Die Kraft der Intuition - Philip Goldberg - E-Book

Die Kraft der Intuition E-Book

Philip Goldberg

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Beschreibung

Was ist Intuition, und wie weit kann man ihr trauen? Ergänzt sie das sogenannte vernünftige Denken oder widerspricht sie ihm? Haben Frauen tatsächlich mehr Intuition als Männer? Diese und viele andere Fragen rund um die Intuition beantwortet der Autor Philip Goldberg – vor allem aber gibt er umfassend Auskunft darüber, wie wir unsere schlummernden «intuitiven» Fähigkeiten freisetzen können. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Philip Goldberg

Die Kraft der Intuition

Wie man lernt, seiner Intuition zu vertrauen

Aus dem Amerikanischen von Erwin Schuhmacher

FISCHER Digital

Inhalt

Für meine Mutter, die [...]Vorwort1 Intuition ist allesDas Vermächtnis des SzientismusTu, was die Natur tut, nicht, was sie sagtWie man Intuition «züchtet»2 … aber was ist Intuition?Intuition und Rationalität gehören zusammenIst Intuition nur schnelles Urteilen?Was kann als Intuition bezeichnet werden?3 Die vielen Gesichter der IntuitionWissenschaftliche EntdeckungenKreative IntuitionenIntuitive WertungenPraktische IntuitionenPrognostische IntuitionenErleuchtungen4 Die intuitive ErfahrungDie Inkubationszeit als schöpferische PauseDie Paradoxa der IntuitionDie ganzheitliche Natur der IntuitionGeistesblitzeDie Sprache der IntuitionGefühl und ErkenntnisDie Transzendenz – Prototyp der IntuitionEine persönliche Überlegung5 Wer besitzt Intuition?Intuition kann Zufall seinStil und Qualität einer IntuitionIntuition – angeboren oder anerzogen?Weibliche IntuitionEine Verbeugung vor dem östlichen DenkenIntuition und KinderDie intuitive PersönlichkeitWestcotts Skala für intuitive ProblemlösungenSind Sie intuitiv?Berechnung der Punkte6 … und wie funktioniert sie?Was sich rechts tut – und was sich links tutDer Stand der ForschungAuf dem Weg zu einem komplexen Verständnis des GehirnsDie verblüffende MikrostrukturDas ketzerische holographische Gehirn7 Das intuitive BewußtseinTiefes NachdenkenDie unerforschten Tiefen des GeistesDas kollektive UnbewußteDas formative Kausalprinzip des Rupert SheldrakeDie Ideenlehre PlatonsWie die östliche Welt es siehtDie praktischen Implikationen8 Intuitives TrainingDie Bühne wird hergerichtetWie man seiner Intuition die Richtung weistWorin besteht das Problem?Aufschreiben, um besser zu verstehenNicht nur die Fakten zählenBrainstorming mit sich selbst9 Abschalten, um zu horchenVom Schlafen und TräumenMeditationDie physische SeiteDer Griff nach der IntuitionAtmen als InspirationshilfeMuskelkraft und IntuitionVorstellungskraft und IntuitionEine mentale ReiseIntuition im HandumdrehenDer Herold trifft ein10 Gar nicht dran denken oder an nichts andres denken?Warum wir Intuitionen unbeachtet lassenWenn man die Spreu für Weizen hältBestätigung der IntuitionIntuition bewertet IntuitionDas IntuitionstagebuchÜbung macht den Meister11 Intuition dringend gesucht!Die Expansion der NaturwissenschaftenDie Befreiung der IntuitionErforschung der IntuitionDankLiteraturverzeichnisPersonen- und Sachregister

Für meine Mutter, die mich lehrte zu fragen.

Vorwort

Mein Interesse für Intuition und die grundlegende Frage: «Wie wissen wir, was wir wissen?», erwachte bereits vor über zwanzig Jahren, als ich noch Student war. Eher wahllos hatte ich bereits eine Menge Material zu diesem komplexen Thema zusammengetragen, als mir im Jahre 1977 ganz plötzlich die Idee kam, ein Buch darüber zu schreiben. Ich ließ meiner Intuition die Tat folgen, weil ich fest davon überzeugt war, daß dieser Stoff nicht nur theoretisch faszinierend, sondern zugleich auch von praktischer Bedeutung ist: Denn was wir wissen, das bestimmt, wie wir denken, entscheiden und handeln – das heißt, es bestimmt in nicht unwesentlichem Maße unsere Lebensqualität.

Mir war stets klar, daß dieses Buch eine theoretische und praktische Leitlinie haben muß und daß viele Leser vornehmlich nur an einer von beiden interessiert sein würden. Doch beide sind miteinander verbunden, im Buch wie im Leben. Je mehr wir über Intuition wissen, desto besser sind wir gerüstet, unser entsprechendes persönliches Potential zu nutzen; und je besser entwickelt unsere Intuition ist, um so eher sind wir in der Lage, ihr Wesen zu begreifen. Den Leser, der vor allem seine eigene Fähigkeit zur Intuition «trainieren» möchte, werden die Kapitel 8, 9 und 10 besonders ansprechen. Aufbauend auf den in erster Linie theoretischen Informationen in den vorangegangenen Kapiteln erfährt er dort, wie er diese Theorie für sich persönlich praktisch nutzbar machen kann.

In seinem 1968 erschienenen Werk Toward a Contemporary Psychology of Intuition schreibt Malcolm Westcott: «Das letzte Wort über Intuition liegt in so ferner Zukunft, wie das erste Wort darüber in die Vergangenheit zurückreicht.»[1] Daran hat sich, meiner Meinung nach, bis heute nichts geändert. Wir haben es hier mit einem vielschichtigen, die verschiedensten Bereiche wissenschaftlicher Forschung berührenden Thema zu tun, mit dem sich schon viele kluge Köpfe beschäftigt haben und das nach wie vor höchst kontrovers betrachtet wird. Für die Naturwissenschaften war Intuition stets ein schwer faßbares Randproblem, deshalb gibt es auf diesem Gebiet auch weder eine Forschungstradition noch einen allgemein akzeptierten Fundus an Erkenntnissen und Lehrsätzen. Bei der Arbeit an diesem Buch habe ich die Philosophien des Ostens wie des Westens einbezogen, das Phänomen Intuition betreffende Äußerungen von Natur- und Geisteswissenschaftlern, Schriftstellern und Künstlern gesammelt sowie meine eigenen entsprechenden Erfahrungen und einschlägige Berichte von Menschen aller Gesellschaftsschichten mit berücksichtigt. Eine ganze Reihe der erwähnten Gedanken können zwar nur als Vermutungen, Spekulationen und per Deduktion erzielte Hypothesen betrachtet werden – ich hoffe aber, daß sie für viele ein Anreiz sein werden, unsere Kenntnisse über die «geistige Kraft» Intuition zu vergrößern und weiterzuentwickeln.

1 Intuition ist alles

Was wirklich zählt, ist Intuition.

Albert Einstein

Sie ist unentbehrlich. Und doch behaupten manche Leute, es gibt sie überhaupt nicht. Andere werten ihre Leistung als unbedeutend ab oder gestehen ihr nur auf begrenzten Gebieten Einfluß zu. Einige wenige aber halten große Stücke auf sie und wüßten gar nicht, wie sie ohne sie auskommen sollten. Daß diese wenigen immer mehr werden, dazu möchte dieses Buch beitragen: Es will «sie» – die Intuition – aus ihrem Schattendasein befreien, sie entmystifizieren, genau unter die Lupe nehmen und untersuchen, wie sie funktioniert und was getan werden könnte, um ihr volles Potential zur Geltung zu bringen.

