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Antoni Negri stellt vier Typen des Menschen vor: Den verschuldeten Menschen, den vernetzten Menschen, den verwahrten Menschen und den vertretenen Menschen. Anhand dieser Typen lotet Negri die Möglichkeit aus "Gemeinschaft" wiederherzustellen, ohne die es kein politisches Handeln geben kann: "Wenn wir bis jetzt die ›Politik der Pluralität‹ errichtet haben, müssen wir nun die ›ontologische Maschine‹ der Pluralität selbst in Gang bringen."
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Seitenzahl: 24
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Antonio Negri
Die Krise leben
Aus dem Italienischen von Florian Borchmeyer
MSeB bei Matthes & Seitz Berlin
Vor einiger Zeit kommentierte ich im Zuge einer philosophischen Debatte folgenden Satz von Hannah Arendt: »Der Schatz der Handlungsfreiheit lässt sich unmöglich in eine Welt übertragen, die der öffentlichen Handlung keinen Sinn zuschreibt.« Positiv gelesen sagt er uns, dass man nur frei ist, wenn man eine gemeinsame Erfahrung macht, wenn man es also schafft, ein Raum-Zeit-Kontinuum zu erobern, in dem sich die Freiheit nicht nur ausdrücken, sondern auch konkretisieren kann, in dem sich das Handeln nicht einfach nur zu entfalten, sondern auch zu institutionalisieren weiß.
In Arendts Satz sind mindestens zwei Begriffe zu unterstreichen: »übertragen« und »öffentlich«. Wenn man »übertragen« sagt, sagt man etwas Gewohntes, etwas Klares. Vorgesehen ist also ein Depot und ein Übergang, eine Akkumulation und eine gemeinsame Bereicherung, eine Subjektivität, von der man zu etwas anderem übergehen kann, zu einer erlebten Erfahrung, einer Sprache. Aber was kann das in der heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftskrise bedeuten, wenn man zum Beispiel die jüngeren Generationen betrachtet, die keine Zukunft kennen, die sich durch eine Zeit der Unsicherheit und Gefahr quälen? Wenn wir dann den Begriff »öffentlich« verwenden, berühren wir bereits einen sehr schwierigen Aspekt unserer Gegenwart: Die Schwierigkeit, die sich bei der Verwendung dieses Begriffes im Arendtschen Sinne ergibt, resultiert daraus, dass sich das Konzept des Öffentlichen vermutlich davon gelöst hat, was wir traditionell mit ihm bezeichneten. Der Übergang vom Privaten zum Öffentlichen ereignete sich einst linear, auf dem Weg der demokratischen Formen öffentlicher und staatlicher Institutionen. Hinter dem Begriff stand die Konzeption einer zentralisierten politischen Repräsentation der Volksinteressen: Auf der einen Seite stand die Freiheit der Privatpersonen, die Freiheit der Märkte; auf der anderen Seite die im Volk verankerten Werte von Gleichheit und Freiheit, sowie die Gewährleistung dieser Werte durch ebenjene großen öffentlichen Institutionen und den Staat. Aber hinter der Schwierigkeit, die Arendt aufdeckt, verbirgt sich vielleicht noch ein weiterer Aspekt, der heute nicht mehr vertuscht werden kann. Unter dem Begriff des Öffentlichen versteht sie nicht so sehr eine juristische, institutionelle Öffentlichkeit, sondern vielmehr das Zusammensein, das gemeinsame Produzieren und Aufbauen, also etwas, das wir heute nicht mehr öffentlich, sondern gemeinsam nennen würden. In diesem Unterschied zeigt sich, denke ich, eine Veränderung mit ontologischer Relevanz.
Fragen wir uns daher: Ist das Öffentliche wirklich so geschwächt? Und wie weit ist diese Schwäche fortgeschritten? Wie erschüttert ist das Vertrauen in die politische Repräsentation und die Fähigkeit des Staates, im Interesse der Allgemeinheit zu handeln? Vor allem aber: Beginnt sich wirklich ein neues Gefühl des Gemeinsamen in Abgrenzung zum Öffentlichen durchzusetzen, so als sei es gleichsam neuer Ausdruck des Naturrechts? Und falls ja, bis zu welchem Punkt? Dieses Gefühl des Gemeinsamen