Die Konturen der Liebe - Thérèse Lambert - E-Book
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Die Konturen der Liebe E-Book

Thérèse Lambert

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Beschreibung

Ein Liebespaar schreibt Design-Geschichte.

Michigan, 1940: Die 28-jährige Ray Kaiser studiert Malerei, als sie dem Designprofessor Charles Eames begegnet. Zu zweit entwerfen sie ein neues Stuhlkonzept, mit dem sie einen Wettbewerb gewinnen, doch die gewünschte Massenproduktion bleibt aus. Um ihren Traum von einem gemeinsamen Leben für die Liebe zum Design zu verwirklichen, lässt Charles sich scheiden und geht mit Ray nach L.A. Während Charles für ihre Möbel mit Preisen überhäuft wird, werden Rays Leistungen jedoch kaum anerkannt … 

Ein so bewegender wie fesselnder Roman über die Erfinder des berühmten Eames Chairs.

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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Über das Buch

Cranbrook Academy of Art, Michigan, 1940: Die 28-jährige Bernice Alexandra Kaiser, genannt Ray, begegnet ihrem Professor Charles Eames in einer Vorlesung. Für einen Wettbewerb arbeitet der Industriedesigner an einem neuen Konzept für Stühle und findet Unterstützung bei Ray, die Malerei studiert. Gemeinsam gewinnen sie den Wettbewerb, doch ist das Möbelstück leider untauglich für eine Massenproduktion. Vom Ehrgeiz gepackt arbeiten die beiden Seite an Seite weiter an ihrer Vision und verlieben sich dabei. Um mit Ray zusammenleben zu können, lässt Charles sich von seiner Frau scheiden, und im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen steht für das Paar eine gleichberechtige Beziehung völlig außer Frage. Doch schon bald holt sie die Realität ein: Aus Sicht der Öffentlichkeit sind all ihre gemeinsamen Design-Innovationen die Verdienste von Charles Eames allein, wodurch ihre Beziehung erst kleine, dann immer größere Risse bekommt – aber Ray und Charles beginnen, für ihre Liebe zu kämpfen.

Über Thérèse Lambert

Hinter Thérèse Lambert verbirgt sich die Autorin Ursula Hahnenberg, die in München aufgewachsen ist und mit ihrer Familie in Berlin lebt. Als Schwester von vier Brüdern und spätere Studentin der Forstwissenschaft hat sie früh gelernt, unter Männern ihre Frau zu stehen. Nicht zuletzt deshalb gilt beim Schreiben ihre besondere Leidenschaft starken Frauen wie Ray Eames. Auch ihre Romane über Lou Andreas-Salomé und Alma Mahler »Die Rebellin« und »Alma und Gropius – Die unerhörte Leichtigkeit der Liebe« liegen im Aufbau Taschenbuch vor.

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Thérèse Lambert

Die Konturen der Liebe

Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

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Zitat

Kapitel 1: Bloomfield Hills, Michigan, September 1940

Kapitel 2: Bloomfield Hills, September 1940

Kapitel 3: Bloomfield Hills, September 1940

Kapitel 4: Bloomfield Hills, Oktober 1940

Kapitel 5: Bloomfield Hills, Oktober 1940

Kapitel 6: Bloomfield Hills, November 1940

Kapitel 7: Bloomfield Hills, Dezember 1940

Kapitel 8: Bloomfield Hills, Januar 1941

Kapitel 9: New York, Januar 1941

Kapitel 10: New York, Februar 1941

Kapitel 11: Chicago, März 1941

Kapitel 12: Bloomfield Hills, März 1941

Kapitel 13: Bloomfield Hills, April 1941

Kapitel 14: Chicago, Ende Mai 1941

Kapitel 15: Bloomfield Hills, Anfang Juni 1941

Kapitel 16: Chicago, 20. Juni 1941

Kapitel 17: Los Angeles, Juli 1941

Kapitel 18: Los Angeles, September 1941

Kapitel 19: Los Angeles, Winter 1941/42

Kapitel 20 : Los Angeles, Winter 1942

Kapitel 21: Los Angeles, Mai 1942

Kapitel 22: Los Angeles, August 1942

Kapitel 23: Los Angeles, Oktober 1942

Kapitel 24: Los Angeles, Oktober 1942

Kapitel 25: Los Angeles, Juni 1943

Kapitel 26: Los Angeles, März 1944

Kapitel 27: New York, Anfang April 1944

Kapitel 28: Los Angeles, September 1945

Kapitel 29: New York/Los Angeles, Februar 1946

Kapitel 30: Los Angeles, März 1946

Kapitel 31: Los Angeles, Mai 1949

Kapitel 32: Los Angeles, April 1951

Kapitel 33: Los Angeles, Juni 1951 – Juni 1954

Kapitel 34: Bundesrepublik Deutschland, Sommer 1954

Kapitel 35: Los Angeles, Sommer 1955

Kapitel 36: Long Island, New York, August 1955

Kapitel 37: New York, Sommer 1957

Kapitel 38: Los Angeles, Winter 1957

Kapitel 39: Los Angeles, Frühling 1959

Kapitel 40: Los Angeles, Januar 1963

Kapitel 41: Los Angeles, Februar 1963

Kapitel 42: Los Angeles, Frühling 1964

Kapitel 43: Gujarat/Rajasthan, Indien, Oktober – Dezember 1964

Kapitel 44: Los Angeles, Januar 1965

Nachwort

Personenverzeichnis

(Alphabetisch)

Zitate und Literatur

Zitate

Literatur

Impressum

Zu allen Zeiten haben Liebe und Disziplin zu einer schönen Umgebung und einem guten Leben geführt.

Charles Eames

Cranbrook Academy of Art, Michigan, 1940: Für einen Wettbewerb arbeiten die 28-jährige Bernice Alexandra Kaiser, genannt Ray, und ihr Professor Charles Eames an einem innovativen Stuhlkonzept. Gemeinsam belegen die Malereistudentin und der Industriedesigner den ersten Platz, doch ist das Möbelstück leider untauglich für eine Massenproduktion. Vom Ehrgeiz gepackt arbeiten die beiden Seite an Seite weiter an ihrer Vision und verlieben sich dabei. Um mit Ray zusammenleben zu können, lässt Charles sich von seiner Frau scheiden, und im Gegensatz zu ihren Zeitgenossen ist für das Paar eine gleichberechtige Beziehung selbstverständlich. Doch schon bald holt sie die Realität ein: Aus Sicht der Öffentlichkeit sind all ihre gemeinsamen Design-Innovationen die Verdienste von Charles Eames allein, wodurch ihre Beziehung erst kleine, dann immer größere Risse bekommt – aber Ray und Charles beginnen, für ihre Liebe zu kämpfen.

