen. SIE darf SICH verkaufen.

»Da bist du ja!«

Sie sieht auf ihr Display.

»Scheiße, dich habe ich ganz vergessen!«

Nervös liest sie die Nachricht ihrer Zwillingschwester Maria.

»Stefanie, wo bleibst du denn? Wir waren vor fünfzehn Minuten verabredet.«

Das ist eigentlich nicht ihre Art. Irritiert beißt sie sich auf die Unterlippe und versucht gedanklich durchzuspielen, welche Ausrede sie ihrer Schwester präsentieren könnte. Maria ist schnell beleidigt. Aber das darf sie als zehn Minuten jüngere Schwester auch. Nachtragend ist sie zum Glück nie.

»Hey Schwesterchen, Asche auf mein Haupt, ich habe es tatsächlich total verschwitzt! Sei mir bitte nicht böse, aber ich habe in ein paar Minuten dieses Vorstellungsgespräch bei Blatter, bin total hibbelig! Können wir uns danach sehen? Bei meinem Glück dauert es sowieso nicht lange.« Stefanie entscheidet sich für die Wahrheit, ohne große Schwafelei. Nicht einmal zu einer Notlüge lässt sie sich hinreißen und die Antwort ihrer Schwester kommt sofort. Ihr Handy vibriert.

»Na du bist ja `ne Nachtmütze! Ist ok, melde dich wenn du raus bist, ich warte hier! P.S. Ich hoffe du hast nicht den kurzen schwarzen an, Blatter ist im Sabberalter!« Stefanie muss laut lachen.

Peinlich berührt sieht sie sich im übervollen Bus um, ob es jemand mitbekommen hat, doch jeder hier scheint mit sich selbst beschäftigt zu sein. Grinsend sieht sie an sich herunter und zieht den schwarzen, kurzen Rock zurecht. Natürlich hat sie ihn an. Und natürlich kennt sie das „Sabberproblem“ von Herrn Blatter schon seit längerer Zeit von diversen Empfängen oder Rotweinabenden in ihrem Haus. Sie hat den Annäherungsversuchen von Herrn Blatter nie Beachtung oder Bedeutung geschenkt, aber heute könnte es ihr nützen, sich etwas mehr aufgestylt zu haben, als sonst. Der Bus hält.

»Was ist denn jetzt los?« Nervös sieht sie nach vorn.

Stefanies innere Stimme meldet sich. »Soll ich den Termin einfach absagen? Blatter gibt mir den Job doch sowieso nicht.« Zweifel kommen auf.

Wieder schaut sie auf die Uhr. Sie hat nur noch zehn Minuten. Und jetzt ist auch noch Stau. Hastig greift sie nach ihrer Tasche und drängelt sich durch den Bus bis zum Fahrer durch.

»Warum geht’s nicht weiter? Wo ist das Problem?«

»Das sehen Sie doch! Stau!«,

antwortet der offenkundig schwitzende Fahrer genervt.

»Ok, dann lassen Sie mich hier bitte raus!«,

erwidert Stefanie und stellt sich an die Tür um herausgelassen zu werden.

»Hier ist aber keine Haltestelle, junge Frau!«

Sie verdreht die Augen.

»Ich weiß selbst, dass hier keine Haltestelle ist. Jetzt machen Sie schon diese verdammte Tür auf!«

Er grinst sie an und lässt die Tür provokant zu.

Ihre innere Stimme will ihn ohrfeigen.

»Reiß dich zusammen Stefanie!«

Sie lächelt ihn nett an und hebt dabei ihren Brustkorb, sodass sich ihre enge Bluse um ihren Oberkörper spannt.

»Es wäre sehr lieb, wenn Sie eine Ausnahme machen könnten! Ich habe es sehr eilig und verpasse sonst einen wichtigen Termin!«

Der Busfahrer kommt noch mehr ins Schwitzen, als er ihre große Oberweite sieht und wischt sich seine Stirn mit einem karierten Taschentuch ab.

»Wie ich diese hässlichen Taschentücher hasse!«

Zum Glück kann er ihre Gedanken nicht lesen. Sie lächelt weiter.

Innerhalb von Sekunden öffnet sich die Bustür mit einem lauten „Zisch“.

»Ekelhaft! Man muss nur etwas mit Euch spielen und Titten zeigen.«

Stefanie steigt hastig aus und bedankt sich flüchtig bei dem Busfahrer.

»Vielen lieben Dank, sehr freundlich von Ihnen!«

Er hat ihr noch irgendetwas hinterhergemurmelt, aber sie hat es nicht mehr verstanden. Hastig klemmt sie sich ihre Tasche unter den Arm und läuft los. Sie hat noch acht Minuten.