In letzter Zeit wurde mehr und mehr klar, daß Intuition «eigentlich» eine ganz natürliche mentale Fähigkeit ist, Schlüsselelement bei Entdeckungen, Problemlösungen und Entscheidungsprozessen, der zündende Funke so mancher schöpferischen Idee und hellsichtigen Ahnung. Sie ist ein wichtiger Bestandteil dessen, was wir Genie nennen, aber auch ein unentbehrlicher Ratgeber im Alltag. Menschen, die offensichtlich stets zur rechten Zeit am rechten Platz sind und denen praktisch alles zu gelingen scheint, haben nicht einfach nur Glück: Sie verfügen über in intuitives Gespür, wie sie sich entscheiden und wie sie handeln sollen. Langsam wächst die Erkenntnis, daß Intuition nicht nur ein zufälliges Phänomen oder eine außergewöhnliche, nicht recht erklärbare Begabung ist, sondern daß jeder Mensch – unabhängig von seinen sonstigen unterschiedlichen, individuellen Fähigkeiten – sie besitzt. Und so wie wir alle – bei entsprechendem Training – höher springen oder schneller laufen lernen können, so könnten wir auch viel intuitiver werden.

Diese stärkere Beachtung der Intuition ist Teil eines umfassenden Wertewandels, der sich schon seit einiger Zeit beobachten läßt. Mehr Lebensqualität in einer besseren Welt könnte man – formelhaft verkürzt – das Ziel dieser «Bewegung» nennen, die so manche konventionelle Anschauung in Frage stellt und versucht, die Grundlagen unseres Verstandes und unseres Erkenntnisvermögens neu zu definieren. Denn wenn die Kluft zwischen Wunsch und Erfüllung zu groß wird, beginnt man natürlich, darüber nachzudenken, ob es nicht vielleicht einen besseren Weg gibt als den bisher gegangenen.

Vor allem die das Geistesleben jahrelang beherrschende psychologische Schule des Behaviorismus hatte die tieferen Schichten von Verstand und Seele für irrelevant erklärt, allen Erkenntnissen der Freudschen Psychoanalyse zum Trotz. Aber dank eines breiten Spektrums neuer wissenschaftlicher Ergebnisse – zum Beispiel auf dem Gebiet der humanistischen und transpersonalen Psychologie oder der Gehirnforschung – sowie des immer größer werdenden Interesses für östliche Weisheitslehren haben viele Menschen entdeckt, daß wir in uns selbst über noch unangezapfte Quellen geistiger Kraft verfügen. Diese Menschen spüren, daß in uns etwas ist – wenn auch durch schlechte Gewohnheiten und Unwissenheit verschüttet –, das begreift, wer wir sind und was wir brauchen. Allgemein wächst die Überzeugung, daß wir vielleicht doch mehr jenen Ahnungen, inneren Warnungen und nicht immer deutlich erkennbaren Signalen trauen sollten, die wir in der Regel nicht beachten. Und immer bestimmender für unser Leben wird der Wunsch, Widerstände zu beseitigen, die uns daran hindern, wirklich wir selbst zu sein.

Was die Intuition betrifft, so hindern uns vor allem die unser abendländisches Weltbild bestimmenden epistemologischen Grundlagen daran, ihre Existenz und ihre Bedeutung anzuerkennen. Ein kurzer Blick auf diese Prämissen wird uns helfen zu begreifen, warum wir bisher so wenig geneigt waren, unsere intuitiven Fähigkeiten einzusetzen und zu entwickeln.

Das Vermächtnis des Szientismus

Über dreihundert Jahre lang war in der abendländischen Welt Erkenntnis gleich naturwissenschaftliche Erkenntnis. So illustre Namen wie Galilei, Descartes und Newton stehen für diese szientistische Sicht von Leben, Natur und Geist. Der Lehre des Szientismus zufolge kann man Erkenntnis nur gewinnen aufgrund verifizierbarer, empirischer Forschung, der Erwägung vernünftiger, logischer Argumente und systematischen Sammelns von Erfahrungsmaterial.

Man könnte demnach sagen, daß der Szientismus eine Verbindung von Rationalismus und Empirismus darstellt. Der Empirismus setzt in erster Linie auf die Sinneserfahrungen als einzig verläßliche Grundlage des Erkennens, während der Rationalismus behauptet, allein durch den Einsatz des Verstandes gelange man zur Wahrheit. In den Naturwissenschaften sollen die beiden Konstrukte als «Tandem» fungieren: Da Sinneserfahrungen trügerisch sein können, werden die empfangenen Informationen einer strenglogischen Überprüfung unterzogen. Da auch der Verstand nicht gänzlich fehlerfrei arbeitet, werden vorläufige Schlußfolgerungen – Hypothesen – durch kontrollierte Experimente überprüft, die bei mehrfacher Wiederholung stets zu denselben Ergebnissen führen müssen. Damit diese Spielregeln funktionieren, sollten alle Daten quantifizierbar und die Mitwirkenden objektiv sein, um nicht durch Vorurteile, Emotionen und Meinungen die Ergebnisse zu verfälschen.

Antike Philosophen wie Platon und neuzeitliche wie Spinoza, Nietzsche und Henri Bergson haben – ebenso wie Mystiker und Poeten aus allen Kulturen – darauf hingewiesen, daß es jenseits verstandesmäßiger und Sinnes-Wahrnehmungen noch höhere, intuitive Formen des Erkennens gibt. Es hat sogar «intuitionistische» Schulen in der Mathematik und Ethik gegeben, und Psychologen wie Gordon Allport, Abraham Maslow und C.G. Jung haben die Bedeutung der Intuition erkannt. Doch interessierte man sich bei uns meist nur am Rande für das Phänomen Intuition, da der rationale Empirismus zu der Form des Erkennens avanciert war, was er weitgehend den erstaunlichen Erfolgen der Naturwissenschaften zu verdanken hatte.

Nichts, was in diesem Buch zugunsten der Intuition gesagt wird, sollte als Herabsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnis oder rationalen Denkens verstanden werden. Beide haben uns von der Tyrannei der Dogmen befreit und die Macht der religiösen Institutionen gebrochen. Mit dem Beharren auf strenger Beweisführung und immer erneuter Verifizierung – Herz und Seele des Szientismus – wurde die Menschheit im Laufe der Zeit in die Lage versetzt, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden. Die Naturwissenschaften haben uns Wege gewiesen, die materielle Welt zu analysieren und zu gestalten, die uns zu vorher nicht gekanntem Überfluß, Bequemlichkeit und Gesundheit verholfen haben.

Wie die meisten Revolutionen hat aber auch die wissenschaftliche Revolution neue Probleme geschaffen. Erfolgstrunken hat der Moloch Naturwissenschaft auch Terrain verschlungen, das bis dahin der Philosophie, Metaphysik, Theologie und kultureller Tradition vorbehalten war. Wir versuchten, mit den Methoden, die im materiellen Bereich so gut funktionierten, auch Antworten auf Fragen der Seele, des Geistes und der Gesellschaft zu finden. Wir nahmen an, wir könnten hinter die Geheimnisse des Universums kommen und lernen, wie man am besten lebt – allein durch Experimentieren und den darauf basierenden vernünftigen Schlüssen. Um das zu erreichen, machten wir uns daran, die Werkzeuge des Erkennens zu vervollkommnen. Wir ersannen Apparaturen und Verfahren, um die Reichweite unserer Sinne zu vergrößern, und wir achteten darauf, daß unsere Logik noch strenger und unsere Berechnungen noch genauer wurden, immer bestrebt, den Einfluß der subjektiven, emotionalen Komponenten so weit wie möglich zu verringern. Und schließlich erhoben unsere Organisationen und Bildungseinrichtungen den Szientismus zum sine qua non des Erkennens, zum Modell, wie der Mensch denken sollte.