Kapitel 1

Bloomfield Hills, Michigan, September 1940

Das war nun also ihr neues Zuhause.

Ray bezahlte den Taxifahrer, der sie vom Bahnhof Detroit bis nach Bloomfield Hills gebracht hatte, ließ sich ihr Gepäck geben und blieb einen Moment am Straßenrand stehen. Vor ihr lag die Cranbrook Academy of Art, und sie hatte nicht erwartet, dass der Campus so grün und anheimelnd und gleichzeitig modern aussehen würde. Es war eine parkähnliche Anlage, mit hübschen zweistöckigen Backsteinhäusern an der Straße, vermutlich die Unterkünfte der Professoren.

Sie nahm die beiden Koffer und ging ein Stück weiter auf der Suche nach dem Verwaltungsgebäude. Es war unglaublich friedlich, hier fuhren kaum Autos, sie hörte Vogelgezwitscher. Und das in der Stadt. Was für ein Unterschied zu New York.

Sie blieb stehen, stellte die Koffer wieder ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war einfach zu warm. Aber wenn sie den Mantel auszog, musste sie den auch noch tragen. Ray sah sich um und entdeckte endlich einen Wegweiser, der sie zum Büro der Universitätsverwaltung führte.

Eine halbe Stunde später betrat sie das Wohnheim für die weiblichen Studenten und suchte ihr Zimmer. Sie stieg eine Holztreppe hinauf in den ersten Stock, fand die Nummer 14, öffnete die Tür und stand in einem kleinen Raum mit Bett, Schreibtisch und einem Einbauschrank. Ray ließ das Gepäck fallen und den Mantel von den Schultern gleiten. Sie schlüpfte aus den Schuhen und sank aufs Bett. Das Baumwollkissen fühlte sich kühl an, frisch und irgendwie tröstlich. Es erinnerte sie an glückliche Kindertage, wenn ihre Mutter alle zwei Wochen die Betten frisch bezogen hatte und sie, Ray, erst hatte baden müssen, bevor sie sich sauber, müde und zufrieden in die duftenden Laken hatte kuscheln dürfen. Ray schloss die Augen und atmete tief ein. Fast konnte sie das leise Lachen ihrer Mutter hören und wie sie sie ermahnte, sich nicht mit Rock und Bluse auf das Bett zu legen.

Alexandra Bernice Kaiser, hätte sie gesagt, du bist nicht achtundzwanzig Jahre alt geworden, um jegliche Erziehung, die du genossen hast, mit einem Mal zu vergessen!

Der Gedanke, dass ihre Mutter nie wieder so mit ihr sprechen würde, hinterließ einen scharfen Schmerz in ihrer Brust. Sie würde auch nicht wieder ihr angestrengtes Gesicht machen, wie sie es immer getan hatte, wenn sie ein Bild, das Ray gemalt hatte, betrachtete. Mit sehr viel Ernst und dem ehrlichen Versuch zu verstehen hatte sie die Stirn gerunzelt und sich bemüht, in die abstrakten Formen Gegenständliches hineinzuinterpretieren. Vergebens natürlich.

Mehr als ein Jahr war vergangen, seit Mutter gestorben war. Der Schmerz war nicht weniger geworden. Nun war Ray allein auf der Welt. Nicht ganz, wenn sie ehrlich war, doch ihr Bruder Maurice hatte sein eigenes Leben, eine eigene Familie, er brauchte keine kleine Schwester, die Platz und Unterhalt beanspruchte. Und sie wollte nicht ein fünftes Rad am Wagen sein, die unverheiratete Tante, die bei schlechtem Licht in einer Ecke die Strümpfe der Kinder stopfte, um eine Daseinsberechtigung zu haben.

Ray stemmte sich hoch, stand auf und ging zum Fenster. Es führte nicht zur Straße, sondern auf den Campus, der hier wie ein Park wirkte. Sie schob die Scheibe hoch und ließ die Szenerie auf sich wirken. Ein lauer Wind fuhr durch die Eichen und die dunklen Pinien, der Rasen war kurz gemäht und saftig. Ein strahlend blauer Himmel ließ die verschiedenen Grüntöne umso mehr leuchten. Man hätte gleich den Koffer mit den Malutensilien auspacken mögen und loslegen. Ray überlegte kurz, ob sie es tun sollte, dann fiel ihr ein, dass ihre Mutter sie auch deswegen gescholten hätte. Kind, Kunst ist schön, aber achte bitte zuerst darauf, dich und die, die dir anvertraut sind, gut zu versorgen.

Nun, abgesehen von ihr selbst gab es niemand zu versorgen. Ray machte sich trotzdem daran, zuerst ihre Kleider in den Schrank zu räumen, danach verstaute sie Zeichenfedern, Pinsel und Farben im Schreibtisch.

Als sie damit fertig war, suchte sie den Waschraum und machte sich frisch. Sie zog eine frische Bluse und ihren blauen Lieblingsrock an. Es sollte ein guter erster Abend in ihrem neuen Leben werden.

Als sie nach dem Abendessen im Speisesaal, wo sie einige andere Studenten und Studentinnen kennengelernt hatte, wieder in ihrem Zimmer war, wusch sie sich und schlüpfte müde, aber hoffnungsvoll ins Bett.