Berlin ist immer lebendig. Doch im Frühling erwacht die Stadt erst richtig. Aneinandergereihte Cafés spannen ihre Schirme auf und die Menschen genießen die ersten Strahlen der Sonne. Man kann die Offenheit, und das Leben dieser Weltstadt regelrecht einatmen. Das bunte Treiben auf multikulturellen Plätzen beginnt. Stefanie liebt Berlin. Doch jetzt hat sie keine Zeit um auf irgendetwas zu achten. Sie will diesen Job, also läuft sie. Sie will diesen Job, koste es was es wolle. Noch zwei Minuten. Als sie den Checkpoint Charlie erreicht, entdeckt sie den Eingang des vierstöckigen Altbaus.

»Ich hab’s geschafft!«

Ihre innere Stimme beruhigt sich langsam wieder.

Sie liegt in der Zeit. Punkt 14 Uhr, zum vereinbarten Termin, steht Stefanie im Empfangsbereich der Werbeagentur „Blatter & Söhne“ und tritt an den Tresen heran. Dort sitzt Ordette Meier.

»Diese Eule schon wieder. Wie ich sie hasse! Make Up in vier verschiedenen Schichten bis zum Kinn geschmiert, Augenbrauen tätowiert, Extensions, die so künstlich verfilzt aussehen, als hätte ein Klempner seinen Hanf auf ihr fest getackert. Und auf den schmalen Strichlippen, der roteste Lippenstift den ich je gesehen habe! Lippenstift soll die Lippen betonen, nicht größer machen! Es nützt dir nichts, wenn du dir neue Lippen malst. Meine Güte kann dir denn niemand sagen, wie scheiße du aussiehst?«,

denkt Stefanie und weiß ganz genau, dass ihr ihre Psyche hin und wieder einen Streich spielt und ihr Unterbewusstsein die Dinge mitunter anders beurteilt. Aus diesem Grund hört sie fast immer ihre innere Stimme.

»Ordette, wie schön Dich nach so langer Zeit mal wieder zu sehen!«

Stefanie verschluckt ihr Lachen.

Ordette sieht vom Tresen hinauf zu ihr.

»Stefanie! Na das ist ja eine Überraschung! Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?«

»Ich habe einen Termin bei Deinem Chef, du blöde Kuh. Tu doch nicht so, als wüsstest du das nicht!«

Stefanie quält sich ein Lächeln heraus.

»Eine viel zu lange Zeit, meine Liebe, eine viel zu lange Zeit. Ach, würdest du bitte nachschauen, ich habe bei Rainer... ähm, bei Herrn Blatter einen Termin zum Vorstellungsgespräch, als Sekretärin.«

Rums, der hat gesessen! So viele Jahre versucht Ordette Meier in der Agentur von Rainer Blatter aufzusteigen, war auch schon kurz davor die persönliche Assistentin von seinem Sohn zu werden, aber scheiterte kläglich, als sie versuchte auf einer Weihnachtsfeier den Chef mit „Poppers“ gefügig zu machen. Das Ganze flog auf und seitdem darf sie unten am Empfang die Leute bedienen. Dort sieht sie niemand.

Stefanie hebt triumphierend das Kinn. Ordette schluckt. Ihre Kopfhaut zieht sich automatisch nach hinten, die Augen formen sich zu zwei bösen Schlitzen, sie spitzt ihren Mund, hebt ihr Kinn und legt ihre Stirn in Falten. Sie schaut über ihre dicke Brille auf den Bildschirm, um den Termin zu bestätigen.

»Ach, hier stehst du ja.«

Sie hakt den Termin am Computer ab.

»Er erwartet Dich bestimmt schon. Du gehst hier die Treppe hoch und dann den Flur immer…«

»Oh danke Ordette, aber ich weiß, wo sein Büro ist.«, unterbricht sie Stefanie und geht erhobenen Hauptes am Tresen vorbei zur Treppe.

»Mach den Mund zu Mädchen, sonst nisten die Vögel!«

Stefanie kann sich das Lachen kaum verkneifen bei ihren bösen Gedanken und sieht deshalb nicht zurück zu Ordette. Im Augenwinkel kann sie aber erkennen, dass die gute Frau Meier wie versteinert auf ihrem Sessel sitzt und auf den Bildschirm ihres Computers glotzt.

»Warum bist du so gemein?«,

flüstert Stefanie zu sich selbst.

»Weil du dir nichts mehr gefallen lässt! Jetzt bist du nämlich mal an der Reihe beachtet zu werden, Stefanie!«,

bekommt sie die rasche Antwort ihrer inneren Stimme und geht den langen Büroflur von Rainer Blatter bis zum Ende entlang.

»Genauso ist es Stefanie!«, flüstert sie abermals zu sich, zupft noch einmal ihren Rock zurecht und klopft zaghaft an die Bürotür von Rainer Blatter.

»Na dann mal los, gib alles und hol dir den Job!«

»Herein!«

Die kratzende, laute Stimme lässt sie kurz erschaudern. Sie betritt sein Büro und schließt die Tür hinter sich.