Diese ideologische Voreingenommenheit spiegelt sich auch in unserem Vokabular wider; Wörter, die den Eindruck von Wahrheit vermitteln sollen, stammen aus dem rational-empirischen Bereich. Um darauf hinzuweisen, daß eine Feststellung richtig zu sein scheint, gebrauchen wir das Wort logisch selbst dann, wenn die Regeln der Logik überhaupt nicht angewandt wurden. Die Vernunft wird so hoch eingeschätzt, daß wir mit vernünftig alles bezeichnen, was wir für angemessen halten – etwa wenn wir sagen: «Zwanzig Mark sind ein vernünftiger Preis für eine Theaterkarte.» Fordern wir jemanden auf, irgendeine Behauptung zu rechtfertigen, dann sagen wir, er solle uns einen vernünftigen Grund nennen. Was für ein «Gefühl» er im Hinblick auf seine Behauptung hat oder was seine «Intuition» ihm dazu sagt – danach würde so leicht keiner von uns fragen.

Das Wort rational, das genaugenommen die Anwendung von Vernunft und Logik voraussetzt, ist zu einem Synonym von geistig gesund geworden, während irrational den Beigeschmack von verrückt hat. Die Ausdrücke sinnfällig und etwas macht Sinn sowie ihr Antonym sinnlos verbinden Vernünftigkeit und Wahrheit mit den Sinnesorganen, als ob adäquate Erkenntnis allein durch sie zu erlangen wäre – die klassische Überzeugung des Empirismus. Der Ausdruck objektiv impliziert mittlerweile Fairneß, Ehrlichkeit und Genauigkéit und legt nahe, daß der einzige Weg zum Erwerb unverfälschter Erkenntnis darin besteht, emotional unbeteiligt zu bleiben und alles, was man untersucht, analysiert, beobachtet, so zu behandeln, als sei es ein materielles Objekt. Und was schließlich den Begriff wissenschaftlich angeht, so wurde er zum allerhöchsten Zertifikat für Behauptungen jeglicher Art.

Glücklicherweise gibt es in unserer Sprache aber auch verbale Vorbehalte gegenüber dem rational-empirischen Anspruch. So verwenden wir zum Beispiel dank Freud das Verb rationalisieren im Sinne einer «nachträglichen Rechtfertigung triebhaft bzw. unbewußt motivierter Handlungen durch Vernunftgründe». Trotzdem reden und handeln wir im allgemeinen nach wie vor so, als seien Sinneswahrnehmungen und rationales Denken die einzigen Wege, etwas zu erkennen. Aber immer mehr Menschen erscheint gerade diese völlige Diskreditierung der Intuition als unlogisch, unvernünftig und vielleicht sogar unsinnig.

Die Institutionen, die uns lehren, wie wir unseren Verstand gebrauchen sollen, sind ebenso wie die wissenschaftlichen und politischen Organisationen, in denen wir ihn anwenden, so einseitig auf das rational-empirische Ideal ausgerichtet, daß über Intuition selten diskutiert wird, geschweige denn, daß man sie schätzen oder fördern würde. Ob in der Schule, auf der Universität oder im Berufsleben – überall hält man uns an, beim Denken, beim Lösen von Problemen und bei Entscheidungsprozessen den idealisierten Forderungen des Szientismus nachzukommen. Als Ergebnis dieser Einstellung wird die Intuition den verschiedensten Formen von Zensur unterworfen. Was der Psychologe Blythe Clinchy über die Jugenderziehung schreibt, trifft auf unsere ganze Kultur zu: «Wir mögen unsere Schüler vielleicht davon überzeugen, daß intuitives Denken eine irrelevante oder unpassende Art ist, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Damit löschen wir die Intuition jedoch nicht aus; wir verdrängen sie nur in den Untergrund.»

In dieser Situation liegt eine doppelte Ironie. Denn erstens ist das Denkmodell, dem wir nachzueifern versuchen, so etwas wie eine Fiktion, unrichtig in einigen seiner Voraussetzungen und unangemessen in vielen seiner Anwendungen. Zweitens leistet die Intuition einen lebenswichtigen, wenn auch begrenzten Beitrag im Rahmen genau jener Institutionen, die alles getan haben, sie möglichst auszuschalten.

Tu, was die Natur tut, nicht, was sie sagt

Zunächst einmal muß festgehalten werden, daß die vom Szientismus so gepriesene emotionslose, unbestechliche Objektivität ein unerreichbares Ideal darstellt. Die psychologische Forschung lehrt uns, daß schon eine ganz einfache Sinneswahrnehmung ein interpretierender Akt ist, beeinflußt von Erwartungen, Vorurteilen und Wertmaßstäben. So wirkt beispielsweise ein und dieselbe Geldmünze auf ein armes Kind größer als auf ein Kind, dem der Besitz von Geldstücken selbstverständlich ist.

Und sogar die Naturwissenschaftler selbst sind bereits dahintergekommen, daß die theoretisch geforderte Trennung zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten, zwischen Subjekt und Objekt, in der Praxis nicht länger aufrechterhalten werden kann. Werner Heisenberg hat mit seiner Entdeckung der Unschärferelation nachgewiesen, daß der Akt des Beobachtens auf der Ebene der Elementarteilchen das beeinflußt, was beobachtet wird. In seinem Vortrag über Das Naturbild der heutigen Physik sagte er wörtlich: «Auch in der Naturwissenschaft ist also der Gegenstand der Forschung nicht mehr die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestellung ausgesetzte Natur.» Darüber hinaus ist jede Wissenschaftsdisziplin in einem bestimmten Komplex von Voraussetzungen und Meinungen verwurzelt – ihrem jeweiligen «Paradigma», wie Thomas Kuhn es definiert hat –; und wie jeder von uns hat auch der einzelne Wissenschaftler Überzeugungen, Vorurteile und besondere Vorlieben, die seine Arbeit beeinflussen. Tatsächlich ist es so, daß ein Mensch ganz sine ira et studio niemals den Mut und die Beharrlichkeit aufbringen könnte, etwas Bedeutendes zu entdecken oder zu leisten.

Die wirkliche Objektivität der Naturwissenschaft bezieht sich auf den Makrokosmos. Hier handelt es sich um ein kollektives Unterfangen, bei dem Ahnungen, Meinungen und intuitive Überzeugungen in aller Öffentlichkeit diskutiert und streng geprüft werden. Was danach übrigbleibt, nennen wir objektive wissenschaftliche Erkenntnis – geboren aus vielen «subjektiven» Beiträgen.

Ließ man sie gewähren, hat die Intuition oft Wunder gewirkt. Während Vernunft und empirische Beobachtung den Gang der Forschung lenken, und die leidenschaftliche Suche nach Wahrheit gewissermaßen den Brennstoff liefert, ist die Intuition der Zündfunke. Das läuft übrigens nicht nur bei großen Entdeckungen so, sondern auch bei alltäglichen Entscheidungsprozessen und Problemlösungen. Abraham Maslow hat zwischen zwei Typen von Wissenschaftlern unterschieden, die, jeder auf seine Art, ihren spezifischen Forschungsbeitrag leisten. Den einen Typ verglich er mit jenen winzigen Meerestierchen, die ein Korallenriff aufbauen. Geduldig türmen sie ein Faktum auf das andere, wiederholen die entscheidenden Experimente wieder und wieder und modifizieren entsprechend den Ergebnissen vorsichtig ihre Hypothesen. Die Vertreter des anderen Typs, von Maslow «Adler der Naturwissenschaften» genannt, wagen dagegen jene ehrgeizigen Höhenflüge und Denksprünge, die zu wissenschaftlichen Revolutionen führen. Die Intuition verleiht den Adlern Flügel.

