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Um attraktive Männer macht Schwester Rosie einen Bogen - das letzte Desaster mit einem Betrüger hat ihr gereicht. Doch warum flattert ihr dummes Herz bei dem neuen Kinderarzt Leo Marchetti? Sie ist gewarnt: Attraktiver als dieser adlige Italiener kann ein Mann nicht sein …
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Seitenzahl: 202
IMPRESSUM
Die Krankenschwester und der Herzog erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2017 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „Mummy, Nurse…Duchess?“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBENBand 108 - 2018 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Michaela Rabe
Umschlagsmotive: GettyImages_itakefotos4u, Iuliia Komarova
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733719364
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Paddington Children’s Hospital
Vor ihm tauchte das rote Backsteingebäude mit den grün bedachten Türmchen auf und erinnerte Leo so sehr an Florenz, dass er sich flüchtig nach der Toskana sehnte. Allerdings fühlte er sich in London mehr zu Hause als in Florenz, seit er als junger Mann zum Medizinstudium hierhergekommen war.
Der Wagen hielt, und Leo sah Robyn Kelly vor dem Kliniktor auf ihn warten. Ihr lockiges blondes Haar schimmerte in der Sonne. Als die leitende Chefärztin der Chirurgie ihn anrief und fragte, ob er ihnen nach dem verheerenden Brand in einer nahen Grundschule im Paddington’s helfen könnte, hatte er natürlich sofort zugesagt.
Robyn hatte ihn damals bei seinem ersten Krankenhauspraktikum unter ihre Fittiche genommen, wofür er ihr noch heute dankbar war. Heute erhielt er die Gelegenheit, sich erkenntlich zu zeigen.
Draußen vor der Klinik demonstrierte eine kleine Gruppe mit Sprechchören und Plakaten.
RETTET UNSER KRANKENHAUS!
GESUNDE KINDER STATT TEURER WOHNUNGEN!
Ein Grund, warum Leos Vertrag nur befristet war. Das Paddington Children’s Hospital war von Schließung bedroht, Personal und Patienten sollten vom Riverside Hospital aufgenommen werden. Nicht etwa, weil das altehrwürdige Krankenhaus nicht mehr gebraucht wurde – nach dem Feuer in der Westbourne Grove Grundschule platzte es aus allen Nähten –, sondern weil der Verwaltungsrat für das Grundstück ein lukratives Angebot erhalten hatte.
Statt die Krankenversorgung in dieser Gegend zu erhalten, sollten elegante Wohnungen für einen exklusiven Käuferkreis entstehen. Im Hinblick auf die Zusammenlegung der beiden Krankenhäuser hatte das Gremium bereits einen Einstellungsstopp verfügt. Mit der Folge, dass die verbleibenden Mitarbeiter eine unzumutbar hohe Arbeitslast zu schultern hatten.
Leo war in einer Welt aufgewachsen, in der Reichtum und Ansehen zählten – und es hatte ihn schon immer abgestoßen. Deshalb wollte er als Arzt für diejenigen arbeiten, die vom Schicksal nicht gerade verwöhnt wurden. Robyns Bitte kam ihm da gerade recht. Die Chefärztin hoffte, dass überregionale Medien auf das Krankenhaus aufmerksam wurden, wenn sich herumsprach, dass ein italienischer Herzog für seinen Erhalt eintrat.
Obwohl er wusste, dass die wartenden Fotografen sich nicht wegen der Demonstranten versammelt hatten, nahm er sich vor, dafür zu sorgen, dass die Protestierenden mit ihren Plakaten auf jeder einzelnen Aufnahme zu sehen waren. Je mehr Publicity, desto besser.
Aus diesem Grund tat er nicht seit zwei Stunden Dienst als Dr. Marchetti, sondern traf sich mit Robyn am Vormittag hier draußen in seiner Funktion als Herzog von Calvanera.
Leo öffnete die Tür seines schwarz glänzenden Sportwagens und stieg aus.
„Hoheit!“, rief einer der Fotografen. „Hier, bitte!“
Leo reagierte nicht, bis er Robyn und die Demonstranten erreicht hatte und sicher sein konnte, dass mit seinem Gesicht auch ein oder zwei Worte eines Plakats ins Bild kamen. Dann schüttelte er Robyn die Hand, blickte direkt in die Kameras und lächelte, als Blitzlichter aufflammten.
„Stimmt es, dass Sie hier arbeiten werden?“, rief ein Reporter.