Sie sah zum Fenster, draußen war es dunkel, trotzdem konnte sie selbst vom Bett aus noch die Spitzen der Baumkronen vor dem Sternenhimmel erkennen. Sagte man nicht, was man in der ersten Nacht in einer neuen Umgebung träumte, hätte besondere Bedeutung? Vielleicht konnte man Träume ja beeinflussen. Sie sehnte sich nach einem Leben voller Freude und mit ihrer Kunst. Und warm sollte es sein. Am liebsten wollte sie zurück nach Kalifornien gehen, dort hatte sie glückliche Zeiten verbracht. Und es war definitiv warm. Sie wollte malen, von ihrer Kunst leben. Ray wusste, dass sie begabt war, sie hatte Modedesign und Malerei studiert, und sie hatte noch so viele weitere Interessen. Deswegen hatte ihr alter Freund Ben ihr geraten, an die Cranbrook Academy zu gehen. Hier würde sie Vorlesungen in Architektur besuchen, vielleicht auch in Schmuckherstellung, Keramikbearbeitung und Fotografie. Es gab noch so viel zu lernen.

Und dann, eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft, würde sie sich ein Haus bauen, in dem sie leben und arbeiten würde. Und wenn sie von ihrer Malerei allein nicht leben konnte, dann würde sie eben Unterricht geben. Ray spürte ein warmes Brennen in ihrem Körper, und sie sah ganz genau vor sich, wie ihr künftiges Leben sein würde. Glücklich und voller Kreativität.

Sie seufzte zufrieden, drehte sich um und schlief ein.

Kapitel 2

Bloomfield Hills, September 1940

»Du bist ein Nichtsnutz und ein Träumer, Charles Ormand Eames.« Catherines Stimme klang nicht aufgeregt oder wütend wie so oft zuvor, sie klang resigniert, weshalb sich Charles’ Magen erst recht zusammenzog. Er merkte, wie er auf dem Küchenstuhl regelrecht zusammensackte, konnte aber nichts dagegen tun.

»Catherine …«, fing er an, aber seine Frau brachte ihn mit einem einzigen Blick zum Schweigen.

Sie lehnte sich an die Küchenspüle und verschränkte die Arme vor dem Körper. »Ich kann nicht mehr, Charles. So viele Jahre habe ich darauf gewartet, dass du herausfindest, was du tun willst. Stattdessen jagst du einem Traum nach dem anderen hinterher, und sobald die Dinge in ruhigen Bahnen laufen und Geld bringen, schmeißt du alles hin. Wir haben nichts, wir leben von der Hand in den Mund, nur weil dir immer etwas Neues einfällt. Lucia braucht Ruhe und Sicherheit, sie ist doch noch ein Kind. Und ich kann Dad nicht mehr um Geld bitten. Du bist Architekt, du solltest Häuser bauen, keine Wolkenkuckucksheime.«

Charles öffnete den Mund, um sich zu verteidigen. Schließlich konnte er nichts für die Wirtschaftskrise, und Catherine sollte froh sein, dass er immer neue Möglichkeiten fand, um überhaupt etwas Geld zu verdienen. Geld für die Familie, Geld für Lucia. Wie konnte sie ihn bezichtigen, sprunghaft zu sein?

»… sprunghaft und egozentrisch bist du.« Catherines Tirade ging weiter. Sie lief in der kleinen Küche ihres Hauses auf und ab und redete.

Charles gab auf. Er würde sie einfach lassen, bis sie fertig war. Er sah aus dem Fenster, auf den Academy Way, hinaus ins Kleinstadtleben. Sie hatte zum Teil ja recht, das musste er zugeben. Er war es gewohnt, mit den Händen zu arbeiten, ein Praktiker. Und er arbeitete ja auch noch als Architekt, so wie Catherine es wünschte. Sein Chef im Büro, Eliel Saarinen, hatte ihn aber eingeladen, auch an der Akademie zu lehren, deren Leitung Saarinen ebenfalls hatte. Die Cranbrook Academy of Art hier in Bloomfield Hills hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Entwicklung des internationalen Designs nicht allein den Europäern zu überlassen. Die Bauhaus-Idee, dass Handwerk und Design zusammen gedacht werden sollten, hatte die USA erreicht, und in Cranbrook sollte sie umgesetzt werden. Charles fühlte sich klarer und gerader im Denken als je zuvor, und in ihm war das Bedürfnis erwacht, diese neuen Ideen umzusetzen. Design in die Tat umzusetzen, Möbel und andere Gegenstände zu entwerfen, die den Alltag der Menschen angenehmer, leichter machten.

Und das warf Catherine ihm vor.

»Wir hätten jeden Sommer mit unserer Tochter am Meer verbringen können. Aber du wolltest lieber herumtüfteln und zu Hause bleiben. Ich brauche Luft, Charles. Ich will etwas erleben. Lucia sollte mal etwas anderes sehen. Und was hast du diesmal in den Sommerferien gemacht? Du warst mit deinem bescheuerten Stuhl beschäftigt!« Catherine war mittlerweile ziemlich rot im Gesicht und außer Atem.

»Es tut mir leid. Ich werde mit Eero den Wettbewerb gewinnen, den das Museum of Modern Art in New York ausgelobt hat, und nächstes Jahr werden wir fahren, Liebes. Ich verspreche es.« Charles bemühte sich um einen freundlichen Ton, und die Angewohnheit, immer eher leise zu sprechen, half ihm dabei. Doch er war dieser Diskussionen dermaßen überdrüssig, was er wohl nicht vollständig verbergen konnte.

Catherine sah ihn kalt an. »Ich habe es dir schon mehrmals gesagt. Ich werde keine weiteren Ausflüchte akzeptieren. Ich werde die nächsten Ferien mit Lucia bei meinen Eltern verbringen. Und dorthin werde ich jetzt fahren. Ich brauche eine Pause. Ich kann dich nicht mehr sehen, ohne mit dir zu streiten, ohne dich schütteln zu wollen, bis da wieder der Charles von vor zehn Jahren ist. Der, den ich geliebt habe.«