Natürlich interessiert im Rahmen unseres Themas gerade dieser Aspekt, und kein Geringerer als Albert Einstein, der Begründer der Relativitätstheorie, sagt über die Entdeckung von Naturgesetzen: «Es gibt keine logischen Pfade zu diesen Gesetzen; nur Intuition auf der Grundlage einfühlsamen Begreifens der Erfahrung kann zu ihnen führen.» Und John Maynard Keynes schreibt über Isaac Newton: «Seine Intuition war überragend und außergewöhnlich. Er hatte so viel Glück mit seinen Vermutungen, daß er mehr zu wissen schien, als er jemals hoffen konnte, zu beweisen. Die Beweise wurden nachgeliefert; sie waren nicht das Instrument der Entdeckung.»

Keynes weist hier auf etwas ganz Entscheidendes hin: Formale Beweise sind Instrumente der Verifizierung und Kommunikation, aber nicht der initiierende Faktor. Was die Öffentlichkeit sieht und was wir in der Schule lernen, sind die endgültigen «Lehrsätze», die logischen, geordneten, zusammenfassenden Darstellungen, nachdem die Schmutzarbeit getan, alle falschen Ansätze und Sackgassen korrigiert, die ungenauen Ahnungen und geistigseelischen Bauchschmerzen überwunden sind. Was wir dann zu Gesicht bekommen, ist ein aus der Retrospektive zusammengestelltes und idealisiertes Kompendium, sozusagen ein verläßlicher Reiseführer durch ein bestimmtes Gebiet, der kaum mehr etwas verrät von den Umwegen, Irrtümern und spontanen Richtungsänderungen seiner Entstehung.

Man läßt uns glauben, das Endprodukt beschreibe den tatsächlichen Vorgang, und rät uns, ihm in unserem Denken nachzueifern. Daher konzentriert sich unsere Ausbildung auf das Erinnern von Fakten und das Befolgen genormter Methoden bei der Lösung von Problemen, wobei Anfang und Schlußpunkt klar definiert sind. Einbildungskraft, intuitive Vorstellungen, die der Entdeckung vorausgehen, werden einfach ignoriert oder abgewertet als bloßes Raten und Vermuten, vor allem wenn der Schüler oder Student nicht in der Lage ist, sofort eine logische Verteidigung seiner «Idee» aus dem Ärmel zu schütteln. Wir werden leider aufgefordert, das zu tun, was die Naturwissenschaft sagt, nicht, was sie tut. Der Psychologe Jerome Bruner schreibt in seinem Buch Der Prozeß der Erziehung: «Das Lob, mit dem Naturwissenschaftler jene ihrer Kollegen verschwenderisch bedenken, die das Etikett ‹intuitiv› verdienen, ist ein hervorragender Beweis dafür, daß Intuition in der Naturwissenschaft ein kostbarer Rohstoff ist, den wir bei unseren Studenten pflegen sollten.»

Wenn auf das Anhäufen von empirischen Fakten tatsächlich zwingendermaßen große Ideen folgen würden, dann brauchte man nichts weiter zu tun, als zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, die dann fälligen Ergebnisse zu registrieren und die entsprechenden Lorbeeren für die «Entdeckung» einzuheimsen. Dann gäbe es kein «Genie», das sich ja gerade dadurch auszeichnet, daß es dieselben Fakten vor Augen hat wie alle anderen Menschen, dabei aber auf Ideen kommt wie kein zweiter. Schon Karl Popper, der Philosoph der Naturwissenschaften, sagte: «So etwas wie eine logische Methode zum Erlangen neuer Ideen gibt es nicht, ebensowenig eine logische Rekonstruktion dieses Vorgangs … Jede Entdeckung enthält ein irrationales Element oder eine schöpferische Intuition.»

Das Wesentliche an geistigen Durchbrüchen ist, daß sie allen konventionellen Annahmen entgegenstehen. Sie gehen über alles hinaus, was wir aufgrund logischer oder faktischer Vernunft akzeptieren würden. So entstand beispielsweise die allgemeine Relativitätstheorie, als Einstein den «glücklichsten Augenblick meines Lebens» hatte. Er erkannte urplötzlich, daß eine Person, die vom Dach fällt, sich gleichzeitig in Ruhe und in Bewegung befindet. Was könnte unlogischer sein? Als diese Theorie Jahre später bewiesen wurde, erschien sie durchaus logisch, weil unsere Anschauungen über Raum und Zeit sich gewandelt hatten – dank Einsteins Intuition.

Die meisten Menschen assoziieren den Augenblick einer plötzlichen Entdeckung – das Aha- oder Heureka-Erlebnis – mit Intuition. Der erste Schritt auf dem Weg, ein Problem zu lösen, liegt ganz allgemein im Erkennen der damit verbundenen Schwierigkeiten und der Fragen, die in diesem Zusammenhang zu stellen sind – dazu gehört vor allem auch die Eingrenzung, das «Auf-den-Punkt-Bringen» des Problems, ein Schritt, den Einstein für mindestens so wichtig hält wie die Lösung selbst. Und gerade in diesem «Vorfeld» wissenschaftlicher Arbeit kommt der Intuition einige Bedeutung zu, besonders dann, wenn eingefahrene Denkvorstellungen durch ungewöhnliche Ergebnisse in Frage gestellt werden, wenn sich also, wie Thomas Kuhn es genannt hat, ein «Paradigmenwechsel» abzeichnet. Sobald eine Hypothese aufgestellt ist, entscheidet der einzelne intuitiv, ob sie den Versuch wert ist, getestet, bewiesen oder widerlegt zu werden. Seine Intuition zeigt ihm auch, wo er nach Fakten suchen, wie er Experimente aufbauen und Daten interpretieren soll. Und sie hilft ihm schließlich dabei, Relevantes von Unwichtigem zu unterscheiden.

Wäre es möglich, das alles durch formal festgelegte, mechanische Methoden zu erreichen, dann würden Experten und Computer niemals kontroverser Ansicht sein. Und doch liefern sie sich auf allen Wissensgebieten immer wieder erbitterte Kämpfe. Menschen begeistern sich intuitiv für bestimmte Ideen, selbst wenn diese lächerlich gemacht und durch den Augenschein widerlegt werden. Erweisen sich ihre Überzeugungen als falsch, dann nennt man sie Spinner; behalten sie recht, sichert ihnen das einen Platz in der Geschichte. So erging es Marconi, als er darauf beharrte, daß drahtlos gesendete Signale jenseits des Ozeans empfangen werden können, obwohl die Gesetze der Physik zu seiner Zeit das Gegenteil behaupteten.

Selbst in der Mathematik sind bis heute alle Versuche, dieser Wissenschaft eine formalisierte, logisch präzise Grundlage zu verschaffen, fehlgeschlagen. Diese Bemühungen kulminierten in Kurt Gödels Unvollständigkeitstheorem, das besagt, daß kein formales System jemals zugleich schlüssig und vollständig sein kann. «Was ist Mathematik dann, wenn sie keine einzigartige, strenge und logische Struktur ist?» fragt Morris Kline in seinem Buch Mathematics: The Loss of Certainty. «Sie ist eine Aufeinanderfolge großer Intuitionen, die von der Logik, die die Menschen zu jedem gegebenen Zeitpunkt anzuwenden gewillt und imstande sind, sorgfältig gesiebt, verfeinert und organisiert werden.»