„Ja.“
„Warum ausgerechnet im Paddington’s?“
„Weil es ein wichtiges Krankenhaus ist. Seit hundertfünfzig Jahren versorgt es die Kinder dieser Stadt, und das sollte auch weiterhin der Fall sein.“
„Das Riverside ist moderner ausgestattet als der alte Kasten hier“, betonte ein anderer Journalist.
„Mit allerneuester Technik, meinen Sie?“, erwiderte Leo. „In der Medizin zählt vor allem eins: Zeit. Sie können die besten Geräte der Welt haben – aber wenn Ihr Patient nicht rechtzeitig da ist, werden Sie ihm damit nicht das Leben retten können. Weil es zu spät ist.“
Der Journalist scharrte verlegen mit den Füßen.
„Hochmoderne Apparate und ein neues Gebäude machen noch kein gutes Krankenhaus aus“, fuhr Leo fort. „Es muss vor allem erreichbar sein. Was wäre aus den Kindern der Westbourne Grove Grundschule geworden, wenn das Paddington’s geschlossen gewesen wäre? Wie viele von ihnen hätten es zur Behandlung in die schicken neuen Räume des Riverside geschafft?“
Schweigen breitete sich aus, als sich die Presseleute stumm seine Fragen beantworteten.
„Genau. Und Sie dürfen mich gern zitieren“, meinte er sanft. „Reden Sie mit den Menschen.“ Leo deutete auf die Demonstranten. „Lassen Sie sich ihre Geschichten erzählen. Das ist interessanter und viel wichtiger als meine Person.“
„Der Punkt ging an dich“, sagte Robyn auf dem Weg ins Gebäude.
„Gut“, entgegnete er, als sie die Abteilung betraten, in der er ab heute arbeiten würde. „Das Paddington’s ist unentbehrlich, und ich werde jede Gelegenheit nutzen, darauf hinzuweisen.“
Rosie Hobbes unterdrückte einen Unmutslaut, als sie zufällig mit anhörte, was der Herzog von Calvanera von sich gab. Wem wollte er etwas vormachen? Warum sollte ein reicher Playboy wie er sich für das Schicksal eines alten Londoner Krankenhauses interessieren? Ihm ging es bestimmt mehr um die eigene Publicity!
Klar, er tat Robyn einen Gefallen. Das Krankenhaus war hoffnungslos überbelegt, während das Personal immer weniger wurde. Das Direktorium ließ jede frei werdende Stelle unbesetzt, um seine Schließungspläne voranzutreiben. Trotzdem fiel es Rosie schwer zu glauben, dass ein Herzog sich dazu herabließ, in diesem Gemäuer zu arbeiten.
Noch dazu ein umwerfend attraktiver Herzog, der vor Charme nur so sprühte.
Aus bitterer Erfahrung wusste Rosie, dass sich hinter gutem Aussehen und gewinnendem Wesen ein kaltes Herz verbergen konnte. Das hatte sie längst hinter sich, und ihre dreijährigen Zwillinge hätten fast einen hohen Preis dafür gezahlt.
Der Gedanke löste den schon vertrauten Anflug von Panik aus. Jene furchtbare Nacht war jetzt ein Jahr her, aber die Erinnerungen waren beängstigend lebendig. An die Drohungen. An die ausdruckslosen Augen des Mannes. Wie er über ihre Kinder sprach, so als wären sie nur Mittel zum Zweck. Für seine Zwecke.
Sie ballte die Fäuste, bis sich die Nägel in ihre Handflächen gruben. Mach dich nicht fertig, Rosie, ermahnte sie sich. Freddie und Lexi geht es gut. Sollte es Probleme geben, würde man Rosie sofort aus dem krankenhauseigenen Kindergarten anrufen. Dort waren sie völlig sicher. Zugang bekam man nur, wenn das Personal von innen öffnete. Niemand konnte ein Kind einfach so abholen. Entweder musste man auf einer besonderen Liste stehen oder das für jedes Kind vereinbarte Notfallkennwort nennen. Michael war tot, und seine Kompagnons konnten die Zwillinge – oder Rosie – nicht mehr bedrohen.
„Alles in Ordnung, Rosie?“, fragte Robyn.
„Sicher.“ Die Vergangenheit hatte in ihrem neuen Leben nichts zu suchen!