Charles konnte nur hilflos zusehen, wie sie aus dem Wohnzimmer rauschte und nebenan im Schlafzimmer geräuschvoll die Koffer packte. Er stand auf und nahm sich ein Glas Wasser aus dem Hahn. Was erwartete Catherine von ihm? Etwa dass er die Zeit zurückdrehte? Er war mehr als zufrieden, hier an der Cranbrook Academy zu sein, wo er die Möglichkeit hatte, so vieles nachzuholen und zu lernen. Eliel hatte ihm die Möglichkeit gegeben, sein Architekturstudium zu Ende zu bringen, das er in Missouri hatte abbrechen müssen, weil die Professoren mit seiner Faszination für Frank Lloyd Wright und dessen moderne Ideen nicht einverstanden gewesen waren. Und nach nur einem Jahr in Eliels Büro war er Lehrer am Design Department der Cranbrook Academy geworden. Das machte ihn stolz und zeigte ihm, dass etwas Besonderes in ihm steckte. Verdammt, er wollte und er konnte nicht zurück in alte Bahnen. In ihm passierte so viel, seit sie in Bloomfield Hills angekommen waren. Seine Kreativität explodierte förmlich. Er war nie ein Mensch gewesen, der sich gern an Regeln hielt, doch hier hatte er gelernt, dass Dogmen vor allem die Freiheit des Denkens einschränkten, was ihm wie eine Offenbarung vorgekommen war. Er spürte einen tiefen Groll gegen Catherine, weil sie ihn einfach nicht verstehen wollte. Er war ein Familienmensch. Er liebte Lucia, seine wunderbare Tochter, und er liebte Catherine, wenn auch nicht mehr so heiß und vorbehaltlos wie am Anfang. Er trank das Wasser in einem Zug aus und stellte das Glas in das Spülbecken.

»Ich gehe jetzt.« Catherine stand in Hut und Mantel vor ihm. Ihre Züge waren weicher geworden. »Ich brauche einfach eine Woche, um in Ruhe über uns nachzudenken. Vielleicht haben wir noch eine Zukunft, vielleicht auch nicht. Vergiss nicht, Lucia rechtzeitig aus der Schule abzuholen.« Sie wandte sich zum Gehen.

Charles stutzte. »Aber ich muss arbeiten!«

»Ja, und ich bin nicht da. Lucia muss in die Schule, sie braucht etwas zu essen und sollte abends pünktlich ins Bett. Du wirst das ja wohl schaffen, oder?« Mit diesen Worten verließ sie das Haus.

Charles hörte, wie der Wagen in der Einfahrt gestartet wurde und Catherine wegfuhr. Er seufzte und sah auf die Uhr. In einer Stunde musste er seine Tochter aus der Schule abholen. Und obwohl das seinen Zeitplan gehörig durcheinanderbrachte, freute er sich schon darauf, Zeit mit ihr allein zu verbringen.

Am späten Nachmittag fand sich Charles in der Cranbrook Academy ein, um mit Eero an dem Stuhl für den Wettbewerb zu arbeiten. Die zehnjährige Lucia hatte er einfach mitgenommen. Sie interessierte sich für alles, was ihr Vater tat, vor allem, wenn es mit Farbe und Form zu tun hatte. Charles wusste, dass aus ihr eine Künstlerin werden würde, und er wusste auch, dass Catherine das missbilligen würde. Sie hätte gern gehabt, dass sich ihre Tochter mit Mode, Frisuren oder Handarbeit beschäftigte. Doch Charles spürte, dass Lucia solche Dinge nur ihrer Mutter zuliebe tat. Lieber malte und baute sie wunderbare Traumschlösser, die größten und aufwendigsten Türme, die man mit Bausteinen bauen konnte. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn er daran dachte. Sie war eben seine Tochter. Unverkennbar.

Etwas abgehetzt betrat Charles die Werkstatt, in der sie arbeiten wollten, Lucia an einer Hand und in der anderen eine Aktentasche, in die er Papier und ein paar Stifte für sie gestopft hatte. Im ersten Moment war er überrascht, so viele Leute vorzufinden. Abgesehen von Eero standen zwei Männer und eine Frau um den Tisch in der Raummitte und betrachteten interessiert die Entwürfe für den Stuhl. An den Wänden und unter den Fenstern waren Werktische und Maschinen aufgereiht, an denen sonst seine Studenten arbeiteten.

Charles schob Lucia weiter in den Raum und stellte seine Tasche ab. »Eero, entschuldige bitte, ich bin ein bisschen zu spät dran, ich hatte noch zu tun.« Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.

»Hallo, Charles. Und Lucia! Was für eine Überraschung. Wie schön, dich wieder mal zu sehen, junge Frau!« Eero trat auf das Mädchen zu und gab ihr formvollendet die Hand, wobei er sich leicht verbeugte.

Lucia kicherte. »Hallo, Eero.«

»Es ist mir eine Ehre, dass du hier bist. Darf ich dir gleich unseren Stuhl zeigen? Ich möchte dir und deinem Vater nur zuerst unsere anderen Gäste vorstellen.« Eero grinste sein übliches Lausbubengrinsen und nahm Lucia an die Hand. Sie strahlte über das ganze Gesicht.

Zunächst blieb Eero vor der jungen Frau am Tisch stehen. Eine hübsche Brünette, vielleicht Mitte oder Ende zwanzig, die Charles in den letzten Tagen schon auf dem Campus aufgefallen war. Sie musste eine Studentin sein, wirkte sehr selbstbewusst, fröhlich, und ihre Nasenspitze reckte sich neugierig in die Höhe.

»Das ist Alexandra Bernice Kaiser, genannt Ray, wie mir ihre Kommilitonen verraten haben. Sie ist eine ausgezeichnete Künstlerin, das kann ich dir verraten. Ray, darf ich dich mit Lucia Eames bekannt machen? Diese junge Dame ist definitiv das Beste, was Charles Eames bisher zustande gebracht hat.«

Lucia knickste artig und grüßte, Ray reichte ihr anmutig die Hand und schüttelte sie. »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Miss Eames.« Sie lächelte, dann hob sie den Kopf und sah Charles nachdenklich an.

Charles spürte, wie seine Wangen heiß wurden, und ärgerte sich gleichzeitig darüber. Warum sollte er sich dafür schämen, dass er eine so wundervolle Tochter hatte? Vor allem vor einer wildfremden jungen Frau? Noch dazu einer, die an seinem Unterricht teilnahm, wie ihm jetzt einfiel.