Und was für die eher abstrakten Bereiche von Naturwissenschaft und Mathematik gilt, das trifft auch auf die alltägliche Praxis zu – auf die Arbeit in Wirtschaft und Politik, wo so mancher Manager schon erkannt hat, daß ausgeklügeltes, quantitatives Analysieren, wie er es auf Schule und Universität gelernt hat, oft einfach nicht ausreicht, in unserer unsicheren und sich ständig wandelnden Welt die richtige Lösung eines Problems zu finden.

Es scheint, als erforderten erfolgreiche Entscheidungsprozesse dasselbe wagemutige Gespür für die einzuschlagende Richtung und dieselbe schöpferische Kraft, die auch für große wissenschaftliche Entdeckungen charakteristisch sind. Vorstandsetagen und Labors haben mit Künstlerstudios mehr gemeinsam als bisher erkannt wurde. In einem vielzitierten Artikel in der Harvard Business Review berichtete Henry Mintzberg von der Wirtschaftsfakultät der McGill University über die Ergebnisse einer umfassenden Studie über leitende Manager großer Unternehmen. Dabei stellte sich heraus, daß der unter chaotischen Bedingungen arbeitende Topmanager «ein ganzheitlicher Denker ist …, der sich immer wieder auf Ahnungen verläßt, um mit Problemen fertig zu werden, die für eine rationale Analyse viel zu komplex sind». Mintzberg schließt daraus, daß «organisatorische Leistungsfähigkeit nicht in jenem engstirnigen Konzept zu finden ist, das wir ‹Rationalität› nennen; sie liegt vielmehr in einer Mischung aus klarsichtiger Logik und kraftvoller Intuition».

Doch allen Untersuchungsergebnissen und Erfahrungswerten zum Trotz beharren viele akademische Kreise auf ihrer vorgefaßten Meinung, Intuition spiele bei wissenschaftlichen Entdeckungen oder Entscheidungsprozessen keine besondere Rolle. Für sie verläuft der Prozeß des Erkennens genauso mechanisch wie der Zusammenbau eines Modellflugzeugs anhand einer gedruckten Anleitung. Ihrer Ansicht nach haben Naturwissenschaftler und Manager, die sich zur Intuition bekennen, einen Hang zur Romantik oder vielleicht auch einfach nur den Wunsch, ihrem langweiligen Image in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken.

Doch die «Betroffenen» nehmen ihre Intuitionen meist nicht nur ernst – sie singen geradezu ein Loblied auf sie. Zum Beispiel Jonas Salk: «Jeden Morgen wache ich voller Spannung auf und frage mich, welches Geschenk mir meine Intuition heute wohl wieder machen wird … Ich arbeite mit ihr und verlasse mich auf sie. Sie ist mein Partner.» Die meisten Wissenschaftler (an)erkennen den Wert von Intuition, äußern sich jedoch nur sehr vorsichtig darüber, weil sie den Spott ihrer Standesgenossen fürchten – oder auch aus einer Art «magischen Angst» heraus. E.C.G. Sudarshan, ein theoretischer Physiker von der University of Texas, behauptet, manche Kollegen sprächen nicht über Intuition, «weil sie befürchten, daß diese Quelle dann aufhören könnte zu sprudeln. Nur sehr wenige geben zu, daß sie abergläubisch sind; bleibt die Intuition weg, werden sie nervös.»

Man redet auch nicht gern über Intuition, weil sie so schwer zu definieren ist. Darum existieren auch nur wenige wirklich aufschlußreiche Berichte über intuitive Erkenntnisse – zumeist in anekdotischer Form. Es scheint keine Möglichkeit zu geben, die Intuition methodisch zu analysieren und Regeln aufzustellen, die man lehren könnte wie logische oder quantitative Verfahren. Zumindest hat sich bisher noch niemand darum bemüht, ein Programm zu entwickeln, mit dessen Hilfe sich unsere intuitiven Fähigkeiten «trainieren» ließen. Natürlich ist Intuition ein spontanes Phänomen, das man weder planen noch erzwingen kann. Man kann jedoch viel tun, um gedeihliche Voraussetzungen für ihr Auftreten zu schaffen.

Wie man Intuition «züchtet»

Wir haben die Lehren des Szientismus untersucht, um zu verstehen, warum wir so wenig über Intuition erfahren und so wenig getan wird, intuitive Fähigkeiten zu entwickeln. Widerstand erfahren wir aber nicht nur von außen, sondern wir selbst mißtrauen oft unserer eigenen Intuition, ja, zwingen uns gerade dann, auf streng rational-empirische Weise vorzugehen, wenn dies unangemessen oder nutzlos ist. Damit engen wir unsere geistigen Möglichkeiten ein, nutzen nur einen Teil und kommen mental ins Stolpern. Schließlich laufen wir ja auch auf dem ganzen Fuß und nicht nur auf den Hacken oder den Zehenspitzen.

Die rational-empirische Methode funktioniert am besten unter drei Bedingungen: Wenn wir alle auf das jeweils zu untersuchende Objekt einwirkenden Variablen kontrollieren oder voraussagen können; wenn wir mit Genauigkeit messen, quantifizieren und definieren können; wenn wir über vollständige und angemessene Informationen verfügen. Diese Bedingungen sind in unserer komplexen Welt natürlich nicht immer gegeben, vor allem dann nicht, wenn es um «Menschliches», «Emotionales» oder gar «Metaphysisches» geht. Es wird oft vergessen, daß der Gegenstand der Naturwissenschaften die materielle Welt ist. Wendet man ihre Methodik auf die Erforschung und Erklärung nichtmaterieller Phänomene an, ohne die zusätzliche Dimension eines intuitiven Gespürs mit einzubeziehen, dann ist das so, als verlange man von einem erstklassigen Handwerker ein inspiriertes Kunstwerk. Über das Ergebnis braucht man sich dann nicht zu wundern.

«Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist», sagt Abraham Maslow, «dann beginnst du alles unter dem Gesichtspunkt von Nägeln zu sehen.» Sind die einzigen Werkzeuge eines Menschen rational-empirisch, dann wird sich sein Blickfeld auf das beschränken, was analysiert und gemessen werden kann. Man stelle auf diese Weise die Frage nach dem Wesen des Menschen oder der Natur der Wirklichkeit, und man wird rein materialistische Antworten erhalten: Das Ich wird als ein Katalog analysierbarer Persönlichkeitsmerkmale betrachtet und der Kosmos als eine von diesem Ich getrennte Ansammlung von Objekten. Eine Sicht der Dinge, die verheerende Konsequenzen haben kann: von der Täuschung über das eigentliche menschliche Potential bis hin zur rücksichtslosen Ausbeutung der Natur. Wie wir noch sehen werden, kann allein Intuition das Transzendente erfassen und das Erhabene erhellen.

Mit einem ausschließlich rational-empirischen Ansatz zum Lösen von Problemen und zum Treffen von Entscheidungen ist es unmöglich, nichtmeßbare geistig-emotionale Größen wirklich zu erkennen. Um den Forderungen des Szientismus zu entsprechen, betrachten wir nur einzelne Teile von Dingen, die als Ganze gesehen werden sollten, oder untersuchen Dinge getrennt voneinander, die man sinnvollerweise als einander ergänzend begreifen sollte. Für alles brauchen wir genau identifizierbare Ursachen; jede Komplexität, die sich sauberer Analyse und Katalogisierung widersetzt, ist uns suspekt. Darum beschäftigen wir uns so gern mit der Vergangenheit, weil sie sich so schön in überschaubare Schubladen einordnen läßt. In praktischen Situationen verzichten wir oft auf Innovationen und begnügen uns mit dem Vertrauten, obwohl alles, was uns in Wahrheit weiterbringen kann, aus intuitiven Erkenntnissen erwächst.