„Ich möchte Ihnen Leo vorstellen“, fuhr die Ärztin fort. „Er wird in den nächsten zwei Monaten bei uns arbeiten.“
Falls sich vorher nicht etwas Prestigeträchtigeres für ihn ergibt, dachte Rosie. Vielleicht tat sie ihm unrecht, aber ihrer Erfahrung nach durfte man attraktiven Playboys nicht über den Weg trauen.
„Leo, das ist Rosie Hobbes, eine unserer Kinderkrankenschwestern. Rosie, dies ist Leo Marchetti.“
„Hallo.“ Sie nickte ihm kühl zu.
In den dunklen Augen blitzte männliches Interesse auf, dann lächelte er. „Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Signora.“
Rosie musste sich eingestehen, dass sie noch nie einen Mann so sexy hatte lächeln sehen. Wahrscheinlich hatte er es vor dem Spiegel einstudiert. Sie war sich ziemlich sicher, dass der aufregende italienische Akzent vorhin bei seinem Gespräch mit Robyn nicht so stark ausgeprägt gewesen war.
„Willkommen im Paddington’s, Hoheit.“
Wieder schenkte er ihr sein gewinnendes Lächeln. „‚Leo‘ genügt vollkommen. Hier bin ich ausschließlich Arzt.“
„Wie Sie meinen, Dr. Marchetti“, entgegnete sie, um klarzumachen, dass sie Wert auf professionelle Distanz legte. „Entschuldigen Sie mich bitte – ich muss die Notizen von der Visite durchsehen. Viel Freude an Ihrem ersten Tag im Schloss.“
Im Schloss? War das eine Spitze gegen seine Herkunft gewesen? Leo war es nicht gewohnt, dass Frauen abweisend reagierten. Er mochte Frauen, und sie mochten ihn. Rosie Hobbes dagegen hatte gerade so viele Worte mit ihm gewechselt, wie aus Höflichkeit nötig waren. Hatte er sie unwissentlich verärgert?
Aber wie und womit? Sie waren sich noch nie begegnet. Daran hätte er sich auf jeden Fall erinnert – nicht nur, weil sie groß und hübsch war, mit üppigen weiblichen Rundungen, dem zu einem Bob geschnittenen kupferroten Haar und den leuchtend blauen Augen. Nein, an ihr war etwas Besonderes, etwas, das in ihm den Wunsch weckte, sie näher kennenzulernen und herauszufinden, was für ein Mensch sie war.
Sie trug keinen Ehering. Zwar musste das heutzutage nichts heißen, aber vielleicht war sie wirklich Single?
Warum machte er sich darüber eigentlich Gedanken? Er war hier, um zu arbeiten. Beziehungen standen nicht auf seiner Agenda, vor allem nicht mit einer Kollegin. Von ihm wurde erwartet, dass er sich eine standesgemäße Frau suchte: jemanden aus einem europäischen Adelshaus oder vielleicht die Erbin eines Firmenimperiums.
Leo mochte nicht einmal daran denken. Er war noch nicht bereit, jemanden in das Schloss zu locken, in dem er aufgewachsen war … einsam und unglücklich, während er verzweifelt versuchte, die Anerkennung seines Vaters zu erringen. Die Zuwendung wurde ihm schnell entzogen, wenn Leo etwas Falsches tat oder sagte. Was falsch oder richtig war, konnte sich von einem Tag auf den anderen ändern. Leo hatte nie begriffen, was sein Vater von ihm wollte. Er wusste nur, dass der Herzog von ihm maßlos enttäuscht war.
Er schob die unangenehmen Gedanken weit von sich. Jetzt hatte er Wichtigeres zu tun, als mit seinem Vater zu hadern. „Danke“, sagte er zu Rosie, lächelte sie warmherzig an und folgte Robyn, um sich den anderen vorzustellen.
Nachdem Rosie die Notizen in den PC eingegeben hatte, machte sie sich auf den Weg zur Station. Dr. Marchetti war inzwischen hoffentlich längst auf der nächsten Station, sodass sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen konnte.
Warum brachte er sie so durcheinander? Sie ließ sich doch sonst nicht von gut aussehenden Männern aus der Fassung bringen. Nicht mehr, jedenfalls. Leo sah aus wie ein Filmstar: hochgewachsen, dunkle Augen, kurzes schwarzes Haar, klassische Züge. Außerdem war er charmant und wirkte auf Anhieb sympathisch.