Inzwischen hatte Eero Lucia auch mit Don Albinson und Harry Bertoia bekannt gemacht. Don war wie Ray eine studentische Hilfskraft, die Eero angeheuert hatte, um bei der Vorbereitung der Präsentation für den Wettbewerb zu helfen. Harry betreute die Werkstatt für Schmuckherstellung und Metallbearbeitung an der Cranbrook Academy. Er war schon lange in Cranbrook, und vor ein paar Jahren hatte er sogar bei Walter Gropius gelernt, worum ihn Charles beneidete, weil der praktisch einer der Begründer der Bauhaus-Idee war.

Eero übernahm jetzt die Präsentation ihrer Idee, nicht nur für Lucia, sondern auch für die Studenten und Harry. Die Aufgabe für die Teilnahme an dem renommierten Wettbewerb des MoMA unter dem Motto »Organische Formen im Möbeldesign« war, ein Möbel zu entwerfen, das einfach gebaut und leicht in Massenproduktion hergestellt werden konnte. Zudem sollte es natürlich gut und modern aussehen und die Jury überzeugen. Denn den Gewinner erwartete nicht nur enormes Prestige, sondern auch die sichere Zusage, dass der Entwurf in Produktion gehen würde. Was sich wiederum auch finanziell auszahlen würde. Und Catherine hoffentlich besänftigen …

Auf dem Tisch befanden sich einige Skizzen und zwei kleine Stuhl-Modelle aus Kupfer, Papier und Sperrholz. Der Stuhl, das war die Idee, sollte sich organisch an die Formen eines sitzenden Menschen anpassen. Lehne, Sitzfläche und Armlehnen sollten aus einem Stück gefertigt werden – ein spektakuläres neues Design. Der echte Stuhl würde aus Sperrholz sein, einem Material, das gleichzeitig leicht verfügbar war und eine angenehme Wärme ausstrahlte. Zum Test hatten sie dem Sperrholz des Modells vor ein paar Tagen mithilfe einer erwärmten Walze eine Wölbung verpasst.

»Wir wollen also«, nahm Charles den Faden auf, »ein Sitzmöbel entwickeln, das aus einem leichten und modernen Werkstoff wie dem Sperrholz hergestellt werden kann. Ist Ihnen allen klar, was Sperrholz ist?«

Don und Ray schüttelten den Kopf, und Lucia tat es ihnen nach, was Charles ein Lächeln entlockte.

»Gut, dann werde ich es Ihnen erklären. Wenn Sie einen Baum fällen und die Rinde entfernt haben, haben Sie mehrere Möglichkeiten, aus dem Stamm Werkstoffe herzustellen. Brennholz wäre eine Möglichkeit, Bretter im Sägewerk zu sägen, eine weitere. Man kann aber auch Furnier herstellen. Dazu werden die ausgewählten Stämme von der Rinde befreit und dann gekocht.« Er grinste, weil diese Information, genauso wie in seinen Vorlesungen, ungläubiges Staunen bei den Zuhörern auslöste. Immerhin hatte er so die volle Aufmerksamkeit. »Und dann wird der Stamm entweder gemessert, das heißt, man hobelt von oben nach unten dünne Scheiben ab. Oder er wird wie ein Apfel mit einem sehr scharfen Messer hauchdünn geschält. Der wesentliche Unterschied besteht in der Maserung, die zu sehen ist. Mit beidem kann man sehr hochwertige Furniere herstellen. Um 1860 herum kamen dann Techniker auf die Idee, Furnierblätter wechselseitig übereinanderzulegen und zu verleimen. So verlaufen die Faserrichtungen der Schichten rechtwinklig zueinander, und das verhindert weitgehend, dass sich das Holz bei einem Wechsel in der Luftfeuchtigkeit ausdehnt oder zusammenzieht. Voilà, das ist Sperrholz. Der Werkstoff ist leicht und stabil, er lässt sich einfach verarbeiten und ist günstig in der Anschaffung. Bisher wird er hauptsächlich flächig verwendet, man kann ihn aber mittels Wärme auch formen, wie Sie hier sehen. Und wir wollen nun herausfinden, was noch alles im Sperrholz steckt.«

Charles hatte sich bei seinen Ausführungen Zeit gelassen. Er war es immer noch nicht gewöhnt, vor Menschen zu sprechen, obwohl Vorträge zu seinem Leben an der Akademie gehörten. Wie hätte er sonst lehren können? Deshalb war er ganz stolz, dass er diese kurze Vorlesung über Sperrholz ohne zu stocken gehalten hatte.

Er spürte Rays intensiven Blick auf sich und sah ihr in die Augen. Hatte er etwas Falsches gesagt? Nein, das konnte nicht sein, er hatte schon so oft über Sperrholz gesprochen. Er schaute kurz zu Eero, der ganz zufrieden aussah, und dann wieder zu Ray. Sie hatte irgendetwas an sich, das ihn nicht losließ. War es ihre Präsenz, die er spürte, als stünde sie direkt neben ihm, obwohl sie sich auf der anderen Seite des Raums befand?

Eero hatte das gebogene Stück Sperrholz in eine Hand genommen, eine Zeichnung in die andere. »Und nun wollen wir mit der Idee und diesen Entwürfen einen Prototypen in der endgültigen Größe bauen. Wie wollen wir anfangen?« Tatendurstig klatschte er in die Hände. »Würdest du, liebe Lucia, vielleicht eine Zeichnung des Stuhls für uns anfertigen?«

Charles betrachtete seine Tochter. Sie war dem Gespräch mit großen Ernsthaftigkeit gefolgt. Trotzdem nagte das schlechte Gewissen an ihm, weil er sich nicht richtig um sie kümmern konnte. Aber das war jetzt nicht zu ändern. Es war immens wichtig, dass sie erfolgreich an dem Wettbewerb teilnahmen. Er wandte sich an die Runde: »Und wir brauchen eine Studie für den Herstellungsprozess. Jeder Schritt sollte in einer Zeichnung festgehalten werden. Wer könnte das übernehmen?«

Don Albinson meldete sich zu Wort. »Ray ist bei Weitem am besten mit Stift und Papier, meine ich.«

Charles nickte. »Einverstanden, dann fangen wir an. Und Sie sagen mir einfach, wie Sie uns am liebsten unterstützen würden.«

Es war schon spät am Abend, als Charles mit der gähnenden Lucia an der Hand nach Hause kam. Catherine hätte einen neuen Grund gehabt, sich aufzuregen, wenn sie davon gewusst hätte. Aber sie war ja nicht da, also konnte er tun und lassen, was er für richtig hielt.