»Stefanie! Komm rein!«

Er geht großen Schrittes auf sie zu, umarmt sie und gibt ihr rechts und links zwei nasse Küsse auf die Wangen. Seine rechte Hand streichelt über ihren Rücken und sie spürt, wie sie abwärts wandert und ihren Hintern berührt.

»Nimm Deine Hände weg! Ich mag das nicht! Das fängt ja schon gut an!«

»Hallo Rainer. Da bin ich. Ich hoffe, ich bin pünktlich.«

»Selbstverständlich! Lass Dich ansehen! Schön siehst Du aus, wie immer. Komm, setz Dich!«

Er schiebt den Stuhl gegenüber von seinem großen, braunen Eichenschreibtisch zur Seite und bittet sie, Platz zu nehmen. Stefanie sieht sich im Büro um. Nichts passt zusammen. Alles sieht kalt und ungemütlich aus. Sein Schreibtisch ist mit Vorschlägen von Werbekampagnen übersäht. Ein riesiger Müllhaufen. Der große Teppich wurde scheinbar noch nie gereinigt. Auch die kahlen Wände und mageren Dekorationsversuche lassen erahnen, dass er immer noch alleine lebt.

»Sollte ich den Job bekommen, dann hauche ich dir hier ein bisschen Leben ein!«, spricht ihre innere Stimme zu ihr und verstummt sofort, als er das Wort ergreift.

≪Was möchtest du trinken, meine Liebe? Wasser? Champagner? Du bekommst alles, was dein Herz begehrt!≫

Er lacht.

»Herr Gott, ich mag das überhaupt nicht! So ein Schleimer. Hör auf! Du brauchst den Job, also lass Dir gefälligst nichts anmerken!«

Tadelt sie sich selbst.

»Ein Kaffee wäre sehr nett, Rainer, danke!«

Er winkt ab.

»Kaffee macht gelbe Zähne, meine Liebe. Und das passt ja nun gar nicht zu deinem schönen Gesicht. Lass uns einen Champagner trinken!«

Wieder lacht er.

Irritiert fährt sich Stefanie mit der Zunge unbewusst über ihre Zähne. Sie trinkt mindestens vier Tassen Kaffee am Tag.

»Ist das ein Test um mich zu verwirren? Lass dich nicht drauf ein. Sei so wie immer und entspanne dich!«

Er nimmt seinen Telefonhörer in die Hand, drückt auf der großen Tastatur einen Knopf und zwinkert Stefanie zu.

»Ordette mein Herz, bitte sei so lieb und bring uns zwei Gläser Champagner! Ach was sag ich, bring die Flasche gleich mit!«

Er legt den Hörer wieder auf und lacht.

»Warum diese Frau noch für mich arbeitet, weiß auch keiner hier, naja. So, Stefanie, wie schaut`s aus? Was macht das Familienleben? Christian ist auf Geschäftsreise, wie ich gehört habe?«

»Ja, seit heute Morgen. Vier Tage Barcelona. Mit seiner neuen Sekretärin.«

Rainer Blatter rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Früher hat er in seinen Sessel gepasst, doch seitdem er nicht mehr joggt und mit dem Rauchen aufgehört hat, hat er ganze 15 Kilogramm zugenommen. Man sieht ihm zwar seine 60 Jahre noch nicht an, aber sein kurzes weißes Haar beginnt sich langsam von seinem Kopf zu verabschieden. Er wirft gern mit Komplimenten um sich, die so derb unter der Gürtellinie sind, dass er sich nicht wundern braucht, dass er alleine lebt und sich kaum jemand, mal abgesehen von Ordette Meier, für ihn interessiert. Seine Witze sind flach und ohne Verstand. Meistens fallen sie ihm selbst ein. Niemand kann darüber lachen, außer Ordette Meier. Im Grunde genommen ist Rainer Blatter ein gutherziger Mensch, der seine Einsamkeit mit falschem Charme zu überspielen versucht.

»Dann hast du ja sturmfreie Bude Stefanie! Das solltest du ausnutzen und `ne dicke Poolparty feiern!«

Wieder lacht er.

»Lass mal gut sein! Ich bin hier, weil ich den Job will! Also lass uns übers Geschäft reden!«

»Also Rainer, stellst du mich ein?«,

unterbricht sie sein Lachen und fällt direkt mit der Tür ins Haus. Plötzlich versteinert sich sein Gesicht und sein Blick wird ernst.

»Oha, war ich jetzt zu direkt? Was hat dieser Blick jetzt zu bedeuten?«

»Machen wir es kurz Stefanie. Ich mag dich.«

»Scheiße, was kommt denn jetzt?«

»... und glaube mir, ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als dir den Job zu geben. Aber Christian hat mich heute Morgen angerufen und mir gesagt, dass es besser wäre, wenn du den Job nicht bekämst.«

Stefanie wird bleich und ihr fällt fast alles aus dem Gesicht.