Aber darauf fiel sie nicht mehr herein. Sie hatte sich schon einmal blenden lassen, hatte sich glücklich verliebt in eine Ehe gestürzt und zu spät begriffen, dass sie in eine emotionale Achterbahn eingestiegen war, die ständig aus den Schienen zu springen drohte. Danach schwor sie sich, wachsam zu sein und einen solchen Fehler nie wieder zu machen.
Leo Marchetti mochte mit der Leiterin der Chirurgie gut befreundet sein, aber Rosie nahm sich vor, professionellen Abstand zu wahren. Auch wenn der Mann noch so faszinierend war.
Sie ging zu Penelope Craig, einer ihrer Langzeitpatienten. Das kleine Mädchen litt an Herzinsuffizienz und war nach einer bedrohlichen Infektion eingeliefert worden.
„Wie geht es dir, Penny?“
Die Kleine sah von ihrem Zeichenblock auf und strahlte sie an. „Schwester Rosie! Mir geht’s prima, danke.“
Rosie tauschte einen raschen Blick mit Pennys Mutter Julia. Die wusste genauso gut wie sie, dass das nicht stimmte. Aber Penny beklagte sich nie. Sie war schnell zum Liebling der Station geworden, weil sie immer fröhlich war, bunte Bilder malte und stundenlang von Kätzchen und Ballett schwärmte.
„Das freut mich“, antwortete Rosie. „Ich wollte auch nur …“
„… bei mir Fieber und so messen“, beendete Penny den Satz für sie.
Lächelnd maß Rosie Blutdruck, Temperatur und die Sauerstoffsättigung im Blut. „Braves Mädchen“, lobte sie dann. „Ach, ich habe hier noch etwas für dich.“ Sie zog ein Blatt mit Stickern aus ihrer Kitteltasche.
„Kätzchen! Ich liebe Kätzchen.“ Pennys Augen leuchteten. „Vielen Dank. Sieh mal, Mummy.“
„Die sind aber niedlich“, begeisterte sich auch Julia, doch Rosie spürte die Anspannung, die die Mutter hinter ihrem Lächeln verbarg. Sie verstand, wie ihr zumute sein musste. Es war schwer, nichts tun zu können und einfach abwarten zu müssen. „Danke, Rosie“, fügte sie hinzu.
„Gern geschehen.“ Rosie zwinkerte Penny zu. „Mit der neuen Medizin wird es dir hoffentlich bald besser gehen.“ Das Mädchen träumte davon, Primaballerina zu werden, und trug selbst im Bett ein rosa Tutu über dem Schlafanzug. Rosie wünschte ihr von Herzen, dass ihr Traum eines Tages wahr wurde. „Drücken Sie auf den Knopf, falls Sie irgendetwas brauchen“, wandte sie sich dann an die Mutter.
„Das mache ich. Danke.“
Rosie sah noch nach den anderen Kindern in ihrer Obhut und vervollständigte dann an der Stationszentrale ihre Notizen. Ihre Kollegin Kathleen entdeckte sie und kam herüber.
„Hast du den Herzog schon kennengelernt?“ Theatralisch fächelte sich Kathleen Luft zu. „Sieht der gut aus! Wie ein Filmstar.“
„Gutes Aussehen ist nicht alles.“
„Hey, der Mann scheint ein echter Schatz zu sein. Die Bilder von ihm sind überall im Internet, und auf jedem ist mindestens ein Protestplakat gegen die Krankenhausschließung zu sehen. Robyn hatte recht, er wird uns unterstützen.“
Rosie zwang sich zu einem Lächeln. „Gut.“
Kathleen musterte sie. „Alles in Ordnung, Rosie?“
„Natürlich. Ich hatte eine unruhige Nacht“, schwindelte sie. „Lexi hat schlecht geträumt, und es dauerte eine Weile, bevor ich wieder einschlafen konnte.“
„Ich weiß nicht, wie du das alles schaffst. Alleinerziehende Mutter und berufstätig zu sein ist schon nicht einfach. Aber mit Zwillingen muss es besonders hart sein.“
„Dafür bekomme ich doppelte Freude und doppelte Liebe zurück. Außerdem helfen meine Eltern und meine Schwester aus, wann immer ich sie brauche.“
„Trotzdem. Du vermisst deinen Mann sicher sehr.“
Rosie ließ die Leute in dem Glauben, dass sie eine trauernde Witwe war. Sie fand es einfacher, als zu erklären, dass sie sich schon lange vor Michael Duncans Tod scheiden lassen wollte und gleich danach ihren Mädchennamen wieder angenommen und die Nachnamen ihrer Kinder entsprechend geändert hatte. „Ja“, antwortete sie deshalb jetzt. Es war nicht einmal gelogen. Ihr fehlte der Mann, den sie geliebt und geheiratet hatte – bevor er sich als jemand entpuppte, dem Geld wichtiger war als seine Frau und seine Babys.