Er brachte Lucia ins Bett, küsste sie auf die Stirn, wie jeden Abend, und setzte sich dann im dunklen Wohnzimmer mit einem Glas Brandy ans Fenster. Er sah hinaus in die Nacht, hinüber zum Campus, und ließ den Abend Revue passieren. Sie waren gut vorangekommen, Eeros Idee, die beiden Studenten in die Arbeit einzubinden, war richtig gewesen. Don war ehrgeizig und genau, er wollte lernen und machte sich dafür auch die Finger schmutzig. Harry hatte einige wertvolle Hinweise beigesteuert. Und Ray … Ray war eine faszinierende Frau. Sie hatte die Gabe, sich ganz und gar in ein Projekt fallen zu lassen, sie dachte blitzschnell und hatte ein feines Gespür für Formen und für Zusammenhänge. Mehr als einmal hatte Charles sie dabei beobachtet, wie sie über die Rundung des geformten Sperrholzes gestrichen hatte, mit geschlossenen Augen, so als säße sie in diesem Moment auf dem fertigen Stuhl. Er kannte höchstens eine Handvoll Menschen, die das konnten: sich in eine Idee so hineinversetzen, dass sie fast zwingend Wirklichkeit wurde. Dazu war Ray hübsch, sie bewegte sich anmutig und war freundlich und charmant. Charles freute sich auf die weitere Zusammenarbeit mit ihr. Sie schien ein angenehmer Mensch zu sein. Er trank den Rest Brandy aus und ging ins Bett.

Kapitel 3

Bloomfield Hills, September 1940

Ray stöhnte und sah ihre Freundin Lee finster an. »Ich meine, was ich gesagt habe. Ich bleibe allein, baue mir ein Haus an einem Ort, an dem es nicht viel kostet, und male. Um ein bisschen Geld zu verdienen, kann ich Malkurse geben. Meine Kleidung nähe ich selbst, Gemüse kann ich im Garten anbauen, und ansonsten brauche ich nicht viel. So wird es sein, und ich werde damit sehr zufrieden sein.«

»Sei nicht albern!« Lee runzelte die Stirn. »Wie willst du denn kreativ arbeiten, wenn du die romantische Liebe für dich kategorisch ausschließt?«

Ray seufzte. Sie saß mit ihrer Freundin in einem kleinen Café in Bloomfield Hills, nicht weit entfernt von ihrem Wohnheim in der Cranbrook Academy. Von ihrem Tisch am Fenster schauten sie auf einen verträumten Teich. Ganz Bloomfield war voller Teiche und bezaubernder kleiner Seen, Parks und Blumen, eine angemessene Umgebung für eine Universität, die sich auf die Fahnen geschrieben hatte, Kreativität und Design für alle Menschen in den USA zugänglich zu machen.

Ray nippte an ihrem Kakao. Lee hatte zielsicher die Schwachstelle in ihrem Plan erkannt. Natürlich. Sie kannte sie eben. Aber Ray hatte sich nun mal für ein Leben, wie sie es gerade skizziert hatte, entschlossen. Sie hatte gute Schulen besucht, Modedesign und Tanz studiert und Lee beim Studium der Malerei in Hans Hofmanns Klasse in New York kennengelernt. Und ja, sie hatte auch Männer kennengelernt. Künstler, Lebemänner, Soldaten und brave Jungs. Natürlich war sie niemandem wirklich nahe gekommen, das wäre weder schicklich gewesen, noch hatte sie es je gewollt. Es war einfach niemand dabei gewesen, mit dem sie ihr Leben hätte verbringen wollen. Ausgehen, tanzen, sich unterhalten, ja. Aber mehr war bei ihr nicht drin.

»Ganz ehrlich, Lee. Welche Wahl habe ich? Zu zweit von Luft und Liebe leben? Du weißt genau, dazu bin ich viel zu praktisch veranlagt. Wenn ich mich mit einem Künstler einlassen würde, würde ich mit allen Mitteln versuchen, Geld zu verdienen, und im schlimmsten Fall allein einen verhinderten Maler durchfüttern. Du kennst die Typen doch. Ihnen Butterbrote schmieren und die Füße nach einem langen Tag an der Staffelei massieren, statt selbst zu malen. Oder die andere ebenso wenig verlockende Möglichkeit: Ich verliebe mich unsterblich in einen fleißigen Mann, der eine Hausfrau braucht, und sortiere für den Rest meines Lebens Geschirr nach Farben in einen hässlichen Küchenschrank und bügle seine Unterhosen. Aber sehe ich aus wie eine Hausfrau?« Ray verdrehte genervt die Augen, und Lee lachte.

»Ach, Liebes, natürlich nicht. Du bist eine Intellektuelle, keine Hausfrau. Niemals darfst du dich von so einer Pfeife an die Leine legen lassen. Wenn überhaupt, brauchst du einen Mann, der ein Ehemann sein will, der deine Qualitäten erkennt und schätzt. Keinen, der eine Ehefrau sucht, weil er kein Geld für Hauspersonal hat. Du bist schlau, gewitzt, talentiert und hübsch. Warum läuft es denn nicht mit Ben? Er ist doch ein anständiger Kerl.«

Ray zuckte die Schultern und trank den Kakao aus. Ben Baldwin hatte wie Lee und sie selbst bei Hans Hoffmann studiert. Sie mochte ihn, er war in Ordnung, und sie gingen hin und wieder miteinander aus. Er malte ganz anständig. Aber das meinte Lee natürlich nicht.