»Bitte was hat er? Mir wird schlecht. Ich muss hier raus! Lass es dir nicht anmerken Stefanie!«

Ihre innere Stimme schreit. Sie hat das Gefühl, dass sich der Boden unter ihr öffnet. Das hat Christian nicht wirklich getan. Innerhalb weniger Sekunden steigt eine enorme Wut in ihr hoch.

»Das hat er doch nicht wirklich getan, Rainer?«

»Doch meine Liebe, es tut mir leid. Es ist besser so.«

»Das glaube ich jetzt nicht!«

Stefanie ist fassungslos. Sie ringt nach Worten.

Wie kann er ihr das antun? Warum spricht er nicht vorher mit ihr darüber? Hat sie denn kein Recht, selbst glücklich zu sein und das zu tun, was ihr gefällt? Sie schüttelt den Kopf.

»Mit welcher Begründung will er das nicht?«

Rainer stützt sich auf seinen Schreibtisch und beugt sich nach vorn.

»Nun ja, ich glaube er hat so eine Art Gewissenskonflikt!«, stammelt er.

»Gewissenskonflikt? Will er mich verarschen?«

Stefanie kocht vor Wut.

»Was denn für einen Gewissenskonflikt? Ich bin seine Frau!«

»Eben, da liegt sein Problem. Wir arbeiten an einem gemeinsamen Projekt und du würdest wahrscheinlich nur stören. Wenn ich es so ausdrücken darf.«

»Was denn in Gottes Namen für ein gemeinsames Projekt? Warum weiß ich davon nichts? Da liegt also das Problem! Ich bin ihm dann zu nah. Wahrscheinlich zerstöre ich somit seine ganzen Alibis, die er in Zukunft noch benötigt!«

Stefanie nickt verständnisvoll und versucht sich ihre Wut nicht anmerken zu lassen. Hätte Christian es ihr früher gesagt, dann wäre sie nicht in den Genuss dieser Peinlichkeit gekommen. Vielleicht war es ein kleiner Racheakt wegen heute Morgen. Immerhin hat sie ihm mit aller Härte die Meinung gesagt und ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie ihn verlassen wird, wenn sich nicht bald etwas ändert. Er versucht auf diese Weise wieder seine Macht zu demonstrieren.

Wortlos erhebt sie sich aus dem Stuhl, nimmt ihre Tasche und geht zur Tür. Rainer steht ebenfalls auf.

»Stefanie, bleib hier! Es tut mir leid, aber es ist für alle besser so. Glaube mir! Ich kann und werde dich nicht einstellen!«

Im selben Moment steht Ordette mit einem Tablett in der Hand vor Stefanie. Natürlich hat jene den letzten Satz von Rainer Blatter mit Wohlwollen vernommen. Stefanie erkennt ein leichtes, fieses Grinsen in ihrem Gesicht. Sie könnte im Boden versinken, bewahrt aber ihre Haltung.

»Lass gut sein Rainer! Ich habe es verstanden. Wir brauchen nicht mehr darüber zu reden. Ich danke dir dennoch, dass du dir die Zeit für mich genommen hast. Mach`s gut.«

»Aber was ist denn jetzt mit dem Champagner?«

»Mir fällt da schon jemand ein, mit dem du ihn trinken kannst!«

»Trink ihn mit Ordette! Ich glaube sie kann sich nichts Schöneres vorstellen!«

Obwohl Stefanie zutiefst gekränkt ist, verlässt sie lächelnd das Büro von Rainer Blatter. Sie weiß noch nicht genau, ob sie traurig oder wütend sein soll. Sie weiß nur, dass es sie darin bestärkt in ihrem Leben und vor allem in ihrer Ehe mit Christian etwas Gravierendes zu ändern, selbst wenn diese Änderung die Scheidung von ihm bedeutet.

Langsam geht sie den langen Büro Flur zurück zum Treppenaufgang.

»Stefanie, so warte doch!«,

ruft Rainer ihr noch hinterher, aber sie winkt nur ab, ohne

sich noch einmal umzudrehen.

»Ordette, bitte seien Sie so nett und nehmen Sie den Champagner wieder mit! Danke!«,

hört sie ihn noch sagen, dann knallt die Tür seines Büros zu.

Stefanie dreht sich zu Ordette um und zwinkert ihr zu.

»Bis bald Ordette! War nett dich wieder zu sehen!«

Ordette Meier antwortet ihr nicht sofort, sondern läuft schnellen Schrittes an Stefanie vorbei und würdigt diese dabei keines Blickes.

»Um ehrlich zu sein, Stefanie, bin ich froh, dass Sie hier nicht anfangen. Wer weiß, zu welchem Blödsinn Sie Herrn Blatter mit ihren falschen Brüsten überredet hätten. Nicht auszudenken, dieses Chaos!«

Stefanie bleibt wie angewurzelt auf der obersten Stufe stehen, während Ordette zu ihrem Tresen im Empfangsbereich geht, das Tablett darauf abstellt und sich sofort wieder wortlos ihrer Arbeit am Bildschirm zuwendet.