Den Rest des Vormittags hatte Rosie viel zu tun und sah Leo Marchetti erst gegen Mittag wieder.
„Ich nehme an, dass wir eng zusammenarbeiten werden“, sagte er.
Hoffentlich nicht, dachte Rosie.
„Deswegen dachte ich, wir könnten zusammen Mittag essen, um uns etwas besser kennenzulernen“, fügte er hinzu.
„Tut mir leid, ich bin schon verabredet.“ Wie jeden Montag, Mittwoch und Freitag, wenn Penny hier im Krankenhaus war. „Ich bin sicher, dass Kathleen oder jemand anders Ihnen in der Kantine gern Gesellschaft leisten wird.“
„Danke, dann mache ich mich mal auf die Suche.“ Leo lächelte freundlich und ging.
Prompt verspürte sie Gewissensbisse. Aber es war zu spät, um ihn zurückzurufen und zu erklären, warum sie seine Einladung ablehnen musste.
Warum wirkte Rosie Hobbes jedes Mal gereizt, wenn er sie ansprach? Alle im Paddington Children’s Hospital schienen sich zu freuen, dass er im Team war, und hatten ihn herzlich willkommen geheißen. Alle außer Rosie.
Hatte sie etwas gegen Männer?
Nein, das konnte nicht sein. Vorhin hatte er gesehen, wie sie sich völlig entspannt mit dem Kardiologen Thomas Wolfe unterhielt.
Warum störte es ihn eigentlich so sehr, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte? An jedem Arbeitsplatz gab es Menschen, mit denen man gut zusammenarbeitete, Menschen, die man mochte, und wieder andere, bei denen man die Zähne zusammenbiss, um einigermaßen mit ihnen klarzukommen. Anscheinend gehörte er für Rosie zur letzteren Gruppe.
Am besten reagierte er professionell darauf und verhielt sich ihr gegenüber ruhig und sachlich. Dennoch konnte Leo es sich nicht verkneifen, die beiden Assistenzärzte und die Krankenschwestern, mit denen er am Kantinentisch saß, ein bisschen auszufragen.
„Isst Rosie nicht mit Ihnen zusammen?“
„Nicht, wenn Penny hier ist“, gab Kathleen bereitwillig Auskunft.
„Penny?“
„Sie müssten sie bei der Visite mit Robyn kennengelernt haben. Eine unserer Patientinnen, sechs Jahre alt, mit braunen Zöpfen und auffälligen grauen Augen?“
Leo schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid, daran hätte ich mich erinnert.“
„Penny leidet an einer Herzinsuffizienz und verbringt seit Monaten viel Zeit im Paddington’s. Ein süßes Mädchen. Rosie gehört zu den Krankenschwestern, die sich ständig um sie kümmern. Während Penny hier ist, liest sie ihr an jedem Montag, Mittwoch und Freitag Ballettgeschichten vor.“
„Vermutlich, weil die Kleine Ballett mag?“, meinte Leo.
„Ballett ist Pennys Traum. Abgesehen davon verschafft Rosie ihrer Mutter oder ihrem Vater eine Atempause. Je nachdem, wer von beiden sich freigenommen hat, um bei ihr zu bleiben.“
„Bedeutet sie Rosie so viel?“
„Penny bedeutet uns allen viel“, erwiderte Kathleen. „Neun von zehn Kinderzeichnungen, die im Personalraum oder im Büro aufgehängt sind, hat sie gemalt.“
„Verstehe.“ Leo fragte sich, warum Rosie ihm das nicht selbst erzählt hatte. Fürchtete sie einen Vorwurf, dass sie die professionelle Distanz nicht einhielt?
Er unterhielt sich noch mit den anderen, bis deren Mittagspause endete, und kehrte dann auf die Station zurück. Als Erstes begegnete ihm Rosie, die wahrscheinlich gerade von ihrem kranken Schützling kam.
„Hat Penny die Geschichte gefallen?“, fragte er.