»Ben ist ein netter Mann. Wirklich. Er ist talentiert, und er tanzt recht gut. Vielleicht wäre er ein toller Ehemann, aber irgendetwas fehlt. Er hat kein Feuer in sich. Verstehst du, was ich meine? Wenn, dann wünsche ich mir einen Mann, der Sehnsucht danach hat, etwas Großes zu erreichen. Der Träume wahr machen will. Nicht meine, nicht seine, sondern große Träume. Menschheitsträume. Und das Beste wäre doch, wenn man das gemeinsam täte. Kann man zusammen denn nicht mehr erreichen? Vermutlich bin ich zu anspruchsvoll. Eine Träumerin. Ben und ich … wir … wir sind einfach gute Freunde.« Jetzt, da sie es ausgesprochen hatte, bekam die simple Tatsache eine Wahrheit, die Ray selbst überraschte. Ja, gute Freunde, das traf es. War das nicht traurig? Sie wusste, dass Ben mehr in ihr sah. Er hätte sie gern öfter getroffen, hatte sie sogar geküsst. Warum war dann nicht mehr Gefühl in ihr? Vielleicht konnte sie gar niemand lieben? Ray betrachtete Lee, die durch das Fenster nach draußen sah und ganz in Gedanken versunken zu sein schien.

Dann sah Lee sie mit einem fast scheuen Lächeln an. »Hm, ja, ich glaube, ich verstehe, was du meinst. Ich habe kürzlich jemand kennengelernt, bei dem ich spüren kann, dass er ein außergewöhnliches Talent hat.«

Lees Stimme war sanft geworden, und ihr Gesicht, das oft einen etwas verschlossenen Ausdruck hatte, wirkte ganz weich. Wenn sie lächelte, erreichten ihre schön geschwungenen Augenbrauen fast den modisch kurz geschnittenen Pony. Rays Aufmerksamkeit war geweckt, denn Lee war eigentlich keine Frau, die schnell für jemand schwärmte. Meist zog sie sich auf einen eher zynischen Standpunkt zurück, wenn es um Männer ging. Schon der Satz, dass Liebe für die Kreativität unabdingbar sei, hätte Ray misstrauisch machen müssen. Da war doch etwas im Busch?

»Und, sieht er gut aus?« Ray ließ die Freundin nicht aus den Augen.

Doch Lee schien den Braten zu riechen und lachte ihr herzliches dunkles Lachen, das Ray so an ihr liebte. »Er sieht interessant aus. Ein ausdrucksstarkes Gesicht. Aber mach dir keine Hoffnungen auf Skandalgeschichten. Er arbeitet auch für das Federal Art Project, und da habe ich ihn getroffen. Das ist alles.« Das Federal Arts Project zur Unterstützung von Künstlern war eine Initiative der Works Progress Organization, die in der großen Rezession von 1935 sowie in den folgenden Jahren Arbeitsplätze für Menschen mit den unterschiedlichsten Qualifikationen schaffte. Ray hatte selbst schon Arbeiten bei diesem Projekt eingereicht und war dafür zwar bescheiden, aber immerhin überhaupt entlohnt worden. Schließlich war die Weltwirtschaftskrise noch nicht überwunden, und nur wenige Menschen konnten es sich leisten, Geld für eine unbekannte Künstlerin auszugeben.

»Aber hast du romantische Gefühle für ihn? Ich meine, macht er dich wirklich kreativer?«, fragte sie weiter, weil sie einerseits wissen wollte, was Lee fühlte, und andererseits, ob ihre eigene Sehnsucht nach gemeinsamer Kreativität nur ein Hirngespinst war.

Lee errötete leicht. »Ja, ich glaube schon, ein wenig. Das ist tatsächlich schwerer zu beurteilen, als man denkt. Oder als ich es mir vorgestellt habe. Aber du kennst doch dieses Hochgefühl, wenn man wie auf Wolken schwebt und denkt, dass man alles schaffen kann? Dieses Allmachtsgefühl, das man erlebt, wenn man jemanden gut findet und man spürt, dass es dem anderen genauso geht? Man spürt Flügel.«

Lee sah so selig aus, dass Ray unwillkürlich lächeln musste und sich mit ihr freute. Den kleinen Stich der Eifersucht, den sie spürte, ignorierte sie. Und auch, dass vor ihrem inneren Auge für den Bruchteil einer Sekunde das Bild eines Mannes auftauchte.

Lee war die Erste, die Ray an der Cranbrook Academy in Bloomfield Hills besuchte. Jetzt im Herbst war es wunderschön auf dem Campus. Die einzelnen Akademie-Gebäude lagen in einer Art Park, und das Wohnheim der Damen, wahrscheinlich eins der kleinsten Gebäude auf dem Gelände, stand mittendrin. Ray spazierte mit Lee bis an den kleinen See direkt vor ihrem Wohnheim, dann zeigte sie ihr die Unterrichtsräume und die Werkstätten. Das Gelände war voller Studenten, die das herrliche Wetter genossen. Einige hatten sich auf Decken auf dem Gras niedergelassen und lasen. Es sah idyllisch aus.

»Und du willst wirklich Unterricht in Architektur nehmen?«, fragte Lee. »Ich meine, du willst Häuser bauen? Was ist mit der Malerei?« Lee sah sich um und Ray spürte, dass die Freundin Vorbehalte hatte.

»Du findest es trostlos öde hier im Vergleich zu New York, oder?«, entgegnete Ray. »Ich werde so lange hier bleiben, wie ich das Gefühl habe, etwas Neues lernen zu können. Ich habe von Mutter nicht viel geerbt und werde bald arbeiten müssen. Aber die Zeit bis dahin möchte ich nutzen, um ganz viele praktische Kenntnisse zu erwerben, damit ich mehr Möglichkeiten habe, zu unterrichten. Sobald ich genug Geld verdient habe, gehe ich zurück nach Kalifornien.« Sie sah zum Teich, auf dem zwei Schwäne majestätisch ihre Bahnen zogen. »Und gründe eine Malschule oder eine Modeschule. Oder eine Ballettschule.«

Lee lachte. »Du wirst am Ende eine Kreativitätsschule gründen, etwas ganz Neues, und sehr erfolgreich sein, das habe ich im Gefühl. Ich verstehe nur nicht ganz, wie du hier auf dem Land leben kannst. Ohne Ausstellungen und Theater und Ballett und so weiter. Als wir in New York waren, warst du jeden Abend unterwegs. Fehlt dir das hier nicht?«

Ray lenkte ihre Schritte zurück in Richtung Wohnheim. »Doch, du hast recht. Das wird mir fehlen. Aber wie gesagt, ich werde nicht ewig hier bleiben, denke ich. Und Detroit ist auch nicht so weit weg. Ich glaube, es wird schön hier in Bloomfield Hills. Vielleicht ist eine gewisse Ruhe ganz gut für mich.«