Unsere Volkswirtschaft ist ein gutes Beispiel für die Grenzen angewandter Wissenschaft und auch dafür, wie ihre Erfordernisse die Art unserer Wirklichkeitsdefinition bestimmen. Mit viel Fleiß wurden immer wieder neue Modelle erarbeitet – «wissenschaftlich» abgesichert und mathematisch genau auf den Begriff gebracht. Aber keines wollte so recht funktionieren. Das hat die Nationalökonomen zwar verblüfft, aber offensichtlich nicht veranlaßt, doch mal die Prämisse in Frage zu stellen, auf der alle ihre Wirtschaftstheorien beruhen: daß der Mensch ein umfassend informiertes, vernünftiges Wesen ist, das Kosten und Nutzen der ihm angebotenen Alternativen genau berechnen kann und danach unweigerlich die beste Wahl trifft.

Mit diesen Anmerkungen sollen keineswegs rationales Denken oder empirische Methoden zur Verarbeitung von Informationen diskreditiert werden – ohne sie wären wir in einer bedauernswerten Lage –, es soll vielmehr klarwerden, daß wir unseren Weg durch eine komplexe, sich unaufhörlich wandelnde Welt nur mit Mühe gehen könnten, wollten wir uns ausschließlich auf rational-empirisches Denken verlassen. Der Philosoph William Barrett meint sogar, daß gerade in schwierigen menschlichen Situationen, «getrübt» durch alle möglichen Emotionen und sonstige Imponderabilien, ein rein logisch-rationales Vorgehen eher schädlich als nützlich sein kann.

Der Psychologe Steve Baumgardner von der University of Wisconsin hat untersucht, wie die Entscheidungsprozesse eines Jahrgangs von College-Studenten hinsichtlich ihrer Berufswahl abgelaufen waren. Er fand heraus, daß die Studenten sich in den ersten Semestern meist von rationalen Beweggründen leiten ließen, um in späteren Semestern eine eher intuitive Haltung einzunehmen. Viele Berufsberater beklagen diesen Trend. Sie ermuntern die Studenten, alle Daten über Arbeitsmarktlage, Aufstiegschancen, Einsatzmöglichkeiten etc. zu analysieren und ihre eigenen Fähigkeiten entsprechend den Gegebenheiten objektiv zu bewerten. Baumgardner dagegen glaubt, daß diese Hinwendung zur Intuition eigentlich eine gesunde Reaktion auf die Ungewißheit und Komplexität unserer Welt ist, und hält eine zu starre Berufsplanung für ebenso unangemessen wie eine zu genaue Festlegung einer bestimmten Laufbahn. Keiner könne genau sagen, was alles mitspielt bei einer Berufswahl, und keiner sollte vorschreiben, wie man dabei angeblich verfahren müsse.

Wir sind nun mal nicht die durch und durch logischen Geschöpfe, als die wir uns selbst vielleicht ganz gerne sähen. In seinem Buch Das Universum in uns, einer Darstellung kognitiver Psychologie, hat Morton Hunt darauf hingewiesen, daß Logik ein für bestimmte Zwecke hervorragend einsetzbares Werkzeug ist. Sie ist aber nicht das (Allheil-)Mittel zur Bewältigung der Wirklichkeit und entspricht auch nicht unseren alltäglichen Reaktionen. Hunt zitiert in diesem Zusammenhang den Psychologen Donald Norman: «Wir geben spontan richtige Antworten, bevor wie genügend Daten besitzen. Trotz fehlender überzeugender Argumente kommen wir intuitiv zu einem Schluß, der sich uns geradezu aufdrängt. Daß wir dabei öfter recht als unrecht haben, ist das Wunder des menschlichen Intellekts.»

Der Hauptteil dieses Wunders besteht aus dem, was wir Intuition nennen. Mißtrauen wir ihr oder lassen wir sie durch Festhalten an ausschließlich rational-empirischen Denkmustern verkümmern, dann schalten wir uns gewissermaßen mono in eine stereophone Welt ein. Es ist an der Zeit, die Bedeutung der Intuition für unser Leben anzuerkennen, sie zu verstehen und Wege zu finden, sie zu hegen und zu pflegen. Für den einzelnen bietet die Intuition eine Chance, bessere Entscheidungen zu treffen, kreativere Ideen zu entwickeln, tiefere Einsichten zu erlangen und einen direkteren Weg zu finden vom Wunsch zu seiner Erfüllung. Das alles bringt nicht nur persönliche Vorteile mit sich, es wird der Gesellschaft insgesamt dabei helfen, sich auf die Erfordernisse einer turbulenten Welt mit all ihren Unwägbarkeiten einzustellen. Mangel an Intuition bei unseren «Vordenkern», Entscheidungsträgern und Mitmenschen könnte sich fatal auswirken.

Dieses nachdrückliche Eintreten für die Intuition bedeutet keine Gefährdung von Rationalität und empirischer Wissenschaft, ist nicht etwa der Schritt zu intellektueller Anarchie und Mystizismus. Gegen eine neue Vernunftfeindlichkeit, gegen Willkür und Unfehlbarkeitsbehauptungen müßten wir uns in der Tat wehren. Und man muß aufpassen, daß ein Bekenntnis zum Nichtrationalen nicht zur Irrationalität im schlimmsten Sinne des Wortes führt – zu unkritischem Denken, Gefühlsduselei und einer Impulsivität, die fälschlicherweise für intuitive Spontaneität gehalten wird. So einfach liegen die Dinge nicht, daß man sich nur «auf sein Gefühl zu verlassen» braucht oder blindlings «der eigenen Intuition vertrauen» kann, wie manchmal leichtsinnigerweise propagiert wird.

Es ist auch mehr als problematisch, eo ipso anzunehmen, daß jede «Intuition» zwangsläufig richtig ist – so nach dem Motto: «Hast du ein gutes Gefühl bei einer Sache, dann ist sie auch gut.» Genauso wie es Menschen gibt, die nichts akzeptieren, was nicht strenger Beweisführung standhält, bauen andere so stark auf ihre innere Stimme, daß sie Angst oder Wunschdenken mit Intuition verwechseln. Menschen mit einer gewissen spirituellen Orientierung tun oft so, als sei jedes Gefühl, jeder Traum, jede körperliche Empfindung eine Botschaft des allumfassenden GEISTES. Sie siedeln alle nichtrationalen Geschehnisse auf der Ebene göttlicher Inspiration an, was genauso falsch ist wie die bei Super-Rationalisten anzutreffende Tendenz, echte mystische Schau auf Halluzination oder Neurose zu reduzieren.

In seinem Buch Der göttliche Funke erwähnt Arthur Koestler, im Rahmen einer Untersuchung hätten 83 Prozent der befragten Wissenschaftler zugegeben, sich öfters oder gelegentlich auf ihre Intuition verlassen zu haben. Aber nur 7 Prozent haben erklärt, ihre Intuition sei stets zutreffend gewesen. Ansonsten bewegte sich die «Trefferquote» zwischen 90 und 10 Prozent. Der unterentwickelte intuitive Verstand kann launisch und rätselhaft sein. Was er liefert, ist manchmal richtig, manchmal falsch; mal klar, mal verschwommen; gelegentlich eindeutig, dann wieder vieldeutig; oft sinnvoll, aber oft auch sinnloses Gewäsch.