Ein rosiger Hauch überzog ihre Wangen. „Woher wissen Sie davon?“
„Kathleen hat mir von Ihrer regelmäßigen Verabredung erzählt.“
„Julia und Peter, ihre Eltern, können sich dann eine Weile ausruhen“, verteidigte sie sich. „Und Robyn hat nichts dagegen.“
„Das ist sehr nett von Ihnen.“
„Sie ist ein liebenswertes Kind.“
„Vielleicht möchten Sie mir nach der Arbeit mehr von ihr erzählen“, schlug er vor. „Ich habe gehört, dass gegenüber dem Krankenhaus ein netter Pub liegt. ‚Frog and …‘?“
„‚Frog and Peach‘ meinen Sie. Es tut mir leid, aber ich kann nicht.“
Kann sie nicht, oder will sie nicht? fragte er sich. „Auch wieder verabredet?“
„Tatsächlich, ja.“
Noch ein Patient? Leo ahnte, dass sie ihm nichts Näheres verraten würde. „Schade, dann ein andermal.“
Doch sie ging darauf nicht ein. Sollte er einfach aufgeben?
Zwei seiner neuen Kolleginnen hatten deutlich signalisiert, dass sie ihm gern Gesellschaft leisten würden, wenn er einsam war. Viel mehr interessierte ihn jedoch Rosie Hobbes. Es war keine Frage des Stolzes, weil sie ihm abweisend begegnete. Sein Ego konnte es durchaus vertragen, wenn eine schöne Frau ihm die kalte Schulter zeigte. Es kam allerdings nicht oft vor.
Rosie hatte etwas an sich, das ihn nicht losließ. Lag es daran, dass sie anders war als die Frauen, die ihm begegneten? Frauen, die ihn umschwärmten wie Motten das Licht, weil er ein Herzog war? Oder ging die Sache tiefer?
Es war sehr lange her, dass ihn eine Frau so sehr fasziniert hatte. Sicher, er fand sie körperlich reizvoll, aber das war nicht alles. Er wollte mehr von ihr wissen.
Morgen, dachte er. Morgen würde er es wieder versuchen, mit ihr zu reden.
Rosie kam nur fünf Minuten später vom Dienst als geplant, und die Zwillinge warteten bereits auf sie – fertig angezogen, die Rucksäcke auf dem Rücken. Sie sangen gerade mit Nina, einer der Erzieherinnen, ein Lied, und Rosies Herz lief über vor Liebe zu den beiden.
Ihre Zwillinge waren so verschieden: Lexi, lebhaft und selbstbewusst, mit blondem Lockenschopf, der Rosie etwas zu sehr an Michael erinnerte – und doch war ihre Tochter wie ein Ebenbild ihrer selbst, als Rosie im selben Alter war. Freddie war ruhiger und ein wenig schüchtern, hatte die gleichen Locken wie seine Schwester, nur mittelbraun statt goldblond, und Rosies hellblaue Augen.
Rosie war froh darüber, dass er nicht wie ein kleiner Doppelgänger von Michael aussah. Sie war fest entschlossen, ihren Kindern alle Liebe und das Glück zu geben, das sie brauchten, und hoffte, dass sie sich später nicht mehr daran erinnern würden, wie das Leben mit ihrem Vater gewesen war.
„Mummy!“ Kaum hatten sie sie entdeckt, rannten sie auf Rosie zu und schlangen die Ärmchen um sie.
„Na, meine Süßen, wie geht es euch?“ Wie immer, wenn sie wieder bei ihren Kindern war, spürte sie, wie froh die beiden sie machten. Sie liebte ihren Beruf, aber richtig glücklich fühlte sie sich nur in ihrer Nähe.
„Und, was habt ihr heute Schönes gemacht?“, fragte sie, als sie, an jeder Hand ein Kind, das Krankenhaus verließ.
„Wir haben gesungt.“ Lexi schmetterte die erste Strophe eines bekannten Kinderlieds, laut und völlig aus dem Takt.
„Und wir hatten Knete“, setzte Freddie hinzu. „Ich hab ein Hündchen gemacht. Ein lilas.“
Seine niedliche Kindersprache entlockte Rosie ein Lächeln. „Wunderbar.“ Sie wusste, wie sehr sich ihr Sohn einen Hund wünschte, aber leider passte ein Haustier zurzeit nicht zu ihrem Leben. Der arme Hund wäre den ganzen Tag allein in der Wohnung. Und wenn sie von der Arbeit kam, konnte sie ihm nicht den wohlverdienten langen Spaziergang gönnen, weil ihre Kinder nach einem langen Tag in der Kita dazu viel zu müde wären. Und natürlich würde sie sie nicht allein zu Hause lassen.