»Was bildest du dir eigentlich ein?«

Stefanie kocht innerlich vor Wut. Doch auch diesmal lässt sie es sich nicht wirklich anmerken. Zu viel Schmach und Terror hat sie durch Christian in den letzten zwanzig Jahren schon über sich ergehen lassen müssen. Das hat abgehärtet.

Sie legt sich langsam ihre Tasche um die Schulter, geht entspannt die Treppe hinunter, wortlos an Ordette vorbei, ohne sie noch einmal anzusehen.

»Los, sag ihr noch einmal die Meinung! Lass dir das nicht gefallen!«

»Bleib ruhig, Stefanie! Geh einfach raus!«,

flüstert sie sich zu. Doch kurz bevor sie den Ausgang erreicht, ruft Ordette ihr noch einmal hinterher.

»Ich hoffe wir sehen uns nie wieder! Tschüssili!«

Normalerweise hätte Stefanie diesen letzten Satz ignoriert, aber das „hohe C“ am Ende von „Tschüssili“ wirft mit

einem Mal ihre Prinzipien über Bord und sie vergisst ihren angeheirateten Anstand.

Jetzt reicht es.

Blitzschnell macht sie auf dem Absatz kehrt und läuft direkt zurück zu Ordette, die wohl genau in diesem Moment begriffen hat, dass es immer auf den guten Ton ankommt und der letzte von ihr wohl der falsche war. Würde man nicht das harte und laute Klacken von Stefanies Absätzen auf den weißen Marmorfliesen hören, so hätte man das Schlucken von Ordette vernommen, die augenblicklich versucht, sich hinter ihrem Bildschirm kleiner zu machen. Stefanie stellt sich vor den Tresen, trinkt in einem Zug das eine Glas Champagner aus und kippt das andere Ordette Meier über den Kopf.

Diese piepst kurz hörbar, erstarrt und bekommt den Mund nicht mehr zu. Noch bevor sie etwas sagen kann, platzt es aus Stefanie heraus.

»Jetzt hörst du mir mal zu, du Frettchen! Hast du dir eigentlich schon mal Gedanken darübergemacht, warum du hier im Eingangsbereich sitzt?«

Ordette sieht sie mit offenen Mund weiter geschockt an.

»Nein? Nun, dann erkläre ich es dir! Das hier ist eine große Werbeagentur. Viele Unternehmen in Berlin haben als Präsentation in ihrem Eingangsbereich Kunst ausgestellt. Moderne Kunst, alte Kunst, was immer im Auge des Betrachters als Kunst definiert werden kann. Na, klingelt es? Nein? Ordette, du bist so hässlich, du könntest glatt ein modernes Kunstwerk sein. Normalerweise müsstest du im Museum stehen.«

Ordette wird weiß und schluckt aufgeregt, bekommt aber weiterhin kein einziges Wort heraus.

»Ich mag vielleicht falsche Titten haben, du Kuh, aber dafür muss man bei mir nicht überlegen, ob ich eine Frau bin oder nur ein zusammengemantschter Haufen Mensch, der versucht zu reden. Und jetzt mach deinen Mund zu, föhne das welke Gras auf deinem Kopf und benutze dein kugelsicheres Glas auf der Nase um meinen Termin zu streichen!

Ein schönes Leben noch!«

Mit breiter Brust nimmt sich Stefanie die Flasche Champagner vom Tablett, sieht Ordette Meier noch einmal von oben bis unten mit einem abwertenden Blick an und verlässt innerlich triumphierend das Bürogebäude.

Ordette bleibt erstarrt und stumm zurück.

»Das tat verdammt nochmal gut! Was bildet sich diese Person eigentlich ein? Was bildet sich Christian eigentlich ein? Was bin ich, sein Dienstmädchen? Seine Sklavin? Ich soll das riesige Haus und den Garten allein bewirtschaften, seine Wäsche waschen, akzeptieren, dass sich die Dienstreisen mit seiner neuen Sekretärin häufen, Essen kochen und ihm noch, wenn ihm einmal danach ist und er nach unzähligen Gläsern Rotwein überhaupt noch einen hochbekommt, die Schlampe sein, die er vögeln kann, wann er will? Nein, damit ist jetzt Schluss! Und sein Taschengeld, was er mir monatlich zur Verfügung stellt, kann er einer seiner Liebschaften in den Arsch schieben. Manche mögen das.«

Stefanie läuft wütend aber entschlossen über die Friedrichstraße runter zur Spree. Sie nimmt ihre Umgebung nicht wirklich wahr, zu enttäuscht ist sie über den Ausgang des eigentlich anders geplanten Vormittages. In Gedanken versunken läuft sie am Ufer entlang, setzt sich auf eine Bank und beobachtet einige Dampfer, die langsam ihre Bahnen durch den ruhigen Berliner Fluss ziehen. Sie atmet tief durch und versucht sich zu beruhigen. Sie ist unglücklich. Es hätte ein Neuanfang werden können, stattdessen öffnet sich wieder einmal unter ihr der Boden und ein großes schwarzes Loch kommt zum Vorschein, dass sie zu verschlingen droht.