Wir müssen eben lernen, die verworrenen und sich gegenseitig beeinflussenden Beziehungen zwischen Intuition und Rationalität ausgewogener zu gestalten. Wir brauchen nicht einfach mehr, sondern bessere Intuition. Wir müssen ihr nicht nur vertrauen, sondern sie vertrauenswürdiger machen. Und gleichzeitig brauchen wir scharfe, unbestechliche Rationalität. In einem gesunden Geist und einer gesunden Gesellschaft sollten sich alle diese Fähigkeiten harmonisch entwickeln können, wobei jede die Stärken der anderen potenziert und ihre Schwächen ausgleicht.

Die Entwicklung der Intuition hängt weitgehend davon ab, daß man der Hindernisse gewahr wird, die ihre Wirksamkeit beeinträchtigen. Wir müssen verstehen, was Intuition ist, wie sie funktioniert und in welchen verschiedenen Formen sie auftreten kann. Auf all diese Punkte werde ich in den folgenden Kapiteln zunächst eingehen, bevor wir uns dann den praktischen Fragen zuwenden, denn die theoretischen und praktischen Komponenten sollen einander ergänzen und gegenseitig verstärken: Intuition verstehen, heißt, das Bestmögliche aus ihr herausholen; Intuition erfahren, hilft uns, sie zu verstehen.

2 … aber was ist Intuition?

Wahrscheinlich haben die meisten Menschen so ihre eigene Vorstellung davon, was Intuition ist. Es ist einer jener Begriffe – wie Liebe, Schönheit, Intelligenz, Wert, Glück, Qualität –, die ganz verschieden angewendet und definiert werden und trotzdem eine allgemein akzeptierte Bedeutung besitzen, die es jedem ermöglicht, diesen Ausdruck in einer für sein Gegenüber verständlichen Weise zu gebrauchen.

Das Wort kommt aus dem Lateinischen – von intueri, was soviel heißt wie «auf etwas schauen», «in etwas hineinschauen», «in Betracht ziehen oder über etwas nachsinnen» oder, in der Sprache des Lexikons: «das unmittelbare Gewahrwerden eines Sachverhalts in seinem Wesen, ohne daß bewußte Reflexion darauf hingeführt hat».

Diese Definition ist so weit gefaßt, daß sie auf ein breites Spektrum kognitiver Erfahrungen anwendbar ist. Immanuel Kant zum Beispiel meinte mit «Intuitionen» lediglich ganz normale Sinneswahrnehmungen, andere wieder benutzen den Begriff nur in einem bestimmten Zusammenhang – etwa im Hinblick auf das Lösen von Problemen, auf Kreativität oder Mystik. Kants wahrnehmungsorientierte Definition scheint uns den Begriff zu trivialisieren und einzuschränken. Intuition ist nämlich auf alles Erkennbare anwendbar; sie umfaßt verschwommene Ahnungen und Gefühle ebenso wie grundlegende wissenschaftliche Entdeckungen oder auch göttliche Offenbarungen.

In der Umgangssprache kann man mit Intuition ein Ereignis oder Geschehen meinen («Ich hatte eine Intuition») oder auf eine geistige Fähigkeit abheben («Ich habe meine Intuition genutzt»). Außerdem kann man etwas «intuitiv erfassen» oder jemanden als «ausgesprochen intuitiv» bezeichnen. Und schließlich läßt sich eine Sache noch «intuitiv anpacken», womit man ein relativ lockeres, unsystematisches Angehen von Problemen meint, im Gegensatz zu einem überlegten, rational bestimmten Vorgehen. In jedem Falle verweist die Grundbedeutung des Wortes auf Spontaneität und sofortiges Handeln. Intuitives Erkennen wird nicht durch bewußte Analyse einer Situation vermittelt. Wir benutzen das Wort, wenn wir etwas wissen, ohne zu wissen, wie wir dazu kommen.

Dabei sollte zweierlei nie vergessen werden: erstens, daß die Beziehung zwischen Intuition und Rationalität reicher und komplexer ist als allgemein (an)erkannt wird. Und zweitens, daß es häufig schwerfällt zu entscheiden, ob eine bestimmte Erfahrung nun «intuitiv» ist oder nicht.

Intuition und Rationalität gehören zusammen

Wie wir gesehen haben, wird Intuition in erster Linie von ihrem Gegenteil her definiert: als Nicht-Rationalität, als nicht logisch, nicht analytisch. Sie ist auch nicht bloßes Beobachten – denn wenn jemand einen feuerroten Gegenstand mit einer Sirene sieht und daraus folgert: «Das ist ein Feuerwehrauto», würde man ihn kaum «intuitiv» nennen. In vieler Hinsicht besitzt die Dichotomie Rationalität/Intuition also durchaus Gültigkeit.

Rationales Denken spielt sich in der Zeit ab, findet als feststellbare Aufeinanderfolge einzelner Schritte statt. Es ist linear, erfordert eine geistige Anstrengung und eine bestimmte Absicht.

Dagegen wird Intuition als ein «Blitz aus heiterem Himmel» erfahren, eine Art Schnappschuß, im Gegensatz zu einem wohlkonstruierten Film. Sie befolgt keine spezifischen Regeln und tritt oft dann ein, wenn sie am wenigsten erwartet wird. Gelangt man auf dem Weg einer rationalen Denkanstrengung zu einem Schluß, dann läßt sich dieser Weg gewöhnlich Schritt für Schritt zurückverfolgen. Intuition dagegen ist unerklärbar. Wer sie hat, mag vielleicht imstande sein, plausibel darzulegen, wie er zu seiner Erkenntnis gelangt ist, doch wäre dies ein Argumentieren «im nachhinein», und er könnte nicht sicher sein, daß seine Erklärung den tatsächlichen Vorgang wiedergibt.

Obgleich viele so tun, als rivalisierten die beiden Phänomene Intuition und Rationalität, ergänzen sie sich in Wahrheit. Manche sagen auch, die Intuition sei in Rationalität «eingebettet». Das heißt: Wir sammeln Material, beobachten und analysieren es, und dann – kommt es zu einem intuitiven Durchbruch. Daraufhin suchen wir erneut nach bestätigenden Fakten, analysieren und diskutieren sie, um so das Produkt der Intuition zu verifizieren, abzustützen und brauchbar zu machen. Das ist eine nützliche Arbeitsteilung und auch ein mehr oder weniger getreues Bild dessen, was im allgemeinen bei sich hinziehenden Entscheidungsprozessen, Problemlösungen und kreativer Tätigkeit jeglicher Art geschieht. Damit wird die Intuition jedoch auf das Aha-Erlebnis reduziert, das man mit geistigen Durchbrüchen verbindet, obwohl sie noch andere Funktionen hat, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden. Manchmal sind die Rollen sogar vertauscht: Die Intuition begünstigt und stimuliert rationales Denken und wertet dessen Ergebnisse.

Überhaupt sind Rationalität und Intuition eher symbiotisch miteinander verbunden – mehr als das gängige Definitionsmodell dies erkennen läßt. Sie arbeiten nicht nur wie ein Tandem, sondern wie zwei separate Wasserrohre, die denselben Zapfhahn bedienen. Intuition ist Teil des rationalen Denkens. Das zeigen unsere «Alltags-Argumentationen» ganz deutlich. Die formalen Regeln der Logik befolgen wir nämlich nur selten im strengen Sinne. Denken wir über ein Problem nach, dann neigen wir dazu, zwischen gewissenhafter Analyse und Intuition hin- und herzupendeln. Da wir gewöhnlich über unzureichende Informationen verfügen und zu wenig Zeit haben, sie während des Denkvorgangs zu sammeln, überspringen wir viele der entsprechend strikter Logik erforderlichen Zwischenstufen und gelangen so zu Schlußfolgerungen, die «eigentlich» nicht vertretbar sind.