Lee blieb stehen, nahm Ray in den Arm und drückte sie. »Natürlich wirst du hier eine tolle Zeit haben. Genieße jeden einzelnen Tag, hörst du, Ray?«

Liste von Dingen, die ich an Menschen liebe:

(Jemand, den ich lieben könnte, muss mindestens drei davon haben)

1. Intelligenz

2. Kreativität

3. Schönheit

4. Liebenswürdigkeit, Herzlichkeit

5. Glamour

6. Vitalität, Ausstrahlung

7. Zärtlichkeit

Kapitel 4

Bloomfield Hills, Oktober 1940

Charles hatte ein Problem, und er wusste es. Auch der Spaziergang durch den herbstlich gefärbten Park, den er sich verordnet hatte, um den Kopf freizubekommen, würde daran nichts ändern.

Sie kamen mit dem Wettbewerbsstuhl gut voran. Er liebte die Arbeit an diesem Projekt, vor allem weil Ray dabei war. Zwar war er Professor und sie seine Studentin, doch es fühlte sich so an, als arbeiteten sie zusammen, als Team. Ray schien intuitiv zu verstehen, was er wollte. Nein, mehr noch. Sie stellte die richtigen Fragen, was ihm half, seine manchmal vagen Ideen selbst besser erfassen zu können. Dabei sprühte sie vor Intelligenz und Kreativität und war einfach bezaubernd. Kurz: Er war verliebt.

Und das war ein Problem.

Er kickte einen Stein mit dem Fuß vom Weg ins Gras.

Seine Ehe mit Catherine war am Ende, sie war es schon gewesen, bevor er Ray kennengelernt hatte. Er wusste das und Catherine genauso. Aber Ray wusste es nicht, ebenso wenig der Rest der Welt. Wozu hätte er mit irgendjemand darüber sprechen sollen? Es brach ihm fast das Herz, wenn er daran dachte, wie verliebt und zuversichtlich Catherine und er gewesen waren – und wie unschön sich die Dinge über lange Zeit hinweg entwickelt hatten. Während Catherines Abwesenheit war ihm das erst richtig bewusst geworden.

In Rays Gegenwart hingegen … fühlte er sich wie auf einer Sommerwiese. Luftig, leicht und frei. Er konnte den Horizont sehen und glaubte, auch darüber hinaus zu sehen. In die Zukunft. Mit ihr an seiner Seite wäre nicht nur er ein anderer, glücklicherer Mensch, auch die Arbeit wäre anders, erfüllter. Allein beim Gedanken, dass es möglich wäre, Leben und Arbeit mit einem anderen Menschen zu teilen, durchfuhr ihn ein Glücksgefühl, das er bisher nicht gekannt hatte. Was für Möglichkeiten das eröffnen würde!

Charles atmete durch und schüttelte den Kopf. Catherine hatte recht, manchmal war er wirklich ein Träumer.

* * *

Ray genoss das Studium an der Cranbrook Academy, und sie mochte den Campus, über den sie in diesem Moment durch die Herbstnacht nach Hause ins Wohnheim schlenderte. Tatsächlich lernte sie hier mehr, als sie erwartet hatte. Eigentlich war es ihr vor allem darum gegangen, etwas über Architektur und den Gebrauch von Werkzeugen zu lernen. Denn von Handwerk hatte sie bislang keine Ahnung gehabt, wenn man von der Schneiderei absah. Dafür hatte sie sich immer mit Kunst beschäftigt. Schon als kleines Mädchen hatte sie begonnen zu malen, hatte später Kleider entworfen, Modedesign und Tanz studiert – die schönen Künste, wie man so sagte, die weiblichen vor allem. Doch wenn sie erfolgreich werden wollte, dann musste sie in der Lage sein, das, was sie sich ausdachte, nicht nur auf Papier oder Leinwand zu bannen, sondern auch in die Tat umzusetzen, ihm Leben einzuhauchen und einen Zweck zu geben. Egal auf welchem Gebiet. Besonders gefiel ihr das Projekt von Eames und Eliel Saarinen, weil sie dabei sofort umsetzen konnte, was sie von den beiden lernte. Sie hatte aus Blech ein Modell des Stuhls geformt, hatte Studien von diesem Modell gezeichnet, hatte sich Gedanken über Sitzfläche, Armlehnen und Rückenlehne gemacht und ihre Idee mit Eames besprochen. Besonders bei Charles – in Gedanken nannte sie ihn beim Vornamen, auch wenn sie es sich in der Realität nicht traute – spürte sie einen Enthusiasmus und Elan, den sie bei den meisten Menschen vermisste, selbst wenn sie kreativ waren oder sich Künstler nannten. Sie wusste instinktiv, dass in ihm ein Feuer brannte, das ihrem eigenen glich. Und sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart, so wohl und verstanden wie nie zuvor. In der ersten Woche der Projektarbeit hatte er zu ihren Treffen immer seine Tochter mitgebracht, Lucia, die Ray sofort liebgewonnen hatte. Auch in ihr steckte eine Künstlerseele, das merkte man gleich. Inzwischen kam er nur hin und wieder zusammen mit ihr, vermutlich wenn die Mutter eigene Pläne hatte. Vielleicht ging sie in einen Club oder traf Freundinnen. Oder einen anderen Mann? Wie konnte man an einen anderen Mann auch nur denken, wenn man mit Charles Eames verheiratet war? Ray sog tief die kühle Nachtluft ein und stieß sie seufzend wieder aus. Aber was überlegte sie denn da? Ray schüttelte unwillig den Kopf. Sie mochte Charles. An dieser Feststellung führte kein Weg vorbei. Und sie war ein kleines bisschen eifersüchtig auf seine Frau. Auf der anderen Seite war sie ihr sehr dankbar. Denn durch ihre bloße Existenz waren die Fronten geklärt. Charles und sie konnten Freunde werden. Nicht mehr. Und vielleicht war das ja die beste Basis für eine gute Zusammenarbeit. Liebe machte doch alles kompliziert. Und hatte sie nicht entschieden, dass sie ohne die Liebe besser dran war?