Es war in den letzten vier Jahren schon öfter so. Immer wieder hat sie versucht ihrem Alltag zu entfliehen um irgendwo neu zu beginnen und jedes Mal endete es im Chaos und machte sie ein Stück weit kranker. Sie hielt sich an Situationen fest, um daraus irgendwie etwas Positives zu ziehen, was ihr den Tag für ein paar Stunden versüßen konnte. Es half meistens nicht einmal ein paar Minuten. Heute ist alles anders.

Stefanie hat so viel Energie und Kraft in diese kleine, bevorstehende Veränderung gelegt, dass sie selbst gar nicht bemerkte, wie sie körperlich und seelisch an ihre Grenzen geraten war.

Das einzige, was ihr am heutigen Tag noch ein wenig Freude bereiten könnte, ist der Frühling, der sich in dieser wunderschönen Stadt ganz langsam entfaltet.

Wieder atmet sie tief ein. Das Spreeufer ist belebt und lockt viele Menschen mit ihren Decken und Picknickkörben in die Natur. Osterglocken und Krokusse schmücken in ihrer vollen bunten Pracht die angelegten Beete, während die Ahornbäume ihre erste Blüte präsentieren. Grillgeruch liegt in der Luft. Irgendjemand scheint unerlaubter Weise im Park zu grillen. Stefanie grübelt und verliert sich in ihren Gedanken.

»Womit habe ich so ein Leben verdient? Womit habe ich es verdient, immer wieder in diesen selben trostlosen Trott zu fallen, der mich regelrecht von innen auffrisst?«

Sie beginnt leise zu weinen. Langsam greift sie in ihre Tasche, öffnet eine kleine Dose und schluckt ein Antidepressivum, das sie mit dem Champagner herunterspült, nimmt noch einen zusätzlichen großen Schluck und wirft die Flasche in den Mülleimer. Sie zückt ihr Handy und wählt den Kontakt von Christian in ihrer Nachrichten-App. Mit großen Buchstaben schreibt sie ihm:

»A R S C H L O C H!«

Sie wartet seine Antwort nicht ab, sondern schreibt anschließend sofort ihrer Schwester Maria, dass ihr „Vorstellungsgespräch“ beendet ist:

»Hey, bin fertig.

Frag nicht, brauch `nen Whisky!

Wo bist du?«

Innerhalb von Sekunden ist Maria online.

»Oha, das hört sich nicht gut an.

Hat er dich angemacht, der alte Bock?«

»Wo bist Du?

Ich erzähle dir alles nachher.«, antwortet Stefanie hastig.

»Ich bin im „City Stübchen“, sitze draußen und warte. Beeil dich, die Typen hier gaffen mich die ganze Zeit an!«

»Das magst Du doch. Bin gleich bei dir!«

Stefanie beseitigt die Reste ihrer Wimperntusche, die unter ihren verheulten Augen Spuren hinterlassen hat, schnappt sich ihre Tasche und geht in Richtung des nur ein paar Meter entfernten Cafés.

Maria sitzt gelangweilt auf einem der Korkstühle und tippt etwas in ihr Smartphone. Sie ist seit drei Jahren Kinderärztin in der Charité Berlin, ledig und charakterlich das komplette Gegenteil von Stefanie. Ihre blonden langen Haare hat sie erst vor kurzen, zum Ärger von Stefanie, abschneiden lassen. Sie brauchte eine komplette Veränderung. Genau da liegt der große Unterschied zwischen den beiden.

Maria redet nicht nur von Veränderungen: sie zieht es gnadenlos durch. Abgesehen davon, dass beide Schwestern unterschiedliche Vorstellungen von Beziehungen und Männern haben und Stefanie eher vorsichtig als wild ist, gehen ihre Lebensplanungen weit auseinander.

Stefanie redet zwar mit ihr über alles, aber einen Plan, um aus ihrer Dauerschleife der grauen Tage heraus zu kommen, hat auch ihre Schwester nicht.

»Hey, da bin ich.

Kannst deine „große Liebe“ wegpacken!«, stichelt Stefanie und setzt sich neben Maria.

»Sehr witzig.

Das halbe Leben spielt sich heutzutage in diesen Dingern ab.

Weißt du doch selbst.

Seitdem Du dein neues Handy hast, geht es dir doch nicht anders!«

Stefanie lässt sich genervt in den Korkstuhl fallen.

»Solange wir noch miteinander reden, wenn wir uns gegenübersitzen und uns nicht schreiben, ist alles in Ordnung.«

Maria sieht ihre Schwester besorgt an.

»Hast du geweint?«

Stefanie schaut verlegen weg.