Viele dieser Gedankensprünge sind intuitive Verknüpfungen, die dem rationalen Vorgang zu Hilfe kommen. Man beginnt mit einer Analyse und wechselt plötzlich die Gedankenspur, hat dann eine spontane Ahnung, auf deren Grundlage man erneut rational argumentiert und kalkuliert. Dann taucht plötzlich eine bislang nicht berücksichtigte Hypothese oder Alternative auf, durch die sich eine ganz neue Anordnung der Daten ergibt oder eine andere Analyse angeregt wird. Schließlich mag sich das Gefühl einstellen, da könne etwas nicht recht stimmen, und man wechselt ein weiteres Mal die Gedankenspur oder beschließt ohne eindeutigen Grund, das ganze Problem neu zu definieren. Doch wohl in keinem dieser verschiedenen Augenblicke könnte man sagen, «Jetzt bin ich intuitiv» oder «Eben jetzt war ich rational».

Die Intuition nimmt sogar am formalen rationalen Denken teil. Deduktive Logik ist eine Anordnung von Regeln, die uns in die Lage versetzen, von einer allgemeinen These zu einer spezifischen Anwendung zu kommen, wie etwa beim folgenden klassischen Syllogismus: «Alle Menschen sind sterblich; Sokrates ist ein Mensch; also ist Sokrates sterblich.» Der rationalistische Philosoph war der Auffassung, Logik müsse mit selbstverständlichen oder axiomatischen Prämissen beginnen. Man könnte nun die Ansicht vertreten, die Intuition liefere das Selbstverständliche. So hat Descartes den Begriff verwendet. Er schrieb: «Unter Intuition verstehe ich nicht das fließende Zeugnis der Sinne, sondern die Vorstellung, die uns ein ungetrübter und aufmerksamer Verstand so bereitwillig und deutlich gibt, daß uns hinsichtlich dessen, was wir begreifen, jeglicher Zweifel genommen wird.»

Manchmal beruhen unsere Deduktionen natürlich auf allgemein akzeptierten Fakten oder einfachen Beobachtungen, und es wäre wirklich zu weit hergeholt, einen solchen Vorgang als Intuition zu bezeichnen. Oft jedoch haben wir irgendeine Vorahnung und machen diese zur Grundlage einer Schlußfolgerung. So hat beispielsweise ein Kunstsammler ein Gespür dafür, daß ein bestimmter Künstler in absehbarer Zeit berühmt werden wird. Daraus folgert er dann, daß er tunlichst Arbeiten dieses Künstlers erwerben sollte, und entwickelt eine entsprechende Kaufstrategie. Ein Naturwissenschaftler mag ein bestimmtes Gefühl für die Beziehungen zwischen zwei Chemikalien haben – woraufhin er sich rational an die Analyse macht, um herauszufinden, was geschieht, wenn diese Chemikalien unter gewissen Bedingungen zusammengebracht werden.

Sobald wir versuchen, in komplexen Situationen logisch zu sein, oder auf der Grundlage unvollständiger Informationen, mehrdeutiger Voraussetzungen oder im Rahmen einer ungewohnten Situation handeln müssen, hängen wir von unserer Intuition ab, die uns sagt, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Der für seine messerscharfen Schlüsse berühmte Sherlock Holmes handelte intuitiver als sein Autor Conan Doyle vermutlich zugegeben hätte. Nehmen wir als Beispiel den Fall, in dem Holmes sozusagen «aus dem Stand» folgerte, das Opfer müsse seinen Mörder gekannt haben. Reine Deduktion, lieber Watson. Hunde bellen Besucher, die sie kennen, nicht an; der Hund des Opfers hat nicht gebellt; also war der Täter ein guter Bekannter, dem man vertraute.

Aber war das wirklich nur reine Deduktion? Das Bellen des Hundes wäre ein Anhaltspunkt gewesen, die genaue Zeit des Eindringens festzulegen. Deshalb waren Watson und die Polizei enttäuscht, daß der Hund nicht gebellt hatte – und widmeten ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen. Holmes dagegen stellte einen Zusammenhang her, auf den niemand sonst kam, aber nicht, weil er der bessere Logiker war, sondern weil er spürte, daß das Ausbleiben des Hundegebells eine Bedeutung haben müsse. Ich behaupte, daß Intuition uns in die richtige Richtung lenkt, uns auf wichtige Informationen aufmerksam macht und uns den Ausgangspunkt für die verstandesmäßige Arbeit weist.

Intuition hilft uns auch, logisch abgeleitete Schlußfolgerungen zu bewerten und adäquat einzuordnen. In der Fülle von Gedanken, mit denen wir rational argumentieren, begegnen wir nicht oft formalen Syllogismen, die entsprechend den Regeln des Aristoteles beurteilt werden können. In zwiespältigen oder sehr komplexen Situationen hilft Intuition uns, falsche Prämissen oder unbrauchbare Schlußfolgerungen zu erkennen, die unser logisches Denken auf die falsche Bahn bringen würden. Das trifft natürlich vor allem dann zu, wenn man nicht über genügend Zeit verfügt, Vorschläge oder Thesen einer strengen Prüfung zu unterziehen. Wir könnten sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, das Gefühl von Sicherheit und «Richtigkeit», das es uns ermöglicht, irgendeine Behauptung als wahr zu akzeptieren, sei eine Funktion der Intuition. Aristoteles – der selbst intuitiv veranlagt gewesen sein muß, denn schließlich gelang es ihm, die Regeln der Logik aufzustellen, ohne daß ihm logische Regeln dabei helfen konnten – sagte, der Syllogismus sei eine perfekte Struktur, weil die von ihm beschriebenen Ableitungen intuitiv gültig seien.

Was auf die Deduktion zutrifft, gilt noch mehr für die Induktion, jenen Denkvorgang, bei dem man aus Einzelfällen auf allgemeine Prinzipien schließt. Intuitive Erkenntnisse können einen induktiven Prozeß auslösen, die Suche nach angemessenen Informationen und Assoziationen lenken und uns helfen, induktive Schlußfolgerungen richtig zu bewerten. Es gibt keine formalen Regeln, wie man zu induktiven Feststellungen gelangt oder deren Gültigkeit bestimmt. Sie gehören stets in den Bereich der Wahrscheinlichkeit, da eine Induktion auf Schlußfolgerungen aus einer begrenzten Anzahl von Beobachtungen beruht. Über einige Schlußfolgerungen braucht man wahrhaftig nicht zu diskutieren – es würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, die Prämisse «Alle Menschen sind sterblich» zu bestreiten, obwohl wir noch nicht den Tod aller Menschen erlebt haben. Andere sind eindeutig absurd, wie zum Beispiel jene in der Geschichte vom Psychologen und dem Floh. Dieser – übrigens höchst grausame – Experimentator dressierte einen Floh darauf, immer zu hüpfen, wenn er den Ausruf «Spring!» hörte. Danach riß er dem Tier ein Bein aus. Der arme Floh hörte dennoch stets aufs «Spring»-Kommando, bis er eines Tages kein Bein mehr hatte und ergo nicht mehr springen konnte. Der «Forscher» folgerte jedoch: «Wenn ein Floh alle Beine verliert, kann er nicht mehr hören.»

Wir brauchen nicht viel Intuition, um das als groteske Schlußfolgerung zu erkennen.

Ist Intuition nur schnelles Urteilen?