Auf der kurzen U-Bahnfahrt und dem zehnminütigen Weg zum Haus erzählten die Zwillinge munter von allem, was sie heute erlebt und getan hatten. Sie plapperten immer noch, während Rosie das Abendessen zubereitete und sie badete. Bei Fremden war Freddie eher schüchtern, aber zu Hause stand er seiner lebhafteren Schwester kaum nach.
Rosie ließ sie reden, lachte und freute sich mit ihnen. Im letzten Jahr hatte sie jeden Tag gebangt, dass die Erlebnisse mit Michaels zwielichtigen Partnern ihren Kindern geschadet haben könnten. Aber anscheinend waren sie zum Glück zu jung, um zu begreifen, welche Angst ihre Mutter ausstehen musste.
Sobald die Zwillinge im Bett lagen, machte sie es sich mit einer Tasse Tee und einer Rätselzeitschrift auf dem Sofa gemütlich. Vor einem Jahr hätte sie es nicht für möglich gehalten, jemals wieder entspannt zu sein.
Einiges war zwar geblieben. So tat sie immer noch alles für ihre Kinder, erledigte Kochen und Putzen und was sonst im Haushalt anfiel. Aber sie musste nicht länger mit Michaels Launen, seinen höhnischen Vorwürfen und seiner Missachtung fertig werden. Als alleinerziehende Mutter hatte sie es zwar nicht einfach, verfügte aber über ein gut funktionierendes Netzwerk aus Familie und Freunden.
Einige von ihnen hatten nicht nur einmal gefragt, ob sie nicht wieder einen Mann kennenlernen wollte. Natürlich vermisste sie es, jemanden zu haben, mit dem sie reden oder bei dem sie sich ankuscheln konnte, wenn sie nachts schlecht geträumt hatte. Doch nach den schlechten Erfahrungen mit Michael hatte sie das Vertrauen in ihr eigenes Urteilsvermögen verloren. Könnte es ihr nicht jederzeit wieder passieren, dass sie sich in einem Mann gefährlich täuschte? Außerdem musste sie an die Zwillinge denken.
Also gab sie jedem Mann, der sich mit ihr verabreden wollte, grundsätzlich einen Korb.
Das galt auch für Leo Marchetti, der wahrscheinlich wirklich nur bei einem Drink ein bisschen reden wollte.
War sie zu hart gewesen?
Okay, der Mann war ein Charmeur. Da schrillten bei ihr sämtliche Alarmglocken. Andererseits war heute Leos erster Tag am Paddington’s. Außer Robyn kannte er hier niemanden und kam sich wahrscheinlich ein bisschen verloren vor. Rosie bekam ein schlechtes Gewissen. Es war ja nicht seine Schuld, dass er mit einem Y-Chromosom geboren worden war und vor Charme sprühte. Vielleicht sollte sie ihm morgen vorschlagen, zusammen zu Mittag zu essen.
Allerdings würde sie ihm deutlich klarmachen, dass er von ihr nur ein gemeinsames Essen erwarten durfte, nicht mehr und nicht weniger. Rose konnte nicht sagen, wann sie jemals wieder bereit wäre, sich auf mehr einzulassen.
Falls überhaupt …
„Sie haben heute Sprechstunde mit Rosie zusammen“, teilte ihm Kathleen lächelnd mit, als Leo die Station betrat. „Allergie und Immunologie.“
„Großartig! Zeigen Sie mir nur, wo ich hinmuss.“
Hoffentlich war Rosie heute umgänglicher. Wenn sie erst ein gutes Team waren, konnte er vielleicht herausfinden, warum er sich so sehr zu ihr hingezogen fühlte.
Während er auf sie wartete, blätterte er die Akten der angemeldeten Patienten durch.
„Entschuldigung!“, rief sie, als sie kurz darauf ins Zimmer rauschte. „Ich wurde heute Morgen aufgehalten.“
„Sie sind ja nicht zu spät“, beruhigte er sie, insgeheim froh, dass sie nicht so abweisend war wie gestern.
„Nein, aber …“ Sie ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. „Hat Sie schon jemand aufgeklärt, wie die heutige Sprechstunde abläuft?“