»Fuck, natürlich habe ich geweint, wie immer. Was soll ich dir noch sagen? Mein Leben ist einfach nur Scheiße!«

Ihre innere Stimme sagt die Wahrheit, doch sie will Maria eigentlich nicht weiter mit ihren Geschichten nerven. Seit Jahren belastet es Stefanie, dass sie andere mit ihren Problemen behelligt. Sie kann es nicht mehr ertragen, den Menschen, die ihr nahestehen so zur Last zu fallen. Ein Leben auf dem Rücken ihrer Familie und Freunde.

»Ja, ich habe geweint. Vor Wut!«,

lautet ihre kurze Antwort und bestellt sich, wie ihr auffällt, bei dem überaus attraktiven Keller einen doppelten Whisky und ein Glas Wasser.

»Was ist passiert, dass du jetzt schon Whisky trinken musst?«,

will Maria besorgt wissen.

»Wenn ich dir jetzt die Wahrheit sage, dann wirst du Christian den Hals umdrehen. Dann habe ich noch mehr Probleme. Oder soll ich es dir doch erzählen? Vielleicht brauche ich genau das?«

Stefanies innere Stimme motiviert sie, ihrer Schwester alles

zu erzählen. Es ist ihr auch egal, ob Christian dann ausrastet.

An diesem Punkt war sie zuvor noch nicht.

»Erst der Streit vor zwei Tagen, wegen dieser Ziege in seinem Büro und jetzt hat er mir auch noch alles versaut. Wieder einmal. Ich könnte ihn umbringen! Ich könnte dieses Miststück umbringen!«,

platzt es wütend aus ihr heraus. Der Kellner stellt die Getränke auf den Tisch und Stefanie trinkt das Glas Whisky in einem Zug aus.

»Danke, bitte gleich noch eins!«

Der Kellner legt die Stirn verwundert in Falten und verschwindet kopfschüttelnd.

»Scheiße, was hat er denn jetzt schon wieder gemacht?«

Marias formen sich zu zwei engen Schlitzen. Sie beißt sich auf ihren Kiefer. Seitdem Christian vor einigen Jahren versucht hat, sie ins Bett zu ziehen, ist sie weniger gut auf ihn zu sprechen. Sie hasst ihn dafür, dass ihre Schwester so unter seinem Kontrollzwang und seiner Diktatur leidet.

»Stell dir vor, dieses Arschloch fährt mit dieser, keine Ahnung wie diese zwanzigjährige Schlampe heißt, auf Dienstreise nach Barcelona und dann hat er heute Morgen bei Blatter angerufen um ihm zu sagen, dass er mich nicht einstellen soll! Den Termin heute hätte ich mir sparen können!«

Maria schnaubt.

»Das hat er nicht wirklich getan?«

»Doch, hat er. Und ich habe mich blamiert, bis auf die Knochen!«

»Was ist das bloß für ein Idiot? Er wusste doch, wie wichtig dir dieser Job ist!«

»Genau deswegen hat er ja bei Blatter angerufen!«

Der Kellner stellt das zweite Glas Whisky ab. Stefanie nippt nur daran. Der Kellner bleibt stehen.

»Noch eins?«, fragt er grinsend.

Stefanie sieht ihn entrüstet an.

»Sehe ich etwa wie ein gottverdammter Alkoholiker aus? Nein, natürlich nicht!«,

schnauzt sie den sichtlich überforderten Kellner an.

«Und Blatter hat natürlich wieder das gemacht, was Christian gesagt hat, stimmt`s?«,

versucht Maria die Situation zu entschärfen, bevor ihre Schwester komplett ausrastet.

»Danke, das reicht erstmal!« Der Kellner geht.

»Christian ist so ein Schwein, Stefanie! Und dieser Blatter lässt sich von ihm auch noch herumkommandieren. Wie immer! Herr Gott, der sitzt so tief in Christians Arsch, das ist ja ekelhaft. Was willst du jetzt machen?«

Stefanie kaut auf ihren Lippen herum.

»Ich weiß es nicht. Ich glaube ich werde ihn verlassen. Und diese Kuh von Sekretärin werde ich vorher eigenhändig erwürgen, glaube mir! Du musst mal ihre aufgespritzten Lippen sehen. Und aus ihrem Mund kommt nur dummes Geschwafel.«

Stefanie ist sauer.

Maria lächelt und richtet sich auf. Das wollte sie schon lange hören. So oft hat sie ihrer Schwester geraten, sich von Christian scheiden zu lassen.

»Ziehst du es durch?«

Stefanie legt den Kopf auf ihre Hände. Sie denkt nach.

»Wenn ich das wüsste, Schwesterherz. Und was mache ich dann? Wo soll ich hin? Zu dir kann ich ja wohl schlecht ziehen. Dann würdest du sehen, dass ich trinke und ich will nicht, dass du das weißt! Verdammt, was mache ich nur? Ich muss mit Christian reden. In Ruhe. Ich werde ihm sagen, dass ich ihn verlasse.«

»Ja, diesmal meine ich es Ernst! Ich werde mit ihm reden, sobald er aus Barcelona zurück ist!«

Stefanie sieht entschlossen aus.

»Was willst du dann machen? Wolltest Du nicht Deinen Party Service eröffnen? Das war doch eine gute Idee! Du kannst auch erstmal bei mir wohnen, bis du was Neues gefunden hast. Du planst in Ruhe deinen Neustart mit diesem Party Service und kommst aus deiner Scheiße wieder raus!«

»Du sagst das so einfach!

Bei dir klingt immer alles so leicht!«

»Es ist niemals leicht, Stefanie! Aber du musst etwas unternehmen, sonst gehst du vor die Hunde! Oder willst du dein Leben lang diese scheiß Tabletten nehmen und weiterhin deinen Frust im Whisky ertränken?«

Stefanie sieht ihre Schwester irritiert an.

»Verdammt, woher weiß sie das? Ich habe nie darüber gesprochen und immer versucht, nur zu trinken, wenn mich niemand sieht!«

Maria nimmt Stefanies Hand.

»Du hast gedacht ich weiß es nicht, stimmt`s?« Stefanie sieht zu Boden.

»Das ist mir alles so peinlich.«

Stefanies blaue Augen füllen sich langsam mit Tränen.

Maria nimmt ihre Schwester in den Arm.

»Du bist meine große Schwester. Auch wenn es nur zehn Minuten sind! Natürlich weiß ich das. Ich helfe dir! Aber du musst aufhören, diese Tabletten in Verbindung mit Alkohol in dich reinzuwerfen! Das kann böse enden. Versprich mir das!«

Stefanie sieht ihre Schwester verzweifelt an.

»Versprich mir das!«,

wiederholt Maria ihre Aufforderung. Stefanie nickt langsam.

»Ich verspreche es!«

»In Ordnung. So, und jetzt trinkst du einen starken Kaffee! Der ist hier ziemlich lecker.«

Maria bestellt ihrer Schwester einen Kaffee, greift in ihre Handtasche und legt ihr eine Visitenkarte auf den Tisch. Stefanie guckt verdutzt.

»Hier, dort musst du unbedingt hingehen!« Stefanie nimmt die Karte und betrachtet sie.

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»Na toll, jetzt will sie mich wohl in eine Klinik abschieben?«

Stefanies innere Stimme rebelliert.

»Was soll ich damit?«

»Das wird dir helfen, Stefanie!«

»Eine Psychiatrie? Dann kann ich mich doch gleich von Christian behandeln lassen!«

»Das ist keine Psychiatrie! Dort bekommt man eine spezielle Hypnose.«

Stefanie zieht eine Augenbraue nach oben.

«Und was soll die bewirken?«

Maria rückt näher an sie heran und flüstert.

»Sie versetzen dich in Hypnose und lassen dich deinen ganzen Scheiß, den du mit dir rumschleppst, auskotzen! Eine Freundin von mir war dort. Sie war begeistert. Heute ist sie ein ganz anderer Mensch!«

Stefanie ist skeptisch.

«Ich glaube, das ist nichts für mich. Rückführungen? Was ist damit gemeint? Erfahre ich dort, wann ich schon einmal gelebt habe? Ich glaube das will ich

gar nicht wissen!«

»Geh dorthin, Stefanie! Vertrau mir!«

Stefanie ist skeptisch.

«Ich weiß nicht! „Klinik am Wald“, das klingt irgendwie unheimlich. Wie aus so einem Roman von Stephen King. Hier pack den Scheiß wieder ein!«

»Geh dorthin, Stefanie! Du willst, dass dir geholfen wird. Du willst, dass sich etwas in deinem Leben ändert. Dann lass dir helfen und geh dorthin!«

Sie schiebt ihrer Schwester die Karte zurück, doch Maria hält ihre Hand fest und sieht sie streng an.

Stefanie steckt die Karte in ihre Tasche.

»Ich denke darüber nach.«

»Gut. Versprich es mir!«

Stefanie verdreht die Augen.

»Versprich es mir, Stefanie!«

»Nerve mich nicht! Lass mich doch in Ruhe darüber nachdenken!«

Stefanies innere Stimme ist nicht begeistert.

»Ich verspreche gar nichts! Ich denke darüber nach.«

Maria lächelt zufrieden.

»Ok, Schwesterherz!«

Maria steht auf, deutet dem Kellner an, dass sie zahlen möchte, bezahlt die gesamte Rechnung und drückt ihrer Schwester hastig einen Kuss auf die Stirn.

»Du wirst es nicht bereuen! Ruf mich an, wenn du dort hingehen willst. Dann komme ich mit!«

»Das möchte ich dir auch geraten haben!«

»Ich muss jetzt los. Wir schreiben später!«

Stefanie wundert sich.

»Ich denke du hast heute frei?«